TBHB 1944-08-30
Einführung
Der Artikel TBHB 1944-08-30 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 30. August 1944. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.
Tagebuchauszüge
[1] Montag Abend Gewitter mit Sturm u. viel Regen, sodaß die Lichtleitung kaputt ging u. erst Dienstag Nachmittag wieder in Ordnung gebracht werden konnte. Inzwischen sind die Amerikaner weiter vorgedrungen, haben Laon besetzt, sind östlich über Reims hinaus u. auch Chalons an der Marne ist in ihrer Hand. Offenbar wiederholen sie das Manöver, was sie schon westlich der Seine exerziert haben. Sie werden auf St. Quentin u. Amiens vorstoßen, um so die [2] letzten Reste unserer Armee, die sich noch über die Seine gerettet hatte, vor der Somme abzufangen, wobei Amiens dieselbe Rolle spielen wird, wie Rouen an der Seine. Nur daß bei diesem Manöver der große Hafen Le Havre in die Hände unserer Gegner fallen wird, wodurch sie dann die wirklich leistungsfähige Verbindung mit England haben. Bei ihrem Vormarsch fallen unseren Gegnern natürlich auch mehr u. mehr Abschußrampen unserer V1=Waffe in die Hände, sodaß der Beschuß bereits nachgelassen hat. Sobald die Amerikaner die Somme überschritten haben werden, wird es damit überhaupt vorbei sein u. diese „kriegsentscheidende“ Waffe ist wieder mal am Ende.
In Rumänien haben die Russen Konstanza besetzt u. stehen dicht vor Ploesti. In unseren Berichten wird nach wie vor so getan, als wären wir in Rumänien Herren der Lage. – Die Bulgaren sind gegenwärtig dabei, ihre Truppen aus Griechenland u. Jugoslawien zurückzuziehen. Der Waffenstillstand dürfte unmittelbar bevorstehen. Man kann gespannt sein, in welcher Art uns das beigebracht werden wird, – bis jetzt nehmen die Zeitungen noch garkeine Notiz davon. – In Ungarn, das wir ganz mit SS=Truppen besetzt haben, soll die Regierung zurückgetreten sein u. in der Slowakei soll es ebenfalls bereits zu Zusammenstößen gekommen sein.
In der letzten Nacht griffen amerikan. Flugzeuge Königsberg u. Stettin an, auch Kiel. Diese Stadt wurde auch heute Vormittag wieder angegriffen, dazu Bremen. Das alles sieht sehr danach aus, als bereite man langsam die neue Landung in Dänemark vor.
Heute habe ich das Bild „Verkündigung“ vollendet. Es ist nicht ganz nach meiner Zufriedenheit, die Maria ist mir zu konventionell, ich werde dieses Bild gelegentlich noch einmal malen müssen, aber ganz anders. Der verkündende Engel ist schon besser.
Hier im Dorf fangen nun die Nazis an, sich gegenseitig anzupöbeln u. sich mit Verhaftung zu bedrohen. Der Prof. Dr. Reinmöller, dieser blutrünstige Obernazi, ist wütend, weil seine sogenannte Hausdame, Frl. Schröder, nach Schneidemühl zum Schippen gekommen ist. Er hat sich deshalb mit dem Bürgermeister angepöbelt u. hat ihn beleidigt, wie das bei diesem Kerl nicht anders zu erwarten ist. Herr Gräff hat ihm erwidert, daß er ihn verhaften lassen würde. Es ist sehr belustigend, zu sehen, wie diese beiden politischen Freunde den Dorfbewohnern ein Schauspiel geben. – Wäre es nicht grade die Bettgenossin des Herrn Professor gewesen, die zum Schippen gehen mußte, dann hätte dieser Herr an dieser ganzen Schipperei u. der Drückebergerei sämtlicher Nazis im Ort nicht den geringsten Anstoß genommen, – aber so ist das natürlich etwas anderes.
Gestern Abend besuchte uns Frau Boroffka u. langweilte uns zwei Stunden lang entsetzlich.
Nachmittags war abermals Fliegeralarm, doch ist nicht bekannt, wo sie waren.
Von Ruth + Erich bekamen wir Montag telegraphische Nachricht, daß sie am Sonntag um 3 Uhr früh endlich in Regensburg angekommen sind. Sie fuhren Freitag um 10 Uhr Vormittags hier ab, waren also 41 Stunden unterwegs u. das mit der kleinen Ortrun.