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TBHB 1945-02

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Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1945-02
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Entstehungsdatum: 1945
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Originaltitel: Februar 1945
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom Februar 1945
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Einführung

[Bearbeiten]

Der Artikel TBHB 1945-02 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Februar 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 22 Seiten.

Tagebuchauszüge

[Bearbeiten]
[1]
Donnerstag, 1 Februar 1945.     

[1]      Gestern Abend war wieder starke Beteiligung am Vortrag, es waren wieder einige Neue da. Obgleich das Thema: Priesterweihe u. Ehe, nicht gerade Gelegenheit gab zu besonders interessanten Betrachtungen, war doch das Interesse bei allen Hörerinnen überraschend groß, sodaß sie nachher garnicht wieder weggehen wollten. Besonders Frau Lucke, die Tochter von Pastor Loeber u. junge Witwe eines gefallenen protestant. Pastors war überaus interessiert.

     Heute wieder Nachricht von Fritz, Brief Nr. 2. v. 12.1. Demnach liegt er am Kaisersberg, zwar vorn, aber doch in Ruhe. Sie warten auf ein Marschbataillon aus der Heimat zur Auffüllung. An Urlaub ist nicht zu denken.

     Frau Dr. Scheid scheint nun Marianne Clemens doch überredet zu haben. Hoffentlich wird es nicht ihr Unglück. –

     Von Eva bekam ich zwei Karten als Brief u. Antwort auf meinen Brief. Sie gibt wenigstens insofern Aufklärung über den Mann, als sie schreibt, daß er Naturwissenschaftler ist, ein Mann von scharfem Verstand, aber auch Träumer.

     Heute ist Südwind, Tauwetter, Regen, furchtbarer Matsch. Schnee vom Dach der Bu Stu. geschippt, die im übrigen schwimmt.

     Die Russen stehen 35 km. vor Frankfurt, nördlich davon u. nördlich Küstrin sollen sie die Oder erreicht haben im Vormarsch auf Stettin. Ein Widerstand östlich der Oder scheint nun nicht mehr möglich.

     Heute wieder die 3 Jungens zum Religionsunterricht.

[1]
Freitag, 2. Febr. 1945.     

[1]      Gestern erhielt ich noch von Fritz ein schönes Buch gesandt: „Die Kölner Bibel“, aus dem Piper-Verlag. Er hatte es bei einem Besuch im Alsatia-Verlag in Kolmar aufgetrieben. Abends riß im Radio die Schnur, welche die Einstellung bewirkt. Paul u. ich nahmen den Apparat auseinander u. es gelang uns, den Schaden durch Einsetzung eines Zirnfadens zu beheben. Ich fürchte freilich, daß das nicht lange halten wird. Da gegen 8 Uhr das Licht versagte u. für den Abend nicht mehr anging, hätte ich gestern abend so wie so Nachrichten nicht mehr hören können. – Am Abend verabschiedete sich noch Marianne Clemens kurz.

[2]
Sonnabend, 3. Febr. 1945.     

     Gestern Nachricht von Fritz vom 20, 21, 22. Jan. Zu dieser Zeit lag seine Einheit immer noch in Ruhestellung u. vom Osten scheint er bis dahin noch keine Nachricht bekommen zu haben, die den wahren Ernst der Lage erkennen ließ, denn er schreibt nur davon, daß „der Druck im Osten doch beachtenswert“ sei. Sein Brief trägt die Nr. 4., er hat also zwischendurch keinen anderen Brief geschrieben. – Sein Verhältnis zum Stabsarzt hat sich gebessert. Dieser hat ihm gesagt, daß er an sich schon bereit sei, ihm den San.=Dienstgrad zu geben, daß er aber befürchtet, Fritz dann endgültig zur Kompanie abstellen zu müssen u. Fritz sei den Bedingungen im Graben doch nicht gewachsen. Damit hat der Stabsarzt durchaus recht u. Fritz soll ruhig Gefreiter bleiben. Am 21.1. vermerkt Fritz dort verstärkten Feinddruck. Trotzdem wird seine Einheit immer noch nicht zur Wiederauffüllung zurückgezogen. –

     Außerdem kam gestern ein großes Expreßgut von Fritz mit allerhand gutem Inhalt, u. a. ein kleiner Schinken. Auch die Pumpe brachte Richard gestern endlich zurück. Wir müssen nun versuchen, Drews zu bekommen, damit er sie einbaut.

     Gestern wurde bekannt, daß die Franzosen Kolmar eingenommen haben; also muß Fritzens Einheit nun ja von dort fort sein. Feldw. Stegmiller scheint ja bis zuletzt in Kolmar gewesen zu sein. Hoffentlich ist alles gut gegangen.

     Im Osten gehen die Dinge etwas verlangsamt weiter, hauptsächlich im Raume östlich vor Frankfurt u. Küstrin, wo eine Panzerschlacht im Gange sein soll u. dann auch in Richtung auf Stettin. An diesem Teile der Front werden die Russen weniger Schwierigkeiten mit dem Nachschub haben, weil sie ja schon vor ihrer Offensive eine Etappenlinie bis nach Warschau besaßen. Im Süden wird es damit schwieriger sein u. der Angriff muß hier zunächst eine Pause machen. –

     Es heißt seit gestern Abend, daß die Lebensmittel=Zuteilungsperiode um eine Woche verlängert werden soll, d.h. also, daß es für eine ganze Woche weder Brot noch Mehl noch sonst irgendwelche Lebensmittel geben wird. Damit steht nun also das Gespenst des Hungers plötzlich unmittelbar vor uns. Möglicherweise bricht damit die ganze Organisation der Lebensmittel=Verteilung in sich zusammen u. es wird jedem überlassen bleiben, wie er sich Nahrung verschafft. Dann können wir, die Herr Hitler mit „Strohköpfe“ bezeichnet hat, sehen, wie wir weiterkommen. –

     Gestern Abend Erich Seeberg. – Paul will seine Schwester hierher holen, wie auch Eva, – aber es erscheint zweifelhaft, ob das noch möglich sein wird. –

     In der kommenden Woche wird nun wohl die entscheidende Konferenz zwischen Roosevelt, Churchill u. Stalin stattfinden, möglicherweise hat sie heute bereits begonnen. Dies wird die wichtigste Konferenz des ganzen Krieges sein, in der die endgültigen Entscheidungen getroffen werden. Man wird aber kaum etwas Genaues über diese Entscheidungen hören. Auch der Krieg gegen Japan wird zur Debatte stehen. Die Amerikaner sind im Anmarsch auf Manila u. wenn sie, was kein Zweifel ist, die Philippinen wieder erobern, dann werden die [3] japan. Heeresverbände, die jetzt in Burma stehen, von der Heimat abgeschnitten sein, denn auch die Burma-Straße ist seit einiger Zeit bereits wieder im Besitze der Engländer. Es steht also sehr schlecht um die Japaner. Hauptsächlich wird sich jedoch diese Konferenz um das Schicksal Deutschlands drehen u. es werden nun die Differenzen zwischen England u. Rußland u. Amerika in ein kritisches Stadium treten. Diese Differenzen dürften jetzt der letzte Aktivposten sein, den Deutschland für sich verbuchen kann.

Sonntag, 4. Februar 1945.     

     Heute die Andacht wieder stark besucht.

     Gestern schwerer Luftangriff auf Berlin in der Mittagsstunde. Es soll der schwerste Angriff gewesen sein, den Bln. bisher erlebt hat. Der Angriff richtete sich gegen die Innenstadt, vor allem gegen Bahnhöfe, Regierungsgebäude usw. –

     Gestern Abend Günter Schulz, der in der gewohnten, unerträglichen Weise über alles schwätzte.

     Im Westen, im Raum Monschau – St. Vith, scheinen schwere Kämpfe im Gange zu sein, offenbar für die Engländer erfolgreich. Ich erwarte, daß nunmehr auch hier der Zusammenbruch bald erfolgen wird.

     Im Osten stehen die Russen 8 km. vor Küstrin u. 10 km. vor Frankfurt. Sonst scheint sich nichts Besonderes ereignet zu haben.

Montag, 5. Februar 1945.     

     Gestern am Spätnachmittag kam das Ehepaar Ziel. Beide waren sehr unglücklich über die törichte Abreise ihrer Tochter Marianne, besonders der Mann. Er bemühte sich, sich zu beherrschen, aber er weinte immer wieder. Sie kamen wohl zu uns, um bei uns etwas Trost zu suchen u. baten uns inständig, doch gelegentlich zu ihnen zu kommen.

     Das ganze Dorf ist verrückt geworden wegen dieser Abreise. Alle wollen nun weg u. sind wütend u. erbittert, daß sie nicht fort können. Dazu geht das Gerücht, daß wir alle evakuiert werden sollen, was aber wohl Unsinn ist, denn heute früh wurde drüben bei Saatmann der Lebensmittelverkauf gesperrt, weil heute 120 neue Flüchtlinge hierher kommen sollen. Hoffentlich wird man nicht auch uns welche geben.

     Seit drei Tagen haben wir keinen Telephonanschluß nach außerhalb mehr. Es heißt, die Leitung wäre gestört, aber die Post, die Gemeinde u. die Batterie haben Anschluß, er kann also nicht gestört sein.

     Der Luftangriff aus Berlin am Sonnabend muß sehr schwer gewesen sein. Alle Bahnhöfe sind schwer getroffen worden, Reichskanzlei, Luftfahrministerium, Propagandaministerium, Wehrmachtministerium sollen alle Volltreffer erhalten haben. Der Verschiebebahnhof Tempelhof, auf dem besonders viele Güterzüge nach der Ostfront standen, soll stark zerstört sein, – wieder Ausfall von vielen Hunderten von Güterwagen. Diese Angriffe werden sich jetzt wiederholen u. vielleicht noch steigern, denn Bln. liegt nun ja unmittelbar hinter der Ostfront u. ist der bedeutendste Kotenpunkt. [4] Heute scheint die große Konferenz zwischen Roosevelt, Churchill u. Stalin begonnen zu haben.

     Es herrscht große Nervosität. Die Regierung bekämpft jetzt schon den großen Propagandakrieg, der von dieser Konferenz gegen uns ausgehen soll u. das Geschrei ist groß: wir werden niemals kapitulieren, das deutsche Volk von 1945 ist nicht das von 1918, usw. – Diese Abwehr ist gefährlich u. dumm, denn damit gesteht man ja ein, daß wir da stehen, wo wir 1918 standen. –

     Im Osten scheint die Atempause anzuhalten, dafür nehmen die Kämpfe im Westen zu, besonders östlich von Monschau. Es heißt, daß wir zwei Armeen vom Westen nach dem Osten geworfen hätten, sodaß also der Widerstand im Westen weiterhin geschwächt ist.

     Gestern Abend versuchte Paul, mir die „Meistersinger“ nahe zu bringen, jedoch erfolglos. Ich empfinde diese endlosen, gesungenen Dialoge einfach als langweilig.

Dienstag, 6. Februar 1945.     

     Martha ist liegen geblieben, sie sah schon seit einigen Tagen nicht gut aus. Es wird eine Grippe sein, doch scheint es nicht gefährlich zu sein.

     Gestern sollen 120 Flüchtlinge neu ins Dorf gekommen sein, – ich habe aber nichts davon bemerkt.

     Die Amerikaner sind in den letzten Tagen in Manila eingedrungen. Sollte es ihnen gelingen –, u. daran ist ja nicht zu zweifeln –, diesen großen Hafen als Stützpunkt zu gewinnen, dann ist es mit Japan endgültig vorbei. – Es ist erstaunlich, mit welcher Energie die Amekaner diesen Krieg in Ostasien führen u. zugleich den gegen Deutschland. Um so größer leuchtet die verbrecherische Narrheit Hitlers hervor, der sich einbildete, die ganze Welt besiegen zu können u. sich damit brüstete, „alle Möglichkeiten von vorn herein einkalkuliert“ zu haben. Es scheint so, als rücke nun auch unser Zusammenbruch im Westen näher, wenigstens ist den Anglo-Amerikanern ein bedeutender Einbruch in den Westwall in der Gegend östlich St. Viet gelungen.

     General v. Seydlitz hat wiederum einen Aufruf an Volk u. Wehrmacht von Moskau aus gehalten u. zur Revolution aufgerufen; aber wie sollen wir das? Noch hat Himmler die Waffen in der Hand u. es fehlt an jeglicher Organisation, die noch unmöglich ist. Die Russen haben inzwischen rechts u. links von Küstrin die Oder erreicht u. haben auch im Raume Königsberg einige Fortschritte gemacht, doch sind das nur taktische Erfolge. Die Atempause hält sonst im Osten noch an. Auch in Budapest hält sich immer noch ein kleiner Rest der Besatzung auf der Burg.

     Von der großen Dreierkonferenz ist nichts zu hören, außer unserer Gegenpropaganda, die sehr nervös ist u. die die Angst erkennen läßt, die unsere Regierung vor einer politischen Aktion dieser Konferenz hat u. die sie im Sinne der 14 Punkte Wilsons im Jahre 1918 von ihr erwartet wird.

Mittwoch, 7. Februar 1945     

     Ueber die Dreierkonferenz wird im Rundfunk gesprochen, aber nicht von amtlicher Regierungsseite. Auch wird nicht gesagt, wo sie tagt.

     Gestern wurde um 1/2 1 Uhr der Strom abgeschaltet u. kam erst gegen 6 Uhr wieder, auch dann nur sehr schwach. [5] Die Folge war, daß bei uns das Mittagessen ausfallen mußte. Ich benutzte diesen langen „Vormittag“, den ich bis 4 Uhr Nachm. ausdehnte, um meine neue Vortragsreihe über das Lukas-Evangelium vorzubereiten. Heute Abend halte ich den letzten Vortrag über Dogmatik, von den letzten Dingen. Vielleicht wird die alte Frau Ziel wieder kommen, sie u. Frau Korsch haben wenigstens die vorhergehenden Vorträge des vorigen Jahres gehört. Es kommt mir dumm vor, diese letzten Vorträge über Dogmatik vor lauter Hörerinnen zu halten, welche die meisten Vorträge nicht gehört haben u. denen darum die Vorbedingungen zum Verständnis fehlen; aber es scheint ja so, als interessierte es die Damen trotzdem.

     Die Russen haben oberhalb Breslau die Oder in 80 km. breiter Front überschritten u. wollen stellenweise 20 km. weit vorgedrungen sein. Wenn es stimmt, dürfte die Atempause beendet sein. Sie wäre dann sehr kurz gewesen. Die Anglo-Amerikaner stoßen weiter in den Westwall vor.

     Martha geht es heute besser. Sie ist aufgestanden u. will heute Vormittag Verkauf machen, da der Mittwoch als Verkaufstag eingerichtet ist.

Donnerstag, 8. Febr. 1945.     

     Gestern waren wir den ganzen Nachmittag ohne Strom, der erst um 10 Uhr abends wieder anging. Heute früh ebenfalls ohne Strom, erst 10 Uhr vorm. ging er wieder an. Auf diese Weise hört man kaum noch Nachrichten. Wenn der Strom gänzlich eingestellt werden wird, kann es passieren, daß die Russen eines Tages vor der Türe stehen, ohne daß wir es ahnen.

     Der Bürgermeister von Bromberg u. der Kreisleiter sollen erschossen worden sein, weil sie vor den Russen ausgerissen sind, es ist aber weithin bekannt, daß fast alle Nazi-Bonzen aus dem Osten längst ausgerissen sind. Auch in Königsberg soll es so sein. So auch Herr Johow, der zu Anfang des Krieges hier stets in SA-Uniform herumstolzierte u. auf der Straße alle Männer in Civil anpöbelte, warum sie nicht an der Front wären. Er selbst war allerdings während des ganzen Krieges nie an der Front, sondern er hatte irgend einen schönen Druckposten in Posen. Dort ist er sofort ausgerissen, als die Russen kamen u. nun sitzt er hier herum. Er ist nicht einmal Volkssturmmann bisher gewesen, erst hier ist er, wie ich gehört habe, dazu erfaßt worden.

     Unser Mittwoch-Vortrag fand gestern bei Petroleumlicht statt. Da es sehr stark regnete, war die Beteiligung gering, nur Frau Korsch, Frau Ziel, Grete u. Martha. Es war der letzte dogmat. Vortrag über die Letzten Dinge u. es war ganz gut, daß all die Neuen nicht da waren, sondern nur Frau Korsch u. Frau Ziel, die ja alter Stamm sind. Nun kann die Vortragsreihe über Lukas frisch beginnen.

     Martha hatte gestern Verkauf. Es geht ihr besser. Sie hörte schreckliche Dinge vom Elend der Flüchtlinge aus dem Osten. Die Leute haben oft nichts Anzuziehen, dabei liegt das Gemeindeamt voll von Spenden für das sog. „Volksopfer“.

[6]
Freitag, 9. Febr. 1945.     

     Endlich hat man angefangen, die Stromzufuhr zu regeln. Früh um 7 Uhr wird gesperrt, um 10 Uhr soll es wieder Strom geben, damit man Essen kochen kann, dann wird wieder gesperrt bis 7 Uhr Abends. Aber schon gestern klappte es nicht, indem es erst von 8 Uhr an Abends Strom gab, bis dahin sitzt man im Dunklen. Wir stehen nun eine Stunde früher auf, damit wir vor 7 Uhr früh noch das Frühstück fertig machen können.

Amtlich ist nun von engl. Seite bekannt gemacht worden, daß die Dreierkonferenz tagt, u. zwar "im Raume des Schwarzen Meeres". Eines der engl. Flugzeuge dorthin ist verunglückt, wobei 15 Personen ums Leben gekommen sind, lauter Beamte des auswärtigen Amtes, die zur Konferenz unterwegs waren. Man hat unwillkürlich den Eindruck, als handele es sich um einen Sabotage=Akt u. atmet erleichtert auf, daß es nicht das Flugzeug von Churchill oder Roosevelt war. –

     Gestern Abend Fliegeralarm. Starke Verbände flogen über uns ein, anscheinend in östl. Richtung. Es wurde erst gegen 1 Uhr Nachts entwarnt. Ich hörte auch starken Kanonendonner aus der Richtung Kiel. –

     Die Atempause im Osten hält weiterhin an. Nur aus ihrem Brückenkopf südöstl. Breslau greifen die Russen an, sowie bei Küstrin u. Frankfurt, wo sie Fortschritte gemacht haben. Sie wollen wohl diese beiden Städte unbedingt nehmen, ehe der letzte Stoß erfolgt. Auch in Pommern u. Ostpreußen wird gekämpft, aber diese Kämpfe haben mehr örtlichen Charakter. – Im Westen wird ebenfalls gekämpft, doch sind es auch dort Kämpfe, die vorbereitenden Charakter haben.

     Heute ist es eine Woche her, daß wir von Fritz die letzte Nachricht hatten. Man ist immer in Sorge.

     Gestern brachte uns Frau Ziel einen langen Brief von ihrer Tochter Marianne Clemens mit der Beschreibung ihrer wahrhaft abenteuerlichen Reise nach Hamburg. Sie ist aber gut dort angekommen. – Paul hatte eine Karte von seiner Schwester, die dem furchtbaren Angriff auf Berlin glücklich entronnen ist. –

     Vor einigen Tagen erzählte mir Frau Korsch etwas sehr Wichtiges. Ihr Mann hat gute, persönliche Beziehungen zur finnischen Gesandtschaft. In diesen Tagen ist nun ein Finne nach Bln. gekommen u. hat ihm über das Leben dort berichtet. Er hat gesagt, daß es allen Menschen dort sehr gut geht, ja, daß es ihnen seit vielen Jahren nicht mehr so gut gegangen wäre. – Das entspricht genau dem, was ich stets behauptet habe, aber es ist das genaue Gegenteil von dem, was unsere gewissenlose u. verbrecherische Propaganda behauptet. Für diese Halunken darf es natürlich keine anständigen u. gesitteten Russen geben u. es wird in der gewissenlosesten Weise das Blaue vom Himmel gelogen, um im Volke Furcht u. Schrecken vor den Russen zu verbreiten. Lieber sollen die Menschen das grauenvolle Elend eines Flüchtlingsdaseins auf sich nehmen, wobei Tausende elend zugrunde gehen, als daß sie ruhig in ihren Wohnungen bleiben, wenn die Russen kommen. Aber das furchtbare Elend dieser Flüchtlinge ist so groß u. für jedermann sichtbar, daß es jetzt schon viele Menschen gibt, die sagen, sie wollten sich dann lieber von den Russen töten lassen. – Auffällig ist aber, daß seit dieser letzten großen Offensive der Russen keine Gräuelmärchen mehr verbreitet werden.

[7]      Gestern hieß es, daß der Vorsitzende des sog. Volksgerichtshofes Freißler beim letzen Bombenangriff auf Bln. umgekommen sei. Heute schon erzählt man sich, er sei zu Beginn des Angriffs auf dem Wege zum Bunker von unbekannten Männern ergriffen u. aufgehängt worden. Ob das zutrifft, weiß ich natürlich nicht, auf jeden Fall ist er tot u. wenn das Gerücht über seine Todesart auch nicht zutreffen sollte, so zeigt es doch, welche Todesart man im Volke diesem Manne wünscht, der verantwortlich ist für die Hinrichtung von Generalfeldmarschall v. Witzleben u. der anderen Offiziere durch den Strang. –

     Die Zeitung bestätigt heute, daß der SS=Standartenführer u. Polizeipräsident v. Salisch aus Bromberg standrechtlich erschossen worden sei. Der Regierungspräsident Kühn = Bromberg, der Bürgermstr. Ernst = Bromberg u. der Kreisleiter Kampf = Bromberg sind ihrer Aemter enthoben u. einem Bewährungsbataillon eingereiht worden. Dies ist das Werk Heinr. Himmlers. Das Werk des Volkes ist dagegen, daß in Wien zahlreiche Nazi=Bonzen ermordet worden sind. Auch in Bln. sollen mit Freißler auch zwei Generale ermordet worden sein, die für die Hinrichtung v. Witzlebens verantwortlich sind. –

     Gegen Abend wird bekannt, daß die Engländer von Südholland aus seit heute eine große Offensive begonnen haben. Im Elsaß haben wir jetzt anscheinend das linke Rheinufer ganz geräumt. Die Russen greifen südöstlich Breslau weiter an. Ueber den Raum bei Frankfurt haben sie seit 2 Tagen Nachrichtensperre verhängt.

     Frau Nickstedt war hier. Sie ist aus Breslau geflüchtet. u. war 6 Tage nach hier unterwegs. Sie sieht elend aus u. hat Schreckliches durchgemacht.

     Heute früh ist Vater Neumann plötzlich gestorben.

     Abends traf Nachricht von Fritz ein, Nr. 5. vom 27.1. Er hat das K.V.K.II m. Schwertern erhalten u. freut sich darüber sehr. Von dem versprochenen Ersatz sind 7 Mann, darunter ein Unteroffizier, eingetroffen. Fritz hofft auf Urlaub, da die Sperre aufgehoben ist, er ist seit 18 Mon. offiziell nicht mehr im Urlaub gewesen, das letzte Hiersein ist als Urlaub nicht angerechnet, weil es Bombenschaden war, den er mit Kurts Wohnung vorgegeben hatte. Es war vor einem Jahr. Fr. schreibt allerdings, daß sie dort in einer Mausefalle liegen, – hoffentlich kommt er noch rechtzeitig heraus.

     Abends wieder Seeberg. Wir hatten von Mittags 12 Uhr an keinen Strom, der erst um 820 Abends wieder eingeschaltet wurde.

Sonnabend, 10. Febr. 1945.     

     Heinrich Himmler hat im Osten das Oberkommando über eine Armeegruppe erhalten. Dieser Mann ist nie Soldat gewesen u. hat nicht einmal den 1. Weltkrieg mitgemacht, jetzt sind ihm Divisionsgeneräle u. Korpsführer unterstellt. Hitler war wenigstens Gefreiter. Diese Ernennung Himmlers ist ein neuer Beweis dafür, wie allein der Führer jetzt steht, er hat keine Generäle mehr auf seiner Seite, denen er noch trauen kann.

[8]
Sonntag, 11 Febr. 1945.     

     Gestern Abend rief Kpt. Lt. Dr. Krappmann an, ob er kommen dürfe, er habe etwas zu besprechen. – Er kam dann mit seiner Frau. Er wollte sich Rat holen, ob er die Frau mit d. Kindern in die Heimat schicken solle, etwa nach Bamberg, da ihre eigentliche Heimat Schweinfurt ja nicht mehr existiert. Im Bamberg könne sie „vielleicht“ bei einer Freundin unterkommen. Er fürchtet drei Möglichkeiten. Bei eventuellen Kampfhandlungen kann er ums Leben kommen, oder er wird gefangen genommen, oder es gelingt der Batteriebesatzung, sich in Kähnen durchzuschlagen.

     Ich sagte ihm, daß ich diese dritte Möglichkeit für unwahrscheinlich halte, so viele Kähne gibt es hier ja garnicht. Wenn er aber gefangen genommen wird oder fällt, dann ändert sich für seine Frau nichts, ob sie nun in Bamberg ist, oder hier. Andererseits aber ist das Elend der Flüchtlinge furchtbar, denn mitnehmen kann sie nichts u. eine Reise nach Bamberg mit den Kindern ist höchst riskant. Außerdem macht es einen nicht sehr guten Eindruck, wenn die Frauen der Herren Offiziere, die so lange hier waren, jetzt das Weite suchen. Man wird sagen: „Die Ratten verlassen das sinkende Schiff“. Er ließ sich überzeugen u. beschloß, seine Frau hier zu lassen. –

     Wir besprachen dann die möglichen Ereignisse. Er rechnet mit einem Angriff vom Süden aus Rostock, nicht von Stralsund durch den Darss. Im Falle eines solchen Angriffes würde er die Dörfer rechtzeitig warnen, sodaß die Bewohner in den Darss flüchten können. Seine Batterie reicht nicht bis Rostock, sie würde also erst in Aktion treten, wenn einige Panzer von dort her eine Streife durch Fischland u. Darss machen würden. In diesem Falle müßte er natürlich schießen, aber er vertraute mir an, daß die Batterie so wenig Munition besitzt, daß es sich nur um wenige Schuß handeln könne, die dann freilich genügen würden, um alle Fensterscheiben der Umgegend zu zerschlagen. Die feindl. Panzer würden natürlich antworten, doch würde Ahrenshoop davon kaum berührt werden. Möglicherweise würden auch Fliegerbomben geworfen werden, die dann größeres Unheil anrichten würden. Nach dem letzten Schuß würde sich die Batterie ergeben müssen. – Sollte ein Angriff aber doch durch den Darss kommen, so wäre das für Ahrenshoop zwar sehr viel unangenehmer, denn der Ort würde dann zwischen den Fronten liegen, aber die Batterie würde bestimmt nicht in den Ort hineinschießen. –

     Ich habe mir nun diese Sache überlegt u. bin zu folgender Ueberzeugung gekommen:

     Die Russen, die immer noch nichts verlauten lassen über ihre Operationen im Raume Küstrin-Frankfurt, werden versuchen, Berlin durch Handstreich zu nehmen. Gelingt das nicht, so wird um Berlin gekämpft werden u. sie werden es nehmen. Dann werden die Russen sofort einen deutschen General als provisorische Regierung einsetzen, u. zwar den General v. Seydlitz, der ja in Moskau Vorsitzender des Komite'es „Freies Deutschland“ ist. Dieser wird sofort mit Rußland, England u. Amerika Waffenstillstand schließen, während Hitler mit seinen Kumpanen u. der SS in Süddeutschland noch weiter kämpfen wird. Die Alliierten werden es dann [9] vielleicht dem General v. Seydlitz allein überlassen, diese Bande zu liquidieren, oder sie werden bloß die notwendigste Hilfe stellen. Für uns in Norddeutschland wäre dann wenigstens der Krieg zuende, um so mehr, da dann die Engländer u. Amerikaner sehr rasch hereinströmen würden.

     Dr. K. erzählte dann noch anschaulich von seiner kürzlichen Italienreise, die ihn nach Venedig geführt hat. Er erzählte ferner furchtbare Dinge von den in Swinemünde angekommenen Flüchtlingsströmen, die er selbst gesehen hat. Die Organisation hat so völlig versagt, daß z.B. ein ganzer Kasernenblock, den die Wehrmacht für die Flüchtlinge geräumt hatte, eine ganze Nacht hindurch leer blieb, während die Flüchtlinge die Nacht in Regen u. Kälte am Hafen zubrachte. Es habe keine Nahrung gegeben, für nichts war gesorgt u. die verzweifelten Menschen machten ihrer Wut Luft durch Reden u. Verwünschungen gegen Hitler u. die Partei. – Er erzählte ferner, daß das ganze Offizierkorps heute gegen Hitler + den Krieg sei u. daß alle Offiziere ungeniert davon sprächen.

     Er hat übrigens das K.V.K.I bekommen.

     Heute haben wir den ganzen Tag noch keinen elektr. Strom gehabt, Grete hat bei Frau König Kartoffeln gekocht u. einen Rest einer Erbsensuppe aufgewärmt, den wir eigentlich gestern Abend essen wollten, aber nicht konnten, weil wir auch da keinen Strom hatten.

     Die Andacht heute war wieder sehr voll, es kommen immer mehr Menschen. Ich sprach über die zu erwartende polit. Entwicklung u. hatte die Freude, daß alle sehr getröstet u. zuversichtlich fortgingen.

     Wie gewöhnlich an Fritz geschrieben.

Montag, 12. Febr. 1945.     

     Gestern hatten wir den ganzen Tag fast keinen Strom. Grete kochte bei Frau König Kartoffeln u. wärmte einen Rest einer Erbsensuppe auf, die am Sonnabend übrig geblieben war u. die wir eigentlich Sonnabend-Abend essen wollten, aber schon da nicht aufwärmen konnten, weil kein Strom da war bzw. erst um 1/2 9 Uhr eingeschaltet wurde. Martha u. ich saßen den Abend über im Dunklen u. beteten gemeinsam Rosenkranz, was sehr schön war u. den Abend gut unterbrachte. Von 1/2 9 bis 10 Uhr war dann nochmals Licht. –

     Das K.d.F.=Schiff Wilh. Gustlof ist mit Flüchtlingen aus Ostpreußen vollgepackt auf eine Mine gelaufen u. untergegangen, es sollen etwa 7000 Menschen dabei umgekommen sein, lauter Ostpreußen.

     In der Dämmerstunde kamen gestern die beiden Soldaten Wolters u. Werner u. wollten von mir Nachrichten hören, doch konnte ich ihnen nichts Neues erzählen. Die Russen scheinen nördl. u. südl. Breslau vorangekommen sein, die Stadt ist fast eingeschlossen. Auch Elbing haben sie erobert. Die Engländer haben Cleve genommen.

Dienstag, 13. Febr. 1945. Fastnacht.     

     Gestern Abend gab England den Abschluß der großen Dreierkonferenz amtlich bekannt. Die Konferenz hat auf der Krim in Jalta stattgefunden u. ihr Ergebnis ist genau das, welches ich von Anfang an vorausgesagt habe: Churchill u. Roosevelt haben einen glatten Sieg über Stalin davongetragen, – wenn es nicht so sein sollte, [10] daß Stalin sich nur allzugern hat besiegen lassen, um auf diese Weise mit gutem Gesicht von seinem eigenen Bolschewismus loszukommen. Schließlich ist dieser Bolschewik ja inzwischen 30 Jahre älter geworden u. er mag eingesehen haben, daß der Bolschewismus seiner Jugendjahre kein sehr großes Glück für ein Volk bedeutet. Vor 30 Jahren mag diesem hinterweltlerischen Georgier der Bolschewismus eine sehr große Idee gewesen sein, – aber heute, von Moskau aus gesehen, wird auch bei ihm eine vernünftigere Ansicht durchgedrungen sein. –

     So weit ich es behalten habe, hat sich die Konferenz mit vier großen Gesichtspunkten befaßt: 1) die Niederwerfung Deutschlands – 2) die militär=politischen Maßnahmen nach der Niederwerfung – 3) die politische Konsolidierung des Friedens – 4) die wirtschafts=polit. Maßnahmen zur Erhaltung des Friedens. –

     Zu 1 wurde gesagt, daß die militärischen Pläne u. Beschlüsse gefaßt worden seien, Deutschland mit entscheidenden Schlägen vom Westen, Osten, Süden u. Norden im Kern zu treffen u. seinen Widerstand zu vernichten. – Man hat also doch noch eine Landung in Dänemark im Auge.

     Zu 2) Es wurden die Besetzungszonen festgelegt, aber nichts Näheres darüber gesagt, nur so viel, daß auch Frankreich sich an der Besetzung eines Teiles von Deutschland beteiligen solle. Diese Besatzungstruppen sollen aber unter einem einheitlichen Kommando stehen, welches von einer interalliierten Kommission ausgeübt wird, die ihren Sitz in Berlin haben wird. Es wird also nicht möglich sein, daß die Russen nach anderen Grundsätzen verfahren, wie die Engländer u. Amerikaner. Die Vorschriften u. Verfügungen werden von dieser interalliierten Kommission ausgegeben werden u. müssen also dem entsprechen, was Eisenhower bereits früher bekannt gegeben hat u. was jetzt bereits in den von Engländern u. Amerikanern besetzten Teilen Deutschlands gilt.

     Zu 3) Kriegsverbrecher werden vor Gericht gestellt, alle Nazi=Gesetze werden aufgehoben, die Partei u. ihre Organisationen werden beseitigt. Dies gilt auch für den sog. deutschen Militarismus, der ebenso vernichtet werden soll. Alle Rüstungswerke werden vernichtet. Es bleibt jeder kriegführenden Macht vorbehalten, Sachentschädigungen von Deutschland zu fordern für verwüstete Gebiete. Eine Kommission zur Bearbeitung dieser Fragen wird eingesetzt werden u. in Moskau ihren Sitz haben. Von einer Kriegsentschädigung in Geld war nicht die Rede, nur in Sachwerten, u. der Sitz dieser Kommission in Moskau weist darauf hin, daß diese Forderungen hauptsächlich von Rußland u. Polen erhoben werden. Zwar ist es nicht gesagt worden, aber man kann wohl annehmen, daß diese Sachwerte auch in Arbeit bestehen werden. Auf dem Weltkongreß der internat. Gewerkschaften, der z. Zt. in London tagt, ist aber gesagt worden, daß England u. Amerika solche Arbeitsleistungen nicht fordern würden u. wenn sie von anderen Ländern gefordert werden würden, dann würden die Gewerkschaften dafür sorgen, daß diese Arbeiter nicht als Sklaven behandelt werden würden. Daraus läßt sich schließen, daß keine Zwangsarbeit verhängt werden wird, vor allem keine Zwangsdeportation, sondern Werbung Freiwilliger, die sich sicher nach dem Kriege in großer Zahl finden werden. – Ueber Rußland = [11] Polen wurde vollständige Einigung erzielt. Polen soll eine Ostgrenze entsprechend der Curzon=Linie erhalten, welche zugunsten Polens an gewissen Stellen revidiert werden soll. Es wird dafür im Westen u. Norden durch bisher deutsche Gebiete entschädigt. Der bisherige sog. „Lubliner Ausschuß“, der eine rein bolschewistische Organisation war u. die Eingliederung Polens in die Sowjet=Republik betrieb, wird zwar nicht aufgehoben, aber mit den bisherigen sog. „Londoner Exil=Polen“ vereinigt zu einer provisorischen Regierung auf demokratischer Grundlage, bis in freier Wahl eine neue, rechtmäßige, demokrat. Regierung gebildet ist. –

     Zu 4) Es wird eine Konferenz zur Sicherung des Weltfriedens einberufen werden, welche erstmalig in S. Franzisko tagen soll. Wenn ich mich recht erinnere, soll sie bereits am 25. April einberufen werden. Grundlage ihrer Arbeit sollen die Beschlüsse sein, die auf der früheren Konferenz von Dombarton=Oaks gefaßt worden sind, u. die Altantic-Charta.

     Es war auch von einer dauernden Konferenz in London die Rede, aber mir ist nicht mehr genau gegenwärtig, worauf sich diese bezog. Vorgesehen ist auf für die Zukunft ein ständiger Meinungsaustausch der Außenminister alle 3 – 4 Monate, auch Frankreich u. zuletzt China sollen an all diesen Dingen als gleichberechtigte Mächte teilnehmen. Das Wort Demokratie wurde auffällig viel verwendet, ebenso wurde die Atlantik-Charta wiederholt erwähnt. Aus allem ist zu entnehmen, was ich erwartet u. immer in allen Gesprächen vertreten habe, daß der Bolschewismus abgewirtschaftet hat. Es ist eingetreten, was ich am Sonntag in der Andacht in meiner Ansprache den Leuten gesagt habe: der erste Weltkrieg war der Sieg des Katholizismus über die protestantischen Mächte, dieser zweite Weltkrieg ist in logischer Folge der Sieg des Katholizism. über den Bolschewismus. Der Bolschewismus ist ja nichts anderes als der letzte Ausläufer der deutschen Reformation. Der 30-jährige Krieg war der erste Religionskrieg gegen den Protestantismus. Er war wohl ein Sieg, aber dieser konnte nicht nachhaltig ausgewertet werden, weil die Dynamik des Protestantismus noch ungebrochen blieb. Jetzt geht der 3. Religionskrieg seinem Ende entgegen u. es scheint, als würde nun endlich wieder der kathol. Ordnungsgedanke aufgerichtet, denn mit dem Bolschewismus ist endlich auch die Dynamik des Protestantismus gebrochen.

     Dieses hoffnungsvolle Ereignis stimmt nun alle Herzen höher. Wir saßen gestern Abend noch lange mit Paul zusammen u. besprachen die Dinge. Er sieht die Dinge natürlich nur von der Oberfläche, wie es so seine Art ist, aber auch er war voll Freude u. Hoffnung. Er hat sich in der Zeit der Nazis sehr gewandelt. Er gestand mir, daß er jetzt doch finde, daß unsere früheren Politiker, also aus der sog. „Systemzeit“, recht ordentliche Menschen gewesen seien. Früher hat er kein gutes Haar an ihnen gelassen. –

     Sehr auffällig war, daß das Licht, welches programmgemäß eigentlich um 10 Uhr abends ausgehen müßte, weiter brannte, sodaß man die ganze Sendung vorzüglich ohne jede Störung hören konnte. Ich nehme an, daß dies auf Befehl von oben geschah, denn es muß ja allen Regierungsstellen u. Zeitungen daran gelegen gewesen sein, diese Sendung zu hören. Auf diese Weise sind also sehr viele Deutsche in der Lage gewesen, die [12] Sendung mitzuhören u. sicher haben viele Gebrauch davon gemacht. Ich nehme an, daß wir nun mit Flugblättern überschüttet werden, die diese Konferenzbeschlüsse im Volke verbreiten werden, die Nazis aber werden Gift u. Galle speien. –

     Im Osten sind die Russen wiederum erheblich voran gekommen. Sie haben Bunzlau genommen, 100 km. westlich von Breslau. Auch die Engländer machen Fortschritte, sie haben den Ostrand des großen Reichswaldes bei Cleve erreicht. – Anneliese schreibt aus Berlin, daß dort Barrikaden gegen die Russen gebaut werden. Weckmann ist nun auch zum zweiten Male total ausgebombt, seine Schwiegertochter liegt unter den Trümmern, die verbrannten Leichen lagen noch tagelang auf den Straßen herum. –

     Gestern wurde Neumann beerdigt. Der Sarg war im Saale aufgebahrt, sehr viele Kränze, der Saal mit vielen Tannenbäumen usw. geschmückt. Frau Neum. wird sagen, daß es sehr „scheen“ war. Es war ein großes Theater. Pastor Loeber hielt die Ansprache u. um etwas Gutes von dem Toten zu sagen, sagte er, daß er ein guter Jäger gewesen sei. Es waren sehr viele Leute da. Zum Eingang sollte gesungen werden: „Befiehl Du Deine Wege...“, aber es konnte fast keiner den Text, sodaß Pastor Loeber fast allein sang. Diese Menschen hierzulande haben in der Schule wohl Rechnen, Lesen u. Schreiben gelernt, aber zu Gott wissen sie kein Wort zu sprechen. So bleibt nichts, als Theater. –

     Heute schneit es wieder, nachdem wir einige milde Frühlingstage gehabt haben.

Aschermittwoch, 14. Febr. 1945.     

     Gestern zwei Briefe von Fritz, der eine Nr. 7. vom 31.1. u. fortgesetzt am 3.2., der andere ohne Nummer u. per Reichspost ebenfalls vom 3.2., gestempelt vom 5.2. aus Mollheim in Baden. Brf. Nr. 6., der noch fehlt, ist als Päckchen mit einigen Broschüren unterwegs u. wird hoffentlich später eintreffen. – Am 31.1. war seine Lage recht bedrohlich, aber dann scheint seine Einheit doch noch rechtzeitig herausgekommen zu sein. – Er kündet einige Neuerscheinungen an aus dem Alsatia- Verlag, darunter auch einen Katechismus der Diozöse Straßburg, da Feldw. St. ihm gesagt hat, daß ich einen solchen für meinen Religionsunterricht brauchen könnte. In der Tat kann ja kein Kind mehr einen Katechismus kaufen, da der Druck solcher Bücher von den Nazis längst verboten worden ist.

     Am 3.2. ist seine Einheit plötzlich aus der Stellung herausgezogen worden. Alle Fahrzeuge mußten über den Rhein. Fritz fuhr den Gerätewagen, vollgepackt mit allen Sachen u. zwei andere Wagen im Schlepp angehängt, weil sie kein Benzin hatten. Es war Glatteis u. unterwegs wurden sie von 12 Jagdbombern angegriffen, die aber das Rote Kreuz respektierten, sodaß er gut nach Badenweiler kam. Dort luden sie die Verwundeten u. Kranken ab, selbst fuhren sie weiter nach Schweighof, 3 km. von Badenweiler, wo Quartier vorbereitet sein sollte, was aber nicht zutraf. Alle Orte dort sind überfüllt mit Flüchtlingen u. Truppen. – Fr. soll, nachdem er die drei Wagen irgendwo eingestellt hat, selbst wieder über den Rhein zurück zu seiner Einheit, aber er glaubt, daß die Feinde eher über den Rhein kommen werden, als er, oder doch wenigstens seine Einheit.

[13]      Von Kurt fehlt seit dem 12.1. jede Nachricht. Er fuhr an diesem Tage, an dem die russ. Offensive begann, zur Front nach dem Osten, nachdem er vorher kurzen Urlaub zur Taufe seines ersten Kindes gehabt hatte. Anneliese, die sonst immer sehr sorglos war, schreibt nun doch sehr bedrückt. –

     Kpt. Lt. Dr. K. erzählte mir übrigens am Sonnabend, als er hier war, daß vor einiger Zeit einer der üblichen nationalsozial. Uebungskurse in Kühlungsborn stattgefunden habe. Er selbst war nicht dort, aber einer seiner Kameraden. Dieser habe erzählt, daß dort gesagt worden sei, man wolle nach diesem Kriege in Deutschland die christl. Kirche liquidieren, da es nicht länger anginge, daß solch ein Staat im Staate existiere. – Die ahnungslose Dummheit dieser Menschen, die uns da regieren u. die immer noch glauben, nach diesem Kriege unser Geschick bestimmen zu können, ist wirklich grenzenlos. Der bevölkerungspolitische Ausgleich der in diesem Kriege entstandenen Verluste soll danach in einfacher Weise vorgenommen werden. Man habe anfangs daran gedacht, daß jeder Mann zwei Frauen heiraten solle, doch sei man davon abgekommen. Jetzt beabsichtige man, die Ehe zwar äußerlich bestehen zu lassen, aber die außerehelichen Geburten amtlich in jeder Weise zu fördern was also praktisch auf eine völlige Auflösung der Ehe hinauslaufen würde. – Das sind die Ideen, die diese Leute von der Zukunft haben. – Es ist nur gut, daß diese Halunken bald abgewirtschaftet haben werden.

     Ueber die Dreierkonferenz in Jalta wird noch bekannt, daß die Alliierten auf jede besondere Propaganda verzichten wollen u. Deutschland allein durch die Wucht der Waffen zu besiegen. Es ist das auch richtig, damit von vorn herein jeder Schwindel ausgeschlossen ist u. nicht gesagt werden kann, daß wir auf Lügen hereingefallen seien, wie es nach dem 1. Weltkriege war; aber es könnte sein, daß dann der Krieg noch etwas länger dauert. –

     Unsere Zeitungen speien, wie vorauszusehen war, Gift u. Galle. Die Schlagzeilen u. Ueberschriften stellen eine Orgie von blutrünstigen Behauptungen dar, die den Zweck haben, die Leute zu erschrecken. Gleichzeitig wird eine riesige Propaganda über russ. Grausamkeiten losgelassen, es werden furchtbare Bestialitäten ausführlich geschildert in Form von protokollarischen Aussagen, sodaß die Menschen in panisches Entsetzen gestürzt werden. Es ist ein Sadismus ohnegleichen.

     Eine Lösung der Situation kann m. E. nur von Rußland kommen. Der Vorstoß nach Niederschlesien hat vielleicht den Sinn, Norddeutschland vom Süden zu trennen u. Bln. zu isolieren. Bunzlau, das die Russen genommen haben, liegt halbwegs zwischen Breslau u. Dresden. Wenn sie bis dorthin vorstoßen, ist Berlin isoliert. Die Russen können dann entweder in Dresden oder in Berlin, wenn sie es ebenfalls erobert haben werden, eine provisorische Regierung einsetzen, wie sie es in Ungarn getan haben. Sie haben zu diesem Zweck genug Generäle, die das machen würden, z.B. den General v. Seydlitz als Regierungschef u. etwa Generalfeldmarschall Paulus als Kriegsminister oder Oberkommandierenden der Wehrmacht. Der größte Teil der in Russland gefangenen Offiziere u. Soldaten würde zweifellos hinter v. Seydlitz stehen u. auch der größte [14] Teil der Wehrmacht würde dann mitmachen, ebenso die Arbeiter u. die Bürger u. Bauern. Notwendig dazu ist nur der wirkliche Besitz einer größeren Stadt wie Dresden oder gar Berlin.

     Budapest ist nun endlich ganz im Besitz der Russen. Es hat lange gedauert, die arme Stadt muß furchtbar gelitten haben. Posen hält sich immer noch, ebenso Königsberg. Glogau ist eingeschlossen, aber Breslau noch nicht völlig.

Donnerstag, 15. Febr. 1945.     

     Gestern Abend begann ich die neue Vortragsreihe über das Lukas-Evangelium. Ich hielt erst einmal einen einführenden Vortrag über die hl. Schrift im allgemeinen u. einen großen Ueberblick über das Leben u. das Heilswerk des Herrn. Die Beteiligung war sehr stark, ich glaube 12 Hörerinnen. Es herrschte große Aufmerksamkeit u. ein starker Kontakt zwischen mir u. den Damen. Alle waren sehr begeistert. – Während wir da im dunklen Zimmer saßen, – ich hatte nur unsere kleine Petroleumlampe bei mir stehen, weil es nach einer neuen Einteilung zwischen 1/2 9 Uhr u. 1/2 11 Uhr kein elektr. Licht gibt –, u. während ich vom Herrn Jesus sprach, zogen gewaltige Luftgeschwader über uns hin. –

     Unter den Hörerinnen befand sich auch die junge Frau Sadoni, eine Tochter des Pastors Loeber aus Althagen, die vor 4 oder 5 Wochen einen kleinen Sohn bekommen hat. Bevor sie gestern hierher kam, hatte sie einen Brief von ihrem Mann erhalten, in welchem er ihr mitteilt, daß seine Einheit in Mostar in Jugoslawien eingeschlossen sei. Dieser Brief ist noch mit einem Flugzeug aus dem Kessel herausgekommen. Es sind die sog. Bandentruppen des Marschalls Tito, gegen die sie dort unten kämpfen u. von denen sie nun eingeschlossen sind. Diese Kämpfe dort werden von unserer Seite von je her mit großer Grausamkeit geführt, Gefangene sind prinzipiell erschossen worden, sodaß auch unsere Soldaten nun nichts anderes zu erwarten haben. S. schreibt deshalb an seine junge Frau, daß dieser Brief der letzte sein würde, den sie von ihm bekommen würde. Es war sehr erschütternd, wie diese junge Frau litt. S. weiß noch nicht einmal, daß er Vater eines Sohnes ist. –

     Abends wurde bekannt, daß Schneidemühl von den Russen erobert ist. In Niederschlesien gehen die Kämpfe weiter, die Russen scheinen dort erhebliche Fortschritte gemacht zu haben. Es wird immer deutlicher, daß sie die Absicht haben, Berlin vom Süden her zu umgehen.

     Mit dem Religionsunterricht habe ich insofern Plage, als die Jungens von nun an in einer Woche von 1 – 3 Uhr Schule haben u. dann zu mir kommen, in der nächsten Woche aber haben sie von 3 – 5 Uhr Schule, immer abwechselnd. Gestern waren sie bei mir u. baten, daß ich deshalb den Unterricht danach einrichten möge. So sollen sie von heute ab in der einen Woche von 11 – 12 Uhr zu mir kommen, in der nächsten wie bisher von 3 – 4 Uhr.

Sonnabend, 17. Febr. 1945.     

     Gestern erhielten wir wieder zwei Bücherpäckchen von Fritz: Ernst Böminghaus: „Meditationen zum Weg der Deutschen Kirche“ und Joseph Diebolt: „Wege zur Freude“ – beide aus dem Alsatia- Verlag u. anscheinend sehr gute Bücher. Ferner noch „Hortus deliciarum“, eine Bilderauswahl frühmittelalterl. Zeichnungen. Interessant. Dieses Buch [15] schickt er schon zum zweiten Male. Alle drei Bücher sind für mich als Weihnachtsgeschenk gedacht gewesen, obgleich er sie erst am 23.12. abgesandt hat. Der Beweggrund dafür ist besonders nett. Er ist der irrigen Meinung, daß meine Großmutter eine elsässische Französin gewesen sei – er verwechselt es mit Luxemburg, – u. das ist ihm Anlaß, die Gegend dort mit besonderem Interesse zu betrachten u. mir diese elsäss. Bilderhandschrift zu schenken. -

     Gestern Abend wie jeden Freitag Erich Seeberg u. nach ihm Frau Partikel, die aus Königsberg hier eingetroffen ist u. von ihrer mühseligen Flucht zu Schiff bis Swinemünde, per Bahn nach Rostock u. dann hierher erzählte. Auch ihr Mann wird bald hier eintreffen, der mit einem anderen Maler zusammen auf dem Fahrrad hierher unterwegs ist. Von ihr hörte ich auch, daß Prof. Marks – Althagen letzthin in Putnitz zur Ausbildung als Volkssturmmann gewesen ist. – Sonst aber war Frau P. entsetzlich langweilig wie immer u. ich atmete erleichtert auf, als sie uns um 11 Uhr verließ.

     Breslau soll nun ganz eingeschlossen sein. In Niederschlesien haben die Russen die Neiße erreicht u. sind in die Lausitz eingedrungen.

1. Fastensonntag, 18. Febr. 1945.     

     Gestern Abend bei Ziels, kamen erst um 12 Uhr wieder nachhause. Nach anfänglich schwerfälliger Fühlungnahme mit ihm leitete er schließlich das Gespräch auf Religion u. Katholizismus. Ich wußte ja, daß er schon lange aus der evang. Kirche ausgetreten war u. ich glaubte, er sei religiös völlig uninteressiert. Dies hatte mir auch Erich Seeberg, mit dem er seit Jahren verkehrt, bestätigt. Es ergab sich, daß dies nicht stimmt. Zwar hat er für die evang. Kirche nichts wie Ablehnung, aber er erzählte von einer Italienreise, auf der er St. Peter u. viele andere Kirchen gesehen u. auch Gottesdienste miterlebt hatte u. daß er dort so viel begriffen hätte, daß die kathol. Kirche für ihn ein – wenn auch unerfüllbarer – Wunschtraum sei. Er meinte, daß er durch die 65 Jahre seines Lebens, wie es nun einmal in der Juristerei geworden sei, zu sehr auf den Intellekt festgelegt sei u. das nun nicht mehr ändern könne, daß aber dennoch ein starkes Interesse für die kathol. Kirche in ihm sei, – aber eben nur als „unerfüllbarer Wunschtraum“, – d.h. also als geheime Sehnsucht. Es ist immerhin ein Eingeständnis, daß der Intellektualismus eine Lücke in seinem Herzen gelassen hat, die er wohl gern ausfüllen möchte, aber nicht glaubt, ausfüllen zu können. – Ich erwiderte ihm, daß das ein Irrtum sei, da der Intellekt sehr gut u. ungestört neben dem Glauben existieren könne, wenn man nur die Demut aufbringen könne, den Intellekt zur rechten Zeit in die Ecke zu weisen: „In die Ecke Pudel!“ Er gab das zu, aber er glaubt nicht, diese Demut zu besitzen. – Das war alles sehr ehrlich u. gut. – Er gab mir dann in sehr vorsichtiger u. taktvoller Form zu verstehen, daß er sehr gern meine Mittwoch-Vorträge hören würde. Darüber war ich denn doch sehr überrascht. Ich überlegte, daß er als Intellektueller mich doch sehr stören könnte; aber dann sagte ich mir, daß diese Anregung, die [16] gerade zu Beginn meiner neuen Vortragsreihe über das Lukas-Evangelium kommt, von mir nicht abgelehnt werden darf u. Gottes Wille sein kann. Ich ging deshalb nach einigern Zögern daräuf ein in der Erwägung, daß gerade diese Vorträge für einen Intellektuellen vielleicht gerade gut sein könnten, da der Zuhörer sich nicht unbedingt auf die Glaubenswahrheiten einzustellen braucht, sondern sich mehr auf den Inhalt als Kunstwerk, also mehr auf die äußere, künstlerische Form, die ja bei Lukas sehr schön ist, konzentrieren kann. Manch einer ist über diesen Weg schon zum inneren Kern gekommen, zumal, wenn ihn in seinem eigenen Herzen unbewußt etwas treibt. Und das ist doch hier der Fall. Ich stimmte also zu u. er wird von jetzt ab kommen, wodurch das Niveau des ganzen Auditoriums zweifellos eine Erhöhung erfahren wird. –

     Die Andacht heute war wieder voll besetzt, meine Ansprache war aber sehr ernst. Ich sprach von der Verantwortung, die wir alle am Zeitgeschehen tragen u. an unserer Verpflichtung zur Sühne.

Dienstag, 20. Febr. 1945     

     Gestern wieder zwei Bücherpäckchen von Fritz, in einem der überfällige Brf. Nr. 6. Danach ist er bei der Verleihung des KVKII, welches übrigens ebenfalls in dem Päckchen enthalten war, doch recht bevorzugt behandelt worden. Die beiden San=Feldw. Franke u. Stegmiller haben diese Auszeichnung erst am 1. Januar 45. erhalten u. Fritz erhielt sie am 30. Januar.

     Sonst schreibt er natürlich nichts Neues, denn alles ist ja von Brf. Nr. 7 überholt. Seine Einheit war damals in gefährlicher Situation u. konnte leicht abgeschnitten werden, hoffentlich sind sie heil herausgekommen.

     Erika ist gestern nach tagelangem Gequatsche endlich nach Rostock in die Klinik gefahren. Sie ist ja leidend, seitdem sie hier ist, oder seitdem sie das Kind hat. Hoffentlich wird in Rostock endlich festgestellt, was sie hat. Grete schläft so lange drüben beim Kind u. Paul ist abends allein. Er kam zu uns rauf u. wir saßen, von 1/2 9 Uhr bis 1/2 11 Uhr im Dunklen u. besprachen die mancherlei kleinen Lästigkeiten, die uns durch Gretes unterwürfige Arroganz so oft bereitet werden.

     Unter den von Fritz gesandten Büchern sind sehr schöne Sachen: „Die Ostkirche betet“ (Jak. Hegner) – Jos. Pieper „Ueber d. christl. Menschenbild“ (Hegner) u. Leo d. Gr. „Die Passion“ (Hegner)

Donnerstag, 22. Febr. 1945.     

     Gestern wieder Brf. v. Fritz Nr. 8. vom 7. Febr. Danach ist er nicht, wie ihm befohlen war, über d. Rhein zu seiner Einheit zurückgekehrt, u. das war sein Glück. Er konnte die 3 Wagen, die er rechts des Rheines bei Badenweiler unterstellen sollte, nicht los werden, weil dort alles überfüllt war. Erst zwei Tage später gelang es ihm. Es wurden dann aber keine Fahrzeuge mehr über den Rhein zurück gelassen u. zu Fuß zu gehen konnte er nicht riskieren, weil ihn dann irgend eine andere Einheit einfach einkassiert hätte. – Er ist nun in Niedereggern, wo er die 3 Wagen untergestellt hat [17] Er ist zwar eng u. unbequem, aber doch glücklich u. zufrieden im Pfarrhause untergekommen. Ob es ein kathol. oder evang. Pfarrhaus ist, schreibt er nicht, doch nehme ich eher das erstere an, denn er schreibt nur, daß „der Pfarrer“ ein schon betagter Herr sei, er schreibt nichts von einer Pfarrersfrau. – Nun sind auch der Stabsarzt mit Feldw. Franke zu Fuß u. völlig erschöpft mit noch sechs weiteren Kameraden in Niedereggern angekommen. Es fehlen nun noch Feldw. Stegmiller u. zwei andere Sanis, doch sollen alle irgendwo in der Nähe sein. Der Divisionskommandeur Oberst Zorn ist beim Gegenstoß auf Kolmar gefallen, auch der Regimentskommandeur u. sein Adjutant fehlen noch; aber da ein großes Durcheinander herrscht werden sich auch diese vielleicht wieder anfinden. Der Rückzug über den Rhein scheint sehr ungeordnet vor sich gegangen zu sein u. die Verluste sind wieder sehr hoch gewesen. Aber nun wird ja wohl für einige Tage Ruhe sein, die zersprengten Einheiten werden erst wieder gesammelt werden müssen u. neu formiert werden müssen. Sie haben überhaupt kein Benzin, sodaß die Fahrzeuge nicht gefahren werden können.

     Gestern begannen nun die eigentl. Vorträge über das Luk-Evang. Es war wieder sehr gute Beteiligung, erstmalig war Dr. Ziel zugegen. Nach dem Vortrage herrschte lange Zeit tiefstes Schweigen. Dr Ziel u. seine Frau standen dann auf u. verabschiedeten sich sehr herzlich, auch die anderen gingen bald, nur Frl. Wernecke u. Frau Dr. Müller-Bardey blieben noch länger. Martha brachte das Ehepaar Ziel hinaus. Sie sagte mir dann, Dr. Ziel sei sehr befriedigt gewesen u. wolle am nächsten Mittwoch wiederkommen. Frau Ziel hat zu Martha gesagt, daß ihr Mann durch unseren Besuch neulich Abend sehr beeindruckt gewesen sei u. noch lange unter dem Eindruck des Gespräches mit mir gestanden hätte. Es ist hier sicher irgendeine offene Tür.

     An den Fronten wird zwar überall gekämpft, doch scheint alles stabil zu sein. Es wird nun wohl wieder eine Weile dauern, bis ein neuer Schlag kommt, der dann allerdings wohl der letzte u. entscheidende sein wird. Das Wetter ist sehr schön u. da die Tage jetzt rasch zunehmen, wird wohl doch noch mit einer neuen Invasion in Dänemark oder Norwegen zu rechnen sein. Walter Knecht ist in engl. Gefangenschaft.

Freitag, 23. Febr. 1945.     

     Gestern hatten wir den ganzen Tag über keinen Strom, sodaß das Mittagessen ausfallen mußte. Grete ist in solchem Falle sehr hilflos. Sie ging dann abends zu Frau König, um dort Kartoffeln zu kochen, von denen sie Stampfkartoffeln machte, die dann aber einfach ungenießbar waren, ich weiß nicht, warum. Ich glaube, wir werden uns im Kochen irgendwie von Küntzels distanzieren müssen, denn auch sonst sind ihre Lebens= u. Essensgewohnheiten für uns sehr fremd. Sie brauchen viel Wurst, die sie nur auf Kosten der Fleischrationen kaufen können, sodaß das Mittagessen meist aus irgend einem faden Kohl oder einer Suppe besteht, während wir auf Wurst gern verzichten, wenn das Mittagessen einigermaßen kräftig u. schmackhaft war. Vor allem machen sie keinen Unterschied zwischen Wochentag u. Sonntag, ich wünsche aber am Sonntag irgendwie etwas Besonderes, nicht um des Essens, sondern um d. Sonntags willen.

[18]
Sonnabend, 24. Febr. 1945.     

     Gestern ein sehr interessanter u. inhaltsreicher Brf. v. Fritz, Nr. 10. v. 14.2. – Brief Nr. 9. fehlt also bisher noch.

     Das Interessanteste ist Folgendes: Fritz hatte vor Weihnachten gebeten, an die Gattin seines Stabsarztes Dr. Kunze in Dresden ein Weihnachtspaket zu senden, was auch geschehen ist. Das Paket kam rechtzeitig an u. hat offenbar Beifall gefunden, denn Frau Dr. K. richtete ein sehr herzliches Dankschreiben an Martha u. auch die Kinder schrieben sehr niedlich. Diesen Brief sandten wir Fritz, der ihn wiederum seinem Stabsarzt zeigte. Als dieser meinen Namen las, fragte er, ob ich der Kunstmaler Hans Brass aus der Novembergruppe sei. Als Fritz dies bejahte, sagte er, daß sein bester Freund, ein Dr. Heinrich Issensee mit meiner Tochter Ruth Brass verheiratet sei. Es sei auch ein Sohn Thomas da, dessen Patenonkel er, Dr. Kunze, sei. Das Ehepaar habe zuletzt in Bln. mit meiner ehem. Frau zusammen gewohnt. Dr. K. hat sich über meine Tochter geäußert, sie sei sehr intelligent u. Fritz hat den Eindruck gehabt, als hätte Ruth oft über mich gesprochen, u. zwar in einem positiven Sinne, – Fritz meint: „vielleicht aus einem gewissen Ehrgeiz oder Stolz heraus“.

     Die Welt ist klein u. rund, alles kommt wieder mal nach oben. Mein letzter, total gescheiterter Annäherungsversuch erfolgte, wenn ich mich nicht sehr ihre, im Jahre 1940. Meine Tochter lehnte damals eine Annäherung in äußerst brüsker Weise ab, sodaß damals kein Weg mehr offen blieb. Möglicherweise hat der Krieg u. die Liebe zu einem Mann nun doch ihr Herz berührt u. es ist eine Gemütswandlung eingetreten. Ich kann zwar auch jetzt noch nichts unternehmen, aber wenigstens bedeutet diese Sache doch irgend eine Fühlung, wenngleich Ruth davon auch garnichts weiß. Eine Annäherung wird ja wohl nicht möglich sein, solange meine ehem. Frau lebt, denn ihr Einfluß ist zu groß. Ich habe ja damals 1940 feststellen können, daß ihr Haß gegen mich immer noch nicht erloschen ist u. daß ihre sture Engstirnigkeit u. ihr arroganter Hochmut sich keinesfalls belehren läßt. Sie besitzt ja die ganze Gemütshärte u. Kälte ihrer eigenen Mutter, die sie ihr Leben lang deshalb gehaßt hat u. sie ist genau ebenso unversöhnlich wie jene, zumal sie sich in ihrer sturen Verstocktheit sehr wohl fühlt u. darin einen besonderen Vorzug für sich verbucht. – Ich sehe aber aus dieser Sache, daß Gott sie noch in der Hand hält u. nicht vergessen hat. –

     Aber auch sonst ist Fritzens Brf. recht interessant. Er ist jetzt im Schwarzwalde, im „Höllental“, welches ja wohl in der Gegend von Freiburg zu sein scheint. Er schreibt, daß die Fahrt von Badenweiler dorthin sehr mühsam gewesen sei, weil kein Benzin vorhanden ist. Hinter Freiburg, also wohl südlich? – lag er 3 Tage auf der Straße fest, bis er mit 4 Pferden aus Ziel gebracht worden ist. Auch die anderen Fahrzeuge seiner Einheit stehen überall herum u. können nicht weiter, aber Fritz selbst ist nun wenigstens vorläufig in Sicherheit. –

     „Freiburg sieht schrecklich aus“, schreibt er. Die Verluste der Zivilbevölkerung werden auf 20000 geschätzt. [19] Alles ist überfüllt u. der Raum ist knapp. Sein bisheriges Regiment ist nun aufgelöst worden. Der Reg=Stab u. die Stabskompanie sollen zum Volkssturm kommen, alles übrige zur 16. Inf-Division. Die San.=Staffel, mit dem Stabsarzt 9 Mann, gehören zum Regimentsstab. Wo u. wie dieser Volkssturm eingesetzt werden soll, ist noch nicht bekannt. Der Volkssturm soll ja doch eine bodenständige Einheit sein, also wird er wohl auch dort am Oberrhein bleiben.

     Auch Feldw. Stegmiller, der sich offenbar wieder angefunden hat, kommt mit zum Volkssturm. – Die Leute im Schwarzwald sind sehr freundlich. Als Fritz mit seinem Wagen auf d. Straße lag u. nicht weiter konnte, holten sie ihn in ihr Haus u. verpflegten ihn.

     Fritz schreibt, daß die Desorganisation dort einfach toll sei u. daß man sie auch nicht mehr vor der Bevölkerung verbergen könne. Alles ist vollgestopft mit Flüchtlingen, dazu militär. Einquartierungen, kein Benzin für die Autos, kein Hafer für die Pferde. Alles das sind also nicht mehr zu verbergende Zeichen beginnender Auflösung.

     Vorgestern waren nicht weniger als 6000 Flugzeuge über Deutschland u. haben hauptsächlich unsere Eisenbahnen, Brücken u. Kanäle angegriffen. Es war der größte Luftangriff dieses Krieges bisher u. man kann sich kaum vorstellen, daß die Wucht dieser Angriffe noch gesteigert werden könnte. Das deutet nun zweifellos auf den baldigen Beginn einer neuen Großoffensive aus dem Westen hin, vielleicht in Verbindung mit einer neuen Landung in Dänemark. An den Fronten sind sonst keine besonderen Veränderungen. Fast rührend ist es, daß uns die Türken gestern „zum 1. März“ den Krieg erklärt haben. –

     Gestern Abend wie gewöhnlich am Freitag Erich Seeberg. Sein Schwiegersohn, Dr. Schimpf, ist bei dem letzten schweren Luftangriff auf Dresden, der nun auch diese schöne Stadt in Trümmer gelegt hat u. der ungeheuer viele Opfer gekostet haben soll, weil die Stadt mit Flüchtlingen überfüllt war, verwundet worden. Näheres ist noch nicht bekannt. Seeberg ist nun sehr besorgt um seinen zweiten Sohn Ando, der in oder bei Graudenz ist, wo ja auch Kurt ist. –

     Abends waren wir wieder bei Frau Longard, bei der wir bei einer von uns mitgebrachten Kerze saßen. Es war ziemlich kalt u. wir saßen in Decken gehüllt. Die alte Dame erzählte wie immer sehr lebhaft von der Zeit der franz. Besetzung in Kaiserslautern u. von der damaligen kurzen Separatistenherrschaft in der Pfalz.

Montag, 26. Febr. 1945.     

     Heute beim Frühstück kam die Olga von Seebergs mit Cigarren u. bat um Eintausch derselben gegen Cigaretten. Sie erzählte dabei, daß Erich Seeberg im Sterben läge. Er habe in der Nacht wieder einen seiner Anfälle gehabt. Dr. Meyer sei dagewesen u. habe keine Hoffnung gemacht, daß er sich wieder erholen würde. Ich bin dann gleich zu Dr. Ziel gegangen, den ich auf der Straße traf. Er wußte nur aus einem kurzen Gespräch mit Frau Hörisch, der Tochter von Prof. Triebsch, daß S. in der Nacht wieder einen Anfall gehabt habe, aber das war ja schon oft vorgekommen. Dr. Ziel ging sofort [20] hinauf zu Seebergs, ich gab ihm die Cigaretten für Erika mit. Er wird nachher bei uns vorbeikommen u. wird uns berichten. – Merkwürdig war, daß in dem Augenblick, als ich mit Ziel vor unser Haus trat, drüben auf der anderen Seite eine fremde Dame, wahrscheinlich ein Flüchtling, mit einem großen, schwarzen Neufundländer in der Richtung nach Seebergs hin, (also in Richtung Kurhaus) ging u. dieser Hund sah dem vor einiger Zeit gestorbenen Seeberg'schen Neufundländer Basso zum Verwechseln ähnlich. Der Hund ging vor Dr. Ziel her als wollte er ihn führen. Ich habe diesen Neufundländer bisher hier noch nie gesehen, ich werde acht haben, wohin er gehört.

     Gestern wurde bekannt, daß uns nun auch Aegypten den Krieg erklärt hat. Diese Kriegserklärung hat dem aegypt. Ministerpräsidenten das Leben gekostet, er wurde ermordet.

     Die Offensive der Anglo-Amerikaner scheint Fortschritte zu machen. Sie haben ungeheuer starke Luftstreitkräfte eingesetzt, schon seit mehreren Tagen, neulich 6000 Flugzeuge, kürzlich wieder 5500 über ganz Deutschland u. jetzt nicht weniger unmittelbar hinter u. über unserer Front. Das alles deutet darauf hin, daß es diesmal auf's Ganze gehen soll.

     Eben um 10 Uhr kommt Dr. Ziel von Seebergs zurück. Seeberg ist bewußtlos. Dr. Meyer war heute früh da u. meinte, es handele sich um eine Gehirnblutung, es könne höchstens noch einige Stunden dauern u. er werde das Bewußtsein nicht wiedererlangen. Dr. Ziel hat nur Erika gesprochen. Seebergs sind gestern abend noch bei Frau Höffer zu Besuch gewesen bis 1/2 11 Uhr u. er war dort noch frisch u. gesund, gegen 1/2 12 Uhr habe dann der Anfall begonnen. – Es ist ein unheimlicher Gedanke, daß S. noch am Abend bei Frau Höffer war u. dort seine gewohnten, leichtfertigen u. oft frivolen Späße gemacht hat während sich heimlich in seinem Gehirn schon der Zustand vorbereitete, der dann zur Katastrophe führte.

     Nach allem, was Dr. Ziel sagte, ist es gut, daß weder ich noch Paul persönlich bei S. waren. Frau S. hat sich auch von Dr. Ziel nicht sprechen lassen. Wir hätten sehr gestört. Er wird am Spätnachmittag nochmals hingehen u. wird uns Bescheid sagen, wie es dann steht.

Dienstag, 27. Febr. 1945.     

     Erich Seeberg ist gestern morgen um 10 Uhr gestorben, er muß also gestorben sein, gleich nachdem Dr. Ziel dort war, oder gar in diesem Augenblick. – Paul war gestern Nachmittag dort u. brachte uns Nachricht. Frau S. ist, wie nicht anders zu erwarten war, sehr ruhig u. gefaßt.

     An der Westfront machen die Anglo-Amerikaner weiter Fortschritte, es scheint immer mehr, als ob der Zusammenbruch unserer Front unmittelbar bevorstände.

     Seit einiger Zeit sind die Amerikaner auch gegen Japan in vollem Angriff. Sie haben Manila u. mehrere sonstige Inseln u. bombardieren Tokio schwer.

     Gestern war wieder ein schwerer Tagesangriff auf Berlin mit 1200 Flugzeugen.

[21]
Mittwoch, 28. Febr. 1945.     

     Gestern Nachmittag waren Martha u. ich bei Frau Seeberg. Erich lag schon aufgebahrt in dem großen Zimmer zur ebenen Erde in dem Teil des Zimmers, welches ehemals eine Veranda war u. die durch Entfernung der Wand mit dem Zimmer in Einem verbunden ist, ohne daß doch eine gewisse Absonderung dadurch aufgehoben ist. So machte diese einfache Aufbahrung einen feierlichen Eindruck, obwohl sonst noch kein Schmuck vorhanden war, außer einem großen Kranz aus Kiefern u. Stechpalmen, der auf der Bahre lag. Der Entschlafene war überraschend verändert. Dieses sonst von ungeordneten Leidenschaften u. Gemütserregungen beherrschte Gesicht war ganz zur Ruhe gekommen, ganz ruhig u. friedlich u. versöhnt. Dadurch bekam Erich eine große Aehnlichkeit mit seinem Vater, die ich im Leben niemals an ihm bemerkt habe. – Koch-Gotha war da u. zeichnete den Toten, weshalb wir nicht näher zu ihm heran traten.

     Frau S., die uns dann in das daneben liegende Zimmer führte, machte einen ruhigen, gefaßten u. sehr würdigen Eindruck. Auch sie habe ich noch nie so gesehen. Sie ist ja sonst eine etwas laute Frau, die nur wenig Gefühlswärme zeigt; aber nun war sie ruhig sehr gesammelt u. würdig. Sie sprach mit tiefem Verständnis von dem Verstorbenen, der in der letzten Zeit oft den Wunsch geäußert habe, bald zu sterben, u. noch am Abend seines Todestages habe er bei Frau Höffer davon gesprochen. Seebergs sind gegen 11 Uhr abends von dort nachhause gekommen u. um dann noch um 12 Uhr Mitternachts, wie es seine Gewohnheit war, den engl. Sender abzuhören, habe er sich in sein Arbeitszimmer oben gesetzt, um Briefe zu schreiben, während Frau S. unten das Gleiche tat. Kurz vor 12 habe er gerufen. Er sei ihr entgegengekommen u. habe gesagt: „Ich habe einen Gehirnschlag, ich werde sterben!“ Er habe gewankt u. über Schwindel u. Kopfschmerz geklagt, doch ist es Frau S. noch gelungen, ihn ins Bett zu bringen, wo er dann gleich das Bewußtsein verloren habe, ohne noch einmal aufzuwachen. Erika ist zu Prof. Reinmöller gelaufen, der eine Diagnose auf Gehirnblutung gestellt hat. Am Morgen ist Dr. Meyer gekommen, der dieselbe Diagnose stellte. Frau S. hat dann noch mit Prof. Curschmann telephonisch in Rostock gesprochen, dessen Diagnose ebenso lautete.

     So ruhig Frau S. auch ist, sieht man ihr doch an, wie sehr sie innerlich von diesem Tode betroffen worden ist. Sie hat vor wenigen Wochen ihren ältesten Sohn Bengt verloren nun ist der Mann dahingegangen u. der letzte Grund für seinen zu frühen Tod, er ist ja nur 57 Jahre alt geworden, ist in unseren polit. Verhältnissen zu suchen, die ihm sein Arbeitsfeld mehr u. mehr eingeengt u. untergraben haben, der zweite Sohn Ando ist wahrscheinlich in Graudenz eingeschlossen u. der Schwiegersohn ist beim letzten Angriff auf Dresden verwundet worden. Alles dies „dankt sie dem Führer!“

[22] Vor=Gestern soll der Tagesangriff auf Bln. wieder sehr schwer gewesen sein: Alexanderplatz, Görlitzer Bhf u. Nord=Kreuz. Im Westen machen die Anglo-Amerikan. gute Fortschritte u. es ist zu hoffen, daß diese Front dort bald zusammenbricht. –