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TBHB 1944-05

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Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1944-05
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Entstehungsdatum: 1944
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Originaltitel: Mai 1944
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom Mai 1944
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Einführung

[Bearbeiten]

Der Artikel TBHB 1944-05 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Mai 1944. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 9 Seiten.

Tagebuchauszüge

[Bearbeiten]
[1]
Montag 1. Mai 1944.     

[1]      Heute den ganzen Tag fast ohne Pause geregnet, dabei kalt. Im April mußten wir in diesem Jahre fast jeden Tag heizen, auch heute. Es ist ein ungewöhnlich kaltes Frühjahr. Für die Landwirtschaft u. den Garten ist dieses Wetter freilich nicht schlecht. Sonst hat sich nichts weiter ereignet, nur Bombenangriffe auf Nordfrankreich, wie schon seit Wochen täglich u. nächtlich. [2] Abends im Seezimmer „Tsushima“ vorgelesen, dann Rosenkranz. – Mit den neuen Zähnen ist es eine große Plage, immerhin bin ich so weit, daß sie mir beim Sprechen nicht aus dem Munde fallen, aber das Essen geht noch garnicht.

Donnerstag, 4. Mai 1944     

     Seit gestern Mittag starker Sturm, zum Glück mit viel Regen, sonst wäre die Saat von den Feldern geweht worden. Es ist dabei recht kalt, ich muß immer noch täglich heizen.

     Am Dienstag fand ein Luftüberfall auf Pütnitz statt. Ein engl. Flugzeug flog gegen 1/2 5 Uhr vom Meer her bei Neuhaus im Tiefflug ein u. schoß mit Bordwaffen in Pütnitz zwei Flugmaschinen kaputt. Ehe man begriffen hatte, was geschehen war, war der Engländer schon wieder fort in Richtung Barth, wo ihm fünf Maschinen zum Opfer gefallen sind. Es sollte mich nicht wundern, wenn nun auf Ribnitz, Pütnitz u. Barth bald größere Angriffe erfolgen würden.

     Gestern Nachmittag Frau Prof. Heydenreich, die aus Passau hierher zurückgekehrt ist. Sie ist in Passau, wo sie mehrere Monate war u. auch das Osterfest verlebt hat, sehr stark vom Katholizismus beeindruckt worden, denn sie war schon früher dafür sehr empfänglich. Besonders ihr kleiner Sohn Titus scheint sehr vom kathol. Geist gefangen zu sein. Sie möchte gern, daß ich Titus unterrichte. Als sie fortging, sandte Frau Korsch einen Brief, daß sie zum Abend nicht kommen könne, weil ihre Eltern für zwei Tage zu Besuch gekommen seien. So kam die Rede auf meine Mittwoch-Vorträge, wofür Frau H. sich lebhaft interessierte. Da auch Frau Marianne Clemens abwesend ist, – sie ist in Hamburg bei ihrem Mann, – beschloß ich, den Vortrag ausfallen zu lassen u. am kommenden Mittwoch erst wieder zu beginnen, denn ich habe gerade die Lehre von der Kirche zuende gebracht u. will nun mit den Sakramenten neu beginnen. Frau H. möchte dann daran teilnehmen.

Sonntag, 7. Mai 1944.     

     Es ist immer noch sehr kalt, viel Regen, wir heizen täglich. Trotz des milden Winters haben wir in diesem Jahre mehr Kohlen verbraucht, als in strengen Wintern.

     Vorgestern u. gestern die Bu. Stu. dekoriert. Das von Paul eingerichtete Warenlager macht sich angenehm bemerkbar. Er gibt die Ware heraus nach der Uebersicht, die er hat u. ich richte mich beim Dekorieren danach. Das Verfahren ist so sehr vereinfacht.

     Während unserer heutigen Andacht flog ein Flugzeug über uns weg u. unsere lächerliche Sirene ertönte; aber es war bezeichnend, daß niemand die Sirene hörte, außer mir selbst. –

     Sonst sind wir in dieser Woche in Deutschland von Fliegern ziemlich unbehelligt geblieben, dafür waren sie um so stärker über Frankreich u. Belgien, auch in Rumänien. Die Spannung wegen der Invasion hält unvermindert an u. ist nur schwer zu ertragen. Herr Goebbels schreibt frohlockende Artikel im Reich, in denen er die Niederlage der Invasoren als absolut sicher hinstellt u. damit den Zusammenbruch der Entente kommen sieht. – Wir werden sehen! – Im Westen ist nun Urlaubssperre, womit die Hoffnungen von Fritz, zu Pfingsten bei uns sein zu können, vernichtet sind.

     Nachmittags waren Küntzels bei uns, weil es in ihrem Hause bei dem eisigen Nordwind nicht auszuhalten war.

[3]      Um 1/2 7 Uhr Abends ging das Telephon. Ich war zufällig unten, es wurde von Regensburg angerufen. Ich rief gleich Martha herunter, da hörte ich aber schon Ruth's Stimme: „Oha, Hartmuth ist krank – u. er wird nicht mehr.“ – Ich war wie vom Schlage getroffen. Ich gab Martha den Hörer u. sagte ihr, daß Hartmuth krank sei. Er hat gestern nachmittag gegen 5 Uhr eine tuberkulöse Gehirnentzündung bekommen u. zur Zeit, als Ruth anrief, lebte er zwar noch, doch war keine Hoffnung einer Rettung. Ruth meinte, daß er vielleicht noch zwei Stunden zu leben haben würde. Er war da schon nicht mehr bei Bewußtsein. Sie war natürlich in furchtbarer Verzweiflung. Martha war rührend am Telephon, selbst von tiefstem Schmerz erschüttert, tröstete sie doch ihre Tochter mehr durch den Ton ihrer Stimme, als mit Worten. Schlimm ist, daß Erich nicht zu Hause ist, er ist dienstlich in Straßburg u. Ruth konnte ihn bis dahin auf keine Weise erreichen. – Martha ist sehr erschüttert, – wir beteten lange gemeinsam vor ihrem Altar. Um 1/2 10 Uhr versuchten wir, ein Blitzgespräch nach Regensburg durchzubekommen, doch gelang es nicht, weil alle Leitungen über Berlin für die Wehrmacht gesperrt sind. Wir werden es morgen früh noch einmal versuchen, doch scheint das hoffnungslos zu sein. – Gottes Wille geschehe! – Und ich möchte glauben, daß es gut ist, daß Gott diesen zarten u. noch reinen Jungen jetzt schon zu sich genommen hat, denn er war immer eine Quelle von Sorgen u. Angst. Er war ungewöhnlich begabt, zeichnete erstaunlich gut, aber er war unfähig zur Konzentration u. zeigte einen besorgniserregenden Mangel in der Fähigkeit, Gefahren abzuschätzen. Daraus ergab sich der Anschein großen Mutes, den er besonders im vorigen Jahre beim Baden zeigte. Für die Kälte des Wassers schien er fast unempfindlich zu sein u. obgleich er noch nichts vom Schwimmen verstand, tauchte er im Wasser u. schoß Purzelbäume, sodaß alle Menschen über den Schneid dieses Jungen verwundert waren. In Wirklichkeit bestand dieser Schneid aber nur in der Unkenntnis der Gefahr. Aus dieser Unkenntnis hing er sich auch hinten an ein Auto, als dieses losfuhr u. als es dann schneller fuhr, konnte er nicht loslassen, ohne zu fallen. Als er schließlich doch loslassen mußte, fiel er natürlich hin u. da hinter diesem Auto ein zweites Auto kam, hätte das recht gefährlich werden können. Auch war er viel bei Spangenberg im Stall u. kroch den Pferden zwischen den Beinen durch. Nach den Ferien, wieder in Regensburg, kam er dann zur Schule. Auf dem Wege dorthin hängte er sich eines Tages wieder an eine Elektrische, fiel dabei hin u. schlug sich einen Zahn aus. So machte er immerfort dumme Streiche u. man kam aus der Angst nicht heraus. Ehe er aber im vorigen Jahre hierher kam, war er in Stuttgart bei seiner anderen Großmutter gewesen u. hat dort einen garnicht sehr heftigen Luftangriff mitgemacht, bei dem einige Brände ausgebrochen waren. Als nun im Sommer hier die Batterie ihr Uebungsschießen machte, wurde er blaß u. fing an zu Zittern vor Angst. Das eine Mal wußte er eben nichts von der Gefahr u. er unterschätzte sie, das andere Mal überschätzte er sie u. er war kaum zu beruhigen. – Ruth schrieb uns stets sehr anschaulich von ihm, klagte aber, daß sie nur schwer oder garnicht mit ihm fertig würde. Ich sagte zu Martha, daß ich den Jungen gern hernehmen möchte um ihn zurecht zu biegen, denn er liebte mich u. gehorchte mir stets aufs Wort; nun sehe ich, wie gut es war, daß daraus nichts geworden ist, denn wenn er hier gestorben wäre, wäre das ja ganz schrecklich gewesen. Gott wird nun seine kleine, reine Kinderseele zu sich nehmen.

[4]
Dienstag, 9. Mai 1944.     

     Gestern eröffneten wir die Bunte Stube, es war etwa eine Stunde lang ein starkes Gewühl. Ich war wieder an der Kasse, Frau Meisner u. Frl. v. Tigerström halfen im Verkauf, wobei aber nicht viel herauskam. Wir verkauften zum ersten Male Briefmarken, wobei die teuren zu 15,– Rm. u. 10,– Rm. sehr raschen Absatz fanden. Die Jungens standen schon an der Tür Schlange, als wir öffneten. – Heute u. Freitag haben wir wieder geschlossen, um neu zu dekorieren. Paul's Arbeit an einem geordneten Lager hat sich bewährt, er gab mir heute die Ware aus dem Lager heraus, sodaß nun eine gute Uebersicht ist.

     Aus Regensburg haben wir nichts gehört. Gestern hatten wir ein Blitzgespräch angemeldet, auf das wir von Morgens an vergeblich warteten. Abends um 8 Uhr hörte ich Radio-Nachrichten u. ausgerechnet in dieser Zeit kam unerwarteterweise doch eine Verbindung, ohne daß wir den Anruf vom Fernamt hörten wegen des Radios. Ein großes Pech!

     Heute von Pfr. Dobczynski Nachricht. Er erwartet uns also am Samstag in Barth u. rechnet damit, daß wir erst am Montag Morgen wieder abfahren. Er schickt mir ein Rundschreiben des Hl. Vaters: „Ueber den myst. Leib Chr. u. über unsere Verbindung mit Chr. in ihm.“ gegeben am 29. Juni 1943.

Freitag 12. Mai 1944.     

     Heute vor einem Jahre war Fritzens unglückselige Hochzeit. Es ist endlich wärmer geworden, sodaß wir seit zwei Tagen nicht mehr heizen brauchten. Gestern u. heute konnten wir auf der Terrasse Kaffee trinken, heute sogar Abendbrot essen. Abends war Frau Smith da u. erzählte schreckliche Dinge auf Berlin. Sie war auch nach Friedrichshafen gefahren, doch stand diese Stadt nicht mehr, als sie ankam. Sie ist mit demselben Zug, mit dem sie hingefahren war, gleich wieder zurückgefahren, denn die Stadt war einfach nicht mehr vorhanden.

     Gestern haben sie in Regensburg den kleinen Hartmuth begraben. Erich teilte es telegraphisch mit.

     Von Fritz heute Brief an mich persönlich. Ich hatte Sorge, daß er meinen Brief, in dem ich ihm recht hart zuredete, sich etwas männlicher zu benehmen u. nicht so viel zu jammern, übel genommen haben könnte, aber es ist nicht so, er sieht sein Unrecht ein u. das ist doch sehr rührend. Er erwartet nun täglich seinen Einsatz in Südfrankreich, das 1. Btl. seines Regimentes ist bereits fort, er ist im 2. Btl. Gott möge ihn schützen. Die Invasion muß nun ja täglich beginnen. In Süditalien hat eine neue, große Offensive begonnen, die offenbar besser vorbereitet ist als die letzte gegen Cassino. Ich habe den Eindruck, daß mit dieser Offensive die letzte Wendung eintreten wird. Ich nehme an, daß der Gegner neue Landungen vornehmen wird, entweder in Südfrankreich oder in Norditalien, vielleicht beides, u. daß dann der Aufstand in Südfrankreich ausbrechen wird. Dann ist Fritz mitten darin. Zugleich wird es an der Knalküste losgehen. Das Nächste wird dann der [5] Aufstand der ausländischen Arbeiter in Deutschland sein. Es wird furchtbar werden. –

     Im Garten Erbsen u. Buschbohnen gesät. Ich fürchte, daß die Arbeit umsonst ist, wegen schlechtem Saatgut.

     Heute Referat über die Kirche vorbereitet. Pfr. Dobczynski bat mich, am Sonntag ein Referat vor seinen Gästen zu halten. Wir fahren morgen Nachmittag mit Spangenberg nach Prerow, von dort nach Barth mit der Bahn. Am Montag Vormittag wollen wir wieder hier sein.

     Die Amerikaner haben heute am Tage Industriewerke um Leipzig sehr schwer angegriffen, hauptsächlich das Leunawerk. Näheres ist noch nicht bekannt. In München scheint nun ja die ganze Innenstadt restlos vernichtet zu sein. – Es ist grauenhaft. – Heute Mittag war Frau Schneider bei uns u. erzählte ebenfalls aus Berlin. Das alles ist unvorstellbar.

     Sevastopol ist von den Russen erobert.

Montag, 15. Mai 1944.     

     Am Samstag Nachmittag fuhren wir um 1/2 4 Uhr mit Spangenberg nach Prerow. Wir hatten Grete + Paul aufgefordert, mitzufahren, damit sie einmal den Darss sehen konnten, denn es war herrliches, warmes Frühlingswetter u. die Fahrt war sehr genußreich. Um 2 Uhr waren feindliche Fliegerverbände in sehr breiter Front von der See her eingeflogen in Richtung Stettin. Gerade als wir losfuhren kamen sie zurück. Sie flogen in sehr großer Höhe. Als wir grade in den Darss einfuhren, fand da oben noch ein Luftkampf statt, von dem man aber nichts sah, denn bei der großen Höhe konnte man nur die großen amerikan. Maschinen sehen, unsere kleinen Jäger waren nicht zu erkennen, jedoch hörte man deutlich das Schießen der Maschinengewehre. – Wir waren dann um 6 Uhr in Prerow, – der Zug sollte um 630 Uhr fahren, jedoch fuhr er wegen des Fliegeralarms erst um 730 Uhr. Wir saßen auf dem Bahnhof herum mit einem jungen Soldaten, der in Afrika in englische Gefangenschaft geraten u. nach Kanada gekommen war, von wo er dann ausgetauscht worden ist wegen eines doppelten Beinschusses. Nun war er wieder Soldat, allerdings wohl nicht mehr frontverwendungsfähig. – In Barth kam ein Junge auf mich zu u. fragte mich, ob ich Herr Brass sei. Ich fragte ihn, wie er hieße u. es stellte sich heraus, daß er Friedrich Hertweck war, der Sohn des Ingenieurs, bei dem ich wohnen sollte. Er brachte uns zum Pfarrhause, wo wir vom Pfarrer u. seiner Schwester Gertrud u. von der sehr netten Pfarrhelferin Schw. Maria erwartet wurden mit einem kleinen Abendessen, – d.h. es war garnicht so klein, denn es gab eine vorzügliche Erbsensuppe u. anschließend noch Brot. Nach dem Essen brachte mich der Pfarrer selbst zu meinen Gastgebern Hertweck, die nicht weit vom Pfarrhause wohnen, während Schw. Maria Martha zu ihren Gastgebern Schell brachte, deren Wohnung leider ziemlich weit entfernt liegt, etwa 3/4 Std. zu gehen. Das Ehepaar Hertweck hatte mit dem Abendessen auf mich gewartet u. ich mußte wohl oder übel noch einmal essen, was nicht so schwer war, da es vorzügliche Bratkartoffeln mit prachtvollem grünen Salat, dem ersten dieses Jahres, gab. Frau H. ist die Tochter eines serbischen Obersten u. griech-orthodox, eine sehr gebildete Frau, selbst Dipl-Ing., aber sehr weiblich, was man bei solch studierten Frauen selten findet. Auch habe ich noch nie eine Frau kennen gelernt, die sich grade dieses Studium [6] gewählt hätte. – Vor dem Essen unterhielt ich mich mit Herrn H. allein u. fand zu meiner Ueberraschung, daß er zu jenen seltenen Menschen gehörte, die an einen deutschen Sieg glauben. Da dieser Mann offensichtlich kein Dummkopf ist, wurde ich davon nachdenklich u. etwas verwirrt. Nach dem Essen bot mir Herr H. einen vorzüglichen Pflaumenschnaps an u. das Gespräch wurde nun lebendiger, da auch Frau H. sich daran beteiligte u. da ich feststellte, daß die Frau ihrem Mann in allen Dingen entschieden widersprach. Sie scheint ähnliche Ansichten zu haben, wie ich selbst. Dadurch wurde unsere Unterhaltung sehr lebendig. Es scheint so zu sein, daß Herr H. als Deutscher sehr national denkt u. die deutsche politische Entwicklung bejaht aus innerer Abwehr gegen die Denkweise seiner Frau, die ausgesprochen antideutsch ist. Die Ansichten gingen hart gegeneinander, da ich die Partei der Frau nahm, es wurde dabei immer wieder getrunken u. schließlich war es 3 Uhr Morgens, als wir uns trennten. Herr H. war zu dieses Zeit ziemlich betrunken. – Ich schlief in einer Mansarde. Herr H. wollte mich am Morgen zur Frühmesse begleiten, konnte aber nicht aus dem Bett kommen u. so ging ich allein u. frühstückte nachher im Pfarrhause. Um 10 Uhr war Hochamt mit Christenlehre für die Kinder, was der Pfarrer sehr hübsch machte, obgleich des Aermste eine lästige Kiefernvereiterung hatte, die sehr schmerzhaft war. Ich segnete im Stillen mein neues Gebiß, das mir nicht mehr weh tun kann. Martha war trotz des weiten Weges auch zur Frühmesse gekommen u. wir frühstückten zusammen. Nachher sprach ich etwas mit dem Pfarrer u. wir bereiteten den Nachmittag vor, indem der Pfarrer mir die einzelnen Teilnehmer etwas schilderte. Nach dem Hochamt ging ich dann wieder zu Hertwecks, um dort zu Mittag zu essen u. traf dort einen Herrn Billinger, ebenfalls Ingenieur etwa in meinem Alter, ein unproblematischer, gesunder u. ungemein treuherziger Mann, gebürtig aus Baden wie auch Herr Hertweck, aber viel urwüchsiger. Gleich nach dem Essen zog ich mich zurück um die Nachtruhe nachzuholen. Ich schlief bis 4 Uhr, zu welcher Zeit es Kaffee geben sollte. Inzwischen war auch die Gattin des Herrn Billinger gekommen, die vorher in Stralsund gewesen war, wo eine Versammlung der NSV. stattgefunden hatte, u. in der Frau B. offenbar eine wichtige, ehrenamtliche Rolle spielt. In dieser Frau B. lernte ich eine ganz entzückende, warmherzige, gütige u. mütterliche Frau kennen. Es gab dann Bohnenkaffee u. vier verschiedene Arten von Kuchen, von Frau H. selber gebacken u. zwar vorzüglich. Ich verstehe nicht, woher die Leute das Material haben, dergleichen zu machen. Kurz vor 5 Uhr brachen wir alle auf u. gingen zum Pfarrhause. Dort war also der Pfarrer selbst, seine Schwester Gertrud, Schw. Maria, Martha u. ich, sodann Herr u. Frau Hertweck, Herr u. Frau Billinger, Herr u. Frau Schell, (bei denen Martha wohnte) u. dann noch zwei Unteroffiziere, Studenten, von der Flak. Das waren beides prächtige Kerls. Wir waren also dreizehn Personen, – wie die Apostel mit dem Herrn. – Der Pfarrer sprach einige einleitende Worte u. forderte mich dann auf, mein Referat zu halten. Die anregende Wirkung des genossenen Bohnenkaffees kam mir sehr zu statten u. es gelang mir, die Anwesenden eine gute Stunde lang richtig zu fesseln u. in Bann zu schlagen. Es war ungemein schön u. hat mich sehr befriedigt, zu fühlen, daß meine Worte anregend wirkten u. auch keinen Widerspruch hervorriefen. Als ich geendigt hatte, herrschte längere Zeit eine [7] tiefe Stille, die der Pfarrer schließlich mit einigen sehr guten, ergänzenden Worten beschloß. Es gab dann ein allgemeines Gespräch, aus dem ich entnehmen konnte, wie gut meine Worte gewirkt hatten u. wie alle richtig verstanden hatten, was ich gesagt hatte. – Nachdem die Leute gegangen waren, aß ich beim Pfarrer mit Martha noch ein wenig zum Abend. Martha blieb diese zweite Nacht im Pfarrhause, weil heute früh um 7 Uhr noch einmal eine stille Messe war, an der wir teilnehmen wollten, den 10 Min. vor 8 Uhr fuhr unser Zug. Ich selbst ging dann zu Hertwecks zurück u. wir gingen alle früh schlafen, denn ich war ebenso müde wie Hertwecks selbst. In der Nacht grollte ferner Donner u. heute früh regnete es. Nach der Frühmesse bekamen wir noch rasch einen Schluck heißen Kaffee u. dann brachten uns Schw. Gertrud + Maria zur Bahn. – In Prerow regnete es heftig u. Spangenberg war nicht da. Wir warteten im Wartesaale u. tranken eine Tasse Fleischbrühe u. aßen etwas Brot, welches Schw. Gertrud Martha eingepackt hatte. Schließlich kam Spangenberg. Er hatte zum Glück Decken u. Mäntel mitgebracht, denn es war sehr kalt geworden. Gegen 12 Uhr waren wir wieder zu hause. Trude hatte zum Glück geheizt. Nachmittags mußten wir wieder in's Geschäft. – Es war ein zwar sehr anstrengender, aber doch sehr schöner u. eindrucksvoller Ausflug gewesen, der mir u. allen Teilnehmern sicher lange in bestem Gedächtnis bleiben wird.

Montag, 22. Mai 1944.     

     Auf der naßkalten Rückfahrt von Prerow nach hier habe ich mir einen schlimmen Schnupfen geholt, der mich die ganze Woche hindurch geplagt hat u. noch immer plagt. Da das Wetter überaus kalt u. unfreundlich ist u. ich die notwendige Gartenarbeit unbedingt tun muß, wird der Schnupfen nicht besser. Ich habe Tomaten gepflanzt, die mir Frau Dr. Krappmann mit einem Soldaten schickte, sowie Dalien. Da für jedes Pflanzloch ein ganzer Eimer Kompost nötig ist, den ich hinten aus dem Garten nach vorn bringen muß, ist das eine schwere Arbeit. Ich habe noch längst nicht alle Dalien drin.

     Bei Küntzels ist Eva zu Besuch. Am Sonntag Nachmittag waren alle drei bei uns, morgens zur Andacht Grete mit Eva. Auch Frau Carmen Grantz war da. Ich sprach vom Tode Hartmuth's, wobei ich wieder einmal sah, daß ich mir dergleichen nicht mehr zumuten darf, meine Nerven sind zu empfindlich geworden, sodaß das Gefühl mich übermannte. –

     In Italien hat nun eine neue Offensive begonnen, die angeblich der Auftakt zur Invasion sein soll, aber sie kommt nur sehr langsam vorwärts. Von der Invasion selbst ist nichts zu bemerken, außer den üblichen Fliegerangriffen, von denen der letzte Tagesangriff auf Berlin wieder sehr schwer gewesen zu sein scheint. Auch an der Ostfront herrscht Ruhe. – Fritz wird nun schon irgendwo im Einsatz sein gegen Banden. Näheres wissen wir nicht. – Von Schw. Salesia bekamen wir Nachricht, – sie ist nicht mehr in Müritz. Sehr schade. –

[8]
Dienstag, 23. Mai 1944.     

     Es ist so kalt, daß ich heute wiederum heizte.

     Nachmittags Eva Küntzel bei uns, ferner Frau Sulzberger u. Evi Schönherr, welche vom letzten Sonntag erzählte, daß die Amerikaner wenige Meter über den Dächern von Kükenshagen hinweg geflogen seien, doch ohne zu schießen. Am gleichen Tage haben sie auch den Eisenbahnzug zwischen Velgast u. Saatel beschossen, wie Pfr. Dobczynski heute schreibt. Evi Schönherr wollte wissen, daß es dabei mehrere Tote gegeben habe. Frau Sulzberger erzählt, daß auch ein Zug, in welchem Herr Söhlke sich befand, beschossen worden sei, in der Gegend von Zehdenick b. Berlin, auch dabei soll es mehrere Tote gegeben haben. Herr S. hat Deckung unter dem Zug genommen. Es wird jetzt immer toller u. wir sind vollständig machtlos, unsere Abwehr wird zusehends schwächer. Pfr. D. schreibt, daß am Sonntag sehr heftige Tiefangriffe in der Umgebung Barth's gewesen wäre, es scheint der ganze Kreis davon betroffen gewesen zu sein. Er teilt mit, daß der Bischof am Freitag d. 2. Juni am Nachmittag nach Barth kommen will, am Sonntag will er mittags bereits wieder abfahren. Er hofft, daß sich am Sonnabend Gelegenheit finden wird, mich dem Bischof vorzustellen. – Am Pfingstmontag, also am 22. Mai will Pfr. D. zu uns kommen u. Nachmittags 4 Uhr die hl. Messe lesen. Er will noch am gleichen Abend zurück.

     Sonst hat sich nichts ereignet. In Italien sehr langsame Fortschritte der Gegner. Evi Schönherrs Mann hofft auf Urlaub, nachdem er bis zuletzt Transporte geflogen hat zwischen Rumänien u. der Krim. Es muß das ein sehr häßliches Geschäft gewesen sein, denn von der Krim-Armee konnte natürlich nur ein kleiner Teil gerettet werden, die anderen hat man ihrem Schicksal überlassen. Hätte man die Krim früher geräumt, dann wäre es leichter gewesen u. man hätte hohe Verluste gespart.

Sonnabend, 27. Mai 1944.     

     Morgen ist hl. Pfingstfest. Nachdem es heute morgen noch trübe u. ziemlich kalt war, klärte es sich am frühen Nachmittag auf u. es wurde zugleich schön sommerlich warm, sodaß wir, das Abendbrot auf der Terrasse einnehmen konnten. Endlich scheint es also schönes Wetter werden zu wollen, nachdem dieser ganze Mai fast winterlich kalt war.

     Mit dem Garten bin ich seit heute auch ziemlich fertig. Ich bekam heute noch junge Betunien u. habe heute die letzten Dahlien eingepflanzt. Ich glaube, daß der Garten in diesem Jahre sehr hübsch werden wird, wenn der Sturm nicht wieder alles verwüsten wird. Der Apfelbaum blüht jetzt sehr schön, der Birnbaum ist abgeblüht, er wird kaum viel Früchte ansetzen, obschon er stark geblüht hat. Es war zu kalt, regnerisch u. stürmisch. Die Fliederbüsche haben sehr viele Blütenknospen, ebenso der Rotdorn.

     In Italien scheint sich das Blatt zu wenden. Es sieht aus, als ob die starken Luftangriffe auf unsere rückwärtigen Verbindungen, die ja bei der Schmalheit dieser Halbinsel sehr konzentriert möglich waren, nun doch ihre Wirkung haben. Die Gegner haben jetzt die Verbindung ihres Landekopfes bei Nettuno mit der Südfront hergestellt u. wir haben unsere Truppen auf den Südrand des Lepinigebirges zurücknehmen müssen. Es scheint ganz so, als sei das der Anfang [9] eines Zusammenbruches der süditalienischen Front.

     Heute wieder Brief von Fritz. Er ist nun weiter nach Süden gekommen u. sein Bataillon liegt verteilt auf mehrere Dörfer. Wenn das Wetter gut bleibt, wird nun endlich auch die Invasion beginnen u. dann wird der Brand auflodern in ganz Frankreich. Sturm u. Feuer! – aber nicht das Feuer des Hl. Geistes, sondern Sturm u. Feuer der Welt, u. alles wird vernichtet werden. Der Aufruhr wird allgemein sein u. man wird nicht wissen, wo man beginnen soll, den Brand zu löschen. Gott sei uns gnädig!

     Am 26. Mai war Gretes Geburtstag. Martha bereitete ihr einen kleinen Gabentisch. Da Künzels Freitags u. Dienstags so wie so bei uns essen, weil an diesen beiden Tagen Paul die Warenausgabe morgens in der Bu Stu. machen muß u. Grete derweil kocht, waren sie auch am Freitag den 26ten bei uns zum Essen u. blieben auch zum Kaffee. – Morgen haben sie uns ins Kurhaus zum Essen eingeladen. Wir haben die Absicht, während des Sommers sonntags stets im Kurhaus zu essen, damit wir damit keine Arbeit haben. –

     Ahrenshoop ist für diesen Sommer für die Deutsche Arbeits-Front beschlagnahmt. Alle vorher geschlossenen Mietverträge u. Abmachungen sind ungültig. Das ist nun schon reiner Kommunismus. Es heißt, daß die Vermieter von amtswegen die Gäste zugewiesen erhalten sollen u. daß die einheitlich geregelte Bezahlung über die Gemeinde=Verwaltung erfolgen soll.

     Gestern schrieb ich an Rolf Saatmann, der schwer verwundet in Riga im Lazarett liegt.

Pfingstmontag, 29. Mai 1944.     

     Gestern mit Küntzels zu Mittag im Kurhaus gegessen. Martha u. ich wollen diese Methode den ganzen Sommer über durchhalten u. Sonntags dort essen u. so taten wir es auch heute. Gestern die Andacht gut besucht, Frau Carmen Grantz u. eine Freundin von ihr, eine Frau v. Schulenburg, wenn ich nicht irre. Nachmittags waren Krappmanns zum Kaffee bei uns. Frau K. brachte einen guten Käsekuchen mit. – Es ist seit Sonnabend Sommer geworden, heute war es direkt heiß. Heute wollte Pfr. Dobczynski aus Barth nachmittags bei uns Messe lesen. Mittags gab es Fliegeralarm. Frau K., die mit uns im Kurhaus aß sagte, daß nach den Nachrichten, die ihr Mann bekommen hat, sehr ausgedehnte Angriffe über ganz Nord= Mittel= u. Südostdeutschland stattfänden. Der Erfolg war, daß wir den Pfarrer vergeblich erwarteten. Ich hatte den Altar sehr schön hergerichtet, es kamen etwa 25 Personen, die alle die hl. Messe mit uns feiern wollten, auch drei Soldaten von der Batterie. Alle waren natürlich sehr enttäuscht. Um sie nicht ganz leer fortgehen zu lassen, improvisierte ich eine Rosenkranzandacht u. die Leute waren wenigstens etwas entschädigt.

     Abends mit Martha auf der Terrasse, eine Flasche Lorcher Krone getrunken, die wir zu Ostern von Frau Dr. Helms geschenkt bekamen.

     Es ist Invasionswetter u. es wird nun wohl los gehen. In Italien scheinen die Anglo-Amerikaner im Begriff zu stehen, Valmontone einzunehmen, womit sie die Hauptrückzugsstraße Kesselrings abschneiden würden. – Sonst nichts von Belang.