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TBHB 1946-01-20

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1946-01-20
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Entstehungsdatum: 1946
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Originaltitel: Sonntag, 20. Januar 1946.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 20. Januar 1946
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Einführung

Der Artikel TBHB 1946-01-20 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 20. Januar 1946. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Sonntag, 20. Januar 1946.     

[1]      Gestern kam ein sehr netter Brief von Dr. Krappmann aus Kiel, der nun doch wohl eine Möglichkeit gefunden hat, in der Universität Kiel als Dozent Beschäftigung zu finden. Ferner eine Karte von Pater Drost, daß er am Mittwoch den 30. Januar um 11 Uhr Vorm. bei uns eine hl. Messe lesen wird, nachdem er vorher in Wustrow Gottesdienst gehalten hat.

     Vom Kulturbunde bekam ich die Nachricht, daß ich nun endlich in die Sektion für bildende Kunst aufgenommen worden bin, ohne mich vorher der Jury zu unterwerfen.

     Nachmittags evangelischer Gottesdienst in der Schule mit Pfr. Pleß. Er sprach wieder sehr gut, obgleich er den Inhalt des heutigen Evangeliums der Hochzeit von Kana bei weitem nicht erschöpfte. Er wußte nur zu sagen, daß das mit den Reinigungskrügen angedeutete jüd. Gesetz zwar seine Gültigkeit behalten, aber mit dem Geiste Christi gefüllt sei. Mir selbst ist es heute morgen sehr gut gelungen, dieses Evangelium auszuschöpfen u. was ich dazu gesagt habe, war bestimmt sehr viel inhaltsreicher. Mein Gedanke fand seinen Höhepunkt darin, daß Maria = Kirche mit ihrem Wort an den Speisemeister: „Tuet, was er euch sagen wird“ inmitten des Lärms dieser weltlichen Hochzeit einen stillen Raum des Aufmerkens u. der Sammlung schafft, in dem dann die geheimnisvolle Hochzeit Christi mit den Gläubigen vor sich geht. –

     Nach dem Gottesdienst kam Margot Seeberg mit zu uns u. das Gespräch kam darauf, daß die jungen Menschen in Deutschland offenbar mit Recht keine Hoffnung sehen, den Neuaufbau Deutschlands für möglich zu halten, solange die gegenwärtigen Zustände der Besatzung u. des Fehlens jeder Regierung andauern. Anstatt Demokratie wird dadurch der heimliche Nazigeist wieder gestärkt. Dasselbe schreibt Dr. Krappmann. Er zitiert den Monolog Hamlets: „Sterben! – Schlafen! – Nicht mehr sein! – Im Schlaf dem Herzweh ein Ende bereiten u. den tausend Bedrängnissen des irdischen Lebens!“ – Ja, das ist wohl die Stimmung sehr weiter Kreise in Deutschland u. so viel man hört, scheint die Selbstmordwelle in Deutschland noch längst nicht abebben zu wollen, im Gegenteil! – Auch Krappmann [2] schreibt von seiner Lebensmüdigkeit, es habe sich, meint er, „so wenig geändert, im Großen wie im Kleinen“. Besonders erschreckt ihn die neuerliche Ausbreitung des Nazigeistes, man baue, meint er, die Nazibeamten ab, aber gleichzeitig werde die breite Masse von Tag zu Tag mehr vom Nazigeist erfaßt. Man sagt, daß die Nazis für Ernährung u. Heizung gesorgt hätten, während die jetzigen Machthaber das Volk hungern u. frieren lassen, während sie selbst gut leben. Dazu kommt die Legende, von der ich ja schon öfter gehört habe, daß die Nazis den Krieg gewonnen hätten, wenn die Offiziere u. Wirtschaftsführer nicht Sabotage getrieben hätten. Es ist also wieder die alte Dolchstoß-Legende von 1918. – Das Schlimme ist, daß man diesen Dingen nicht entgegentreten kann, weil unsere wirtschaftliche Not wahrscheinlich noch größer werden wird bei einer gleichzeitigen Ueberfüllung des Lebensraumes durch die Ostflüchtlinge mit ihrem furchtbaren Elend. Es ist in der Tat zu fürchten, daß diese Dinge eines Tages zu einer Explosion führen müssen, denn auch das geduldigste Volk kann das auf die Dauer nicht aushalten. Dabei scheint wieder wie 1918 Frankreich dasjenige Land zu sein, welches in seinem Haß gegen Deutschland keine Grenzen kennt u. die Dinge auf die Spitze treibt. Diesmal ist dieser Haß ja leider allzu begründet, denn wir haben dort böse gehaust u. das französische Volk furchtbar geschädigt, besonders durch die Deportation von Arbeitern nach Deutschland, wo furchtbar viele zugrunde gegangen sind. In der kleinen Monatsschrift „Neue Auslese“, die mir Dr. Krappmann schickte, ist ein Artikel einer Französin Claire Davinroy abgedruckt. Sie hat furchtbare Erlebnisse im Konzentrationslager von Ravensbrück durchmachen müssen u. bezeichnet die Deutschen mit den Worten „Heuchelei u. Grausamkeit“, wohl gemerkt: die Deutschen, – nicht bloß die SS u. die Nazis. Und das ist das Furchtbare: die Nazis haben den deutschen Namen so durch den Dreck gezogen, daß wir wohl auf lange Zeit hinaus in der ganzen Welt nur als eine minderwertige Rasse angesehen sein werden. Und – vielleicht haben sie Recht. – Auf jeden Fall wird, wenn nicht bald eine Entspannung, – oder nur ein Nachlassen der Spannung eintritt, Schlimmes zu befürchten sein. So, wie es ist, kann es nicht mehr lange weitergehen; aber es wird ja noch viel schlimmer werden, nachdem jetzt der Abtransport der aus dem Osten ausgewiesenen Deutschen wieder aufgenommen werden soll. Diese Menschen sollen nun in die englische Zone verfrachtet werden.

     Dabei kriselt es bei den anderen bedenklich. In Amerika sind Riesenstreiks ausgebrochen u. die amerikanischen Besatzungssoldaten in Deutschland verlangen ihre Entlassung. Heute abend wurde durchgegeben, daß in Frankreich eine Regierungskrise urplötzlich ausgebrochen sei u. das General de Gaulle zurückgetreten wäre. Von russischen Soldaten hört man ebenfalls hier u. da sehr bedenkliche Äußerungen über ihre Regierung u. über Stalin. Der sog. Weltsicherheitsrat, der sich innerhalb der Vereinten Nationen in dieser Woche erst gebildet hat u. sozusagen noch nicht Papier u. Bleistifte besitzt, soll sich nun bereits schon mit dem russisch-persischen Konflikt wegen Aserbaidschan beschäftigen u. das wird eine recht kitzelige Sache werden. Man kann sehr gespannt darauf sein, wie diese Geschichte ausgeht, bei der ja der Gegensatz England-Rußland offen am Tage liegt. – Es sieht alles sehr beängstigend aus. Frankreich will u. besteht auf der Abtrennung des Ruhr- u. Saargebietes von Deutschland u. verhindert vorher jede Zentralregierung, wogegen alle deutschen Parteien die Unverletzlichkeit der alten Reichsgrenzen [3] auf ihrem Programm stehen haben, die auch z.Zt. tatsächlich von der Konferenz der Alliierten in Potsdam zugesichert worden ist, aber bereits gegenüber Polen nicht gehalten worden ist. – Wohin wird das führen?