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TBHB 1944-07

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Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1944-07
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Entstehungsdatum: 1944
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Originaltitel: Juli 1944
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom Juli 1944
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Einführung

Der Artikel TBHB 1944-07 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Juli 1944. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 15 Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Montag, 3. Juli 1944.     

[1]      Vorgestern Brief von Fritz. Er schreibt von dauernden Kämpfen, bei denen sogar Panzer u. Flugzeuge eingesetzt werden mußten. Es wird von unseren Soldaten geplündert, ehe die Ortschaften niedergebrannt werden, deshalb ist die Ernährung mehr als gut u. reichlich. Gefangene werden nicht gemacht, Ueberläufer werden dem Sicherheitsdienst zur Vernehmung übergeben u. dann doch erschossen. Es scheint, daß wir also nichts gelernt haben u. dieselbe Dummheit machen, wie s. Zt. in Polen, wo man ebenfalls die Zivilbevölkerung drangsalierte, anstatt sie sich zu Freunden zu machen.

     Gestern im Kurhaus beim Mittagessen begrüßte uns Dr. Sinn u. seine Tochter mit deren Mann Syamken. Abends waren Herr + Frau Syamken bei uns. Ich machte eine Flasche Cognac auf, den wir noch von Fritz aus Frankreich bekommen hatten u. dank dieser Anregung entwickelte sich ein lebhaftes Gespräch, das unversehens bis 1/2 2 Uhr Nachts dauerte.

     Im Osten scheint sich eine neue Katastrophe vorzubereiten. Die Russen stehen dicht vor Minsk u. haben die Bahnlinien nach Wilna u. nach Brest-Litowsk bereits durchschnitten Es gibt also nur noch eine Rückzugsstraße nach Byalitsok Wir haben hohe Verluste an Toten u. Gefangenen. – In Italien ist Siena erobert worden, sodaß nun Livorno u. Florenz bedroht sind. In der Normandie hat sich die Lage noch nicht geändert, doch beginnen die Amerikaner nun den Angriff nach Süden auf der Cotentin-Halbinsel. Unsere Vergeltungswaffe, die nun amtlich den Namen V I hat, ist auch weiterhin in Wirksamkeit, was den Engländern gewiß äußerst unangenehm sein wird.

     Mein Engelbild geht der Vollendung entgegen.

[2]
Donnerstag, 6. Juli 44.     

     Vorgestern haben die Russen Minsk erobert u. stehen jetzt nicht mehr weit vor Wilna. Weiter südlich nahmen sie Baranowicze. Offenbar konzentrieren wir alle Kräfte im Westen, um die Angloamerikaner zu schlagen, die in der Tat auch nicht recht weiter kommen, aber deshalb nicht geschlagen werden. Man gibt im Osten Boden preis, um die Entscheidung im Westen zu suchen, aber es ist bisher nur ein Abwehrerfolg dabei herausgekommen. Mehr wird uns wohl auch kaum möglich sein, denn nun, wo die Amerikaner Cherbourg u. die Cotentinhalbinsel besitzen, werden sie ungestört gewaltige Kräfte herüberschaffen. Inzwischen aber wird die Lage im Osten immer bedrohlicher. In Italien kommen die Angloamerikaner jetzt auch nur langsam vorwärts.

     Churchill hat im Unterhause über unsere Vergeltungswaffe ein wenig gesagt, aber nichts von Belang. Die Sache scheint den Engländern doch arg auf die Nerven zu gehen, was begreiflich ist.

     Gestern habe ich das Engelbild fertig gebracht, es ist sehr schön geworden. Ich zeigte es Dr. Sinn, der zwar kein Sachverständiger ist, dem das Bild aber doch ausnehmend gefiel. Paul, der es heute Morgen sah, hat garkein Verständnis.

     Heute habe ich den ganzen Tag für die Bu-Stu. arbeiten müssen, da durch meine Malerei allerhand in Rückstand geraten war.

Sonntag, 9. Juli 1944.     

     Heute morgen sehr schöne Andacht: Anneliese Meyer, Carmen Grantz, Trude u. Martel. Vorher frühstückten wir auf der Terasse wie schon seit einigen Tagen, da wir jetzt seit einer Woche richtige Hundstagshitze haben. Martel, das Mädchen, gratulierte mir sehr nett, indem sie mir wünschte, daß ich auch weiterhin schönen Erfolg in der Malerei haben möge. Es hat mich recht berührt, daß dieses fremde Mädchen doch so viel begriffen hat, daß die Malerei für mich ein Geschenk des Himmels ist. Es ist wie beim 100-jährigen Abraham, der noch einen Sohn bekam. – Trude brachte schöne Blumen u. hatte von ihren kärglichen Lebensmittel-Rationen für mich einen Kuchen gebacken. Auch Carmen Grantz brachte Blumen, Feuerlilien mit dunkelblauer Akelei, die in der goßen italien. Vase links vom Altar am Boden standen.

     Beim Mittagessen im Kurhaus wieder mit Dr. Sinn u. Herrn + Frau Syamken. Zum Kaffee kamen Paul + Grete. Paul war schon früh um 10 Uhr zum gratulieren gekommen. Nach der Andacht kam Agnes Borchers-Papenhagen u. brachte einen Napf mit gutem Kartoffelsalat für den Abend. Nachmittags schickten Neumanns vom Kurhaus eine große Schüssel mit Erdbeeren, die Martha u. ich am Abend aßen u. dazu eine Flasche Champagner tranken. Wir lasen das schöne Buch von dem Isländer: „Der Islandreiter“ von Pfleghaar? fast fertig. Ein sehr schönes Buch! – So war es ein schöner, ruhiger, stiller Tag, an dem ich den Weg in mein 60. Lebensjahr begann. Möge Gott mir geben, daß dieses Jahr weiter so verläuft. –

     Die Engländer haben nun endlich Caen eingenommen, um das sie schwer gerungen haben. Die Russen haben Wilna u. Baranowicze genommen, sie stehen nun dicht vor der Ostpr. Grenze. Im Pazific enthüllt sich aus den [3] lügenhaften Nachrichten der letzten Zeit, daß die Japaner die große Seeschlacht bei Saipan verloren haben u. daß die Amerikaner Saipan besetzt haben. Es scheint mir, als wäre das eine entscheidende Niederlage für die Japaner. So reift der Sieg für die Alliierten immer mehr heran auf der ganzen Linie. Auch in Italien stehen sie nun dicht vor Livorno, Arezzo haben sie bereits erobert, jedoch noch nicht Ancona. – Unsere Vergeltungswaffe hat eine Pause einlegen müssen, wahrscheinlich haben die Angloamerikaner die Abschußrampen zerstört, aber nicht so nachhaltig, daß das Bombardement nicht wieder aufgenommen werden konnte. Diese Sache ist den Engländern sicher sehr unbequem u. Herr Churchill konnte bei seiner Rede im Unterhause über diese Waffe nichts sagen, was die Engländer hätte trösten können. Aber dennoch wird sie keine Wendung des Krieges bringen.

     Im Westen ist den Generalfeldmarschall v. Rundstett abgesägt worden, nachdem er einige Tage vorher die Schwerter zum Ritterkreuz erhalten hat. Er hat sich wohl mit Rommel nicht vertragen. Damit ist wieder einmal einer unserer fähigsten Generale in der Versenkung verschwunden.

     Vorgestern den Bleistiftentwurf zu neuem Bild gemacht: königlicher Männerkopf. Sehr gut. So Gott will, werde ich morgen damit beginnen.

     Von Fritz keine Nachricht.

Dienstag, 11. Juli 1944.     

     Gestern Abend war Baurat Max Grantz mit seiner Frau bei uns. Er sah sich meine Bilder an u. war überaus begeistert besonders von dem neu angefangenen Bilde, das ich gestern grade mit Farbe angelegt hatte. Es stellt den Kopf eines Fürsten dar u. ist sehr monumental in der Komposition. In der Farbe verspricht es noch schöner zu werden, wie der Engel.

     Grantz erzählte vom letzten Angriff auf Berlin, bei dem sein Büro sowie seine Privatwohnung total verloren gingen. Er schilderte das Leben in Berlin u. wie erstaunlich es sei, daß dieses Leben eben immer weiter ginge. Er meinte, daß es eben unmöglich sei, eine solche Stadt völlig zu zerstören, woraus sich schließen läßt, daß eine Beschießung Londons durch unsere Vergeltungswaffe eben noch viel wirkungsloser sein muß. Gewiß ist sie unangenehm, aber ohne entscheidende Wirkung.

     Heute bekamen Küntzels Besuch von ihrer Tochter Inge mit ihren zwei Mädchen. –

     Die Russen machen weiter starke Fortschritte. Gestern las ich erstmalig in einer Zeitung die Ansicht, daß die Entscheidung dieses Krieges vielleicht doch im Osten fallen könne. – Es dauert eben lange, bis die Menschen das einsehen. – Die Russen haben jetzt die Rollbahn Kowno-Dünaburg durchschnitten u. stehen westlich Wilna. Seit dem Beginn ihrer Sommer-Offensive haben sich bisher nicht weniger als 18 Generäle ergeben.

     Von Fritz heute Nachricht. Es geht ihm gut, seine Einheit marschiert ewig hin u. her, um Terroristen zu bekämpfen, die jedoch klug genug sind, sich nie zum Kampfe zu stellen, nachdem sie es anfangs getan haben u. dabei natürlich den Kürzeren gezogen haben. Martha macht sich Sorge um Kurt, der zuletzt südöstlich von Minsk war.

[4]      Von Pfr. Dobczynski bekam ich heute Nachricht, daß er am Freitag zu uns kommen will. Er will mit zwei seiner Ministranten einen Ausflug hierher machen u. wird dann hier eine Messe zelebrieren. Er wird mir dann erzählen, wie der Bischofstag verlaufen ist u. ich werde hören, ob Aussicht dafür ist, daß ich die missio canonica erhalte.

Freitag, 14. Juli 1944.     

     Heute früh Hochamt. Es waren etwa 20 Personen anwesend. Der Pfarrer hatte zwei Meßjungen mitgebracht, die beiden Buben Hertweck, bei deren Eltern ich in Barth gewohnt habe. So brauchte ich nicht dienen u. konnte bequem neben Martha an der Messe teilnehmen.

     Nach der Messe frühstückten wir. Die anschließende Unterhaltung mit dem Pfarrer war wie stets sehr anstrengend. Er erzählte von seinen Erlebnissen in der Gemeinde, den Schwierigkeiten usw. u. da er die Gewohnnheit hat, gewissenhaft zu berichten mit vielen Details, kommt er schwer zum Ende u. es ermüdet. Auch berichtete er vom Bischof, der sehr alt u. müde geworden ist u. sehr trübe in die Zukunft sieht. Es war unter diesen Umständen recht gut, daß wir nicht in Barth gewesen sind, denn es wäre gewiß eine Enttäuschung gewesen. Auch aus der Erteilung der missio canonica ist nichts geworden, da der Bischof gemeint haben soll, es wäre zwecklos, denn die Behörden erkennten dergleichen einfach nicht an. So brachte mir der Pfarrer lediglich eine Bescheinigung von ihm selbst, nach welcher ich offiziell beauftragt bin, innerhalb des Pfarrbezirks den Religionsunterricht an seiner statt zu erteilen.

     Ferner erzählte er von Pfr. Dr. Wachsmann aus Greifswald, der vor einiger Zeit hingerichtet worden ist u. der fast ein ganzes Jahr in Fesseln gelegen hat. Der Bischof hat ihn besucht u. soll sehr tief beeindruckt gewesen sein von der Art, in der Dr. W. das Schicksal trug. – Auch vom Domkapitular Lichtenberg hörte ich nun Näheres. Er ist auf dem Transport verstorben, wahrscheinlich wollte man ihn in ein Konzentrationslager oder in ein anderes Gefängnis bringen. Der kranke Mann wurde mit anderen Gefangenen im Viehwagen transportiert, in welchem es nur zwei Strohsäcke gab. Da er schwer krank war u. Fieber hatte, durfte er auf einem dieser Strohsäcke liegen. In Hof verschlimmerte sich sein Zustand so, daß der SA-Mann, der den Transport leitete, ihn ins Krankenhaus bringen ließ, wo er dann gestorben ist. Der Bischof hat Schritte unternommen, daß er heilig gesprochen wird.

     Der Pfarrer sah sich meine Bilder an u. war, nachdem ich ihm einen kleinen Vortrag gehalten hatte, doch recht aufgeschlossen. – Gegen drei Uhr fuhr er mit den Ministranten wieder los.

     Die Russen haben die in Wilna eingeschlossen gewesene Besatzung seit gestern überwunden, sie sind weiter im Vormarsch auf Dünaburg, Kowno u. Grodno. Es heißt, sie griffen jetzt auch weiter im Norden zwischen Peipussee u. Düna an. Von Moskau aus werden bereits Richtlinien an die Bevölkerung in Deutschland für den Fall des Einmarsches in Rußland gegeben. Es wird gesagt, man solle ruhig an seinem Wohnort bleiben u. nicht fliehen. Das bezieht sich aber natürlich nicht auf das Hauptquartier des Führers, welches bei Lötzen sein soll. Dort wird man wohl anfangen, die Koffer zu packen. Von deutscher Seite ist zwar offiziell [5] erklärt worden, daß man nicht daran dächte, das Baltikum zu räumen, sondern daß man es verteidigen wolle wie Deutschland selbst; aber das hat man auch von Minsk gesagt, u. doch liegt diese Stadt heute weit hinter der Front. Im Süden haben die Russen Pinsk genommen.

     In der Normandie geht es nicht weiter. Ich nehme an, daß die Anglo-Amerikaner noch nicht genug Material herübergeschafft haben u. daß die Kämpfe dort vorläufig noch immer nur den Zweck haben, unsere Kräfte zu binden u. abzunutzen. Der eigentliche Angriff steht noch aus u. wahrscheinlich auch eine neue Landung.

     Auch in Italien geht es nur langsam vorwärts. Die Amerikaner haben drei Tage hintereinander München schwer angegriffen, wahrscheinlich, um die Verbindung sowohl nach Italien wie nach Südfrankreich zu stören.

Sonntag, 16. Juli 1944.     

     Am Freitag kam Irmingard Wegscheider, um Jens u. Peter zu besuchen. Sie fährt morgen wieder nach Bln. zurück. Sie wollte eigentlich erst Dienstag fahren, aber ab morgen tritt eine plötzlich verfügte, sehr drakonische Reisebeschränkung in Kraft, was sie zur früheren Abreise veranlaßt. Diese Reisebeschränkung, die erst am Tage des Ferienbeginns bekannt gegeben wird, ist wieder einmal ein tolles Stück. Es ist zu erwarten, daß die Sommergäste, welche ab morgen hier erwartet wurden, absagen werden u. die Gaststätten plötzlich leer stehen, nachdem sie alles vorbereitet haben.

     Heute früh Andacht nur mit Martha, Irmingard u. Trude. Mittags im Kurhaus. Nachmittags kamen Küntzels mit ihrer Tochter Inge u. deren beiden Kindern. Diese Inge ist mir u. Martha gleichmäßig unsympathisch. Martha ist erkältet u. hat sich früh ins Bett gelegt, nachdem ich ihr einen Halsumschlag u. nasse Strümpfe angezogen habe.

     Gestern Vormittag Frau v. Schulenburg, die mich nach einem Geistlichen in Bln. fragte. Ich nannte ihr Pfr. Feige. Die Russen haben Grodno genommen u. den Njemen überschritten. Sie stehen nördlich davon dicht vor Kowno, das sie wohl auch heute oder morgen nehmen werden. In Italien ist Arezzo von den Angloamerikanern genommen worden, Livorno wird sich kaum halten können.

     Im Reich las ich einen Artikel von Schwarz vom Berge, der dunkle Andeutungen enthält über die Anwendung einer neuen Geheimwaffe, die sich diesmal gegen die Schiffe richten soll. Man munkelt auch sonst davon. Nach Herrn Schwarz soll diese Waffe gewaltige Wirkung haben. Die Wirkung von V1 scheint in letzter Zeit etwas abgenommen zu haben; es ist denkbar, daß das mit der Vorbereitung dieser neuen Waffe V2 zusammenhängt. Man muß das abwarten. Es ist natürlich denkbar, daß da irgend etwas erfunden worden ist, zumal schon gleich nach dem ersten Erscheinen von V1. Churchill in London eine Bemerkung im Unterhause gemacht haben soll, daß es schon damals eine sehr starke, geheimnisvolle Detonation gegeben haben soll, welche aus dem Meere zu kommen schien. Die DAZ hat das berichtet u. ich konnte mir keinen Vers daraus machen. –

     An Fritz geschrieben, auch an Otto u. Lita Wendt, für Geburtstagswünsche bedankt. Fritz sandte gestern kurzen Gruß mit zwei Ansichtskarten der schönen Gegend in Südfrankreich. Die Terroristen haben offenbar ihre Taktik [6] geändert. Sie stellen sich nicht mehr offen zum Kampf, sondern weichen aus, wenn die Deutschen kommen, sodaß diese bald hierhin, bald dorthin an der Nase geführt werden. Die Bevölkerung unterstützt natürlich die Terroristen u. verrät jede unserer Bewegungen. Die Engländer haben erklärt, daß diese Terroristen requläre Truppen wären, die dem angloamerikan. Kommando unterstehen u. daß für sie die Genfer Konvention genau so gültig sei wie für ihre requlären Soldaten. Wir kümmern uns jedoch um diese Erklärung nicht.

Dienstag, 18. Juli 1944     

     Endlich haben die Amerikaner St. Lô erobern können, lange genug hat's gedauert. Die Russen kommen sehr viel schneller vorwärts, doch haben auch sie die ostpreußische Grenze noch nicht erreicht. Auch Kowno ist noch in unserem Besitz. Weiter südlich stehen sie dicht vor Byalistock, – dorthin fuhr Göhring in den ersten Jahren nach der Machtergreifung zur Jagd, – u. vor Brest-Litowsk. Nach unseren eigenen Heeresberichten haben die Russen auch noch weiter südlich nun angegriffen mit dem Ziel Lemberg. In Italien haben die Angloamerikaner den Arno zwischen Livorno u. Florenz erreicht. –

     Heute Nacht hatten wir wieder einmal Fliegeralarm. Es war ein Angriff gegen Berlin. Am Vormittag ebenfalls Alarm. Starke, amerikanische Verbände flogen über uns weg. Sie griffen Peenemünde u. Zinnowitz an, wo sich Versuchsanstalten für unsere Geheimwaffen befinden sollen. Peenemünde wurde vor einem Jahre bereits schwer bombardiert wobei viele Wissenschaftler, die sich mit der Herstellung von Geheimwaffen befaßten, ums Leben gekommen sein sollen.

Mittwoch 19. Juli 1944     

     Heute Vormittag habe ich das dritte Bild vollendet. Martha meint, daß es das Schönste sei, was ich bisher im Leben gemacht hätte. Mir will es auch so scheinen. Ich werde es

„Melchisedech“

nennen, denn es enthält all das Geheimnivolle u. zugleich Monumentale dieser mythischen Gestalt, Priester u. König.

     Ich glaube, als Nächstes werde ich eine „Verkündigung“ malen, – aber zunächst will ich Pause machen. Das Bild hat mich sehr angestrengt. Ich habe Sorge um Pinsel u. habe Dr. Sinn, der sich am Montag verabschiedete, gebeten, er möchte mit Karl Hofer sprechen, der in seinem Sanatorium ein Atelier hat, ob er mir nicht Pinsel verschaffen kann. Auch Otto Wendt habe ich gebeten. Malmittel habe ich neulich von einem jüngeren Kollegen bekommen, sonst hätte ich das auch schon nicht mehr, doch wird auch das nicht mehr lange reichen.

     Besorgniserregend ist die Entwicklung in Japan. Obwohl unsere Propaganda prinzipiell alles verschweigt, was dort vor sich geht, ist nun doch ganz klar, daß die Amerikaner in der Seeschlacht bei Saipan einen glatten Sieg davongetragen haben. Von dieser Schlacht hieß es in der DAZ, ehe sie geschlagen war, daß sie ebenso entscheidend sei wie Salamis. Das scheint tatsächlich der Fall zu sein, – u. die Japaner haben sie verloren. Die Amerikaner haben die Insel Saipan erobert u. nach den Zeitungsnachrichten halten die Japaner dort nur noch ein kleines Gebiet in unwegsamem Gebirge, sodaß es nur eine Frage der Zeit ist, wenn sich die Letzten ergeben werden. Von Saipan aus ist es dann möglich, Japan selbst mit [7] schweren Bombern anzugreifen. Vor einiger Zeit schon wurde gesagt, daß die Amerikaner einen neuen, schweren Fernbomber konstruiert hätten, welcher in Europa aber nicht eingesetzt werden solle, sondern nur im Pazifik. Wenn die Amerikaner die Japaninsel mit solchen Bombern angreifen, dann dürfte der Krieg dort sehr bald aus sein, denn die aus Papier u. Bambus errichteten Häuser der Japaner werden davon spurlos weggeweht werden. Gestern las ich denn auch schon in der DAZ. einen albernen Artikel darüber, daß Japan auf solche Angriffe bestens vorbereitet sei u. daß ihnen das garnichts ausmachen würde. Es ist albern u. gradezu verbrecherisch leichtsinnig, dergleichen zu behaupten. Der Kaiser von Japan wird es keinesfalls wie Herr Hitler darauf ankommen lassen, daß sein ganzes Land restlos zerstört wird, sondern er wird Frieden machen, wenn er die Aussichtslosigkeit des Widerstandes einsieht. Und ein solcher Friede, bzw. eine solche Niederlage Japans wird eine gewaltige Schockwirkung auf das gänzlich unvorbereitete deutsche Volk haben.

     An den übrigen Fronten geht die Entwicklung weiter. Die Russen haben die Lettische Grenze überschritten u. gehen beiderseits der Düna vor. Dünaburg wird sich nicht lange halten können. Auch im Süden scheinen sie in Richtung Lemberg vorwärts zu kommen. In Italien haben die Polen unter angloamerikan. Führung Ankona genommen.

     Eben besuchte mich Frau v. Guttemberg, der Martha gesagt hatte, ich würde ihr meine Bilder zeigen. Sie war sehr entzückt. Ich fragte sie, ob sie mir nicht Pinsel besorgen könnte. In Rostock wird sie dazu keine Gelegenheit haben, doch fährt sie jetzt, wie sie mir sagt, nach Prag, wo sie ausgestellt hat u. sie will versuchen, dort etwas zu bekommen. Dabei ist mir eingefallen, daß Erika Küntzel in Prag wohnt u. möglicherweise etwas für mich besorgen kann.

     Vormittags kam Herr Söhlke zu mir in den Garten, als ich Schoten abnahm. Er erzählte aus Bln. Zur Kriegslage meinte er, daß die Engländer jetzt möglicherweise mit Gas anfangen würden, wenn wir diese planlose Beschießung mit den fliegenden Bomben nicht einstellen. Es würde das in der Tat die einzige Möglichkeit für die Engländer sein, sich dagegen zu wehren, zumal sie ja jetzt mit ihrer starken Luftüberlegenheit am längeren Hebel sitzen. Es ist ein furchtbarer Gedanke. –

     Daß es in Japan übrigens bereits kriselt, geht daraus hervor, daß Tojo seines Postens als Generalstabs-Chef enthoben ist u. auch der Chef der Pazifik-Flotte wurde abgesetzt. Heute Abend steht im Rost. Anz., daß jetzt ganz Saipan in amerikanischer Hand ist. Tojo hat dazu eine Erklärung abgegeben, in der er gesagt hat: „Unser Kaiserreich sieht sich jetzt in einer Lage, die für unsere ganze Geschichte von höchster Bedeutung ist.“ Er sagt, daß es zur Verteidigung des Reiches nur einen Weg gäbe, nämlich, den Feind schnellstens zu schlagen u. den Sieg zu erringen u. er empfiehlt zu diesem Zweck absolute Todesverachtung. „Die Zeit für die entscheidenden Kämpfe ist jetzt gekommen.“ Wenn das ein Staatsmann öffentlich sagt, pflegt diese Zeit gewöhnlich schon vorüber zu sein. –

     Bei Caen u. St. Lô haben die Engländer, bzw. Amerikaner, seit gestern einen neuen schweren Angriff laufen. Nach unseren Berichten bis jetzt vergeblich.

     In Italien ist nun auch Livorno in der Hand des Feindes. Sie haben damit einen guten Hafen, ebenso in Ankona.

[8]      Heute war Deutschmann in der Bunten Stube u. hat zu Martha gesagt, eine Dame sei bei ihm gewesen u. habe behauptet, ich hörte den Auslandssender. Ich werden zu ihm gehen müssen u. fragen, wie es sich damit verhält.

Donnerstag, 20. Juli 1944.     

     Die japan. Regierung zurückgetreten. Sie hat vorher eine Proklamation an das Heer erlassen, in der gesagt wird, daß man den Rücktritt als Sühne für die von der Regierung gemachten Fehler auffassen möge. Diese Fehler können ja in nichts anderem bestehen, als in der Politik des Drei-Mächte-Paktes. –

Abends.

Auf den Führer ist im Hauptquartier ein Sprengstoff-Attentat verübt worden. Er soll nur leicht verletzt sein, verschiedene Generale seiner Umgebung sind ebenfalls mehr oder weniger verletzt worden. Das Attentat soll am heutigen Tage verübt worden sein, seltsamerweise ist aber schon gestern die Telephon= und Telegraphenverbindung nach Schweden vierzehn Stunden lang unterbrochen gewesen, ohne daß man einen Grund dafür weiß. – Die Krisenzeichen steigern sich. – Es ist eigentlich sehr auffällig, daß die Tatsache dieses Attentats vom Führerhauptquartier bekannt gegeben worden ist u. nicht verschwiegen wurde. –

     Ich war bei Deutschmann, habe aber nicht erfahren können, wer die Dame war, die diese Bemerkung gemacht hat. Es scheint zwar harmlos zu sein, doch sehe ich, wie ich mich vorsehen muß.

     Die Russen stehen in Augustowo, 15 km. vor der ostpreuß. Grenze. Weiter im Süden haben sie Lemberg von Norden umgangen u. haben Rawaruska, nordwestl. Lemberg, erobert.

Freitag, 21. Juli 1944. Morgens.     

     Um 9 Uhr wurde durchgegeben, daß der Führer um 1 Uhr Nachts am Rundfunk gesprochen hat, um dem Volke zu zeigen, daß er lebt. Er hat gesagt, daß eine kleine Klique junger Offiziere unter Führung eines Obersten Grafen v. Stauffenberg eine Verschwörung angezettelt hätte. Es sei eine Bombe zwei Meter neben ihm explodiert u. habe einige Offiziere schwer, andere wie ihn selbst leicht verletzt. Einige der Schwerverletzten seien gestorben. Er selbst habe nur Hautabschürfungen u. leichte Verbrennungen davongetragen. Graf v. Stauffenberg u. andere am Komplott beteiligte Offiziere hätten sich selbst erschossen, andere seien bereits füsiliert worden. Der Führer hat Himmler zum Oberstkommandierenden des Heimatheeres ernannt.

     Bald nach dem Attentat hat der Führer Mussolini zu einer längeren Besprechung empfangen.

     Es ist zu erwarten, daß Himmler nun ein furchtbares Terrorregiment aufziehen wird, noch furchtbarer, als es ohnedies schon der Fall war. –

     Es verdient, festgestellt zu werden, daß dieses Attentat nicht etwa von Kommunisten verübt wurde, auch nicht von Leuten, die etwa vom Feinde gedungen waren, sondern von Offizieren der Armee unter Führung eines Angehörigen des hohen Adelstandes.

Mittags.

     Wie ich gehört habe, haben in der Nacht nach dem Führer auch noch Göring u. Dönitz gesprochen, ersterer für die [9] Luftwaffe, letzterer für die Marine. Auffälligerweise hat niemand für das Heer gesprochen, obgleich doch Keitel der gegebene Mann dafür gewesen wäre. Er hat aber geschwiegen. Nach Allem scheint es sich doch nicht bloß um eine Klique von Offizieren zu handeln, – Oberst Graf Stauffenberg ist Generalstabsoffizier am Führerhauptquartier, – sondern um eine Verschwörung größeren Ausmaßes u. man wird nicht fehlgehen, wenn man weit höhere Offiziere dahinter vermutet, vor allem wohl die im Laufe der Zeit abgesetzten Heerführer u. hohen Kommandeure. – Herr Himmler wird da ein reiches Feld seiner Tätigkeit finden, gerüchtweise soll es bereits hier u. da zu Zusammenstößen gekommen sein zwischen Heer u. SS. – In der Luftwaffe soll eine besondere Luftflotte „Das Reich“ gebildet werden. –

     Frau Hoppe erzählte Martha, daß heute Vormittag Frau Siegert in den Laden gekommen sei u. mit der lauten Stimme, die diesem Weibe eigen ist, gesagt hat: Nun wisse man ja endlich, welche Leute es seien, die gegen den Führer arbeiten, u. man müsse sich schämen, daß ein Adeliger darunter sei. Von nun an würde sie jeden, der am Führer oder an der Führung Kritik übe, anzeigen, damit er an die Wand gestellt würde.

Sonnabend, 22. Juli 1944.     

     Es ist bis heute immer noch nichts Näheres bekannt geworden über die Revolte. Als einziger Name ist bisher der des Attentäters, des Obersten Grafen v. Stauffenberg, genannt worden. Der frühere – bis 1938 – Generalstabschef des Heeres, Generaloberst Beck, soll hingerichtet sein, doch habe ich darüber eine autentische Nachricht nicht gelesen oder gehört. Sonst aber ist bisher kein einziger Name genannt worden, auch hat man nicht gehört, daß Verhaftungen vorgenommen worden sind. Offiziell wird behauptet, daß die Revolte in sechs Stunden niedergeschlagen worden sei. Wo aber sind denn nun die eigentlichen Akteure? Es wird doch immerzu von einer „Generalsklique“ gesprochen, – wo u. wer sind denn diese Generale?

     Heute Morgen kurz nach 9 Uhr hat der Reichsorganisationsleiter Dr. Ley eine Ansprache in einem Rüstungsbetrieb gehalten, die der Gipfel an Plattheit u. Demagogie war. Er nannte den Grafen Stauffenberg einen blaublütigen Verbrecher, Schuft, Lump, Verräter u. was weiß ich noch. Die Rede war eine Aufhetzung der Arbeiter gegen den Adel, diese Nichtstuer usw. u. eine plumpe Verherrlichung des schlichten, fleißigen, treuen Arbeiters. Alle Klassenhaß-Instinkte wurden wachgerufen. Das ist der Dank für die ungeheuren Blutopfer, die der deutsche Adel in diesem Kriege bisher gebracht hat. Die Rede klang aus in ein plumpes, blasphemisches Gebet, Gott möge uns alle Schicksalsschläge senden, die denkbar sind, – nur unseren Führer möge er erhalten.

Sonntag, 23. Juli 1944.     

     Gestern Nachmittag habe ich ein kleines Bild untermalt, frühe Astern aus dem Garten. Ich beginne, oder versuche damit etwas Neues, nämlich nicht von einem inneren Gesicht auszugehen, sondern von der Natur, diese dann aber fortzuführen bis zur völligen Abstraktion. Es ist unmöglich, solche Bilder wie den betenden Engel u. den Melchisedech am laufenden Bande zu malen, die Anspannung ist zu groß. Es wäre aber schade, in der Zwischenzeit, bis ein neues Bild in mir entsteht, überhaupt nicht zu [10] malen. Solche Blumenstücke oder Stilleben sind da eine angenehme Entspannung u. ich denke mir, daß ich grade dabei viel lernen werde.

     Heute zur Andacht war Frl. Sinn, Tochter von Dr. Sinn u. Schwester von Frau Syamken, zugegen. Von ihr hatte Frau Syamken schon im vorigen Jahre erzählt. Die beiden Schwestern vertragen sich nicht, obgleich sie sich sehr ähnlich sind. Frau Syamken aber ist schwarz, während Frl. Sinn blond ist, Frau Syamken fragt nicht viel nach Religion u. Kirche, während Frl. Sinn angeblich sehr fromm sein soll u. sogar irgendwie zu dem holländ. Orden „Der Graal“ gehört haben soll, der vor den Nazis in Dahlem eine, wie man mir erzählt hat, prächtige Villa besaß u. mit seinen recht theatralisch wirkenden farbigen Mänteln in berliner Kirchen einiges Aufsehen machte. Der Orden ist dann wieder nach Holland verschwunden. Frl. Sinn scheint sich aber ganz getrennt zu haben, jedenfalls ist sie jetzt ganz nationalsozialistisch. Sie sagte mir nach der Andacht, sie könne garnicht verstehen, wie Offiziere sich dazu herbeilassen könnten, gegen den Führer ein Komplott zu schmieden. Sie behauptete etwas sehr kühn, daß das einzige Motiv dazu darin liege, daß Adolf Hitler aus kleinen Verhältnissen stamme. Ich habe dem natürlich nachdrücklich widersprochen, bin aber dann sehr zugeknöpft gewesen. Solche Frauen wie Frl. Sinn, die erklärt, sie könne die Haltung der kathol. Kirche dem Nationalsozialismus gegenüber nicht verstehen, können einen heutzutage leicht vom Leben zum Tode befördern.

     Nach dem Essen im Kurhaus kamen Herr + Frau Syamken zu uns. Sie brachten echten Bohnenkaffee mit. Wir saßen auf der Terrasse, leider war es recht windig.

     Gegen 15 Uhr kamen Paul u. Grete mit Inge u. den Kindern, denn Inge fährt morgen wieder ab. Grete bat mich, meine Bilder zu sehen, worüber ich überrascht war. Sie war wohl neugierig, das ist ja eine starke Eigenschaft von ihr. Sie behauptete, großes Verständnis zu haben u. faselte etwas von Walhall u. Götterdämmerung. Inge, die erst etwas später gekommen war, bat mich dann um dasselbe. Ich zeigte ihr die Bilder, als die Alten gegangen waren u. sie benahm sich dabei ganz vernünftig.

     Gestern bekam Martha Nachricht von ihrem Sohn Kurt, der an der Ostfront viel erlebt hat u. sich jetzt in Polen befindet. Ich hatte befürchtet, daß ihm etwas zugestoßen sei.

     Ueber die Hintergründe der Revolte ist immer noch nichts zu erfahren u. die Nazis werden auch in Zukunft nichts darüber sagen, woraus man entnehmen kann, daß diese Sache sehr tief in höchsten Kommandostellen verwurzelt sein muß. Inzwischen ist wieder ein Divisionär, – der 22. seit der russ. Offensive, – in Gefangenschaft geraten. Frl. Sinn behauptete, daß diese Generäle überliefen. Es mag sein!

     In Italien ist Pisa von den Angloamerikanern genommen. Auch die Russen machen Fortschritte, wenngleich sich auch der Widerstand etwas versteift zu haben scheint. Ob aber die letzte Revolte diesen Widerstand stärken mag, ist sehr die Frage. Die Russen sollen schon tief in Lettland stehen u. in Richtung Lublin sollen sie bei Chelm sein. Auch Pleskau sollen sie genommen haben.

[11]
Dienstag, 25. Juli 1944.     

     Die Russen stoßen jetzt in Polen scharf vor. Lemberg haben sie umgangen u. haben Jaroslau eingenommen. Nördlich sind sie über Lublin hinaus vorgestoßen. Von den 24 seit einem Monat in russische Gefangenschaft geratenen Generalen haben 16 einen Aufruf an die Deutschen Generale u. Offiziere erlassen, der von Flugzeugen über der Ostfront u. dem Hinterlande abgeworfen worden ist u. in dem die Offiziere aufgefordert werden, die Waffen niederzulegen. Es kann kein Zweifel sein, daß solch ein Aufruf starke Wirkung haben wird, wenn auch nicht sofort. Im deutschen Heeresbericht ist heute von Straßenkämpfen in Lemberg die Rede. Immer mehr zeigt sich, daß die Annahme unserer Führung, daß die Entscheidung im Westen fallen wird, falsch ist, – sie wird im Osten fallen. In der Normandie kommen die Angloamerikaner nicht weiter, – wenigstens vorläufig noch nicht, aber uns gelingt es noch viel weniger, sie dort entscheidend zu schlagen, wie ja doch unser Plan war. –

     Das Blumenstück „Astern“ habe ich auf einer Malpappe malen wollen, die ich gelegentlich einmal im Hause gefunden habe, – woher sie stammt, weiß ich nicht. Dieser Malgrund ist aber so miserabel, daß ich den Versuch wieder aufgeben mußte. Ich habe die Naturstudie heute nochmals durchgezeichnet u. streng stilisiert u. habe wieder Aquarellpapier aufgezogen, welches ein wirklich sehr schöner Malgrund ist. Es hat nur den Nachteil, daß sie das Bild nachher leicht wirft.

     Frl. Sinn ist heute abend bei uns eingezogen, da sie im Kurhaus nicht bleiben konnte, weil es dort überfüllt ist. Heute bekam ich eine Vorladung ins Gemeindeamt, Militärpapiere waren mitzubringen. Es wird nun ja am allertotalsten Mobilisiert. Mein Wehrpaß lautet dahin, daß über meine eventuelle Einberufung das Wehrbezirkskommando Stralsund entscheidet. Ich wies den Bürgermeister auf diesen Satz hin, worauf er meinte, daß dann alles in Ordnung sei. Ich zog erleichtert wieder ab; aber man ist eben nie sicher.

Mittwoch, 26. Juli 1944.     

     Nachdem seit Kriegsausbruch nun schon fünfmal die „totale Mobilisation“ befohlen worden ist, ist gestern die sechste totale Mobilisation ausgerufen worden. Der Reichsmarschall Herm. Göring ist zum Bevollmächtigten dieser Maßnahme ernannt worden u. er hat Josef Goebbels mit der Durchführung betraut. Und in dieser Eigenschaft hat er heute Abend eine Rundfunkrede gehalten. Er hat natürlich mit dem Attentat auf den Führer begonnen, wobei einige kleine Einzelheiten neu waren, nämlich, daß der Oberst Graf Stauffenberg von einem General zu einer Lagebesprechung ins Hauptquartier beordert worden sei u. daß der Oberst den Sprengkörper in einer Aktentasche vor den Führer hingelegt hat, der anscheinend am Kartentisch saß. Wer dieser General war hat Herr Goebbels verschwiegen. Stauffenberg hat sich wohl vor der Explosion in Sicherheit gebracht u. ist unmittelbar darauf in einem Flugzeug nach Bln. gefahren. Er muß überzeugt gewesen sein, daß der Führer tot sei, denn er hat in Bln. den anderen verschworenen Generalen, deren Namen Goebbels ebenfalls verschwieg, diese Nachricht überbracht. Diese Generale [12] haben dann dem Wachbataillon den Befehl gegeben, das Regierungsviertel zu besetzen, jedoch hat sich der Bataillonskommandeur, ein Major, dem die Sache nicht geheuer vorkam, an Dr. Goebbels gewandt, der inzwischen über die Vorgänge u. die Errettung des Führers telephonisch unterrichtet worden war. Darauf hat das Wachbataillon den Befehl bekommen, die Generale zu verhaften u. sie sofort standrechtlich zu erschießen, was geschehen ist.

     So weit Herr Goebbels. Wie Herr G. die Namen der Beteiligten verschwieg, so schwieg er auch über die Motive, die diese Generale zur Tat veranlaßt haben. Er versuchte statt dessen, aus der ganzen Geschichte Kapital zu schlagen u. zu behaupten, daß Deutschland, bzw. der Nationalsozialismus aus diesem Ereignis gestärkt hervorginge. Aus diesem Grunde wurde nun die sechste, allertotalste Mobilmachung befohlen. Doch damit nicht genug. Er versprach auch noch, daß nun von uns ganz neue Wunderwaffen demnächst eingesetzt werden würden u. daß uns damit der absolute Sieg absolut sicher sei.

     Was müssen wir also von diesen Wunderwaffen erwarten? Sie müssen die Russen nicht nur bloß dahin zurücktreiben, wo sie waren, ehe Stalingrad fiel, sondern sie müssen die Russen auch besiegen. Sie müssen die Angloamerikaner nicht bloß aus der Normandie vertreiben, sondern müssen sie auch besiegen. Ebenso müssen sie sie aus Italien vertreiben. Und schließlich müssen sie Amerika so besiegen, daß dieses nicht mehr in der Lage ist, Truppen u. Material nach Europa zu schaffen. Es ist etwas viel, was man da erwarten muß. Herr Goebbels scheint das selbst gefühlt zu haben, denn er meinte, daß diese Wunderwaffen es allein nicht schaffen könnte, sondern Rüstung, Wirtschaft, Politik, Wehrmacht u. die arbeitende Heimat, – das alles müsse zusammen wirken u. dieses Zusammenwirken würde von nun an mit nationalsozialistischer Energie durchgeführt werden. Man fragt sich erstaunt, warum das nicht schon längst geschehen ist, – warum man damit so lange gewartet hat, bis sich unzufriedene Generale zu diesem Komplott zusammengefunden haben? – Jedenfalls wird's nun los gehen u. wenn in Deutschland bis jetzt noch irgend wer zu lachen hatte, so ist das nun vorbei.

     Inzwischen haben die Russen heute Narwa erobert, Dünaburg ist fast eingeschlossen, ebenso Lemberg, Deblin an der Weichsel ist erobert, der Lau überschritten. In der Normandie sind Engländer u. Amerikaner zu neuen Angriffen angetreten u. in Italien stehen sie dicht vor Florenz. Das Deutsche Volk aber glaubt an seine Wunderwaffe u. an seinen Propagandaminister. –

Heute nachmittag besuchten mich das Ehepaar Winter, Spielleiter aus Neubrandenburg, um meine Bilder zu sehen. Sie schienen sehr entzückt, im Gegensatz zu meinem Kollegen v. Perfall, der vorgestern hier war um sich ein Buch zu leihen. Da ich grade den Melchisedech fertig machte, sah er dieses Bild, ohne jedes Verständnis. Er meinte, daß seiner Ansicht nach ein Bild für Jedermann leicht verständlich sein müsse. Dieser Mann ist Nationalsozialist. Er malt eben für das Volk u. die breite Masse, – das ist klar. Dieser Mann liest deshalb auch nur Kriminalromane. Er repräsentiert das Kulturideal des Nationalsozialismus: alles für das Volk!

[13]
Freitag, 28. Juli 1944.     

     Innerhalb 48 Stunden haben die Russen Stanislau u. Lemberg, Lublin u. Deblin, Brest-Litowsk, Bialistock, Kowno, Dünaburg u. Schaulen erobert. Es wird ummittelbar vor Przemysl gekämpft. Die Weichsel haben sie überschritten u. sie sollen bereits vor Kielce stehen. Herr Goebbels wird sich also mit den neuen Geheimwaffen etwas beeilen müssen, wenn sie noch rechtzeitig zum Einsatz kommen sollen.

     In der Normandie scheint den Amerikanern ja nun endlich ein Vormarsch zu gelingen, wenn auch kein Durchbruch. In Italien nähert sich der Kampf immer mehr Florenz, aber sehr langsam.

     Mein Blumenbild wird morgen fertig werden. Es ist überaus zart u. duftig u. sehr schön, – glaube ich. Die Neuheit eines solchen Vorwurfes hat mir Schwierigkeiten bereitet, doch glaube ich, daß ich sie überwunden habe.

     Heute zwei Briefe von Fritz. Der arme Kerl ist sehr überanstrengt.

     Von Faensens Nachricht, daß ihnen am 9. Juli ein Kind geboren wurde.

Sonnabend, 29. Juli 1944.     

     Die Russen stehen jetzt dicht vor Warschau.

     Endlich werden jetzt die Namen der Verschwörer=Generale bekannt gegeben. Es sind 1) der Gen. d. Inf. Olbricht, welcher Chef des Heeresamtes war, 2) Generaloberst Beck der bis 1938 Generalstabschef des Heeres war u. damals den Abschied erhielt, weil er den Einmarsch nach Oesterreich nicht mitmachen wollte u 3) Generaloberst Höppner, der, wenn ich mich recht entsinne, während dieses Krieges eine Armeegruppe im Osten führte u. entlassen worden ist. Von diesen drei Personen hat sich Beck selbst erschossen, Olbricht ist erschossen worden u. Höppner ist verhaftet. – Nach der Rede des Herrn Goebbels wurden sämtliche Teilnehmer des Putsches sofort vom Wachbataillon erschossen. Auch der Führer selbst sagte in seiner Rundfunkansprache, daß die Teilnehmer des Putsches „von ihren Bataillonen füsiliert“ worden seien. Schon diese Ausdrucksweise fiel auf, wer waren diese „ihre Bataillone“? Jetzt gibt man also zu, daß nur ein einziger standrechtlich erschossen worden ist. Wer also sonst noch? Man hat den Eindruck, daß da irgendetwas nicht stimmt. Warum hielt man diese drei Namen so lange geheim? Und sollte denn sonst niemand an dieser ganzen Sache beteiligt gewesen sein als diese drei u. dazu der Oberst Graf Stauffenberg?

     Das Blumenbild heute fertig geworden. – Von Fritz kurze Nachricht aus Aubusson.

     Die Russen haben auch Przemysl erobert. –

     Die Amerikaner scheinen bei St. Lô langsam Fortschritte zu machen. Letzte Nacht Hamburg wieder schwer angegriffen, es soll schlimm gewesen sein. Auch aus München kommen böse Nachrichten, die Stadt scheint ziemlich restlos in Schutt zu liegen. Die Leunawerke sind ebenfalls erneut schwer angegriffen worden. Das Grauen wächst. – Von Partikel heute Dank für Beileid zum Tode Adrians, – er steht mit seiner Familie nun vor der Gefahr des Russeneinbruchs in Königsberg.

[14]
Sonntag, 30. Juli 1944.     

     Heute morgen zur Andacht war wieder Frau Grantz da, die gestern aus Bln. zurückgekommen ist. Sehr blaß. Sie erzählte von den Schwierigkeiten der Ausgebombten bei den Behörden. Die Beamten sind natürlich ebenso nervös u. überanstrengt, wie die Hilfesuchenden. – Auch Grete war da. Sie verträgt sich nicht mit Frau Syamken, die seit einigen Tagen bei ihr im Hause wohnt. Sie war beleidigt über irgend eine Aeußerung des Frau S. u. meinte, Monheims hätten sie u. Paul doch nach hier geholt, damit ihr Haus nicht beschlagnahmt würde. Ich fuhr ihr ziemlich über den Mund. Es ist doch stark, wenn sie sich jetzt einreden will, daß sie eigentlich nur aus Gefälligkeit gegen Frau M. hierher gekommen wäre u. deshalb nun von Frau M. verlangen könne, daß ein Ofen gesetzt würde. Grete ist von Kindheit an ein undankbares u. arrogantes Geschöpf gewesen u. das ist sie heute noch. Sie zog mit beleidigtem u. tief gekränktem Gesicht ab. Nachmittags war sie mit Paul bei uns, der ihr anscheinend den Kopf zurechtgesetzt hat, denn es war nun von der ganzen Sache nicht mehr die Rede, obgleich sie morgens mit gereizter Stimme erklärt hatte, sie wolle das alles am Nachmittag nochmals besprechen. –

     An Fritz u. an Faensens geschrieben.

     Es wird jetzt gerüchtweise bekannt, daß an der Generalsrevolte die Generalobersten Zeitzler u. Fromm maßgebend beteiligt waren. Zeitzler war Chef des Generalstabes des Heeres im Führerhauptquartier u. Nachfolger von Halder, welcher s. Zt. davongejagt worden war, weil er sich dem doppelten Unternehmen der Eroberung von Stalingrad bei gleichzeitigem Vormarsch im Kaukasus widersetzt hatte. Fromm war Chef des Heimatheeres u. Vorsitzender für Rüstung usw. Beide Männer standen also an Stellen, in denen sie wie kaum ein anderer einen Ueberblick über die Lage hatten. Es fiel sehr auf, daß Generaloberst Guderian sofort nach dem Putsch vom Führer zum Chef des Stabes ernannt wurde, wie es hieß: „für den erkrankten bisherigen Chef“. Ebenso wurde Himmler zum Kommandierenden des Heimatheeres ernannt, ohne daß man erfuhr, was mit dem bisherigen Kommandierenden geschehen sei. Beide sind also abgesetzt worden u. das muß ja seine Gründe haben. Man konnte aber darüber nicht gut etwas bekannt geben, weil sonst der dümmste Mann der Straße doch schließlich begriffen hätte, daß da irgend etwas nicht stimmte. Es ist kein Zweifel, daß Guderian, der zwar ein brutaler Nazi u. ein Draufgänger ist, dem neuen Posten als Generalstabschef keinesfalls gewachsen ist u. daß nun hemmungslos alles gemacht werden wird, was der Führer befiehlt. Inzwischen geht der russ. Vormarsch gegen Riga u. Warschau weiter. Bei Riga hat man den Eindruck, als ob der Befehlshaber der Gruppe Nord, Generaloberst Lindemann, mit der in Moskau befindlichen Gruppe von Generalen gemeinsame Sache macht. Er kämpft zum Schein u. läßt sich in Estland einkesseln, um dann überzugehen. Die Russen stehen dicht vor Mitau, womit die Einkesselung schon fast vollendet ist. Lindemann befolgt damit aber nur den Befehl des Führers. Estland, Lettland u. Litauen unter allen Umständen zu halten. Dieser Befehl, so sagt man, ist die eigentliche Ursache der Generalsrevolte gewesen. Es heißt, daß auch der berliner Polizeipräsident, Graf Helldorf, ein alter Nazi, bei der Revolte beteiligt gewesen sein soll.

     In der Normandie machen die Amerikaner weiter Fortschritte in Richtung auf Granville. Einem Gerücht zufolge [15] soll Generalfeldmarschall Rommel bei einem Fliegerangriff schwer verwundet worden sein, man sagt: tödlich. Damit würde indessen sicher kein sehr großes Genie ausfallen, aber ein blinder Anhänger des Führers.

     Verfügungen betr. totale Mobilmachung hat Herr Goebbels bis heute noch nicht erlassen, obgleich er nun schon seit 10 Tagen mit dieser Aufgabe betraut ist. Es wird ihm wohl schwerfallen, etwas Neues zu erfinden. Nur der Herr Saukel hat sich vernehmen lassen, daß bis zum 15. August alle diejenigen sich freiwillig zum Arbeitseinsatz melden sollen, die bisher nur zum Schein irgendwo gearbeitet haben. Wer sich bis 15. Aug. nicht meldet, soll bestraft werden. Es wird aber nicht gesagt, woran man erkennen kann, ob jemand nur zum Schein im Arbeitseinsatz ist. In erster Linie sollten davon Leute betroffen werden wie Lorenz u. Alvensleben, die als Generale der Polizei in Stellungen sind, von denen sie nicht die Spur verstehen.

     Heute wurde mir eine hübsche Geschichte erzählt. Es ist in diesen Tagen vorgekommen, daß bei einer sehr großen Wirtschaftsstelle in Berlin angerufen worden ist, es möge sofort ein Beamter mit einer Rolle Bindfaden nach Wannsee kommen, u. zwar mit dem Auto, denn die Frau des Herrn Wirtschaftsministers sei beim Einkochen von Himmbeeren u. es fehle ihr Bindfaden, um die Gläser zuzubinden. Es mag sein, daß diese Geschichte erfunden ist; aber sie beweist dann doch, was das Volk denkt.