TBHB 1943-12
Einführung
[Bearbeiten]Der Artikel TBHB 1943-12 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Dezember 1943. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 12 Seiten.
Tagebuchauszüge
[Bearbeiten][1] Man sagt, daß sich M. v. Paepke demnächst mit dem Baron v. Viereck, dessen Frau gestorben ist, verloben werde. Jedenfalls hat sie von ihm einen guten Hasen geschickt bekommen. Da sie allein ist, bot sie uns an, daß dieser Hase in unserem Hause zubereitet u. verzehrt werden solle, – Bedingung: daß ihre Freundin Frau Oberst Sulzberger dazu eingeladen würde, welche z. Zt. neben uns im Hause der Gräfin Dohna wohnt. Eigentlich sollte dieses Hasenessen am Montag stattfinden. Da an diesem Tage aber infolge Sturmes die Leitung zerstört war u. wir den elektr. Herd nicht benutzen konnten, mußte dieses Fest auf gestern verschoben werden. Ich hatte noch eine Flasche Moselwein im Keller liegen, die ich zu dieser Gelegenheit spendierte. – Mary v. P. gönne ich dieses späte Glück von Herzen, sie ist schon ein recht betagtes Mädchen. Frau Sulzberger ist eine reizend aussehende, aber überaus langweilige u. leere Frau, mit der man kein vernünftiges Gespräch führen kann. –
Ich höre, daß wieder einmal die Finanzkommission im Orte sein soll. Da wir bei der letzten Kontrolle übergangen worden sind, obgleich wir eigentlich fällig waren, wird sie wohl diesmal zu uns kommen u. unsere Bücher durchschnüffeln. Die Einkommensteuer ist seit 1939 nicht mehr neu veranlagt worden, sodaß jeder das Einkommen versteuern muß, was er vor Kriegsausbruch gehabt hat. Bei den kleinen Leuten ist das Einkommen natürlich zurückgegangen u. sie müssen also viel zu viel zahlen, dagegen sind die Einkommen der zahlreichen Kriegsgewinnler sehr gestiegen. Die zahlen also alle zu wenig. Das ist dann Sozialismus!
[2]Gestern abend gelang es Martha, eine Verbindung mit Anneliese in Bln. zu bekommen. Kaum war aber das Gespräch zustande gekommen, als in Bln. Fliegeralarm gegeben wurde. Nach den heutigen Nachrichten scheint es wiederum ein schwerer Angriff gewesen zu sein, doch weiß ich noch nicht, welche Stadtteile besonders betroffen sind. Es ist das jetzt der sechste schwere Angriff gewesen. Man sagt, daß von der Leipziger Straße überhaupt nichts mehr stehen soll. –
In Kairo ist nun eine Konferenz zwischen Roseveldt u. Churchill u. Tschiankaischek u. dessen Frau gewesen, die sich anscheinend hauptsächlich mit der Lage in Ostasien befaßt hat. Der zweite Teil dieser Konferenz soll nun mit Stalin in Teheran stattfinden .
Der Präsident von Südafrika, General Smuts, soll in London eine Rede über die Entwicklung nach dem Kriege gehalten haben. Er soll gesagt haben, dieser Krieg könne nicht mit einer üblichen Friedenskonferenz abgeschlossen werden, sondern man werde sich mit einem, einfachen Waffenstillstand begnügen, damit die äußerst komplizierten politischen Fragen der Nachkriegszeit nach u. nach gelöst werden könnten. Es ist das zweifellos eine gute Ansicht u. beweist, daß man die Torheiten nicht wiederholen will, die man nach dem ersten Weltkriege in Versailles begangen hat. Er soll dann weiterhin gemeint haben, daß England, Amerika u. Rußland sich dann in die Kontrolle über die ganze Welt teilen müßten. Im Einzelnen soll er gesagt haben, daß ein schwaches Frankreich u. ein schwaches Italien aus diesem Kriege hervorgehen müsse, daß aber Deutschland aufhören müsse zu existieren. – Wie weit solche Ansichten in Bezug auf Rußland ernst gemeint sind, wird sich erweisen, aber interessant ist dabei, daß der ehemalige Bundesgenosse Frankreich wie ein besiegter Staat behandelt werden soll. Von England hat Smuts gesagt, daß es zwar als Großmacht weiter bestehen müsse, aber sehr viel opfern müsse u. daß es verarmt aus diesem Kriege hervorgehen werde. Das heißt doch nichts anderes, daß auch England ähnlich wie Frankreich behandelt werden soll, daß man dergleichen aber jetzt noch nicht sagen darf. Es scheint so, als ob sich Smuts eine Weltherrschaft Amerikas erträumt, in der nur Rußland noch ein gewichtiges Wort mitzusprechen haben wird – solange, bis auch dieses Land dem Amerikanismus unterliegen wird. – Nun, von mir aus hätte ich dagegen nichts einzuwenden, wenn nicht eben im Weltherrschaftsanspruch dieses Landes bereits wieder der Keim zu neuen Kriegen liegen würde, – erst gegen Rußland u. dann gegen Japan=China, welche beiden Länder sicher eines Tages gemeinsam handeln werden, wahrscheinlich im Bunde mit Rußland. –
Man erzählt, die Deutschen hätten in Oslo sämtliche Studenten u. einen Teil der Professoren verhaftet. Selbst Finnland soll darüber empört sein, besonders, weil die Absicht bestehen soll, alle Verhafteten nach Deutschland zu bringen.
In Italien sind die Engländer an der Adriaküste endlich zur Offensive übergegangen. Sie machen ein großes Geschrei von ihren Bodengewinnen. Viel zutrauen kann man ihnen jedoch nicht. Immerhin lese ich heute im Rostocker Anzeiger einen großen Artikel aus Italien, in dem überraschend naiv zugegeben wird, daß Rom von allen Behörden u. zivilen Unternehmungen geräumt wird. Demnach scheint es so als bestünde die Absicht der Räumung dieser Stadt. Falls die Engländer mit ihrer neuen Offensive wirklich Erfolg haben sollten, würde eine solche Räumung in der Tat unvermeidlich sein.
[3]Heute früh hörte ich noch im Schlafe eine Detonation. Da die Batterie gestern Schießen hatte, glaubte ich, daß der Knall daher käme, wunderte mich nur, daß nur ein einziger Schuß abgegeben wurde. Später stellte sich heraus, daß der Schlepper, welcher die Schießscheibe schleppt, auf eine Mine gelaufen war. Von den 25 Mann der Besatzung sollen nur neun Mann gerettet worden sein.
Vormittags läutete Irmingard an, Klaus wünschte, daß Jens zu Weihnachten zu Hause wäre. Am Montag wird die Hausgehilfin von Frau Schmidt-Isserstädt nach Bln. fahren, die mag ihn dann mitnehmen. – Ehe Irming. anrief, hatte ich grade an Klaus geschrieben, daß wir Jens über Weihnachten hier behalten würden u. hatte ihn eingeladen, hierher zu kommen. Jens ist natürlich sehr freudig erregt.
Gestern Abend bekamen wir erstmalig Post aus Berlin. Frau Maria Faensen schreibt, daß es bis jetzt allen gut geht, ebenso Weckmann's, dessen Sohn aber abgebrannt ist u. seine Frau ist mit lebensgefährlichen Verletzungen aus den Trümmern gezogen worden. Frau Lina Bittner in der Lüneburgerstraße ist wie durch ein Wunder unbeschädigt, obwohl sonst alle Häuser verbrannt sind. Dr. Lindner ist die Privatwohnung verbrannt, seine Praxis in der Motzstraße steht. Er schreibt, daß zwischen Nollendorfplatz u. Prager Platz etwa noch 12 Häuser stehen. Agnes Langfeld in Hermsdorf ist auch noch gesund. –
Nachmittags wurden zwei Rettungsboote des Schleppers hier angeschwemmt, das eine ziemlich große bei Partikel, ein kleiners liegt kieloben hier bei uns. Marinesoldaten von der Batterie sind beim Bergen, ein Lastauto ist da, um die Boote abzufahren. Ich ging auf die Brücke, wo ein Scherenfernglas aufgestellt war, durch das man den Schlepper gut sehen konnte. Mast u. Aufbauten ragen aus dem Wasser hervor, man sieht ihn auch mit bloßem Auge. Von einem Obergefreiten hörte ich, daß 32 Mann Besatzung auf dem Schlepper gewesen sind, von denen sich 11 Mann schwimmend an Land gerettet haben, die übrigen 21 Mann dürften ums Leben gekommen sein. –
Gegenwärtig stehen die Zeitungen voll von albernen Glossen über die Konferenz zwischen Rosevelt, Stalin u. Churchill, die in Teheran stattgefunden hat. Man kann nur sagen, daß es einfach empörend u. verbrecherisch ist, wie dem Volk dieses Ereignis lächerlich zu machen versucht wird, obwohl es sich dabei um die letzte Vorbereitung des endgültigen Todesstoßes für Deutschland handelt. Der Reichspressechef Dr. Dietrich hat als einzige, nennenswerte Abwehr, die seitens der Regierung unternommen wurde, sämtliche Journalisten zusammengetrommelt u. ihnen eine der üblichen, langen Reden gehalten, die in den Zeitungen Wort für Wort abgedruckt ist, die aber kein Mensch liest, weil man schon aus den Schlagzeilen der einzelnen Abschnitte erkennt, daß es sich um die schon tausendfach gehörten Plattheiten handelt. In Wahrheit aber haben die Drei in Teheran nun ihre schon längst vorher ausgearbeiteten Pläne festgelegt u. miteinander in Einklang gebracht, ihre Verwirklichung werden wir im kommenden Jahre erleben. Die Russen werden uns auch den Winter über mit ihren Angriffen weiter zermürben, die Angriffe in Italien werden dasselbe tun, die Luftangriffe auf unsere Städte u. Industrie werden noch wesentlich gesteigert werden u. spätestens im Frühjahr wird die Landung irgendwo im Westen erfolgen. Unsere Regierung weiß demgegenüber nichts anderes, als diese Dinge lächerlich zu machen, als ob die Drei diese ungeheure Reise gemacht hätten, um bloß einen großen Bluff zu veranstalten. Keine Strafe ist genug für diese Verbrecher.
Je mehr es zum Ende geht, um so toller werden die Maßnahmen dieser Leute. In Oslo haben sie sämtliche Studenten verhaften lassen u. auch die Dozenten, es sollen 1500 sein, [4] u. sie bringen jetzt diese Verhafteten nach Deutschland in Konzentrationslager. Ein Sturm der Entrüstung geht durch ganz Europa. Schweden hat eine Protestnote überreichen lassen, die von Herrn v. Ribbentrop in der üblichen unverschämten Art zurückgewiesen worden ist. Selbst das verbündete Finnland beteiligt sich an Protestkundgebungen, auch Ungarn. Besonders die Schweiz ist natürlich führend.
Heute bekam ich von Joseph Faensen aus Bln. die beiden Bände: Joseph Lortz: Die Reformation in Deutschland. Dieses Werk kommt mir grade im richtigen Augenblick, da ich soeben zum zweiten Male die Biographie Luthers von Thiel gelesen habe. Die beiden Bücher hat F. am 8. Nov. in Bln. abgesandt. Der begleitende Brief weiß noch nichts von den Luftangriffen. –
Die erste Wirkung der Teheran-Konferenz beginnt bereits, Gestalt anzunehmen. Die öffentliche Meinung in Bulgarien gegen den Krieg ist so stark, daß die Regierung sich nicht länger ihr widersetzen können wird. Man muß jeden Augenblick mit dem Rücktritt dieser Regierung rechnen, was nichts anderes heißt, als daß Bulgarien aus dem Kriege ausscheidet. Das wäre dann schon der zweite Bundesgenosse. Schon hat unsere Regierung eine drohende Note an die bulgarische gerichtet u. mit Besetzung des Landes gedroht. – Es scheint, als habe die Teheran-Konferenz bindende Zusagen von Stalin erreicht, daß er die Balkanstaaten nicht anrühren will mit Ausnahme Rumäniens, von dem er natürlich Besarabien wieder haben will. Man hat natürlich dafür gesorgt, daß diese Zusage auf dem Balkan bekanntgeworden ist u. schon ist auch Ungarn, das ja schon längst höchst unlustig ist, reif zum Abfall. Wir werden also wohl demnächst wieder Gelegenheit haben, über den Verrat weiterer Bundesgenossen zu lamentieren, denn auch Rumänien wird dann folgen müssen.
Merkwürdig wenig Aufhebens ist von uns davon gemacht worden, daß der sogenannte, „General“ Tito, der serbische Bandenführer, eine Regierung gebildet hat, die von England anerkannt worden ist, obgleich der junge König Peter in England im Exil lebt u. bisher dort eine Exilregierung bestand, die allerdings schon vor einiger Zeit mitsamt dem König Peter nach Kairo umgesiedelt wurde. Ich habe die Nachricht davon bei uns in der Zeitung nie gelesen, es wurde bloß eines Tages nebenbei davon geschrieben, als wäre es eine bekannte Tatsache. –
Die Times hat einen aufsehenerregenden Artikel geschrieben über Deutschland nach dem Kriege. Die Zeitung setzt sich ein gegen eine allzugroße Zerstückelung Deutschlands u. sie meint, man dürfe die ungeheuren Kräfte Deutschlands nicht zerbrechen, sondern sie nutzbringend einschalten. Vielleicht gehört das zu dem von England betriebenen Propaganda-Feldzug im Stile der 14 Punkte Wilsons?
Schweden überlegt, wie es sich rächen kann wegen seiner von uns zurückgewiesenen Note wegen der Osloer Studenten u. droht mit Sperrung der Eisenerze. – Wollen wir nun dieses Land auch noch besetzen? –
Jens ist heute morgen um 9 Uhr von uns gegangen. Er mußte zu Fuß nach Wustrow, zusammen mit dem Mädchen von Frau Schmidt-Isserstädt. Hoffentlich verläuft seine Reise glatt. Von seinem Vater gestern ein Brief, der eine Andeutung enthält, daß Fritz neue Scherereien mit Bohners hat.
[5]begonnen: Am 3. Advent 1943. 12. 12. 43.
beendet: am 23. August 1944.
[6]Dieses neue Heft muß ich beginnen mit der traurigen Nachricht, daß Herr Kellner beim letzten Angriff auf Leipzig umgekommen ist. Er war vor etwa 14 Tagen noch hier auf Urlaub. Seit dem Angriff hat seine Frau nichts von ihm mehr gehört, doch war sie darüber ziemlich ruhig. Ich traf sie gestern auf der Post. Sie sagte mit einigem Recht, daß sie sich keine zu großen Sorgen mache, denn wenn ihm etwas passiert wäre, dann würde sie doch gewiß Nachricht bekommen haben, sowohl von seiner Dienststelle, denn er war ja Major bei der Flak, oder von ihren zahlreichen Freunden in Leipzig. –
Nun ist heute früh hier ein Telegramm eingegangen, – ich weiß nicht von wem, – daß Kellner seit dem Angriff vermißt würde. Walter Niemann, der Postagent, ein sonst überaus dummer u. beschränkter Mensch, hat doch so viel menschliches Gefühl gehabt, daß er sich sagte, er könne dieses Telegramm nicht einfach an die Frau weitergeben. Ich weiß nicht, wie er's gemacht hat, aber zwei Damen, ebenfalls Fremde, haben es dann übernommen, der armen Frau diese Nachricht zu überbringen. – Martha war nach unserer Andacht mit Frau Monheim grade in der Bunten Stube, dort hörte sie diese Sache. Inzwischen war grade Walter Mett mit seiner Tochter aus Born hier angekommen u. ich saß in der Diele mit den beiden, als Martha diese Nachricht brachte. – Ich u. wir alle waren tief erschüttert – u. doch handelt es sich um ein Schicksal, das millionenfach sich überall wiederholt u. sich noch millionenfach wiederholen wird, ohne daß es eine Aussicht auf Rettung gibt. Ein grauenvolles Verhängnis, das über Europa schwebt u. das nur Gott aufhalten kann, wenn das Maß voll ist. – Wann wird es voll sein? – Und wenn es voll sein wird, – wie wird dann die Reaktion in [7] dieser entchristlichten Welt sein?
Gestern bekam ich einen Brief von Fritz vom 18. 11., der also 3 Wochen gebraucht hat. Endlich war es wieder einmal ein Brief, nicht bloß eine dürre Nachricht. Er reagierte auf einen Brief von mir, in dem ich ihm über die Briefe berichtete, welche Bohners an Erich Seeberg gerichtet haben u. in denen sie sich durch gemeine Verdrehungen zu rechtfertigen suchen. – Zum Glück erfolglos. –
An unserer Andacht nahm heute der Verlobte unserer Trude teil, der momentan hier auf Urlaub ist. Er ist Obergefreiter bei der Matrosen-Artillerie, ein junger, gesunder Mensch, der noch niemals an der Front war, obgleich er seit 3 Jahren Soldat ist.
Am letzten Sonntag war ich Nachmittags bei Frau Kellner. Brachte ihr Zigaretten. Die Frau war erstaunlich gefaßt. Sie hatte Mittags ein Blitz=Gespräch angemeldet bei Freunden aus Leipzig, von denen sie das Telegramm erhalten hatte, doch war gegen 4 Uhr das Gespräch noch nicht zustande gekommen. Sie sagte mir, daß sie möglicherweise nach Leipzig fahren wolle, um nach dem Mann zu forschen. – Am Montag erzählte mir dann eine Dame, daß Frau K. das Gespräch bekommen habe. Danach sieht die Sache so aus, daß Kellner auf dem Boden des Hauses gesehen worden ist, wo er löschte. Er scheint ganz allein dort gewesen zu sein. Er soll heruntergerufen haben, daß man eine Eimerkette bilden solle. Bald darauf habe er aber gerufen, daß die Treppe brenne. Einige Leute wollen gesehen haben, daß man ihm von einem anderen Hause aus eine Leine zugeworfen habe, andere sagen, er hätte die Leine nicht erreicht. Einige wollen dann gesehen haben, daß ein Mensch mit verbranntem Gesicht u. Händen fortgeschafft worden sei, doch weiß niemand, wer das war, u. auch nicht, wohin er gebracht worden ist. Jedenfalls ist Frau K. am Montag Morgen nach Leipzig gefahren, aber seither habe ich nichts mehr von ihr gehört.
In dieser Woche ist abermals Hamburg + Bremen angegriffen worden u. vorgestern Nacht wieder Berlin. Wir hörten die Bomber auf dem Rückfluge über uns wegfliegen gegen 9 Uhr abds. In Berlin soll diesmal Neukölln u. Treptow drangewesen sein. –
Heute Nachm. war Dr. Krappmann mit Frau bei uns. Er suchte Weihnachtsgeschenke für die Batterie. Wir gaben ihm unsere sämtlichen kleinen Inselbücher u. was wir sonst noch entbehren konnten, insgesamt 85 Bücher, dazu Aschbecher, die uns Bachmann zur Verfügung gestellt hatte, scheußliche Dinger aus Weißblech, – aber er wird sie wohl nehmen, weil er sonst nichts bekommt. Dabei bekommen die Soldaten täglich nur noch 3 Cigaretten. Es ist der reine Hohn, ihnen dazu noch Aschbecher zu schenken.
Seit Montag haben wir das Geschäft täglich von 10 – 12 Uhr auf. Es ist sehr kalt. Die Leute kaufen, was man ihnen gibt, nur um irgend etwas zu haben zum Verschenken. – Das Grauen nimmt immer fürchterlichere Formen an.
Morgen am 4. Advent haben wir die Kinder eingeladen, ich will ihnen die Weihnachtsgeschichte u. noch etwas mehr erzählen, dazu ein paar Lieder singen lassen, deren Texte ich mit der Maschine geschrieben habe, denn selbst die besseren Schulkinder kennen heute diese Lieder nicht mehr. Im Geschäft basteln Mütter u. Kinder Nachmittags sich selbst Geschenke zurecht, wir geben das Material. – Martha ist wieder sehr überanstrengt.
[8]Heute morgen bei der Andacht hielt ich eine Ansprache, die diesmal besonderen Beifall fand. – Nachmittags um fünf Uhr waren die Kinder da. Es waren zehn oder elf Kinder mit ihren Müttern. Wir haben einen ziemlichen Kerzenluxus getrieben. Die Madonna in der Diele hatte ich mit Kiefernzweigen umgeben, ihr zu Füßen das Jesuskind mit Engelchen, rechts u. links die beiden dreiarmigen Keramikleuchter, es brannten alle sechs Kerzen, doch bliesen wir sie aus, nachdem alle Kinder da waren. Im Wohnzimmer hatten wir reichlich Stühle aufgestellt. Auf dem Altar ebenfalls Kiefernzweige in italienischen Vasen, in der Mitte die Kopie der alten Muttergottes als Himmelskönigin, rechts u. links flankiert von den silbernen Altarleuchtern. Die Tür nach dem Seezimmer mit dem hübschen Marienbilde war geschlossen, davor die Krippe auf einem Tischchen, ebenfalls mit Kiefernzweigen u. vier Kerzen. Daneben saß ich, neben mir die große Stehlampe, der übrige Raum blieb dunkel. Wir sangen: Ihr Kinderlein kommet ... u. dann begann ich meine Erzählung von der Geburt des Herrn mit vielen dramatischen u. legendären Ausschmückungen. Die Kinder hörten mit aufgerissenen u. glänzenden Augen gespannt zu bis zuletzt, was erstaunlich war, die die ganze Sache eine Stunde lang dauerte. Sehr viel Spaß machte es mir, daß auch die Mütter ganz gefesselt waren. Zum Schluß sangen wir: O du fröhliche ... Es war sehr lebendig, u. alle waren hoch befriedigt. Besonders begeistert war eine Frau v. Achenbach. Der Mann ist Schriftsteller in Berlin. Die Frau wohnt im Hause Partikel schon seit dem Sommer, aber wir haben sie bisher nie näher kennengelernt, bis sich neulich zufällig herausstellte, daß sie katholisch wäre. Sie ist Kroatin, doch sagt sie, sie sei aus „Jugoslavien“. Ich weiß nicht, ob sie damit absichtlich den neuen kroatischen Staat ablehnen will. – Jedenfalls bemerkte ich, daß ihre Bluse am Ellnbogen ein Loch hatte u. daß ihre Finger nicht sehr sauber waren. Auch konnte ich, da sie sich nachher in ein Gespräch mit mir einließ, feststellen, daß sie von der Führung eines Hauswesens nicht sehr viel Ahnung zu haben schien. – Später erzählte Martha, daß die Frau überall in einem etwas anrüchigen Rufe stehe. So weit sieht sie nicht grade unsympatisch aus, ein schwarzhaariger slavischer Typ, der nicht so leicht zu beurteilen ist. Jedenfalls wird man vorsichtig sein müssen, zumal sie mit Frau Abeking u. deren Tochter Umgang haben soll. Der Mann hat mehrmals wissen lassen, daß er mich besuchen wolle, ist aber bisher nie erschienen. Heute versicherte mir die Frau, daß er morgen diesen Besuch machen wolle. Er scheint meist in Berlin zu sein, obgleich ihre Wohnung ausgebrannt sein soll. Die Sache sieht etwas nach Bohême aus.
Gestern Abend Frau Kellner, die von der Reise, von Leipzig, zurückgekehrt ist. Es steht auf Grund der Nachforschungen der Wehrmacht einwandfrei fest, daß der Mann beim Brande des Hauses umgekommen ist, aber bis jetzt ist noch nichts von ihm gefunden worden. – Frau K. erzählte von ihren Eindrücken von Leipzig, – es ist ein Grauen.
In der Bunten Stube ist toller Weihnachtsbetrieb.
[9]Gestern verteilten wir in der Bu Stu. die Weihnachtsgeschenke für die Kinder, welche die Mütter in Empfang nehmen mußten. Wir haben etwa 175 Kinder betreut, normaler Weise haben wir immer nur etwa 20 Kinder im Ort. Die Frauen gebildeter Stände, besonders die von auswärts, waren entzückt u. dankbar, daß sie trotz der Warenknappheit etwas bekamen, aber es gab auch andere, besonders unter den Einheimischen, welche nur zu schimpfen hatten u. höchst unzufrieden waren. Heute war die Verteilung an die Erwachsenen, – auch da dasselbe Bild. Morgen gehen noch die Reste an diejenigen, die ihre Sachen noch nicht abgeholt haben. Wir haben in diesen Tagen sehr große Massen an Ware ausgegeben u. haben wirklich stark geräumt. Auch die Batterie haben wir versorgt u. haben zu diesem Zweck unsere privaten Bücherbestände geplündert, so haben wir sämtliche Inselbändchen u. ähnliche kleine Ausgaben abgegeben.
Wahrscheinlich ist es unklug, – aber man kann es nicht beurteilen. Es hört eben nach u. nach alles auf, u. einmal muß man doch alles hergeben. Schlimmer wird es nun mit den Lebensmitteln werden. Die Kartoffelernte ist miserabel gewesen u. die Rationen für die menschliche Ernährung sind herabgesetzt worden auf 2 – 2 1/2 kg. pro Woche. Das mag jetzt noch gehen, aber wenn zum Frühjahr auch von diesen Rationen noch ein Teil weggeworfen werden muß, weil er verdorben ist, dann geht eine große Hungerei los, denn die Folge davon ist, daß viele Schweine geschlachtet werden müssen, weil kein Futter für sie da ist. Der Ausfall muß dann durch Rinder ersetzt werden, u. wenn diese geschlachtet werden, gibt es keine Butter mehr. Es wird also keine Kartoffeln, kein Fett u. keine Butter mehr geben. – Im Oktober vorigen Jahres hielt Göring seine berühmte Rede, die den Zweck hatte, die sinkende Stimmung zu heben. Damals wurde die Fleischration heraufgesetzt u. Göring erklärte, es würde von nun an immer besser werden. Es ist aber immer schlimmer geworden u. wird sehr schlimm werden, denn nun gibt es keine Ukraine mehr, aus der man uns Sonnenblumenöl u. wer weiß was noch alles versprochen hatte. – Es wird in diesem Frühjahr sehr, sehr ernst werden. – Inzwischen gehen die Bombardierungen unserer Städte unentwegt weiter. Gegenwärtig sind einige der Männer der Frauen hier, die hier den Krieg abwarten wollen. Sie sehen nicht sehr fröhlich aus, besonders, wenn sie aus Berlin kommen. Auch Herr Monheim ist hier.
Gott sei Dank, daß der hl. Abend nun vorüber ist. Der Betrieb in der Bu Stu war in der letzten Zeit unbeschreiblich. Es ergab sich, daß die ausgebombten Großstädter dankbar waren für die viele Mühe, die Martha sich gegeben hatte, jedem etwas zukommen zu lassen, während die Einheimischen, besonders diejenigen, welche in guten Verhältnissen leben, anspruchsvoll waren u. nicht genug hatten, größtenteils sich nicht einmal bedankten.
Am späten Nachmittag war endlich die letzte Kundin bedient. Trude machte uns eine Tasse Bohnenkaffee. Den Baum hatte ich gleich nach dem Mittagessen geschmückt. Wir saßen noch beim Kaffeetisch, als Gretl Neumann kam u. uns in einem Korb zwei Schüsseln brachte, deren eine zwei ordentliche Stücke Puter enthielt, die andere Sauerkraut. Trude hatte Kartoffelsalat gemacht, den wir eigentlich [10] als einziges Gericht essen wollten. Gretl N. brachte auch noch eine Flasche Weißwein aus ihrem Korb hervor. Auf diese Art hatten wir ein prächtiges Abendessen u. es ging uns nicht so wie im vorigen Jahre, wo wir am hl. Abend buchstäblich nichts zu essen hatten. Wir brauchten die Sachen von Gretl N. nur aufzuwärmen u. es war wirklich eine große Freude. – Nach dem Essen bauten wir uns unsere kleinen Geschenke auf. Frau Lehment hatte einen Korb mit Aepfeln geschickt u. zwei Flaschen Schnaps, Frau Schmidt-Isserstädt eine Radierung von Hans Maid, Kurt Spangenberg erschien mit einer Flasche Wein u. einem sehr netten Foto von sich selbst. Immerhin waren wir so müde, daß wir vergaßen, den Weihnachtsbaum anzuzünden, was wir dann nachholten. Wir löschten ihn aber bald wieder aus, weil Pfr. Dobczynski am 3. Feiertag bei uns eine hl. Messe lesen will u. wir wollen den Baum bei dieser Gelegenheit noch einmal brennen. Außerdem schlief Martha angesichts des brennenden Baumes in ihrem Stuhl sanft ein, – die Arme war furchtbar überanstrengt. – Von Rewoldt-Niehagen bekamen wir ein Huhn u. wir beschlossen, dasselbe an den Nachbar Papenhagen weiter zu schenken, denn wir wußten, daß es dort an Essen fehlt. Wir haben damit denn auch große Freude ausgelöst.
Ich hatte im Keller noch eine Flasche Burgunder liegen, die ich Nachmittags schon warm gestellt hatte. Am Abend haben wir sie getrunken, die letzte ihrer Art. Dann fiel uns ein, daß Frau Monheim doch Andeutungen gemacht hatte, daß sie uns etwas schenken wollte, – aber es war nirgends etwas zu sehen. Schließlich fiel mir ein, daß sie ja am Vormittag im Laden war u. mir gesagt hatte, daß sie für uns etwas in der Diele unter der Madonna abgestellt hätte. Ich ging hin u. fand dort auf der Bank einen großen verdeckten, recht schweren Korb, den ich dann rauf brachte. Wir packten ihn aus u. es zeigte sich, daß er eine Fülle von Kostbarkeiten enthielt. Schokolade, Marzipan, Kakao, Kaffee usw., – wir staunten, was da alles darin war.
Nachher lasen wir eingegangene Briefe, meist recht traurige Dokumente des schlimmen Kriegsgeschehens aus Berlin. So schrieb Rena Bluhm u. Kurts Frau Anneliese, die davon berichtete, daß beim letzten Angriff ihr Nachbarhaus abgebrannt sei u. daß es den vereinten Anstrengungen der Bewohner gelungen sei, das eigene Haus zu retten. Es ist eben schrecklich, was da überall geschieht u. man kann dazu nichts weiter mehr sagen. – Martha wurde schließlich so müde, daß sie ins Bett gehen mußte. Ich blieb allein auf bis 12 Uhr, weil ich hoffte, im Radio irgendwo eine Mitternachtsmesse zu hören, was aber leider nicht gelang. Ich probierte es bis 1/2 1 Uhr ergebnislos. –
Heute Morgen frühstückten wir feiertäglich mit Bohnenkaffee u. einem Ei, Weißbrot, Butter u. Honig. Später kamen Trude u. Agnes Borchers-Papenhagen, beide sehr glücklich über die Geschenke, die sie bekommen haben. Trude brachte Butter u. eine Wurst von den Eltern.
Heute nimmt dieses schwere Jahr sein Ende u. ein viel schwereres u. grauenvolleres beginnt. Man darf wohl erwarten, daß das Jahr 1944 zu den grauenvollsten Jahren gehören wird, welche die abendländische Christenheit je erlebt hat. Möge Gottes Gnade uns helfen. –
Gestern Nachmittag war Marianne Clemens mit ihrem Mann bei uns zum Tee. Dieser Mann ist wirklich ein sehr [11] anständiger u. sauberer Mensch. – Frau Monheim kam zu einem zwanglosen Schwatz dazu, wie sie es jetzt öfter tut. Auch vorgestern kam sie. Wir freuen uns darüber, denn obwohl sie in keiner Weise interessant oder gar geistvoll ist, manchmal sogar regelrecht langweilig, ist sie doch charakterlich so sauber u. ehrlich, daß es Freude macht, mit ihr umzugehen. Gestern war wieder ein schwerer Angriff auf Berlin, Frau M. hatte aber Nachricht, daß in ihrer Gegend nichts passiert ist, es scheint mehr der Südwesten betroffen zu sein. Berlin werden die Engländer im Januar wohl fertig machen. –
Man spricht von nichts anderem mehr als von der nun zu erwartenden Invasion. England u. Amerika machen damit reichlich Propaganda, indem sie viel darüber sprechen u. schreiben u. jede Neuernennung von führenden Generalen herausposaunen. Sie erreichen damit, was sie wollen, eine steigende Nervosität. –
Von Dr. Birkenfeld Brief. Er scheint seelisch völlig zusammengebrochen zu sein. Er schreibt aus Bad Nenndorf b. Hannover, wo er seine Familie untergebracht hat u. wo er selbst über die Weihnachtstage ist. Er bittet uns, daß wir uns nach einem anderen Bücherrevisor umsehen möchten, da er kein Interesse mehr hat. Ich habe ihm geschrieben, habe aber heute noch einen zweiten Brief hinterher geschickt mit dem Versuch, ihn daran zu erinnern, daß er doch Katholik ist u. daß dies seine einzige Rettung sein kann. Vielleicht wirkt es u. er kommt endlich zur Besinnung.
Von Dr. Grimm-Hannover ein Brief mit einer Schilderung der furchtbaren Zustände dort. Er braucht Geld u. bietet uns sein Grundstück in Prerow an. Ich möchte es gern kaufen u. habe deshalb an Rütz in Ribnitz geschrieben. Man fürchtet sich, dergleichen zu kaufen, weil das Finanzamt möglicherweise unbequeme Fragen stellt, woher das Geld kommt.
Herr Dr. Clemens erzählte von den Zuständen in Hamburg u. dem Schwarzhandel u. der Einmischung der Partei in die innere Verwaltung, wobei die zuständigen Ministerien in Berlin absichtlich übergangen u. ausgeschaltet werden, was bei der zunehmenden Desorganisation der Post u. des Verkehrs leicht möglich ist.
Heute Nachmittag sind wir bei Söhlkes zum Thee. Wir haben versucht, diese Einladung zu umgehen, doch ist es leider nicht geglückt. Die Leute sind ja ganz nett, gehen uns aber nichts an. –
Marthas Riesenarbeit die sie sich zu Weihnachten gemacht hat, scheint ja überall auf guten Boden gefallen zu sein. So weit man uns erzählt, sind die Leute überall voller Anerkennung über die Mühe, die sich Martha gegeben hat, damit jeder zu Weihnachten wenigstens eine kleine Freude hatte. Nur allein Frau Ristow machte eine Ausnahme. Sie schickte das Paket zurück mit einem ausgesucht verletzenden Brief. Sie gehört zu den wenigen Menschen, von denen wir bisher geglaubt haben, daß sie uns nahe stände. Das schreiben wir nun ab. Auch gehört sie zu den wenigen, die bisher, abgesehen von ihrem Freunde Erichson, – vom Kriege überhaupt noch keinen Schaden erlitten hat, – weder sie selbst noch einer ihrer Familie. –
Außer der Versorgung der Einheimischen u. der vielen Bombengeschädigten, die hier Zuflucht gefunden haben, sind noch 100 Pakete an Auswärtige gegangen, aber ich fürchte, daß viele die Sendung nicht erhalten werden. Nun kann das Jahr des Schicksals 1944 beginnen! Am 27. Dezember war Pfr. Dobczynski hier u. hat ein Hochamt zelebriert. Wir waren zu 21 Personen. Die [12] Messe war um 9 Uhr morgens, der Weihnachtsbaum brannte, wir sangen eine deutsche Singmesse. Der Pfarrer blieb zu Tisch bei uns. Er war gesünder und frischer als sonst. Er erwähnte beim Essen, daß er an das Ordinariat in Berlin ein Gesuch gerichtet hätte, mir die missio canonica zu erteilen u. er meinte, daß er, falls dieses Gesuch nicht bewilligt werden sollte, von sich aus mich zu seinem Stellvertreter als Religionslehrer hier im Orte bestellen würde, damit man mir dann keine Schwierigkeiten mehr bereiten könne. Allerdings gilt das dann nur für katholische Kinder.