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TBHB 1944-01

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Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1944-01
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Entstehungsdatum: 1944
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Originaltitel: Januar 1944
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom Januar 1944
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Einführung

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Der Artikel TBHB 1944-01 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Januar 1944. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 9 Seiten.

Tagebuchauszüge

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[1]
Sonnabend, 1. Januar 1944.     

[1]      Das schicksalsschwerste Jahr Europas hat begonnen. Dieses Jahr muß die Wende bringen. Sie wird bitter für uns alle werden, aber besser so, als dieses Grauen ins Endlose fortsetzen.

     Gestern Mittag kam ein Herr Korsch zu mir. Seine Frau wohnt hier in der neuen Kolonie mit zwei Jungens von 6 u. 8 Jahren. Sie wartet hier den Krieg ab, Herr K. ist Steuersachverständiger bei einer Treuhandgesellschaft in Bln. Er ist ein großer, starken, aber anscheinend etwas gefühlsweicher Mann, seine Frau, die ich nur flüchtig kenne, ist nicht besonders sympatisch. Er berichtete mir, daß er zur Gemeinde von Pfr. Niemöller in Dahlem gehöre u. daß seine Jungens gewöhnt wären, jeden Sonntag zum Kindergottesdienst zu gehen, was nun hier nicht geschehen könne. Er habe nun davon gehört, daß bei uns jeden Sonntag eine Andacht gehalten würde. Das scheint also jetzt Tagesgespräch in Orte zu sein. Er bat mich, daß seine Jungens daran teilnehmen könnten. Ich sagte ihm, daß die Jungens davon nichts verstehen würden, weil unsere Andacht natürlich katholisch sei u. ich meine Ansprache auch nicht auf Kinder abstimmen könne. Er sagte mir, daß es ihm darauf auch garnicht ankomme, es wäre ganz gleichgültig, ob die Jungens davon etwas verstünden, es käme ihm bloß darauf an, daß die Jungens lernen sollten, daß es noch etwas Anderes gäbe als das alltägliche Leben u. daß sie Ehrfurcht bekämen vor der Heiligkeit Gottes. Ich fand das sehr rührend und sagte, daß ich unter diesen Umständen nichts einzuwenden hätte, wenn die Jungens kämen, doch wäre es dann gut, wenn die Mutter erst einmal herkäme. –

     Herr Korsch war noch da, als die ganze Familie Monheim kam. Herr Monheim berichtete sehr trocken und sachlich, wie es seine Art ist, von den Zuständen in Berlin. Es ist einfach grauenhaft.

     Nachmittags rief Frau Krappmann an u. gab uns die betrübende Nachricht, daß ihr Mann jeden Tag die Versetzung an einen anderen Ort erwarten müsse, sie seien schon beim Einpacken. –

     Dann waren wir bei Söhlkes. Ich war zum ersten Male in diesem Hause. Es ist wirklich anerkennenswert, wie sie diese alte Scheune sich hergerichtet haben. Die Eltern der Frau S., Herr und Frau Bock aus Hamburg, – Papier + Büromöbel, – waren auch da. Alle zusammen sind schreckliche Parvenues, aber sehr gutmütig und mit großem Willen zur Anständigkeit, was besonders Herrn Söhlke nicht immer leichtfallen mag. [2] Abends waren wir allein zuhause, tranken Punsch, den wir im vorigen Jahre aus Thorn von Marthas Freundin Betty bekamen. Ich las „Galilei“ vor. Um 12 Uhr hörten wir die Glocken aus Westminster.

     Eine sehr interessante Version ist aufgetaucht. Unser Gesandter in Ankara, Herr von Papen, soll in der Türkei mit dem türkischen Außenminister ein Gespräch über den Abschluß eines Friedens begonnen haben. Dem Herrn v. P. ist das durchaus zuzumuten. Er ist ein Mann, der schon unter Hindenburg einmal Minister war, wenn ich nicht irre, war er sogar einmal Ministerpräsident u. als Hitler an die Regierung kam, knüpfte Hindenbg. die Bedingung daran, daß Herr v. P. eine einflußreiche Stellung in der Regierung bekam. Er was Vicepräsident oder so etwas Aehnliches, ist aber natürlich von den Nazis sofort an die Wand gedrückt worden. Als dann die große Mordaktion am 30 Juni eintrat, hieß es, daß er mit knapper Not dem Tode entronnen sei, seine Adjutanten wurden ermordet. Jetzt ist er schon ziemlich lange in der Türkei, wo er sich anscheinend viele Sympathien erworben hat, jedenfalls ist es wohl auch ihm zu danken, daß die Türkei neutral geblieben ist. In Ankara wurde einmal ein Attentat auf ihn verübt, ohne daß er verletzt wurde. Er scheint also Glück zu haben. Katholik ist er auch, er besaß früher die Zeitung „Germania“ – Sonst aber ist er eine etwas schwankende Erscheinung, er steht reichlich im Zwielicht. Er hat sich doch sehr mit den Nationalsozialisten eingelassen, wenngleich auch bekannt ist, daß er nicht deren Freund ist. Jetzt heißt es, daß er die Regierung übernehmen wolle, um Deutschland erst einmal verhandlungsfähig zu machen. Auch da würde er wieder im Zwielicht stehen, als ein Uebergang wie Kerenski. – Immerhin hat dieses Gerücht einige Wahrscheinlichkeit.

Montag, 3. Januar 1944     

     Gestern Nachmittag bei Krappmann. Wie immer sehr gemütlich und anregend. Sprachen von Politik, vom Untergang der Scharnhorst. K. war der Meinung, die Engländer hätten jetzt sehr weittragende Geschütze u. hätten die Scharnhorst beschossen, ohne daß diese die Engländer überhaupt zu Gesicht bekommen hätte. Das scheint mir sehr übertrieben, denn mit derartigen Ferngeschützen kann man schon wegen der Streuung nicht so genau schießen, daß man Aussicht hat, ein so kleines Ziel wie ein Schlachtschiff zu treffen. Außerdem müssen solche Ferngeschütze doch auch ihr Ziel ausmachen und dazu gehört, daß man das Ziel sieht. Aus dem Festlande ist das etwas anderes, ein feststehendes Ziel kann man berechnen, nicht aber ein bewegliches. Das ist also bestimmt Unsinn u. wenn er das sagt, dann ist das wieder ein Beweis, wie sonst kluge und urteilsfähige Fachleute oft falsch urteilen, weil ihr Urteil subjektiv ist. Er als Marine-Artillerist sucht nach den unmöglichsten Erklärungen für diesen Verlust, der ja in der Tat mit nichts zu rechtfertigen ist.

     Es war auch von der zu erwartenden Invasion die Rede. Die ganze Batterie hier soll dann infanteristisch eingesetzt werden, was natürlich wieder ein großer Unsinn ist, denn die Leute haben nicht die geringste infanteristische Ausbildung u. sind dem Alter nach letztes Aufgebot. K. ist der Ansicht, daß eine solche Invasion auch jetzt in den Wintermonaten denkbar sei, spätestens wohl im März. Das wird [3] wohl stimmen. Man scheint immerhin ziemlich nervös zu sein, K. selbst muß innerhalb von drei Stunden marschbereit sein, wenn er Befehl bekommt. Aber man kennt das ja, – dieser Befehl wird nicht kommen, oder wenn, dann nutzlos.

     Auch über die U-Boote sprachen wir. Nach K.'s Ansicht sind die engl. Flugzeuge mit Horchgeräten ausgestattet, welche den Standort jedes U-Bootes genau angeben, auch wenn es getaucht fährt. Das kann schon stimmen u. wäre natürlich besonders gefährlich, weil das getauchte U-Boot durch sein Sehrohr das Flugzeug nicht sieht u. jedem Angriff ziemlich wehrlos gegenübersteht. Man muß nun erst wieder etwas erfinden, was diese Horchgeräte unwirksam macht. Jedenfalls ist diese ganze Waffe dadurch z. Zt. unwirksam, – u. sie war die einzige Hoffnung. Nun wartet alle Welt immer noch auf die geheimnisvolle neue Vergeltungswaffe gegen England. –

     Die Russen haben am 24. Dezember eine neue Offensive begonnen, in deren Verlauf sie uns Korosten u. Shitomir wieder abgenommen haben, die wir im Dezember mit so riesigen Anstrengungen erst zurückerobert hatten.

     Berlin wird unentwegt weiter angegriffen. Frau Monheim ist heute früh mit ihrem Mann über Prerow nach Bln. gefahren, sie will am Mittwoch wieder hier sein u. will ihre Kinder Ingrid u. Berni mitbringen.

Freitag, 14. Januar 1944.     

     Am letzten Mittwoch nach längerer Unterbrechung wieder Unterricht an Frau Ziel und ihre Tochter Marianne Clemens. Ich sprach nochmals über die Trinität. Die lange Unterbrechung machte sich störend bemerkbar, es ist dann immer schwierig, den Anknüpfungspunkt zu finden.

     Gestern nahm ich auch den Unterricht für Kinder wieder auf. Es ist jetzt Lothar Krappmann da u. der Junge der Marianne Clemens, Reinhard, u. ferner die beiden Jungens von Frau Korsch, der eine sechs, der andere acht Jahre, beide Protestanten. Auch das ist schwierig, weil diese Jungens außer Lothar die biblischen Geschichten des AT. von mir nicht gehört haben. Reinhard Clem. hat sie wenigstens teilweise gehört. Der ältere Korsch=Junge (Peter) scheint sie aber etwas zu kennen, der jüngere Nikolaus aber garnicht. Das muß man vielleicht später nachholen. Ich habe nun mit der Geschichte Jesu begonnen; aber da die Grundlage des AT. teilweise fehlt, ist es nicht leicht, den Jungens die Notwendigkeit der Menschwerdung klar zu machen.

     Gestern Abend traf ein Telegramm von Fritz ein. Es ist in Wuppertal aufgegeben. Er telegraphiert, daß er zur Truppe versetzt ist und am 18. Januar bereits seine Buchhdlg. übergeben muß. Er hofft, dann auf Urlaub kommen zu können. Vermutlich hat er das Telegramm einem Kameraden mitgegeben, der es in Wuppertal aufgegeben hat. Damit hat dann das schöne Frontbuchhändler-Dasein sein Ende gefunden. Ich glaube, es hat 2 1/2 Jahre gedauert, oder mehr. Bedauerlich ist, daß nun nichts aus der Absicht werden kann, daß F. im März einen Buchhändler-Kursus mitmachen sollte, auf Grund dessen er nach dem Kriege Vollbuchhändler werden konnte; aber es ist sehr fraglich, ob nach diesem Kriege diese von den Nationalsozialisten eingeführten Vorschriften noch gelten werden.

     Hoffentlich kommt F. nun nicht nach dem Osten. Es werden jetzt ja neue Formationen aufgestellt zur Abwehr der erwarteten [4] Landung der Anglo-Amerikaner im Westen. Dazu werden sogar Truppen vom Osten abgezogen. Die Invasion ist vor Ende März – Anfang April kaum zu erwarten, aber es werden nun wirklich die allerletzten Reserven herausgeholt.

     Im Osten sehr schwere Kämpfe. Die Russen dringen zäh weiter vor, aber wir verteidigen uns nicht weniger zäh. Es ist bewunderungswürdig, was unsere schwachen Kräfte leisten, aber es ist natürlich unmöglich die Kampfstellungen zu halten. Die Russen haben nun schon längst die polnische Grenze von 1939 überschritten u. haben auch schon den Oberlauf des Bug erreicht.

     In Italien sind die ehemaligen Minister der fascistischen Partei vor Gericht gestellt worden, die sich am Badolgio-Verrat beteiligt haben. Es handelt sich um 13 Minister, von denen nur ein einziger nicht zum Tode, sondern zu 30 Jahren Zuchthaus verurteilt worden ist. Allerdings hat man von diesen 13 Ministern nur sechs gehabt, unter ihnen den Schwiegersohn Mussolinis, den Grafen Ciano. Von diesen sechs sind fünf erschossen worden, auch Ciano. – Wenn man bedenkt, daß diese Minister doch allesamt geschworene Fascisten gewesen sein müssen wie der Marschal de Bono, der sogar mit Mussolini den Marsch auf Rom mitgemacht hat, – daß diese Minister also die Elite der Partei dargestellt haben, – u. daß diese nun allesamt Verräter geworden sind, dann muß man sich doch vor den Kopf fassen u. fragen, welche Leute es denn nun heute eigentlich sind, die sich noch für Mussolini bekennen? – Und man muß weiter fragen, wohin unsere eigene Politik führen wird, die alles auf das Bündnis mit Italien gesetzt hat? Zwar wird es jetzt gern so dargestellt, daß man immer gewußt habe, wie unzuverlässig das italienische Volk als Ganzes gewesen wäre u. man hätte eigentlich garkein Bündnis mit Italien, sondern nur mit der fascistischen Partei geschlossen. Aber nun gesteht man klar ein, daß auch diese Partei eigentlich nur aus Mussolini selbst bestanden hat.

Sonnabend, 15. Januar 1944.     

     Am Freitag vor acht Tagen besuchte ich vormittags Erich Seeberg, weil man mir gesagt hatte, daß es ihm wieder sehr schlecht ginge. Ich traf ihn aber verhältnismäßig frisch. Wir unterhielten uns eine Stunde lang in seinem Arbeitszimmer. Er hatte mir vor einiger Zeit ein Buch von sich „Luthers Theologie in ihren Grundzügen“ versprochen, das ich mitnahm. Es interessiert mich weil ich z. Zt. das Buch von Lortz. „Die Reformation in Deutschland“ lese, das auch er sehr lobte. Er gab mir dann noch eine kleine Schrift von sich mit: „Ueber Memoiren u. Biographien“. Dieses Schriftchen habe ich gelesen. Es ist interessant u. spritzig geschrieben, so wie er spricht, u. geht besonders im dritten Abschnitt sehr in die Tiefe. – Er versucht dort, den Tod zu definieren. Nachdem er die gewöhnliche Definition angeführt hat als die Vernichtung u. Zerstörung des Ich u. die Frage gestreift hat, ob dieses zerstörte Ich dereinst durch Gottes Eingreifen wieder lebendig gemacht werden könne, gibt er eine neue Definition. Er meint, man könne den Tod auch folgendermaßen definieren: „Wenn die Lebenskraft, die in unendlich vielen Individualitäten sich gestalten und ausdrücken will, sich aus diesem Einzelwesen zurückzieht, dann sind diese tot. Wenn man einen Toten sieht, so gibt es m. E. dafür keinen besseren Ausdruck, um das zu bezeichnen, was man prima facie fühlt, als das Wort exanimatus, entseelt. Die Kraft, die das Individuum im Leben erhalten hat, ist von ihm gewichen. Es ist entseelt u. tot. Aber dieser wie jener Ausgangspunkt – (Anm. von mir: nämlich die „Zerstörung“ des Ich oder die „Entseelung“) – erscheint keineswegs gegen alle Zweifel gesichert. Es könnte doch auch so sein, daß der Mensch dann stirbt, wenn die Beziehungen des Ich durchschnitten werden, in denen es selbst gestanden hat, u. wenn die Wechselwirkungen zum Aufhören gebracht werden, in denen das Ich gelebt hat. Totsein heißt dann ganz Alleinsein. Die Isolierung auf das Ich [5] selbst u. nur auf das Ich, das wäre der Tod. Hiernach bleibt also der Wesenskern des Menschen auch über den Tod hinweg; der Tod ist die Durchschneidung der Relationen, in denen das Ich sich verwirklicht. Voraussetzung u. Consequenz zugleich dieser Anschauung ist die Unsterblichkeit der Seele, wobei es sogar zunächst dahingestellt bleiben kann, ob die Seele individuell erhalten bleibt, oder ob sie im Alleben untergeht.“

     „Man kann aber noch einen anderen Weg einschlagen u. auf diesem einen Schritt weitergehen. Wenn das Ich trotz der Zerschneidung der Wechselwirkung bestehen soll, so wird es doch nur leben, falls es in den Formen des Lebens überhaupt lebt. Es muß also in Beziehungen – trotz der Zerstörungen derselben – bleiben, u. es muß wenigstens eine Relation behalten, die als solche unzerstörbar ist. Das ist die persönliche Beziehung zu dem ewigen Geist selbst, die gerade in der Gemeinschaft mit Christus den persönlichen Charakter findet. Wenn alle anderen vergänglichen Relationen abfallen u. vergehen, so kann u. muß sogar doch die eine, ihrer Natur nach unzerstörbare, die mit Gott, bleiben u. bestehen. Wenn alles versinkt, Familie, Freunde, und Feinde, wenn im grauen Dunklen nur noch ein langsamer Puls schlägt „Ich, ich“ u. wenn es von einem dumpfen Echo wiedergehoben wird, „ich, ich“, in dieser großen u. letzten Einsamkeit des beziehungslos gewordenen Lebens nimmt der ewige Christus den Menschen an der Hand u. führt ihn in dieser Gemeinschaft die allein Bestand hat, an das neue Ufer eines neuen Lebens hinüber. Das Leben mit Gott verbürgt die Unsterblichkeit nicht bloß im Sinn des unpersönlichen Untergehens im Alleben sondern als Erhaltung des Ich oder der Seele in der einzig festen Beziehung, die ihrer Natur nach Bestand hat.“ –

     Seeberg schließt dann diese Gedanken mit der Bemerkung, daß diese Anschauung vom Tode immerhin einen neuen, denkbaren Weg zur Beantwortung dieser schwersten aller Fragen zeige. Er meint: „Der Tod braucht nicht bloß als Zerstörung von Leib u. Seele gesehen werden, der dann nach der altchristlichen Lehre die Hoffnung auf die Wiederbelebung der Person in Leib u. Seele entspricht; der Tod ist auch nicht nur als Zurückziehung des göttlichen Odems aus dem einmaligen Individuum vorzustellen, dem dann das Eingehen u. das eigentlich unpersönlich machende Untergehen im Alleben folgen würde. Der Tod kann vielmehr auch als das Zerschneiden der diesseitigen Beziehungen des Ich u. als Aufhebung der Wechselwirkungen gesehen werden, in denen dies Leben verläuft. Die Unsterblichkeit wird bei diesem Ansatz als ein persönliches Fortleben der Seele gehofft werden dürfen, sofern das Ich die Relation mit dem Ewigen in der Gemeinschaft mit Christus hat, die auch die letzte Einsamkeit überdauert.“ –

     Diese sehr bedeutsamen Gedanken haben mich nicht nur deshalb interessiert, weil sie verraten, wie dieser sarkastische Spötter doch im Tiefsten seiner Seele sich an Christus klammert, sondern besonders deshalb, weil sie in mir die Erinnerung wachrufen an die Tage u. Wochen meiner letzten Operation in Rostock.

     Damals lebte ich in den Tagen der Krisis in der Vorstellung, ich flöge in der Luft, u. zwar in riesiger Höhe, sodaß ich die Erde nicht mehr sah. Als Vehikel diente mir ein Flugzeug, das aus schweren, vierkantiken Balken von meinem Nachbar Papenhagen, dem Zimmermann, gezimmert war u. an das ich mit langen Stahlnägeln angenagelt war, u. zwar so, daß ich das ganze Flugzeug selbst im Rücken hatte u. es nicht sehen konnte. Im Flugzeug hinter mir war noch jemand, den ich ebenfalls nicht sehen konnte, der aber einen photographischen Apparat dauernd auf mich gerichtet hielt u. mich photographierte. Ich war von schrecklicher Angst gepeinigt.

     Später, als ich wieder im Besitze klarer Gedanken war, begriff ich, daß dieses Flugzeug aus schweren Balken, an das ich genagelt war, [6] nichts anderes als das Kreuz Christi war (Meine Krankheit war in der Karwoche. Am Sonnabend vor der Karwoche wurde ich operiert u. am Ostersonntag war die Krisis endgültig vorüber). Nur über den Mann hinter mir mit dem Potoapparat habe ich mir bisher nie eine Deutung geben können. Nach den Ausführungen von Seeberg wäre er dann jene „Beziehung“ zu Gott gewesen, also Christus selbst, während vor mir alle Beziehungen abgeschnitten waren, nämlich die Beziehungen zur Welt, sodaß von dorther nur ein Gefühl eisiger Leere u. Einsamkeit kam, das Gefühl furchtbarer Angst u. Verlassenheit. Der Photoapparat vertrat die Stelle dieser eigenartigen Beziehung zu Gott, die weniger eine aktive Beziehung der Seele ist, als ein passives „Beobachtetwerden“ von Gott. –

     Man könnte sich das „Ich“ demnach vielleicht folgendermaßen vorstellen. Ein Kraftfeld geht fadenförmig von Gott aus u. bildet irgendwo einen Knoten. Von diesem Knoten, der das Ich darstellt, gehen neue Kraftfelder aus, welche nach der Umwelt, Menschen, Dingen, Ideen, tasten u. Beziehungen herstellen, wodurch das Bewußtsein entsteht. Diese werden im Tode durchschnitten, sei es gewaltsam von außen, oder von innen her durch Krankheit oder Abnutzung infolge hohen Alters. Es bleibt dann nur die Beziehung zu Gott, die aber nicht vom Ich zu Gott geht, sondern von Gott zum Ich (Gnade?), die aber doch durch bewußte Mitwirkung u. Rückwirkung vom Ich her verstärkt werden kann. Es ist denkbar, daß diese Beziehung ebenfalls abstirbt u. dann der ewige Tod eintritt. Wenn man dann ein völlig beziehungsloses Leben dieses übrig gebliebenen Knotens noch denken kann, dann wäre das eben die Hölle, indem nämlich diese Beziehungslosigkeit doch nicht so absolut wäre. Vielmehr bliebe ein Wunsch, ein Durst u. Hunger nach Beziehungen im Knoten übrig, der nie gestillt werden könnte u. darum furchtbare Höllenqualen verursacht. Diese würden ewig sein, da eben neue Beziehungen nicht geknüpft werden können. Es kann aber auch sein, daß die von Gott herkommende Beziehung mangels eigner Mitwirkung des Ichs nur sehr schwach ist, ohne daß sie ganz aufhörte. In diesem Falle wäre es denkbar, daß sich die Beziehung zu Gott langsam doch noch festigt, u. das wäre dann die Zeit des „Fegfeuers“. Schließlich kann diese Beziehung zu Gott im Augenblick des Todes so stark sein, daß das Ich dann „in Gott eingeht“. –

     Sehr interessant weist Seeberg zum Schluß auch darauf hin, daß der Mensch einen anderen oder auch ein Ding nur insoweit verstehen kann, als derjenige, welcher verstehen will, u. derjenige oder das jeniger, der oder das verstanden werden soll, teil hat am „Alleben“, also an Gott. Er sagt: „Weil u. sofern ich u. der andere an dem lebendigen Allgeist teilhaben, ist es möglich, daß wir uns verstehen“. „Hieraus ergeben sich auch die Gradunterschiede des Verstehens“. Er weist dabei auf den alten, von Aristoteles kommenden Grundsatz hin, daß nur Gleiches Gleiches verstehen kann. –

     Gestern Abend war Marianne Clemens da. Sie hat für Erich Seeberg Maschine geschrieben im Diktat u. erzählte. S. habe ihr gesagt, daß Herr Dr. Dross bei ihm gewesen sei u. sich darüber entrüstet habe, daß ich Kindern Religionsunterricht gebe, – es sei das ein unerhörter Seelenfang für die kathol. Kirche.

     Dieses neue Geschwätz kann nur von Frau Kellner kommen. Diese hatte mich gebeten, ihren beiden Jungens Religionsunterricht zu geben. Ich habe ihr gesagt, welche Unannehmlichkeiten ich deshalb bereits mit Frau Siegert gehabt hätte u. daß ich ihrer Bitte nur entsprechen könne, wenn sie absolute Verschwiegenheit wahre. Das hat sie mir zugesichert. Vor einigen Tagen kam sie Abends u. sagte mir, daß sie sich die Sache überlegt hätte u. ihren Jungens gern selbst den Unterricht geben wolle. Sie hätte jetzt ein entsprechendes Schulbuch u. ein Neffe ihres verstorbenen Mannes sei junger Pastor u. wolle ihr mit seinem Rat zur Seite stehen. Ich war ganz gutgläubig [7] fand es sogar sehr richtig u. lobte sie, da es doch in der Tat die Pflicht einer Mutter sei, ihre Kinder im Glauben zu erziehen. Martha aber wurde sofort mißtrauisch, sagte nichts, aber verließ das Zimmer. – Sie hat also wieder einmal mit ihrem Gefühl recht gehabt. Frau K. ist selbst eine harmlose Person, die sehr stolz darauf ist, daß sie hier im Dorfe mit allen Leuten auf freundschaftlichem Fuße steht. So auch mit dem Ehepaar Dross, bei dem sie sogar besonders freundschaftlich verkehrt. Dort hat sie natürlich die Sache erzählt, ohne zu ahnen, was dieser Dr. Dross für ein hinterhältiger u. gesinnungsloser Patron ist. –

Freitag, 21. Januar 1944.     

     An Erich Seeberg Brief geschrieben über meine Erfahrungen mit dem Tode bei meiner damaligen Schädel-Aufmeißelung infolge Mittelohr-Entzündung, ich glaube im Jahre 1938 (oder 1937?) Diesen Brief schrieb ich am 18. 1. –

     Dieser fatale Dr. Dross u. seine Frau laufen uns das Haus ein, um uns zum Kaffee einzuladen. Ich selbst drücke mich in mein Zimmer, wenn dieses Ehepaar kommt u. Martha hat bisher diese Einladung hingezögert. Gestern waren sie wieder da. Martha fand die schöne Ausrede, daß Fritz in Urlaub käme. Natürlich meinten sie, daß das ja besonders schön wäre, dann könne Fritz doch mitkommen. – Die Frau entblödet sich nicht, mißfällige Bemerkungen über Frau Kellner zu sagen, mit der sie doch angeblich befreundet sein will. – Es ist eine widerliche Gesellschaft. –

     Gestern Abend waren wir bei der jungen Frau Inge Lehment, Tochter von Dr. Helms. Diese junge Frau ist ein sehr gutherziges Ding, in Rostock ausgebombt, der Mann im Felde. Sie gab sich große Mühe, uns zu bewirten mit 1933er Burgunder selbstgebackenen Plätzchen u. einer sehr guten Art Fruchtbonbons aus Quittensaft, die wundervoll schmeckten.

     Mittwoch Abend war endlich Dr. Wessel da u. machte einen Kieferabdruck, sodaß ich hoffen darf, endlich wieder Zähne zu bekommen. – Zum Mittwoch-Abend-Vortrag kommt nun auch Frau Dr. Korsch, die mich gebeten hat, daran teilnehmen zu dürfen.

     Von Fritz Nachricht, daß sein Nachfolger erst Ende des Monats aus dem Urlaub kommt u. er deshalb solange warten muß. Da er am 31. Januar sich bei der neuen Einheit melden muß, ist zu fürchten, daß ihm dadurch der Urlaub entgeht. Er hatte schon alles gepackt, um selbst in Urlaub zu fahren u. wir hofften, daß er heute schon hier sein würde, – nun aber ist alles fraglich.

     Man hört jetzt viel von Scharlach u. neuerdings von Diphterie. Ein Kind ist gestorben u. wurde gestern begraben. Bei den vielen Kindern der ausgebombten Familien, die hier sind, u. bei dem Mangel an ärztlicher Hilfe u. bei den schlechten Verbindungen, ist das eine ernste Gefahr. –

     Bei unserer Batterie sind, wie ich höre, einige Infanterie-Unteroffiziere eingetroffen, welche die Batterie-Unteroffiziere infanteristisch ausbilden sollen, u. diese sollen dann die Mannschaften ausbilden, damit im Falle einer Invasion die Batterie als Infanteristen eingesetzt werden können. Wenn wir einer Invasion nichts Besseres entgegenzustellen haben, dann sind das trübe Aussichten. Es heißt aber, daß aus dem Osten viele junge Soldaten herausgezogen werden u. für den Westen neue Formationen zusammengestellt werden; aber wir können uns so schon der Uebermacht der Russen nicht erwehren. Diese greifen jetzt auch im Norden an, Nowgorod haben wir bereits verloren. – Zwischen Stalin u. der polnischen Exilregierung in London sind die seit langem bestehenden Differenzen sehr gewachsen u. haben sich zugespitzt. Alles ist sehr undurchsichtig.

[8]
Sonnabend, 29. Januar 1944.     

     Heute vor 23 Jahren lernte ich Martha kennen. –

     In der Woche war Erich Seeberg da u. bedankte sich für den Brief, den ich ihm geschrieben habe, der ihm sehr gefallen zu haben scheint. Er meint, daß ich ein Mystiker sei, eine Anlage, die ihm selbst abgeht. Wir unterhielten uns über das Wesen der Mystik.

     Fritz wird kaum in Urlaub kommen. Er soll sich schon übermorgen in Fontainbleau melden. Falls er von dort nicht gleich Urlaub bekommt, was unwahrscheinlich ist, wird es wohl nichts werden.

     Die Engländer haben in der Woche zweimal Berlin angegriffen u. heute Nacht scheinen sie wieder dort gewesen zu sein. Sie nutzen das schlechte Wetter bei uns aus. Man hört von Berlin schreckliche Dinge. – Außerdem sind sie an einer neuen Stelle südlich Rom bei Nettuno gelandet u. haben einen Landekopf gebildet. Es hat auffällig lange gedauert, bis von unserer Seite Gegenmaßnahmen getroffen wurden, sodaß sie Zeit hatten, sich festzusetzen u. Nachschub heranzubringen. – Gestern besuchte uns Oberlt. Dr. Steinmetz, der jetzt bei Spezia als Marine-Artillerist sitzt. Er erzählte, daß Italien das reine Schlaraffenland sei, wo man noch alles bekommen könne. Die Italiener selbst seien zwar höflich, wollten aber vom Kriege nichts mehr wissen. –

     Eben telephoniert Martha mit Krappmanns, sie werden heute nach dem Abendbrot zu einer Fl. Rotwein kommen u. Apfeltorte, die uns Gerda Knecht gemacht hat. –

     Eben höre ich, daß die Engländer in der Nacht über Berlin waren, der zweite schwere Angriff in zwei Nächten u. der dreizehnte seit dem ersten großen Angriff Ende November. Am Tage waren heute die Amerikaner mit über 800 Bombern über Frankfurt M.

     Wo soll das hin? Dr. Steinmetz sagte mir, daß wir in Italien fast keine Flugzeuge haben u. die Luftüberlegenheit den Anglo-Amerikaner ungeheuer sei. – Gestern hörte ich, daß Churchill im Unterhaus eine Warnung an Deutschland ausgesprochen hätte, mit dem Gaskrieg nicht anzufangen. Er muß also wohl entsprechende Nachrichten haben. – Die berühmte „Vergeltung“ steht ja immer noch aus. –

     Sehr auffällig ist der verstärkte Druck, der auf Spanien ausgeübt wird. Amerika hat den Petroleum-Export nach Spanien verboten. Es sieht so aus, als wolle man nun doch in Portugal landen.

Montag, 31. Januar 1944.     

     Sonnabend Abend mit Krappmanns wieder ein sehr angeregter Abend. Er brachte eine Fl. Sekt mit, ich spendierte zwei Flaschen Bordeaux. – Er erzählte mir, er sei beim Lehrer Deutschmann gewesen, um Urlaub für Lothar zu bekommen, weil er für eine Woche mit ihm nach Schweinfurt zu Eltern u. Schwiegereltern fahren will. Bei dieser Gelegenheit hat D. angefangen, vom Religionsunterricht zu sprechen. Es sieht so aus, als hätte er Wind davon bekommen, daß ich damit wieder angefangen habe, jedenfalls hat er gewarnt, er könne mich im Ernstfall nicht vor dem Konzentrationslager schützen. Es scheint, als ob Lothar eine unbedachte Bemerkung in der Schule gemacht hat, die D. gehört hat. Ich werde vielleicht die beiden Jungens von Frau Korsch wieder nachhause gehen lassen müssen, – man muß mal abwarten. –

     Krappmann erzählte mir, daß der Oblt. Dr. Steinmetz bei Spezia eine Batterie von vier Geschützen führt, aber nur ungefähr 45 Mann Besatzung dafür hätte, während hier die Batterie nur drei Geschütze hat, wofür 230 Mann Besatzung vorhanden sind. Im Ernstfalle könnten die vier Geschütze des Oblt. St. also niemals gleichzeitig bedient werden. Dr. K. meint, daß es überall so wäre. Es stünden am ganzen Atlantikwall zwar die Batterieen aus dem Papier u. sie seien auch vorhanden, aber es sei keine Bedienungsmannschaft da. Ich fragte, warum denn die hiesige Batterie [9] nicht Soldaten abgäbe, worauf er lachend erwiderte: Wenn diese Batterie u. die anderen zu diesem Befehlsbereich gehörenden Batterien nicht jede mindestens 230 Mann Besatzung hätten, sondern nur etwa 50 Mann, dann wäre für diesen Befehlsbereich nicht mehr ein Kapitän zur See erforderlich, sondern es genügte etwa ein Fregattenkapitän. Da aber der Kapitän z. See seinen schönen Posten nicht verlieren will, gibt er eben keine Leute ab.

     Die letzten Angriffe auf Bln. scheinen wieder sehr schwer gewesen zu sein. Martha versuchte gestern, Verbindung mit Bln. zu bekommen, doch war es nicht möglich. Auch Frau Monheim hat noch nichts gehört, obgleich in ihrem Hause in Frohnau eine militärische Dienststelle der Spionage-Abwehr sitzt u. die Wehrmacht natürlich bevorzugt Verbindungen erhält. Wir erwarteten, daß die Engländer in der Nacht vom 29 – 30. Jan. wieder Bln. angreifen würden, aber es geschah nicht. Gestern, am 30. Jan., dem Tage der Machtübernahme durch die Nazis, verlas der Führer aus seinem Hauptquartier eine Rede, die ich aber nur zum Teil hörte. Was ich hörte, war höchst belanglos, immer die alten Phrasen von dem Sieg u. dem Lohn, den Gott dem gibt, der tapfer ausharrt. Die Rede sollte um 8 Uhr Abds. wiederholt werden, doch scheint da wieder Alarm in Bln. gewesen zu sein, denn der Deutschlandsender funktionierte nicht. Heute früh um 9 Uhr war Radio nur schwach zu hören, vielleicht ist die Sendeanlage beschädigt. – Dieser Zustand ist grauenvoll.

     Gestern Abend rief Frau Dr. Grimm an, – sie will heute zu uns kommen, um mit uns über den Verkauf des Grundstücks in Prerow zu verhandeln.