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TBHB 1945-10

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Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1945-10
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Entstehungsdatum: 1945
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Originaltitel: Oktober 1945
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom Oktober 1945
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Einführung

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Der Artikel TBHB 1945-10 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Oktober 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 10 Seiten.

Tagebuchauszüge

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[1]
Dienstag, 2. Okt. 1945.     

[1]      Gestern Vormittag erschien Herr Frey, Kriminalbeamter aus Ribnitz, bei mir im Amt. Er fragte nach PG's u. Flüchtlingen u. entlassenen Soldaten u. behauptete dann, daß ich meinen entlassenen Sohn seit einer Woche irgendwo verberge. Ich lachte darüber, worauf er mich sehr ernst ermahnte, die Wahrheit zu sagen. Ich wurde darauf grob. – Er gab sich dann damit anscheinend zufrieden, verlangte aber, Herrn Kühme zu sprechen. Von diesem behauptete er dann, daß er SS=Mann gewesen sei u. das Goldene Parteiabzeichen getragen habe. Herr Kühme ist tatsächlich, wie sich dann herausstellte früher als junger Bengel in die SA eingetreten, hat sich dann aber am Putsch gegen Hitler unter Hauptmann Stennes (oder so ähnlich?) beteiligt u. ist aus der Partei ausgestoßen worden. Im Jahre 1933 hat er dann aus Existenzgründen versucht, wieder in die Partei zu kommen, doch ist ihm das nicht gelungen. Das war sein Glück. – Herr Frey verhörte ihn sehr scharf, aber schließlich ließ er sich doch überzeugen, daß Herr Kühme ihm die Wahrheit sagte. – Die ganze Sache ist also wieder eine neue Denunziation.

     Herr Kühme kam dann am Nachmittag u. sagte mir, daß er unter solchen Umständen es vorzöge, seine Tätigkeit im Gemeindeamt wieder einzustellen. Ich erklärte ihm, daß ich das wohl begreifen könne, daß ich ihn aber dennoch bäte, die Arbeit zunächst weiter zu tun, da ich selbst mein Entlassungsgesuch bereits als Entwurf in der Brieftasche trüge, ich wäre nun entschlossen, dieses Gesuch dem Landrat einzureichen.

     Martha ist garnicht recht wohl. Wir haben gestern Dr. Meyer kommen lassen weil wir den Verdacht einer Blinddarm-Reizung hatten, der sich Gott sei Dank als unbegründet erwies. Es handelt sich aber um eine allgemeine Ueberanstrengung u. Herzschwäche, sie soll sich schonen u. vorsichtig sein. Ich begrüße es daher um so mehr, daß M. sich nun diese ganze Russenschneiderei vom Halse geschafft hat. Ich werde nun auch die Notgemeinschaft auflösen u. die früher gespendeten Beträge, die noch alle da sind, als besondere Wohlfahrtskasse in die Gemeinde übernehmen. Ich werde einen besonderen Wohlfahrts=Ausschuß berufen, der diese Gelder verwalten soll, da kann Herr Ziel ja dann mittun.

     Abends war Dr. Max Grantz mit Carmen bei uns. Er zeigte seine sehr eindrucksvollen Skizzen vom zerstörten Berlin u. erzählte von den Kampftagen. Er trägt jetzt einen Vollbart, der ihn seinem Vater sehr ähnlich macht.

     Abends: Herr Kühme sagte mir am Nachmittag, daß er nun doch entschlossen sei, hier fort zu gehen. Er will nach Berlin, wo er ja wohnt, er ist sich aber nicht klar, ob er seine Frau hier lassen soll, sie ist hier natürlich besser dran. Es tut [2] mir sehr leid, denn ich brauche ihn ja dringend; aber ich überrede ihn nicht. Jeder muß tun, was ihm gut dünkt. Ich habe ihm nur gesagt, daß ich es für unklug halte, weil es nach Flucht aussieht. Er sagte mir aber, daß Herr Frey im Ort herumläuft u. die Leute aushorcht auch über mich. – Das scheint zu stimmen, denn eben war Frau Kurts aus Althagen bei Martha, die sich ja mächtig als Kommunistin aufspielt. Ich dachte mir natürlich, daß Herr Frey auch bei ihr gewesen sein müsse, um sie auszuhorchen. Ich fühlte ihr auf den Zahn u. sie erzählte denn auch gleich los, daß Herr Frey sie gefragt hat, ob ich einen Sohn hätte. Herr Frey wird noch mehr gefragt haben u. Frau Kurts wird vielleicht auch noch mehr gesagt haben. Sie will morgen nach Ribnitz u. ich habe sie gebeten, sich dort nach Paul umzusehen.

     Ich fürchte, daß morgen Herr Frey die Gelegenheit benutzen wird, wo der Dampfer fährt, um nach Ribnitz zu kommen u. daß er dann mit Herrn Kühme zusammentreffen wird. Jedenfalls ist für mich der Umstand, daß Herr K. abfährt, um so mehr ein Grund, das Amt niederzulegen. Frau Schuster ist heute leider nicht dazu gekommen, mein Gesuch fertig zu schreiben, sodaß es erst morgen rausgehen kann; aber das muß ja auch seinen Sinn haben.

     Gestern erhielten wir eine Karte von Rektor Dutemeyer aus Müritz. Das kleine Lenchen ist gestorben, die Schwestern sind wohl auf. –

Mittwoch, 3. Okt. 1945.     

     Heute war endlich wieder einmal ein ruhiger Tag. Mein Rücktrittsgesuch habe ich unterschrieben, es geht morgen auf den Weg. Ebenso habe ich die Auflösung der Notgemeinschaft unterschrieben, deren Geld ich in einen neuen Wohlfahrtsfonds der Gemeinde übernehme, u. zwar die ganze, ungekürzte Summe, die s. Zt. durch Spenden eingegangen ist, obgleich davon etwa 1300,– Rm. an Barunterstützungen ausgezahlt worden sind. Ich hoffe, daß Herr Ziel damit nun zufriedengestellt ist u. niemand mehr sagen kann, daß wir uns daran bereichert hätten.

Freitag, 5. Oktober 1945.     

     Mein Rücktrittsgesuch ist gestern rausgegangen. Inzwischen ist es im Dorf bekannt geworden u. die Leute kommen zu mir, um mich zu bitten, daß ich bleiben möchte. Sie haben Angst, daß irgend ein ortsfremder Kommunist hierher geschickt werden wird.

     Gestern Abend waren Frl. Klinkhardt u. Herr Joseph bei uns, die aus Berlin erzählten.

     Als ich morgens ins Amt ging, traf ich Prof. Reinmöller, der mir seine Empörung über die Denunziationen aussprach, durch die Paul verhaftet worden ist. Er meinte: „wir sind diesen Leuten auf der Spur“ – wer diese „wir“ sind, weiß ich nicht, ich möchte mich auch nicht sehr gern von Prof. R. beschützen lassen. Er meinte aber sicher Dr. Ziel. –

     Herr Dr. Ziel regierte heute morgen, als ich ins Amt kam, bereits im Sekretariat herum, als wäre er Bürgermeister. Ich vermied, hineinzugehen, um ihn nicht hinauswerfen zu müssen. Frau Schuster kam dann u. sagte mir, daß sie mit ihm aneinandergeraten wäre. – Am Nachmittag erschien Herr Ziel dann abermals bei mir selbst, aber da war er sehr höflich.

Sonntag, 7. Oktober 1945.     

     Gestern war eine Gemeinde-Vorstands-Sitzung u. es war sehr rührend, wie mir alle ihre Liebe u. Sympatie ausdrückten u. mich inständig baten, doch zu bleiben. Alle brachten ihre Verachtung über die Denunzianten zum Ausdruck, [3] u. wenn auch kein Name genannt wurde, so ergab sich doch später bei der Wahl des Wohlfahrts-Ausschusses, daß alle Dr. Ziel meinten. Als ich die Auflösung der Notgemeinschaft besprach u. dabei die Rolle erwähnte, die Herr Ziel dabei spielte, wurde von allen eine sehr ärgerliche Stimmung gegen ihn zum Ausdruck gebracht die sich zu Beschimpfungen steigerte, als ich ihn zum Mitglied des Wohlfahrts-Ausschusses vorschlug. Er wurde dann doch gewählt, um diesen Mäckerer auf diese Weise tot zu machen. – Dieser Mann bildet sich tatsächlich ein, daß er hier im Dorfe sich einer großen Beliebtheit erfreute, da er nur mit den Leuten umgeht, die ihm schmeicheln. Er glaubt, daß er im Falle einer Bürgermeisterwahl mit großer Stimmenmehrheit gewählt werden würde. Daran erkennt man die Eitelkeit dieses Mannes die ihn blind macht.

     Frau Kurts hat sich nicht wieder sehen lassen, aber Eva ist bei ihr gewesen. Frau K. hat ihr gesagt, daß sie in Ribnitz gewesen sei u. festgestellt habe, daß es Paul so weit gut ginge, daß er nicht in einem Keller, sondern in einem Zimmer säße u. er wahrscheinlich am Sonnabend entlassen werden würde. – Gestern früh kam im Amt ein Anruf aus irgend einem Dorf jenseits des Boddens, man solle Paul einen Mantel u. Wäsche schicken. Eva ist gestern, da der Dampfer fuhr, mit Pauls Mantel rübergefahren hat jedoch nichts erreicht. Sie war bei der Polizei u. hat dort den Mantel abgegeben u. mit Herrn Frey gesprochen, der aber sehr unhöflich gewesen sein soll. Jedenfalls ist Paul gestern nicht gekommen.

     Nach der Andacht heute früh hörte ich im Radio eine hl. Messe aus der Marienkirche in Hamburg. Es gab heute morgen wieder einmal Strom, nachdem wir am ganzen Sonnabend ohne Strom gewesen waren. Leider schaltete ich mich erst ein, als eben die Praefation begann.

     Die Russen haben jetzt eine Bekanntmachung erlassen, nach der die Verbreitung solcher Gerüchte, wie sie gegenwärtig hartnäckig herumgehen, strafbar sei, insbesondere, daß sie am 15. Oktober abrückten. Sie sagen, daß solche Gerüchte von „Hetzsendern“ verbreitet würden. Demnach stimmt es also, daß einige Leute diese Dinge im Radio gehört haben wollen. Es wird da Beromünster genannt. Wenn die Russen den Sender Beromünster einen Hetzsender nennen, läßt das tief blicken im Hinblick auf die aufgeflogene Außenminister-Konferenz in London, die ganz deutlich die unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten der Westmächte gegenüber den Russen ans Tageslicht gebracht hat. In den von Rußland kontrollierten deutschen Zeitungen wird natürlich die Sache so dargestellt, daß die Russen in vollstem Recht sind, aber der engl. Sender u. der Hamburger Sender lassen die Sache anders sehen. Da hört man vorsichtige Bemerkungen, daß die Tschecho=Slowaken u. die Polen die Störenfriede sind, die sich gewaltsam in den Besitz deutscher Gebiete bringen wollen, die ihnen nicht zustehen u. dabei die russische Unterstützung haben. – Gestern oder vorgestern hieß es, daß die amerikan. u. engl. Besatzungsbehörden verfügt hätten, daß kein russ. Fremdarbeiter, der noch im westlichen Gebiel sei, gezwungen werden dürfe, gegen seinen Willen nach Rußland zurückzukehren, nachdem viele von diesen Arbeitern mit Selbstmord gedroht hätten. Es handelt sich nach engl. Aussage um 26000 Arbeiter, die also alle nicht in das russische, „Arbeiter-Paradies“ zurückkehren wollen u. lieber Selbstmord verüben. Diese Kritik an Rußland u. seiner sog. „Demokratie“ genügt ja wohl!

[4]
Montag, 8. Okt. 1945.     

     Gestern Nachmittag war in der Schule evang. Gottesdienst, den der Pfr. Lic. Plaß aus Prerow hielt, ein Mann, der ein ganz ausgezeichneter Prediger ist u. sicher auch ein sehr frommer Mann. Es waren aber nur 36 Menschen da, die teilnahmen, alles Frauen, außer dem alten Zeplien, Herrn Brandt u. mir selbst, wenn ich vom Lehrer Deutschmann absehe, der wohl nur pflichtgemäß dabei ist um den Gesang anzustimmen. Dieser Gottesdienst findet alle 4 Wochen statt u. ich werde des guten Beispiels wegen immer hingehen, zumal dieser Pfarrer wirklich sehr gut predigt. Er freute sich auch sichtlich, daß wir da waren u. er dankte mir, daß ich ihn unterstütze. Nach dem Gottesdienst lud er die Anwesenden zur Abendmahlsfeier ein. Er sagte, daß er leider keinen Wein mehr hätte u. daß er deshalb Tee nähme! Ich dachte bei mir, daß er leider auch keinen Tee mehr hätte u. darum Brombeerblätter nähme. Es offenbart sich darin die ganze Aushöhlung des Sakraments bei den Protestanten u. es ist deshalb erklärlich, daß keiner von den Anwesenden das Bedürfnis hatte, an der Abendmahlsfeier teilzunehmen.

     Anschließend gingen wir zur alten Frau Longard, bei der wir wieder ein sehr angeregtes Kaffeestündchen verbrachten.

     Bisher hatten wir einen schönen, sonnigen Herbst, aber seit heute ist es trübe u. recht kalt. Wir bekamen heute morgen ein großes Stück Pferdefleisch von Tietz in Althagen, ein Pferd von Dr. Umnus, das da geschlachtet worden ist. Seit langer Zeit wieder einmal etwas Nahrhaftes zwischen den Zähnen.

Dienstag, 9. Okt. 1945.     

     Heute morgen kam Helm-Saatmann ins Amt u. berichtete, daß die Russen seinen Sohn Herbert erschossen hätten. Ich ging, sobald ich konnte, zum Monheim'schen Hause u. nahm Herrn Gläser als Dolmetscher mit. Der junge, stotternde Leutnant kam auch gleich heraus. Er sagte, seine Soldaten hätten Herbert in der Nacht gegen 1/2 12 Uhr in der Nähe des Darrs aufgegriffen u. ihn zum Monheim'schen Hause gebracht. Er hätte gleich verhört werden sollen, doch hätte er nichts gesagt. Die Russen haben ihn dann die Nacht über festgesetzt. Heute Morgen hätte der Leutnant ihn wieder vernehmen wollen, aber Herbert hätte wieder nicht geantwortet. Dann habe Herbert gebeten austreten zu dürfen u. bei dieser Gelegenheit habe er einen Fluchtversuch gemacht. Der Bewachungssoldat hat drei Mal stoi gerufen u. hat zweimal in die Luft geschossen. Als Herbert dann bereits über den Zaun gestiegen sei, habe er auf ihn geschossen. Er wurde getroffen u. war nach Ansicht des Leutnants sofort tot. Die Leiche liegt an der Stelle, wo er gefallen ist, außerhalb des Zaunes. Der Leutnant erklärte mir, daß eine Kommission aus Zingst kommen u. ein Protokoll aufnehmen würde. Die Kommission würde darüber entscheiden, ob die Leiche freigegeben werden soll oder nicht. –

     In diesem Moment bringt ein Junge die Nachricht, daß ein russ. Auto am Gemeindeamt sei. Ich glaubte, es sei die Kommission aus Zingst u. ging gleich hin. Es waren aber zwei Herren der GPU aus Ribnitz mit Herrn Frey. Die GPU-Leute in Offiziersmänteln, u. Frey fragten mich nach der Wohnung von Deutschmann Auf dem Wege dorthin fragte Frey nach der Wohnung von Kühme. Ich zeigte ihm das Haus, sagte, daß K. verreist sei, worauf Frey wütend seine Cigarette hinschmiß. Er fragte, wann er wieder käme, ich sagte, daß ich es nicht wüßte, er wäre nach Berlin gefahren, um seinen Beruf wieder aufzunehmen. – Die Herren gingen dann zu Deutschmann u. ich war entlassen.

     Ich blieb dann lange am Gartenzaun stehen, um zu beobachten, ob Deutschmann abgeholt würde, aber es geschah nichts. Dann kam Grete in furchtbarer Aufregung u. sagte mir, [5] daß Paul wieder da sei, sich aber in einer furchtbaren Verfassung befinde. Er sei glatt geschoren u. er sei geschlagen worden. Aus den Vernehmungen scheint hervorzugehen, daß die Denunziantin jene Frau Futterlieb ist, die im Haus Kroog gewohnt hat, – u. dann wahrscheinlich auch Frau Daubenspeck, – u. Herr Dr. Ziel ist ja der Wortführer dieser Damen gewesen. – Grete war in einem furchtbar exaltierten Zustande. –

Mittwoch, 10. Okt. 1945.     

     Ich ging gestern Nachmittag zuerst zu Frau Deutschmann, deren Wohnung in einem tollen Zustand war. Alles war durchwühlt u. lag durcheinander. Frau D. sagte mir, daß man ihr, ihrem Mann u. dem Sohn befohlen hätte, sich im Obergeschoß in eine Stube zu begeben. Vor die Tür wurde der Kraftfahrer des Wagens zur Wache gestellt. Sodann wurde die ganze Wohnung unten von den beiden GPU=Offizieren u. Herrn Frey, sowie dem russ. Mädchen, das sie bei sich hatten, durchwühlt u. alles gestohlen, was irgendwie für die Leute Wert hatte, hauptsächlich Damengarderobe u. Damenwäsche. Dann wurde Deutschmann aufgefordert, sich seinen Mantel anzuziehen u. 2x Wäsche mitzunehmen u. die Kerls fuhren mit ihm los.

     Anschießend ging ich zu Paul, den ich in einem schon etwas besseren Zustande antraf. Er hatte sich rasiert u. umgekleidet u. gewaschen, er sah aber dennoch sehr elend aus. Er erzählte, daß man ihn zuerst in einen Keller gebracht habe, in dem kein einziges Möbel war kein Stuhl u. keine Pritsche. Dort mußte er zwei Nächte zubringen. Er wurde dann in eine oberirdische Zelle gebracht, wo er wenigstens eine Holzpritsche hatte, aber keine Matratze, keine Decke kein Stroh. Später hat er dann eine dünne Seegras-Matratze u. eine Decke bekommen. Er ist nur dann + wann verhört worden, u. zwar von demselben, wiederlichen Kerl, der ihn verhaftet hatte. Er wurde beschuldigt, aktiver Faschist gewesen zu sein. Als der Kerl dann endlich begriff, daß er mit dieser Anklage nicht weiter kam, da er keine Beweise dafür finden konnte, verlangte er von Paul, daß er ihm dann wenigstens Faschisten nennen sollte. Als Paul sagte, daß er keine Faschisten in Ahrenshoop kenne, stand der Kerl auf u. verabfolgte ihm mehrere wuchtige Schläge ins Gesicht. Paul wurde wieder in seine Zelle gebracht, wobei der Kerl sagte, er würde ihn weiter verhören u. wenn Paul ihm dann keine Faschisten nennen würde, würde er ihn wieder schlagen. – Endlich ist Paul dann entlassen worden nachdem ein Unteroffizier ihm noch meine Pelzweste, die er trug, gestohlen hat.

     Ich habe heute sofort einen knappen Bericht darüber sowohl an den Landrat, wie an den Landespräsidenten geschrieben, obgleich Paul mich bat, es nicht zu tun, weil er Repressalien fürchtet. Desgleichen habe ich einen Bericht über die Verhaftung Deutschmanns an den Landrat abgesandt. – Ebenso sandte ich einen Bericht über die Erschießung des Herbert Saatmann an den Landrat. Ferner einen Bericht über neuerliche Einbrüche beim Bauer Paetow, von denen dieser mir heute morgen Mitteilung gemacht hat. Es handelt sich um Kartoffeln u. Schrotmehl. Wenn dergleichen jetzt schon gestohlen wird, was soll man dann erst im Winter erwarten! Auch unseren Birnbaum, an dem ohnedies nicht viel dran war, hat man in der Nacht geplündert.

     Heute Mittag meldete sich Max Stama. Er ist vor Ende des Krieges übergelaufen u. hat an der Widerstandsbewegung in Oesterreich teilgenommen. Jetzt ist er im Auftrage des Repatriierungs=Komitees dauernd zwischen Wien u. Berlin unterwegs, um Oesterreicher aus Deutschland nach Oesterreich zu bringen u. Deutsche aus Oesterreich nach Deutschland. Er war entsetzt über die [6] Zustände bei uns. Im Süden, meinte er, seien die Russen auch nirgends beliebt, aber so toll wie bei uns hier benehmen sie sich dort nicht.

     Martha war heute nicht wohl u. blieb vormittags liegen, nachmittags war sie auf, doch sieht sie schlecht aus.

     Im Rundfunk u. in den Zeitungen stänkern sich die Russen mit den Anglo-Amerikanern wegen der gescheiterten Konferenz herum. Die kommunistischen Zeitungen, die einzigen, die es in der russ. Zone gibt, vertreten natürlich den russischen Standpunkt, um so interessanter ist es, im englischen Rundfunk zu hören, was die Engländer sagen. Wer sachlich im Recht ist, kann ich natürlich nicht sagen, aber sicher ist, daß die Engländer u. Amerikaner die Trümpfe in der Hand haben u. offenbar gewillt sind, sie rücksichtslos auszuspielen, denn sie geben sich nicht die geringste Mühe, einen Ausgleich zu suchen oder die Differenzen auch nur zu verschleiern.

     Heute wurde gesagt, daß Schweden sich entschlossen habe, uns wirtschaftlich zu helfen. Ein Lichtblick. Man hat den Eindruck, daß dies nicht ohne die Einwilligung Englands geschieht.

     Leider ist heute bald nach 5 Uhr nachm. der Strom wieder ausgeschaltet worden.

Sonnabend, den 27. Oktober 1945.     

     Seit der letzten Notiz am 10. Okt. ist allerhand geschehen, ich will versuchen, die Ereignisse chronologisch zu ordnen. Da fällt mir gleich der Anfang schwer. Ich weiß nicht mehr genau, ob es am Donnerstag den 11. Okt. Abends oder am Freitag den 12. Okt. Abends war, daß ich mit Martha im dunklen Wohnzimmer saß u. darauf wartete, daß der Strom eingeschaltet wurde, – was immer um 9 Uhr geschieht. Ich wollte gern Nachrichten hören. Gegen 1/2 9 Uhr setzten Schmerzen in der rechten Hüfte ein in der Gegend der letzten Rippe, die sich rasch ausdehnten über den Leib, sodaß ich zu Bett gehen mußte. Es trat dann starkes Erbrechen ein u. die Schmerzen wurden sehr groß, sodaß Martha zu Borchers lief u. ihn zu Prof. Reinmöller schickte. Dieser kam auch bald, doch konnte er eine Diagnose nicht stellen, es fehlt ihm als Kieferchirurg ja jeder Erfahrung. Er gab mir eine leichte Morphiumspritze, sodaß die Schmerzen wenigstens bald nachließen. Es dauerte aber nicht allzu lange u. die Schmerzen begannen neu u. verstärkt, sodaß Borchers noch einmal geschickt werden mußte. Reinmöller kam sofort, obwohl es mittlerweile spät geworden war. Er gab mir eine zweite, stärkere Spritze u. ordnete meine sofortige Ueberführung ins Krankenhaus nach Wustrow an. Auch der gute Paschke wurde alarmiert, er fuhr mit dem Rad nach Wustrow, mich anzumelden. Dr. Lasch u. Dr. Meyer waren dort so wie so bei der Arbeit, – ich glaube wegen einer Entbindung. Ich wurde auf Brandt's Ackerwagen geladen, in den sie viel Stroh u. Betten gelegt hatten, der Kutscher Handschak fuhr. Martha fuhr auch mit, außerdem Borchers. Paschke erwartete mich in Wustrow. Zum Glück regnete es nicht u. dank der Morphiumspritze hatte ich keine Schmerzen mehr.

     In Wustrow wurde ich erwartet. Dr. Meyer + Dr. Lasch hatten alles in fürsorglicher Weise vorbereitet. Dr. Lasch untersuchte mich, konnte aber nun wegen des Morphiums keine einwandfreie Diagnose stellen. Es schien, als ob der Herd der Schmerzen eher vom unteren Rande der Rippen her käme, während in der Blinddarmgegend nichts festzustellen war. Es sah eher so aus, als handele es sich um Nierensteine. Dr. L. wollte deshalb nicht operieren u. da das Morphium noch wirkte [7] entschloß er sich, weiter zu beobachten. So blieb ich liegen von Dr. L. immer wieder sorgfältig untersucht. Ich weiß nun nicht mehr, ob ich nur den ganzen Samstag dort lag oder auch schon den Freitag über, jedenfalls zeigten sich dann doch ganz einwandfrei Schmerzen am Blinddarm, sodaß Dr. L. sich zur Operation entschloß, die jedenfalls am Sonntag, den 14. Okt. um 1/2 10 Uhr Vormittags vorgenommen wurde.

     Ich selbst war außerordentlich ruhig, in erster Linie, weil ich zu Dr. L. ein großes Vertrauen habe u. zweitens, weil ich dem Gedanken des Sterbens mit großer Gelassenheit gegenüberstehe. Natürlich empfand ich gegenüber Martha großes Mitgefühl. Sie hat ja schon Max an derselben Krankheit verloren u. wenn ich sie grade jetzt hätte allein lassen müssen, wäre das für sie überaus schmerzvoll gewesen. Aber ich glaubte innerlich nicht daran, – ich stellte die Sache ganz allein Gott anheim, der ja in jedem Falle unsere Geschicke richtig lenken wird.

     Die Operation ergab dann, daß wirklich der Blinddarm entzündet gewesen war u. daß die Schmerzen in der Rippengegend des Rückens nur Folgeerscheinungen waren u. von den Lungen herkamen, sowie vom Rippenfell. Es handelte sich also nicht um Nierensteine, – u. das war ja wieder ein großer Vorteil. Die Operation u. der Heilungsprozeß verliefen glatt.

     Am Montag – oder Dienstag –, ich weiß es nicht mehr genau, – wurde mir die Nachricht vom spurlosen Verschwinden von Prof. Alfred Partikel überbracht. Er ist am Vormittag zum Pilzesuchen gegangen u. ist nicht zurückgekehrt. Seine Freunde, bzw. die seiner Frau u. das ganze Dorf veranstalteten sofort eine große Suchaktion, die jedoch von dem Russen-Kommando im Monheim'schen Hause behindert wurde, indem die Russen nur einigen Wenigen das Suchen gestatteten u. die anderen wieder nachhause schickten. Ich nehme mit Sicherheit an, daß hier eine Absicht vorliegt. Irgend ein Soldat wird Partikel erschossen haben, – vielleicht aus Versehen, – vielleicht hat er ihn für Wild gehalten, – u. nun wollen die Russen die Sache vertuschen u. haben P. irgendwo im Sumpf verscharrt. – Die Sache hat natürlich große Erregung ausgelöst. Frau Daubenspeck ist nach Schwerin zur Regierung gefahren, wo man sie wohl angehört hat; aber man hat bedauernd die Achseln gezuckt, jedenfalls hat man nichts unternommen. Das habe ich auch nicht anders erwartet, wir sind eben alle den Russen ausgeliefert u. sind völlig wehrlos.

     Seit gestern Abend bin ich nun wieder zurück. Ich bin wieder mit Brandt's Ackerwagen gefahren, ein anderes Gefährt haben wir ja nicht mehr im Dorf. Diesmal fuhr mich Herr Clemens, auch Frau Schroeder, Brandt's Tochter, war auf dem Wagen. Martha hatte mich abgeholt, auf dem Wagen waren Korbstühle aufgestellt, einer für Martha u. einer für mich. Es war kalt u. windig, aber wir waren gut mit Decken versehen. Als wir an der Batterie vorbei kamen, war diese wie ausgestorben, nicht einmal ein Posten war zu sehen. In Wustrow hatte es schon vorher gehießen, daß fast alle Russen abgerückt seien.

     Ich freute mich sehr, wieder zu Hause zu sein, wo geheizt war u. alles hübsch zurecht gemacht war. Trude Dade wohnt jetzt wieder ganz bei uns, was sehr erleichernd ist. Frau Schuster kam gestern Abend noch u. sagte mir, daß die ganze Gemeinde nur den einen Wunsch hat, ich möge bald wieder die Geschäfte übernehmen; aber ich will nicht. Herr Dr. Lasch hat mir eine Bescheinigung geschrieben, daß ich mindestens noch 8 Wochen lang völlig arbeitsunfähig sein würde u. er hat mir gesagt, daß er diese Bescheinigung in 8 Wochen nochmals ausstellen würde. Ich muß auch sagen, daß ich tatsächlich vorläufig noch völlig arbeitsunfähig bin, – ich bin überaus abgemagert. Das Essen war in Wustrow sehr dürftigt.

[8]      Der brave Hans Krull hat nun während meiner Abwesenheit einen heftigen Schreck bekommen, denn er hat mich ja vertreten müssen, – u. da ereignete sich nun grade die Sache mit dem Verschwinden Partikels. Er hat an den Landrat geschrieben, daß er mich nicht länger verteten könne u. hat Herrn Hugo Schröter als seinen Vertreter vorgeschlagen. Darauf hat der Landrat, der bisher mein eigenes Rücktrittsgesuch, das ich ja schon an 4. Oktober eingereicht habe, immer noch nicht beantwortet hat, jemanden von der Kreispolizei hergeschickt, der Herrn Schröter nach Rostock bestellt hat. Seitdem vertritt nun Herr Sch. Herrn Krull, der nun aber große Angst bekommen hat, daß Herr Sch. schließlich auch mich vertreten, d.h. mein Nachfolger werden könnte, denn dieser Herr Sch. ist nicht grade ein großes Licht. Krull hat an den Landrat geschrieben, daß Herr Sch. nur ihn, Krull, vertreten soll, nicht etwa mich, da ich vielleicht doch wieder bereit sein würde, die Geschäfte zu übernehmen, wenn ich wieder gesund sein werde. Diesen Brief sandte er mir aber vorher ins Krankenhaus zur Begutachtung, sodaß ich in der Lage war, seine Absendung zu verhindern. So sitzt nun also Herr Sch. zunächst als stellvertr. Bürgermeister im Amt u. ich möchte ihn gern dort sitzen lassen. Er wird sich schon einarbeiten. Ich will die Geschäfte auf keinen Fall weiterführen, denn mir genügt schon, was ich seit gestern Abend bis heute Mittag alles gesehen habe. Der Russen-Spitzel Herold mit seinem Anhang, Frau Voigt, ist inzwischen wieder eingetroffen, nachdem er einige Wochen in Swinemünde gewesen war, u. nun will er überhaupt ganz hierher ziehen. Lehnen wir ihn ab, dann wird er sich an den Landrat u. die KPD. wenden u. damit wird er sicher Erfolg haben, – u. er wird sich dann rächen.

     Gestern Abend kamen Paul + Grete, um mich zu begrüßen. Auch Paul hat sich noch nicht erholt von seiner Verhaftung. Deutschmann ist ebenfalls noch nicht zurück. Frau Daubenspeck, die sich ja so gern in alles mischt, hat auf ihrer Rückreise aus Schwerin die Schulrat in Rostock aufgesucht, bzw. aufsuchen wollen, um ihn für Deutschmann zu interessieren, doch mußte sie feststellen, daß auch dieser inzwischen abgesetzt worden ist, angeblich, weil er Lehrerinnen angestellt hat, die früher der NS=Frauenschaft angehört haben. In Wustrow ist die Schule von Frl. Fabrizius ebenfalls geschlossen worden, weil Frl. F. früher Mitglied der Frauenschaft gewesen ist. So wird überall jeder Neuaufbau unmöglich gemacht. Frl. Lenhard, die Wustrower Lehrerin, fungierte als Nachtschwester im Krankenhause, als ich dort eingeliefert wurde, – sie wurde dann aber wieder als Lehrerin eingesetzt. –

Christkönigsfest, 28. Okt. 1945.     

     Heute Morgen eine bescheidene Andacht. Die getreuen Katholiken u. Carmen Grantz waren da u. drückten mir sehr rührend herzlich ihre Freude aus über meine Genesung. Die alte Frau Polyschenski küßte mir wie immer die Hand.

     Gestern Abend waren noch Gretl Neumann + Herr Bachmann da. Sein Gut Neuhaus ist auch aufgeteilt worden, aber die Hälfte der sog. Siedler sind schon wieder abgehauen. Diese sog. Bodenreform wird sich zu einer noch größeren Katastrophe auswirken wie Hitler u. der verlorene Krieg, – die Ernte für das nächste Jahr wird jetzt schon ruiniert. –

     Heute Nachmittag Grete u. Paul für einen kurzen Augenblick. Martha war zu Herrn Glaeser zum russ. Unterricht gegangen, – ich hoffe, daß sie das bald wieder aufgibt. Um 1/2 7 Uhr wollen die Katholiken zum Rosenkranz herkommen. Habe heute Briefschulden erledigt, besonders an Rektor Dutemeyer in Müritz, von dem ich schon vor 4 Wochen eine Karte bekam. Es strengt aber alles sehr an. –

[9] Abends: Zum Rosenkranz kamen ziemlich viel Katholiken. Wir beteten im Dunklen, denn von 5 – 9 Uhr ist kein Strom. Nach dem Rosenkranz gelang mir eine aus dem Stegreif gehaltene Betrachtung über das Christkönigsfest, von der alle sehr erbaut waren. – Später kam noch Ilse Schuster u. brachte allerhand Bilder aus dem Gemeindeamt, die nicht dazu angetan waren, meine Lust zu entfachen, diese Arbeit wieder auf mich zu nehmen.

     Nachmittags war übrigens auch Hans Krull da, mein braver Stellvertreter, der mir mit Tränen in den Augen berichtete, wie einige Weiber gegen mich intrigiert hätten. Ich bin nicht ganz draus klug geworden u. es interessierte mich auch nicht. Mich interessierte nur die grade u. anständige Schlichtheit, mit der dieser brave Kapitän mir seine Sympatie zum Ausdruck brachte. Er hofft immer noch, daß ich das Amt wieder übernehme, aber ich habe ihm gesagt, daß ich dazu kaum noch Lust hätte u. erst einmal krank wäre. – Wir sprachen auch über den tragischen Fall Partikel u. ich bekam zum ersten Male einen wirklich sachlichen Bericht über den Vorfall. Danach ist Partikel also grade am Samstag vor einer Woche verschwunden, u. zwar um die Mittagszeit. Krull ist sofort mit Frau Partikel auf die Suche gegangen, da sie gleich zu ihm gegangen war. Sie haben die Stelle abgesucht, wo P. gewöhnlich Pilze zu suchen pflegte, doch haben sie keine Spur gefunden. Krull hat dann die Leute alarmiert, etwa 20 Mann, um nochmals zu suchen, aber die Russen haben nur 5 Mann zugelassen u. haben selbst 5 Mann dazu gestellt. Auch einen Hund hatten sie bei sich, der jedoch keine Spur aufgenommen hat. Am nächsten Tage, am Sonntag, haben sie nochmals gesucht, aber wiederum ergebnislos, nur einen verendeten Eber haben sie gefunden, der von den Russen geschossen worden war aber schon mehrere Tage gelegen haben muß, denn er stank schon u. das Gras unter ihm war gelb. Krull ist der Meinung, daß Partikel von den Russen nach Zingst verschleppt worden sei u. wiederkommen würde. Frau P. ist auch deshalb nach Zingst gefahren, um bei dem Major dort etwas zu erfahren, jedoch ergebnislos.

     Carmen Graatz ließ heute eine Zeitschrift: „Eckart“ bei mir zurück, die ich nicht kannte. Es ist das Januar-Heft aus dem Jahre 1940, in dem ich einen Aufsatz von Reinhold Schneider: „Die fernen Bilder“ finde. Er sagt da sehr schön, die Kunst habe die Aufgabe, das Unsichtbare auf eine solche Weise sichtbar zu machen, daß es unsere Seele berührt u. erschließt. Das ist sehr gut u. eine Rechtfertigung der abstrakten Malerei. – Schneider sagt dann weiter, daß alle Bilder von etwas zeugen, was unabhängig ist vom Menschenwillen, denn alle Bilder weisen zurück auf ein in Licht gehülltes Urbild, ebenso wie ja auch die materiellen Dinge dieser Welt ihren eigentlichen Bestand u. ihr Urbild haben im Sohne. Der Sohn ist der Abglanz der Herrlichkeit des Vaters, er ist Abbild des Vaters. Der Vater hat durch den Sohn die Welt geschaffen, die ganze Welt ist bildhaft der Abglanz des göttlichen Seins des Vaters u. nur an diesem Bildhaften kann sich die menschl. Seele sättigen, nicht an einem Geschehen, das noch nicht zum Bilde erhoben wurde. – Alle Bilder sind gestalthafte, farbige Gleichnisse dessen, was geschieht. Dieses Geschehen trägt seinen Sinn nicht in sich selbst, sondern empfängt seinen Sinn erst von den Bildern. So ist die Macht des Bildes nicht von dieser Welt, sondern von Gott u. ist deshalb berufen, auf die Welt zu wirken.

Dienstag, 30. Okt. 1945.     

     Heute Mittag war Frau Partikel bei mir. Sie erzählte mir, daß an jenem Tage, als Partikel verschwand, die Töchter von Dr. Zahl im kleinen Walde gewesen sind u. mehrere Schüsse gehört haben. Bald nachher sind 3 russ. Soldaten mit Gewehren [10] aufgetaucht. Es war um die Zeit, als auch Partikel im Walde war. Die Russen-Abteilung bei Monheim behauptete aber, daß von ihnen keiner im Walde gewesen wäre, was also offenbar gelogen ist. Frau P. ist in Zingst gewesen, aber sie hat auch dort nichts erreicht. Die Russen in Zingst waren grade im Aufbruch. Sie sind abgelöst worden durch Artillerie, auch unsere Monheimer Russen sind nicht mehr da. – Frau P. hat auch die GPU in Ribnitz alarmiert u. heute Mittag war ein Auto von dort hier. Die Herren haben sich sehr wichtig getan, es soll nun morgen der Wald abgesucht werden; aber es wird auch dabei nicht viel herauskommen. Es ist mir immer klarer, daß Partikel einfach erschossen worden ist von Soldaten, die auf Jagd waren, – man wird ihn irgendwo verscharrt haben. – Die arme Frau tut mir sehr leid.

     Von Rudolf Mehliss bekamen wir eine Karte aus Berlin. Er ist erst von den Russen gefangen genommen worden u. weiß nun nicht, was er mit sich anfangen soll. Auch von einem anderen Soldaten des Batterie, Franz Scheigenpflug, einem Katholiken, bekamen wir einen Brief. Auch er ist am 3. Mai in russ. Gefangenschaft gekommen u. mußte in 3 Marschtagen 130 km. marschieren bis Demmin, wo er krank ankam. Am 21. Mai wurde er entlassen u. kam nach Greifswald ins Lazarett, am 21. Juni kam er nach Berlin, wo er am 27. Juni infolge der Anstrengungen einen leichten Schlaganfall erlitt. Sein Sohn, 17 Jahre alt, ist noch am 3. Mai in Spandau als Volksstürmer gefallen. Auch von Martha Bahnson kam ein Brief aus Hamburg über Magdeburg. Es geht allen verhältnismäßig gut. Ebenso schreibt Otto Wendt eine Karte.

     Herr Schröter, der den löblichen Versuch macht, einmal mein Nachfolger zu werden, machte mir heute einen Besuch.

[10]
Mittwoch, 31. Okt. 1945.     

[10]      Heute wollen die Herren Dr. Lasch u. Dr. Meyer hierher kommen um die Bevölkerung gegen Typhus zu impfen. In Wustrow wurde das schon an dem Tage gemacht, als ich dort entlassen wurde, in Althagen fand die Impfung gestern statt.

     Ich hörte gestern noch, daß in dem Auto aus Ribnitz der dortige Kommandant persönlich gewesen sein soll. Er hat Frau Partikel aufgesucht u. angeordnet, daß heute der Wald nochmals abgesucht werden soll. Er hat seine Unzufriedenheit geäußert, daß er nicht zuerst benachrichtigt worden sei. Als man ihm antwortete, es sei uns immer gesagt worden, wir gehörten zu Zingst, behauptete er, das sei Unsinn, Zingst habe hier garnichts zu sagen. – So ist es ja von jeher gewesen, – jeder behauptet, hier allein etwas zu sagen zu haben u. jeder kommandiert, aber wenn es um Verantwortung geht, dann schiebt einer es auf den anderen.