Zum Inhalt springen

TBHB 1945-06

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: TBHB 1945-06
Untertitel:
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1945
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Vorlage:none
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort:
Übersetzer:
Originaltitel: Juni 1945
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom Juni 1945
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
unvollständig
Dieser Text ist noch nicht vollständig. Hilf mit, ihn aus der angegebenen Quelle zu vervollständigen! Allgemeine Hinweise dazu findest du in der Einführung.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


Einführung

[Bearbeiten]

Der Artikel TBHB 1945-06 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Juni 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 26 Seiten.

Tagebuchauszüge

[Bearbeiten]
[1]
Freitag, 1. Juni 1945.     

[1]      Mit der Milchversorgung sieht es besser aus, als ich erwartet hatte. Die Kleinstkinder sind alle versorgt wir können nun auch den Kindern bis zu 6 Jahren, den werdenden u. stillenden Müttern u. alten + kranken Leuten Milch geben. Nun muß auch noch die Butter= u. Eierversorgung geregelt werden.

     Gestern Besprechung mit Herrn Schulrat Zelk. Ergebnis: Herr Deutschmann wird von Montag ab den Unterricht wieder aufnehmen.

     Die Russen, welche hier ihr Erholungsheim einrichten wollten, sind in vollem Abmarsch. Sie sind gestern schon mit Lastwagen dagewesen u. haben alles wieder aufgepackt, was sie hergebracht haben. Ich habe schon gestern u. vorgestern die Leute, die aus den beschlagnahmten Häusern ausgewiesen waren, wieder einziehen lassen. In der Guten Laune hatten sie eine Entlausungs-Anstalt eingerichtet, das ganze Haus ist wieder frei. Im Kaffee Namenlos sind viele Matratzen u. Betten aus dem Kurhause, hoffentlich lassen sich diese Sachen noch sicherstellen. Auch die Russen in der Batterie sind im Aufbruch, teilweise sind sie schon fort. Die Abreise unserer Flüchtlinge ist gestoppt, da die Straßen von den Russen überfüllt sind. Es heißt, daß sie alle über die Oder zurückgehen. Andere sagen, es bliebe nur eine kleine Besatzung zurück, – oder es käme Marine-Artillerie hierher. Dies scheint mir wohl nur eine Erinnerung an unsere eigene Marine-Artillerie zu sein. Vielleicht wird auch nur eine neutrale Zone zwischen Ost + West geschaffen ohne jede Besatzung, was freilich sehr schlimm wäre, denn dann würden wir keine Machtmittel haben, um die immer mehr hungernde Bevölkerung in Ruhe zu halten. Wieder andere behaupten, daß die Amerikaner oder Engländer herkämen. Niemand weiß Genaues, nur sehen wir, daß die Russen alles mitschleppen, was nicht niet= u. nagelfest ist: Radio-Geräte, Telephon-Apparate, Nähmaschinen, landwirtschaftl. Maschinen, Eggen, Pflüge u. auch Möbel u. Zimmereinrichtungen. Es ist einfach trostlos. Gestern ging ich durch einige von den Russen geräumte [2] u. dann geplünderte Häuser, in denen büchstäblich nichts mehr vorhanden ist, was irgendwie Wert hat. Bei Prof. Sudeck sah ich einen elektr. Kühlschrank, den sie gewaltsam mit großer Mühe aufgebrochen hatten, um festzustellen, daß er leer war. Wahrscheinlich haben sie ihn für einen Kassenschrank gehalten. – Andererseits ereignete sich gestern das Wunder, daß die Russen dem Herrn Brand sein Pferd u. seinen Wagen wirklich wieder zurückgebracht haben. Die Pferde des armen Spangenberg dagegen sind trotz aller Bemühungen nicht zurück zu bekommen gewesen.

     Gestern Abend Herr + Frau Partikel bei uns. P. malt unentwegt Stalin u. Lenin für die Russen, hat aber außer einem Stückchen Brot bisher keinerlei Entlohnung bekommen, obgleich der Kommandant vorher sehr große Versprechungen gemacht hat. – Herr Dr. Hahn kam aufgeregt u. berichtete, daß die Russen am Grenzweg wieder sehr im Gange seien u. die Frauen belästigten. Ich konnte ihm nicht helfen. Ich blieb abends noch lange auf, aber im Dorfe selbst blieb alles ruhig. Ich bete jeden Abend mindestens einen Rosenkranz.

Sonnabend, 2. Juni 1945.     

     Gestern räumten die Russen Ahrenshoop. Alles, was sie in den letzten Tagen herangeschleppt hatten, um hier ein Erholungsheim einzurichten, wurde auf Lastwagen gepackt u. wieder fortgebracht. Zurück blieb nur ein unvorstellbarer Haufen Dreck. – Heute morgen erzählt Trude, daß auch die Batterie ganz leer sei, in ganz Althagen sei kein Russe mehr.

     Gestern um die Mittagszeit erschien eine Limousine vor dem Gemeindeamt, der ein Hauptmann, eine junge Frau u. zwei bewaffnete Soldaten entstiegen. Der Hauptmann u. die Frau kamen in mein Amtszimmer u. wünschten mich allein zu sprechen. Paul verließ deshalb das Zimmer. Der Hauptmann sprach nur russisch, die Frau konnte mäßig deutsch. Der Hauptmann stellte nun allerhand Fragen u. es schien mir so, als ob er mißtrauisch wäre, worauf ich ihm erklärte, daß ich sehr gern sofort mein Amt niederlegen wolle, wenn den russ. Behörden meine Person nicht genehm wäre, – vorläufig jedoch sei ich auf Anordnung eben dieser russ. Militärbehörde hier eingesetzt. Ich zeigte ihm die entsprechenden Urkunden, worauf er bedeutend höflicher wurde. Er stellte ganz alberne Fragen, so z.B. ob ich eine Schule besucht hätte. Ebenso fragte er nach Paul. Schließlich ersuchte er mich, meinen Lebenslauf zu schreiben, Paul solle dasselbe tun, er würde in einer Stunde wiederkommen.

     Als ich dann, nachdem ich meinen Lebenslauf geschrieben hatte u. Paul nachhause gegangen war, auf ihn wartete, erschien Frau Paetow sehr aufgeregt u. sagte, ihr Sohn Fritz sei verhaftet, es stünden zwei Soldaten vor seiner Tür u. sie könne nicht zu ihm, die Russen seien gekommen u. hätten behauptet, Fritz Paetow sei SS=Offizier. Ich beruhigte die Frau u. versprach ihr, mein Möglichstes zu tun.

     Schließlich kamen die Russen wieder, Fritz P. mit ihnen. Der Hauptmann + die Frau gingen noch zum Strande u. Fritz P. kam zu mir herein u. versicherte mir, [3] daß er nie bei der SS gewesen u. nicht einmal Partei=Mitglied gewesen sei. Ich ließ ihn gehen u. dann kam der Hauptmann mit der jungen Frau zurück. Die Frau nahm unsere Lebensläufe in Empfang u. war sehr unzufrieden, daß diese Schriftstücke so kurz seien. Sie meinte, so etwas könne auch ein kleines Kind schreiben, man müßte doch viel mehr Worte machen. Ich versuchte, ihr klar zu machen, daß diese Art, den Lebenslauf zu schreiben, in Deutschland amtliche Vorschrift wäre, daß ich aber auch gern bereit sei, einen neuen Lebenslauf zu schreiben, der dann 14 – 15 Seiten lang sein würde. Es gelang mir aber nicht, ihren Unwillen zu besänftigen. – Ich fing dann an, von Fritz P. zu sprechen u. gab mein Ehrenwort, daß er nie bei der SS gewesen sei. Damit hatte ich nun offenbar den eigentlichen Grund des Zornes der jungen Frau entdeckt. Sie erklärte mir sehr erregt, daß man sie im Haute Paetow unhöflich behandelt hätte u. den Eintritt ins Haus verwehrt hätte, sie aber hätte das Recht, zu jeder Tages= u. Nachtzeit deutsche Häuser zu betreten. – Ich hatte nun vorher, als die Russen fort gewesen waren, den Schofför des Autos ausgefragt u. hatte von ihm erfahren, daß sie aus Zingst kämen u. daß es GPU=Beamte seien. Ich versuchte nun, der Frau klar zu machen, daß die Paetows das nicht gewußt hätten. Der Kommandant in Wustrow hätte allen seinen Soldaten streng verboten, deutsche Häuser zu betreten, u. deshalb hätten Paetows ein Recht gehabt, ihnen den Eintritt zu verweigern. Außerdem hätten die Leute Angst vor den Russen, denn sie vergewaltigten unsere Frauen u. plündern die Häuser. Die junge Frau meinte sehr erregt, daß die deutschen Soldaten es in Rußland noch viel schlimmer getrieben hätten. Ich antwortete, daß ich das wohl wüßte u. es sehr bedauerte, aber grade deshalb haben die Deutschen nun um so mehr Angst vor den Russen. – Nun, sie ließ sich schließlich durch all meine freundlichen Worte etwas besänftigen, doch konnte ich nicht erreichen, daß der Befehl zurückgenommen wurde, daß Fritz P. sich am gleichen Nachmittag um 6 Uhr in Zingst zu melden habe. Ich versuchte, ihr klar zu machen, daß das einfach unmöglich wäre. Sie bestand darauf, andernfalls würde man Fritz P. abholen u. dann würde es noch schlimmer werden.

     Der ganze Zorn war also nichts weiter als ein kleinbürgerlicher Minderwertigkeits-Komplex, der verletzt worden war. Man hatte diese Leute nicht mit der nötigen Hochachtung behandelt, oder sie glaubten es wenigstens. Es ist immer wieder dasselbe: diese Bolschewisten wollen gern Bürger sein, ohne daß sie wissen, wie sie das machen sollen. Sie wittern überall, daß wir sie nicht für voll nehmen u. darüber sind sie beleidigt. Schließlich gelang es mir aber doch wohl, diese junge Frau zu besänftigen. Sie u. der Hauptmann gaben sich mit unseren Lebensläufen zufrieden, packten sie ein u. bestiegen wieder ihr Auto, wobei mir die junge Frau zwei mal noch sehr freundlich zunickte. – Sie war eine kleinbürgerlich aussehende Person, trug an der rechten Hand einen goldenen Ehering u. an der linken einen Brillanten, der wahrscheinlich geklaut war. Der GPU-Hauptmann trug sogar ein weißes Oberhemd. [4] Eben wird mir gesagt, in der Batterie seien schon wieder 150 neue Russen eingetroffen.

Sonntag, 3. Juni 1945.     

     Die angeblich neuen Russen sind nur ein Teil der vorgestern abgerückten Russen, die nur zurückgekommen sind, weil die Straßen zu sehr verstopft sind. Sie sollen am Montag abrücken. Leider sind aber auch einige fremde Russen mit dabei, die nun einzeln u. ohne Vorgesetzte die Gegend unsicher Machen, auf Menschen schießen, Fahrräder u. a. Dinge klauen u. Bauern u. Büdner nach Eiern u. Milch ausplündern u. Hühner stehlen. Das ist besonders schlimm, weil wir nun endlich die Milchversorgung in Ordnung gebracht haben u. in dieser kommenden Woche auch Butter, wenn auch nur wenig, an die Bevölkerung geben zu können hoffen. Es wird nicht mehr als ein Achtel Pfund auf den Kopf der Einwohner kommen. Wenn aber die Russen vorher die Milch klauen, wirft das alle Berechnungen über den Haufen. Noch schwerer wird es mit der Eierbewirtschaftung, die in dieser Woche in Angriff genommen wird.

     Gestern kam nun der Befehl, sofort alle leer stehenden Häuser u. Wohnräume listenmäßig zu melden, dazu das Inventar, das in diesen Räumen enthalten ist. Darüber natürlich große ADB:Aufregung, da die Russen bereits in Wustrow Möbel, Klaviere usw. abgefahren haben. Es ist zu hoffen, daß dieser Befehl von den Russen erlassen worden ist, ehe sie den Befehl zum Abrücken hatten u. daß er inzwischen hinfällig geworden ist. Ich habe gestern dreizehn Herren angesetzt, die heute diese Erhebungen anzustellen haben.

     Die Ernährung ist überaus schwer. Viele Frauen mit vielen Kindern sind natürlich mit der Brotration von 500 gr. pro Woche nicht ausgekommen, nun kamen sie gestern weinend ins Amt u. wollten Brot haben. Ich mußte hart bleiben u. sie auf Montag vertrösten. Kartoffeln haben sie auch keine.

     Eben war der Schlachter Leplow bei mir u. gab mir einige Anregungen, die wertvoll sind. Er ist ein ehrlicher u. reeller Mann. Die Fischer sind nun auch am Fischen in der Ostsee u. verkaufen, sodaß wenigstens einige Einwohner Fische bekommen; aber es reicht immer nur zum Teil. Das vordringlichste Problem ist jetzt, die Ostflüchtlinge los zu werden, die nicht nur zusätzliche Esser sind, sondern zum großen Teil auch eine höchst üble Gesellschaft sind.

     Unsere Andacht war heute wieder recht gut besucht.

     Mit Martha besprach ich heute früh den Plan, einen Caritas-Verein in Ahrenshoop zu gründen, der dann in der Lage sein soll, unvermeidliche Härten auszugleichen. Der Verein kann unter Marthas Leitung u. meinem Protektorat stehen.

Montag, 4. Juni 1945.     

     Gestern Nachmittag gegen 8 Uhr kam der ehemalige Obermaat Richter u. teilte mir mit, daß gleich ein Lastwagen kommen würde, um sämtliche Radio-Geräte nach Ribnitz zu bringen. Sechs Stück könnte ich behalten. Wir gingen zum Gemeindehaus u. fingen sofort an, die Apparate zu sortieren. Paul war mit u. ich ließ noch Liebers holen. Nach kurzer Zeit kam der Lastwagen mit Dr. Hoffmann u. zwei jungen Leuten aus Ribnitz [5] Hoffmann sagte mir, daß die Apparate in Ribnitz „sicher gestellt“ werden sollten vor dem Zugriff unbefugter Russen, sie würden später wieder zurückgegeben werden, – was natürlich unglaubwürdig ist. Dr. H. meinte, wir könnten auch mehr als sechs Apparate behalten, nur dürften keine ehemal. Parteigenossen Apparate haben. – Wir holten nun mit der Hilfe des Herrn Liebers die schlechtesten Apparate heraus, u. solche, in denen Röhren fehlten, was bei sehr vielen der Fall war. Aus anderen nahmen wir noch Röhren heraus. Die besten Apparate stellten wir zur Seite. Schließlich war der Lastwagen hoch beladen mit lauter unbrauchbaren Apparaten. – Herr Liebers hat für mich einen sehr schönen Apparat zurückgestellt, dazu noch einen kleinen mit Akku-Empfang.

     Abends kam Frau Inge Lehment in höchster Aufregung. Es waren betrunkene Russen bei ihr im Hause u. randalierten. Ich schickte Herrn Liebers, der grade bei mir war, hin, der zufällig einen Offizier traf, welcher den Zwischenfall beseitigte. Heute früh aber kam Frau L. wieder u. erzählte, daß in der Nacht zwei Russen versucht hätten, abermals durch den Keller in das Haus einzudringen. Die Bewohner haben viel Aufregung gehabt. Schließlich zogen die Russen ab, nachdem sie zwei Fahrräder gestohlen hatten. Ich schickte Frau L. gleich zu Dr. Hoffmann, damit dieser versuchen solle, beim neuen Kommandanten vorstellig zu werden.

     Dr. H. machte auf mich gestern einen etwas unsicheren Eindruck. Er sagte mir, daß jetzt die eigentliche russ. Armee abgezogen sei, sie würde in Warnemünde verladen. Die jetzt hier befindlichen Soldaten seien Besatzungstruppen unter dem Kommando eines Oberst u. mit diesem habe er, Hoffmann, gleich eine unliebsame Auseinandersetzung gehabt, die dann aber beigelegt wurde. Der Oberst habe verlangt, daß H. in Wustrow wohne, aber H. habe das abgelehnt. Man habe sich dann geeinigt, daß der Bürgermeister von Wustrow, Herr Halier, alle Verwaltungssachen machen solle, während Hoffmann nur noch die Verpflegung, Lebensmittel-Zufuhr u. Transportwesen machen sollte. Damit dürfte, wie es scheint, sein schöner Posten als „Bezirks-Bürgermeister“, doch schon stark erschüttert sein. –

     Diese sog. Besatzungstruppe scheint sich zunächst recht viel herauszunehmen, aber ich hoffe, daß sich das mit der Zeit geben wird. Es wird notwendig sein, mit dem neuen Herrn Oberst Fühlung zu nehmen.

     Die Belästigungen durch russ. Soldaten sind teilweise durch unsere jungen Mädchen + Frauen mit verschuldet, indem diese im Badekostüm, d.h. fast nackt, herumlaufen. Die Russen, die das nicht kennen, denken, daß sie es mit Dirnen zu tun hätten.

Dienstag, 5. Juni 1945.     

     Der gestrige Tag war wieder einmal randvoll Aerger u. Verdruß. Der Bürgermeister von Prerow schickte mir einen Radfahrer, einen alten Mann, der mir einen Brief übergeben sollte, lt. dem ich mich umgehend in Barth beim Landrat zu melden hätte. Es ist einfach grotesk, welch Unsinn dieser Landrat sich da ausdenkt. Selbst wenn die Verfügung, daß wir jetzt zu Mecklenburg gehören u. dem Landratsamt Rostock [6] gehören, von sehr zweifelhafter Rechtskraft ist, da sie nur einseitig von Rostock aus ergangen ist, so muß dieser Herr in Barth doch wissen, daß es einfach unmöglich ist, von hier nach Barth zu kommen. Ich habe ihm seinen Wisch urschriftlich zurückgegeben. Dazu mußte der alte Mann per Rad von Prerow hierher fahren u. wieder zurück.

     Dieser Mann erzählte von den Zuständen in Prerow, die offenbar noch schlimmer sind, als bei uns. Die Russen haben sich dort in den Dünen regelrecht eingegraben u. haben auch Artillerie herangezogen. Sie behaupten, die Küste gegen die Amerikaner verteidigen zu müssen. Die Wiesen sind ebenso wie bei uns von den Pferden abgeweidet, in dieser Woche gibt es überhaupt kein Brot, während wir doch wenigstens 500 gr. ausgeben. Prerow liegt voll Russen.

     Dr. Ziel war in Wustrow u. berichtet, daß tatsächlich Dr. Hoffmann nicht mehr Bezirksbürgermeister ist sondern der Bürgermeister Halier von Wustrow ist es. Dr. H. bemüht sich lediglich um die Verpflegung u. und den Abtransport der Flüchtlinge. Als erste Maßnahme ist dem Förster Damm aufgegeben worden, sein Lastauto von nun an in Wustrow zu stationieren, wogegen wir uns selbstverständlich zur Wehr setzen, da es Unsinn ist. Der Lastwagen gehört natürlich an den Endpunkt der Strecke u. nicht mitten hinein.

     Unsere Milch= u. Butter-Regelung, die wir nun endlich mit großer Mühe so weit haben, daß sie anlaufen könnte, wird völlig wieder in Frage gestellt, da die Russen gestern wieder auf Paetows Hof waren u. die Milch ausgetrunken haben. Dasselbe taten sie schon vorgestern. Außerdem stahlen sie ihm sechs Legehennen, deren Köpfe Paetow im Stall fand. Der arme alte Mann ist am Rande der Verzweiflung.

     Abends kurz vor 8 Uhr erschienen noch zwei Russen mit einer Dolmetscherin. Sie kamen per Auto von Barth. Sie wollten meinen Namen wissen, wieviel Handwerks-Betriebe im Dorfe seien, wieviel Fabriken, wieviel Acker bestellt sei, wieviel Wiesen, wieviel Pferde, Kühe, Schafe, Hühner u. Schweine u. dergl. mehr. Die Dolmetscherin, offenbar eine Deutsche, schien das Verhältnis des einen Russen zu sein, der ein junger, hübscher Flegel war, offenbar ein Nachkomme des untergegangenen russ. Adels oder Bürgertums. Der andere Russe war ein Knoten wie sie alle sind. Die Dolmetscherin versicherte mir, daß sie gekommen seien, uns zu helfen, worauf ich ihr sagte, es wäre besser, wenn die Russen uns in Frieden ließen, dann würden wir uns schon selber helfen. Ich holte die Dolmetscherin aus u. hörte, daß nun alles wieder einmal neu geregelt werden solle. Es handele sich jetzt um Besatzungstruppen u. sie kämen nun zur Abwechslung von Barth her u. nicht von Ribnitz. Daß wir hier schon von Ribnitz her besetzt sind, wußten diese Leute garnicht. Der Knoten machte sich ein paar schluderige Bleistiftnotizen auf einem Papierwisch. Er verlangte, daß ich den Bauern Paetow holen ließe, damit dieser Auskunft geben sollte über landwirtschaftl. Belange, aber dann warteten sie dessen Ankunft nicht ab, stiegen in ihr Auto, nachdem sie meine jungen Fliederbüsche geplündert hatten, um ihrer Dolmetscher=Nutte Blumen zu schenken u. fuhren los. Sie behaupteten, heute noch einmal wiederkommen zu wollen. Als Paetow kam, waren sie schon weg.

[7]
Mittwoch, 6. Juni 1945.     

     Der gestrige Tag verlief ausnahmsweise ohne besonderen Aerger oder Zwischenfälle. Abends kam Herr Dr. Hoffmann mit einem Vertreter des Landratsamtes Rostock, einem Herrn Granzow oder so ähnlich. Dieser Herr räumte ein, daß die Verfügung, nach der Ahrenshoop jetzt zu Mecklenburg gehören soll, jeglicher Rechtskraft entbehrt u. daß es an mir läge, wie ich mich dazu stellen wollte. Ich vertrat die Ansicht, daß die Zugehörigkeit Ahrenshoops zu Mecklenbg. einfach sinngemäß wäre u. eine Verbindung mit Barth praktisch unmöglich sei, aber daß ich natürlich die Entscheidung der höheren Behörde überlassen müßte, die freilich nicht vorhanden wäre. Herr Granzow war ein einfacher Mann mit einem roten Läppchen im Knopfloch sehr vergnügt u. sehr pfiffig, ein typischer Vertreter der alten sozialistischen Partei. Herr Hoffmann teilte mir nun auch offiziell mit, daß er nicht mehr Bezirks-Bürgermeister sei.

     Ehe die Herren kamen, war Frau Inge Lehment bei mir u. erzählte mir, daß eine Frau bei ihr gewesen sei, die sich als die Gattin eines Rechtsanwalts Assmann vorgestellt habe. Sie sei Dolmetscherin beim russ. Kommandanten in Wustrow u. wisse daher genau Bescheid über die Denuntiationen u. Anzeigen, die beim russ. Kommandanten einliefen. So wisse sie auch, daß Inge Lehment von Russen belästigt worden wäre u. daß Inge im Garten Alkohol vergraben habe. Sie sagte, daß Inge deshalb in nächster Zeit darauf gefaßt sein müßte, daß ihr Garten umgegraben werden würde. Sie, Frau Assmann kenne aber als Rechtsanwaltsfrau Inges Vater Dr. Helms u. deshalb wolle sie ihr helfen. Inge solle ihr etwas von dem Cognak usw. abgeben, sie würde ihr dafür Speck u. a. Lebensmittel verschaffen. –

     In der Tat hatten die Eltern Helms am Tage, ehe die Russen kamen, Cognak u. Wein im Garten vergraben u. dabei hatte ihnen das Ehepaar Risch, das zu Besuch war, geholfen. Später hat Inge die Flaschen allerdings wieder ausgegraben u. in den Keller gelegt. Frau Assmann hat also ihre Kenntnis anscheinend von Herrn Risch. So erklärt sich dann auch, daß die Russen am letzten Sonntag Nachts in den Keller bei Inge Lehment einzudringen versucht haben. – Vielleicht erklären sich damit auch die früheren Plünderungen im Reichert'schen Geschäft u. in der Privatwohnung von Reichert, da Herr Risch ja mit Herrn Reichert sehr befreundet ist u. über alles genau bescheid weiß. Es ist mir schon oft aufgefallen, daß immer, wenn irgendwo etwas los ist, Herr Risch sofort auftaucht u. herumschnüffelt. – Ich fragte Dr. Hoffmann nach dieser Frau Assmann, aber sie war ihm völlig unbekannt. – Inge Lehment hat der Frau dann eine Flasche Cognak gegeben u. sie ist damit abgezogen in der Richtung nach dem Söhlke'schen Hause, obgleich sie vorher gesagt hatte, ihr „Auto“ warte bei der Batterie auf sie. Man wird auf Herrn Risch aufmerksam sein müssen, er ist ein höchst unsympat. Geselle.

     Herr Liebers hat mir nun einen Batterie-Empfänger aufgestellt u. wir hörten gestern Abend zum ersten Male seit langer Zeit wieder einmal Nachrichten. Es wurde die Deklaration der interalliierten Militärkommission in Berlin zum Waffenstillstand durchgegeben.

[8]      Spät Abends kam noch unser Lebensmittel-Auto von glückhafter Fahrt zurück u. brachte uns 50 Centner Kartoffeln u. ein Schwein, nachdem es schon gestern Schlachtvieh mitgebracht hatte. Die Kartoffeln wurden bei Reichert abgeladen u. über Nacht von unseren Hilfspolizisten bewacht. Heute werden sie verkauft. Das Auto ist heute wieder ausgelaufen, vielleicht bekommen wir Mehl u. nochmals Kartoffeln.

     Nach allem, was ich höre, scheinen die Russen jetzt aus Althagen abgezogen zu sein. Es ist alles ruhig.

Donnerstag, 7. Juni 1945.     

     Der Tag gestern ohne besondere Ereignisse, nur daß ein Wachkommando mit einem jungen Leutnant u. acht Mann, Kosacken –, in Haus Claassen eingezogen ist. Die schönen Beutepferde stehen einfach draußen im Freien. Das Kommando soll das Meer beobachten, – zu welchem Zweck ist unerfindlich, denn besondere optische Instrumente haben sie nicht. – Abends kam der arme Bauer Paetow u. berichtete, daß die Russen ihm eine Kuh von der Koppel gestohlen hätten. Er war völlig verzweifelt. Ich holte Dr. Hahn u. bat ihn, zum Kommandanten zu gehen, was er auch bereitwillig, aber völlig erfolglos tat. Paetow will heute Morgen selbst hingehen u. bat mich, mitzukommen, – ich hoffe, daß er darauf verzichtet, denn es ist zwecklos u. für mich sehr anstrengend. – Gestern brachte das Lebensmittel-Auto nochmals 100 Ctr. Kartoffeln. Auch die Wustrower Molkerei hat etwas Butter angeliefert.

     Abends hielt ich trotz aller Schwierigkeiten meinen Mittwoch-Vortrag. – Am Radio hörte ich, daß man die verkohlte Leiche Hitlers unter den Trümmern der Reichskanzlei gefunden hat.

Herz-Jesu-Freitag, 8. Juni 1945     

     u. Martha's Geburtstag. Der gestrige Tag brachte keine Ereignisse. Nachmittags machte ich unseren Kosakken im Hause Claassen einen Besuch, besichtigte ihr Quartier u. erkundigte mich nach ihren Wünschen. Sie waren darüber sehr erfreut u. der Wachtmeister versicherte mir, daß er der Gemeinde in jeder Weise helfen wolle. Hoffentlich bleibt es dabei. – Eben war Frl. v. Tigerström hier u. erzählte kurz von Kükenshagen, wo es fürchterlich aussehen muß. Sie sagte, daß gegenwärtig zwei Divisionen Ural-Kosakken durch Damgarten marschieren, die sehr wilde Leute sein sollen.

Sonnabend, 9. Juni 1945.     

     Martha bekam gestern viel Blumen geschenkt u. von Gretel Neumann einen Obstkuchen, von Frau Ziel ein Näpfchen mit Schmalz usw. Auch Trude hatte einen Kuchen gebacken. Abends saßen wir mit Küntzels u. den Töchtern, aßen Kuchen u. ich holte die vorletzte Flasche Pommery. Nun ist nur noch eine da, die zu meinem Geburtstage dran glauben soll.

     Sonst hat sich nichts Besonderes ereignet. Unsere kleine Kosakken-Abteilung benimmt sich anständig u. es herrscht Ruhe, die Bevölkerung fängt an, wieder aufzuatmen. Morgen Nachmittag habe ich alle zum Baltischen Hof eingeladen, nachmittags 4 Uhr, um eine Rede zu halten über die allgemeine Situation. Heute Nachmittag sind wir bei Ziels zum Kaffee eingeladen, da Frau Ziel heute 70 Jahre alt wird. Heute früh habe ich meine Garderobe wieder aus dem Versteck hervorgeholt u. sie wieder in den Kleiderschrank getan, die Gefahr ist wohl [9] vorüber, daß die Sachen gestohlen werden. Wir werden jetzt daran gehen, die restlichen Flüchtlinge abzutransportieren. Dr. Hoffmann hat mich wissen lassen, daß nun in Berlin eine Stelle eingerichtet sein soll, die auch die Flüchtlinge aus dem Westen zurückbefördert. Wenn wir diese Leute erst einmal alle los sein werden, wird es um Vieles besser werden. – Der ehemalige Marine-Artillerist Klebach, der uns in der Waschküche schon früher einen Kochofen gebaut hat, brachte heute früh einen eisernen Ofen, den wir notfalls im Winter im Wohnzimmer aufstellen werden, falls wir keine Kohlen bekommen.

Sonntag, 10. Juni 1945.     

     Gestern Nachmittag bei Ziel ziemlich langweilig. Bürgerlicher Geburtstag mit Jugenderinnerungen, Kuchen u. Bohnenkaffee, nachher ein Glas Sekt. Außer Martha u. mir selbst war Frau Griesel da, die dort wohnt[1].

     Abends kam Herr Damm u. erzählte, daß er in Wustrow mit seinem Auto angehalten worden sei. Er mußte nach Althagen fahren u. Dr. Hoffmann holen. Es hat dann eine lange Verhandlung im Hause des Kommandanten stattgefunden, während der Damm warten mußte. Es wurde ihm dann gesagt, er könne nachhause fahren, Herr Gläser u. Herr Dr. H. würden dort bleiben. Damm solle heute früh um 8 Uhr wieder dort sein u. dann nach Ribnitz fahren. Mehr weiß ich nicht.

     Später kam noch Frl. Lenhardt, die mit ihrer Mutter gestern von Rostock aus zu Fuß hierher gekommen ist, um ihr völlig ruiniertes Haus zu sehen. Sie sah sehr elend aus u. war verzweifelt über den trostlosen Zustand des Hauses. Sie machte Anzeige gegen zwei Flüchtlingsfrauen, die im Haus am Meer gewohnt haben u. noch hier sind, jetzt aber anderwärts wohnen. Beide sollen viel gestohlen haben. Ich habe Paul beauftragt, heute morgen die notwendigen Vernehmungen vorzunehmen u. ev. Haussuchungen bei beiden machen zu lassen.

     Unsere Andacht heute wieder gut besucht.

     Gestern Nachmittag kam Dr. Hoffmann u. brachte mir 5000 Rm. in nagelneuen Scheinen für die Gemeinde. Das Geld stammt aus beschlagnahmtem Parteivermögen u. wurde uns von der politischen Polizei in Ribnitz überwiesen. –

     Es hieß, wir könnten Flüchtlinge wieder abschieben, aber gestern bekamen wir Nachricht, daß die Leute in Ribnitz nicht weiterkommen. Diese Nachricht war privat von Evi Niemann, amtlich bekommt man ja fast garkeine Weisungen. Die Russen bauen, wie ich höre, die Eisenbahnstrecke Velgast=Prerow ab u. schicken die Schienen nach Rußland. Sie scheinen in dieser Weise alle Nebenstrecken abzubauen. Evi Niemann erzählte mir, daß das Fernsprechamt in Ribnitz völlig leer sei.

Montag, 11. Juni 1945.     

     Gestern Nachmittag um 4 Uhr hielt ich meine Rede zu den Ahrenshoopern in Balt. Hof. Ich hatte den russ. Kommandanten davon unterrichtet u. er hatte mir sagen lassen, daß er persönlich kommen würde. – Der Saal war gedrängt voll, es waren alle da, die irgend nur konnten. Die Rede dauerte etwa eine Stunde u. obwohl ich mit den Nazis streng ins Gericht ging u. ihnen nichts schenkte, war der Beifall doch sehr groß. Nach der Rede kamen viele Demokraten u. drückten mir [10] mit freudiger Begeisterung die Hand. Der Kommandant hatte seinen Wachtmeister mitgebracht u. ließ sich die wichtigsten Stellen von ihm dolmetschen. Nach meiner Rede stand er auf u. äußerte den Wunsch, selbst etwas zu sagen. Frau Marie Seeberg dolmetschte. Ich hatte gesagt, daß der Krieg eine Auseinandersetzung zwischen Demokratie u. Diktatur gewesen sei u. der Kommandant griff das auf, indem er versicherte, auch Rußland sei eine Demokratie. Das war immerhin überraschend. Auch sonst sagte er Sachen, die offensichtlich von dem Bestreben diktiert waren, zu uns freundlich zu sein. So entschuldigte er gewissermaßen die gelegentlichen Uebergriffe russischer Soldaten mit der langen Kriegsdauer, durch welche die Moral gesunken sei. Jedenfalls wurde dadurch ein persönliches Verhältnis zwischen uns u. ihm hergestellt u. auch von dieser Seite her war meine Rede ein voller Erfolg.

     Herr Gläser ist gestern um 2 Uhr wieder zurückgekehrt. Es hat sich offenbar darum gehandelt, daß in Wustrow ein ehemal. SS=Mann verhaftet worden war, in dessen Hause man ein umfangreiches Hamsterlagen an Garderobe, Wäsche, Lebensmitteln, Gold u. Juwelen gefunden hat. Dieser SS-Mann soll ein Rechtsanwalt aus Berlin sein, der früher mit Dr. Hoffmann in Berlin eine Anwaltsfirma gehabt hat. Herr Dr. H. soll diesen Mann gedeckt haben. – Die Ribnitzer Kommunisten haben sich wohl hinter die russ. Staatspolizei gesteckt u. haben das gefundene Hamstergut beschlagnahmt u. nach Ribnitz entführt. Zugleich haben sie verlangt, daß ein Ribnitzer Kommunist namens Harder in Wustrow wohnen sollte, offenbar als Kontrolle. Der Bürgermeister von Wustrow, Hallier, der ein großes Kamel sein soll, hat sich seinerseits hinter den russ. Kommandanten, einen ständig betrunkenen Kosakken-Häuptling, gesteckt u. nun ist der Krieg losgegangen. Der Kosakken-Häuptling hat Dr. Hoffm. u. unseren Herrn Gläser verhaftet, diesen, weil er angeblich ein fazistischer Spion sein soll, dazu noch zwei Kommunisten aus Ribnitz. Alle mußten die Nacht in einem Keller zubringen. Am Sonntag-Morgen mußten sie nach Ribnitz fahren u. das Hamstergut wieder zurückbringen, erst dann war man zufrieden u. entließ sie wieder. – So ungefähr scheint sich die Sache abgespielt zu haben. Mittags war ein Wustrower Hilfspolizist bei mir u. brachte ein Schreiben vom sog. Bezirksbürgermeister Hallier u. dieser gute Mann schimpfte weidlich auf seinen Herrn u. nannte ihn einen unfähigen Dummkopf u. Trottel. –

     Die Haussuchungen, die Paul gestern Morgen bei den Flüchtlingsweibern hier veranstaltet hat, sind ebenfalls sehr erfolgreich gewesen. Alle 4 Hilfspolizisten waren voll beschäftigt, um das Diebesgut zu bergen. Frau Lenhardt hat auf Strafanzeige verzichtet, aber die Weiber werden nun sofort Ahrenshoop verlassen, oder ich liefere sie an die Russen aus.

     Von heute an soll es pro Woche 1000 gr. Brot geben, seit dem 1. Mai gab es nur 500 gr. Brot wöchentlich. Arbeitende Menschen sollen sogar 1400 gr. Brot bekommen. Das ist ein erheblicher Fortschritt.

Dienstag, 12. Juni 1945.     

     Gestern kam der Befehl vom Kommandanten in Wustrow, daß sich sämtliche Fischer mit ihren Booten in Wustrow einzufinden hätten, u. zwar sowohl von der Seeseite, wie von der Boddenseite. [11] Abgesehen von der Dummheit dieses Befehles, – da ja ein Fischer eben nur entweder mit seinem Seeboot oder mit seinem Boddenboot fahren kann u. nicht mit beiden zugleich, witterten wir sofort Unheil. Und mit Recht. Abends kamen unsere Fischer zurück u. erzählten, daß der Wustrower Kommandant von allen Althäger u. Ahrenshooper Fischern verlangt, daß sie von jetzt an ihre Boote u. Netze u. alles Geschirr in Wustrow stationieren u. nur noch dort fischen sollten. Wir werden auf diese Weise überhaupt keine Fische mehr bekommen u. Boote u. Netze werden wir nie wiedersehen. Unsere u. die Althäger Fischer waren über den Bodden nach Wustrow gefahren. Auf dem Rückwege sind sie von Booten überfallen worden, die angeblich aus Langendamm gekommen u. mit Marinesoldaten bemannt u. mit einem Maschinengewehr bewaffnet waren. Die Kerle sind in unsere Boote gestiegen u. haben sie nach Netzen durchsucht. Meyer hatte aber das Netz zuhause gelassen. Hebert hatte es gut versteckt, aber Konow aus Althagen ist dabei sein Zeesennetz losgeworden.

     Die Erschwerung des Verkehrs wird immer lästiger. Wer nach Ribnitz will, muß zu Fuß gehen u. von hier bis Wustrow wird man dauernd von Posten angehalten, die nach Passierscheinen fragen. Die Folge ist, daß wir alle Leute, die nach Wustrow oder darüber hinaus wollen, zum Kommandanten schicken zwecks Ausstellung eines Passierscheins bzw. damit er denselben unterschreibt. Wir stellen die Scheine selbst aus u. haben eine Dolmetscherin angestellt, die alle Scheine ins Russische übersetzen muß. Dem Kommandanten ist es lästig geworden, daß die Leute ihm die Bude einrennen u. als ich ihn gestern Abend auf der Straße traf, kam er mit in die BuStu., bzw. in das Zimmer 4 im kleinen Hause u. erklärte mir durch seinen kleinen Burschen, der etwas deutsch spricht, daß er die Absicht habe, von heute an jeden Vormittag von 10 – 12 Uhr in meinem Büro zu sitzen. Ich weiß nicht, ob er damit noch irgend eine andere Absicht verfolgt.

     Die Leute sagen mir, daß das Ostseebad Ribnitz u. Dierhagen geräumt werden müsse. Alle dort Wohnenden müssen nach Wustrow. Man sagt, es käme dort Artillerie hin. Auch haben die Russen erneut befohlen, daß die Verdunkelungs-Vorschriften weiter in Kraft bleiben, besonders nach der See hin. Offenbar ist also die Spannung zwischen Rußland u. den Westmächten nach wie vor sehr groß u. sie wird wohl nicht nachlassen bis zu der neuen Konferenz zwischen Stalin, Churchill u. dem Amerikaner, die in den nächsten 6 Wochen stattfinden soll. –

     Die Engländer sagen im Rundfunk, daß sie rund 2 Millionen 800000 deutsche Gefangene im Westen gemacht hätten – wohl mit den Amerikanern zusammen, u. daß sie von diesen nur 600000 als Arbeiter zum Aufräumen behalten wollten, alle übrigen werden sie bald entlassen. Damit können wir die Hoffnung haben, daß auch Fritz bald entlassen werden wird. Es wäre das ganz herrlich.

Mittwoch, 13. Juni 1945.     

     Gestern Abend sind unsere Kosakken ins Kurhaus umgezogen. Man sagt, daß in Althagen wieder Bettzeug u. Einrichtungsgegenstände neu requiriert worden seien, sodaß anzunehmen ist, daß wieder neue Truppen in die Batterie kommen. Dagegen ist die Räumung von Ostseebad Ribnitz u. Dierhagen wieder rückgängig gemacht worden. [12] Gestern war unser Kommandant von 10 – 12 Uhr im Amt. Er bekam viel zu tun mit Unterschriften von Passierscheinen. Es ist zwar unangenehm, die Russen da sitzen zu haben, aber andererseits ist es auch gut, wenn man gleich die Dinge mit ihnen besprechen kann. So konnte ich gleich die Entführung unserer Boote u. Netze nach Wustrow mit ihm bereden u. ihm klar machen, daß er selbst nun ebensowenig Fische bekommt, wie wir. Er sah das wohl ein, aber es scheint, daß er da nichts machen kann. Bauer Paetow klagte über Wildschaden durch Schweine. Auch das konnte ich ihm sagen u. ihn veranlassen, die Schweine abzuschießen. Er sagte es zu u. ich bat ihn gleich, auch uns ein Schwein abzugeben, was er mir auch versprach. – Am Nachmittag beschlagnahmten die Russen sämtliche Butter in der Molkerei, die heute hier verkauft werden sollte, sodaß wir nun wieder keine Butter haben. Die Brotrationen, die ab Montag auf 1000 gr. wöchentlich erhöht worden waren, sind wieder auf 500 gr. herabgesetzt worden. Herr Granzow aus Rostock war vom Landratsamt hier u. berichtete, daß Rostock voll Russen wäre u. daß es mit der Ernährung noch schlimmer wäre, als bei uns. – Heute früh berichtet Trude, daß in Wustrow u. Althagen einige Fälle von Maul= u. Klauenseuche aufgetreten seien. Das hatte grade noch gefehlt.

     Gestern Mittag wurde der alte Herr Gläser plötzlich nach Wustrow zum Kommandanten bestellt. Er mußte zu Fuß hin u. zurück. Er war vorher bei mir u. war sehr besorgt, aber Abends hörte ich, daß er zurückgekommen wäre.

     Eine neue Gemeindeschwester kam aus Born u. brachte mir Dienstpost vom Landratsamt Barth, die ich aber nicht annahm. Offenbar wissen sie dort immer noch nicht, daß wir jetzt zu Rostock rechnen. Ich sagte der Schwester, daß wir ihre Dienste hier nicht benötigen, worüber sie sehr erfreut war.

Donnerstag, 14. Juni 1945.     

     Gestern Abend kam ein Hauptmann vom Kommando-Stabe der hiesigen Truppen in Begleitung unseres Kosakken-Wachtmeisters. Er suchte sich vier Radio-Geräte aus, die für den General, den Oberst u. sonst noch andere Offiziere sein sollten. Der General u. der Oberst werden heute hier erwartet. Es ist gestern am Darss-Ausgang des Dorfes ein neuer Schlagbaum errichtet. Der Wachtmeister forderte für heute 1 Gespann u. 15 Mann an, die ein Stacheldraht-Verhau von der Ostsee bis zum Bodden errichten sollen, dazu 6 Frauen, die das Kurhaus sauber machen sollen. Auf dem Dach des Kurhauses ist ein Beobachtungsposten eingerichtet worden.

     Heute früh sandte Dr. Hoffmann einen Boten, es solle sofort eine Liste aller Parteigenossen an den Kommandanten nach Wustrow eingereicht werden zwecks Arbeitseinsatz.

     Den Mittwoch-Vortrag ließ ich gestern Abend ausfallen bis auf weiteres, – es geht nicht mehr.

     Wir bekommen sehr hohe Spenden für die Notgemeinschaft. Martha macht ihre Schneiderei sehr gut, es kommen mehr u. mehr Russen u. lassen sich Uniformen machen.

     Die neue Konferenz mit Stalin u. den Westmächten wird nun bald beginnen. Es handelt sich dabei um das polnische Problem.

[13]
Freitag, 15. Juni 1945     

     Gestern nach 5 Uhr kam der Bürgermstr. Dillwitz aus Althagen mit einem Oberleutnant u. mehreren Kosacken. Dillwitz sagte, es müßten sofort innerhalb 2 Stunden 20 Bettlaken, Bettbezüge, Kopfkissen u. Kopfkissenbezüge, 5 Sessel, 3 Sofas, 5 Bettgestelle mit Matratzen u. 8 Vorhang-Garnituren für Fenster gestellt werden, dazu noch 5 Radio-Apparate. – Es war eine große Hetze, das alles zusammen zu bringen, aber schließlich gelang es. Die Russen fuhren alles in zwei Lastautos Richtung Althagen ab. Unsere Dolmetscherin sagte mir, daß dieser Oberleutnant nun unser Kommandant sein sollte, – also wieder ein neuer. Der bisherige Oberleutnant sitzt aber immer noch im Kurhause, dazu ist der Hauptmann hiergeblieben. Es scheint, daß nun unser Gebiet vom Darss ganz abgesperrt sein soll. Sie haben dort einen Schlagbaum errichtet, u. Stacheldraht. Sie haben Schilder bestellt: „Grenzzone“ u. „Eintritt verboten“ usw. Heute sollen nochmals Radio-Apparate abgegeben werden und sämtliche Telephon-Apparate. Nur die Gemeinde soll ihren Apparat behalten, aber er soll versiegelt werden.

     In Althagen haben die Russen schon vorgestern in ähnlicher Weise alles abgefahren. Aus Ribnitz höre ich, daß alle ehem. P.-G's verhaftet worden sein sollen. Auch nach Bachmann haben sie gefragt, der aber hier ist.

     Ich fürchte, daß Paul nicht durchhält. Er ist sehr nervös, verliert leicht die Ruhe u. hat immerfort Hunger. An Grete hat er keine Stütze.

Sonnabend, 16. Juni 1945.     

     Der gestrige Tag verlief ziemlich ruhig. Vormittags ging eine Anzeige ein gegen das Geschäft Reichert-Saatmann, daß dort noch Lebensmittel verborgen gehalten würden. Ich ging gleich am Nachmittag mit zwei Polizisten hin u. ließ den ganzen Schuppen durchsuchen, in dem die Strandkörbe stehen, der andere Polizist blieb im Hause, um zu verhindern, daß inzwischen Sachen beiseite gebracht würden. Im Strandkorb-Schuppen fand sich nichts u. auch die Hausuntersuchung war ergebnislos. Mithin ergibt sich, daß das immer wieder auftauchende Gemunkel über Saatmanns ohne Unterlage ist. Die Haussuchung kann also für Saatmanns nur nützlich gewesen sein, da auf diese Weise die Haltlosigkeit all dieses Geredes erwiesen ist, – oder die Leute haben die Sachen so gut versteckt, daß sie nicht zu finden sind.

     In der Notgemeinschaft, in der gut gearbeitet wird u. in der fortlaufend hohe Beträge als freiwillige Spenden eingehen, sind in letzter Zeit Uniformstücke für Russen gearbeitet worden, ohne daß dafür bezahlt worden wäre. Martha hat sich darüber bei dem jüdischen Kosacken-Wachtmeister beklagt. Dieser hat darauf veranlaßt, daß eine gewaltige Rinderkeule an die Notgemeinschaft geliefert worden ist. Dieselbe ist in 12 Teile geteilt worden, so daß alle, die in der Gemeinde ehrenamtlich arbeiten, ein ordentliches Stück Fleisch bekommen konnten. Aus den Resten u. den Knochen wird am Montag eine kräftige Suppe gekocht werden, sodaß alle Mädchen u. Frauen, die in der Notgemeinsch. arbeiten, am Montag ein gutes Mittagessen haben werden. Da auch Leplow Fleisch bekommen hat, [14] das heute verkauft wird, hat das Dorf in der kommenden Woche einigermaßen zu essen. Zum Ueberfluß brachte mir auch Wullenbecker gestern ein großes Stück Rindfleisch, das er von Russen bekommen hat, sodaß wir auch davon Küntzels u. den alten Meiers abgeben können, auch die alte Frau Longard soll etwas davon haben.

     Gestern Nachmittag war Herr Söhlke bei mir u. fragte mich um Rat, was er tun solle. Da er aus geschäftl. u. berufl. Gründen s. Zt. genötigt gewesen war, der Partei beizutreten u. die Gefahr immer größer wird, daß die ehemal. P-G's verhaftet werden oder sonst unangenehme Dinge zu erwarten haben, ist er nun in großer Sorge; aber die Art, wie er vor diesen Gefahren steht, ist sehr anständig u. männlich. Er verzichtet auf einen Versuch zur Flucht, der ja auch ziemlich aussichtslos wäre u. will hier das Weitere abwarten. Inzwischen arbeitet er beim Bauer Rieck auf dem Felde u. pflanzt Wrucken. Ich konnte ihm nur bestätigen, daß diese Haltung m. E. nach das Beste wäre, – mit einer Flucht könnte er höchstens seine Familie in Gefahr bringen u. ein Gelingen der Flucht ist sehr zweifelhaft.

     Die Russen haben jetzt am Ausgang nach dem Darss ein großes Tor gebaut u. rechts u. links davon bis zur See, bzw. zum Bodden. Stacheldraht gezogen. Wozu das sein soll, ist nicht recht zu ersehen, denn der Wachtmeister sagt mir, daß der Oberleutnant, der bisher bei uns war, jetzt in Darsser Ort sitzt u. daß das ganze Gebiet von Darsser Ort bis Zingst u. bis Wustrow oder gar Ribnitz Besetzungszone der Kosacken sei. Der kommand. General wird erwartet, bzw. derselbe muß schon in der Nähe sein, denn die in Althagen u. hier bei uns requirierten Möbel u. die Bettwäsche waren für ihn bestimmt. Der Wachtmstr. sagt, daß der General ein großer Herr sei, der in Petersburg eine große Wohnung besitzt u. der über die Möbel, die ihm geliefert worden seien, sehr ungnädig gewesen sei, da sie ihm zu schlecht gewesen wären. Also gibt es dergleichen bei den Bolschewisten auch. Der Hauptmann vom Stabe des Generals sitzt im Kurhause, es steht ihm ein Auto zur Verfügung. Er scheint ein ganz umgänglicher Mann zu sein. Er trägt bessere Uniform u. benimmt sich etwas wohlerzogener, als ich es bisher bei den Offizieren gesehen habe. Er hat sogar ziemlich gewaschene Hände.

     Gestern Abend wurde durch Radio bekannt, daß die Konferenz zwischen Stalin, Churchill u. dem Amerikaner in Berlin stattfinden soll. – In Bayern hat sich eine Regierung gebildet, was auf eine Abtrennung Bayerns vom Deutschen Reich hinzudeuten scheint. Sonst gibt es in Deutschland immer noch keine Regierung.

     Der Abfluß der Senkgrube im Hintergarten ist verstopft. Meier=Sohn u. Klebach bemühen sich, den Schaden zu beheben. Klebach hat uns im kleinen Hause in der Küche einen Kochherd aufgestellt.

Sonntag, 17. Juni 1945.     

     Die beiden Töchter von Frau Gess kamen gestern mit ihrer Mutter u. hielten mit größter Bestimmtheit die Anschuldigungen gegen Saatmann aufrecht, auch in Saatmanns Gegenwart, den ich rufen ließ. Saatmann aber konnte alle Anschuldigungen widerlegen, bzw. aufklären. Ich vernahm noch Frau Spangenberg u. Frau Gräff als Belastungs u. Entlastungszeugen, woraus sich einwandfrei [15] die Haltlosigkeit aller Beschuldigungen ergab.

     In der Notgemeinschaft ist jetzt ein furchtbarer Russenbetrieb. Alle wollen Uniformen haben, denn alle sind ja furchtbar abgerissen. – Gestern sagte der Wachtmeister Joseph, der nun wirklich unser Freund geworden ist, zu mir im Gemeindeamt, daß er nie für möglich gehalten hätte, daß die Russen Deutschland besiegen würde. Er erklärte den russ. Sieg allein aus dem unsinnigen Terror unserer Soldaten. Er sei, sagte er, von Leningrad bis zum Kaukasus gereist u. er habe die Verwüstung Rußlands gesehen. Es gäbe keine Dörfer u. keine Städte mehr, die Menschen hausten in den Wäldern u. alte Frauen hätten ihm schreckliche Dinge erzählt. Dadurch hätten wir selbst einen Haß großgezogen, der an sich vorher garnicht vorhanden gewesen wäre u. es sei dadurch die Partisanen-Bewegung hinter unserer Front so groß u. so erfolgreich gewesen. –

     Gestern früh wurde eine Leiche angeschwemmt, heute früh schon wieder eine. Es ist starker Westwind u. Südwestwind, – es wird wohl viele Leichen geben.

     Gestern Abend kam Herr Maßmann aus Prerow. Er erzählte von dort. Es sieht ungefähr ebenso aus, wie bei uns, nur daß dort anscheinend ein Schieber Bürgermeister ist.

     Die Andacht heute wieder stark besucht. Nachher kamen zwei Lastwagen mit Kosacken u. Infanteristen, sonst aber leer. Herr Gläser war zufällig grade da. Die Leute wollten unseren Lastwagen haben. Es waren ekelhafte, rohe Kerle, Oberleutnants. Der Schutzbrief, den wir für unseren Lastwagen haben, rettete den Wagen. Die Kerle wollten dann Personenwagen, – ich lachte u. sagte ihnen, sie sollten mir einen zeigen. Die Kerle fuhren schließlich weiter, hielten aber am Balt. Hof. Ich weiß nicht, was daraus geworden ist, offenbar sind sie auf Raub aus. Gestern Nachmittag haben auch unsere Kosacken, die aus dem Kurhause wieder ausgezogen sind in das Haus Monheim, das Haus am Meer ausgeräumt. Sie brauchen bei Monheim natürlich Betten, Matratzen, Sessel, Stühle u. Sofas u. sie haben das alles aus dem Haus am Meer geholt. Man kann da nichts machen, denn das Haus steht leer. –

Herr Hörisch, der Schwiegersohn von Triebsch, erzählte gestern in der BuStu. vor vielen Zuhörern von seinen Erlebnissen in Berlin während der Kampftage u. nachher. Herr H. ist vorgestern hierher gekommen u. geht wieder nach Bln. zurück. Er erzählte sehr sachlich ohne Uebertreibung u. sehr nüchtern. Ernährungsmäßig sind die Berliner demnach besser gestellt, als wir, aber das Leben dort ist keineswegs schön.

Montag, 18. Juni 1945.     

     Gestern beauftragte ich Krull, die angeschwemmte Leiche fortschaffen zu lassen. Nachmittags bekam ich Unruhe, ob die Sache gemacht worden sei u. ich ging zum Strande, wo die Leiche auch tatsächlich noch lag. Ein schauerlicher Anblick. Die Leiche war ganz nackt, nur am linken Fuß war eine graue Wollsocke, die B. K. gezeichnet war, um den Hals eine Erkennungsmarke Nr. 1910, die auf der Rückseite eine Zeichnung trug, einem Segelschiff ähnlich. Die Leiche war bereits sehr aufgedunsen, ein Mann von etwa 40 Jahren. Ich ging darauf zu Meier, damit er für die Fortschaffung sorge, was er auch bereitwillig tat. Dann kam sehr aufgeregt Krull. Er war erst um 4 Uhr nachhause gekommen u. niemand hatte mich benachrichtigt, daß er nicht zuhause gewesen war. Die Sache ging [16] nun rasch vorwärts u. zwei Stunden später war die Leiche auf dem Friedhof bestattet.

     Abends kam Jolly Hartung, geb. König. Sie war von Warnemünde zu Fuß hergekommen, um die Mutter zu sehen. Sie erzählte von ihren recht dramatischen Schicksalen u. von den Zuständen in Warnemünde, die wesentlich besser sind, als bei uns, sowohl in Bezug auf Ernährung, wie auch sonst. Die dortige russ. Besatzung scheint in kultureller Beziehung auf einer höheren Stufe zu stehen, als unsere Kosacken, vor allem hat der Kommandant den Ehrgeiz, ein gebildeter Mann zu sein. In den ersten Tagen des Mai, am 2. Mai, war Jolly in Diedrichshagen zufällig in das Haus des Geflügelzüchters v. Harder geraten u. war dort Zeuge des tragischen Todes dieses Mannes geworden. Er hatte viele polnische Arbeiter u. russ. Kriegsgefangene gehabt, die er schlecht behandelt hatte. Diese hatten ihn den eindringenden Russen angegeben u. er war kurzer Hand von den Russen erschossen worden. – Jolly hatte sich der Vergewaltigung durch einen Sprung aus dem Fenster entzogen, hatte sich dabei den Unterarm gebrochen, war zu Fuß nach Warnemünde u. von dort nach Rostock gegangen in die Klinik. –

     Heute früh wurde ich von Paul mit der Nachricht geweckt, daß die Russen bis 8 Uhr 40 Matratzen verlangten. Herr Dr. Hahn u. Paul haben das Notwendige veranlaßt, ich selbst habe mich bisher nicht darum gekümmert. Weiß der Himmel, wozu die Leute die vielen Matratzen gebrauchen, nachdem sie schon so viele bekommen haben u. am Sonnabend noch das ganze Haus am Meer ausgeräumt haben. Offenbar kommen noch viele neue Kosacken hierher. Das Ostseebad Ribnitz ist nun gestern doch von Zivilpersonen geräumt worden u. mit Kosacken belegt worden, vielleicht gehen die Matratzen dorthin.

     Das Lastwagen-Kommando aus Barth, welches gestern vormittag hier war, hat zwei Autos, die ohne Räder bei Helms standen, aufgeladen u. ist damit abgefahren nach Barth.

Dienstag, 19. Juni 1945.     

     Der gestrige Tag verlief ruhig. Die Russen begnügten sich auch mit 30 Matratzen. Es heißt, daß in die Batterie neu 50 Mann gekommen seien mit zwei Flag-Geschützen u. das wird schon stimmen, denn heute früh sandte Dilwitz aus Althagen einen Boten, daß abermals Bettlaken usw. zu liefern seien u. zwölf Mann zur Arbeit. Ich warte auf den Augenblick, wo wir das Letzte hergegeben haben werden u. nichts mehr besitzen.

     Gestern Abend schickte Dilwitz einen Zettel, der in Althagen ausgeklingelt worden ist, lt. dem jetzt eine regelmäßige Eisenbahn-Verbindung von Ribnitz nach Breslau über Pasewalk – Eberswalde bestehen soll. Außerdem soll der Dampfer jeden Tag um 2 Uhr von Wustrow nach Ribnitz fahren. Ich habe das sofort an der Gemeindetafel bekannt machen lassen u. es ist zu erwarten, daß jetzt ein großer Rückfluß der Flüchtlinge stattfinden wird. Dadurch wird sich dann unsere Ernährungslage wesentlich entspannen, aber wir werden dann auch kein Arbeitskräfte mehr im Dorfe haben.

     Abends war gestern Frau Kahl bei uns u. erzählte den Roman ihres Lebens u. ihre Leiden in den Händen der Gestapo. [17] Diese Frau, welche so viel Russisch kann, daß sie in der Notgemeinschaft als Dolmetscherin dient, ist von der Gestapo schwer mitgenommen worden, aber sie hat den Sinn ihrer Leiden bisher nicht verstanden. Sie ist katholisch, hat aber ihren Glauben verraten, um einen berliner Herrn zu heiraten, mit dem sie bisher ein recht seichtes Leben geführt hat. Der Mann ist nun aber Soldat u. ist wahrscheinlich in englischer Kriegsgefangenschaft, zuletzt war er in Dänemark. Sie selbst lebt hier mit ihrer sehr alten Mutter, der Witwe eines österreich. Obersten, als Flüchtlingin. Am letzten Sonntag war sie erstmalig bei unserer Andacht zugegen, wobei sie sehr weinte. Die alte Mutter küßte mir nach der Andacht die Hand wie man es zuweilen Priestern tut. Vielleicht will Gott, daß die Frau Kahl durch mich wieder zur Kirche zurückkehrt. Ich werde ihr gelegentlich ins Gewissen reden müssen.

     Politisch ist nichts wesentlich Neues zu vermerken. Die Konferenz zwischen Stalin, Churchill u. dem amerikan. Präsidenten wird in Potsdam stattfinden u. neben der Klärung der Polenfrage soll auch die Friedens=Konferenz vorbereitet werden. Wenn diese erst stattgefunden haben wird, werden wir einen großen Schritt vorwärts gekommen sein. Auch die Prozesse gegen die Kriegsverbrecher werden nun bald beginnen, – auch sie werden zur Reinigung der Atmosphäre sehr viel beitragen. – Der Krieg gegen Japan geht mit starken Luftbombardements weiter u. es ist zu hoffen, daß es bald gelungen sein wird, auch dieses Land zu Boden zu zwingen.

Mittwoch, 20. Juni 1945.     

     Gestern Abend kam wieder das Lastauto aus Barth. Sie hatten am Sonntag die alten Autos bei Helms gesehen, die keine Räder mehr haben u. behaupteten nun, daß die Räder versteckt wären. Die Kerle waren furchtbar grob u. drohten, Frau Helms mit nach Barth nehmen zu wollen, wenn die Räder nicht in einer Viertelstunde da wären. Ich half der Frau nach Kräften, aber die Kerle blieben unbelehrbar, bis sie den Gemeindeschuppen sahen, in dem unsere Lichtmaschine u. a. elektr. Apparate standen. Ich mußte ihnen den Schuppen aufschließen u. nun ging ein großes Räubern los. Sie räumten den Schuppen fast völlig leer u. fuhren um 8 Uhr abends mit voll beladenem Auto davon.

     Zur gleichen Zeit wurde ich zum Hause Monheim gerufen. Ich schickte Krull zur Vertretung hin. Später stellte sich heraus, daß das Kosacken-Kommando dort plötzlich abgerufen sei u. die Leute wollten sich bloß von mir verabschieden. Abends um 9 Uhr erschien dann unser Hilfspolizist Herold, der sich in letzter Zeit sehr bedenklich mit den Kosacken angefreundet hat, u. brachte den neuen Kosacken-Häuptling mit, einen ganz jungen Unteroffizier, der aber sehr freundlich war, wenngleich er auch nicht deutsch verstand. Wir holten Frau Kahl zur Verständigung. Der Hilfspolizist Herold übergab mir einen Wisch Papier, auf dem er selbst, angeblich nach dem Diktat des neuen Unteroffiziers, aufgeschrieben hatte, daß er Herold, künftig nur noch für die Russen tätig sein solle. Der Wisch war dann von dem Unteroffizier unterschrieben. Dieser Herr Herold ist nun also als unser Hilfspolizist Spitzel in russ. Diensten u. ich kann [18] den Kerl nicht entlassen, wenn ich mir nicht die Russen von ihm auf den Hals hetzen lassen will. Frau Kahl erzählte mir später, daß dieser Bursche, der mit einer Frau Voigt in der Guten Laune ein Verhältnis haben soll, sich seine Spitzeltätigkeit schon seit längerer Zeit sehr gut von den Russen bezahlen läßt.

     Auch gegen den Bäcker Hagedorn sind allerhand Gerüchte im Umlauf. Dieser Kerl fährt, wie ich jetzt höre, täglich mit unserem Lastauto mit, um unterwegs allerhand Schiebergeschäfte zu machen. Mit ihm im Bunde ist der Fahrer des Autos, sowie die ehemaligen Maate Buchholz u. Richter von der Batterie, die mir längst als Schieber bekannt sind. – Aehnliche Gerüchte gehen über Frau Holzerland, die aus dem Darss Holz abfahren läßt, ohne daß man weiß, wo das Holz eigentlich bleibt. Mit ihr im Bunde ist ein althäger Bauer, der sein Gespann dazu stellt u. ebenfalls Holz für sich stiehlt. So sind wir überall umgeben von Schiebern, Dieben u. Halunken, die alles an sich bringen, was die Russen übrig lassen. Es wird bald überhaupt nichts mehr da sein u. man steht dabei u. sieht zu, ohne etwas tun zu können.

     Die Wut der Menschen wird dabei immer größer. Gestern Vormittag wollte in Russe bei einer Frau Niejahr in Althagen einen Spaten haben. Die Frau, welche grade ihre Hecke schnitt, ging mit der Heckenschere auf ihn los u. verletzte ihn. Die Frau wurde flüchtig u. suchte ein Versteck bei uns bei Fischer Meyer, dessen Frau eine Schwester von ihr ist. Die Russen plünderten darauf hin ihr ganzes Haus total aus. Frau Niejahr selbst wurde bei Meyers natürlich bald gefunden u. zur Batterie gebracht. –

     Unser Fritz Paetow, den die GPU schon vor Wochen nach Zingst verschleppt hat, ist ebenfalls seitdem verschwunden. Niemand weiß, wo er geblieben ist.

Donnerstag, 21. Juni 1945.     

     Gestern Mittag brachte Dr. Hoffmann eine Anordnung des Oberbürgermeisters von Rostock, nach der sämtliche Flüchtlinge u. Evakuierten den Landkreis Rostock sofort zu verlassen haben. In Wustrow war diese Anordnung bereits durchgeführt worden, bis Dienstag war dort der Abtransport durchgeführt. Nun geschieht dasselbe hier. Alle haben bis Sonnabend Nachmittag Ahrenshoop zu verlassen. – Diese Maßnahme bedeutet natürlich für viele alte kranke u. schwächliche Leute eine fast unmenschliche Härte, denn Ausnahmen dürfen nur gemacht werden bei offenkundiger Transportunfähigkeit oder wenn ein Flüchtling in einem Betrieb angestellt ist, dessen Weiterbestehen durch einen Abtransport gefährdet wäre. So können wir die Leute behalten, die in der Gemeinde tätig sind u. auch in der Notgemeinschaft. Unsere alten Meyers müssen auch fort, was mir ganz besonders leid tut, u. mit vielen alten Mütterchen ist es nicht anders. Es kann einem das Herz zerreißen. Ich will wenigstens versuchen, Gespanne zu organisieren, die das Gepäck u. die ältesten u. schwächsten Leute nach Wustrow transportieren können. Von dort soll am Sonnabend um 930 Uhr ein Dampfer gehen. Von Ribnitz sollen nach beiden Richtungen Eisenbahnen verkehren, aber das alles ist sehr ungewiß.

[19]
Freitag, 22. Juni 1945.     

     Der gestrige Tag überaus anstrengend. Es gibt unvermeidliche Härten, weinende Frauen u. offenkundiges Elend. Frau Dr. Tiefensee mit Kindern ist krank, aber nicht so, daß sie transportunfähig wäre. Dazu kommt, daß sie nach Königsberg muß, wo die Polen sie bestimmt nicht hereinlassen werden. Solche Fälle gibt es noch viele. Habe die Nacht nicht geschlafen. Werde Frau Tiefensee auf eigene Verantwortung hier lassen. Gewisse Halunken verstehen es von selbst, sich durch Hintertüren zu drücken wie der Hilfspolizist Herold, dem ich die Armbinde abgenommen habe, weil er zu sehr mit den Russen gemeinsame Sache gegen die Einwohner macht. Leider hat er über die Russen erreicht, daß er hier bleiben kann u. mit ihm sein Verhältnis, eine verheiratete Frau mit ihren Kindern u. ihrer Mutter. Von Dr. Hoffmann nur wenig Unterstützung, er redet den Leuten zu Gefallen, um dann nachher von mir rücksichtslose Durchführung zu verlangen. Dazu der widerliche Kommandant in Wustrow, der rücksichtslos unseren Lastwagen beansprucht für seine Privatwünsche, während wir kein Vieh u. keine Kartoffeln heranbekommen. Letztere sind in Massen zu haben u. wir haben keine, weil die Transportmittel fehlen. Am Montag fuhr unser Lastauto auf Befehl des Wustrower Kommandanten nach Rostock u. brachte für ihn zwei Flaschen Schnaps mit, sonst nichts. –

Gestern war auch Joseph, alias Sascha, wieder da der sog. „Wachtmeister“ unserer früheren Kosacken, die jetzt in Zingst sind. Er hat aus der Notgemeinschaft eine neue Montur erhalten u. jetzt eine Lammfellmütze, in der er bei der Hundstagshitze herumläuft. Er schiebt jetzt eifrig mit seinem Freunde Herold.

Sonnabend, 23. Juni 1945     

     4 Uhr Nachmittags. Heute früh um 6 Uhr begannen wir mit dem Abtransport der Flüchtlinge. Unser Lastauto fuhr zweimal nach Wustrow, außerdem vier Pferdefuhrwerke. Wir haben gestern noch viel Arbeit damit gehabt. Jeder mußte einen Passierschein in deutsch u. russisch haben, dazu Marschverpflegung, die schwer aufzutreiben war. Die Leute selbst machten viel Schwierigkeiten, weil viele von ihnen nicht fort wollten. Viele waren krank u. alt usw. Aber schließlich war's geschafft. Heute früh beim Abtransport ergab sich aber, daß sich viele einfach drückten u. nicht erschienen. Dazu kam, daß gestern einige Leute, die sich schon vorher auf den Weg gemacht hatten nach dem Osten, zurückkamen u. erzählten, die Polen hätten sie bei Stargard nicht durchgelassen. Diese Leute waren indessen sehr unzuverlässig u. ich hielt es für Geschwätz. Es gibt ja so viele Gerüchte.

     Heute Vormittag kam der Apotheker Linde aus Ribnitz zu mir ins Amt u. berichtete mir genau dasselbe. Er sagte, daß alle Flüchtlinge wieder zurückkehren würden. Ich konnte es nicht glauben. Mittags sprach ich mit unserem russ. Kommandanten, der diese Sache ebenfalls für Unsinn erklärte. Aber jetzt eben sind tatsächlich die ersten Flüchtlinge zurückgekehrt. Die alten Leute, die Kranken u. Schwachen sitzen nun wieder in Wustrow, die jungen Leute sind bereits zu Fuß hierher zurückgekommen. Man hat ihnen in Ribnitz gesagt, es sei Krieg zwischen Rußland und Polen u. niemand könne nach dem Osten. – Ich werde zum russ. Kommandanten gehen u. ihm berichten.

[20]
Sonntag, 24. Juni 1945.     

     Gestern kamen also wirklich alle Flüchtlinge wieder zurück, u. zwar wurden sie in Ribnitz auf der Straße von Hilfspolizisten gesammelt u. aufgefordert, wieder zurückzufahren. Es muß also der Stadtverwaltung eine diesbezügliche Anordnung aus Rostock zugekommen sein, erst nachdem der Dampfer dort angekommen war, denn sonst hätte man die Leute ja schon am Dampfer benachrichtigen können. Ein Grund für den Befehl wurde nicht angegeben aber es entstand nun das Gerücht von einem neuen Krieg Polens gegen Rußland. Ich ging gleich zum russ. Kommandanten, der mir aber keine Aufklärung geben konnte u. selbst nichts wußte. Die Zurückgekehrten waren zwar sehr müde u. erschöpft, aber schließlich doch froh, daß sie nicht noch weiter gefahren waren.

     Ich traf dann Dr. Meyer auf der Straße, der mir mit aller Bestimmtheit sagte, die Russen sollten bis zum 28. Juni (15. Juni europ. Zeit) sich hinter die Oder zurückziehen, sie hätten aber um Verlängerung dieser Frist gebeten. Ich bin skeptisch.

     Heute früh begann der Tag mit einer Haussuchung beim Bäcker Hagedorn, wo so viel verschobenes Mehl u. andere Waren – Schinken, Waschpulver, Nährmittel usw. – gefunden wurde, daß unser Lastauto in Anspruch genommen werden mußte, uns das alles abzufahren. Die Haussuchung wurde von der polit. Polizei aus Ribnitz durchgeführt, nachdem ich gestern Dr. Hoffmann mitgeteilt hatte, daß Hagedorn gestern nach Ribnitz gefahren sei, obwohl ihm grade am Tage vorher von Dr. Hoffmann diese Fahrten streng verboten worden waren u. er dadurch verhinderte, daß sein Geselle, der gestern mit den Flüchtlingen fortgehen sollte, abreisen konnte. Es fand dann im Gemeindeamt eine Vernehmung statt. Hagedorn hat, wie sich ergab, allein in diesem Jahre schon vier Schweine geschlachtet. Wir beschlagnahmten drei Schinken u. fünf Speckseiten. – Trotz dieses Ereignisses konnte ich dann doch noch die Sonntagsandacht abhalten mit nur 1/4 stündiger Verspätung. –

     Unsere alten Meyers sind nun auch wieder da u. wohnen wieder bei uns. Die alte Frau ist sehr erschöpft, aber sonst gesund. Ich hatte gefürchtet, daß die alten Leute die Reise nicht überstehen würden, – nun hat Gott geholfen u. hat die törichten Anordnungen der Menschen wieder rückgängig gemacht.

     Einer der Herren aus Ribnitz überbrachte mir heute Morgen eine Einladung, morgen um 2 Uhr an einer Besprechung der Bürgermeister in Ribnitz teilzunehmen. Ich will versuchen, hinzufahren, wenn das Lastauto fährt.

Montag, 25. Juni 1945.     

     Unser Kommandant war, wie mir gestern Abend Frau Kahl sagte, sehr ungehalten, weil er bei der Haussuchung bei Hagedorn nicht zugezogen worden war. Er war der Meinung, daß er hätte verhindern können, daß Althagen u. Wustrow an den beschlagnahmten Sachen beteiligt wurden, es hätte s. M. nach alles nur Ahrenshoop zu Gute kommen müssen. Auch fühlte er sich an u. für sich übergangen, denn s. M. nach müsse er als Kommandant von dergleichen Sachen in Kenntnis gesetzt werden. Da mir viel daran liegt, mit diesem trefflichen jungen Menschen auf bestem Fuße zu stehen, ging ich nach abends zu ihm hin. Ich traf ihn glücklicherweise vor dem Hause der Dolmetschers Dalschewsky, sodaß ich in der Lage war, ihm in dessen Hause [21] die Sache darzustellen. Ich konnte ihm sagen, daß ich selbst von der Sache erst unterrichtet wurde, nachdem die Haussuchung durchgeführt worden war. Als Dr. Hoffm. mich benachrichtigte u. als ich zum Gemeindeamt kam, stand das Lastauto mit den beschlagnahmten Sachen bereits dort. In meiner Gegenwart wurde nur die Verhandlung gegen Hagedorn geführt u. die Sachen wurden an die drei Gemeinden verteilt. Der Kommandant bestand darauf, künftig in allen ähnlichen Fällen zugezogen zu werden, aber er sah ein, daß mich selbst hier kein Vorwurf treffen konnte u. wir schieden nach sehr langem Gespräch, als gute Freunde, ja, wie mir schien, als bessere Freunde wie vorher.

     Heute früh um 8 Uhr fuhr ich nun mit dem Lastauto los nach Ribnitz. Ich saß vorn beim Fahrer mit Frau Marie Seeberg, die als Dolmetscherin mitfuhr. Unser Kommandant hatte gestern Abend meinen Passierschein noch unterschrieben. Als wir durchs Dorf fuhren, begegneten wir ihm u. er winkte mir mit der Hand zu, was er bisher noch nie getan hat. Unterwegs in Althagen hatten wir Aufenthalt, weil wir einen Lastwagen, den der ehemalige Obermaat Richter aus alten Wagenteilen zusammengebaut hat, u. der noch nicht ganz fahrbereit ist, abschleppen mußten. Als wir in Wustrow vorm Haus des Kommandanten in der Friedrich-Franz-Straße ankamen, trafen wir dort Dr. Hoffmann. Ich gab ihm meinen Passierschein, damit der Wustrower Kommandant ihn auch noch unterschreiben sollte. Nach einigem Warten kam Dr. H. wieder u. forderte uns alle auf, hereinzukommen. Außer mir waren noch Bürgermeister Dillwitz aus Althagen u. der Bauer Palmke als Beigeordneter auf dem Wagen gewesen u. einige Frauen, die in Ribnitz einkaufen wollten. Alle wurden nun zurückgewiesen u. auch wir Bürgermeister durften nicht weiterfahren. Der Kommandant war der Ansicht, daß die Einladung zu der Bürgermeister=Besprechung vom Ribnitzer Kommandanten hätte unterzeichnet sein müssen, da das nicht der Fall war, erlaubte er die Weiterfahrt nicht. Nur unser Schlachter Leplow, der Vieh einkaufen soll, bekam Erlaubnis zur Weiterfahrt. – Es blieb mir also nichts weiter übrig, als zu Fuß wieder zurück zu gehen. Ich kam um 12 Uhr Mittags wieder zuhause an, total erschöpft, u. legte mich gleich zu Bett.

     Dieser Wustrower Kommandant ist wirklich ein wiederlicher Kerl mit einem geistlosen, völlig unbeweglichen Gesicht, dem man keine Spur irgend einer Seelenregung ansieht. Solch ein Mensch könnte bei uns allenfalls Schalterbeamter bei der Post sein, – hier hat er eine verantwortungsvolle Stellung u. entscheidet über das Ergehen von einigen Tausend Menschen. Der Kerl mag etwa 30 Jahre alt sein. Gestern sah ich ihn vom Fenster aus mit seinem Motorrad mit Beiwagen vorbeikommen. Bald darauf fuhr er zurück mit zwei Mädchen, ehemaligen Marine-Helferinnen, die hier die Rolle von Russen=Dirnen spielen. Es ist bezeichnend, daß unser Kommandant verlangt, daß ich diese beiden Dirnen so bald wie möglich ausweise, er meint, daß wegen solcher Dirnen nur fremde Offiziere ins Dorf kämen, die hier nichts zu suchen hätten. – Als ich heute am Kiehl sehr erschöpft auf der Bank saß, die dort steht, u. mein Frühstück verzehrte, brauste er auch wieder mit seinem Motorrad an mir vorbei. – An diesen u. ähnlichen Leuten wird die Idee des Bolschewismus scheitern. Diese Leute werden nach diesem Kriege in Rußland das große Wort führen, – u. ihrer gibt es erschreckend viele. Rußland mag diesen Krieg wohl gewonnen haben mit Amerikas Hilfe, aber der Bolschewismus hat ihn verloren.

[22]      Auch in ganz Wustrow wird überall vom 28. Juni gesprochen als einem Termin, der irgend eine noch unbekannte Entscheidung bringen soll.

Mittwoch, 27. Juni 1945.     

     Gestern suchte mich Frau Hagedorn auf, um nochmals über die Beschlagnahmung zu sprechen. Ich erfuhr von ihr, daß die beiden Herren von der polit. Polizei in Ribnitz bereits am Sonnabend Nachmittag dort gewesen waren u. das Haus durchsucht hatten. Dabei haben sie sechs oder acht harte Mettwürste in einen Koffer getan, der Hagedorn gehörte sowie andere Kleinigkeiten wie Nudeln u. auch 1/2 Pfund Bohnenkaffee, sowie Cigaretten u. Cigarren. Abends haben sie dann von Frau Hagedorn Abendessen verlangt u. haben drei Weizenbrote bestellt. Am Sonntag früh haben sie dann die eigentliche Haussuchung durchgeführt, wobei das Mehl u. das Rauchfleisch usw. beschlagnahmt wurde, während die anderen Sachen vom Abend vorher, darunter auch Spirituosen, verschwunden blieben. – Schon vorher hatte ich durch Rückfrage beim ehem. Schöffen Voss festgestellt, daß es mit den Schlachtscheinen seine Richtigkeit hatte u. Hagedorn rechtmäßig drei Schweine geschlachtet hatte. Mithin war die Beschlagnahmung des Rauchfleisches zu Unrecht erfolgt u. ich ließ es durch Leplow wieder ausliefern. Es ist ganz offensichtlich, daß diese beiden Kerle von der polit. Polizei in Ribnitz ganz gewöhnliche Gauner sind, die nur die Absicht der eigenen Bereicherung haben. Es ist das ein Skandal erster Güte. Ich werde sofort Dr. Hoffmann verständigen.

     Unsere Fleischversorgung ist ernsthaft gefährdet. Leplow hat stets in der Umgegend von Damgarten Fleisch gekauft. Jetzt hat der Bürgermeister von Damgarten im Verein mit dem dortigen russ. Kommandanten den Viehverkauf nach auswärts gesperrt u. da der Kommandant in Wustrow niemanden durchläßt, ist es nicht möglich, in Damgarten zu verhandeln. –

     Rührend sind einige Ahrenshooper Kinder, welche jetzt täglich ein Kasperle-Theater veranstalten, wobei sie Eintritt erheben. Den Betrag liefern sie dann an die Notgemeinschaft aus. –

     Aus Berlin ist jetzt der Schwiegersohn von der Frau Müller, die bei Saatmann-Reichert ist, mit seiner Frau im Auto hier angekommen. Er ist Holländer. Er erzählt sicher sehr übertriebene Wunderdinge von Berlin. Er ist Artist u. scheint im Speck zu sitzen. Diese Sorte von Geschäftemachern blüht jetzt überall üppig auf, es ist widerlich.

     Heute u. morgen ist nun also der geheimnisvolle Termin, von dem alle Leute reden, ohne zu wissen, was zu diesem Termin geschehen soll. – Im Rundfunk heißt es, daß die englischen u. amerikan. Soldaten jetzt in Berlin einmarschieren werden u. daß in Berlin eine große Siegesparade stattfinden soll. Die Spannung wegen Polen hält indessen unvermindert an. Gestern Abend sahen wir mindestens acht Schiffe am Horizont, die in Richtung Kiel fuhren, alles Kriegsschiffe, Kreuzer, Zerstörer u. Torpedoboote.

     3 Uhr Nachmittag.

     Herr Dr. Ziel war heute morgen in der Angelegenheit Hagedorn bei mir im Geschäftszimmer. Frau Hagedorn hat ihm nämlich in ihrem Laden die ganze Geschichte erzählt, wobei es sich nicht vermeiden ließ, daß auch andere Leute davon Kenntnis nahmen. Damit ist nun diese Sache eine öffentliche Angelegenheit geworden u. ich bin gezwungen, dazu irgendwie Stellung zu nehmen. Ich habe sogleich Herrn Dr. Hoffmann zu einer Unterredung hierher gebeten. [23] Es ist mir nicht klar, was ich tun soll. Ein Gericht u. einen Staatsanwalt gibt es nicht, der sog. kommissar. Landrat in Rostock, ein Mann namens Oldach, schickt zwar gelegentlich durch Herrn Granzow irgend welche Verfügungen, aber in der Hauptsache scheint doch der Oberbürgermeister Seitz in Rostock zu regieren. Niemand weiß aber, woher er seine Regierungsgewalt hat. Herr Dr. Ziel will wissen, daß er ein Kommunist aus München sei. Wenn das zutrifft dann wird er natürlich diese Herren von der sog. polit. Polizei in Ribnitz, die ja auch Kommunisten sind, decken. Es bleibt dann bloß unser russ. Kommandant übrig, an den ich mich wenden könnte, aber ob dabei etwas herauskommt, ist sehr fraglich. – Dieser hat übrigens heute Morgen durch Herold bei Martha um zwei Schachteln Cigaretten bitten lassen, was immerhin eigenartig ist. Als ich eben ins Amt ging, traf ich ihn vorm kleinen Hause, wo er mich so herzlich begrüßte, wie er es immer tut. Ich sagte ihm, daß ich gehört hätte, er wolle gerne Cigaretten. Ich ließ ihn unten warten u. holte eine Packung mit 10 Schachteln herunter u. gab sie ihm. Vielleicht ist er damit zufrieden, vielleicht aber sieht er darin auch eine Aufforderung, noch mehr zu verlangen, man kann das nicht wissen. –

     Vormittags war der Bauer Paetow bei mir. Er klagte, daß die Russen aus Wustrow ihm 4 Fuder Heu fortgenommen hätten. Er ist grade dabei, Heu zu machen, gestern hat er zwei Fuder eingefahren, heute wollte er das übrige einfahren u. wie er alles in Haufen gesetzt hat, kommen die Russen, u. nehmen es weg. Der alte Mann, der schon so furchtbar ausgeplündert worden ist, weinte wie ein Kind. Es war sehr erschütternd.

     Nachmittags kommt von Dillwitz aus Althagen die Nachricht, daß wir bis heute abend 9 Uhr wieder Bettlaken u. andere Gegenstände für die Wustrower Kommandantur liefern sollen. Ich lasse die Forderung übersetzen u. schicke sie dann unserem Kommandanten zur Entscheidung, – aber er wird da auch nichts weiter machen können, obwohl er immer behauptet, daß die Wustrower Kommandantur uns nichts zu sagen hätte.

Donnerstag, 28. Juni 1945.     

     Die unangenehmen Ereignisse, die sich am gestrigen Tage häuften, nahmen bis zum Abend kein Ende. Ueber die von Althagen geforderte Lieferung entschied unser Kommandant allerdings erfreulicherweise, daß alle in Ahrenshoop befindlichen Gegenstände als von der russischen Wehrmacht bereits beschlagnahmt zu gelten hätten u. nichts nach außerhalb auszuliefern sei. – Später wurde bei Frau Spangenberg von Russen ein Hemd gestohlen u. Frau Kahl, welche rasch den Kommandanten holen wollte, wurde von einem Hunde angefallen, der ihr den Mantel zerriß. Dann tauchte plötzlich der Leutnant auf, der der Vorgesetzte unseres Kommandanten ist. Er kam ins kleine Haus u. fragte Martha aus, woher der Unteroffizier (unser Kommandant) den Stoff zu der neuen Jacke u. der neuen Hose habe, die ihm Martha hat machen lassen. Es war schwierig, weil man nicht wissen konnte, was der Leutnant dachte. Martha sagte, wir hätten ihm den Stoff geschenkt, weil er so gut sei u. uns bei jeder Gelegenheit behilflich wäre. Der Leutnant kann zu wenig Deutsch, als daß die Sache klar geworden wäre. Wenn ich recht verstanden habe, will er heute abend wiederkommen u. wir sollen für einen [24] Dolmetscher sorgen. Dieser Leutnant ist ein großer u. breitschultriger junger Mann mit ganz klaren Gesichtszügen. Er ist offensichtlich ein ganz einwandfreier u. sehr anständiger Mann von eiserner Energie, aber grade wegen seiner persönlichen Anständigkeit ist er offenbar sehr mißtrauisch. Er ist der Typ des jungen, bolschewistischen Offiziers. Man sieht ihm an, daß er aus der Arbeiterklasse hervorgegangen ist, auf den Handrücken trägt er Tätowierungen, aber sein Gesicht ist sehr intelligent.

     Sodann kam Dr. Hoffmann, den ich in der Hagedornschen Angelegenheit um eine Unterredung gebeten hatte. Ich sagte ihm alles, was ich in Erfahrung gebracht hatte u. erklärte ihm, daß ich nicht in der Lage wäre, mein Amt weiterzuführen, wenn solche Dinge von oben her vorkämen. Er wand sich möglichst vorsichtig aus der Affäre u. sagte mir, daß die beiden Herren von der polit. Polizei die Absicht hätten, heute hierher zu kommen, um unserem Kommandanten klar zu machen, daß ihn die ganze Sache nichts anginge. Ich erwiderte Herrn Dr. H., daß ich unserem Kommandanten dann alles mitteilen würde, was ich wüßte u. daß ich ihm das Weitere überlassen müsse. Herr Dr. H. deutete mir jedoch an, daß der ekelhafte Wustrower Kommandant hinter diesen beiden Leuten stände. Dieser werde heute eine Verfügung herausgeben, nach der alle ehemaligen Parteigenossen, die Selbstversorger mit Fleisch gewesen wären, ihre Fleischvorräte abzuliefern hätten u. künftig Fleisch nur auf Lebensmittel-Karten beziehen dürften. Wenn das Tatsache ist, dann muß Frau Haged., der ich gestern das bei ihr beschlagnahmte Fleisch wieder ausgeliefert habe, ihr Fleisch wieder rausgeben. Es wäre das eine echte Haß=Maßnahme, die sicher häßliche Rückwirkungen haben wird, – u. ernährungsmäßig wäre es nicht einmal ein Gewinn, da dadurch der Kreis derer, die auf Karten versorgt werden müssen, nur noch größer wird.

     Schließlich kam am Abend noch der Kommandant mit Dalschewsky als Dolmetscher u. hatte allerhand Wünsche, doch nichts von besonderer Bedeutung. Heute früh kam er schon wieder u. brachte uns einen elfjährigen Jungen, den eine russ. Streife im Darss aufgefunden hat. Er heißt Willy Pagel, ist am 15. Jan. 1934 in Berlin-Neukölln geboren, sein Vater ist angeblich gefallen, die Mutter ist sonst umgekommen auf der Flucht aus Danzig, ihrem letzten Wohnort. Der Junge wird jetzt erst einmal sauber gemacht. Er bekommt zu essen u. dann werde ich ihn vernehmen. Der Kommandant will, daß ich ihn dann nach Wustrow abschiebe, da aber seit heute Nacht sehr schlechtes Wetter eingetreten ist, werde ich damit noch etwas warten. Der Junge kann eine Nacht bei uns schlafen.

Freitag, 29. Juni 1945.     

     Der gestrige Tag, an dem es pausenlos regnete, schloß wieder mit allerhand Aufregungen. Wir sollten für unseren Kommandanten Bettwäsche u. a. Dinge liefern u. hatten eben grade einen ähnlichen Lieferungsbefehl von den Kommandanten in Althagen mit Hilfe unseres Kommandanten abgewehrt. Unsere Schutzpolizisten, die den Auftrag hatten, die Wäsche zu unserem Kommandanten zu bringen, brachten sie statt dessen nach Althagen. Es mag sein, daß Paul einen unklaren Befehl gegeben hat, was aber nicht wahrscheinlich ist. Eher ist anzunehmen, daß die Schutzpolizisten nicht ordentlich hingehört haben. Jedenfalls war das Ganze eine große u. höchst unangenehme Pleite u. ich war ratlos, was wir tun sollten. Zunächst schickte ich zu unserem Kommandanten [25] u. ließ ihn um Aufschub unserer Lieferung bitten, denn es blieb ja nichts anderes übrig, als dieselbe Beschlagnahmung noch einmal zu wiederholen. Der Kommandant kam selbst, ließ die Schutzpolizisten holen u. schnauzte sie verdientermaßen gewaltig an. Er verlangte, daß sie Ersatz schaffen sollten, ohne nochmals zu requirieren u. als wir alle ihm klar machten, daß die Polizisten dazu nicht in der Lage wären, da sie Flüchtlinge wären u. eigene Wäschebestände garnicht besäßen, verlangte er, daß sie neu requirieren sollten aber dabei ausdrücklich sagen mußten, daß diese zweite Requisition nicht den Russen, sondern ihnen selbst zur Last gelegt werden müßte.

     Nachdem diese Sache beigelegt war, übergab ich ihm eine Anzeige gegen Günter Kahlig, der konstant die Arbeit verweigert. Er ließ ihn sofort kommen u. machte ihm den Standpunkt klar. Er sagte ihm, daß er ihm im Wiederholungsfalle die Lebensmittelkarte entziehen werde u. wenn das nichts nütze, würde er ihn nach Rußland bringen lassen. – Nachdem er entlassen war, kam seine Mutter angelaufen u. versicherte dem Kommandanten, daß ihr Sohn gefährlich krank sei, daß er außerdem Künstler sei u. eine Anstellung am russ. Theater in Berlin habe. Letzteres ist ganz bestimmt gelogen. Auf den Kommandanten machte das alles auch nicht den geringsten Eindruck.

     Nachher Ich ging dann mit dem Kommandanten zur Bunten Stube, wo wir zufällig den Sergeanten trafen, der den Althager Kommandanten z. Zt. vertritt u. der mir gestern durch unsere Schutzpolizisten mitteilen ließ, er wolle mich mitsamt unserem Kommandanten verhaften lassen, wenn wir seine Forderungen nicht erfüllten. Unser Kommandant redete mit ihm u. sie einigten sich, daß er die irrtümlich empfangenen Sachen wieder rausgeben solle. – Ich schickte noch am selben Abend die Polizisten hin, aber es hieß, der Sergeant sei nach Wustrow gefahren.

     Heute Morgen erschien Kahlig sehr gemächlich um 10 Uhr, anstatt um 9 Uhr. Er kam gleich zu mir rein u. trug einen schweren Knotenstock in der Hand. Ich fragte, warum er erst jetzt käme, der Dienst begänne um 9 Uhr. Er erwiderte, daß er nur gekommen sei um zu fragen, wer ihn beim Kommandanten „denunziert“ habe. Ich verbat mir derartige Unverschämtheit u. sagte ihm, daß ich selbst ihn dem Kommandanten wegen Arbeitsverweigerung gemeldet hätte u. fragte ihn, ob er nun gewillt sei, die Arbeit aufzunehmen. Er redete darauf hin allerhand Zeug, er wolle sein Attest haben u. dergl. mehr u. ich warf ihn raus, indem ich ihn am Aermel anfaßte. Er erhob seinen Knüppel u. drohte, mich zu schlagen. Im Vorzimmer verlangte er dann abermals sein Attest u. als Dr. Hahn es abschrieb, meinte er, daß er ja nicht wissen könne, ob die Abschrift auch richtig sei. Herr Dr. Hahn kam zu mir rein u. sagte mir, daß Kahlig am laufenden Bande Beleidigungen gegen mich ausspräche. – Die Sache wurde dann unterbrochen, weil der Kommandant kam. Leider war Frau Konsi, die Dolmetscherin, im Augenblick nicht zu erreichen.

Inzwischen kamen die beiden Polizisten die gestern die Dummheit mit der requirierten Wäsche gemacht hatten. Sie waren abermals in Althagen [26] gewesen, aber heute wollte der Sergeant die Sachen nicht wieder rausgeben. Er war inzwischen in Wustrow gewesen u. hatte von dem dortigen Kommandanten die Weisung erhalten, die Sachen nicht wieder herauszugeben. Nun stehen wir wieder da, wo wir gestern abend waren.

     Der Kommandant ist fortgegangen u. will wiederkommen. Inzwischen setzt Kahlig seine frechen Reden fort. Er kam nochmals zu mir rein, um mich zur Rede zu stellen, indem er behauptete, das Ganze sei von mir ein Racheakt, weil ich schon vor zwei Jahren einen Zusammenstoß mit ihm gehabt hatte.

  1. ebenso Dr. Hahn u. Frau