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TBHB 1944-03

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1944-03
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Entstehungsdatum: 1944
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Originaltitel: März 1944
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom März 1944
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Einführung

Der Artikel TBHB 1944-03 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom März 1944. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 3 Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Mittwoch, 1. März 44.     

     Am Montag sind Küntzels in's Monheimsche Haus eingezogen. Sie richten sich nun ein, so gut es geht. Am gleichen Tage bekamen wir ein Telegramm von Fritz, daß ihm ein Sonderurlaub bewilligt sei. Sein Bruder Kurt hat das erreicht, indem er seinen erlittenen Bombenschaden irgendwie auf Fritz ausgedehnt hat. Er wird heute bei uns eintreffen. Gestern ist endlich auch Frau Eitner bei uns eingetroffen, doch hat sie immer noch nicht den Widerstand der Behörde überwunden, sodaß sie noch keine Erlaubnis besitzt, wirklich hier bleiben zu können. Sie muß noch einmal nach Berlin.

Freitag, 3. März 1944.     

     Gestern Abend Versammlung im Balt. Hf., vom Luftschutz einberufen in der üblichen unverschämten Art, indem vorher ein Lufzettel herumgeschickt wird, den jeder unterschreiben muß u. mit dem einem Strafe angedroht wird im Falle Nichterscheinens. Der Einberufer dieser Versammlungen ist zwar der Bürgermeister, in Wirklichkeit aber Prof. Reinmöller als Oberluftschutzbonze der Gemeinde. Bisher konnte ich mich von diesen Versammlungen immer drücken, gestern mußte ich selbst hingehen. Man hatte mir schon früher die Art dieser Vorträge dieses Mannes geschildert, aber was ich gestern hörte, überstieg alle Vorstellungen. Nachdem er anfangs ganz kurz die üblichen Verdunkelungsvorschriften nochmals vorgekaut hatte, ging er zur allgemeinen Politik über. Die Engländer nannte er ein ehrloses Volk, Halunken, Gangster usw. Er erklärte, daß er, falls ein engl. Flieger hier einmal notlanden müßte u. schwer verwundet wäre, – daß er einem solchen seinen ärztlichen Beistand versagen u. ihn verrecken lassen würde. Er begründete dann seine Ansicht über die ehrlosigkeit des engl. Volkes mit den politischen Argumenten, die man täglich im Rostocker Anzeiger liest. Nebenher beschimpfte er auch die Minister aus der sog. „System Zeit“ als Halunken u. Säufer u. dann erzählte er eigene Heldentaten aus dem ersten Weltkriege, die seine eigene edle Menschlichkeit in's Licht rückten, die aber für jeden Menschen, der selbst Soldat war u. etwas denken kann, als Lügen oder Schönfärberei erkennbar waren. Zum Schluß feierte er Sven Hedin. Das Ganze war eine Orgie von gemeiner Gesinnung u. von Haß. Der Kerl spielt sich da als Held auf, obwohl jeder weiß, daß er zuhause unterm Pantoffel seiner Haushälterin, steht u. nichts zu sagen hat. Es ist entsetzlich, wie solch ein Kerl die stumpfen Geister der Leute hier mit seiner Propaganda vergiftet. In seiner Dummheit sprach er auch von den Finnen, die ja von Goebbels Propaganda als ein besonders edles Heldenvolk hingestellt worden sind. Das mag ja gern stimmen; aber dieser Herr Prof. Reinmöller, dieser politische Analphabet, hat natürlich garkeine Ahnung davon, daß diese selben Finnen bereits seit Wochen in Stockholm mit den Russen über einen Waffenstillstand verhandeln u. daß diese Verhandlungen nun so weit gediehen sind, daß konkrete Vorschläge von russischer Seite vorliegen u. daß der finnische Reichstag sich mit denselben bereits befaßt hat. Diese Vorschläge sind für Finnland durchaus annehmbar. Rußland verlangt natürlich die Grenzen, wie sie vor Ausbruch des Krieges gewesen sind u. wie sie nach dem ersten Kriege zwischen Rußland + Finnland festgelegt wurden. Im Gebiet von Petsamo scheint Rußland allerdings noch Forderungen zu stellen, doch sollen diese späteren Verhandlungen nach dem Kriege vorbehalten bleiben. Sonst bleibt die Souveranität des Staates unangetastet. Schlimm, aber nur für Deutschland, ist freilich die Forderung, daß alle in Finnland stehenden Truppen der Armee Dietel zu entwaffnen u. zu internieren seien. Falls Finnland sich selbst [2] dazu zu schwach fühlt, wollen ihnen die Russen dabei helfen. Diese Bedingung ist freilich schwer zu erfüllen, doch scheint es so, als wolle man sich da herumdrücken. So weit bekannt geworden ist, hat der finnische Reichstag diese Bedingung zunächst abgelehnt, wahrscheinlich, um den Deutschen Gelegenheit zum Abzug zu geben. Es heißt auch, die Deutschen hätten bereits in Schweden angefragt, ob sie durch ihr Land marschieren dürften. Dieses Ansinnen ist von Schweden natürlich abgelehnt worden. Es kommt nun darauf an, ob wir Finnland rasch räumen werden, oder ob wir im Lande bleiben u. wie in Italien unsererseits diejenigen finnischen Truppen entwaffnen werden, die zum Waffenstillstand bereit sind. Es könnte dann leicht zum Bürgerkriege kommen. Welche Haltung der Generalfeldmarsch. Mannerheim einnehmen wird, ist noch nicht bekannt, es ist möglich, daß er mit seiner Regierung solidarisch ist, – das ist sogar wahrscheinlich; aber man weiß nicht, ob sich die gegenwärtige Regierung halten wird. Kommt es dort erst zum Bürgerkriege, dann weiß man nicht, wie er ausgehen wird, nachdem dann Rußland natürlich eingreifen u. eine kommunistische Regierung unterstützen wird. Daß wir dann Finnland halten können, ist wenig wahrscheinlich.

Sonnabend, 11. März 1944.     

     Heute früh ist Fritz wieder abgereist. Er war zehn Tage hier. Frau Eitner ist wieder in Bln., sie wollte auch nach Prag, um ihren Mann zu besuchen. Inzwischen waren wieder mehrere Großangriffe auf Berlin, darunter zwei Tagesangriffe der Amerikaner. – Vom Waffenstillstand mit Finnland hört man nichts mehr; aber es ist jetzt in unseren Zeitungen etwas davon zu lesen, es scheint mir das ein Zeichen zu sein, daß unser Militär Finnland in der Hand hat u. daß die Finnen selbst darüber nichts mehr zu sagen haben. – Zuletzt hörte ich vor einigen Tagen, daß der finnische Reichstag sich mit ungefähr 120 gegen 80 Stimmen für den Waffenstillstand ausgesprochen habe, daß man aber an Rußland gewisse Aenderungsvorschläge gerichtet habe, über die verhandelt würden. – Inzwischen scheint aber unsere ganze Südfront in Bewegung geraten zu sein. Die Russen haben Tarnopol erobert u. haben so unsere Stellungen am Bug bei Winniza umgangen. Auch südwestlich von Krivoi-Rog haben sie erfolgreich angegriffen, wie auch bei Uman. – Küntzels leben sich hier gut ein, sie sind sehr dankbar.

Mittwoch, 22. März 44.     

     Die Kriegslage in der Ukraine ist inzwischen katasprophal geworden. Die Russen haben den Bug u. gleich danach den Dnjester überschritten u. stehen heute etwa 40 km. vor dem Pruth. Es heißt, der Führer hätte Manstein seines Postens enthoben. Ungarn ist von uns besetzt worden, weil der ganze Nachschub für die Heeresgruppe Süd nun ja durch Ungarn gehen muß. Es soll bei der Besetzung hier u. da zu Reibereien gekommen sein. Horty soll beim Führer sein. Rumänien soll Fühlung mit den Feindmächten aufgenommen haben, aber Finnland hat die russischen Waffenstillstandsbedingungen abgelehnt u. kämpft weiter. Wir werden sie gezwungen haben. Langsam fängt im Lande an, die Lebensmittel-Knappheit spürbar zu werden. Es gibt keine Kartoffeln u. kein Fett. Es wird bald schlimm werden. – Die Invasion von Westen her droht immer mehr, England hat ab 1. 4. 44. seine Süd- und Ostküste als Kriegsgebiet erklärt, also wird es dann wohl los gehen. Die Nervosität steigt. –

     Mittwoch=Vortrag lasse ich heute ausfallen, weil Marianne Clemens nicht da ist u. ihre Mutter Frau Ziel noch immer krank ist, sie konnte schon das letzte Mal nicht dabei sein.

Abends: Es scheint sich zu bestätigen, daß die Besetzung Ungarns [3] nicht ohne Schießerei vor sich gegangen ist. Sie soll durch Fallschirmtruppen erfolgt sein. Die ungarische Regierung ist zurückgetreten, Horty soll den bisherigen berliner Gesandten mit der Neubildung beauftragt haben. Marschall Antonesku und sein Bruder, der in Rumänien regiert, sollen beide zum Führer geflogen sein. Auch in Bulgarien ist es unruhig. So scheint sich also jetzt die sogenannte „Europäische Front“, von der Goebbels immer so viel Geschrei gemacht hat, aufzulösen, jedenfalls wankt sie sehr stark. Auch die Slovakei ist von uns besetzt. – Heute am Tage haben die Amerikaner wieder Berlin mit 1500 Flugzeugen angegriffen. Näheres weiß man nicht, da Verbindung mit Bln. nicht zu bekommen ist. Jetzt ist es 1/2 11 Uhr u. seit etwa 2 Stunden hört man Fliegergeräusche in der Luft, aber nicht über uns. –

Sonntag, 26. März 1944.     

     Die Luftangriffe steigern sich weiter, obgleich man es kaum noch für möglich halten sollte. An einem Tage dieser Woche waren innerhalb 24 Stunden 5000 Flugzeuge über Deutschland u. es wurden 6500 Tonnen Bomben geworfen. Auch Berlin war wieder dabei. Ueber Frankfurt M. wurden bei einem Angriff von 1/2stündiger Dauer 3000 Tonnen Bomben geworfen. –

     Von Fritz erste Nachricht nach seinem Urlaub: Er ist nun bereits unterwegs irgendwo hin, oder wahrscheinlich bereits eingetroffen. Wo? – Er schreibt recht unglücklich, die Sanitätseinheit, bei der er ist, ist neu zusammengestellt, die Leute kennen sich nicht, von Kameradschaft kann also zunächst keine Rede sein. Trotzdem ist es gut, daß er endlich mal in Verhältnisse kommt, durch die er aus dem eigensüchtigen u. genießerischen Privatleben, das er bisher als Frontbuchhändler geführt hat, hinausgeworfen worden ist.

     In Ungarn Massenverhaftungen von Juden, liberalen Politikern u. Journalisten. Die Russen haben nordwestlich Czernowitz den Dnjester erreicht, weiter sudöstlich stehen sie bereits dicht vor dem Pruth –

     Heute Mittag besuchte uns kurz Herr Söhlke mit seiner Frau. Er ist nun in Bln. ebenfalls abgebrannt, muß aber dort bleiben. Er berichtete von den großen Schwierigkeiten des wirtschaftl. Lebens, markierte aber im Gegensatz zu früher den Optimisten, indem er meinte, daß im Osten eine Entscheidung nicht fallen würde trotz des Vordringens der Russen u. daß die Invasion vom Westen sehr zweifelhaft wäre, wie Cassino in Italien beweist. Außerdem zweifelt er wie so viele überhaupt daran, daß die Angloamerikaner ernsthaft eine Invasion vorhaben. Dagegen läßt sich sehr viel einwenden. Möglicherweise würde eine endgültige Entscheidung im Osten wirklich noch lange auf sich warten lassen können, aber ob wir uns den gewaltigen Aderlaß an Kriegsgerät bei der fortgesetzten Bombardierung unserer Industrie lange leisten können, ist überaus fraglich. In Nettuno u. Monte Cassino scheinen die geograph. Voraussetzungen für eine Verteidigung überaus günstig zu sein, jedenfalls kann man daraus nicht schließen, daß es anderwärts ebenso sein müßte u. wenn Söhlke dazu auf die ungeheuren Reserven hinweist, die wir noch hätten von Soldaten, die bisher überhaupt noch nie an der Front gewesen sind, so werden das eben lauter Fritz Wegscheiders sein, mit denen man keine siegreichen Schlachten schlagen kann. Die Zahl macht es nicht. –

     Pfr. Dr. Wachsmann aus Greifswald, Freund von Dr. Tetzlaff, ist hingerichtet worden. –

     Unsere Morgenandacht heute gut besucht: Schwester Grete, Frl. v. Tigerström, Frau Carmen Grantz, Martha, Trude, 5 Personen.

     Am Freitag Nachm. erstmalig die Bu. Stu. wieder geöffnet.