TBHB 1944-06-10
Einführung
Der Artikel TBHB 1944-06-10 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 10. Juni 1944. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.
Tagebuchauszüge
[1] Irmingard gestern vormittag wieder nach Bln. zurück. Die beiden Jungens haben davon nicht viel Notiz genommen. Heute Hochzeit M. v. Paepke u. Herr v. Viereck. Wir schickten eine Vase mit Rotdorn u. Flieder. Die Trauung war in der Kirche in Wustrow, wohin die Gäste mit offenen Pferdewagen befördert werden mußten u. zurück. Da es nur mit geringen Unterbrechungen regnet, muß das ein zweifelhaftes Vergnügen gewesen sein.
Die Invasion scheint langsam Fortschritte zu machen. Wir berichten von den ungeheuren Verlusten, die unsere Gegner haben sollen, was wohl auch anzunehmen ist, die Andern aber berichten von langsamen Fortschritten u. nennen Namen von eroberten Ortschaften u. Städten. Sie sagen daß sie nun die ganze Küste von östlich Caen an bis Isigny fest in der Hand hätten u. dauernd weitere Verstärkungen landen. Es ist erst der vierte Tag ihrer Landung u. sie haben in dieser Zeit schon ein weit größeres Stück besetzt, wie s. Zt. bei Nettuno. Die Cherbourg-Halbinsel haben sie zwar noch nicht, aber es ist kaum zu bezweifeln, daß sie sie bald haben werden. In Italien geht der Vormarsch ebenfalls weiter, sie haben Viterbo eingenommen, 70 km. nördl. Rom. Die Russen rühren sich noch nicht.
Für unsere Berichterstattung über die Invasion ist typisch, daß wir sagen: „Die Verluste der Angreifer sind [2] unübersehbar schwer“. Was heißt das, u. was soll man sich darunter vorstellen? – Sodann wird berichtet, daß wir bisher in vier Nächten, „einen Kreuzer, zwei Zerstörer u. drei Panzerwagen-Landungsschiffe“ vernichtet hätten. Sind das die unübersehbar schweren Verluste? – nachdem von drüben an 4000 Kriegsschiffe u. viele Tausend andere Fahrzeuge eingesetzt worden sind? Davon wird freilich nichts gesagt, denn dann würde man sehen, daß, soweit es sich um Schiffsverluste handelt, so gut wie überhaupt keine Verluste eingetreten sind. Die Engländer selbst haben bisher 239 Flugzeuge als verloren angegeben u. mit dieser Zahl wird von uns geprahlt, daß aber insgesamt 11000 Flugzeuge eingesetzt waren, davon wird wieder nichts gesagt. Im Heeresbericht heißt es heute, daß dem Gegner, wenn auch unter hohen Verlusten durch die Angriffe der deutschen Seestreitkräfte u. der Luftwaffe, die Verstärkung seines Landekopfes gelungen sei, aber es wird behauptet, daß trotzdem unser Angriff östlich der Orne an Boden gewonnen habe. Der Kampfraum östlich der Orne ist im Augenblick aber ganz unwichtig, es muß den Gegnern daran liegen, nach Westen u. Südwesten vorzustoßen, um die Halbinsel Cherbourg abzuriegeln, u. das tun sie auch, denn der Heeresbericht sagt, daß die Gegner westlich der Orne Bayeux mit Panzerkräften umfassend angegriffen habe u. weiter nach Westen u. Südwesten vorgestoßen seien. Aus dieser ganzen Berichterstattung kann man schließen, daß es für uns nicht zum Besten steht. Uebrigens stellen die Engländer fest, daß bisher noch kein einziges U-Boot am Kampfplatz erschienen sei. Auch von Gefangenen wissen wir nichts zu berichten, während die Engländer bereits einige tausend Gefangene gemacht haben, unter denen sich eine Anzahl Polen u. Tschechen befinden sollen. –