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TBHB 1945-04

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Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1945-04
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Entstehungsdatum: 1945
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Originaltitel: April 1945
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom April 1945
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Einführung

Der Artikel TBHB 1945-04 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom April 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 31 Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Ostersonntag, 1. April 1945.     

[1]      Heute eine sehr schöne Andacht, das Zimmer war brechend voll, darunter 2 Soldaten von der Batterie u. sogar Kapitänlt. Dr. Krappmann. Ich hielt eine Ansprache über die Not dieses Osterfestes die mir diesmal wirklich aus tiefstem Herzen kam u. die offensichtlich auf alle Anwesenden einen tiefen Eindruck gemacht hat. –

     Gestern war ich bei Frau Krauss, die mich aber bereits nicht mehr erkannte. Sie lag mit offenen, aber abwesenden Augen, jedoch ruhig u. regelmäßig atmend. Der Sohn ist auf Urlaub gekommen, er ist Soldat bei der Luftwaffe.

     Gestern Vormittag brachte mir Frau Masurek, die Tochter von Frau Krauss, die in Bln. gewesen war, einen Anzug aus ihrem Geschäft mit, der zwar kriegsmäßig verarbeitet ist, sodaß mit Taschen gespart ist, aber aus gutem Kammgarn. Die Lieferanten verarbeiten jetzt die alten, friedensmäßigen Stoffe, die noch seit vor dem Kriege liegen, aus Angst, daß diese Stoffe dem Feuer u. den Bomben zum Opfer fallen. Ich zahlte 128, – Rm.

     Nachmittags beim Frisör Saatmann, der unheimliche Dinge erzählte. Er ist beim Zoll eingezogen, schon seit Kriegsbeginn, u. muß oft dienstlich nach Stralsund. So auch in der letzten Woche. In Velgast kam kein Zug u. er mußte warten. Da lief ein langer Güterzug ein, bestehend aus offenen Loren, auf denen Flüchtlinge lagen, die seit Tagen unterwegs gewesen waren. Die Leute sahen toll aus u. es war ein Gestank, der nicht zu ertragen war. Sie schrien verzweifelt nach Essen, aber es ließ sich kein Beamter keine NSV=Schwester sehen. Die Zollleute gaben den Flüchtlingen ihre Frühstücksstullen. Schließlich kam auch ein Parteimensch in Uniform, der aber natürlich machtlos war. Ein alter Mann schrie diesem Menschen zu: „Wenn Du uns nichts zu essen schaffen kannst, dann geh wenigstens hin u. besorge ein Maschinengewehr, um uns niederzuschießen!“

     Solche u. schlimmere Dinge hört man von allen Flüchtlingen. Und nun ist ein Anschlag an der Dorftafel, [2] daß die Ortelsburger Flüchtlinge sich bereit machen sollen, nach der Lüneburger Heide weiter transportiert zu werden. Eine Ortelsburgerin, die Sonntags an unseren Andachten teilnimmt, kam heute nach der Andacht zu mir, um mich um Rat zu fragen, was sie tun solle. Ich antwortete ihr, daß ich da keine Verantwortung übernehmen könne, daß ich aber selbst an ihrer Stelle hierbleiben würde. Ich sagte ihr: Unser Leben steht in Gottes Hand, u. wenn Er will, kommen wir auf der Flucht um, u. wenn er will, können 10000 Russen uns nichts tun. Sie antwortete: „dann will auch ich hier bleiben.“ –

     Gestern wurde in ganz Mecklenburg geworben zur Aufstellung eines Freikorps. Es fanden sich tatsächlich noch Dumme: in Althagen zwei: der Briefträger Vieck u. der Schlachter Schönfeld. – Ich sprach eben mit Dr. Krappmann darüber, er meinte, daß es für diese Leute überhaupt keine Waffen gäbe. Das dürfte wohl stimmen, aber diese Bande ist gewissenlos genug, die Leute trotzdem gegen die Panzer der Alliierten zu schicken.

     In Ribnitz sollen die Leute schanzen. Es ist nun schon so oft bewiesen worden, daß das überhaupt keinen Sinn hat; aber dennoch wird es befohlen.

     Heute früh hörte ich Befehle u. Verhaltungsmaßregeln, die Eisenhower an Soldaten u. Offiziere unserer Wehrmacht erlassen hat. –

     Trude brachte uns heute früh ein Körbchen mit Eiern u. a. Lebensmitteln, nachdem die Mutter gestern schon einen Kuchen für uns gebacken hatte, allerdings teilweise mit unserem eigenen Material. – Auch Agnes Borchers war eben hier u. brachte uns zwei Eier von ihren Hühnern.

Ostermontag, 2. April 1945.     

     Gestern Abend wurde im dt. Rundfunk ein Aufruf durchgegeben zur Bildung einer Widerstandsbewegung unter dem Namen „Werwolf“. Der Aufruf richtete sich an alle deutschen Männer u. Frauen, besonders aber den die Jugend: Jungens u. Mädchen u. forderte auf zum heimtückischen Widerstand in den besetzten Gebieten durch Ermordung feindl. Soldaten aus dem Hinterhalt, besonders unter Ausnutzung der nächtl. Dunkelheit. Aber nicht bloß gegen die feindl. Soldaten, sondern auch gegen deutsche Volksgenossen soll sich dieser Mordterror wenden, gegen alle, die nicht für einen Widerstand bis zum letzten Blutstropfen sind, die Aeußerungen gegen den Krieg oder den Nationalsozialismus tun oder die sich im besetzten Gebiet als Beamte oder Arbeiter für den Wiederaufbau einsetzen. Es ist also so, daß irgend ein Lausejunge von der Straße mich ungestraft niederknallen darf, wenn ich nach seiner Meinung ein „Volksschädling“ bin. So hat man es dieser Tage schon mit dem Bürgermeister von Köln gemacht, der erschossen worden ist u. mit vielen anderen Beamten u. Arbeitern. Das ist nun freilich das Allerletzte, was unserem Lande noch blühen konnte: es bedeutet die Verherrlichung des untermenschlichen Verbrechertums.

     Das Ruhrgebiet ist nun völlig abgeriegelt. Im Kessel befindet sich die aus 3 Armeen bestehende Heeresgruppe [3] des Generalfeldmarschall Modl. Am Stadtrand von Münster u. von Kassel wird gekämpft, einzelne Feindpanzer haben Vorstöße bis nach Erfurt gemacht.

     Die Russen haben die ungar.=österr. Grenze überschritten, nördl. d. Donau stehen sie 45 km. vor Preßburg.

Mittwoch, 4. April 1945.     

     Am Ostermontag 3 Uhr früh ist Frau Kraus (die sich mit nur einem s schrieb) verstorben, ohne vorher das Bewußtsein wiedererlangt zu haben. Morgen soll sie nachmittags 4 Uhr beerdigt werden. Die Ansprache u. was sonst zu tun ist, habe ich bereits vorbereitet, da ich schon dachte, daß es nachher drängen würde, denn am Donnerstag soll ja in der Kirche in Prerow ein Hochamt stattfinden, da ist dann keine Zeit mehr. Heute muß ich den Vortrag heute Abend vorbereiten.

     Gestern waren Herr + Frau Soehlke da. Er wie seine Frau sind sehr vernünftig, die Frau ist entschlossen, in jedem Falle hier zu bleiben u. er wird dann, wenn der endgültige Zusammenbruch da ist, ebenfalls versuchen, hierher zu kommen.

     Am Ostermontag Abends waren wir wieder einmal bei Frau Longard. Die alte Dame war an diesem Abend besonders frisch u. lebendig. Sie erzählte aus ihrer Jugendzeit aus dem kleinstädtischen Rostock, als sie ihren Mann kennen lernte. Sie war damals 17 Jahre alt, mit 18 Jahren heiratete sie. Auch von ihrem Sohn P. Pius erzählte sie. Er hat, als er in Maria Laach eintrat, schwere Zeiten durchmachen müssen, denn das Klosterleben hat ihm viele, bittere Enttäuschungen gebracht. Aber er hat all das tapfer überstanden u. ist ein guter Mönch geworden.

     Im Westen ist Enschede, Münster, Nordhorn, Kassel genommen worden, im Ruhrkessel Siegen. Im Osten ist Wiener Neustadt genommen u. am Stadtrande von Preßburg wird gekämpft. – Herr Dr. Tiso wird nun Gelegenheit haben, die Konsequenzen aus seiner Politik zu ziehen, man hört freilich nichts von ihm. Hoffentlich bringt er wenigstens den Mut auf, dort zu bleiben u. zum Irrtum nicht noch die Schmach zu fügen, mit Hitler u. seinen Kumpanen irgendwo sich zu verbergen. –

     Küntzels richten eben unser Eßzimmer ein, da sie Eva erwarten, die dann hier bei uns ihr Kind bekommen mag. –

Freitag 6. April 1945     

     Gestern früh 7 Uhr fuhren wir mit Spangenberg nach Prerow. Das Wetter war unsicher u. recht kalt. Mit uns fuhren Herr + Frau Degener u. Andreas v. Walter, später stiegen noch Frau Triebsch u. Frau Hoppe, eine alte Dame aus Ortelsburg dazu. Deren Tocher Frau Kupzek (oder so ähnlich) u. Frl. Nickstedt fuhren per Rad. Als wir über die Kuhweide zum Darss fuhren, stand ein prächtiger, doppelter Regenbogen im Westen, dessen eines Ende gerade auf der Spitze des Hohen Ufers ruhte.

     Wir kamen kurz vor 9 Uhr in Prerow an. In der Kirche, die übrigens ein wenig schönes Innere hat, stand eine lange Schlange von Menschen von der Sakristeitür an bis an das gegenüberliegende Ende. Diese Leute wollten alle noch beichten. Der Pfarrer kam bald heraus u. machte bekannt, daß es technisch unmöglich wäre, alle diese Beichten zu [4] hören, – er hatte ja schon vor 8 Uhr angefangen. Hätte er alle diese Beichten gehört, dann würde es darüber Mittag geworden sein. So erklärte er, daß er allen vor der hl. Kommunion die General-Absolution erteilen würde, daß aber jeder verpflichtet sei, die Beichte bei passender Gelegenheit nachzuholen. – Schw. Maria war ebenfalls da u. spielte wohl die Orgel, auch die Meßjungen hatte sich der Pfarrer mitgebracht, unter ihnen Friedrich Hertweg. – Dann folgte das Hochamt mit einer recht guten Predigt. Der Pfarrer sah überraschend frisch aus. Nach dem Hochamt gingen wir gleich hinaus, da es uns ganz zwecklos schien, den Pfarrer noch selbst zu sprechen, denn die Menschen strömten zu ihm in die Sakristei mit ihren Anliegen; aber der Pfarrer kam uns nachgelaufen u. so konnten wir ihn wenigstens noch kurz begrüßen. Das Wetter war inzwischen etwas wärmer geworden. Wir fuhren bald wieder los u. waren 1/4 nach 1 Uhr endlich wieder zuhause, ziemlich erschöpft. –

     Um 1/2 4 Uhr gingen wir zur Beerdigung der Frau Kraus. Es waren nur wenige Menschen da. Außer den beiden Töchtern Frau Masurek u. Frau Ranke u. dem Sohn war noch die Schwägerin von Frau Masurek da, die Katholikin ist, sowie Frau Dr. Korsch. Unsere Frau Korsch fehlte leider, da sie mit ihrem Mann, der eben hier gewesen war, nach Rostock gefahren war. Sie wollte zur Beerdigung wieder hier sein, hat aber wohl den Anschluß nicht erreicht. Ferner waren Martha u. Grete da, sodann Frau Longard, die junge Frau Garthe, die alte Frau Dettmann mit ihrer Freundin Stöwer, der Witwe des Marinemalers aus der Zeit Wilhelms II u. sonst noch zwei oder drei Leute. – Ich betete die Psalmen u. einige Gebete aus der Totenmesse, wie der Pfarrer es mir geschrieben hatte, u. hielt eine Ansprache, die offenbar auf alle einen sehr tiefen Eindruck gemacht hat u. bei der ich den Katholizismus stark betonte. Es war für mich gleichzeitig eine Propaganda, denn ich wollte den Protestanten gern zeigen, wie wir unsere Toten beerdigen im Gegensatz zu den Protestanten. Das ist mir anscheinend auch ausgezeichnet gelungen. Am Grabe auf dem Friedhof segnete ich das Grab mit Weihwasser, sprach noch ein Vaterunser u. das Salve Regina. Frau Mazurek, die Tochter, trat als erste an das Grab u. warf die Erde nach, dann betete sie still u. bekreuzigte sich dann. Vielleicht wird diese Beerdigung sie einen Schritt weiter gebracht haben zum Katholizismus.

     Auf dem Wege zum Friedhof begegnete uns der evang. Pastor Kumpf, der ein starker Katholikenhasser ist. Er warf einen halb erstaunten, halb zornigen Blick auf den Leichenwagen u. schritt grußlos vorüber. Damit gab dieser Mann zum zweiten male einen lebendigen Anschauungsunterricht über den Unterschied von Protestantismus u. Katholizismus. Wenige Schritte weiter begegneten wir am Kurhause einem älteren, einfachen Mann von der Verwandtschaft Neumanns, der ehrfürchtig das Haupt entblößte, obwohl er so weit zurück auf dem Kurhaus-Gelände stand, daß er diese Geste der Ehrfurcht auch ruhig hätte unterlassen können. Daß er sie dennoch tat, war wiederum eindrucksvoll.

     Auf dem Nachhauseweg ging die junge Frau Garthe neben mir u. äußerte sich zwar sehr töricht, aber doch [5] in guter Absicht, daß diese kathol. Beerdigung einen starken Eindruck auf sie gemacht hätte. Als ich mich im Hause von Grete verabschiedete, sagte sie: „Ich bewundere Dich.“ Martha war anschließend zu Chartotte Schmitt-Buck gegangen, die anscheinend den Kopf verloren hat u. nach Hamburg reisen will. Als Martha dann nachhause kam, war auch sie noch ganz ergriffen von der Beerdigung. Also scheint doch alles einen tiefen Eindruck gemacht zu haben u. diese Feier hat sich offensichtlich sehr deutlich abgesetzt von den vielen protestantischen Beerdigungen dieses letzten Zeit, die von den Herren Pastoren Löber u. Kumpf gemacht worden waren.

     Abends kamen dann Herr + Frau Dr. Krappmann. Er brachte eine Flasche franz. Sekt mit, die uns sehr willkommen war. Wir sprachen die Stituation nach allen Seiten durch u. obgleich er noch immer unschlüssig ist, was er mit seiner Familie machen soll, ging doch so viel aus unserer Unterredung hervor, daß er die Absicht hat, eine Kampfhandlung hier auf jeden Fall zu vermeiden. Er ist außerordentlich vernünftig u. wird alles tun, was in seiner Macht steht. Es ist ja noch durchaus nicht sicher, ob die Russen wirklich hierher kommen, oder die Engländer. Da die Russen jetzt, wo sie an der Odermündung stehen, garkeine Kampfhandlungen dort mehr unternommen haben, ist es durchaus möglich, daß sie nicht die Absicht haben, dort weiter vorzugehen. Auch strategisch ist das unwahrscheinlich, so lange sie Berlin nicht genommen haben; aber auch dort kämpfen sie nicht. Ich glaube auch nicht, daß sie das künftig tun werden. Sie haben jetzt alle Kraft in Ungarn eingesetzt. Ungarn ist jetzt von ihnen vollständig besetzt worden, Preßburg haben sie genommen u. sie stehen am östlichen u. südlichen Stadtrande von Wien. Diese Stadt wird von Sepp Dietrich verteidigt, doch glaube ich nicht einmal, daß die Russen diese Stadt wirklich angreifen werden. Sie werden jetzt nach Norden gehen, den Rest der Slowakei erobern u. dann in die Tschechei einfallen. Mit der Besetzung dieses Landes werden sie sich wahrscheinlich begnügen. Sobald sie im Süden weiter vorgekommen u. die Karpaten überwunden haben, werden sie auch von Ober= u. Niederschlesien her auf Prag losgehen. Wenn es so wird, dann werden wir hier niemals Kampfgebiet werden u. es ist höchst zweifelhaft, ob die Russen überhaupt herkommen werden. –

     Im Westen geht es rasch vorwärts. Die Engländer stehen heute 60 km. südwestlich von Bremen. Sie haben die Weser überschritten u. stehen mit Amerikanern 40 km. vor Hannover. Einen geschlossenen Widerstand gibt es überhaupt nicht mehr, unsere Soldaten ergeben sich, wo sie nur können. –

     Von Kurt kam vorgestern ein Abschiedsbrief. Er wird inzwischen in russ. Gefangenschaft geraten sein, wenn er nicht gefallen ist. Der Brief war kurz u. herzlich zu seiner Mutter, aber auch in dieser Stunde nahm er nicht die geringste Notiz von mir. –

     Von Fritz, Ruth u. Klaus, der in Dortmund sitzt, hören wir nichts.

     Rußland hat seinen Nicht-Angriffspakt mit Japan [6] gekündigt u. in Japan ist das gesamte Kabinett zurückgetreten. Der neue Ministerpräsident soll 77 Jahre alt sein. Dieses neue Kabinett dürfte das Letzte dieses Krieges sein. Damit ist denn auch dieses Land, das einen so ungeheuren Aufstieg erlebt hat, an seiner Machtgier zugrunde gegangen.

Sonnabend, 7. April 1945.     

     Schönes Wetter, wenn auch kalter, nördl. Wind. Gestern den alten Dung unter die Rosen auf dem einen Beet gegraben. Heute Paul angestellt zum Umgraben der Gartenfläche, auf die ich vor Ostern den Straßenabraum gebracht hatte. Nachmittags will ich das andere Rosenbeet umgraben.

     Gestern kam überraschenderweise ein Brief von Fritz, Nr. 18 vom 24. März. Es fehlen also die Briefe 14. 15. 16. 17., vier Stück. Er selbst hat 6 Briefe auf einmal von uns bekommen, 3 von mir u. 3 von Martha. Unter meinen Briefen befand sich auch meine Antwort auf den seinen, welcher die Nachricht von meiner Tochter betraf. Er schreibt dazu, daß sein Stabsarzt an meinen Schwiegersohn Dr. Isensee geschrieben habe u. ihm mitgeteilt habe, daß „der Stiefbruder seiner Frau“, Fritz W., sein Schreiber u. Mitarbeiter sei. Nach Ansicht des Stabsarztes wird dieser Dr. Isensee das Seinige dazu tun, daß Ruth mit mir wieder Verbindung aufnimmt, aber Fritz sagt mit Recht, daß diese gute Aussicht sicher dadurch getrübt wird, daß das junge Paar mit meiner Frau zusammenlebt u. diese alles tun wird, um eine Wiederanknüpfung einer Verbindung zu stören. Man muß das Weitere abwarten.

     Leider ist nun Befehl zur Versetzung des Stabsarztes als Fach=Internist zum Hauptverbandsplatz Bahlingen gekommen. Der Stabsarzt hat den neuen Posten schon zu Ostern antreten müssen. Das Sicherungs-Bataillon, bei dem Fritz bisher war, bekommt einen jungen, aktiven Stabsarzt u. die bisherige San.=Staffel tritt wieder zum Regiment zurück, also Fritz, Feldw. Stegmiller u. Feldw. Franke. Der Stabsarzt will aber Fritz gern mit sich nehmen, doch steht dem entgegen, daß San=Personal in Lazaretten u. Hauptverbandsplätzen älter sein muß als Jahrgang 1900, jüngere Leute dürfen nur verwendet werden, wenn sie nicht K.v. sind, also wird daraus wohl nichts werden.

     Es geht das Gerücht, daß der Gauleiter von Wien, Baldur v. Schirach, mit 4 seiner Kumpanen bei dem Versuch, über die schweizer Grenze zu entkommen, verhaftet worden sei.

     J. R. v. Salis vertrat gestern abend die Meinung, daß sich die Anglo-Amerikaner vermutlich im Raume von Leipzig treffen würden mit den Russen. Das ist die Meinung, die auch ich stets vertreten habe. Bis jetzt sind jedenfalls keine Anzeichen, daß die Russen über die Oder-Mündung hinaus vorgehen wollen. Dennoch liegt die Besetzung unserer Gegend durch die Russen immer noch im Bereiche der Möglichkeit. Salis machte darauf aufmerksam, daß zwar durch die Anglo-Amerikaner bekannt geworden sei, daß Gen-Feldmarsh. v. Rundstedt durch Kesselring ersetzt worden sei, daß von deutscher Seite aber nichts darüber laut geworden sei, wer wen wo führt. In der Tat ist ja auch im Reich die Befehlsführung anscheinend ganz auf die Gauleiter übergegangen, das [7] bestätigte auch Dr. Krappmann.

     Im Westen stoßen die Engländer nun rasch auf die Zuider-See vor, sowie in Richtung Emden, Bremen u. Hannover. –

     Draußen auf See fahren viele Schleppzüge, voll beladen, in Richtung Kiel. Es sind einfache Oderkähne, die von kleinen Schleppern gezogen werden.

     Heute Abend wollen wir zu Ziels.

Sonntag, 8. April 1945.     

     Gestern Abend kam Frau Ziel u. sagte, ihr Mann sei krank geworden. Hoffentlich ist es nicht bösartig, aber wir waren gestern froh, zuhause bleiben zu können, zumal schon um 7 Uhr das Licht ausging. Es wurde erst heute früh 7 Uhr wieder eingeschaltet u. brannte bis 1/2 8 Uhr, dann war es wieder aus. Um 915 Uhr wurde wieder eingeschaltet.

     Die Andacht heute sehr voll, Flüchtlinge aus Niehagen. – Nach der Andacht kam Frau Dr. Daubenspeck u. berichtete, daß die neuerdings im Hause Monheim einquartierten Nachrichten-Helferinnen einer Marine-Artillerie-Abteilung, die im Kurhause jetzt untergebracht ist, die Schränke erbrochen haben u. den Inhalt an Wäsche u. sonstigen Gegenständen herausgenommen haben.

Dienstag, 10. April 1945.     

     Gestern von Ruth überaus netter Brief. Sie schreibt kein Wort von Bombenangriffen, nur daß Erich wieder in Nürnberg ist. Diese Stadt ist zur Festung erklärt u. es ist alles vorbereitet zur Sprengung. Eine Stadt nach der anderen sinkt in Trümmer. Die Oesterreicher scheinen sich nun dagegen zur Wehr zu setzen. Es wird in Wien gekämpft, aber gestern hieß es, daß der verteidigende Nazi-General Sepp Dietrich erschossen worden sei. – Im Wesen haben die Engländer Bremen erreicht u. haben damit alle Truppen westlich davon abgeschnitten, nachdem sie vorher schon Luftlandetruppen an der Zuider See abgesetzt hatten, die unsere in Holland stehenden Einheiten abgeschnitten haben. –

     Es ist kein Strom, wir können weder kochen noch Radio hören. Paul baut eben im Hintergarten einen Kochherd, – wie bei den Zigeunern.

Mittwoch, 11. April 1945.     

     Gestern den ganzen Tag kein Strom, erst heute morgen wieder. Hannover u. Nordhausen sind gefallen, Bremen liegt unter Artilleriefeuer, die Weser südöstl. Bremen überschritten, engl. Panzerspitzen operieren gegen Emden. Im Osten ist Königsberg gefallen, die Russen marschieren nun gegen Pillau. In Königsberg 92000 Gefangene. Wien ist größtenteils in russ. Besitz. Es scheint, als ob die Russen weiter nach Westen in Richtung Bayern vorrücken wollen, gleichzeitig nach Norden in die Tschechoslowakei. Je mehr sie da unten tätig sind, um so weniger werden sie es hier im Norden sein. Der Rost. Anz. behauptet allerdings, daß die Russen eine Offensive hier im Norden vorbereiten. – Eisenhower hat einen Aufruf an die Verwaltungsbeamten u. die Arbeiter der deutschen Nordsee-Häfen erlassen.

     Gestern traf der Brief Nr. 15 vom 4.3. von Fritz ein. Er ist demnach also noch immer an der alten Stelle. Er schreibt vom Revier-Dienst: Ein 45jähriger [8] Soldat seines Regiments, Beruf Landwirt, ist auf einem Auge blind, die rechte Hand ist verkrüppelt. Am gesunden Auge hat er eine Entzündung, so ist er praktisch blind. Zuhause würde er seine Landwirtschaft führen können, im Graben ist er nicht zu verwenden. Ein anderer Kamerad hat hat von einer Operation eine 25cm. lange Bauchnarbe u. eine 40cm. lange Rückennarbe, natürlich mit Narbenschmerzen. Mit diesen Leuten will man Krieg führen. – Fritz selbst hat wieder Zahnbeschwerden, aber es ist keine Zahnstation in der Nähe. Kriegerische Handlungen gibt es außer gelegentlichem Artilleriebeschuß nicht. – Der Stabsarzt hat einen Brief von meinem Schwiegersohn Dr. Heinrich Isensee erhalten. Er wohnt Bln. N.W. 87, Elberfelderstr. 5, er ist bei Osram beschäftigt. Er wird vorläufig Berlin nicht verlassen.

     Gleichfalls kam ein Brief von Otto Wendt. Hambg. soll als Festung bis zum letzten Mann verteidigt werden, jedenfalls ist dafür alles vorbereitet. Er meint, daß dieser Brief für lange Zeit wohl der letzte sein wird. –

     Gestern im Garten gearbeitet, altes Laub untergegraben, sehr anstrengend. Heute prachtvolles Wetter. Im Garten blühen in diesem Jahre die alten Hyazinten wieder sehr schön, nachdem sie im vorigen Jahre garnicht geblüht haben.

Donnerstag, 12. April 1945     

     Heute ist wiederum kein Strom. Gestern hatten wir nur morgens von 7 – 9 Uhr Strom. Es ist nun schon so der dritte Tag. Der Erfolg ist, daß die ganze Milch, die die Bauern in der Molkerei abliefern müssen, verdirbt u. daß es keine Butter gibt. Ebenso kann der Schlachter keine Wurst machen, der Frisör kann keine Haare schneiden. So ist es in unserem kleinen Dorf, wie mag es erst in der Stadt sein.

     Gestern Abend war der Mittwoch-Vortrag wieder sehr anregend. Herr Dr. Hahn, der jetzt hier bei seiner Frau ist, nachdem seine Ausweich-Dienststelle im Besitz der Amerikaner ist, bat, zuhören zu dürfen. Er blieb nach dem Vortrag noch mit Frau Müller-Bardey da u. stellte einige Fragen, die nicht dumm waren, aber doch erkennen ließen, daß er vom christl. Glaubensgut eine nur unvollkommene Vorstellung hat. Er ist sonst ein recht intelligenter u. anscheinend vielseitig gebildeter Mann.

     Gestern Nachmittag war Frau Longard da, um zum Geburtstag der Frau Garthe etwas zu bekommen. Sie war wieder sehr amüsant u. sprach mit großer Anerkennung von der Beerdigung der Frau Kraus. Sowohl meine Ansprache, wie überhaupt die Art, wie ich das gemacht hatte, hat ihr sehr gefallen.

     Heute morgen bei prächtigem Wetter im Garten das letzte Laub von der Straße im Rhabarber-Beet eingegraben u. nachher mit Paul die letzten schweren Buchenkloben, die wir kürzlich bekamen, nach hinten geschleppt. Holz haben wir nun sehr reichlich, es muß nun bloß gesägt u. gehackt werden. Am Gartenzaun [9] blieb Frau Pastor Kumpf stehen u. brach in großes Wehklagen aus über die Ereignisse. Ich habe ihr geantwortet, daß es zum Klagen jetzt zu spät wäre. Sie hätte das alles früher bedenken müssen, anstatt Hitler zu wählen u. ihre Söhne in die SS zu stecken. Sie fragte, ob ich denn hier bliebe? Ich antwortete: natürlich bleibe ich hier; aber Sie als Nazi laufen natürlich davon, nachdem Sie uns in diesen Dreck gebracht haben. Wir müssen jetzt alle diese Suppe auslöffeln, die Sie uns eingebrockt haben, – u. wir klagen darüber nicht einmal; aber Sie klagen nun um so mehr! –

     Ueber Mittag gab es kurze Zeit Strom, sodaß ich Nachrichten hören konnte. Im Westen ist ein gewaltiger Vorstoß geschehen, die Anglo-Amerikaner stehen bereits vor Magdeburg u. Halle, Braunschweig hatten sie im Süden umgangen u. dann genommen. Auch Coburg ist genommen. Die Russen haben Wien jetzt fast vollständig erobert. – So ist es denn kein Wunder, daß wir keinen Strom haben. Hoffentlich wird das sächsische Revier rasch besetzt, dann werden wir wieder Strom haben.

     Frau Korsch war hier u. holte sich das Manuscribt meiner Rede zur Beerdigung von Frau Kraus. Sie will es auf der Maschine abschreiben, damit die drei Schwestern je ein Exemplar bekommen können. Sie erzählte, daß sie gestern Abend noch mit ihrem Mann telephoniert hätte, der gesagt habe, seine Treuhand-Gesellschaft, bei der er angestellt ist, sei in Auflösung begriffen, alle Herren hätten die Erlaubnis erhalten, sofort Bln. zu verlassen, doch er, Dr. K. selbst, wolle noch dort bleiben. Es seien sehr erhebliche Veränderungen der Lage zu verzeichnen, über die er aber telephon. nicht sprechen könne. Er hat demnach also gestern Abend schon gewußt, was ich erst heute weiß. Es wird schon so kommen, wie ich schon früher gesagt habe, daß die Anglo-Amerikaner früher in Berlin sein werden, als die Russen.

Freitag, 13. April 1945.     

     Heute früh gab es Strom, aber um 8 Uhr wurde wieder ausgeschaltet. – Himmler hat den Kommandanten von Königsberg, einen General Lasch, durch ein Standgericht in Abwesenheit zum Tode durch den Strang verurteilen lassen, weil er Königsberg übergeben hat. Diese Halunken lassen jetzt, wo es um ihr Ende geht, jede Scham fallen. Selbstverständlich werden gegen die Familie des Generals alle Repressalien angewendet werden. Je länger es noch dauert, um so mehr entlarven sich diese Halunken als das was sie sind u. immer gewesen sind: kriminelle Verbrecher in einem Ausmaß, wie sie noch nie in der Welt gewesen sind. Ich möchte nur wünschen, daß dann, wenn man diese Schufte vor Gericht stellen wird, auch deutsche Ankläger zugelassen werden u. daß sie alle samt vor Gericht als das behandelt werden, was sie wirklich sind, als Verbrecher u. Massenmörder. –

     Martha will heute morgen am Rundfunk gehört haben, daß Roosevelt an einer Gehirn-Embolie plötzlich gestorben wäre. Da sie nie genau hinhört u. die Sachen leicht durcheinanderbringt, – sie sprach von einem „Feldmarschall u. Admiral“ Roosevelt, – habe ich der Sache kein Gewicht beigelegt. Eben kommt jedoch Trude von Hause [10] u. erzählt dasselbe. Wenn es also stimmt, wäre das höchst merkwürdig. Präsident Wilson ist nach dem 1. Weltkriege an einer Gehirn-Erkrankung gestorben. Präsident Roosevelt stirbt am Ende des zweiten Weltkrieges ebenfalls an einer Gehirn-Erkrankung. Beide waren dann also nicht mehr in der Lage, den errungenen Sieg politisch auszuwerten. Daß dieser Tod, wenn er sich bewahrheiten sollte, irgend eine Wirkung auf den Krieg haben könnte, ist wohl ausgeschlossen; aber politisch sind Wirkungen wohl denkbar, wenngleich auch die bisherige politische Linie von Amerika beibehalten werden wird; aber es fragt sich, wie weit dieselbe durch einen Nachfolger zum Erfolg geführt werden kann. Roosevelt war sicher ein bedeutender Mann, ob sein Nachfolger das auch sein wird, muß sich erst erweisen. Möglicherweise wird dieser Tod die bevorstehende Konferenz von St. Franzisko, die am 25. April stattfinden soll, bereits sehr beeinflussen. –

Sonnabend, 14. April 1945.     

     Gestern Brf. von Fritz, Nr. 17. vom 18.3.45. Er berichtet, daß der Stabsarzt den 2 Morgen großen Garten, der zu dem Zollhause gehört, in dem sie wohnen, bestellen läßt u. alle Mann sehr anstrengend beschäftigt sind. Nur er, Fritz, macht Innendienst u. holt das Essen mit einer Handkarre. Der Stabsarzt scheint wirklich ein recht vernünftiger Mann zu sein; zwar wird er nichts mehr aus diesem Garten ernten, aber diese Ernte wird anderen zugute kommen u. seine Leute sind nutzbringend beschäftigt u. lungern nicht herum. – Die Soldaten sind, – was mir schon bekannt war, instruiert worden, daß es als Fahnenflucht angesehen wird, wenn einer unverwundet in Gefangenschaft gerät, d.h. also, daß auch seine Familie in diesem Falle keine Unterstützung mehr bekommen soll. Diese Maßnahme ist aber glatter Unsinn. Es gehen jetzt täglich etwa 30000 Mann in die Gefangenschaft, – wie will man diese Fälle untersuchen? Es ist das genau so ein Bluff wie so vieles andere auch. – Fritz schreibt, daß die vielen Fahrzeuge, die die Divisionen früher abgeben mußten, jetzt im ganzen Schwarzwald verteilt im Walde stehen, weil man keine Unterstellräume mehr hat u. weil es weder Benzin noch Oel gibt. Die Fahrer sind als Schützen eingeteilt worden.

     Von Eva Küntzel hörten wir gestern Abend durch die Eltern, daß sie nun in Rostock bei Dr. Mester ist u. hierher kommen wird, sobald das Kind da ist. Paul kann sich mit der Sache nicht abfinden, er ist sehr bedrückt davon. Es ist ja auch wirklich nicht schön, aber es hilft doch nichts, man muß das eben so gut machen, wie es gehen kann. Für ihn handelt es sich dabei viel weniger um die moralische Seite, als vielmehr um den bürgerl. Ruf.

     Heute Nacht waren viele Flieger in der Luft, anscheinend war Kiel wieder das Ziel. Mehlis war gestern Abend da u. brachte uns ein Brot. Ein Mann der Batterie war dieser Tage in Kiel u. hat erzählt, daß es dort grauenhaft aussehen soll. Das letzte Schlachtschiff, das wir noch besaßen, die Admiral Scheer, liegt kieloben im Hafen, sie hat sechs Volltreffer bekommen, also ebenso wie die Tirpitz. Außerdem liegen noch zwei völlig zerstörte schwere Kreuzer im Hafen. Die feindl. Bomber sind jetzt nur noch Transport=Maschinen für schwere Bomben, die sie in den schmalen [11] Korridor zwischen den beiden Fronten hineinschmeißen. Bei uns gibt es weder Bodenabwehr, noch Luftabwehr. Unsere Maschinen stehen ohne Benzin auf den Flugplätzen u. werden dort von den Anglo-Amerikanern wehrlos zusammengeschmissen.

     Der Vormarsch geht in Nord= u. Mitteldeutschland weiter. Die Engländer haben die Elbe beiderseits Magdeburg auf breiter Front erreicht u. an verschiedenen Stellen bereits überschritten. Widerstand gibt es hier so gut wie keinen, was ein wahres Glück ist, denn so wird diese Gegend vor Zerstörung bewahrt. Leipzig haben die Amerikaner im Süden umgangen, sie stoßen auf Dresden vor. Damit ist die Nord-Süd-Verbindung unterbrochen. Im Norden stehen Engländer + Kanadier immer noch vor Bremen, es scheint, als wolle sich diese Stadt verteidigen. Sie schieben sich gleichzeitig gegen Hamburg vor, auch diese Stadt soll sich ja verteidigen. Es ist zu hoffen, daß es dazu nicht mehr kommt. Jetzt beginnt nun auch der Vormarsch gegen Lübeck u. Rostock, das ebenfalls zur Verteidigung eingerichtet wird.

     Im Osten haben die Russen nun Wien ganz befreit, die Bevölkerung soll den Russen zujubeln. Diese scheinen sich gut zu benehmen. Sie verteilen Essen an die Einwohner aus ihren Feldküchen u. eine Offiziers-Abordnung hat Kränze am Grabe Beethovens u. Strauß niedergelegt. Stalin hat bekannt gegeben, daß bald ganz Oesterreich befreit sein werde. – Sonst scheint an der Ostfront immer noch Ruhe zu herrschen. Dagegen ist nun auch die italienische Front in Bewegung geraten, sowohl die alte Front von südl. Spezia bis zur Adria, wie auch an der französ. Grenze.

     Das Wetter ist sehr schön, jedoch nördl. Strömung u. deshalb immer noch kalt. Heute Abend sollen wir zu Ziels kommen, er ist wieder so weit hergestellt.

Sonntag, 15. April 1945.     

     Gestern Abend bei Ziels war es außerordentlich nett. Dr. Z. hatte eine Fl. franz. Rotwein, die er spendierte. Wir unterhielten uns sehr angeregt u. gingen erst nach 11 Uhr nachhause.

     Gestern bekamen wir noch einmal einen Brf. von Fritz, u. zwar einen neuen, Nr. 19., vom Gründonnerstag, 29.3. u. vom Ostersonntag u. Ostermontag. Es ist schön, daß wir diesen Brief noch erhielten, denn er enthielt manch Wichtiges. Zuerst einmal, daß er rückwirkend ab 1. Jan. San.-Gefr. geworden ist. Es ist das die letzte gute Tat seines Stabsarztes, der sich trotz der anfängl. Schwierigkeiten schließlich doch als guter Vorgesetzter erwiesen hat. Er hat diese Ernennung durchgesetzt, damit es leichter ist, Fritz zu dem Hauptverbandsplatz nachkommen zu lassen, zu dem er versetzt ist. Als einfacher Krankenträger wäre das bestimmt nicht möglich gewesen, – ob es so möglich sein wird, muß erst abgewartet werden. Dieser Stabsarzt Dr. Kunze muß doch ein recht ordentlicher Mann sein, denn Fritz schreibt, daß es ihm sehr schwer gefallen sei, sich von seinen Leuten zu trennen. –

     Fritz übernimmt nun zunächst bei der Stabskomp. die Sanitäterstelle. Am 29.3., als er den Brief schrieb, war er bei Stegmiller. Am Karfreitag hat er den Gottesdienst mitgemacht, den Stegmiller veranstaltete, am Sonnabend [12] ist er mit San-Feldw. Franke nach Buchenbach per Rad gefahren, hat sich dort ausgeruht u. ist dann weiter allein nach Hinterzarten zur Baronin v. Wolff gefahren, um dort über Ostern zu bleiben. Sein Stabsarzt hat diesen Osterurlaub als Dienstreise frisiert, sodaß ihm dieser Ausflug möglich gemacht wurde. Auch das ist eine anerkennenswerte Tat des Dr. Kuntze. –

     Fritz wurde, wie er schreibt, in Hinterzarten wieder sehr freundlich aufgenommen. Er war glücklich, in einem gut gepflegten Hause wieder einmal in einem guten Bett schlafen zu können. Dennoch hat der Krieg auch dort seine ernsten Spuren hinterlassen. Die beiden Söhne aus der ersten Ehe der Frau v. Wolff=Wendelstadt sind im Osten gefallen u. den Birkenhof hat man Frau v. W. im vorigen Jahre genommen u. anscheinend auch ihre Schule, ihr u. ihres Schwagers Hans Wendelstadt Lebenswerk u. Aufgabe. Die Tochter Juliane ist verheiratet mit einem Arzt, Pathologe, Dr. habil., Privatdozent an der Univers. Freiburg u. jetzt Stabsarzt. Ein Gegensatz zu ihr ist ihre Schwester Maria, die Fritz als sehr ernst u. verschlossen schildert, ein Mädchen, das viel liest, u. zwar gute u. schwere Bücher, die ihr den Zugang zum Leben noch mehr erschweren, zumal sie sehr einsam lebt. Fritz meint, daß ihr die Religion oder vielmehr der Glaube fehle, der dieses Mädchen von der Lebensangst befreien könnte, an der sie zu leiden scheint. – Er schreibt, daß die Freude, dort zu Besuch zu sein, auf beiden Seiten sei u. er stellt das frohen Herzens fest. – Am Ostersonntag gab es dann ein schönes Osterfrühstück. Anschließend Besuch bei Mausel Liehl, irgendwie eine Verwandte oder ein Patenkind von Max Wegscheider, die dort unten mit einem Pfarrer Huss verheiratet ist. – Nach dem Essen machte er einen Spaziergang mit der Tochter Maria, danach Tee u. Kuchen. Abends war er mit Frau v. W. u. Maria im Ostergottesdienst u. nachher in der Familie. Zufällig traf da grade ein Brief von Frau Partikel, der Schwester der Frau v. W., aus Ahrenshoop ein.

     Am Ostermontag waren alle zum Kaffee bei Juliane, die wohl im gleichen Hause wohnt, aber eine eigene Wirtschaft führt. Danach mußte Fritz dann wieder losfahren. Jedenfalls schreibt er, daß er glücklich u. dankbar war, dies alles erleben u. uns mitteilen zu können, – offensichtlich hat diese Maria einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht. –

     Es wird wohl zwecklos sein, Fritz auf diesen Brief noch zu antworten, denn gestern hieß es, daß die Anglo-Amerik. die Elbe an zwei Stellen, nördl. u. südl. Magdeburgs, überschritten hätten u. nun etwa 80 km. von Berlin entfernt sind. Damit wäre dann die Nord-Süd=Verbindung endgültig unterbrochen, denn auch Leipzig ist im Süden bereits umgangen im Vorstoß gegen Dresden. Dennoch will ich wenigstens kurz schreiben. Ich erwarte, daß die Engländer nun direkt auf Rostock losgehen werden u. daß sie nun auch eine neue Landung in Dänemark vornehmen werden, um zu verhindern, daß unsere geschlagenen Truppen nach Jütland ausweichen. Wenn sie das nicht verhindern, müßten sie unter Umständen den Krieg bis in die Nordspitze Jütlands hineintragen, woran weder ihnen noch den Dänen etwas gelegen sein kann. Kiel ist in diesen Tagen u. Nächten immer wieder schwer aus der Luft angegriffen worden, [13] auch Hamburg, was wohl ein Zeichen für diese neue Landg. sein kann. Die Engländer werden vor allem den Nord=Ostsee-Kanal in ihren Besitz bringen müssen, um die Ostsee zu beherrschen. –

     Unsere Andacht heute war wieder sehr stark besucht, es werden immer mehr Menschen u. das Zimmer ist nun bald zu klein.

     Gestern Nachmittag waren Herr + Frau Meisner bei uns. Dieser Mann ist doch noch viel dümmer, als ich es je gedacht hätte. Er sitzt nun da wie ein betrübter Lohgerber, dem seine Fälle weggeschwommen sind u. er ist gänzlich hoffnungslos. Diese Gesellschaft hat uns diese Suppe eingebrockt u. nun jammern sie, daß ihnen dieses Gericht nicht schmeckt. Natürlich sind alle anderen Schuld daran u. vor allem sind die Amerikaner große Dummköpfe, die sich dem Bolschewismus ausliefern usw. Seine Gedanken bewegen sich lediglich in den Grenzen nationalsoz. Propaganda, er ist unfähig, einen eigenen obiektiven Gedanken zu fassen u. über diese Dinge hinauszusehen, dabei kommt er sich noch sehr klug u. weise vor. Ich habe geschwiegen, eine Entgegnung ist da völlig zwecklos.

     Der frühere Reichskanzler v. Papen ist in einem Jagdhaus im Ruhrgebiet mitsamt seinem Sohn u seinem Schwiegersohn v. Stockhausen von den Amerikanern gefangen genommen worden.

Montag, 16. April 1945.     

     Gestern Nachmittag Herr Deutschmann, ohne besondere Veranlassung. Vielleicht wollte er sich nur unsere Freundschaft sichern für die kommende Zeit.

     Im Ruhrkessel, der jetzt in zwei Hälften geteilt ist, hat man außer Herrn v. Papen nun auch den Obergruppenführer der SS Prinz August Wilhelm v. Hohenzollern aufgefunden, sowie den Großindustriellen Krupp v. Bohlen-Hallbach u. a. prominente Persönlichkeiten. Auch der alte Feldmarschall v. Mackensen ist dort unter sehr amüsanten Umständen aufgefunden worden. Russen hatten den Anglo-Amerikanern gesagt, daß da ein deutscher General-Feldmarschall sei. Eine Abteilung Soldaten wurde hingeschickt, die zu ihrer großen Enttäuschung nur diesen 92jährigen Greis fanden, der zu ihnen sagte: „Können Sie nicht diese Russen da veranlassen, daß sie meine Hühner zufrieden lassen? –

     An den Fronten scheinen keine besonderen Veränderungen eingetreten zu sein, mit Ausnahme von Holland, wo sie im Norden, östl. der Zuidersee, die Nordseeküste erreicht haben. Nörd. von Magdeburg ist es unseren SS=Einheiten sogar gelungen, die Engländer wieder auf das Westufer der Elbe zurückzudrängen, sie halten nun bloß noch den Brückenkopf südl. Magdeburg.

     Es ist herrliches Wetter.

Dienstag, 17. April 1945.     

     Seit gestern Morgen um 9 Uhr haben wir keinen Strom mehr; jetzt ist es 1/2 12 Uhr. –

     Heute früh sind wieder neue Flüchtlinge eingetroffen, es sollen 165 Personen sein, u. zwar ärmstes Proletariat aus Stettin. Es ist unmöglich, diese Menschen unterzubringen. Martha ist mit Trude eben dabei, den Boden des kl. Hauses [14] frei zu machen, da man uns benachrichtigt hat, daß auch wir Flüchtlinge aufnehmen müssen. Man hatte sogar die Absicht, die Leute in der Bu. Stu. auf Stroh zu legen, doch scheint man davon zunächst abgekommen zu sein.

     Von Loischer kam ein Telegramm: „Ueberweisen Sie bitte sofort telegraphisch 4100 – Rm., Ware unterwegs“. Grade gestern habe ich ihm einen Verrechnungsscheck über 480,– Rm. geschickt, da ich nicht wußte, wie ich ihm sonst das Geld für seine letzte Sendung zukommen lassen sollte. Er wollte es eigentlich per Postanweisung in bar haben, aber ich wollte mein Konto bei der Sparkasse verringern. Er hatte vor einiger Zeit geschrieben, ob wir ihn hier unterbringen könnten, aber das geht ja nicht mehr. – Er will nun wohl seine Ware, die er so lange zurückgehalten hatte, im letzten Moment noch los werden. Ich werde ihm aber das Geld erst schicken, wenn ich die Ware wirklich hier habe. –

     Da kein Strom ist, sind wir ohne Nachrichten u. man weiß nicht, wie die Lage ist. Es kann passieren, daß die engl. Panzer plötzlich ins Dorf rollen.

Mittwoch 18. April 1945.     

     Einem Gerücht nach soll gestern von 4 – 6 Uhr Morgens Strom gewesen sein. Wir versuchten es heute früh u. hatten tatsächlich Erfolg. Wir hörten wenigstens den Soldaten-Sender. Als um 6 Uhr der engl. Sender anfing, setzte der Strom wieder aus. – So hörten wir also, daß Leipzig eingeschlossen ist. Der Truppenkommandant wollte die Stadt übergeben, aber der Nazi-Bürgermeister verlangte, daß gekämpft wird. So liegt diese Stadt, die ohnedies nur noch ein Trümmerhaufen ist, jetzt unter dem pausenlosen Artilleriefeuer u. den Bomben aus der Luft. In Nürnberg, wo nach Ruth's letzter Nachricht Erich ist, um die Verkehrsanlagen zur Sprengung vorzubereiten, wird gekämpft. Dresden liegt nur noch 25 km. vor der Front, Chemnitz ist umgangen. In dieser Gegend haben die Amerikaner die Tschechoslowakische Grenze erreicht. Der Brückenkopf südl. Magdeburg ist erweitert in Richtung Berlin. Es scheint so, als hätten die Russen bei Frankfurt die Oder überschritten, ebenfalls in Richtung Berlin, aber das ist nicht ganz klar, jedenfalls steht die Vereinigung der West= u. Ostfront jetzt dicht bevor, u. zwar südl. Berlin. Man wird nun bald nicht mehr von einer West= u. Ostfront sprechen können. – Gegen Hambg. sind die Engländer ebenfalls weiter vorgekommen, aber nicht so weit, wie gestern Gerüchte wissen wollten, die von Kämpfen bei Ludwigslust sprachen. Die Engländer scheinen ihre größte Anstrengung in Holland zu machen, um dieses Land zu befreien. – Der Gauleiter von Hamburg, Kaufmann, soll erschossen worden sein, weil er die Stadt übergeben wollte. –

     Gestern Nachmittag Herr + Frau Dr. Umnus. Er ist ein sehr intelligenter, aber restlos materieller Mensch, mit dem man nicht viel anfangen kann. Die Frau scheint neben diesem Mann kein sehr glückliches Leben zu führen.

     Gestern zog also ein altes Ehepaar Meier im Boden des kleinen Hauses sein, mit ihrem Sohn, der etwa 45 Jahre alt sein mag u. einen etwas blöden Eindruck macht. Ich werde mich heute einmal um die Leutchen kümmern.

     Heute ist es nebelig u. kalt, das schöne Frühlingswetter scheint vorüber zu sein.

[15]
Donnerstag, 19. April 1945.     

     Nach wie vor haben wir nur von 4 – 6 Uhr Strom. Ich stand wieder auf, den Soldatensender zu hören, der über alle Dinge ganz merkwürdig gut unterrichtet ist u. dessen Sendungen überhaupt von einer sehr großen Lebendigkeit sind, – selbst die Tanzmusik, die er in den Pausen sendet, ist sehr amüsant. – Nach dieser Sendung hat ein Großangriff aus der Luft auf Helgoland stattgefunden, bei dem nicht weniger als 900 Flugzeuge beteiligt waren u. der eine Stunde gedauert hat. Der Angriff muß eine verheerende Wirkung gehabt haben. Ich nehme das als sicheres Zeichen, daß eine Landung über See nun unmittelbar bevorsteht. Vielleicht heute oder morgen, zum Geburtstage des Führers.

     An der Westfront sind sonst keine wesentlichen Veränderungen, nur daß die Engländer sich von Süden her näher an Hamburg herangeschoben haben u. Lüneburg genommen haben. Ebenso sind sie näher an die Tschechoslowak. Grenze herangekommen u. haben diese wohl schon erreicht. Auch in Holland haben sie gewonnen u. der Widerstand im Ruhrkessel scheint nun abzuflauen. Dem Gerücht nach soll Feldmarschall Model sich das Leben genommen haben. Daß unser Atlantik-Stützpunkt an der Gironde-Mündung nun ebenfalls kapituliert hat, ist ja nur von lokalem Interesse.

     An der Ostfront scheinen die Russen nun im Raume östl. Berlins zum Großangriff übergegangen zu sein, doch ist nicht genau zu erkennen, wie weit sie vorgedrungen sind.

     Heute Abend um 815 Uhr wird Dr. Goebbels im Rundfunk zum Geburtstage des Führers sprechen, aber davon wird man nichts hören, weil kein Strom da ist. Es werden sich über diese Rede hauptsächlich die Deutschen in den besetzten Gebieten freuen.

     Der Führer hat wieder einmal ein Lebenszeichen von sich gegeben in Gestalt eines Tagesbefehls an die Wehrmacht der deutschen Ostfront. Darin heißt es, daß „die alten Männer u. Kinder (von den Russen) ermordet werden“, u. daß „Frauen u. Mädchen zu Kasernenhuren erniedrigt“ werden. „Der Rest marschiert nach Sibirien“. – Nach diesem Gefasel wird behauptet, daß alles geschehen sei, eine starke Front aufzubauen u. daß „eine gewaltige Artillerie“ den Feind empfangen würde, die Bolschewisten würden also diesmal vor Berlin „verbluten“. Sodann wird jeder ein Verräter genannt, wer „seine Pflicht nicht erfüllt“, Regimenter u. Divisionen, die das nicht täten, werden im voraus beschimpft. Hitler empfiehlt dann, auf verräterische Offiziere u. Soldaten zu achten u. er befiehlt, jeden Offizier, der Befehl zum Rückzug gibt, „sofort festzunehmen u. nötigenfalls augenblicklich umzulegen, ganz gleich, welchen Rang er besitzt“ – „Berlin bleibt deutsch, Wien wird wieder deutsch u. Europa wird niemals russisch“, – fährt er dann fort, um dann wenigstens mit einem Satz zu schließen, der wahr ist. Er lautet: „In dem Augenblick, in dem das Schicksal den größten Kriegsverbrecher aller Zeiten von dieser Erde genommen hat, wird sich die Wende dieses Krieges entscheiden.“ Das ist wahr. Sobald Adolf Hitler erledigt sein wird, wird auch der Krieg erledigt sein. Er meint aber natürlich den Tod Roosevelt's. Obwohl er genau weiß, daß dieser Tod für die Fortführung des Krieges ganz [16] belanglos ist, benutzt er ihn doch, um eine lügenhafte Propaganda damit zu treiben. –

     Frau v. Wolff hat an ihre Schwester, Frau Partikel, geschrieben u. von dem Besuch Fritzens in Hinterzarten berichtet. Sie schreibt, Fritz habe sehr wohl u. gesund ausgesehen u. sein Besuch sei von allen sehr angenehm empfunden worden. –

     Der Mittwoch-Vortrag gestern Abend war wieder sehr gut. Nachher blieben Herr + Frau Dr. Ziel, Herr Dr. Hahn u. Frau Müller-Bardey noch etwas da, wobei ich bemerken konnte, daß besonders Dr. Hahn sich schon ganz in die Vorträge eingelebt hat, nachdem das nach dem ersten Vortrag ganz u. gar nicht der Fall gewesen war. Er, wie auch Dr. Ziel beschäftigen sich offenbar die ganze Woche über mit diesen Dingen u. es wächst merklich. Besonders Frau Ziel ist sehr glücklich, daß die reichlich vorhandene Gefühlsanlage bei ihrem Mann durch diese Vorträge geweckt wird, sodaß er sich unter diesem Einfluß stark verändert.

     Grete ist heute nach Rostock gefahren, um nach ihrer Tochter Eva zu sehen. Dr. Krappmann hatte die Liebenswürdigkeit, sie im Wagen mitzunehmen, da er dienstl. in Rostock zu tun hat. Auf diese Weise kann Grete heute Abend wieder zurück sein, sonst hätte sie übernachten müssen.

     Die beiden Jungens Andreas v. Walter u. Eberhard Johow, beide 15 Jahre alt, mußten gestern nach Stralsund zur Musterung. So geht diese Verbrecherbande mit unserer Jugend um!

Freitag, 20. April 1945     

     Nach dem schweren Nachtangriff auf Helgoland ist ein Tagesangriff gefolgt, der wohl noch das Letzte eingeebnet hat. Aber eine Landung der Engländer ist bisher nicht erfolgt. Südlich Hamburg haben sie bei Lauenburg die Elbe erreicht. Leipzig ist gefallen, nachdem der dortige Oberbürgermeister, der zugleich SS=Obergruppenführer war, totgeschlagen worden ist. Im Donautal sind die Amerikaner jetzt auf 50 km. an Regensburg herangekommen.

     Im Osten sind die Russen jetzt etwa 35 km. vor Berlin u. weiter südlich in der Gegend Cottbus sind sie in Richtung Dresden weiter vorgedrungen. An dieser Stelle sind die Fronten jetzt nur noch 50 – 60 km. voneinander entfernt.

     Sonst sind keine wesentlichen Veränderungen. Die Rede, die Dr. Goebbels gestern Abend aus Anlaß des heutigen Geburtstages des Führers gehalten hat, hat bei uns niemand hören können, weil kein Strom da war. – Wie ich dem Soldatensender entnommen habe, war es eine übliche Phrase u. Aufforderung, weiter Wiederstand zu leisten bis zum Endsiege.

     Paul war gestern Abend allein bei uns u. sprach sich aus über seine Tochter Eva. Es ist sehr traurig. Er hat diese Tochter sehr geliebt u. er empfindet mit Recht ihr Verhalten als einen Angriff auf seine bürgerl. Ehre, seinen Namen, seinen Ruf u. seine Familie, um so schmerzlicher, als es so scheint, daß Eva das garnicht begreift u. es ganz belanglos findet, daß sie ein Kind hat, u. dieses, wie sich gestern herausstellte noch von einem verheirateten Mann. Grete ist gestern nämlich von Rostock zurückgekommen mit der Nachricht, daß Eva inzwischen das Kind bekommen hat, – ein Mädchen. – Grete sieht darin nichts anderes, [17] als eine Frage der Etikette. Ihre seichte u. oberflächliche Lebensauffassung offenbart sich hierin in einer höchst fatalen Weise. – Paul, der gewiß auch nicht besonders tief veranlagt ist, leidet doch sehr, nachdem ihm bereits seine Tochter Erika völlig entglitten ist u. auch Inge kein besonders gutes Verhältnis zum Vater hat. An diesen Dingen ist Grete schuld, die in ihrer Eitelkeit ihre Töchter an sich gezogen hat auf Kosten des Vaters. Sie hat es im Leben verstanden, durch eine ununterbrochene Kette von kleinen, unmerkbaren Gehässigkeiten die Töchter gegen den Vater einzunehmen u. das ist heute garnicht mehr gut zu machen, um so weniger, da sie auch garnicht den Willen dazu hat. Sie fühlt sich in ihrer Eitelkeit ja hoch über Paul erhaben u. versucht immer, ihn als minderwertig hinzustellen. Auch mir gegenüber hat sie das ein paarmal versucht, doch habe ich ihr dann stets deutlich über den Mund gefahren, sodaß sie sich jetzt hütet. Ueberhaupt ist sie mir gegenüber sehr vorsichtig, bei Martha spricht sie sich eher aus u. läßt dann stets ihre seichte Lebensauffassung erkennen, – eine Seichtheit, der sie mit albernen, okkultistischen Ausdrücken gern ein Mäntelchen umhängt, um eine Tiefe vorzutäuschen, an die sie übrigens selbst glaubt. Sie hält sich selbst für besonders edel u. tief, doch ist das alles dieselbe widerliche Eitelkeit, die sie leider vom Vater geerbt hat, der genau so seicht war. – Weil es ihr gelungen ist, ihre Töchter durch Verzärtelung u. Verwöhnung an sich zu fesseln u. zugleich dem Vater abspenstig zu machen, – u. weil die Töchter deshalb mehr an ihr hängen u. den Vater nebensächlich behandeln, glaubt sie nun, daß sie eine besonders gute u. liebevolle Mutter wäre u. sie sonnt sich in dieser Liebe ihrer Töchter, die für sie um so schöner ist, als diese Liebe ein Triumpf über Paul bedeutet. – Die Dinge lassen sich leicht analysieren. Grete ist seit ihrer Mädchenzeit ein sehr eitles u. erotisch neugieriges Mädchen gewesen. Schon in Hannover hat das angefangen, als sie noch zur Schule ging. In Dieuze hat es bereits gefährliche Formen angenomen. Eine Baronin v. Crailsheim, die Frau eines bayr. Rittmeisters, hat da einen üblen Einfluß auf sie gehabt u. da es in der kleinen Garnison an jungen Damen mangelte, machten die oberflächl. Leutnants ihr übermäßig den Hof. Grete neigte stets zu solchen Männern, deren Charakter etwas zweifelhaft war. Es war da besonders ein Leutnant v. Zech, ein junger Mann, der bereits eine bewegte Vergangenheit hatte u. in keinem guten Ruf stand. Als die Eltern dann nach Magdeburg zogen, verstärkte sich diese Anlage u. sie hatte allerhand Flirts. Schlimm wurde es, als dieser Herr v. Zech ebenfalls nach Magdeburg zum Train versetzt wurde, zu einer Truppe, die in der Armee kein Ansehen genoß, deren Offiziere sich aber in eitler Weise als Kavalleristen aufspielten. Ich nehme an, – u. habe Grund dazu, – daß Grete eine Zeitlang das regelrechte Verhältnis dieses Herrn gewesen ist. – Dann kam die Katastrophe, von der ich ja erst viel später, nach dem Weltkriege, erfuhr. Grete bekam ein Kind. Sie wurde von den Eltern irgendwohin geschickt, wo sie heimlich entband. Das Kind wurde irgend einer Frau übergeben u. Grete kam wieder. Bald danach heiratete sie Paul. – Dieser verheimlichte Fehltritt kam nach dem Weltkriege plötzlich ans Tageslicht dadurch, daß dieser Sohn, der nun inzwischen groß geworden war, sich eines Tages an unseren Vater [18] wandte mit einem ziemlich ungeschickten Versuch der Erpressung. Da er drohte, sich an Paul wenden zu wollen, wenn er kein Geld bekäme, war die Situation unangenehm. Grete tat das Beste u. beichtete ihrem Mann. Für ihn war es ein böser Schlag. Er löste zwar die Ehe nicht, aber der Riß war nicht mehr zu reparieren. – Grete mußte nun ihrerseits etwas aus der Sache machen. Sie war grade damals ganz befangen in ihren ebenso eitlen wie dummen u. oberflächlichen okkultistischen Interessen u. hielt damit ihre Umgebung in Atem. Sie machte sich interessant. Nun zog sie bei der Familie ihres Mannes herum, um sich als öffentl. Büßerin aufzuspielen. Sie erzählte allen, was sie garnicht nötig gehabt hätte, daß sie einen Fehltritt begangen hätte u. eigentlich ein ganz sittenloses u. verächtliches Geschöpf wäre. Die Triebfeder dazu war Eitelkeit. Es war ja auch das interessant. Und dazu kam noch die erotische Triebfeder: ein seelischer u. moralischer Exhibitionismus. – Paul dagegen schaffte sich eine Freundin an, die er gewiß gern geheiratet hätte, doch tat er es nicht, vorwiegend wohl aus Rücksicht für die Töchter. Wenn Grete wirklich reuig gewesen wäre, dann hätte sie das alles ganz in Ordnung gefunden; aber es kam offenbar zu Zank zwischen den Eheleuten u. sie nannte Pauls Freundin „Hure“. – Kurz u. gut, das ganze Familienleben war nun zerrüttet u. sie benutzte diese Gelegenheit, die Töchter dem Vater zu entfremden u. an sich zu fesseln, – genau so, wie meine eigene Frau es getan hat. Jetzt nun ist ihr auch noch das uneheliche Kind Evas ein Anlaß, sich selbst zu rechtfertigen. Sie empfindet das so, daß sie denkt: wenn solche Sache sogar der Tochter Eva passiert, die von aller Welt als ein besonders wertvoller Mensch anerkannt wird, dann ist der eigene Fehltritt doch um so mehr zu entschuldigen. Er ist dann so bedeutungslos wie ein Etikettenfehler. –

     Ich sprach s. Zt. mit Mama über ihre Sache. Ich habe ihr den Vorwurf gemacht, daß sie, besonders aber der Vater, – diese ganze Geschichte in dieser Weise vertuscht u. damit den Grundstein zu einer Lüge gelegt hätten, deren Opfer doch schließlich Paul geworden sei. Mama wußte darauf nichts weiter zu sagen, als: „ja, was hätten den die Leute gesagt, wenn Grete ein uneheliches Kind bekommen hätte!“ Es war also auch schon für die Eltern eine „Etikettenfrage“, u. nicht mehr. Das ist um so erstaunlicher, als Mama mir auf meine Frage, warum denn jener Rechtsanwalt, der der Vater dieses Kindes war, Grete nicht geheiratet hätte, antwortete: „Der Vater ist zu ihm gegangen u. hat dies verlangt; aber er hat abgelehnt mit der Begründung, er sei ja nicht „der Erste“ gewesen.“ –

     So wie mit Paul, so hat sie es ja auch lange Jahre mit mir gemacht. Paul stellt sie als einen ungeistigen u. oberflächlichen Menschen hin, um sich selbst herauszuheben. So hat sie jahrelang über mich vor den Eltern Lügengeschichten verbreitet, um mich zurückzudrängen u. selbst um so mehr zu gelten. Das ist nun jetzt freilich endgültig aus.

Sonnabend, den 21. April 1945.     

     Helgoland ist ein drittes Mal bombardiert worden. Sonst sind an den Fronten außer örtlichen Fortschritten keine besonderen Veränderungen. Nürnberg ist in Feindeshand u. es scheint, daß die Verteidigung nicht sehr stark gewesen ist. Wahrscheinlich wird Erich in der Stadt sein.

     Heute ist ausgiebiges Regenwetter, das wir gut gebrauchen können.

[19]
Sonntag, d. 22. Apr. 1945.     

     Heute schreibe ich zum ersten Male nicht mehr an Fritz, denn es hat keinen Zweck mehr. Heute früh um 4 Uhr hörte ich, daß die Russen unmittelbar vor Berlin stehen, u. zwar im Osten + im Süden. Es wird bereits in den Vororten gekämpft. Es heißt, daß bewaffnete Arbeiter in der Gegend Warschauer Brücke zum Aufruhr übergegangen seien. Polizeitruppen sind dagegen eingesetzt worden, doch sollen diese dann wieder zurückgezogen worden sein, wahrscheinlich, weil sie, wie ich annehme, sich geweigert haben werden, zu schießen. In Berlin u. überhaupt an der Ostfront sollen zahlreiche deutsche Offiziere, die sich bisher in russ. Kriegsgefangenschaft befanden, mit Fallschirm abgesetzt worden sein. Sie tragen ihre deutschen Uniformen u. organisieren den Widerstand gegen die Regierung. Weiter nördlich, besonders im Raume östl. Dresden sind die Russen ebenfalls mit starken Kräften vorgestoßen u. stehen dicht vor Dresden, sodaß eine Vereinigung mit den Amerikanern jetzt stündlich zu erwarten ist. Damit ist praktisch die Verbindung zwischen Nord + Süd unterbrochen. Für uns hier oben ist besonders wichtig, daß die Russen südl. Stettin die Oder überschritten haben. Man kann nun Wetten abschließen, wer zuerst hier bei uns sein wird, die Russen oder die Engländer. Die Engländer + Amerikaner müssen wohl erst ihren Nachschub organisieren, der schwierig sein muß, weil das Ruhrbecken die Hauptstraßen u. Eisenbahnen blockiert hat. Aber dieses Becken ist nun liquidiert. Im Süden sind die Amerikaner weiter vorgestoßen in den Schwarzwald hinein. Sie werden dort alles abschneiden, was noch am Oberrhein steht, also auch Fritz. Möge Gott ihn schützen. Eine Landung im Norden ist immer noch nicht erfolgt. –

     Gestern hat Kapitänlt. Dr. Krappmann seine Frau u. seine Kinder u. seine ganzen Habseligkeiten mit einem Lastauto von Bachmann abtransportieren lassen, irgendohin zwischen Kiel u. Lübeck. Er selbst ist gestern angeblich dienstlich nach Dänemark gefahren. Frl. Regina Treffer, die Nachrichten-Helferin, die heute wie meist in der Andacht war, erzählte, daß alle Helferinnen entlassen werden sollen; da aber alle ausgebombt sind u. ihre Familien irgendwo als Flüchtlinge leben, wissen sie nicht, wohin sie sollen. Von den Vorgesetzten sagte sie: „die reißen ja alle nach Dänemark aus“. Das ist der Eindruck, den die Leute haben, wenn ihre Offiziere jetzt plötzlich dienstlich in Dänemark zu tun haben. Immerhin wäre es ganz gut so, denn wenn die Soldaten führerlos sind, werden sie nicht kämpfen u. das wäre das Beste.

     Man kommt sich vor wie in einer Irrenanstalt, wenn man angesichts dieser Lage ausgerechnet gestern im Rost. Anzeiger die Rede von Dr. Goebbels zum Geburtstage des Führers liest u. die Wirkung beobachtet, die diese Rede auf einen Teil der Volksgenossen gemacht hat. Anstatt in schallendes Gelächter auszubrechen oder in empörte Wut, laufen die Weiber herum mit glänzenden Augen u. schwärmen wie brünstige Backfische von unserem Führer. „Die Frau des Bürger= u. Malermeisters“ Emil Gräff tut sich darin am lautesten hervor. Ich habe seit 1933 gelernt, daß dieses Volk wirklich unerlaubt dumm ist, aber wie dumm es ist, das sieht man erst heute.

     Gestern Nachmittag erschien ein etwas merkwürdiger, [20] dicklicher, propper u. gepflegt aussehender Herr mit einer Glatze u. stellte sich vor als ein Maler aus Düsseldorf mit Namen Buddé oder so ähnlich. Er gab an, vor einiger Zeit in Düsseldorf total ausgebombt worden zu sein. Er sei dann als Gast zu irgend einem Maler nach Frankfurt-O. gegangen, seine Familie –, er sprach von zwei Söhnen, – sei noch in Düsseldorf. Er sei dann aus Frankf-O. vor den Russen geflohen u. sei nach Lübz in Mklbg. gekommen, wo er krank geworden sei. Dort hat er die Tochter von Frau Elsbeth Grimm irgendwie kennen gelernt u. diese habe ihm gesagt, er solle nach Ahrenshoop gehen u. sich bei uns melden. Wir konnten ihn bei uns nicht mehr unterbringen, aber zufällig war Frau Longard da, die noch ein Zimmer u. ein Bett frei hatte u. so nahm sie diesen Mann mit zu sich. – Mir kommt die Geschichte etwas merkwürdig vor. Ich schätze den Mann auf etwa 45 Jahre u. es ist nicht einzusehen, warum er nicht Soldat ist. Mindestens müßte er doch Volkssturm-Mann sein. Vielleicht ist er Deserteur? Solche soll es ja jetzt zahllose geben. Auch drüben im Hause Lange ist ja Herr Heide, der Mann einer der Töchter der Frau Lange, der eines Tages hier auftauchte u. Elektrotechniker sein will. Er bastelt jedenfalls an den Radio-Geräten herum, wenn sie kaputt sind, aber er machte nie einen sehr vertrauenerweckenden Eindruck. Eines Tages wurde er dann Soldat u. jetzt ist er plötzlich auch wieder hier. Niemand weiß recht, wieso. Er hat Martha erzählt, daß sein Regiment irgendwo in Thüringen aufgerieben worden sei. Er selbst sei dann ins Lazarett gekommen u. dieses Lazarett soll ihn einfach in die Heimat entlassen haben. Auch diese Geschichte ist sehr unwahrscheinlich.

     Herr Buddé kennt jedenfalls den Maler v. Perfall u. sprach über ihn so, daß ersichtlich ist, daß er ihn wirklich näher kennt. Auch spricht er rheinisch. Das stimmt also. Was aber sonst mit ihm los ist, muß sich erst erweisen.

Montag 23. April 1945.     

     Der Kampf um Berlin scheint sehr viel rascher zu gehen als man annehmen konnte. Die Russen sind bereits weit in die Stadt eingedrungen u. sind am Friedrichshain, Warschauer Brücke uw, auch Weissensee haben sie. Im Norden haben sie Hermsdorf, Frohnau usw. u. auch vom Süden dringen sie in die Stadt ein. Dort sollen sie nur etwa 30 km. von den Anglo-Amerikanern sein, aber wo diese stehen, ist nicht bekannt. – An der Elbe von nördl. Magdeburg bis Hamburg scheinen auf unserer Seite noch ziemlich starke Kräfte zu stehen, denn es ist den Engländern dort immer noch nicht gelungen, die Elbe zu überqueren. In Berlin scheinen dagegen unsere Truppen großenteils kampflos die Waffen zu strecken, auch scheinen sehr viele bewaffnete Fremdarbeiter in den Kampf einzugreifen. – Sonst sind an den übrigen Fronten anscheinend keine wesentlichen Veränderungen mit Ausnahme von Baden, wo die Franzosen, von Norden vordringend, Freiburg genommen haben u. weiterhin den Bodensee erreicht haben. Damit dürfte also Fritz wohl bereits in Gefangenschaft sein u. somit hoffentlich das Schicksal seiner Brüder Kurt u. Klaus teilen. – Von besonderer Bedeutung ist die Nachricht, daß die Japaner schon wieder eine neue Regierung gebildet haben, welche Verhandlungen mit England + Amerika [21] aufgenommen haben soll. Die in Japan befindliche Auslands=Organisation der NSDAP ist verboten worden u. die neue Regierung hat verfügt, daß in Japan keine Nationalsozialisten als polit. Flüchtlinge aufgenommen werden dürfen. Damit erledigt sich der Plan, falls ein solcher wirklich bestanden haben sollte, daß der Führer nach Japan fliehen kann. Es hieß ja wiederholt, daß für diese Flucht Flugzeuge bereit stünden.

     Man kann nun ja gespannt sein, ob der Herr Goebbels, der Führer des Volkssturm in Berlin, an der Spitze seiner Volkssturm-Männer gegen die Russen kämpfen u. Berlin „bis zum letzten Blutstropfen“ verteidigen wird, oder ob er sein kostbares Lieben u. seinen großen Mund noch einmal für eine Weile in Sicherheit bringen wird. Er kann dann ja zu Herrn Himmler gehen, der ihn wegen Feigheit vor dem Feinde dann eigenhändig über den Haufen schießen kann.

Dienstag, 24. April 1945.     

     Gestern kursierten zwei Gerüchte: der Führer habe persönlich die Verteidigung Berlins übernommen u. Amerika hätte die Beziehungen zu Rußland abgebrochen u. Molotow, der auf dem Wege nach San Franzisko gewesen sei, sei zurückgerufen worden. Die Leute hier sahen bereits Amerikaner im Kampf gegen die Russen.

     Das erste Gerücht scheint sich zu bewahrheiten, der Soldatensender behauptete heute früh dasselbe. Goebbels u. Hitler seien in Berlin u. organisierten die Verteidigung. Die Russen sind jedoch bereits im Besitz der östlichen u. nördlichen u. südlichen Vororte: Weissensee, Lichtenberg, Lichterfelde usw. Weiter südlich sollen sie bei Mühlberg auch schon die Elbe erreicht haben. Sonst scheinen keine großen Veränderungen vorgekommen zu sein mit Ausnahme von Bayern, wo die Amerikaner 20 km. vor Regensburg stehen sollen u. auch an München näher herangekommen sind.

     Das zweite Gerücht bestätigt sich bisher nicht u. wird sich wohl auch nicht bestätigen, wenngleich auch die Differenzen zwischen Amerika u. Russland sich sehr zugespitzt haben. Rußland besteht auf seiner Forderung, daß der polnische sog. Lublin-Ausschuß offiziell zur Teilnahme an der San Franzisko-Konferenz eingeladen werden solle, was einer offiziellen Anerkennung dieses Ausschusses als polnische Regierung gleichkäme, u. Amerika wie auch England lehnen das ab. Sie können auch garnicht anders, nachdem sie seit Monaten erklärt haben, daß sie nur eine poln. Regierung anerkennen könnten, in der die londoner Emigranten-Regierung vertreten ist. Das aber kann Rußland nicht zugestehen, nachdem es den Lubliner Ausschuß als poln. Regierung längst anerkannt hat. – Das ist der Punkt, auf den sich nun die deutsche Politik stützt in der Erwartung, daß das Bündnis mit Rußland auseinanderbrechen werde. Diese Erwartung ist nicht ganz abwegig. Es hat mit Rußland schon die merkwürdigsten Ueberraschungen gegeben: vor 1939 die plötzliche Beendigung des russisch-finnischen Krieges u. dann 1939 die langen Verhandlungen Englands mit Rußland zwecks Abschlusses eines Bündnisses gegen Deutschland, die dann plötzlich u. überraschend mit dem Abschluß eines Konsultatio-Paktes zwischen Rußland u. Deutschland endeten. Nicht weniger überraschend war dann der Nicht-Angriffs-Pakt zwischen Rußland u. Japan Es wäre wohl denkbar, daß Rußland auch jetzt wieder eigne Wege gehen will. Vielleicht ist Herrn Stalin der Kamm [22] geschwollen, nachdem er sich nach der bevorstehenden Niederlage Japans im Rücken frei fühlt. Andererseits ist es nicht gut denkbar, daß die Alliierten sich jetzt grade so zanken werden, daß alle Erfolge dadurch in Frage gestellt werden. Eher halte ich es für möglich, daß man im letzten Augenblick die San-Franzisko-Konferenz vertagen wird. Der Konflikt Amerika-Rußland bleibt dann freilich in der Schwebe u. muß eines Tages zum Ausbruch kommen. –

Gestern war Herr Gräff bei mir u. bat mich um die Anfertigung von zwei Schildern für eine „Panzer-Melde-Stelle“, die lt. Verfügung angebracht werden sollen. Dabei erzählte er mir eine mysterisöse Geschichte, die sich im Dorf ereignet hat. – Am Sonnabend ist der alte Garloff aus Born mit seinem Gespann nach Wustrow gefahren, um dort eine Kiste Butter abzuholen. Garloff hat sich zu seinem bisherigen Pferd ein neues zugelegt, das sehr wild sein soll. Garloffs Tochter war auch mitgefahren, aber auf dem Fahrrade. Auf dem Rückweg von Wustrow nach Born ist die Tochter vorausgefahren. Als sie im Darss in die Nähe der Drei Eichen kam, ist der Wagen mit den Pferden ohne den Vater u. auch ohne die Butterkiste ebenfalls dort angekommen. Die Tochter hat das Gespann angehalten, hat ihr Rad auf den Wagen geladen u. ist merkwürdigerweise nach Born weiter gefahren, ohne sich um den Verbleib des Vaters u. der Butterkiste weiter zu kümmern. – Prof. Reinmöller kam indessen von einem Spaziergang aus dem Darss zurück u. fand den alten Garloff tot am Wege liegen. Er benachrichtigte die Batterie, die die Leiche dann mit Fuhrwerk in den Schuppen auf unserem Friedhof brachte, von wo sie dann noch in der Nacht von Frau Garloff abgeholt wurde. Die Butterkiste blieb verschwunden. – Gräff benachrichtigte die Gendarmerie. Einer der Zollbeamten traf dann – ich weiß nicht wann – zwei Leute im Darss, die mit Geldzählen beschäftigt waren. Es kam ihm verdächtig vor u. da die Leute keine genügende Auskunft geben konnten, beschlagnahmte er das Geld, etwa 400,– Rm. Diese beiden Leute sind Flüchtlinge, die hier im Orte wohnen. Später sah derselbe Zollbeamte einen Althäger Fuhrmann mit einer Holzfuhre durch das Dorf kommen. Er hielt ihn an u. fand auf dem Wagen die Butterkiste, die der Fuhrmann mit seinem Rock zugedeckt hatte. Er gab an, dieselbe im Darss in der Gegend gefunden zu haben, wo die Ahrenshooper ihr Holz werben, wobei auffällig ist, daß der Althäger Fuhrmann in dieser Gegend nichts zu suchen hatte, da die Althäger in einer ganz anderen Gegend Holz werben. In der Butterkiste fehlten bereits etwa 8 Pfund Butter.

     Es kann nun ganz gut so sein, daß der alte Garloff einen Schlaganfall bekommen hat u. vom Wagen gefallen ist. Oder es kann auch sein, daß das neue, sehr wilde Pferd durchgegangen ist u. Garloff heruntergestürzt ist u. sich das Genick gebrochen hat. Es könnte dann die Kiste herabgefallen sein, irgend jemand hat sie gefunden u. versteckt, um sie später zu holen. Woher die Leute mit dem Gelde aber zu diesem Gelde gekommen sind, weiß man nicht. Jedenfalls ist die Geschichte noch sehr unaufgeklärt.

     Grete wollte heute früh 4 Uhr mit dem Batterie-Auto nach Rostock fahren, um ihre Tochter Eva mit dem Kinde abzuholen, aber aus irgend einem Grunde fuhr bloß ein kleiner Wagen u. sie kam unverrichteter Dinge wieder zurück. Sie wurde auf Freitag vertröstet. Es heißt, daß [23] ab heute Nacht jeglicher Personenverkehr auf der Eisenbahn eingestellt worden sei. –

     Die NSV u. die Partei haben gestern das letzthin gesammelte sog. Volksopfer, dessen Ertrag bisher auf der Gemeinde lag, weil niemand es abtransportieren konnte, der Bu Stu übergeben, damit die Sachen in der von Martha eingerichteten Schneiderstube für die notleidenden Flüchtlinge verwendungsfähig gemacht werden sollen. Das ist für Martha wieder eine neue, sehr umfangreiche Arbeit, bei der Paul sehr gut helfen kann, damit alles ordnungsmäßig organisiert wird. Die NSV versagt ja vollständig, da Frau Booth der Sache nicht gewachsen ist u. Geld ist auch nicht vorhanden. Das Elend unter den Flüchtlingen ist teilweise furchtbar. Martha hat da schon längst von sich aus angefangen, praktisch zu helfen u. zwar mit so gutem Erfolg, daß die NSV sich nun endlich entschlossen hat, ihr diese ganze Sache zu übergeben. Der einzige der hier wirklich etwas für die Flüchtlinge tut, ist Herr Deutschmann u. er ist wohl auch die treibende Kraft dafür, daß man Martha die Sache übergeben hat. Diejenige von all diesen Nazi=Weibern, die in all diesen Jahren den Mund am weitesten aufgerissen haben, die Frau Siegert, ist jetzt, wo es sich um tatkräftige Hilfe handelt, überhaupt nicht mehr zu sehen. –

Mittwoch, 25. April 1945.     

     Heute soll die San-Franzisko-Konferenz beginnen. Da der Soldaten-Sender nichts darüber gesagt hat u. es sonst keine Nachrichten mehr gibt, – selbst der Rost. Anzeiger kommt nicht mehr, – so weiß man nichts. –

     Die Kämpfe in Berlin nehmen ihren Fortgang. Von Hitler ist bisher in Berlin nichts zu sehen u. zu hören gewesen u. es ist durchaus möglich, daß die Nachricht, er habe den Oberbefehl in Bln. übernommen, nur ein Bluff von Goebbels war. In Süddeutschland, besonders in Oesterreich, scheint die Aufstandsbewegung schärfere Formen anzunehmen u. die Amerikaner machen dort anscheinend gute Fortschritte im Gegensatz zu den Engländern im Norden, die noch immer keine Anstalten machen, die Elbe zu überschreiten. Sie gehen nicht einmal auf Bln. weiter vor. Vor Bremen u. Hamburg scheint die Lage nicht wesentlich verändert zu sein. Vielleicht vermeiden sie absichtlich Kämpfe, um die Nordseehäfen möglichst unbeschädigt in die Hand zu bekommen. Dann aber sieht es so aus, als hätten sie nicht die Absicht, die Elbe zu überschreiten, vielmehr ganz Vorpommern u. Mecklenburg den Russen zu überlassen, die nun südlich Stettin wieder neu angegriffen haben. Dann würden wir also doch von den Russen besetzt werden. Die Offensive in Italien geht nun ebenfalls voran. Die Anglo-Amerikaner haben Bologna u. Ferrare genommen, nun auch Spezia, wo der Oberlt. Steinmetz sitzt, der früher hier bei der Batterie war u. es ist anzunehmen daß sie jetzt bei Ferrara den Po überschreiten werden u. unsere Truppen in den Winkel südl. der Schweiz hineinpressen werden. –

     Gestern Nachmittag kam Eva Küntzel hier an mit ihrem Kinde. Sie war von Wustrow aus zu Fuß hierher gekommen. Abends begrüßte sie uns. Wir saßen im Seezimmer u. die Sonne stand dicht über dem Horizont, sodaß sie voll ins Zimmer schien. Eva kam durch die Tür, die dem Fenster gegenüberliegt. Sie tat so, als ob die Sonne sie blendete u. verhüllte ihr Gesicht in den Händen. Wir sprachen dann nur kurz mit ihr. Sie sieht schrecklich [24] elend u. verwahrlost aus u. machte den Eindruck einer ganz tiefen Kümmernis. Sie tat mir schrecklich leid.

     Nach Eva war Kurt Spangenberg da, der nun von Schwerin bis auf weiteres beurlaubt ist u. von den Zuständen dort erzählte. Die Nazis dieser Stadt, die stets eine Hochburg der Nazis gewesen ist, leben in panikartiger Angst. Die Wehrmacht will die Stadt nicht verteidigen. Es sind dort etwa 20000 Verwundete, aber es fehlen noch 10000, damit die Stadt als Lazarett-Stadt erklärt werden kann. Die Stadt hat schwer gelitten unter Luftangriffen u. leidet besonders jetzt unter Tieffliegern, die jeden Fußgänger beschießen, besonders aber die Eisenbahnen, sodaß alle paar hundert Meter die Lokomotiven kaputtgeschossen werden.

     Nachmittags: ein Exemplar des Rost. Anz. ist gekommen, doch ist es vom Montag, den 23. Apr. Es geht daraus aber hervor, daß tatsächlich im Rundfunk bekannt gegeben worden ist, daß der Führer in Berlin ist u. den Entschluß gefaßt hat, in Bln. zu bleiben. – Ferner ist ein Aufruf von Dr. Goebbels abgedruckt, den er als Reichsverteidigungs-Kommissar an die Berl. Bevölkerung erlassen hat u. in dem er zur Verteidigung der Stadt auffordert. Mit der Verteidigung ist nun Generalleutn. Reyman beauftragt, ein ganz unbekannter Mann, wenn er auch, wie extra vermerkt wird, Träger des Eichenlaubs ist. Herr Goebbels versichert, daß er u. seine Frau mit den Kindern in Bln. sei u. nicht fortgehen werde. In diesem Aufruf wird zwar davon geredet, daß der „Mongolensturm“ an den Mauern der Reichshauptstadt gebrochen werden würde, aber er verzichtet nun doch darauf, von einem Sieg zu faseln. Aber er redet nach wie vor von dem „unvorstellbaren Schreckensregiment“, das die Russen bei uns aufrichten wollen, daß sie deutsche Frauen schänden u. in Frontbordelle schicken wollen, daß sie Kinder quälen + morden wollen, Millionen von Männern durch Genickschuß liquidieren wollen u. den Rest als Arbeitssklaven nach Sibirien schleppen wollen. – Nun, das wird wohl das letzte Geschrei dieses Halunken sein. – Weiter ist in der Zeitg. zu lesen, daß Molotow die Sowjetabordnung für San-Franzisko führt u. es wird eifrig von den Spannungen wegen Polen u. der Dardanellen geschrieben. Schließlich ist der Heeresbericht vom Sonntag abgedruckt, aus dem ich entnehme, daß die Franzosen gegen den Kaiserstuhl vordringen, also dort, wo Fritz ist.

     Der Gauleiter von Stettin, Schwede-Coburg, eine der widerlichsten Typen dieser ganzen Bonzen, hat für sich u. seine Familie hier im Kurhause Zimmer bestellt. Es sollte zwar geheim bleiben, aber der ganze Ort weiß es. Vielleicht hat Ahrenshoop die Ehre, diesen Kerl an einem seiner Straßenbäume hängen zu sehen.

Donnerstag, 26. April 1945     

     Berlin ist jetzt vollständig eingeschlossen u. zwei Drittel der Stadt ist in russ. Hand. Der Volkssturm scheint sich dort besonders auszuzeichnen, natürlich auf russischer Seite, was ja auch nicht anders zu erwarten war. Der Soldaten-Sender behauptete heute früh, daß die Berliner bisher von Hitler weder etwas gehört noch gesehen hätten. Vielleicht ist die ganze Sache doch ein großer Schwindel u. nur dazu da, um den wahren Aufenthalt des Führers zu verschleiern. – Im Süden der Westfront sind die Amerikaner weit voran gekommen u. stehen bereits 30 km. vor Passau [25] Anscheinend sind sie an Regensburg vorbeigegangen. Auch in Italien haben sie sehr erhebliche Fortschritte gemacht, die Abdrängung unseres ganzen rechten Flügels in den Winkel südl. der Schweiz ist bald Tatsache.

     Heute baut uns ein Soldat einen Kochofen in der Waschküche. Deutschmann hat uns die eiserne Platte u. die sonstigen Zubehörteile beschafft, natürlich altes Material, doch ist es noch brauchbar. Nur fehlen uns leider noch die Ringe für die Kochlöcher.

     Der Vortrag gestern abend war für mich sehr schwer. Es handelte sich um die Bergpredigt u. ich mußte mich sehr anstrengen, den Hörern die Sache nahe zu bringen. Es scheint mir aber wenigstens so weit gelungen zu sein, daß alle begriffen haben, daß es sich hier nicht um irgend eine neue Ethik handelt, nach der man leben kann, wenn man Lust dazu hat, sondern daß da Dinge gefordert werden, die zu tun dem Menschen aus eigener Kraft unmöglich sind. Jedenfalls sagte Herr Dr. Hahn nachher, er hätte die Bergpredigt in der Schule „gelernt“ u. er habe niemals bemerkt, daß daran irgendetwas schwierig wäre; nun aber habe er so viel gesehen, daß die Bergpredigt vielleicht das Schwierigste in der ganzen hl. Schrift sei. Darüber habe ich mich sehr gefreut. –

     In der Nacht waren wieder viele Flieger in der Luft. Heute ist es draußen trübe, von Zeit zu Zeit hört man in der Ferne Kanonendonner. Die Front rückt näher, die Russen greifen aus ihren Oderbrückenköpfen südlich Stettin an.

Freitag, 27. April 1945.     

     Gestern erschien ganz überraschend Traugott Wendt, der Sohn von Karl-Ernst Wendt, Pfarrer in Blumberg, Martha's Vetter. Er ist ein hoch aufgeschossener, junger Mensch von 20 Jahren, etwas verhungert wie die meisten Menschen heute in Deutschland, aber mit einem ganz reinen u. unverdorbenen Jungens-Gesicht. Er ist Unteroffizier u. Offiziersanwärter u. ist eben jetzt von seinem Ersatz-Truppenteil bei Wismar in Marsch gesetzt worden zum Regiment in Windau. Es ist kaum zu glauben, daß man jetzt noch Leute nach Kurland schickt, – aber es ist so. Er war auf dem Marsch durch Ribnitz u. machte den Abstecher zu uns. Er blieb die Nacht über u. ging heute früh um 5 Uhr wieder nach Wustrow zurück, von wo er mit dem Dampfer nach Ribnitz fuhr, um von dort vielleicht Swinemünde zu erreichen, von wo dann vielleicht noch ein Schiff nach Kurland auslaufen mag. Das ist aber sehr unwahrscheinlich, denn heute früh hieß es, daß die Russen Stettin genommen haben u. weiter im Vordringen nach Westen sind. Traugott hofft natürlich, daß er nicht mehr nach Kurland kommen wird u. beeilt sich nicht besonders, nach Swinemünde zu kommen. Er erzählte, daß sein Vater Karl-Ernst in Blumberg geblieben ist, während die Mutter auf Rügen untergekommen ist. Blumberg ist inzwischen in russischer Hand. –

     Unser Ofen in der Waschküche ist heute morgen fertig geworden. Wir haben nun auch Ringe für das kleinere Ofenloch bekommen, nur für das größere fehlen sie noch.

     Heute früh hörten wir als Wichtigstes, daß Hermann Göring wegen „Herzkrankheit“ seine Aemter niedergelegt [26] hat. Damit ist also, der „beste Mann“ u. „der getreueste Vasall“ u. „mein Freund Goering“ ausgeschieden; aber er wird sich damit nicht retten. Hitler scheint tatsächlich in Berlin zu sein, ebenso Goebbels. Wo Himmler steckt, weiß man nicht. Nachdem er jetzt seine SS u. Gestapo u. die Polizei nicht mehr besitzt, ist er eine bedeutungslose Figur geworden. Bormann, Ley u. einige andere sollen in Süddeutschland sein, wo überhaupt die Masse der prominenten Pg's. zu stecken scheint, aber die Bevölkerung ist sehr unsicher geworden. Die Amerikaner scheinen keinen großen Widerstand mehr zu finden, sie haben Regensburg eingeschlossen u. stehen vor Passau u. München. Im Norden haben sie offenbar den Vormarsch eingestellt, mit Ausnahme bei Hamburg, wo sie östlich weiter nach Norden durchstoßen. Weiter scheint ihr Ehrgeiz nicht zu gehen. In Berlin wird immer noch gekämpft, aber es scheint nur noch der alte Westen u. das Tiergarten-Viertel in unserem Besitz zu sein. –

Gestern Nachmittag war Frau Korsch da u. erzählte mir, daß ihr Herr Wituchter folgendes aus eigener Erfahrung berichtet habe: irgendwo im Osten sind einige Krankenschwestern zurückgeblieben u. in russ. Hände gefallen. Alle sind von den Russen höflich u. respektvoll behandelt worden, keiner ist ein Haar gekrümmt worden, auch wurde ihnen nichts gestohlen, sondern sie sind von den Russen gut verpflegt u. in jeder Weise versorgt worden. Die Schwestern haben die Russen nach den Kriegsgefangenen befragt. Der russ. Kommissar hat geantwortet, daß es den Gefangenen sehr gut ginge, sie hätten gearbeitet u. hätten z.B. Stalingrad bereits wieder vollständig aufgebaut. Sie würden nach dem Kriege entlassen werden u. würden uns dann selbst berichten können, daß es ihnen gut gegangen wären. Die Schwestern haben gefragt, warum die Gefangenen nicht Schreiben dürften, worauf der Kommissar antwortete, es geschehe das zum Schutz vor Spionage. – Die Stadt wurde dann für kurze Zeit wieder von den Deutschen zurückerobert. Die Russen haben sich freundlich von den Schwestern verabschiedet. Als dann die Deutschen kamen, mußten die Schwestern zu Fuß nach dem Westen abmarschieren, – sie wären viel lieber dort geblieben.

     Heute Vormittag besuchte mich das Ehepaar Borchers. Er ist nun vom Militär entlassen, da es unmöglich ist, das kaputte Glasauge zu reparieren. So ist das alles zu seinem Besten gewesen. Aber mehr noch ist seine ganze Strafe zu seinem Besten gewesen. Er sieht heute viel besser aus, als ich ihn jemals gekannt habe. Er ist dicker geworden, obwohl er ja, wie wir alle, nicht viel zu essen bekommt; aber das Essen schlägt jetzt besser an u. das gesunde Auge ist klar u. hat nicht mehr die Starrheit von früher. In seinem Charakter ist er ernster geworden u. Agnes erfährt nun, daß anhaltendes Gebet schon hilft. Sie gesteht das dankbar ein.

Sonnabend, 28. April 1945.     

     In Berlin wird immer noch gekämpft. Das Linden=Viertel, Leipzigerstraße, Tiergarten scheinen noch in unserem Besitz zu sein. Das Elend unter der Bevölkerung, die keine Nahrungsmittel hat, nicht kochen kann u. das Wasser aus der verseuchten Spree u. dem Landwehrkanal nehmen muß, ist furchtbar, aber diese gewissenlose Bande kämpft weiter. – Bremen ist jetzt gefallen. Im Süden dringen die Amerikaner weiter auf München vor, Regensburg soll genommen sein. Sie sind bereits

[27] über Passau hinaus u. gehen auf Linz los, wo die Grenze ungefähr zu liegen scheint, bis wohin die Russen gehen wollen. Die Italienfront ist völlig zusammengebrochen, die Amerikaner, bzw. ital. Partisanen sind bis zum Gardasee durchgestoßen u. haben unsere Truppen südlich der Schweiz abgeschnitten. Nur was im Raume Venedig steht, hat noch Verbindung nach Süddeutschland. Hier oben sind die Russen in Prenzlau u. Angermünde. Am Gardasee sind Mussolini, Graziani u. die anderen fazistischen Führer von den Partisanen gefangen genomen worden. –

     Bei uns beginnt nun das große Sterben unter den Nazis. Der Gauleiter von München soll sich erschossen haben, weil er den Kampf einstellen wollte, während die übrigen Führer der Partei weiter kämpfen wollen. Der Reichsprotektor der Tschechei Frick hat seinen Rücktritt von seinem Posten angemeldet, ebenso die Reichsminister: Wirtschaftsminister Funk u. Herr Lammers. Auf Herm. Goering wird jetzt tüchtig geschimpft: er habe ein Wohlleben geführt, anstatt sich um die Luftwaffe zu kümmern. Von Herrn Himmler hört man überhaupt nichts mehr. Bis jetzt haben wir hier noch keine Lebensmittelkarten für die neue Periode bekommen, ab Montag haben wir kein Brot mehr.

     Die Familie des Gauleiters Schwede-Coburg soll gestern per Auto hier eingetroffen sein. Es mußte für sie das Haus von Dr. Lewerenz geräumt werden, die dort wohnenden Flüchtlinge mußten raus u. anderwärts notdürftig untergebracht werden. Eben sagt mir Martha, daß der Ortsgruppenleiter im Dorfe sein soll, um sämtliche Häuser selbst nachzusehen u. um festzustellen, wo seiner Meinung nach noch Platz ist für neue Flüchtlinge. Selbstverständlich würde im Hause Dr. Lewerenz noch Platz sein, wenn die Familie des Herrn Gauleiters zusammenrückte, aber dort wird dieser Lümmel schon nicht hingehen. –

     Gestern Abend soll ein mysteriöses Auto angekommen sein, das auf dem Hof des Bäckers Hagedorn abgestellt sein soll. Die Zollbeamten sollen den Fahrer auf der Wiese von Henk gefunden haben. Er soll jede Auskunft verweigern. Das Auto soll verschlossen sein u. soll von Zollbeamten bewacht werden. Was daran wahr ist, weiß ich nicht.

     Gestern Abend hatten wir das erste Gewitter des Jahres. Das Wetter ist sehr günstig, es ist warm u. es hat genug geregnet, sodaß die Felder gut bestellt werden könnten.

     Unser neuer Ofen in der Waschküche scheint gut zu funktionieren. Es wird eine erhebliche Erleichterung sein.

     Kapitänlt. Dr. Krappmann ist von seiner Dienstreise noch nicht zurück. Er wollte am Donnerstag schon hier sein. Man beobachtet das natürlich argwöhnisch. –

Sonntag, 29. April 1945.     

     Heute früh gab der Soldaten-Sender bekannt, daß Himmler der engl. u. der amerikan. Regierungsvertretung auf der Konferenz in San-Franzisko die bedingungslose Kapitulation Deutschlands angeboten habe. Das Angebot ist über das schwed. Rote Kreuz in Stockholm vermittelt worden. England + Amerika haben das Angebot zur Kenntnis genommen u. geantwortet, daß ein solches Angebot nur Berücksichtigung finden könne, wenn es zugleich auch an Rußland gerichtet würde. In San-Franz. hat sofort eine Besprechung der drei Außenminister stattgefunden. Stalin hat eine Depesche an Chuchill gesandt unbekannten Inhaltes. Churchill hat dieses Ereignis in [28] in England sofort offiziell bekannt gegeben.

     Ich habe heute in der Andacht, die so überfüllt war wie noch nie, zu Beginn meiner Ansprache die Sache verkündet. Ich habe dann nicht weiter direkt davon gesprochen, aber meine Ansprache war ganz auf den Gedanken eingestellt, daß nun die schlimmste Gefahr, von der die kathol. Kirche seit 12 Jahren bedroht war, sich zerteile u. der „Geist der Wahrheit“ uns alle Wahrheit lehren werde. Die Begeisterung war ganz groß u. wir schmetterten zum Schluß das Lied: „Ein Haus voll Glorie schauet ...“

     Frau Carmen Grantz will in Ribnitz eine Zeitung gesehen haben, in der amtlich mitgeteilt wurde, daß Goebbels in Bln. gefallen sei. Es heißt ferner, daß Hitler verwundet sei. Generalleutnant Dittmer, der Sprecher des OKW. beim Rundfunk, soll sich in einem Boot mit weißer Fahne über die Elbe in amerikan. Gefangenschaft begeben haben. Auch Naumann vom Propaganda-Ministerium ist zu den Amerikanern (angeblich) gegangen. In Bayern scheint nun der helle Aufstand ausgebrochen zu sein u. es sollen bereits sehr viele Bonzen getötet worden sein. An der Spitze der Aufstandsbewegung soll der Reichsstatthalter von Bayern, Ritter v. Epp, stehen. Es ist seit dem Mittwoch eine feste Verbindung zwischen den Russen u. den Amerikanern bei Torgau geschaffen, die heute bis Wittenberge reicht. Bei uns wird jetzt offiziell erklärt, daß wir alle Truppen an der Elbe nördlich Wittenberge bis Hamburg abgezogen hätten, um mit ihnen Berlin zu entsetzen. Von Berlin gehört uns nur noch der Stadtkern innerhalb der Ringbahn, aber an vielen Stellen ist des Russe auch dort eingebrochen. Wir haben heute nämlich bereits seit 10 Uhr Licht, sodaß ich um 1 Uhr den Sender Hamburg hören konnte. Wenn dem so ist, dann stellt sich die ganze Friedensaktion des Herrn Himmler wieder mal als ein offensichtliches Betrugsmanöver u. als üble Finte heraus. Dann will er nämlich nur gefahrlos die Nordfront gegen England entblößen, um alle Truppen gegen Rußland werfen zu können. Man staunt dabei nur, daß dieser Mensch immer noch so dumm ist, daß er glauben kann, die Alliierten würden auf dieses plumpe Manöver hereinfallen. Im Hamb. Sender wurde nämlich gesagt, es handele sich jetzt nur darum, ob diese Truppen von der Elbefront rasch genug in die Schlacht um Berlin eingreifen könnten, um die Besatzung Berlins wieder zu entsetzen.

     Gestern war der Ortsgruppenleiter von Prerow hier, um für neue Flüchtlinge Quartiere zu suchen. Der Kerl hatte den Mut, in seiner Erbswurstfarbenen Uniform zu erscheinen u. sogar auf der Dorfstraße eine Ansprache an das Volk zu halten. Der Kerl ist Bahnhofs-Vorsteher in Prerow. Die Wohnungs-Suchkommission, bestehen aus diesem „Goldfasan“, Herrn Deutschmann, Frau Gräff u. Frau Booth, hat aber unser Haus nicht betreten, woraus hervorgeht, daß wir uns doch eines sehr großen Wohlwollens im Orte erfreuen. Ohne dieses wären wir ganz bestimmt noch belegt worden.

     Prof. Reinmöller machte sich gestern an Martha auf der Straße heran, um ihr mitzuteilen, daß er eine besondere Hochachtung vor mir habe, weil ich in diesen 12 Jahren niemals meine Einstellung gegen den Nationalsozialism. geändert oder auch nur verborgen hätte. Es scheint, daß dieser Schwätzer jetzt sich anbiedern will. [29]      Die Angelegenheit mit dem mysteriösen Auto hat sich als harmlos herausgestellt. Es handelte sich um eine Schwarzfahrt eines militär. Fahrers. – Die Familie des Gauleiters Schwede-Coburg ist, wie sich herausstellt, noch nicht hier, wird aber täglich erwartet. Die Flüchtlingsfrau mit ihren 4 Kindern, die bei Dr. Lewerenz wohnt, weigert sich, das Haus zu räumen. –

     Heute Abend gehen wir wieder zu Frau Longard, die eines aufmunternden Zuspruches sehr zu bedürfen scheint.

     Die Marine-Helferin Regina Treffer, die heute bei der Andacht in Zivil erschien, erzählte Genaueres über den Unfall, den Dr. Krappmann erlitten hat u. von dem ich gestern hörte. Danach ist Dr. K. auf einem Lastauto gewesen. Der Wagen wurde unterwegs von Tieffliegern angegriffen. Dr. K. scheint in voller Fahrt abgesprungen zu sein. Der Schofför hat dann, als er merkte, daß er von hinten angegriffen wurde, gebremst u. ist ebenfalls abgesprungen. Nach dem Angriff ist er auf die Suche nach Dr. K. gegangen, den er mehrere 100 mtr. weiter zurück bewußtlos auf der Straße gefunden hat. Er hat ihn mit seinem Wagen dann dorthin gefahren, wohin er die Familie des Dr. K. gebracht hat. Dort hat man ihn ins Lazarett gebracht, wo er aber bis zur Abfahrt des Autos das Bewußtsein nicht wiedererlangt haben soll. Das Auto selbst ist dann auf der Rückfahrt hierher nochmals verunglückt, indem es in einen Bombentrichter hineinfuhr. Weiter weiß ich nichts. Hoffentlich kommt er durch, es wäre sehr traurig, wenn dieser sonst so angenehme u. sympathische Offizier in den letzten Minuten dieses Krieges noch ums Leben käme.

Montag, 30. April 1945.     

     Gestern am späten Nachmittag große Aufregung: es wurde bekannt, daß in Althagen ausgeklingelt worden war, daß das ganze Fischland innerhalb von 5 Std. geräumt werden solle. Nur wehrfähige Männer sollten dableiben. Diese Nachricht war einfach unfaßlich, denn es war ja nicht einzusehen, wohin diese Leute gehen sollten. Dennoch bewahrheitete sich die Nachricht. Zwar hörte ich, daß Leute wie Koch-Gotha, Frau Müller-Bardey u. Frau Noelle sich weigern wollten, der Anordnung Folge zu leisten u. ich kann mir schlechterdings nicht vorstellen, daß die Bauern u. Büdner der Anordnung nachgekommen sein sollten; aber man kann nicht wissen, mit welchen Gewaltmaßnahmen die Leute gezwungen werden. Jetzt eben ist es 1/2 10 Uhr u. unsere Trude ist noch nicht hier, sie kommt sonst spätestens um 1/2 9 Uhr. Sollten die Menschen wirklich zum Verlassen ihrer Heime gezwungen worden sein, so wäre das noch zum Schluß das größte Verbrechen, das von diesem idiotischen Gauleiter Hildebrand begangen worden ist. Die Leute würden auf die Landstraßen getrieben als wehrlose Beute der Tiefflieger u. es wäre nirgends auch nur die Möglichkeit, diesen Leuten eine neue Unterkunft zu geben. Der Obergefr. Mehlis war bei uns u. berichtete, daß man in der Batterie von dieser Maßnahme der Partei nichts gewußt hätte. Er berichtete aber auch weiter, daß ab heute der Darss von der SS vollständig abgesperrt sei, sodaß niemand von hier nach Born oder Prerow gelangen kann. Auch davon wußte die Batterie nichts, es ist ihr nichts mitgeteilt worden. Es ist offenbar, daß im Darss schon seit längerer Zeit geheimnisvolle Dinge vor sich gehen. –

     Der Krieg geht inzwischen weiter. Wir hatten heute morgen Strom u. konnten außer dem Soldatensender zw. 4 – 6 Uhr [30] noch den engl. Sender um 9 Uhr hören. Danach soll Hitler in letzter Zeit bereits mehrere Schlaganfälle erlitten haben u. jetzt eben habe er einen neuen Anfall erlitten. Er soll im Sterben liegen. Goebbels, dessen Tod sich nicht bewahrheiten soll, soll bei ihm sein. In Berlin wird immer noch gekämpft, der Kern um die Wilhelmstraße u. die Reichskanzlei ist noch in unserem Besitz. Die Verwüstung des Stadtinneren soll total sein, schlimmer als Stalingrad. In Süddeutschland geht die Auflösung rasch vorwärts, die Amerikaner haben München anscheinend kampflos besetzt. Ebenso ist es in Norditalien. Mussolini ist mit 17 führenden Fazisten hingerichtet worden, seine Leiche ist in Mailand öffentlich ausgestellt. Bei uns im Norden haben die Russen Anklam, Angermünde u. Neubrandenburg besetzt u. dringen unaufhaltsam weiter vor. Die Engländer haben bei Lauenburg die Elbe überschritten u. dringen östlich von Hamburg vorbei nach Dänemark vor. In Oesterreich hat sich unter Führung des Sozialdemokr. Renner eine provisorische Regierung gebildet. Renner ist schon 75 Jahre alt, er spielte ja schon nach dem ersten Weltkriege eine maßgebende Rolle als Sozialdemokrat.

     Um alle Aufregungen voll zu machen, erschien gestern Herr Dr. Ziel bei mir grade in dem Augenblick, als hier die Evakuierung des Fischlandes bekannt wurde. Er wollte mich allein sprechen. Er teilte mir mit, daß einige Leute in Ahrenshoop, unter ihnen Herr Dr. Hahn, die Absicht hätten, unsichere Elemente wie Prof. Reinmöller, Siegert u. a. im Falle, daß die Russen anrücken sollten, dingfest zu machen. Sie wollten in diesem Falle in deren Häuser eindringen u. sie mit vorgehaltenem Revolver zwingen, untätig zu bleiben, da sie besorgt sind, daß diese Leute irgendwelche Dinge gegen die Russen unternehmen könnten, die dann für das ganze Dorf schlimme Folgen haben könnten. Die Absicht ist gut gemeint, aber nicht weniger töricht als das, was diese Leute verhindern wollen. Ein Reinmöller wird sich keinesfalls von einem vorgehaltenen Revolver imponieren lassen u. es ist dann unvermeidlich, daß daraus Folgen entstehen, die garnicht abzusehen sind. Das ist um so schlimmer, als es höchst unwahrscheinlich ist, daß diese Leute wie Reinmöller, Siegert usw. überhaupt etwas unternehmen werden. Die ganze Sache ist Torheit u. eine Idee, die aus Angst u. Aufregung geboren ist. Ich habe Herrn Dr. Ziel gebeten, zu Herrn Dr. Hahn zu gehen u. ihn so eindringlich wie möglich zur Vernunft zu rufen. Ich habe ihm gesagt, daß ich, falls Herr Dr. Hahn sich von diesem törichten Plan nicht abbringen lassen würde, leider darauf verzichten müsse, ihn weiterhin bei meinen Mittwoch-Vorträgen zu sehen. Ich bin nämlich besorgt, daß, wenn diese Aktion fehl schlagen sollte, womit sehr zu rechnen ist, alle Vernünftigen sich gegen diese Leute stellen werden, ja daß dann Leute wie Deutschmann sogar gezwungen sein werden, gegen sie Maßnahmen zu ergreifen. Sollte durch irgendeinen unglückl. Zufall bei der Sache Blut fließen oder gar ein Leben verloren gehen, dann wird sich die Stimmung gegen diese Leute richten u. damit wären dann alle gefährdet, die mit diesen Leuten irgend welche Beziehungen unterhalten. In meinem Falle würde man sofort sagen: aha, die Katholiken! u. alle Katholiken kämen in Gefahr oder mindestens in Unannehmlichkeiten. –

     Die polit. Vermittlung zwischen den Anglo-Amerikanern u. uns hat das schwed. Rote Kreuz übernommen, dessen Vorsitzender ein Graf Bernadotte ist. Dieser soll gestern im Flugzeug nach Deutschland gekommen sein um ein neues Kapitulations-Angebot Himmlers an alle [31] drei Alliierten entgegenzunehmen. Es ist zu hoffen, daß dies inzwischen geschehen ist. Von Himmler soll auch die Nachricht stammen, daß Hitler im Sterben liegt. –

     Gestern Abend waren wir bei der alten Frau Longard, die sehr aufgeregt ist. –

     Heute morgen kam ein Feldwebel der Marine-Abtlg., die aus Swinemünde jetzt hier ist u. im Kurhaus liegt, deren Helferinnen im Hause Monheim wohnen. Sie wollen nun die Garrage haben, in der unser Auto steht. Sie haben die Garrage von Mc. Dornan frei gemacht u. bringen nun das Auto nach dort.

     Eben höre ich, daß der Evakuierungs-Befehl für das Fischland gestern Abend noch rückgängig gemacht worden ist u. alles beim Alten bleibt. Das Ganze war also wieder mal nichts weiter als alberner Quatsch des Gauleiters Hildebrand, der nichts weiter zur Folge hatte, bis jetzt noch ruhige Menschen in Aufregung zu stürzen.