Zum Inhalt springen

TBHB 1946-01

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: TBHB 1946-01
Untertitel:
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1946
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Vorlage:none
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort:
Übersetzer:
Originaltitel: Januar 1946
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom Januar 1946
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
unvollständig
Dieser Text ist noch nicht vollständig. Hilf mit, ihn aus der angegebenen Quelle zu vervollständigen! Allgemeine Hinweise dazu findest du in der Einführung.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


Einführung

[Bearbeiten]

Der Artikel TBHB 1946-01 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Januar 1946. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 16 Seiten.

Tagebuchauszüge

[Bearbeiten]
[1]
Dienstag, den 1. Januar 1946.     

[1]      Gott sei gedankt! – das Jahr 1945 ist aus u. zu Ende. Das Neue Jahr wird uns noch durch sehr tiefe Abgründe führen, aber endlich wird es uns doch zum neuen Anstieg führen. Es ist voll Hoffnung.

     Das Jahr schloß mit zwei guten Ereignissen. Am Nachmittag kam Koch-Gotha mit seiner Frau. Er trägt jetzt einen kurz gehaltenen Vollbart. Er sah sich interessiert das auf der Staffelei stehende Bild an u. bat mich, ihm mehr zu zeigen. Er war so verständnisvoll, daß ich ihm immer neue Bilder heranholte, sodaß schließlich sämtliche Bilder vor ihm standen, die ich für einigermaßen einwandfrei halte. Er war voller Zustimmung, besonders in Bezug auf meine Behandlung des Lichtproblems, die er bewunderte u. für völlig gelöst erklärte. Es hat mir große Freude gemacht. Wir saßen noch ziemlich lange beim Kaffee zusammen, der ihm auch behagte, da etwas Bohnenkaffee darin war. Er will an die Sektion für bildende Kunst im Kulturbunde schreiben, daß ich von der dummen Jurierung befreit werde.

     Als Kochs fort waren, lasen wir Briefe, darunter der bisher fehlende Brief Nr. 3. von Fritz, der mir sehr große Freude gemacht hat. Er schreibt jetzt ganz frei u. ungezwungen von seinem religiösen Erleben u. von seiner Unschlüssigkeit, ob er sich dem Protestantismus oder dem Katholizismus zuwenden soll. Die Gottesdienste im Lager wechseln jeden Sonntag ab u. er geht in beide, weil ihm das, wie er schreibt, nicht Gewohnheit, sondern Bedürfnis ist. Er tut das, obwohl er deshalb von den Kameraden gehänselt oder gar scheel angesehen wird, aber er kann nicht entscheiden, welcher Gottesdienst der richtige ist. Er sagt offen, daß er sich zum evangelischen Gottesdienst mehr hingezogen fühlt, wahrscheinlich, weil dieser Predigt-Gottesdienst mehr Belehrung ist u. er eben belehrt werden will. Er ist noch nicht so weit, den Opfer-Gottesdienst zu verstehen. Leider schreibt er, daß an eine Entlassung noch nicht zu denken ist.

     Abends tranken wir dann eine Flasche Sekt u. zündeten vor 12 Uhr nochmals das Bäumchen an. Gegen 1/2 1 Uhr gingen wir schlafen u. hörten vorher noch das Glockengeläute im englischen Sender. – Heute Morgen hörten wir ein schönes Hochamt aus Hilversum. Die sehr lange Predigt konnte man ganz gut verstehen.

[2]
Donnerstag, 3. Januar 1946.     

     Heute ist das Bild fertig geworden, das ich „Apokalyptischer Einbruch“ nennen will. Es ist sehr gut geworden.

     Heute hat es neue Lebensmittelkarten gegeben. Gemäß den neuen, sehr verschärften Bestimmungen haben Martha u. ich die Karte für Angestellte bekommen, das ist die vorletzte Stufe. –

Sonntag, 6. Januar 1946.     

     Nach schwachen Frosttagen ist es wieder warm geworden u. die Aussicht, daß wir mit den Kohlen reichen, steigt wieder.

     Vorgestern Nachmittags bei Frau Longard. Sie war bei Margot Seeberg gewesen, als P. Drost dort bei seinem letzten Hiersein wieder einen Vortrag gehalten hatte. Es war mir interessant, daß sie derselben Meinung war wie ich, daß P. Drost diese Vorträge lieber unterlassen möchte, weil die Zuhörer, lauter Protestanten oder abgestandene Katholiken, nicht verstehen, was P. Drost meint u. die Sache als eine gesellschaftliche Sensation auffassen. Besonders interessant war mir, daß auch Prof. Triebsch bei Frau L. gewesen ist u. dieselbe Meinung vertreten hat. –

     Neuerdings fährt nun wieder ein Post-Autobus von Wustrow nach Ribnitz einmal täglich hin u. zurück. Das ist ein wesentlicher Fortschritt.

     Die Russen aus dem Monheim'schen Hause sind gestern abgerückt u. es sieht so aus als ob keine neuen Russen mehr hierher kämen. Sie haben sich vorher bei den Frauen Daschewski verabschiedet, wo sie viel ein u. aus gegangen waren. Sie sind voll Freude gewesen, weil die Moskauer Außenminister-Konferenz so gut verlaufen ist u. es nun, wie sie sagten „keinen Krieg“ gäbe. – Die Ausgeh-Beschränkungen sind nun auch aufgehoben worden, man darf auch in der Nacht auf die Straße gehen. Hoffentlich bewirkt das nicht, daß nun des Nachts eingebrochen wird. –

     Heute Morgen hörten wir aus Kopenhagen sehr schön eine hl. Messe. Es muß wohl eine Klosterkirche gewesen sein jedenfalls wurde ausgezeichnet gregorianischer Choral gesungen.

     Ich habe das neue Bild mit den beiden Erlenbäumen, begonnen. Auch hatte ich das Glück, unter den alten Keilrahmen passende Stücke zu finden, die es mir möglich machen, sowohl das kleine Blumenstück zu malen, zu dem ich am Nachmittag des hl. Abends eine Studie machte, wie auch das Bild mit der Weihnachtskrippe.

     Gretl Neumann war gestern bei Martha u. erzählte, daß sie mit ihrer Mutter das Kurhaus wieder einigermaßen in Ordnung bringt, weil sie die Absicht haben, das Haus in diesem Sommer wieder aufzumachen. Ich finde diesen Mut erstaunlich u. er gibt mir selbst neuen Antrieb. Ich kann mir zwar noch nicht denken, woher die Gäste kommen sollen, aber allein die Tatsache, daß jemand diesen Mut hat, ist überaus erfreulich. Wenn Neumanns Gäste hierher bringen können, dann wäre das ja auch für die BuStu. sehr erfreulich. Ich habe eben den Jahresabschluß gemacht. Seit Oktober haben wir einige Tausend Mark zugesetzt, da viel Löhne gezahlt worden sind, aber verkauft ist so gut wie nichts.

Mittwoch, 9. Januar 1946     

     Brief Nr. 5 von Fritz, der nichts Neues enthält. Ausführlicher Brief von Otto Wendt, der uns schreibt, er sei Vorsitzender der christl-demokrat.-Partei in Hamburg. Ich habe ihm gleich geantwortet u. gewarnt.

     Die Landschaft mit den zwei Erlenbäumen wurde gestern fertig. Es ist ein sehr schönes Bild geworden, das [3] mir große Freude macht. Heute habe ich das neue Bild angefangen, die Fortführung des „Melchisedeks“, aber diesmal ganz als Vision.

     Von Landrat in Rostock erhielt ich vor einigen Tagen endlich Die Bestätigung, daß ich von den Geschäften des Bürgermeisters frei sei.

     Im Monheim'schen Hause sind nun doch wieder neue Russen. Diese Plage hört nicht auf, aber in Wahrheit merkt man wenig von ihnen.

     Der engl. Sender gibt bekannt, daß am 1. Mai die Friedensverhandlungen beginnen sollen, vermutlich in Paris. Damit hätte denn also der Krieg sieben Jahre gedauert. In London tritt heute die erste beratende Versammlung der Vereinten Nationen zusammen.

     Nachdem die Sozialdemokraten im amerikanisch besetzten Gebiet den von Berlin betriebenen Zusammenschluß der SPD. u. der K.P.D. bereits vor einigen Tagen für sich abgelehnt haben, haben nun auch die Sozialdemokraten im englisch besetzten Gebiet dasselbe getan. In Berlin dagegen ist dieser Zusammenschluß Tatsache, – was die Mitglieder dazu freilich sagen, erfährt man nicht. Es ist das ein prächtiges Beispiel für die Demokratie in der russischen Zone, es wird genau wie bei Hitler einfach befohlen u. die Mitglieder haben zu gehorchen. „Führer befiehl, wir folgen“.

     Ich habe neuerdings das unheimliche Gefühl, als wäre meine angebliche Blinddarm-Entzündung damals doch eine Fehl-Diagnose von Dr. Lasch gewesen. Es mag ja gern sein, daß der Blinddarm etwas entzündet gewesen ist, doch war ich damals schon nicht sehr überzeugt von der Diagnose. Ich glaube, daß die großen Schmerzen, die ich so urplötzlich bekam, doch von Nierensteinen herrührten u. daß diese Sache eben mit der Operation durchaus nicht behoben ist. Zuweilen, z.B. gestern Abend, fühle ich in derselben Gegend wie damals etwas, als ob da was nicht in Ordnung wäre. Ich würde mich nicht wundern, wenn sich diese Sache wiederholen würde, was dann freilich ein großes Kreuz wäre. Es mag schon sein, daß mir Gott dergleichen zugedacht hat zur Sühne.

Donnerstag, 10. Januar 1946     

     Heute kam Brief Nr. 6 von Fritz, geschrieben am hl. Abend. Der arme Kerl macht sich noch Sorgen um uns, er stellt sich unser Leben sehr trübselig vor, was es doch garnicht ist. Er selbst hat den Hl. Abend still u. beschaulich im Lager verbracht nachdem der Caritas-Verband in Freiburg allen Gefangenen eine Weihnachtsbescherung bereitet hat u. der Direktor des Verbandes eine Ansprache gehalten hat. Dieser Caritas-Verband scheint nach allem, was Fritz schreibt, Erstaunliches in der Gefangenen-Fürsorge zu leisten – u. dennoch schimpfen die Gefangenen, wie er schreibt, auf die Kirche. – Auch von anderen Leuten hat Fritz Päckchen bekommen: von Frau Baronin v. Wolff aus Hinterzarten u. deren Tochter Maria Wendelstadt. Es scheint, daß da ein tieferes Interesse vorliegt. Am hl. Abd. waren auch die beiden Lagerärzte eine Stunde bei ihm u. brachten 2 Fl. Wein mit u. Fr. schreibt, er rauche nun eine Cigarre u. denke dabei an mich, wie gut mir diese Cigarre schmecken würde. – Ein rührend guter Kerl!

     In der Nacht hatte ich schwer unter Angstzuständen zu leiden wegen des neuen Bildes. Ich habe den Kopf sehr dunkel gemalt, während er in der Untermalung ursprünglich hell war. Aber es hatte mir eben ein dunkler Kopf vorgeschwebt. Schon den Melchisedech wollte ich dunkel malen, doch ist er dann hell geworden. Nun fiel mir in der Nacht ein, daß ich, wenn der Kopf dunkel ist, [4] das Kopftuch nicht weiß lassen konnte, wenn es nicht ein Negerkopf werden sollte. Also mußte ich das Kopftuch dunkel machen. Aber wie? Grau wäre zu eintönig gewesen u. ich dachte an Rot; aber das wäre eine Farbe gewesen, die von den Malern des 19. Jahrh. für solche Zwecke schon totgehetzt worden ist. Gelb u. Braun wären zu langweilig gewesen, da der Kopf schon stark gelb u. braun ist. Blau wäre zu hintergründig. Es blieb mir Grün, vielleicht Violett, letzteres ebenfalls zu hintergründig. Also Grün? Das erforderte einen ganz anderen Hintergrund. Ich grübelte u. bekam Angst, daß ich dieses Bild nicht malen könnte. Schließlich nahm ich meine Zuflucht zu einem inbrünstigen Gebet, das wohl eine Stunde dauerte. Während dieses Gebetes wurde mir alles klar: Kopftuch grün u. Hintergrund blaugrau, aber links ein fahles Gelb das sich schmal über das Kopftuch hinzieht u. rechts, ebenfalls am Rande des Kopftuches, in ein brandiges Rot ausläuft. – Ich habe heute alles so gemalt u. denke, daß es gut wird. Ich bin erst um 4 Uhr früh zum Schlafen gekommen.

     Wir haben dauernd mildes Wetter. Heute u. gestern heizte ich erst um 3 Uhr Nachmittags u. komme so mit einer einzigen Kanne Koks aus für den ganzen Tag.

     Da Martha u. ich jetzt nur noch die Lebensmittelkarte für Angestellte haben, kommen wir nicht mit dem Brot aus. Der Kulturbund hat mir mitgeteilt, daß ich Anspruch auf die Arbeiter-Lebensmittelkarte hätte. Diese Mitteilung habe ich heute Herrn Degner mitgegeben, der bei mir war, um die Hinterlassenschaft des im Sommer verstorbenen Röpke zu übernehmen, die immer noch bei mir stand. – Herr Schröter ist vom Landrat als Bürgermeister bestätigt worden.

     Eben kommt Martha sehr aufgeregt. Anneliese hat geschrieben, daß ein entlassener Kriegsgefangener sich gemeldet hat, der angibt, mit Kurt zusammen in Gefangenschaft gewesen zu sein. Alle Gefangenen sind nach der Ukraine transportiert worden zur Arbeit. Der Gewährsmann ist dann entlassen worden, weil er einen steifen Arm hat u. nicht arbeiten kann. Wenn Kurt also wirklich dort ist, muß er auch gesund sein. – Wer hätte das noch gedacht? Anneliese hatte die Hoffnung nie aufgegeben; aber ich habe nicht mehr an eine Rückkehr geglaubt. – Hoffentlich kommt er als ein Anderer wieder, als er war!

Freitag, 11. Jan. 1946.     

     Gestern kam auch ein Brief von Herbert Stuffer, der in Baden-Baden in der französischen Zone wohnt u. – wie er schreibt, – sehr gute Beziehungen zu den französischen Behörden hat. Ich werde ihn fragen, ob er in der Lage ist, etwas für Fritz zu tun.

     Mein Bild macht sehr langsam Fortschritte. Es ist sehr schwierig, jedoch nicht so, daß ich mich festarbeite, wie das früher in solchen Fällen die Regel war. Ich hoffe, daß ich das Gesicht morgen wenigstens prinzipiell fertig machen kann.

     Martha hat sich heute abend ins Bett gelegt. Sie hat Halsschmerzen u. 38° Temperatur. Da Frl. v. Tigerström bei uns ist, hat diese ihr einen Halsumschlag gemacht u. ihr eine Tablette gegeben. Als ich ihr eben Gute Nacht sagte, war sie sehr heiß. Hoffentlich wird es nichts Schlimmes.

Sonnabend, 12. Jan. 1946.     

     Martha heute früh 37,3°, heute Mittag 38,2°. Ich habe Frl. v. Tigerström nach Wustrow geschickt zu Dr. Meyer, da die Leitung nach Wustrow wieder einmal gestört ist, sodaß eine Telephon-Verbindung nicht möglich ist.

     Vormittags gemalt. Der Kopf ist überaus schwierig, aber es geht langsam vorwärts, ohne daß besondere Probleme der Komposition auftauchen.

     Abends: Dr. Meyer war leider bei einer Aerztebesprechung [5] in Ribnitz, von wo er erst spät zurückkam. Er rief dann aber wenigstens gleich an u. ließ sich von mir ein Krankheitsbild geben. Ich hatte grade vorher das Fieber gemessen, es ergab 38,1°, also immerhin eine kleine Senkung gegen heute Mittag. Es läßt sich eben noch nicht sagen, ob es sich um eine gewöhnliche Halsentzündung handelt, oder um Diphterie, die ja momentan in der ganzen Gegend grassiert. Dr. M. wird morgen früh herkommen, unsere Andacht für morgen habe ich abgesagt. – Die Aerztebesprechung in Ribnitz soll der Fleckfiebergefahr gegolten haben. Diese Krankheit grassiert ebenfalls, aber unsere Gegend ist bisher verschont geblieben. – Martha selbst ist recht geduldig, ich habe ihr zum Abend zwei Tabletten gegeben, da sie auch über Kopfschmerzen klagt.

Sonntag, 13. Januar 1946.     

     Draußen heftiges Schneetreiben bei scharfem Nordwind u. leichtem Frost. Dr. Meyer war bis jetzt, Mittags, noch nicht hier. Es wird ihm schwer fallen, herzukommen. Das Fieber ist zum Glück zurückgegangen, heute früh 36,9° u. Mittags 36,8° Appetit war nicht schlecht. An Fritz geschrieben. –

     Dr. Meyer war mit seinem Schimmel hier, brachte seine Frau mit. Untersuchung ergab keine Diphterie. Gott sei Dank. Martha soll aber noch drei Tage im Bett bleiben.

     An Ruth geschrieben.

Montag, 14. Januar 1946.     

     Marthas Fieber scheint vorbei zu sein. Heute früh hatte sie noch 37,2°, aber mittags 36,8° u. abends nur noch 36,3°. Sie aß mit Appetit u. fühlt sich wohl. Wenn es morgen ebenso ist, kann sie über Mittag aufstehen, da vorher das Haus noch zu kalt sein wird. Es scheint nämlich so, als wollte es in der Nacht recht kalt werden, es ist klarer Himmel, der Mond scheint hell auf den Schnee.

     Mein Bild habe ich heute ziemlich fertig gemacht, ich denke, daß ich morgen die letzten Pinselstriche machen werde. Es ist gut geworden, ein alttestamentlicher Prophetenkopf. Das Bild hat mich sechs Tage in Anspruch genommen, weniger, als ich dachte.

     Inzwischen habe ich eine allererste, rohe Skizze zu einem Bilde gemacht, das vielleicht eine große Sache werden kann: Christ=König als Richter, Brustbild, aber überlebensgroß. Ich wurde dazu angeregt durch eine Fotopostkarte, die Ruth mir zu Weihnachten schickte. Sie ist das Abbild eines Alabaster-Reliefs aus dem 14. Jahrh., wahrscheinlich englischen Ursprungs, in der Kirche St. Maria zur Wiese in Soest u. stellt die hl. Dreifaltigkeit dar. Gott=Vater, sitzend, hält zwischen den Knieen das Kruzifix mit dem Gekreuzigten, über dem die Taube schwebt. Der Kopf Gott-Vaters mit einer Krone u. geschlossenen Augen u. zum Schwur erhobener rechter Hand während die Linke auf dem Kruzifix ruht, ist von wunderbarer Ruhe u. Majestät.

Dienstag, 15. Januar 1946.     

     Letzte Hand an den Prophetenkopf gelegt. Keilrahmen für drei neue Bilder mit Leinewand bespannt. Schütz-Niehagen war hier, er will Koks liefern, braucht aber Schuhe für sich u. seine Frau. Erzählte von seinem Sohn, der bei Lübeck unter englischer Besatzung auf einem Gut arbeitet, dessen Besitzer zwar PG., aber kein aktiver Nazi war. Dieser ist von den Engländern verhaftet, [6] jedoch nur zu dem Zweck, demokratische Grundsätze zu erlernen. Nach erfolgter Schulung wird er seinen Besitz wieder übernehmen. Auf dem Gut ist kein Pferd, keine Kuh u. kein Schwein fortgekommen, alles ist wie vorher. Der junge Schütz hat als entlassener Soldat von den Engländern Bezugsscheine über einen neuen Zivilanzug u. Wäsche erhalten u. ist vollständig neu eingekleidet. – So ist es bei den Engländern!

     Martha ist fieberfrei, aber noch keineswegs gesund. Sie war über Mittag auf, hat sich dann aber bald wieder von selbst hingelegt. – Bütow war bei ihr u. berichtete von seiner Reise nach Berlin, von der er etwas Ware von der Firma Fischer + Co mitgebracht hat. Martha hatte ihm ein Päckchen für Anneliese mitgegeben, aber der Zug wurde etwa 50 km. vor Berlin wieder einmal von den Russen total ausgeraubt u. so ging auch das Päckchen verloren. Justus Schmitt hatte, als er kürzlich hier war, acht Koffer gepackt u. als Frachtgut nach Bln. geschickt. Es war alles darin, was Schmitt's an Garderobe, Leib-und Hauswäsche besaßen. Auch dieser Zug wurde ausgeraubt u. alle acht Koffer gingen verloren. – So ist es bei den Russen.

     Anneliese sandte durch Bütow einen Abschiedsbrief, geschrieben Ende März 1945 an Martha durch Anneliese. A. hatte diesen Brief bisher zurückgehalten. Jetzt, wo sie glaubt, daß Kurt lebt, schickt sie ihn. Der Brief ist sentimental, enthält Unsachlichkeiten u. dokumentiert unauslöschlichen Haß gegen mich, indem er mich auch in diesem Augenblick der ziemlich sicheren Todesaussicht mit keinem Worte erwähnt. Dagegen tut er so, als hätte er früher Fritz u. Ruth materiell unterstützt u. er drückt seine Befriedigung aus, daß das nun nach seinem Tode nicht mehr nötig sein würde. In Wirklichkeit ist davon garkeine Rede. Es entspringt das seinem krankhaften Geltungsbedürfnis aus dem allein sich auch der Haß gegen mich erklären läßt. „Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern!“ – So nett der lange Brief von Anneliese ist, den sie Bütow mitgegeben hat, so deprimierend sind diese wenigen Zeilen. –

     Im Radio hörte ich Beethovens Heroika. Sehr, sehr schön!

     Den richtenden Christ=König habe ich nun in Bleistift in größerem Format gezeichnet.

Mittwoch, 16. Januar 1946.     

     Die Zeichnung zum Christus-Bilde hat mir heute sehr schwere Arbeit gemacht. In größerer Fassung ergab sich, daß die ganze Komposition geändert werden mußte. Ich arbeitete den ganzen Vormittag daran, ohne zu einem Resultat zu kommen u. war schon fast verzweifelt, als dann Mittags endlich die Lösung sich ergab. Um 2 Uhr war ich im Prinzip fertig. Es sind noch Kleinigkeiten zu verbessern, aber im großen Ganzen kann es nun so bleiben. Diese Zeichnung kann nun erst eine ganze Weile stehen bleiben, damit ich sehe, ob sie wirklich stichhaltig ist.

     Die kleine Leinewand für das Blumenstück, das ich am hl. Abend, bzw. Nachmittag, gezeichnet habe, habe ich heute grundiert. Ich hatte dafür eben noch Grundierfarbe. Morgen muß ich zu Gräff gehen u. ihn neue Grundierfarbe machen lassen. Hoffentlich hat er noch Tafelleim, sonst bin ich aufgeschmissen. Ich werde an Kausels schreiben, die vielleicht noch Tafelleim haben, aber bis ich ihn bekomme, vergehen 3 – 4 Wochen.

     Martha geht es wieder besser, wir aßen heute wieder im Seezimmer zu Mittag u. auch Abends im Wohnzimmer u. Atelier. Dafür fühle ich mich selbst seit einigen Tagen [7] nicht wohl. Ich fühle wieder dieses unbehagliche Gefühl in der Nierengegend, aber heute hat es sich über die ganze rechte Hüfte u. das rechte Bein ausgedehnt, sodaß mir Bewegungen schwer werden.

     Von Ruth kamen drei Päckchen mit kleinen Lebensmittelgaben, von Martha Bahnson ein sehr netter Brief.

     Abends hörten wir ab 9 Uhr, sobald das Licht angeht, wie jeden Abend den englischen Sender. Wenngleich diese Leute natürlich auch ihre Sendungen für Deutschland auswählen, so tun sie das mindestens sehr geschickt. Aber sicher ist, daß in dieser Nation ein Geist von Freiheit u. Demokratie herrscht, der für uns Deutsche einfach berauschend ist. Ich habe diese Nation stets bewundert, aber jetzt liebe ich sie.

Freitag, 18. Januar 1946.     

     Gestern das kleine Blumenstück angelegt, das ganz entzückend zu werden verspricht. Dann bei Gräff, um Grundierfarbe zu besorgen für die anderen Leinewände. Er wird mir heute die Farbe bringen.

     Nachmittags beschäftigte ich mich mit dem Evangelium vom kommenden Sonntag, die Hochzeit von Kana. Ich kam auf neue Gedanken, die sich festsetzten. Vorm Schlafengehen las ich das Evangelium nochmals u. da war es, als hätte ich es bisher noch nie verstanden. Dieses Evangelium war mir bisher immer ziemlich banal vorgekommen, aber jetzt entschleierte sich mir ganz plötzlich sein tiefer, symbolischer Gehalt. Das Erlebnis war so stark, daß ich Nachts darüber nicht schlafen konnte. Ich werde Fritz, der jetzt ja so sehr gern Auslegungen des Evangeliums hören möchte, darüber schreiben.

Sonnabend, 19. Januar 1946.     

     Gräff brachte die Grundierfarbe gestern natürlich nicht, er schickte sie erst gestern Abend, sodaß ich heute erst zum Grundieren der Leinewände kommen werde. Ich schrieb an Fritz über das Evangelium.

     Das Christusbild machte sehr große Schwierigkeiten. Ich mußte es immer wieder von Grund auf ändern u. rang mit ihm in immer erneutem, anhaltendem Gebet, wozu ich die Stunden der Dunkelheit zwischen 4 – 9 benutzte, die überhaupt hierzu sehr geeignet sind; aber auch des Nachts betete ich viel, da mich die Gedanken nicht schlafen ließen. Gestern nachmittag fiel mir nun während des Gebets die richtige Lösung ein, die ich dann abends vor dem Schlafengehen noch ausführte. Jetzt sitzt die Zeichnung tadellos, ihre verblüffende Einfachheit ist der beste Beweis für ihre Richtigkeit.

     Die Komposition eines solchen Bildes ist sehr geheimnisvoll u. erscheint mir stets wie ein Wunder. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte u. keine errechenbaren Gesetze, nach denen die Linien grade so sein müssen, u. doch gibt es immer nur diese eine einzige Lösung, die man eben finden muß. Alle anderen Lösungen sind falsch oder mindestens unvollkommen, aber weshalb sie das sind, kann ich nie sagen, es gibt keine Gründe dafür. – Das Suchen nach der richtigen Lösung hat Ähnlichkeit mit dem Zustande, den Johannes vom Kreuz „Die Nacht des Glaubens“ nennt. Auch im Glauben gibt es keinerlei Beweismittel, man muß sich dem Glauben bedingungslos hingeben, ohne sich am sicheren Geländer des Verstandes festzuhalten. Es ist das ein beängstigender Zustand, den Joh. v. Kr. eben „Nacht“ nennt, was überaus treffend ist. Auch beim Komponieren eines Bildes tappt man völlig im Dunkel u. das Schlimme ist, daß sich das jedesmal wiederholt. Man sollte meinen, daß sich die Sache lernen ließe, sodaß man es mit zunehmender Erfahrung dann [8] leichter hätte; aber davon ist keine Rede. Der einziger Vorteil, den ich mit zunehmendem Alter habe, ist der, daß ich mißtrauischer gegen meine eigene Arbeit bin u. daß ich heute leichter u. rascher erkenne, was falsch ist. Früher gefiel mir immer das, was ich da entwarf, ausnehmend gut u. ich fing dann gleich mit Malen an, weil ich glaubte, alle Schwierigkeiten gelöst zu haben. Aber beim Malen traten dann langsam die Schwierigkeiten hervor, die ich vorher nicht gesehen hatte, u. nun war es immer eine furchtbar anstrengende Arbeit, die Komposition umzuändern. Meist war es garnicht möglich u. so blieben die Bilder unbefriedigend u. nur halb gelöst. Auch jetzt gefällt mir das, was ich mache, in der ersten Fassung meist sehr gut, denn es entspricht ja dem, was ich wollte; aber ich weiß heute, daß es deshalb noch längst nicht dem entsprechen muß, was das Bild will, ja, daß es dem sogar zumeist direkt widerspricht. Es kommt aber darauf an, was das Bild will, wenn man das nicht herausbringt, kann nichts daraus werden. Ich habe also die Erfahrung, daß man die erste Fassung erst stehen lassen muß, bis die eitle Freude am eignen Werk verklungen ist, erst dann beginnt die Stimme des Bildes hörbar zu werden, – u. diese Stimme protestiert meistens. Es kommt darauf an, diese Stimme zu verstehen, u. das ist eben das Allerschwerste beim künstlerischen Schaffen.

Sonntag, 20. Januar 1946.     

     Gestern kam ein sehr netter Brief von Dr. Krappmann aus Kiel, der nun doch wohl eine Möglichkeit gefunden hat, in der Universität Kiel als Dozent Beschäftigung zu finden. Ferner eine Karte von Pater Drost, daß er am Mittwoch den 30. Januar um 11 Uhr Vorm. bei uns eine hl. Messe lesen wird, nachdem er vorher in Wustrow Gottesdienst gehalten hat.

     Vom Kulturbunde bekam ich die Nachricht, daß ich nun endlich in die Sektion für bildende Kunst aufgenommen worden bin, ohne mich vorher der Jury zu unterwerfen.

     Nachmittags evangelischer Gottesdienst in der Schule mit Pfr. Pleß. Er sprach wieder sehr gut, obgleich er den Inhalt des heutigen Evangeliums der Hochzeit von Kana bei weitem nicht erschöpfte. Er wußte nur zu sagen, daß das mit den Reinigungskrügen angedeutete jüd. Gesetz zwar seine Gültigkeit behalten, aber mit dem Geiste Christi gefüllt sei. Mir selbst ist es heute morgen sehr gut gelungen, dieses Evangelium auszuschöpfen u. was ich dazu gesagt habe, war bestimmt sehr viel inhaltsreicher. Mein Gedanke fand seinen Höhepunkt darin, daß Maria = Kirche mit ihrem Wort an den Speisemeister: „Tuet, was er euch sagen wird“ inmitten des Lärms dieser weltlichen Hochzeit einen stillen Raum des Aufmerkens u. der Sammlung schafft, in dem dann die geheimnisvolle Hochzeit Christi mit den Gläubigen vor sich geht. –

     Nach dem Gottesdienst kam Margot Seeberg mit zu uns u. das Gespräch kam darauf, daß die jungen Menschen in Deutschland offenbar mit Recht keine Hoffnung sehen, den Neuaufbau Deutschlands für möglich zu halten, solange die gegenwärtigen Zustände der Besatzung u. des Fehlens jeder Regierung andauern. Anstatt Demokratie wird dadurch der heimliche Nazigeist wieder gestärkt. Dasselbe schreibt Dr. Krappmann. Er zitiert den Monolog Hamlets: „Sterben! – Schlafen! – Nicht mehr sein! – Im Schlaf dem Herzweh ein Ende bereiten u. den tausend Bedrängnissen des irdischen Lebens!“ – Ja, das ist wohl die Stimmung sehr weiter Kreise in Deutschland u. so viel man hört, scheint die Selbstmordwelle in Deutschland noch längst nicht abebben zu wollen, im Gegenteil! – Auch Krappmann [9] schreibt von seiner Lebensmüdigkeit, es habe sich, meint er, „so wenig geändert, im Großen wie im Kleinen“. Besonders erschreckt ihn die neuerliche Ausbreitung des Nazigeistes, man baue, meint er, die Nazibeamten ab, aber gleichzeitig werde die breite Masse von Tag zu Tag mehr vom Nazigeist erfaßt. Man sagt, daß die Nazis für Ernährung u. Heizung gesorgt hätten, während die jetzigen Machthaber das Volk hungern u. frieren lassen, während sie selbst gut leben. Dazu kommt die Legende, von der ich ja schon öfter gehört habe, daß die Nazis den Krieg gewonnen hätten, wenn die Offiziere u. Wirtschaftsführer nicht Sabotage getrieben hätten. Es ist also wieder die alte Dolchstoß-Legende von 1918. – Das Schlimme ist, daß man diesen Dingen nicht entgegentreten kann, weil unsere wirtschaftliche Not wahrscheinlich noch größer werden wird bei einer gleichzeitigen Ueberfüllung des Lebensraumes durch die Ostflüchtlinge mit ihrem furchtbaren Elend. Es ist in der Tat zu fürchten, daß diese Dinge eines Tages zu einer Explosion führen müssen, denn auch das geduldigste Volk kann das auf die Dauer nicht aushalten. Dabei scheint wieder wie 1918 Frankreich dasjenige Land zu sein, welches in seinem Haß gegen Deutschland keine Grenzen kennt u. die Dinge auf die Spitze treibt. Diesmal ist dieser Haß ja leider allzu begründet, denn wir haben dort böse gehaust u. das französische Volk furchtbar geschädigt, besonders durch die Deportation von Arbeitern nach Deutschland, wo furchtbar viele zugrunde gegangen sind. In der kleinen Monatsschrift „Neue Auslese“, die mir Dr. Krappmann schickte, ist ein Artikel einer Französin Claire Davinroy abgedruckt. Sie hat furchtbare Erlebnisse im Konzentrationslager von Ravensbrück durchmachen müssen u. bezeichnet die Deutschen mit den Worten „Heuchelei u. Grausamkeit“, wohl gemerkt: die Deutschen, – nicht bloß die SS u. die Nazis. Und das ist das Furchtbare: die Nazis haben den deutschen Namen so durch den Dreck gezogen, daß wir wohl auf lange Zeit hinaus in der ganzen Welt nur als eine minderwertige Rasse angesehen sein werden. Und – vielleicht haben sie Recht. – Auf jeden Fall wird, wenn nicht bald eine Entspannung, – oder nur ein Nachlassen der Spannung eintritt, Schlimmes zu befürchten sein. So, wie es ist, kann es nicht mehr lange weitergehen; aber es wird ja noch viel schlimmer werden, nachdem jetzt der Abtransport der aus dem Osten ausgewiesenen Deutschen wieder aufgenommen werden soll. Diese Menschen sollen nun in die englische Zone verfrachtet werden.

     Dabei kriselt es bei den anderen bedenklich. In Amerika sind Riesenstreiks ausgebrochen u. die amerikanischen Besatzungssoldaten in Deutschland verlangen ihre Entlassung. Heute abend wurde durchgegeben, daß in Frankreich eine Regierungskrise urplötzlich ausgebrochen sei u. das General de Gaulle zurückgetreten wäre. Von russischen Soldaten hört man ebenfalls hier u. da sehr bedenkliche Äußerungen über ihre Regierung u. über Stalin. Der sog. Weltsicherheitsrat, der sich innerhalb der Vereinten Nationen in dieser Woche erst gebildet hat u. sozusagen noch nicht Papier u. Bleistifte besitzt, soll sich nun bereits schon mit dem russisch-persischen Konflikt wegen Aserbaidschan beschäftigen u. das wird eine recht kitzelige Sache werden. Man kann sehr gespannt darauf sein, wie diese Geschichte ausgeht, bei der ja der Gegensatz England-Rußland offen am Tage liegt. – Es sieht alles sehr beängstigend aus. Frankreich will u. besteht auf der Abtrennung des Ruhr- u. Saargebietes von Deutschland u. verhindert vorher jede Zentralregierung, wogegen alle deutschen Parteien die Unverletzlichkeit der alten Reichsgrenzen [10] auf ihrem Programm stehen haben, die auch z.Zt. tatsächlich von der Konferenz der Alliierten in Potsdam zugesichert worden ist, aber bereits gegenüber Polen nicht gehalten worden ist. – Wohin wird das führen?

Montag, 21. Januar 1946.     

     Heute das kleine Blumenstück begonnen u. die drei anderen Leinewände grundiert.

     Von Fritz kam eine Sendung von sechs kleinen Druckschriften von Reinhold Schneider aus dem Herder=Verlag. Die Schriften beschäftigen sich mit der gegenwärtigen Lage, doch müßten solche Sachen viel einfacher geschrieben sein. Es wird nicht allzuviele geben, die diese Sachen lesen können u. Nutzen davon haben. Der Gedanke, solch kleine Schriften von wenigen Seiten, die man bequem in einer halben Stunde lesen kann, herauszugeben, ist sehr gut, aber in dieser Weise ist er ein Schlag ins Wasser. An u. für sich sind die Sachen aber natürlich sehr gut.

     De Gaulle ist tatsächlich zurückgetreten. Da in Frankreich die Kommunisten die stärkste Partei sind, wird es dort wohl eine rein sozialistische Regierung der Kommunisten mit den Sozialdemokraten geben. Ob das irgendwelche außenpolitischen Folgen haben wird, muß man abwarten, doch glaube ich es nicht.

     Die Wahlen, die gestern in einem Teil von Groß=Hessen in den Gemeinden stattgefunden haben, haben bis jetzt eine starke Mehrheit für die Sozialdemokraten ergeben. An zweiter Stelle steht die christl-demokrat. Union. Die Kommunisten folgen in ziemlichem Abstand, während die Liberal-Demokraten nur wenige Stimmen bekommen haben. Am nächsten Sonntag wird ein weiterer Teil des Landes seine Gemeindevertretung wählen, da es sich dabei aber nun vorwiegend um Städte handelt, wird diese Tendenz kaum anders werden.

Dienstag, 22. Januar 1946.     

     Es ist seit einer Woche leider recht kalt geworden, wodurch erhöhter Kohlenverbrauch bedingt ist. Es sieht gar nicht so aus, als ob diese Kälte bald nachlassen wollte. Zum Glück war vor einigen Tagen der Kohlenhändler Schütz aus Niehagen hier, der gern für sich u. seine Frau Schuhe haben möchte. Martha besitzt noch ein Paar gute Skischuhe u. ich selbst habe noch sehr gute, braune Halbschuhe. Die Bedingungen sind also günstig, sodaß ich hoffen kann, Kohlen zu bekommen.

     Das kleine Blumenstück verlangt seine Arbeit, es macht langsam Fortschritte, es ist aber garnicht so einfach, wie ich dachte.

     Die Russen haben beantragt, daß die Griechenlandfrage, wo immer noch englische Truppen stehen seit den Unruhen, die dort waren, vor den Weltsicherheitsrat gebracht werden soll. Es sieht das sehr nach Rache für Aserbeidschan aus. Der englische Rundfunk macht dazu bissige Bemerkungen.

     Von Emma Wendt heute Nachricht, nach der Ruth u. Erich eine Woche lang eingesperrt worden sein sollen. Wir warten gespannt auf Näheres durch Ruth selbst.

     Heute Abend wurden im englischen Sender Bestimmungen der interalliierten Militärkommission über den Arbeitseinsatz der Zivilisten durchgegeben, die sich getrost mit den schlimmsten Verordnungen des Hitler-Regimes vergleichen können. Alle Männer, – sofern ich recht verstanden habe –, vom 15. bis 60. Lebensjahr u. alle Frauen bis zum 50. Lebensjahr haben sich auf dem Arbeitsamt zu melden u. erhalten künftig nur Lebensmittelkarten, wenn sie die Bescheinigung des Arbeitsamtes über ihre Meldung vorlegen können. Kein Arbeitgeber [11] darf künftig Angestellte oder Arbeiter einstellen oder entlassen ohne Erlaubnis des Arbeitsamtes, wer dagegen verstößt, hat mit hohen Geldstrafen oder Gefängnis zu rechnen. Ich entgehe ja Gott sei Dank diesen Bestimmungen mit meinen 61 Jahren grade eben, aber man kann solche Verfügungen nur mit einem fröhlichen „Heil Hitler!“ beantworten. Diese Leute tun, was sie nur können, um den Nazigeist in Deutschland nicht sterben zu lassen; aber es scheint so, als ob sie garnicht anders können, die Verhältnisse sind stärker als sie.

     Ferner wurde durchgegeben, daß der Obergruppenführer Lorenz als Chef des Konzentrationslagers Oranienburg verhaftet worden sei. Es werden ihm nicht weniger als 20.000 Todesfälle zur Last gelegt. Endlich wird es also auch diesem Halunken an den Kragen gehen. Ich wußte übrigens garnicht, daß man diesem Kerl ein solches Amt angehängt hatte. Zu aller anderen Tätigkeit war er wahrscheinlich selbst den Nazis zu unfähig. Himmler, sein Freund, hatte ihn ja zum General der Polizei gemacht u. in dieser Eigenschaft ist er dann wahrscheinlich auch Chef von Oranienburg gewesen. Aber auch Herr v. Alvensleben war General der Polizei u. drückte sich in dieser Stellung vor der Front. Von ihm hat man noch nichts gehört. Seine sympatische Frau ist zu bedauern.

Mittwoch, 23. Januar 1946.     

     Ich habe gestern nicht richtig gehört: es haben sich alle Männer vom 14. bis 65. Lebensjahre auf den Arbeitsämtern zu melden, Frauen vom 15. bis 50 Lebensjahre. Ich gehöre also auch dazu. Es heißt allerdings: „alle arbeitsfähigen Männer“. Wegen meiner körperlichen Behinderung mag ich also vielleicht davon frei sein.

     Heute würde uns mitgeteilt, daß uns unser Fernsprecher wieder abgenommen wird, weil auf Befehl der Sowjetrussischen Militäradministration auf 400 Einwohner nur ein Anschluß entfallen darf.

     Von Fritz ein Brief Nr. 8. Brief Nr. 7. fehlt. Er schreibt etwas von einem „Sylvester-Zwischenfall“, von dem er wahrscheinlich in Brief 7 berichtet hat. Somit scheint er jetzt sehr eifrig dabei zu sein, seine Kenntnisse auf religiösem Gebiet zu verstärken, wozu er im Lager die allerbeste Gelegenheit hat. Es ist das überaus erfreulich.

     Deutschmann war bei mir u. bat mich um Bestätigung, daß er mir persönlich, wie auch der BuStu. wiederholt gegen die Nazis geholfen hat. Ich werde ihm diese Bestätigung sehr gern geben.

     Abends wird bekannt, daß in Frankreich doch kein Kommunist gewählt worden ist, sondern ein Sozialist.

     Am Nachmittag besuchte ich den seit langem schwer erkrankten Herrn Gläser, der nun aus dem Krankenhause wieder nachhause gekommen ist. Er ist 71 Jahre alt u. sieht sehr elend aus. Man weiß wohl nicht recht, was ihm eigentlich fehlt, wahrscheinlich allgemeine Unterernährung in Verbindung mit einer Grippe, die sein Gehirn ernsthaft bedroht hat. Diese Gefahr scheint aber vorüber zu sein, doch fürchtet er sehr einen Rückfall. Er macht sich Gedanken über seine u. seiner Frau völlige Hilflosigkeit im Falle eines solchen Rückfalles, der dann mit Irresein verbunden sein könnte u. der eintreten könnte grade in der Zeit zwischen 5 u. 9 Uhr, wenn kein Licht u. Strom ist. Auch macht er sich Gedanken über den Zustand seiner Frau, welche die Belastung mit Unglück u. zu großer Arbeit nicht mehr ertragen kann u. ebenfalls in Gefahr ist den Verstand zu verlieren. Dieser Zustand ist wirklich furchtbar. Ich werde öfter hingehen u. versuchen, ihn etwas zu zerstreuen, damit der Mann auf andere Gedanken kommt.

[12]
Donnerstag, 24. Januar 1946.     

     Heute Mittag kam ein Lastauto mit zwei Offizieren, einem Stabsfeldwebel u. 15 Mann bewaffneter Infanteristen aus Ribnitz. Die Leute gingen in zwei Abteilungen von Haus zu Haus, ließen sich die Ausweise vorzeigen u. gingen dann durch's ganze Haus, um überall die Nase reinzustecken. Unseren Radio-Apparat nahmen sie mit. Dann wollten sie die Schreibmaschine. Ich sagte, daß ich keine hätte. Sie suchten dann nach ihr, fanden sie aber nicht, obgleich sie in meinem Zimmer im Kasten ganz offen auf dem Fußboden stand. – Die andere Abteilung kam dann später ins kleine Haus, wo Meyers hausen. Der idiotische Sohn Wilhelm hatte natürlich seinen Ausweis nicht, er wird ihn irgendwo verkramt oder verloren haben. Ich wurde geholt u. sah zum ersten Male das Zimmer, in dem die Leute wohnen u. wo eine heillose Unordnung herrschte. Es gab viel hin u. her u. schließlich mußte sich Wilhelm anziehen u. wurde auf das Auto verladen. Ich weiß nicht, was die Russen mit ihm in Ribnitz anfangen wollen, aber so bald wird Wilhelm nicht wiederkommen, am Ende schicken sie ihn nach Rußland. Ich dachte, daß solche Sachen jetzt nicht mehr gemacht würden, aber man sieht, daß es immer noch dasselbe ist wie in den ersten Zeiten. – Jedenfalls sind wir nun unser Radio los u. da es auch keine Zeitungen gibt, höchstens solche, die man gelegentlich aus Berlin geschickt bekommt u. die dann mindestens vier Wochen alt sind, hat damit jede Verbindung mit der Außenwelt aufgehört. Die Borniertheit dieser russ. Methoden ist ungeheuerlich.

Freitag, 25. Januar 1946.     

     Vormittags war Koch-Gotha da. Das kleine Blumenstück war eben grade fertig bis auf einige letzte Pinselstriche. Koch-Gotha war überrascht u. sehr entzückt von diesem kleinen Bilde, das tatsächlich sehr schön geworden ist, vor allem sitzt es räumlich ausgezeichnet. – Ich zeigte ihm die anderen neuen Bilder: den „Apokalyptischen Einbruch“, die „Erlenlandschaft“ u. den „Propheten“. Besonders die Erlenlandschaft gefiel ihm wegen der Luft, die in diesem Bilde ist, aber auch der Prophet fand seinen Beifall, worüber ich überrascht war. Ich glaubte, daß er dieses Bild ablehnen würde. Ich zeigte ihm dann auch die Bleistiftskizze für den Christkönig. Das Bild machte auf ihn einen sehr starken Eindruck, er meinte, daß dies ein sehr großes Bild werden könnte. Ich hatte große Freude über die Anerkennung dieses Naturalisten, der ja über eine große Urteilsfähigkeit verfügt. Er erzählte mir übrigens, daß er vor 20 Jahren einmal eines meiner völlig abstrakten Bilder gesehen habe, welches einen so starken Eindruck bei ihm hinterlassen hätte, daß er dieses Bild heute noch deutlich vor sich sähe, obwohl er es, wie er zugab, nicht verstanden hätte.

     Nachmittags war ich bei Franz Triebsch. Seine Frau hatte mich durch Martha bitten lassen, ihn zu besuchen. Wir sprachen von allem Möglichen, zuletzt aber von Religion. Ich erzählte ihm, wie ich durch meine Firmung auf wunderbare Weise zum Glauben gekommen wäre. Er war davon sehr ergriffen u. sagte, daß er die Sehnsucht hätte, auch dahin zu kommen. Ich sagte ihm, daß ich ihm diesen Glauben nicht geben könnte, daß ich [13] aber gern bereit wäre, ihm die Grundlagen des Glaubens klar zu legen. Er wollte, wie er sagte, meine Zeit nicht beanspruchen; aber er war doch hoch erfreut. Seine Frau kann nun mit Martha das Weitere ausmachen. Beim Abschied –, ich war volle drei Stunden bei ihm –, war er offensichtlich sehr freudig bewegt, sodaß er meine Hand mit beiden Händen ergriff u. drückte.

     Uebrigens war auch Frau Gläser bei Martha u. hat gesagt, daß ihr Mann seit meinem Besuch wie ausgewechselt wäre, er hätte wieder Lebensmut. Tatsächlich sah ich ihn, als ich zu Triebsch ging, im Garten gehen u. kleine Stücke Holz sammeln. Er rief mich im Vorbeigehen an u. ich hatte auch den Eindruck, daß es ihm sehr viel besser ginge.

     Von Fritz hatten wir heute wieder einen Brief Nr. 9. Nr. 7 fehlt immer noch. Er schreibt jetzt mit viel Liebe von den religiösen Fortschritten, die er macht u. für die die Abgeschlossenheit u. Sammlung im Gefangenenlager überaus fruchtbar zu sein scheint. Das sieht er selbst ein u. dadurch findet er sich mit seinem Dasein leichter ab. Er klagt nur, daß er niemanden hat, mit dem er seine religiösen Gedanken besprechen kann, aber das ist kein Unglück, es vertieft seine Innerlichkeit viel besser, als wenn er gleich alles wegreden kann.

     Abends war Deutschmann da u. holte sich die politische Ehrenerklärung ab, um die er mich gebeten hatte. Er erzählte nebenher von den Gründen, weshalb Paul sich als Sekretär so unbeliebt gemacht hat. Paul hat eben, wie es seine Art ist, alles bürokratisch erledigt u. das Menschliche niemals berücksichtigt. Das stimmt schon, deshalb ist er ja auch tatsächlich selbst für die einfachsten Büroarbeiten in der BuStu. nicht zu gebrauchen. Was ihm in die Finger kommt, erledigt er stur u. gewissenhaft bis zum letzten Pünktchen, aber es fehlt leider nur die Seele.

Sonntag, 27. Januar 1946.     

     Gestern an Fritz geschrieben, weil ich Zeit hatte, da ich erst am Montag mit einem neuen Bilde beginnen will. Ich werde jetzt die Weihnachtskrippe malen, ein Bild auf das ich mich schon besonders freue.

     Die Andacht heute war wieder sehr voll u. sehr schön, obgleich einige unserer Freunde fehlten wie Carmen Grantz u. Frau Triebsch.

     Es ist dauernd sehr kalt draußen u. es geht beängstigend über unsere Kohlen her. Hoffentlich schickt Schütz bald den versprochenen Koks.

     Von unserem Freunde Mehlis, ehemals Stabsgefreiter in der Batterie, bekamen wir gestern einen Brief aus Gotha. Der arme Kerl ist, wie ich vermutet hatte, zuerst in Berlin, von wo er uns 2 x Postkarten geschrieben hatte, schwer krank geworden an Lungenentzündung u. hat fast 4 Monate im Krankenhause gelegen. Nun ist er in seiner Heimat im Thüringer Walde, wo er Erholung zu finden hoffte, aber er schreibt: „Ueberall, wohin ich komme, muß ich mir sagen lassen, daß ich hier nicht zuständig bin“. Er fährt fort: „Es ist wahrhaftig wenig erfreulich, daß ein entlassener Soldat um seine Lebensmittelkarten betteln muß, so war es in Berlin u. so ist es hier.“ – Er klagt sehr über allgemeine Körperschwäche, sodaß er in seinen Beruf als Seemann nicht zurückkehren kann, da er selbst leichte Arbeit kaum leisten kann. Ich hatte mir dergleichen gedacht u. ihm geschrieben, daß er mir sagen solle, ob er Geld brauche. Nun schreibt er, daß es seinem Vater z. Zt. nicht möglich wäre, ihm Geld zu schicken, da dieser in München in der amerikanischen Zone [14] wohnt u. man Geld von dort nicht in die russische Zone schicken kann. Er schickt mir einen Brief seines Vaters mit, in dem dieser ihm dies mitteilt. Unser diesen Umständen macht er jetzt von meinem Angebot Gebrauch u. bittet mich um Geld, das ich ihm gleich morgen senden werde. – Es wird schwer sein für viele dieser heimgekehrten Soldaten, wieder zurück zu finden, – so ging es mir auch im Jahre 1918, – u. so wird es auch Fritz gehen.

     An Mehliss u. an Dr. Krappmann geschrieben.

     Nachmittags waren Paul u. Grete hier. Belanglos.

Montag, 28. Januar 1946.     

     Heute das neue Bild „Weihnachtskrippe“ angelegt. Sieht sehr gut aus.

     Von Else ein Brief. Sie will wissen, daß Hermes u. Dr. Schreiber, die gewesenen Vorsitzenden des Christl-Demokrat.-Union s. Zt. von einem russischen Major ein fertiges Schriftstück vorgelegt bekommen hätten, nachdem beide Herren ihr Amt innerhalb einer Stunde niederzulegen sich verpflichteten. Ich habe davon bisher nichts gehört, jedoch klingt es sehr wahrscheinlich. Das ist russische „Demokratie“!

     Von Frl. Theodora + Maria Becker kam ebenfalls ein Brief, in dem sich folgender merkwürdige Satz befindet: „Nun haben uns die letzten Tage ja eine Nachricht, von ganz großer Bedeutung gebracht: Die bolschewistische Idee ist nun durch die christliche Idee besiegt. Stalin hat sich doch verrechnet. Mit Gottes Hilfe werden wir nun an den Neubau unseres Vaterlandes gehen voll dankerfüllten Herzens gegen Gottes geistige und gnädige Hilfe. Die russisch besetzten Zonen werden den Unterschied ganz besonders merken u. wir werden uns mit ihnen freuen. Viele unserer Verwandten in Rostock u. a. Städten haben schwer leiden müssen, so plötzlich ohne alle Mittel zu sein. Nun ist auch für sie die Wohnfrage gelöst“ – Was dieser Satz bedeuten soll, weiß ich nicht. Gleichzeitig höre ich aber von Frl. v. Tigerström, die gestern in Wustrow bei ihrer Kusine Evi Schönherr war, daß dort ein ehemaliger deutscher Offizier aus der englisch besetzten Zone angekommen sei, auf dessen Paß vermerkt ist, daß sich der Paßinhaber in Rostock in der „englischen Gesandtschaft“ zu melden habe. Frl. v. T. will das mit eigenen Augen gesehen haben. In Rostock gibt es aber keine englische Gesandtschaft. Sollten nun wirklich doch die Russen hier abziehen u. den Engländern Platz machen? – Die Damen Becker wohnen ebenfalls im englischen Gebiet in Wilhelmshafen. –

Dienstag, 29. Januar 1946.     

     Ich glaube, daß dies der beste 29. Januar gewesen ist, den Martha u. ich in diesen 25 Jahren, seitdem wir uns nun kennen, gefeiert haben.

     Gleich zum Frühstück trug uns unsere Trude ein Frühstück auf mit Bohnenkaffee, Butter u. für jeden ein Ei. Wir frühstückten im Atelier in der warmen Ecke bei der Heizung. Draußen war Tauwetter eingetreten u. es war warm im Haus. Nach dem Frühstück rauchte ich eine von den Weihnachts-Zigarren von Fritz. Obwohl Martha eine schlechte Nacht gehabt hatte, wurde sie während des Frühstücks zusehends besser.

     Später schrieb ich in meinem Zimmer einen ausführlichen Brief an Else. Mittags setzte uns Trude wieder ein fabelhaftes Essen hin mit Hirschfleisch, welches wir von Margot Seeberg für Schnaps bekommen hatten u. das Margot S. von den Russen erhalten hatte. [15] Dazu gab es grüne Erbsen aus einer Büchse u. nachher einen großartigen Flammerie mit Kirschsaft. Am Nachmittag tranken wir mit Trude u. Frl. v. Tigerström Kaffee mit Kuchen, den ebenfalls wieder Trude gebacken hatte. Abends aßen wir dann nur noch einige belegte Brote, die Trude uns zurechtgemacht hatte u. hinterher aßen wir den Rest des Kaffeekuchens auf u. tranken dazu eine Flasche Pommery. Wir ließen die Vergangenheit an uns vorbeiziehen, gedachten der Kinder u. waren voll Dankbarkeit gegen Gott. Morgen um 11 Uhr kommt P. Drost u. liest bei uns eine hl. Messe. – Schöner konnte es nicht sein. –

     Nachmittags gegen 4 Uhr gab es eine gewaltige Explosion, bei der das Haus schwankte. In der Gegend des Hohen Ufers stiegen riesige Rauchwolken auf, Frau Dr. Meyer, deren Mann hier grade gegen Typhus impfte, war bei Martha u. erzählte, daß zwei russ. Soldaten mit irgend welchen Sprengkörpern, die sie am Hohen Ufer gefunden hatten, gespielt hätten. Das Ding ist krepiert. Den einen Soldaten hat man als Leiche gefunden, der andere scheint mit in die Luft gegangen zu sein. –

     Ich las in einer Zeitung, daß im Januar u. Februar drei aufeinanderfolgende Konjunktionen von Mars u. Saturn stattfinden. Es wird da noch viele solche Unglücksfälle geben. Vor dem Kriege fand die große Konjunktion von Saturn mit Jupiter statt, die mir selbst aber kein Unglück gebracht hat, sondern vielmehr großes Glück, die Verheiratung mit Martha. Es scheint so, als hätten sich Saturn u. Jupiter in meinem Horoskop nun ausgesöhnt u. Saturn kann dann der große Glücksbringer für mich werden. Es ist nun schon 22 Jahre her, daß ich mich mit diesen Dingen befaßte u. voll Sorge über die Rolle dieses Planeten in meinem Leben grübelte. Heute sehe ich mit Staunen, wie all diese sehr unglücklichen Konstellationen meines Horoskops sich zu meinem Glück ausgewirkt haben. Gottes Fügungen sind wunderbar u. man kann nur erschüttert vor dieser unergründlichen Vorsehung stehen, die alles zum Besten wendet.

     Von Fritz erhielt ich heute ein Päckchen mit 2 Paketen schweizer Stumpen. Ein rührender Kerl! –

Mittwoch, 30. Januar 1946     

     Pünktlich um 11 Uhr traf P. Drost von Wustrow kommend ein, wo er morgens schon eine hl. Messe zelebriert hatte. Das Wetter war sehr schlecht geworden u. wurde im Laufe des Tages noch schlechter mit Sturm u. Schneematsch. – Nach der Messe zeigte ich ihm meine Bilder, die er mit steigendem Verständnis aufnimmt. Mittags war er bei Frau Longard, nachmittags bei Triebsch, der nun offen seinen Willen kundtat, katholisch zu werden. Er war auch in der Messe. – P. Drost wollte eigentlich noch heute nach Wustrow zurück, ließ sich aber vom schlechten Wetter bestimmen, lieber hier zu übernachten u. morgen früh nach Wustrow zu gehen, von wo er mit dem Autobus nach Ribnitz zurückfährt. So hatten wir Gelegenheit, uns am Abend noch mit ihm zu unterhalten, was stets sehr fruchtbar ist.

     Heute erhielt ich auch das Petrusblatt. Der Verlag teilt mir mit, daß er mir nun jede Woche 10 Exemplare schicken werde.

     Auch von Fritz ein Brief Nr. 10. vom 16. Januar.

[16]
Donnerstag 31. Jan. 46.     

[16]      Heute erhielt ich bereits die neueste Nummer des Petrusblattes. Die Lieferung läuft also offenbar vorzüglich.

     Ich habe heute beim Verlag „Der Tagesspiegel“ auf dieses Blatt abonniert, es scheint ja, als ginge das schon, wenigstens sagte mit P. Drost, daß er auch abonniert sei u. die Zeitung regelmäßig bekomme. – P. Drost ist heute früh in aller Stille wieder gegangen.

     Ich malte heute an der Weihnachtskrippe, die anscheinend keine Schwierigkeiten bereitet.

     Abends Zeitungen gelesen, Berliner Blätter, die uns Frau Schneider gegeben hat. Wenn die Blätter auch recht alt sind, enthalten sie doch viel Interessantes so z.B. einen Bericht über einen Vortrag, den Karl Barth in der berliner Universität halten sollte, aber nicht halten konnte, weil er nicht nach Bln. durchkam. Wahrscheinlich wurde er von den Russen gehindert. So wurde ein anderer Vortrag von ihm vorgelesen, der sich mit den Aussichten Deutschlands befaßt u. nicht grade ermutigend klingt. Man versteht nicht recht, warum man grade zur Eröffnung der Universität diesen Vortrag verlesen konnte, obwohl er in der Sache durchaus richtig ist. Barth ist der Meinung, daß Deutschland nur zwei Wege hätte, um zu gesunden: 1) eine wirkliche Umkehr in seinem Denken u. entschlossene Hinwendung zur Demokratie in der Form, wie sie in der Schweiz bestehe 2) ein vorbehaltloses Bekenntnis zur evangel. Kirche. Barth meint, daß dieses Letztere angesichts der kirchlichen Zersplitterung in Deutschland nicht zu erwarten sei, das erstere aber hält er angesichts der deutschen Mentalität für unmöglich. Es ergibt sich daraus, daß Karl Barth für Deutschlands Zukunft nicht fünf Pfennige mehr zahlt, – u. damit dürfte er m. E. wohl recht haben. Ich kann auch nicht einsehen, wozu dieses Volk als Nation eine Zukunft haben sollte. Zwar beteuern alle vier sog. antifaschistischen Parteien in ihren Zeitungen eifrig, daß die Einheit Deutschlands unbedingt gerettet werden müsse u. sie nennen jeden, der anderer Meinung ist, einen Reaktionär u. Hochverräter – (seit wann haben denn deutsche Reaktionäre nicht die Einheit des Machtstaates Deutschland gewollt?) aber die KPD. tut alles, um einen möglichst engen Anschluß mindestens Ostelbiens an Rußland zu betreiben, u. wie die anderen stehen, das wird sich wohl erst nach Friedensschluß erweisen! – Jedenfalls sind sich jetzt alle Zeitungen einig in einem wüsten Geschimpfe auf den Tagesspiegel, der dieses ganze Parteiengewäsch nicht mitmacht, sondern sich das demokrat. Recht herausnimmt, zu sagen, was er denkt.

     Im Petrusblatt ein schöner Artikel über die Mutter Papst Pius X.

     Ich benutze die längeren Tage, die einem das Lesen am Nachmittag wenigstens fristweise erlauben, um endlich die „Mysterien des Christentums“ von Scheeben zu lesen, ein Buch, welches Pfr. Dobzcynski mir hinterlassen hat u. das nun schon seit zwei Jahren ungelesen im Regal steht. Die Kriegszeit gewährte für solch schwere Lektüre zu wenig Ruhe.