TBHB 1946-01-19
Einführung
Der Artikel TBHB 1946-01-19 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 19. Januar 1946. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.
Tagebuchauszüge
[1] Gräff brachte die Grundierfarbe gestern natürlich nicht, er schickte sie erst gestern Abend, sodaß ich heute erst zum Grundieren der Leinewände kommen werde. Ich schrieb an Fritz über das Evangelium.
Das Christusbild machte sehr große Schwierigkeiten. Ich mußte es immer wieder von Grund auf ändern u. rang mit ihm in immer erneutem, anhaltendem Gebet, wozu ich die Stunden der Dunkelheit zwischen 4 – 9 benutzte, die überhaupt hierzu sehr geeignet sind; aber auch des Nachts betete ich viel, da mich die Gedanken nicht schlafen ließen. Gestern nachmittag fiel mir nun während des Gebets die richtige Lösung ein, die ich dann abends vor dem Schlafengehen noch ausführte. Jetzt sitzt die Zeichnung tadellos, ihre verblüffende Einfachheit ist der beste Beweis für ihre Richtigkeit.
Die Komposition eines solchen Bildes ist sehr geheimnisvoll u. erscheint mir stets wie ein Wunder. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte u. keine errechenbaren Gesetze, nach denen die Linien grade so sein müssen, u. doch gibt es immer nur diese eine einzige Lösung, die man eben finden muß. Alle anderen Lösungen sind falsch oder mindestens unvollkommen, aber weshalb sie das sind, kann ich nie sagen, es gibt keine Gründe dafür. – Das Suchen nach der richtigen Lösung hat Ähnlichkeit mit dem Zustande, den Johannes vom Kreuz „Die Nacht des Glaubens“ nennt. Auch im Glauben gibt es keinerlei Beweismittel, man muß sich dem Glauben bedingungslos hingeben, ohne sich am sicheren Geländer des Verstandes festzuhalten. Es ist das ein beängstigender Zustand, den Joh. v. Kr. eben „Nacht“ nennt, was überaus treffend ist. Auch beim Komponieren eines Bildes tappt man völlig im Dunkel u. das Schlimme ist, daß sich das jedesmal wiederholt. Man sollte meinen, daß sich die Sache lernen ließe, sodaß man es mit zunehmender Erfahrung dann [2] leichter hätte; aber davon ist keine Rede. Der einziger Vorteil, den ich mit zunehmendem Alter habe, ist der, daß ich mißtrauischer gegen meine eigene Arbeit bin u. daß ich heute leichter u. rascher erkenne, was falsch ist. Früher gefiel mir immer das, was ich da entwarf, ausnehmend gut u. ich fing dann gleich mit Malen an, weil ich glaubte, alle Schwierigkeiten gelöst zu haben. Aber beim Malen traten dann langsam die Schwierigkeiten hervor, die ich vorher nicht gesehen hatte, u. nun war es immer eine furchtbar anstrengende Arbeit, die Komposition umzuändern. Meist war es garnicht möglich u. so blieben die Bilder unbefriedigend u. nur halb gelöst. Auch jetzt gefällt mir das, was ich mache, in der ersten Fassung meist sehr gut, denn es entspricht ja dem, was ich wollte; aber ich weiß heute, daß es deshalb noch längst nicht dem entsprechen muß, was das Bild will, ja, daß es dem sogar zumeist direkt widerspricht. Es kommt aber darauf an, was das Bild will, wenn man das nicht herausbringt, kann nichts daraus werden. Ich habe also die Erfahrung, daß man die erste Fassung erst stehen lassen muß, bis die eitle Freude am eignen Werk verklungen ist, erst dann beginnt die Stimme des Bildes hörbar zu werden, – u. diese Stimme protestiert meistens. Es kommt darauf an, diese Stimme zu verstehen, u. das ist eben das Allerschwerste beim künstlerischen Schaffen.