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TBHB 1944-11

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Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1944-11
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Entstehungsdatum: 1944
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Originaltitel: November 1944
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom November 1944
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Einführung

[Bearbeiten]

Der Artikel TBHB 1944-11 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom November 1944. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 16 Seiten.

Tagebuchauszüge

[Bearbeiten]
[1]
Mittwoch, 1. Nov. 1944.     

[1]      Gestern Nachricht von Fritz vom 18/19 Oktober. Es geht ihm gut. – Ferner Rechnung von Spitta + Leutz, Berlin über Farben, die ich auf die Bezugskarte von Otto Luke bekomme. Sie haben alles geliefert, was ich bestellt habe, 4 Tb. Weiß, 29 Tb. andere Farben. Nur Mastix habe ich nicht bekommen, dafür 2 Fl. Malmittel II.

     Abends wiederum Nachricht von Fritz, Datum 24. Okt. Der arme Kerl erlebt, was beim Militär alle gewissenhaften u. brauchbaren Leute erleben: es wird ihm der Weg zur Beförderung versperrt durch seinen Vorgesetzten, der ihn nicht entbehren will. Am 1. Nov. beginnt in Altkirch im Elsaß ein Kursus für Sanitätsdienstgrade; aber sein Stabsarzt schickt ihn nicht hin, weil er meint, daß Fritz dann nicht zu ihm zurückkommt u. er ihn nicht entbehren will. Es hat eine Auseinandersetzung zwischen ihm u. Fritz gegeben u. Fritz fürchtet, dabei zu weit gegangen zu sein; das aber wird kaum der Fall sein, es ist vielmehr recht gut, daß er auch dem Vorgesetzten gegenüber seine [2] Rechte verteidigt hat, wenn auch erfolglos. –

Freitag, 3. November 1944.     

     Gestern erhielt ich von Dr. Sinn die schon im Sommer versprochenen Fotos nach Gemälden von Carl Hofer. Es sind sechzehn Stück, einige davon sehr schön, besonders ein Stilleben mit einer großen Blechkanne u. sonstigem Gerümpel, wirr auf einen Tisch hingeworfen. Es ist sehr schön, wie in dieses unordentliche Gewirr Klarheit u. Ordnung gebracht ist. – Die Bilder sind sehr malerisch, aber noch genau so wie ich Hofer kannte aus den Jahren 1918 – 1930, von einer Entwicklung ist in den Fotos jedenfalls nichts zu merken. Es scheint, daß dieser Künstler seit damals seinen höchsten Stand erreicht hat u. Neues von ihm nicht zu erwarten ist. Dr. Sinn erzählte mir ja auch, daß Hofer seine früheren Bilder, welche durch Bombenangriff verbrannt sind, jetzt wiederholt u. neu malt, – schon daraus ergibt sich, daß er Neues nicht mehr zu sagen hat. Besonders diese Mädchenbilder sind eigentlich immer wieder dieselben, es mag sein, daß die malerische Bravour vollkommener geworden ist, das läßt sich aber nur im Vergleich feststellen. An sich geben mir die Bilder nicht sehr viel, für ihn ist ein Bild an dem Punkt fertig, wo ich eigentlich erst anfange. So bleiben die Bilder skizzenhaft, zwar ungemein frisch u. interessant, aber letzten Endes doch sehr roh. Die Durcharbeitung eines Bildes bis zum letzten Augenblick, in dem das Bild selbst einem sagt: fertig! – kennt Hofer nicht. Ich empfinde das als eine bedauerliche Verantwortungslosigkeit. Ein Bild will doch fertig sein! – Und wenn es zuweilen auch schrecklich mühsam u. quälend ist, das Bild bis dahin zu führen, so ist dieser erreichte Moment doch überaus beglückend. –

     Meine Landschaft ist nun bald so weit. Vielleicht morgen. Das Wasser im Vordergrunde ist schwer zu malen, es soll raumbildend u. durchsichtig sein, aber ich verzichte auf jeden helfenden u. erklärenden Gegenstand im Vordergrunde. Man könnte Schilf oder einen Balken oder sonst irgend etwas dahin stellen u. Hofer würde das vielleicht tun, – dann wäre die Sache mit einem Pinselstrich abgetan; aber es wäre vulgär. –

     An den Fronten quälend langsamer Fortschritt. Die Scheldemündung ist immer noch nicht ganz im Besitz der Engländer, aber sie sind auf Walcheren gelandet u. haben Vlissingen u. andere Stellen im Besitz. Die Russen gehen ebenso langsam gegen Budapest vor. Die Luftoffensive rollt mit unverminderter Heftigkeit, besonders im Westen. –

     Gestern wurde Näheres über den Besetzungsplan der Alliierten bekannt. Danach sollen die Russen Deutschland bis zur Elbe besetzen, – das sind nun freilich nicht sehr schöne Aussichten, – ich hatte gehofft, daß sie nicht über die Oder kommen würden.

[3]
Montag, 6. Nov. 1944.     

     Am Freitag ereignete sich eine ziemlich tolle Geschichte. Meine Nichte Erika Wollesen erhielt gleich zwei Telegramme des Truppenarztes der Einheit, bei welcher ihr Mann ist. Diese SS-Einheit wird anscheinend zusammengestellt, oder ist bereits zusammengestellt worden u. liegt in der Nähe von Bremen auf dem Lande in Quartier. Erika war vor einigen Tagen dort, um ihren Mann noch zu sehen, ehe er ins Feld kommt. Nun, die Telegramme enthielten die dringende Aufforderung sofort zu kommen. Wir konnten uns das nicht anders erklären, als daß dem Mann ein Unfall zugestoßen sei u. daß er hoffnungslos liegt. Erika ging abends noch zur Batterie, um die Erlaubnis zu holen, am Sonnabend früh mit dem Lastauto mit nach Ribnitz fahren zu können, nachdem sie für den Autobus, der von Wustrow nach Ribnitz fährt, keinen Platz mehr bekommen hatte. Auch hatte sie versucht, die Einheit ihres Mannes telephonisch zu erreichen, jedoch gelang das nicht, da nur Wehrmachtsgespräche vermittelt wurden. Die Nachrichtenhelferin der Batterie kam auf die gute Idee, von dort aus die Einheit anzurufen, doch dauerte es stundenlang, bis die Verbindung kam. – Inzwischen waren wir alle in größter Aufregung. Endlich spät abends rief die Nachrichtenhelferin bei uns an. Sie hatte Verbindung bekommen, hatte mit dem Truppenarzt persönlich gesprochen. Er sagte, daß garnichts geschehen sei, es sei nur am Sonnabend eine Abschiedsfeier, zu der Erika kommen sollte u. da sie dazu eine Reiseerlaubnis brauchte, hat er diese Telegramme geschickt, indem er eine lebensgefährliche Erkrankung vorgetäuscht hat. –

     Wir waren alle empört. Diese Menschen haben überhaupt kein moralisches Gewissen. – Am nächsten Morgen hatte, indessen Erika schon viele Entschuldigungen dafür bereit u. der Erfolg war, daß es zu einer Auseinandersetzung zwischen Martha u. Erika kam u. anschließend zu einem heftigen Krach zwischen Grete u. Martha, der von mir erst am Sonntag früh durch die Andacht beigelegt werden konnte.

     Eine ganz ähnliche Sache erlebten wir neulich schon einmal, als Gretes Tochter Inge einen Brief schrieb, Grete müsse sofort zu ihr kommen. Sie führte zwar keinen Grund an, aber man mußte annehmen, daß Inge schwer erkrankt sei. Da Grete ja nicht einfach hier fort kann u. das Reisen heutzutage eine furchtbare Anstrengung ist, die mit Lebensgefahr verbunden ist wegen der Luftangriffe, rieten wir ihr dringend ab, zu reisen. Es wurde ein Telegramm an Eva nach Bln. gesandt, sie solle zu Inge fahren. Eva rief dann am nächsten Tage hier an u. es ergab sich, daß überhaupt nichts vorlag, sondern daß Inge sich nur gedacht hatte, ihrer Mutter eine Freude zu machen, wenn sie sie zu sich einlüde. Damit sie auch bestimmt kommen sollte, hat sie so getan, als ob sie krank wäre. – Es scheint, daß man diesen Menschen nicht alles glauben darf, was sie sagen. – Damit auch Paul in der Sache nicht fehlt ereignete sich mit ihm ebenfalls eine dunkle Sache. In der vorigen Woche fuhr Trude nach Schneidemühl zurück. Ich gab ihr Zigaretten für Paul [4] mit. Nun erkrankte Trude aber gleich nach ihrer Ankunft in Schneidemühl abermals. Vorher jedoch ging sie zum Büro, um Paul die Zigaretten zu übergeben. Sie traf ihn nicht an u. es wurde ihr gesagt, er sei auf Urlaub. Das war am vorigen Sonntag. Von Paul haben weder Grete noch wir etwas gehört. – Grete ist nun sehr aufgeregt, was das bedeuten soll. Seltsamerweise sagte ihr am Sonnabend die Frau des Schlachters Leplow, als Grete Fleisch kaufte, es sei doch schön, daß ihr Mann auf Urlaub sei. Grete antwortete, er sei ja garnicht auf Urlaub, worauf Frau Leplow sehr verwundert war u. steif u. fest behauptete, ihn auf der Straße gesehen zu haben. – Auf meinen Brief, den ich ihm am vorigen Sonntag schrieb, habe ich bis jetzt keine Antwort erhalten. –

     Am Sonnabend Nachricht von Frau Dr. Petersen-Bln., daß sie nun endlich zur kathol. Kirche übergetreten sei. Ich beglückwünschte sie gestern brieflich. Ferner schrieb ich an Fritz, Pfr. Dobczynski u. an Dr. Sinn wegen der Hoferschen Bilder.

     An meiner Landschaft habe ich heute die ganze Wasserpartie wieder heruntergekratzt. Es kam keine Einheit zwischen Wasser u. übriger Landschaft zustande. Habe heute den ganzen Tag neue Versuche gemacht, jetzt am Abend scheint ein Erfolg da zu sein.

Mittwoch, 8. Nov. 1944.     

     Die ganze Welt wartet mit Spannung, ob der Führer heute wohl sprechen wird, aber bis jetzt ist nichts bekannt geworden. Es sieht so aus als wollte er sein eisernes Schweigen auch am heutigen Tage aufrecht erhalten.

     Gestern ist Roosevelt zum vierten Male zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden. –

     Vorgestern kurze Nachricht von Fritz vom 29. Oktober.

     Gestern Brief von Paul an mich. An dem Gerücht, daß er auf Urlaub sei, ist kein wahres Wort. Aber seine Stimmung ist anscheinend furchtbar schlecht.

     Gestern ebenfalls sehr inhaltsschwerer Brief von Ruth. Was längst zu erwarten war: die Ehe mit Erich geht nicht mehr. Es ist wirklich ein schwieriges Problem, denn der gute Erich ist tatsächlich ein furchtbar ungeistiger Mensch, dazu ein schwäbischer Spießer, der garkeine Entwicklungsmöglichkeiten hat, während Ruth weit über ihn hinausgewachsen ist. Der Tod des kleinen Hartmuth hat diese Entwicklung bescheunigt, die aber auch sonst eingetreten wäre. –

     Die Landschaft ist schwer. Zwei Mal habe ich das Wasser im Vordergrunde schon herunter gekratzt.

     Am Sonntag verabschiedete sich, wie ich nachträglich notieren will, Ferdinand Bierwirth, der Neffe von Walter Knecht. Er ist seit zwei Jahren Schiffsjunge u. fährt auf der Route nach Norwegen. Vor einigen Wochen wurde sein Schiff torpediert, die Oeltanks wurden getroffen u. explodierten. Wer konnte, sprang ins Wasser. Von 82 Mann Besatzung wurden nur 10 gerettet. Es war ein Geleitzug von drei Frachtern u. mehreren Bewachern, zwei Frachter u. ein Bewacher wurden torpediert.

     Eben besuchte mich Pastor Müller. Er war in Uniform [5] u. sah recht gut aus. Er ist nun beurlaubt u. soll entlassen werden, nachdem er vier Monate lang Soldat war. Er hat einen netten Truppenarzt gehabt, der ihm zur Entlassung verholfen hat. Er erzählte mir, daß bei seiner Truppe fast nur Kranke u. Krüppel gewesen wären, zum Teil Leute mit künstlichen Gliedmaßen.

Donnerstag, 9. Nov. 1944.     

     Der totale Führer schweigt total. Von je her war der 8. November der Tag, an dem der Führer seine sog. alten Kämpfer in München um sich versammelte zum Andenken an den 8. Nov., als er mit seinen Getreuen zur Feldherrnhalle gezogen u. dort von den Kugeln der Soldaten empfangen worden war. Diesmal hat er zum ersten Male geschwiegen. Vor einem Jahre war grade die Landung der Amerikaner u. Engländer in Italien gewesen u. der Führer hat damals wie immer den Mund vollgenommen. Er hatte gesagt: „es ist ein Ding, in Italien zu landen, u. ein ander Ding, an der Kanalküste zu landen“ – u. dann hat er gemeint, daß er dem deutschen Volke, falls dieses je unter einer Schicksalsprüfung zusammenbrechen sollte, keine Träne nachweinen würde, denn dann hätte das Volk nichts Besseres verdient. –

     Gestern ausführlicher Brief von Fritz vom 1./2. November. Seine jetzige Einheit wird nun in eine sog. Volks-Genadier-Division umgewandelt. Sie war bisher motorisiert u. wird nun bespannt werden, also vom mot. zum hot. Sein früherer Oberarzt, – ich weiß aber nicht welcher, hat an seinen jetzigen Stabsarzt, einen Brief geschrieben u. ihn gebeten, dafür zu sorgen, daß Fritz endlich den San-Dienstgrad bekäme. – Der Stabsarzt hat Fritz als Fahrer für seinen Wagen bei sich behalten, da er selbst sein Auto auch nach der Umstellung behält, – aber von einer Beförderung ist natürlich keine Rede. –

     Gestern wurde die Mutter der Frau Langhinrichs beerdigt. Der Friedhof wird in diesem Jahre sehr beansprucht.

     Heute wurde ganz plötzlich meine Landschaft fertig. Ich hatte gestern den ganzen Vordergrund wieder abgekratzt u. geglaubt mindestens noch den ganzen heutigen Tag damit zu tun zu haben, aber plötzlich war das ganze Bild fertig, nachdem ich etwa eine Stunde gearbeitet hatte.

Freitag, 10. Nov. 1944.     

     Gestern Nachricht von Gertrud Dobczynski, daß es dem Bruder besser geht. Der Bischof hat P. Becker aus Stettin=Zulchow zum Vertreter ernannt, doch kommt dieser nur Sonntags nach Barth. –

     Ebenfalls gestern von Herrn v. Perfall Nachricht aus Berchtesgaden, daß er mir Farben u. Pinsel schickt. Nachdem ich nun die Farben von Luke habe, bin ich damit jetzt reich eingedeckt.

     An Stelle einer Führerrede wurde gestern amtlich bekannt gemacht, daß bereits seit einigen Wochen V2 gegen England tätig sei. Es soll sich dabei um ein Raketengeschoß handeln, welches durch die Stratosphäre schneller als der Schall fliegt u. deshalb eine Warnung unmöglich ist. Es wird von starker Wirkung gesprochen, – doch soll das nach anderen Berichten nicht sehr schlimm sein. Diese Geschosse haben naturgemäß eine große Streuung u. fallen deshalb zumeist auf freies Feld.

     Heute Abend bekam ich vom Bürgermeister die Aufforderung, am Sonntag um 10 Uhr in Prerow im [6] Zentralhotel zwecks Vereidigung zum Volkssturm zu erscheinen. Der Wagen Spangenberg fährt um 7 1/2 Uhr von hier nach dort.

Sonnabend, 11. Nov. 1944.     

     An Bürgermstr. Gräff Brief geschrieben, daß ich nicht nach Prerow fahren könne aus gesundheitlichen Gründen, besonders bei der rauhen Witterung. Außerdem beziehe sich der Volkssturm nur auf waffenfähige Männer u. das sei ich nicht.

     Gestern Abend waren Erich Seeberg u. der Bildhauer Marks bei uns. Marks erzählte, daß in der Dorfschule Althagen im Klassenzimmer der Satz auf die Wand gemalt sei: „Wir Deutschen lieben den Pulverdampf mehr als Weihrauch“. – So vergiftet man schon die Kinder, – aber die Offenheit ist bemerkenswert, man gibt zu, den Krieg als Metier zu betreiben u. die Religion zu verachten.

     Seitdem der Führer es am 8. Nov. unterlassen hat, vor seinen alten Kämpfern zu reden, scheint es so, als wäre er damit als Führer abgetreten. Er hätte unbedingt sprechen müssen, um die Stimmung des Volkes wieder aufzurichten. Grade in dieser Zeit hätte er sprechen müssen. Aber vielleicht kann er nicht mehr reden, vielleicht ist er schon „total“ zusammengebrochen? Und was geschieht dann? Zu Beginn des Krieges ernannte der Führer offiziell Rudolf Hess zu seinem Nachfolger, an zweiter Stelle Hermann Goering. Rud. Hess ist längst dahin u. Herm. Goering ist zwar noch da, aber er ist kalt gestellt. Man hört immer öfter, daß er zur Friedenspartei gehöre, jedenfalls hat er nichts mehr zu sagen. Der Kampf um die Führung wird jetzt nur noch geführt zwischen Dr. Goebbels u. Heinr. Himmler, wobei der Letztere allerdings alle materiellen Machtmittel in der Hand hat. –

Montag, 13 November 1944.     

     Gestern Abend bei Frau Longard. Guter Moselwein u. sehr anregende Unterhaltung mit der alten Dame, die jetz 79 Jahre alt ist u. dabei ungemein frisch. Ihre Tochter, Frau Dr. Kemper, deren Mann jetzt Professor geworden ist, war ebenfalls da, doch will sie jetzt mit den drei Kindern nach Berlin fahren, weil der Mann darum gebeten hat. Er ist ja bei der Wehrmacht u. ist Gefreiter u. fühlt sich ganz furchtbar unglücklich. Es ist ein großer Entschluß, jetzt nach Bln. zu fahren.

     Sonst gestern nur an Fritz u. Pfr. Dobczynski geschrieben. Morgens sah ich vom Fenster aus die Volkssturmmänner nach Prerow fahren. Abends kam Richard u. erzählte, daß zwar alle Namen aufgerufen worden seien, daß aber niemand davon Notiz genommen hätte, wenn einer fehlte. Es haben außer mir noch einige andere aus anderen Dörfern gefehlt. Die Leute sind vereidigt worden u. dann ist, – nach Richard – eine Rede gehalten worden auf Horst Wessel mit dem Sinn, daß ein Deutscher, der bis jetzt noch nicht sein Leben gelassen hätte für den Führer, überhaupt noch nichts getan hätte. Heute früh hörte ich im Radio, daß der Führer eine Proklamation an die Volkssturmmänner erlassen hätte. Entweder hat Richard das nicht begriffen, oder die Proklamation ist bis dahin nicht bis Prerow gelangt.

[7]
Dienstag, 14. November 1944.     

     Am 8. November schwieg der Führer u. es wurde auch sonst von keiner Stelle der Partei Notiz genommen von diesem Tag. Am Sonntag den 12. Nov. fand die Vereidigung des Volkssturm in ganz Deutschland statt. Am Sonntagfrüh hörte man im Radio, daß der Führer eine Proklamation erlassen hätte, – aber was ich auch dann nicht schon am Sonntag hätte wissen können, wenn ich mit in Prerow zur Vereidigung gewesen wäre, das ist, daß diese Volkssturm-Vereidigung die vom 8. Nov. auf diesen Sonntag verlegte, nationale Feier bedeuten sollte, denn davon ist m. W. in Prerow nichts gesagt worden. Das wußten die Bonzen in Pommern auch nicht, wie sie auch noch nichts von der Führerproklamation wußten. Diese las man erst am Montag in der Zeitung u. man erfuhr, daß sie von Heinrich Himmler in München in Verbindung mit der dortigen Volkssturm-Vereidigung verlesen worden ist.

     Diese Proklamation ist ein umfangreiches Schriftstück, dessen Verlesung mindestens eine Stunde gedauert hat. Nicht Goering verlas sie, auch nicht Goebbels, sondern Himmler. Man hat den Eindruck, als sei sie rasch improvisiert worden, nachdem man bemerkt hat, wie niederziehend auf die Partei u. das ganze Volk Hitlers Schweigen gewirkt hat. Dieser Eindruck wird noch unterstrichen durch eine gleichzeitig erschienene Notitz des DNB, in der gesagt wird, daß alle Gerüchte über eine Erkrankung des Führers falsch seien, derselbe befinde sich bei bester Gesundheit. –

     In der Proklamation selbst versichert der Führer, daß er infolge vieler Arbeit keine Zeit zum Reden habe. – Nun, dieses umfangreiche Schriftstück abzufassen muß immerhin sehr viel mehr Zeit beansprucht haben, als seine Verlesung. Oder hat er es überhaupt nicht abgefaßt? – sind die Verfasser vielleicht Goebbels u. Himmler?

     Inhaltlich ist diese Proklamation erschreckend leer. Der Verfasser derselben unternimmt es mit keiner Silbe, irgendwelche Zukunftshoffnungen zu erwecken. Es wird mit keinem Wort zu erklären versucht, wie es diesem Volkssturm möglich sein soll, den alliierten Panzern erfolgreich entgegenzutreten, nachdem dies die Wehrmacht nicht kann. Es wird nicht gesagt, wieso der Westwall u. die von Frauen u. Mädchen im Osten hergestellten Panzergräben die zu erwartende Offensive der Gegner aufhalten soll, nachdem der Atlantikwall das nicht gekonnt hat. Es wird nicht gesagt, womit wir künftig verhindern wollen, daß eine Stadt nach der anderen in Schutt u. Asche sinkt u. alle Verkehrswege vernichtet werden. Aber es wird erzählt, daß unsere Niederlagen im Osten die Folge des Verrats unserer Verbündeten gewesen seien, obwohl jedermann weiß, daß es umgekehrt ist. Weil wir in entscheidender Stunde unterlegen sind, sind unsere Verbündeten von uns abgefallen. Und unsere Niederlage im Westen wird dem erstaunten Zeitgenossen als Folge der Generalsrevolte vom 20. Juli bezeichnet, obgleich in demselben [8] Schriftstück abermals die Geschichte aufgetischt wird, daß diese Revolte die Sache eines ganz kleinen Kreises von Offizieren u. Politikern gewesen sei.

     Dann aber fühlt der Verfasser sich veranlaßt, die grausame u. entehrende Hinrichtung durch den Strang zu rechtfertigen, indem er sagt, es habe sich dabei weniger um ein Attentat gegen das Leben des Führers, als um ein Attentat gegen die heilige Sache des deutschen Volkes gehandelt, u. er erklärt mit kalter u. verblüffend unverschämter Stirn, daß er, der Führer, sich stets äußerst großmütig gegen seine politischen Führer verhalten habe, insbesondere gegen Sozialdemokraten. Eine solche Behauptung verschlägt einem freilich den Atem. Es scheint also, als hätte es in Deutschland niemals Konzentrationslager gegeben, oder wenn doch, als wären diese nur Wohltätigkeitsanstalten. – Man weiß nicht, ob man sich über die Unverschämtheit einer solchen Behauptung mehr wundern soll, oder um die Würdelosigkeit, mit der dieser Kerl jetzt bei den Sozialdemokraten u. Kommunisten um gutes Wetter bettelt. – Das ist der Inhalt dieser Proklamation, die als einziges Positivum sonst noch auf Mussolini, auf Salaszi, den Ungarn, auf Dr. Tiso, den Slowaken u. auf den kroatischen Führer hinweist u. natürlich auf unsere tapferen Verbündeten, die Japaner. Was die uns aber helfen sollen, übeläßt er der Fantasie des Lesers. –

     Heute wurde nun bekannt, daß unser letztes Schlachtschiff „Tirpitz“ sein Leben ausgehaucht hat. Es ist nach mehreren Explosionen gekentert, nachdem es drei Volltreffer von Sechstonnen-Bomben bekommen hat. Erich Seeberg wird kaum noch Hoffnung haben, seinen Sohn Bengt wiederzusehen. Ich bin gespannt, wann man den Verlust dieses Schiffes dem Volke mitteilen wird. –

     Heute endlich etwas besseres Wetter, sodaß ich die Dahlien rausnehmen konnte. Sehr anstrengend. –

     Am Montag Bleistiftstudie für eine neue Landschaft: Meeresküste. – Am Montag Abend bekam ich einige Farben u. Pinsel von Herrn v. Perfall aus Berchtesgaden, endlich auch Mastix-Firnis. – So viele Farben wie jetzt habe ich in meinem Leben noch nicht besessen.

     Abends kam Erika Schimpf-Seeberg. Erich Seeberg ist wegen Bengt ganz fassungslos, er fällt von einem Weinkrampf in den anderen. Es tut mir außerordentlich leid. Von diesem Mann, der nie ein Opfer gebracht hat u. immer nur seinem persönlichen Vorteil gelebt hat, wird nun das Opfer seines Sohnes verlangt. Es ist hier sehr das Walten Gottes spürbar. – Es ist kaum Hoffnung, daß der Sohn gerettet sein könnte. Von der 1200 Mann starken Besatzung sollen sich etwa 80 Mann gerettet haben. Da die Katastrophe sich am Sonntag-Vormittag ereignete, muß Bengt als Pfarrer auch an Bord gewesen sein. Uebrigens ist der Verlust des Schiffes – allerdings in einer abschwächenden Form, – heute von deutscher Seite zugegeben worden. – An der Liegestelle der Tirpitz bei Tromsoe war überhaupt keine Flak vorhanden, nur die eigene Schiffsflak war tätig, sie fiel aber nach dem ersten Volltreffer aus. Das Schiff liegt jetzt kieloben auf dem Grunde des Fjordes, der Kiel ragt aus dem Wasser.

[9]
Freitag, 17. Nov. 1944.     

     Mittwoch Regen bei Nordwind, sehr kalt, sodaß im Garten nichts zu machen war, doch habe ich gestern u. heute gegraben, noch nicht ganz fertig. –

     Agnes Borchers kam gestern Abend ganz erschüttert zu mir ins Atelier, wo ich grade an Paul Küntzel einen Geburtstagsbrief schrieb. Gestern war die Verhandlung gegen ihren Mann, das Urteil lautete auf 9 Monate Gefängnis. Ueberaus hart in Anbetracht dessen, daß es sich um einen nie vorbestraften, unbescholtenen Mann handelt, der beste Führungszeugnisse aufweisen kann. Man zwingt solch einen Menschen zum Militär u. wenn er das nicht aushalten kann u. aus innerer Not auf Abwege gerät, dann kommt er ins Gefängnis. – Lange kann es aber nicht mehr dauern, damit habe ich Agnes getröstet. Seit gestern ist die ganze Westfront in Bewegung, es scheint jetzt die große Offensive los zu gehen.

     Auch Schweden scheint nun zum Schluß doch noch in den Krieg einzutreten. Seit Monaten sind die Beziehungen immer gespannter. Immer neue Schwierigkeiten wurden gemacht mit der Erzausfuhr. Die Lieferung von Kugellagern wurde ganz eingestellt, was für uns sehr schwerwiegend sein muß, nachdem unsere Kugellagerfabriken wohl alle durch Luftangriffe längst vernichtet sind. Dann wurde den schwedischen Schiffen überhaupt das Auslaufen verboten; aber seitdem Leningrad befreit ist, gehen schwedische Schiffe dorthin. Jetzt heißt es, daß das Handelsabkommen, welches bis 1.1.1945 läuft, von Schweden nicht erneuert worden sei. Gleichzeitig beschuldigen wir Schweden der Grenzverletzungen an der norweg. Grenze u. die Schweden tun umgekehrt dasselbe. Dazu kommt, daß die norweg. Exilminister in Stockholm waren u. von dort nach Moskau gereist sind. Ferner entwickeln die Engländer eine auffällige Aktivität vor der norweg. Küste, sie vernichten unsere Geleitzüge, vor einigen Tagen versenkten sie von 11 Schiffen neun. Auch haben sie unsere Verteidigungsanlagen bereits beschossen. Dazu die Vernichtung der Tirpitz. Das sind alles sehr bedrohliche Anzeichen, daß Schweden die Absicht hat, uns den Krieg zu erklären u. daß die Engländer eine Landung in Norwegen beabsichtigen. Damit würde sich das Angesicht des Krieges auf's Neue sehr zu unseren Ungunsten verändern, die Oeffnung der Ostsee wäre dann nur eine Frage der Zeit u. der Krieg wird sich dann auch an unserem vergessenen Gestade fühlbarer machen. Wie ich kürzlich hörte ist die Besatzung unserer Batterie in letzter Zeit erheblich verstärkt worden, man sagt sogar, verdoppelt. Vielleicht hat das darin seinen Grund.

     Walter Knecht ist nun doch endlich gestern hier eingetroffen.

Sonnabend, 18. Nov. 1944.     

     Gestern Nachmittag verabschiedete sich der Unteroffz. Beichler, er ist heute früh wieder zur ostpreuß. Front gefahren. Es war ein trüber Abschied. Bei seinem letzten Urlaub war er noch überaus zuversichtlich. Damals meinte er, der Vormarsch der Russen hätte garnichts zu bedeuten, es wäre nur unser Vorteil, wenn wir eine kürzere Front hätten. Jetzt aber war er sehr kleinlaut, denn inzwischen ist die Invasion an der Kanalküste gewesen u. die Angloamerikaner stehen vor unserer Grenze, oder haben diese überschritten. Er wußte nichts weiter zu sagen, als daß wir unbedingt siegen müßten, freilich konnte er mir nicht erklären, wie das geschehen solle. Wie ein kleines, eigensinniges Kind klammerte er sich an den Satz: [10] „wir müssen siegen“. – Er meinte, die Russen würden sonst ganz Deutschland vernichten. Es war wie das böse Gewissen eines Mörders, dem es nun selbst an's Leben geht. Ich erinnerte ihn an unsere Grausamkeiten gegen die Juden, die selbst heute noch nicht aufgehört haben u. an unsere Verwüstungen u. Morde in Polen + Rußland u. fragte ihn, ob er wirklich glaube, daß das alles ohne Strafe u. Vergeltung hingehen könne.

     Walter Knecht, der nun also wirklich gestern eingetroffen ist, hat von Holland bis hierher sechs Tage gebraucht, – so vernichtet sind alle Verkehrswege im Westen. –

     Heute wieder Regen u. Kälte bei Ostwind. Ich wollte den Garten fertig machen, doch war es unmöglich. Habe heute schon meinen Sonntagsbrief in Fritz geschrieben.

     Gestern Abend war Erika Schimpf-Seeberg bei mir. Sie hatte durch Vermittlung eines Onkels, der beim Marine-Oberkommando in Norwegen sitzt, die telephon. Nachricht, daß Bengt Seebergs Name nicht auf der Liste der Geretteten steht. Abends kam Erich S. Er machte einen sehr niedergedrückten Eindruck. Tragisch ist, daß sich Erich S. schon seit längerer Zeit bemüht hat, seinen Sohn von der Tirpitz weg zu bekommen u. dies war nun geglückt. Seit dem 10. November war er nach Kiel versetzt, doch ist die Durchgabe dieses Befehls irgendwie verzögert worden. Es ist typisch für S., daß er nun mit der Absicht umgeht, die Stelle verantwortlich zu machen, die die Verzögerung verursacht hat, u. das ist seiner Meinung nach ein Marinepfarrer.

Sonntag, 19. Nov. 1944.     

     Sehr schöne Andacht. Carmen Grantz, Frau de Breé, Grete, Martha u. Frau Krauss. – Nachher an Pfarrer Dobczynski geschrieben, von dem ich in dieser Woche ein kurzes Briefchen erhielt, lt. dem es ihm langsam besser geht, sodaß er jetzt nach fünfwöchentlicher Bettruhe einige Stunden aufstehen darf. Heute durfte er sogar zelebrieren. –

     An der Westfront ist nun die Offensive in vollem Gange. Im Raum Aachen haben wir Geilenkirchen verloren südlich Luxemburg haben die Amerikaner die deutsche Grenze überschritten u. im Gebiet von Metz wird gekämpft. Auch an der schweizer Grenze im Raum Belfort, wo Fritz liegt, sind schwere Kämpfe entbrannt, der Gegner soll dort 30 km. in den letzten beiden Tagen voran gekommen sein. An der Ostfront, mit Ausnahme bei Budapest, hält die unheimliche Ruhe immer noch an, aber bei Budapest wird schwer gekämpft. Die inneren Verhältnisse in Ungarn werden täglich gespannter. Auch bei uns nimmt der innere Verfall langsam zu, wenngleich das auch noch unsichtbar bleibt. Die Anzeichen des Verfalls machen sich vorerst in unseren auswärtigen Gesandtschaften bemerkbar, vor allem in Schweden, aber auch in Spanien u. Portugal. Im Augenblick sind in Europa überhaupt nur noch die Gesandtschaften in der Schweiz u. in Irland mit Gesandten besetzt.

     Der hl. Vater hat in Rom vor der polnischen Kolonie eine Rede gehalten über die grauenhafte Zerstörung [11] Warschaus. Diese Rede scheint unserer Regierung sehr unangenehm gewesen zu sein, denn sie behauptet, daß der hl. Vater diese Rede garnicht gehalten hätte.

     In Paris hat der kathol. Schriftstellerverband getagt u. hat den Grafen d'Ormisson zum Vorsitzenden gewählt. Dieser war früher Gesandter beim hl. Stuhl. Während der Besetzung Südfrankreichs durch die Deutschen hat er sich verborgen gehalten, zuletzt in einer Karthause in den Alpen als Mönch verkleidet. Diese französ. Katholiken werden vielleicht sehr viel zur Rettung des Christentums beitragen können, nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa, hoffentlich auch in Deutschland.

Montag, 20. Nov. 1944.     

     Gestern Nachmittag Herr + Frau Prof. Triebsch zum Kaffee bei uns. Oberflächliche Unterhaltung, aber dennoch ganz nett, denn die Frau ist ein sehr warmherziger Mensch, der Glaube verbindet uns mit ihr. Mit seinen Augen wird es immer schlechter. Obgleich er zwei Spezialbrillen aufsetzte u. eine große Lupe benutzte, konnte er meine Bilder, die ich ihm zeigte, kaum erkennen. –

     Die Franzosen sollen ganz im Süden der Westfront, an der schweizer Grenze, den Rhein erreicht haben. So fängt man also wieder an, sich um Fritz Sorgen zu machen. – Die Amerikaner haben Metz eingeschlossen, ein Teil der Stadt ist bereits in ihrem Besitz. An der ganzen übrigen Front wird schwer gekämpft. Im Raum Metz war bereits Volkssturm eingesetzt, einige Abteilungen desselben haben sich ergeben. Sie kämpften ohne Uniformen, mit Armbinden. Sie waren ohne besondere Ausbildung in den Kampf geworfen u. demonstieren nur jedem, der es noch nicht wissen sollte, daß wir auf dem letzten Loch pfeifen.

Dienstag, 21. Nov. 1944.     

     Gestern drei Briefe von Fritz vom 5. 11. u. 2 x v. 12. 11. Zu dieser Zeit hatte die Offensive noch nicht begonnen. Es ist jetzt der San-Feldw. Stegmiller bei ihm, ein Kaplan. Gott sei Dank! Fritz freut sich, daß er jemanden hat, an den er sich halten kann. Am 12. 11. war er mit Stegmiller beim Troß, um den Gerätewagen umzuräumen, da ja die Einheit jetzt auf Pferdebetrieb umgestellt ist u. eine sog. „Volksgrenadier-Division“ geworden ist u. am folgenden Tage wollte St. dort in der Kirche zelebrieren, woran Fritz teilnehmen wollte. Zum ersten Male schreibt er etwas über seine Hemmungen gegenüber der Kirche, ohne zu sagen, worin diese Hemmungen bestehen; aber es ist gut, daß er endlich überhaupt einmal derartiges ausspricht. – Mit seinem Stabsarzt scheint es nicht immer ganz zu klappen.

     Die Truppen, die dort an diesem Abschnitt von Belfort liegt, scheinen sehr wenig vertvoll zu sein. Gestern hat die 1. franz. Armee Belfort erobert u. ist längs der schweizer Grenze bis zum Rhein durchgestoßen. Wahrscheinlich sind wir von diesem Angriff überrascht worden, denn Fritz schrieb früher, daß dort nur Kolonialtruppen lägen u. man einen Angriff nicht erwartete. Deshalb scheinen auch bei uns Einheiten fortgenommen worden zu sein, um bei dem bedrohten Metz eingesetzt zu werden, natürlich ohne Erfolg, denn Metz dürfte [12] inzwischen in amerikan. Hand gefallen sein. Ich hoffe nur, daß Fritzens Einheit wirklich so minderwertig ist, wie ich annehme, sodaß alle rechtzeitig getürmt sind. Die Franzosen bedrohen nun Mühlhausen vom Süden her u. damit die ganze Flanke. Wenn nicht rechtzeitig Verstärkungen eingesetzt worden sind, dann kann das bedrohlich werden. Aber woher Verstärkungen nehmen, wo man schon bei Metz alle Kräfte braucht u. dort schon Volkssturm eingesetzt worden ist, der vorher ganze acht Stunden lang militärisch ausgebildet worden war. Auch von den anderen Frontteilen kann nichts fortgenommen werden, man braucht vielmehr überall Verstärkungen. Es ist ja schon so, daß man einzelne motor. Divisionen wie die Feuerwehr bald hierhin, bald dorthin schickt, wo es eben grade brennt; aber jetzt brennt es überall. Wenn es so weitergeht, kann der Zusammenbruch doch früher kommen, als man denkt.

     Im Osten herrscht weiterhin unheimliche Ruhe bis auf Ungarn, wo immer noch um Budapest stark gekämpft wird. Aber auch hier muß es bald zum Zusammenbruch kommen, nachdem in der ungar. Armee Zwiespalt herrscht u. einige Divisionen bereits übergegangen sind u. besonders, nachdem das ungar. Volk vom Kriege nichts mehr wissen will u. auch die höheren Offiziere nicht mehr mitmachen wollen.

     Von Otto Wendt bekamen wir gestern Nachricht, daß sein Sohn Hans im Westen vermißt ist, daß aber mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden darf, daß er unverwundet in englische Gefangenschaft geraten ist. – Otto Wendt sandte uns ein Verzeichnis seiner Wohnungseinrichtung u. sonstigen Besitzes zur Aufbewahrung.

     Gestern die neue Landschaft untermalt. Sehr farbig. Heute Nacht aufregend geträumt, sodaß Martha nebenan von meinem Stöhnen aufwachte u. mich weckte. Fühle mich heute nicht sehr wohl.

Donnerstag, 23. Nov. 1944.     

     Heute soll das Dorf wieder neue Einquartierung bekommen. Martha hat Betten u. Matratzen hergegeben, denn es fehlt überall am Notwendigsten. Vor allem ist keine Heizung da.

     Die Franzosen machen im Süden der Westfront rasche Fortschritte. Sie stoßen jetzt am linken Rheinufer nach Norden u. sollen bereits Colmar erreicht haben. Ich habe nur wenig Hoffnung, daß Fritz aus dem bei Belfort entstandenen Kessel herauskommen wird. Auch sonst wird an allen Teilen der Westfront erbittert gekämpft, sodaß nirgends Truppen abgezogen werden können. Diese Schlacht links des Rheines wird von allergrößter Bedeutung sein. Die Gegner sind uns zahlenmäßig weit überlegen, aber ihre materialmäßige Ueberlegenheit läßt sich kaum in Superlativen ausdrücken. Unser Vorteil ist das schlechte Wetter, die aufgeweichten Wege, Schlamm u. Morast; aber unsere strategische Lage ist sehr ungünstig. Wir stehen mit dem Rücken gegen den Rhein, sodaß der ganze Nachschub pausenlos unter dem Bombenhagel aus der Luft liegt, gegen den wir fast nichts unternehmen können. Die Zerstörung dieser Verbindungen wird dabei erst dann voll einsetzen, wenn sich die ersten Anzeichen unseres Rückzuges bemerkbar [13] machen werden.

     Gestern Abend packten wir das Weihnachtspäckchen für Fritz, das 1 kg. wiegen darf. Es war, wie wir nachher feststellten, natürlich viel zu schwer. Er wünschte sich so sehr seine Brille, da er seine andere gute Brille in Paris zur Reparatur zurückgelassen hat u. wohl nie mehr wiedersehen wird. Nach dem Bericht von gestern Abend werden wir aber die Brille doch wieder herausnehmen, denn es scheint sehr unwahrscheinlich, daß Fritz dieses Paket je erhalten wird, u. dann hat er überhaupt keine gute Brille mehr. –

     Gestern war mir den ganzen Tag nicht recht wohl, nachdem ich in der Nacht vorher beängstigende Träume gehabt hatte. Ich versuchte, zu malen, aber es wurde nichts. Auch brannte der Ofen nicht an.

     Gestern erhielt ich von dem Buchdrucker Heinrich Schwirkus Briefbogen, die er mir als Gegengabe gegen eine ihm geliehene Meerschaumpfeife mit Bernsteinmundstück angefertigt hat. Herr Sch. wohnt in Haldensleben. Das Papier ist noch sehr anständig u. ist recht gut gedruckt: „Martha Brass. Ahrenshoop“. Ich will es Martha zu Weihnachten schenken. Eine noch recht gute Armbanduhr habe ich schon von dem Silberschmied Krause.

Freitag, 24. November 1944.     

     Gestern Abend Besuch von Prof. v. Walter aus Köln, Bruder von Mariechen Seeberg. Er ist Witwer u. hat in Köln anstatt der Lebensmittelkarten einen Ausweis erhalten, daß er evakuiert sei mit seinen vier oder fünf Kindern. Wohin er gehen wollte, wurde ihm freigestellt. So ist er hierher gekommen, um seinen 15 jähr. Sohn bei seiner Schwester unterzubringen, die anderen Kinder sind schon an zwei verschiedenen Orten untergebracht. Er selbst weiß noch nicht genau, wo er bleiben wird. – Er ist Konvertit u. seine Frau ist dann ebenfalls katholisch geworden. Sie ist an Lungentuberkulose gestorben u. scheint während des langen Krankenlagers ein besonders gläubiges Leben geführt zu haben. Er zeigte mir ein Heft, in welchem sie neue Gesetze des Rosenkranzes aufgeschrieben hat, für jeden Wochentag ein Gesetz mit einer Betrachtung voraus, jede Seite mit sehr hübschen Vignetten farbig geschmückt, ein wirkliches kleines Kunstwerk. – Er möchte den Sohn in Ribnitz unterbringen, damit er dort zur Schule geht u. zum Wochenende dann immer hierher zur Tante kommen kann. – Wir besprachen alle Möglichkeiten, auch mit Müritz u. Barth. – Er bat mich, meine Bilder sehen zu dürfen u. war besonders vom Kopf des Pfarrers von Ars sehr berührt. Er ist offenbar ein sehr tiefgläubiger Katholik, schade, daß er nicht hier bleibt. Er liest an der Universität in Köln über slawische Philosophie.

     Gestern hieß es, daß die Franzosen den Stadtrand von Straßburg erreicht hätten. Die Hoffnung, daß Fritz da herauskommt, ist sehr gering. Heute machten wir sein Weihnachtspaket fertig, ich glaube nicht, daß es ihn erreichen wird.

Sonnabend, 25. Nov. 1944.     

     Gestern Nachricht von Fritz, datiert vom 14./15. Nov. Die Ereignisse künden sich an. Er schreibt von einem Durchbruch der Franzosen im Nachbarabschnitt, seine Truppe liegt alarmbereit u. marschfertig. Leider schreibt [14] er auch von der immer noch nicht beseitigten Spannung zwischen ihm u. dem Stabsarzt, die sich zu seinem Nachteil auswirkt, indem er zur Kompanie versetzt werden soll, wo er dann nur die Funktion eines Krankenträgers auszuüber hätte u. als solcher jederzeit als Schütze eingesetzt werden kann. Auch ist er als Krankenträger sehr gefährdet. Es scheint, als wäre seine Truppe schon im Marsch, denn er berichtet, daß der Stabsarzt, die beiden Feldwebel u. er nun laufen müßten, anstatt zu fahren u. daß sie weiße Stahlhelme aufhätten u. über Brust u. Rücken weiße Tücher trügen mit dem Roten Kreuz. – Die Hoffnung, daß Fritz herausgekommen sein könnte, ist sehr gering, denn gestern Abend hieß es, daß die Franzosen bei Zabern durchgebrochen seien u. Straßburg erreicht hätten u. daß die südliche Zange entlang dem Rhein nach Norden vorstieße u. Schlettstadt erreicht hätte. In dem so gebildeten Kessel wären an 50000 Soldaten gefangen. Unter diesen muß sich dann auch Fritz befinden. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß dieser Kessel von Norden her, aus dem Saarland gesprengt werden kann denn die Franzosen sind gemeinsam mit Amerikanern auch dort im Vordringen in Richtung deutsch-lothring. Grenze. – Im Raume Aachen geht die mörderische Materialschlacht unentwegt weiter u. muß schließlich zum Zusammenbruch unserer Front führen.

     Gestern Abend war wie jetzt jeden Freitag Erich S. mit seinem Sohne Ando da. Erich S. macht sich Vorwürfe, daß er zu wenig Energie aufgewendet hätte, seinen Sohn Bengt von der Tirpitz zu holen u. er möchte sich an dem Marinedekan rächen, der die Verzögerung verschuldet hat. Besser wäre es freilich, wenn er sich Vorwürfe machte, daß er nicht nur seinen Sohn Bengt verloren hat, sondern auch Ando, u. zwar infolge des Widerspruchs seines persönlichen Lebens u. seiner Theologie. Es ist schrecklich, zu sehen wie dieser Mann diesen Verlust erleidet ohne jede Spur von Ergebenheit an Gottes willen u. ohne Reue über sein Leben, dessen Schuldhaftigkeit er anscheinend garnicht erkennt. –

     Gestern Abend wieder Rosenkranz: Frau Krauss, Frau de Breé u. die Nachrichtenhelferin.

Montag, 27. Nov. 1944.     

     Gestern zur Andacht war Prof. v. Walter zugegen. Am Sonnabend Vormittag hatte er mir eine Schreibmaschinen-Abschrift des Rosenkranzes seiner verstorbenen Frau gebracht, für jeden Wochentag ein Gesetz: Montag das gewöhnliche freudenreiche Geheimnis, Dienstag „die lehrreichen Geheimnisse“ von Edith v. W selbst verfaßt, Mittwoch desgleichen „die trostreichen Geheimnisse, Donnerstag desgl. „die gnadenreichen Geheimn.“ Freitag die gewöhnlichen schmerzhaften Geheimnisse, Samstag „die tränenreichen Geheimnisse“ v. E. v. W. u. Sonntag die gewöhnlichen glorreichen Geheimnisse. Diese Gebete sind wirklich sehr schön, ganz echt im Stil, sodaß keine Differenz vorhanden ist zwischen den gewöhnlichen u. den neuen Gesetzen. Desgleichen gab mir Prof. v. W. eine von ihm selbst für die gegenwärtige Zeit verfaßte Bitt=Litanei, die ebenfalls sehr schön ist u. die wir von jetzt ab jeden Freitag beim Gebetsabend beten werden. –

     Gestern Nachmittag waren die beiden Soldaten [15] Gefr. Maaß (Studienrat) u. sein Kamerad bei uns.

     An den Fronten keine neuen Veränderungen. Die ganzen gegenwärtigen Kämpfe sind immer noch Vorbereitung auf die eigentliche Entscheidung. Auch im Osten ist es nach wie vor ruhig.

     Gestern an Fritz u. Ruth Geburtstagsbriefe geschrieben, sowie an Pfr. Dobczynski.

     Heute Morgen den Garten fertig umgegraben. Es regnet zwar viel, aber es ist nicht kalt.

     Von unserer Seite wird behauptet, daß es uns gelungen sei, die an den Rhein vorgeprellten Franzosen von ihren rückwärtigen Verbindungen abzuschneiden. Da heute vom Verbleib dieser Franzosen nichts gesagt worden ist, gewinnt das eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Dann wären also unsere Truppen nicht abgeschnitten u. es besteht Aussicht, daß Fritz herauskommt, bzw., daß die Truppen dort verstärkt werden könnten. Aber woher soll die Verstärkung kommen?

     Der Gefr. Maaß berichtete, daß seine Familie, die Frau mit 4 Kindern, ihre Heimatstadt an der holländ. Grenze verlassen hätten. Sie sind auf Fahrrädern 150 km. bis Westfalen gefahren in vier Tagen u. sind wohlbehalten dort angekommen. Auch wir in Ahrenshoop haben weitere Einquartierte bekommen u. es sollen noch mehr kommen, obgleich alles voll ist. Auf der Dorfstraße wimmelt es von Kindern.

Dienstag, 28. Nov. 1944.     

     Zum ersten Male höre ich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit der Wahrheit, daß ein Bonze öffentl. ausgepfiffen worden ist. Geschehen ist es in Oesterreich. Dort hat der Bonze Gauleiter Baldur v. Schirach, selbst noch ein grüner Lümmel, eine an die Front gehende sog. Volksgrenadier-Division verabschiedet. Er hat seine Rede mit der Versicherung begonnen, daß er selbst gar zu gerne mit dieser Division an die Front gehen würde, daß ihn aber leider seine Amtsgeschäfte daran hinderten. Erfolg dieses Bekenntnis war schallendes Gelächter der Soldaten, mit allerhand Zurufen untermischt. Schießlich mußte der Herr Gauleiter seine Rede abbrechen, weil die Zurufe zu doll wurden. –

     An den Fronten immer noch keine wesentlichen Veränderungen, nur sehr langsame Fortschritte der Alliierten.

Mittwoch 29. Nov. 1944.     

     Gestern Abend Walter Knecht. Seine Stotterei ist fatal. Interessieren tat mich nur, daß er mir auf meine Frage sagte, es gäbe an der Front keine Nationalsozialisten, man dürfe davon nicht einmal sprechen. So ähnlich sprach auch neulich der Unteroffz. Beichler. – Ferner schilderte er die Kampftaktik der Amerikaner. Sie trommeln mit Artillerie u. Fliegern u. schicken dann einen kleinen Stoßstrupp vor. Wenn dieser Feuer erhält, geht er sofort wieder zurück u. die Trommelei beginnt von Neuem. Auf diese Weise kommt er zwar nur langsam voran, aber er spart Menschen. Seine Ueberlegenheit an Material ist so groß, daß jeder unserer Soldaten die Aussichtslosigkeit dieses Kampfes begriffen hat.

[16]
Donnerstag, 30. Nov. 1944.     

[16]      Mit der Abschnürung der Franzosen ist es nichts, es wird von uns nichts mehr davon gesagt, – u. was würde man für ein Geschrei machen, wenn es wahr wäre! Aber nach engl. Berichten ist im Gegenteil unsere 19. Armee so gut wie abgeschnitten, – u. da wird wohl Fritz dabei sein. – Wir haben ihm drei Weihnachtspäckchen gesandt, zuerst das eigentliche, dann noch einige Bücher für Feldw. Stegmiller für eine Zulassungsmarke, die Fritz extra sandte u. heute nochmals Bücher mit einer Zulassungsmarke, die uns Frau Dr. Müller-Bardeg überließ. Ich glaube aber nicht, daß er etwas davon erhalten wird. –

     Die Materialschlacht im Westen geht pausenlos weiter. Wie lange werden wir das aushalten? Es ist dort von uns schon viel Volkssturm eingesetzt, schlecht ausgerüstet u. noch schlechter ausgebildet. – Die Russen haben eine neue Offensive entlang der ungarisch-jugoslawischen Grenze begonnen, sie haben die Donau dort überschritten u. Fünfkirchen erobert. – Churchill, der heute 70 Jahre alt wird, teilte gestern im Unterhause mit, daß der Hafen von Antwerpen wieder benutzbar ist u. bereits von großen Uebersee-Dampfern angelaufen würde.

     Meine neue Landschaft – Meeresküste – wird sehr gut, doch hat sich heute kurz vor dem Abschluß ein Knoten gebildet. Ich hoffe, er wird sich morgen lösen lassen.