TBHB 1944-05-15
Einführung
[Bearbeiten]Der Artikel TBHB 1944-05-15 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 15. Mai 1944. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.
Tagebuchauszüge
[Bearbeiten][1] Am Samstag Nachmittag fuhren wir um 1/2 4 Uhr mit Spangenberg nach Prerow. Wir hatten Grete + Paul aufgefordert, mitzufahren, damit sie einmal den Darss sehen konnten, denn es war herrliches, warmes Frühlingswetter u. die Fahrt war sehr genußreich. Um 2 Uhr waren feindliche Fliegerverbände in sehr breiter Front von der See her eingeflogen in Richtung Stettin. Gerade als wir losfuhren kamen sie zurück. Sie flogen in sehr großer Höhe. Als wir grade in den Darss einfuhren, fand da oben noch ein Luftkampf statt, von dem man aber nichts sah, denn bei der großen Höhe konnte man nur die großen amerikan. Maschinen sehen, unsere kleinen Jäger waren nicht zu erkennen, jedoch hörte man deutlich das Schießen der Maschinengewehre. – Wir waren dann um 6 Uhr in Prerow, – der Zug sollte um 630 Uhr fahren, jedoch fuhr er wegen des Fliegeralarms erst um 730 Uhr. Wir saßen auf dem Bahnhof herum mit einem jungen Soldaten, der in Afrika in englische Gefangenschaft geraten u. nach Kanada gekommen war, von wo er dann ausgetauscht worden ist wegen eines doppelten Beinschusses. Nun war er wieder Soldat, allerdings wohl nicht mehr frontverwendungsfähig. – In Barth kam ein Junge auf mich zu u. fragte mich, ob ich Herr Brass sei. Ich fragte ihn, wie er hieße u. es stellte sich heraus, daß er Friedrich Hertweck war, der Sohn des Ingenieurs, bei dem ich wohnen sollte. Er brachte uns zum Pfarrhause, wo wir vom Pfarrer u. seiner Schwester Gertrud u. von der sehr netten Pfarrhelferin Schw. Maria erwartet wurden mit einem kleinen Abendessen, – d.h. es war garnicht so klein, denn es gab eine vorzügliche Erbsensuppe u. anschließend noch Brot. Nach dem Essen brachte mich der Pfarrer selbst zu meinen Gastgebern Hertweck, die nicht weit vom Pfarrhause wohnen, während Schw. Maria Martha zu ihren Gastgebern Schell brachte, deren Wohnung leider ziemlich weit entfernt liegt, etwa 3/4 Std. zu gehen. Das Ehepaar Hertweck hatte mit dem Abendessen auf mich gewartet u. ich mußte wohl oder übel noch einmal essen, was nicht so schwer war, da es vorzügliche Bratkartoffeln mit prachtvollem grünen Salat, dem ersten dieses Jahres, gab. Frau H. ist die Tochter eines serbischen Obersten u. griech-orthodox, eine sehr gebildete Frau, selbst Dipl-Ing., aber sehr weiblich, was man bei solch studierten Frauen selten findet. Auch habe ich noch nie eine Frau kennen gelernt, die sich grade dieses Studium [2] gewählt hätte. – Vor dem Essen unterhielt ich mich mit Herrn H. allein u. fand zu meiner Ueberraschung, daß er zu jenen seltenen Menschen gehörte, die an einen deutschen Sieg glauben. Da dieser Mann offensichtlich kein Dummkopf ist, wurde ich davon nachdenklich u. etwas verwirrt. Nach dem Essen bot mir Herr H. einen vorzüglichen Pflaumenschnaps an u. das Gespräch wurde nun lebendiger, da auch Frau H. sich daran beteiligte u. da ich feststellte, daß die Frau ihrem Mann in allen Dingen entschieden widersprach. Sie scheint ähnliche Ansichten zu haben, wie ich selbst. Dadurch wurde unsere Unterhaltung sehr lebendig. Es scheint so zu sein, daß Herr H. als Deutscher sehr national denkt u. die deutsche politische Entwicklung bejaht aus innerer Abwehr gegen die Denkweise seiner Frau, die ausgesprochen antideutsch ist. Die Ansichten gingen hart gegeneinander, da ich die Partei der Frau nahm, es wurde dabei immer wieder getrunken u. schließlich war es 3 Uhr Morgens, als wir uns trennten. Herr H. war zu dieses Zeit ziemlich betrunken. – Ich schlief in einer Mansarde. Herr H. wollte mich am Morgen zur Frühmesse begleiten, konnte aber nicht aus dem Bett kommen u. so ging ich allein u. frühstückte nachher im Pfarrhause. Um 10 Uhr war Hochamt mit Christenlehre für die Kinder, was der Pfarrer sehr hübsch machte, obgleich des Aermste eine lästige Kiefernvereiterung hatte, die sehr schmerzhaft war. Ich segnete im Stillen mein neues Gebiß, das mir nicht mehr weh tun kann. Martha war trotz des weiten Weges auch zur Frühmesse gekommen u. wir frühstückten zusammen. Nachher sprach ich etwas mit dem Pfarrer u. wir bereiteten den Nachmittag vor, indem der Pfarrer mir die einzelnen Teilnehmer etwas schilderte. Nach dem Hochamt ging ich dann wieder zu Hertwecks, um dort zu Mittag zu essen u. traf dort einen Herrn Billinger, ebenfalls Ingenieur etwa in meinem Alter, ein unproblematischer, gesunder u. ungemein treuherziger Mann, gebürtig aus Baden wie auch Herr Hertweck, aber viel urwüchsiger. Gleich nach dem Essen zog ich mich zurück um die Nachtruhe nachzuholen. Ich schlief bis 4 Uhr, zu welcher Zeit es Kaffee geben sollte. Inzwischen war auch die Gattin des Herrn Billinger gekommen, die vorher in Stralsund gewesen war, wo eine Versammlung der NSV. stattgefunden hatte, u. in der Frau B. offenbar eine wichtige, ehrenamtliche Rolle spielt. In dieser Frau B. lernte ich eine ganz entzückende, warmherzige, gütige u. mütterliche Frau kennen. Es gab dann Bohnenkaffee u. vier verschiedene Arten von Kuchen, von Frau H. selber gebacken u. zwar vorzüglich. Ich verstehe nicht, woher die Leute das Material haben, dergleichen zu machen. Kurz vor 5 Uhr brachen wir alle auf u. gingen zum Pfarrhause. Dort war also der Pfarrer selbst, seine Schwester Gertrud, Schw. Maria, Martha u. ich, sodann Herr u. Frau Hertweck, Herr u. Frau Billinger, Herr u. Frau Schell, (bei denen Martha wohnte) u. dann noch zwei Unteroffiziere, Studenten, von der Flak. Das waren beides prächtige Kerls. Wir waren also dreizehn Personen, – wie die Apostel mit dem Herrn. – Der Pfarrer sprach einige einleitende Worte u. forderte mich dann auf, mein Referat zu halten. Die anregende Wirkung des genossenen Bohnenkaffees kam mir sehr zu statten u. es gelang mir, die Anwesenden eine gute Stunde lang richtig zu fesseln u. in Bann zu schlagen. Es war ungemein schön u. hat mich sehr befriedigt, zu fühlen, daß meine Worte anregend wirkten u. auch keinen Widerspruch hervorriefen. Als ich geendigt hatte, herrschte längere Zeit eine [3] tiefe Stille, die der Pfarrer schließlich mit einigen sehr guten, ergänzenden Worten beschloß. Es gab dann ein allgemeines Gespräch, aus dem ich entnehmen konnte, wie gut meine Worte gewirkt hatten u. wie alle richtig verstanden hatten, was ich gesagt hatte. – Nachdem die Leute gegangen waren, aß ich beim Pfarrer mit Martha noch ein wenig zum Abend. Martha blieb diese zweite Nacht im Pfarrhause, weil heute früh um 7 Uhr noch einmal eine stille Messe war, an der wir teilnehmen wollten, den 10 Min. vor 8 Uhr fuhr unser Zug. Ich selbst ging dann zu Hertwecks zurück u. wir gingen alle früh schlafen, denn ich war ebenso müde wie Hertwecks selbst. In der Nacht grollte ferner Donner u. heute früh regnete es. Nach der Frühmesse bekamen wir noch rasch einen Schluck heißen Kaffee u. dann brachten uns Schw. Gertrud + Maria zur Bahn. – In Prerow regnete es heftig u. Spangenberg war nicht da. Wir warteten im Wartesaale u. tranken eine Tasse Fleischbrühe u. aßen etwas Brot, welches Schw. Gertrud Martha eingepackt hatte. Schließlich kam Spangenberg. Er hatte zum Glück Decken u. Mäntel mitgebracht, denn es war sehr kalt geworden. Gegen 12 Uhr waren wir wieder zu hause. Trude hatte zum Glück geheizt. Nachmittags mußten wir wieder in's Geschäft. – Es war ein zwar sehr anstrengender, aber doch sehr schöner u. eindrucksvoller Ausflug gewesen, der mir u. allen Teilnehmern sicher lange in bestem Gedächtnis bleiben wird.