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TBHB 1945-10-27

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1945-10-27
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Entstehungsdatum: 1945
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Originaltitel: Sonnabend, den 27. Oktober 1945.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 27. Oktober 1945
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Einführung

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Der Artikel TBHB 1945-10-27 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 27. Oktober 1945. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.

Tagebuchauszüge

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[1]
Sonnabend, den 27. Oktober 1945.     

[1]      Seit der letzten Notiz am 10. Okt. ist allerhand geschehen, ich will versuchen, die Ereignisse chronologisch zu ordnen. Da fällt mir gleich der Anfang schwer. Ich weiß nicht mehr genau, ob es am Donnerstag den 11. Okt. Abends oder am Freitag den 12. Okt. Abends war, daß ich mit Martha im dunklen Wohnzimmer saß u. darauf wartete, daß der Strom eingeschaltet wurde, – was immer um 9 Uhr geschieht. Ich wollte gern Nachrichten hören. Gegen 1/2 9 Uhr setzten Schmerzen in der rechten Hüfte ein in der Gegend der letzten Rippe, die sich rasch ausdehnten über den Leib, sodaß ich zu Bett gehen mußte. Es trat dann starkes Erbrechen ein u. die Schmerzen wurden sehr groß, sodaß Martha zu Borchers lief u. ihn zu Prof. Reinmöller schickte. Dieser kam auch bald, doch konnte er eine Diagnose nicht stellen, es fehlt ihm als Kieferchirurg ja jeder Erfahrung. Er gab mir eine leichte Morphiumspritze, sodaß die Schmerzen wenigstens bald nachließen. Es dauerte aber nicht allzu lange u. die Schmerzen begannen neu u. verstärkt, sodaß Borchers noch einmal geschickt werden mußte. Reinmöller kam sofort, obwohl es mittlerweile spät geworden war. Er gab mir eine zweite, stärkere Spritze u. ordnete meine sofortige Ueberführung ins Krankenhaus nach Wustrow an. Auch der gute Paschke wurde alarmiert, er fuhr mit dem Rad nach Wustrow, mich anzumelden. Dr. Lasch u. Dr. Meyer waren dort so wie so bei der Arbeit, – ich glaube wegen einer Entbindung. Ich wurde auf Brandt's Ackerwagen geladen, in den sie viel Stroh u. Betten gelegt hatten, der Kutscher Handschak fuhr. Martha fuhr auch mit, außerdem Borchers. Paschke erwartete mich in Wustrow. Zum Glück regnete es nicht u. dank der Morphiumspritze hatte ich keine Schmerzen mehr.

     In Wustrow wurde ich erwartet. Dr. Meyer + Dr. Lasch hatten alles in fürsorglicher Weise vorbereitet. Dr. Lasch untersuchte mich, konnte aber nun wegen des Morphiums keine einwandfreie Diagnose stellen. Es schien, als ob der Herd der Schmerzen eher vom unteren Rande der Rippen her käme, während in der Blinddarmgegend nichts festzustellen war. Es sah eher so aus, als handele es sich um Nierensteine. Dr. L. wollte deshalb nicht operieren u. da das Morphium noch wirkte [2] entschloß er sich, weiter zu beobachten. So blieb ich liegen von Dr. L. immer wieder sorgfältig untersucht. Ich weiß nun nicht mehr, ob ich nur den ganzen Samstag dort lag oder auch schon den Freitag über, jedenfalls zeigten sich dann doch ganz einwandfrei Schmerzen am Blinddarm, sodaß Dr. L. sich zur Operation entschloß, die jedenfalls am Sonntag, den 14. Okt. um 1/2 10 Uhr Vormittags vorgenommen wurde.

     Ich selbst war außerordentlich ruhig, in erster Linie, weil ich zu Dr. L. ein großes Vertrauen habe u. zweitens, weil ich dem Gedanken des Sterbens mit großer Gelassenheit gegenüberstehe. Natürlich empfand ich gegenüber Martha großes Mitgefühl. Sie hat ja schon Max an derselben Krankheit verloren u. wenn ich sie grade jetzt hätte allein lassen müssen, wäre das für sie überaus schmerzvoll gewesen. Aber ich glaubte innerlich nicht daran, – ich stellte die Sache ganz allein Gott anheim, der ja in jedem Falle unsere Geschicke richtig lenken wird.

     Die Operation ergab dann, daß wirklich der Blinddarm entzündet gewesen war u. daß die Schmerzen in der Rippengegend des Rückens nur Folgeerscheinungen waren u. von den Lungen herkamen, sowie vom Rippenfell. Es handelte sich also nicht um Nierensteine, – u. das war ja wieder ein großer Vorteil. Die Operation u. der Heilungsprozeß verliefen glatt.

     Am Montag – oder Dienstag –, ich weiß es nicht mehr genau, – wurde mir die Nachricht vom spurlosen Verschwinden von Prof. Alfred Partikel überbracht. Er ist am Vormittag zum Pilzesuchen gegangen u. ist nicht zurückgekehrt. Seine Freunde, bzw. die seiner Frau u. das ganze Dorf veranstalteten sofort eine große Suchaktion, die jedoch von dem Russen-Kommando im Monheim'schen Hause behindert wurde, indem die Russen nur einigen Wenigen das Suchen gestatteten u. die anderen wieder nachhause schickten. Ich nehme mit Sicherheit an, daß hier eine Absicht vorliegt. Irgend ein Soldat wird Partikel erschossen haben, – vielleicht aus Versehen, – vielleicht hat er ihn für Wild gehalten, – u. nun wollen die Russen die Sache vertuschen u. haben P. irgendwo im Sumpf verscharrt. – Die Sache hat natürlich große Erregung ausgelöst. Frau Daubenspeck ist nach Schwerin zur Regierung gefahren, wo man sie wohl angehört hat; aber man hat bedauernd die Achseln gezuckt, jedenfalls hat man nichts unternommen. Das habe ich auch nicht anders erwartet, wir sind eben alle den Russen ausgeliefert u. sind völlig wehrlos.

     Seit gestern Abend bin ich nun wieder zurück. Ich bin wieder mit Brandt's Ackerwagen gefahren, ein anderes Gefährt haben wir ja nicht mehr im Dorf. Diesmal fuhr mich Herr Clemens, auch Frau Schroeder, Brandt's Tochter, war auf dem Wagen. Martha hatte mich abgeholt, auf dem Wagen waren Korbstühle aufgestellt, einer für Martha u. einer für mich. Es war kalt u. windig, aber wir waren gut mit Decken versehen. Als wir an der Batterie vorbei kamen, war diese wie ausgestorben, nicht einmal ein Posten war zu sehen. In Wustrow hatte es schon vorher gehießen, daß fast alle Russen abgerückt seien.

     Ich freute mich sehr, wieder zu Hause zu sein, wo geheizt war u. alles hübsch zurecht gemacht war. Trude Dade wohnt jetzt wieder ganz bei uns, was sehr erleichernd ist. Frau Schuster kam gestern Abend noch u. sagte mir, daß die ganze Gemeinde nur den einen Wunsch hat, ich möge bald wieder die Geschäfte übernehmen; aber ich will nicht. Herr Dr. Lasch hat mir eine Bescheinigung geschrieben, daß ich mindestens noch 8 Wochen lang völlig arbeitsunfähig sein würde u. er hat mir gesagt, daß er diese Bescheinigung in 8 Wochen nochmals ausstellen würde. Ich muß auch sagen, daß ich tatsächlich vorläufig noch völlig arbeitsunfähig bin, – ich bin überaus abgemagert. Das Essen war in Wustrow sehr dürftigt.

[3]      Der brave Hans Krull hat nun während meiner Abwesenheit einen heftigen Schreck bekommen, denn er hat mich ja vertreten müssen, – u. da ereignete sich nun grade die Sache mit dem Verschwinden Partikels. Er hat an den Landrat geschrieben, daß er mich nicht länger verteten könne u. hat Herrn Hugo Schröter als seinen Vertreter vorgeschlagen. Darauf hat der Landrat, der bisher mein eigenes Rücktrittsgesuch, das ich ja schon an 4. Oktober eingereicht habe, immer noch nicht beantwortet hat, jemanden von der Kreispolizei hergeschickt, der Herrn Schröter nach Rostock bestellt hat. Seitdem vertritt nun Herr Sch. Herrn Krull, der nun aber große Angst bekommen hat, daß Herr Sch. schließlich auch mich vertreten, d.h. mein Nachfolger werden könnte, denn dieser Herr Sch. ist nicht grade ein großes Licht. Krull hat an den Landrat geschrieben, daß Herr Sch. nur ihn, Krull, vertreten soll, nicht etwa mich, da ich vielleicht doch wieder bereit sein würde, die Geschäfte zu übernehmen, wenn ich wieder gesund sein werde. Diesen Brief sandte er mir aber vorher ins Krankenhaus zur Begutachtung, sodaß ich in der Lage war, seine Absendung zu verhindern. So sitzt nun also Herr Sch. zunächst als stellvertr. Bürgermeister im Amt u. ich möchte ihn gern dort sitzen lassen. Er wird sich schon einarbeiten. Ich will die Geschäfte auf keinen Fall weiterführen, denn mir genügt schon, was ich seit gestern Abend bis heute Mittag alles gesehen habe. Der Russen-Spitzel Herold mit seinem Anhang, Frau Voigt, ist inzwischen wieder eingetroffen, nachdem er einige Wochen in Swinemünde gewesen war, u. nun will er überhaupt ganz hierher ziehen. Lehnen wir ihn ab, dann wird er sich an den Landrat u. die KPD. wenden u. damit wird er sicher Erfolg haben, – u. er wird sich dann rächen.

     Gestern Abend kamen Paul + Grete, um mich zu begrüßen. Auch Paul hat sich noch nicht erholt von seiner Verhaftung. Deutschmann ist ebenfalls noch nicht zurück. Frau Daubenspeck, die sich ja so gern in alles mischt, hat auf ihrer Rückreise aus Schwerin die Schulrat in Rostock aufgesucht, bzw. aufsuchen wollen, um ihn für Deutschmann zu interessieren, doch mußte sie feststellen, daß auch dieser inzwischen abgesetzt worden ist, angeblich, weil er Lehrerinnen angestellt hat, die früher der NS=Frauenschaft angehört haben. In Wustrow ist die Schule von Frl. Fabrizius ebenfalls geschlossen worden, weil Frl. F. früher Mitglied der Frauenschaft gewesen ist. So wird überall jeder Neuaufbau unmöglich gemacht. Frl. Lenhard, die Wustrower Lehrerin, fungierte als Nachtschwester im Krankenhause, als ich dort eingeliefert wurde, – sie wurde dann aber wieder als Lehrerin eingesetzt. –