Zum Inhalt springen

TBHB 1946-02

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: TBHB 1946-02
Untertitel:
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1946
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Vorlage:none
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort:
Übersetzer:
Originaltitel: Februar 1946
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom Februar 1946
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
unvollständig
Dieser Text ist noch nicht vollständig. Hilf mit, ihn aus der angegebenen Quelle zu vervollständigen! Allgemeine Hinweise dazu findest du in der Einführung.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


Einführung

[Bearbeiten]

Der Artikel TBHB 1946-02 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Februar 1946. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 15 Seiten.

Tagebuchauszüge

[Bearbeiten]
[1]
Freitag, 1. Februar 1946.     

[1]      Heute war ich bei Triebsch in der Absicht, ihm religiöse Hilfen zu geben in seinem Bestreben, den katholischen Glauben anzunehmen. Es war nicht ganz einfach, [2] da Triebsch offenbar die Vorstellung hat, daß sich das in Form einer gewöhnlichen Unterhaltung machen ließe, sodaß ich gezwungen bin, das Gespräch langsam dahin zu lenken, wohin ich es haben will. Das ist sehr anstrengend u. erfordert starke Konzentration, die mir ja nicht immer zur Verfügung steht, z.B. grade heute nicht. Immerhin brachte ich es doch zuwege, von dem zu sprechen, wovon ich sprechen wollte; ob es aber auch in der Zukunft so gehen wird, weiß ich nicht.

     Vom Kulturbund erhielt ich heute unaufgefordert eine Bescheinigung, daß ich ein anerkannter Künster sei u. mir die Lebensmittelkarte für Arbeiter zustehe. Nun sind aber heute hier bereits die Lebensmittelkarten ausgegeben worden u. ich habe wieder bloß die Angestelltenkarte bekommen. Hoffentlich läßt sich dieselbe morgen noch umtauschen. Es wäre das um so erwünschter, da uns heute ein neues Brot aus der Brottrommel in der Küche gestohlen worden ist, unmittelbar nachdem Trude das Brot vom Bäcker geholt hatte. Es kann also nur gestohlen worden sein von jemandem, der in unserer Küche bescheid weiß u. der gesehen hat wie Trude vom Bäcker kam. Da, so viel Trude u. Martha sagen, zu der Zeit kein Fremder im Hause war, kann es sich nur um den Idioten Wilhelm Meyer handeln.

     Ferner schrieb mir der Geschäftsführer der Sektion für bild. Kunst, daß er hoffe, Mitte Februar mit Erichson zusammen auf das Fischland zu kommen, um die Kollegen hier kennen zu lernen u. ihnen einen Bericht über die bisherigen Arbeiten u. Pläne der Sektion zu geben. Er wird den „Kunsthändler der Sektion, Herrn Weiß“, mitbringen. Er bittet mich, hierfür die Vorbereitungen zu treffen, wie auch dafür, daß einer der Kollegen den Schriftverkehr mit der Sektion u. die laufende Unterrichtung der Kollegen übernimmt. Der Mann denkt sich das sehr einfach, aber die räumliche Ausdehnung von Wustrow bis hierher ist beträchtlich.

     Von Fritz zwei Päckchen. Eines wieder mit den kleinen Schriften des Herder Verlages u. eines mit Schweizer Stumpen.

     Heute war unaufhörlicher Regen u. es war so dunkel, daß ich schlecht malen konnte. Dennoch macht das Krippenbild gute Fortschritte, Schwierigkeiten sind immer noch nicht aufgetreten.

Sonnabend, 2. Februar 1946.     

     Heute an Mariä Lichtmeß hatten wir das herrlichste Frühlingswetter, meist klarer Sonnenschein u. warm, sodaß ich Mittags den Ofen ausgehen ließ.

     Nachmittags kamen Marthas Mitarbeiterinnen, u. wollten etwas über moderne Malerei hören. Ich zeigte ihnen einige Bilder u. hielt ihnen einen Vortrag, der anscheinend gut aufgenommen worden ist, obgleich ich nicht recht wußte, was ich sagen sollte u. mich schrecklich quälte. Alle versicherten, daß sie verstanden hätten. Ob es wahr ist, weiß ich nicht. –

     Das Krippenbild macht Fortschritte. Ochs u. Esel im Hintergrunde haben mich heute den ganzen Vormittag beschäftigt. Es ist viel schwerer, das zu malen, was man nicht sehen darf, als das was vorn im Vordergrunde im Lichte steht. Ich glaubte aber, daß ich die beiden Tiere, von denen nur die Köpfe zu sehen sind, ganz gut hingekriegt habe.

[3]
Sonntag, 3. Februar 1946.     

     Nachmittags bei Koch-Gotha. Ueberaus morastiger Weg, der besonders auf dem Rückwege schlimm war, da es inzwischen dunkel geworden war u. zu regnen angefangen hatte.

     Das Haus liegt am Bodden unmittelbar hinter dem Deich, von dem es nur durch einen schmalen Weg getrennt ist. Koch-Gothas Arbeitszimmer liegt rechts vom Hauseingang u. hat ein Fenster nach Osten zum Deich, der den Blick auf den Bodden versperrt, u. zwei Fenster nach Süden. Das Zimmer ist nur klein, aber wohl das größte in dem kleinen ehemaligen Fischerkaten, der so tief liegt, daß er eben noch mit knapper Not über dem Spiegel der jetzt überschwemmten Wiesen liegt. Außerdem ist das Zimmer sehr voll. Eine sehr große Zeichenplatte nimmt den Hauptplatz ein. Sodann steht ein sehr hübsch bemalter, alter Bauernschrank dort, sowie Regale, kleinere Behälter, Stühle u. eine Staffelei. Es bleibt nicht viel Raum, um sich zu bewegen.

     Koch-Gotha zeigte bereitwilligst seine zahlreichen Zeichnungen, die den Rest eines großen Reichtums bilden, der in Berlin verbrannt ist. Er hat dort sehr viel verloren, denn er besaß dort ein großes Bilderarchiv, das er für seine Illustrationen sehr brauchte. Er zeigte einige frühe Zeichnungen aus dem Jahre 1896, dem Jahre, als ich ins Kadettencorps kam u. ich 10 Jahre alt war. Schon damals waren es Zeichnungen von Soldaten im Manöver, noch ungeschickt, aber doch schon seine spätere Art erkennen lassend. Er zeigte alles, was er hatte, wobei sehr schöne Sachen waren, vor allem eine Scene aus einem Berliner Karneval. Die Zeichnung zeigt die Brüstung einer Loge, in der ganz am Rande rechts u. links ein Herr u. eine Dame sitzen, bereits reichlich betrunken, albern kostümiert, blöde u. bösartig, entsetzlich gelangweilt. Auf dem Tisch zwischen den beiden steht eine Batterie von Sektflaschen, zwei oder drei Luftballons schweben darüber u. dahinter im Hintergrunde zwei betrunkene ältere Herren, wohl die Väter, die eifrig über das Geschäft sprechen. Dieses Blatt ist von sehr großer Schönheit.

     Ferner gefielen mir Blätter aus Paris, französische Kürassiere in ihren weißen Mänteln, die aus der nächtlichen Dunkelheit herangeritten kommen an ein nicht sichtbares Lagerfeuer, u. wieder im Dunklen verschwinden. Solche nächtliche Bilder waren mehrere da, überaus eindrucksvoll. Daneben auch Landschaften hier aus der Gegend, auch aus Polen vom 1. Weltkriege her, u. einzelne überaus zarte u. feine Pflanzen-Zeichnungen, in Aquarellfarben. Es war recht interessant. Sehr hat mir imponiert, wie all diese Zeichnungen in tadellosen Passepartouts waren, sehr sauber mit schwarzen Strichen eingerahmt, zuweilen auch mit schmalen Streifen von Gold-oder Silberpapier. Ich müßte das gelegentlich mit meinen Zeichnungen auch so machen.

     Koch-Gotha erzählte, daß in diesen Tagen der Kommandant von Ribnitz im Auto bei Prof. Marks vorgefahren sei u. ihm ein Atelier in Ribnitz angeboten habe. Marks habe gesagt, er wolle lieber in Althagen wohnen bleiben, da sonst sein Haus beschlagnahmt werden würde für Flüchtlinge. Darauf habe der Kommandant gesagt, Marks könne doch seine Schwester aus Lübeck kommen lassen u. in das Haus setzen. Der Kommandant [4] habe Marks dann noch eine große Wurst u. a. Lebensmittel geschenkt. – Wie kommt der Kommandant dazu? u. woher weiß er, daß Marks eine Schwester in Lübeck hat? Es handelt sich offensichtlich darum, daß Marks einen Ruf nach Hamburg erhalten hat u. die Russen wollen nun verhindern, daß er dorthin geht, teils, weil sie nicht wollen, daß ein namhafter Künstler aus ihrer Zone fortgeht zu den Engländern. Sie sind sehr eitel u. fürchten, daß sie in den Ruf der Kulturlosigkeit kommen, wenn namhafte Künstler abwandern, aber bis dahin haben sie sich um Marks nicht gekümmert u. garnichts von ihm gewußt. Teils fürchten sie wohl auch, daß Leute wie Marks bei den Engländern erzählen könnten, wie es hier in der russ. Zone wirklich aussieht.

     Nachdem wir die Zeichnungen gesehen hatten, tranken wir Tee, u. zwar sehr guten, in einem anderen Zimmer auf der gegenüberliegenden Seite des Hauses. Es ist alles sehr eng, aber sehr wohnlich. Die Tochter machte die Wirtin. Frau Koch war etwas unglücklich, daß nun keine Zeit mehr war, auch noch ihre Bilder zu zeigen.

     Vormittags schrieb ich an Fritz. –

     Von der Gemeinde habe ich nun doch noch eine Arbeiter-Lebensmittelkarte bekommen.

     Dr. Krappmann sandte mir eine kleine Schrift, die als Heimatgruß an die Deutschen Kriegsgefangenen als Weihnachtsgabe der Kirche versandt worden ist mit einem Geleitwort von Bischof Dr. Wilhelm Berning von Osnabrück u. Beiträgen von Guardini, Bergengrün, Herm. Hesse u. anderen.

Montag, 4. Februar 1946.     

     Am Bild gearbeitet. Sehr schwer. Die Tiere im Hintergrunde, besonders der Ochse, wollen nicht im Dunklen verschwinden. Maria u. Joseph sind ebenfalls schwer in den Raum hinein zu bringen, ich muß wohl morgen erst mal die Krippe so weit fertig machen, daß die dahinter stehenden Figuren ihre richtigen, räumlichen Werte bekommen. Wie hat nur Rembrandt solche Sachen gemacht! – Außerdem bin ich seit einigen Tagen erkältet, nicht schlimm, aber genug, um meine Kraft zu lähmen.

Dienstag, 5. Februar 1946.     

     Heute zwei Briefe von Fritz, Nr. 11 u. dann der Nr. 7, der bisher überfällig war u. von der amerikan. Zensur geöffnet worden ist. Dieser enthält jene Sylvester-Affaire, die darin bestand, daß die Wachmannschaften sich betrunken hatten u. in ihrer Besoffenheit Ausschreitungen an den Gefangenen verübt haben.

     Der andere Brief Nr. 11. ist an mich persönlich gerichtet u. enthält ein ganz rührendes Bekenntnis zu mir. Er ist geschrieben aus einer ganz spontanen Stimmung heraus u. so echt u. herzlich, daß ich ihn nur mit tiefster Bewegung lesen konnte. Dieser Brief ist eine Rechtfertigung für mich, die mich teils beschämt, teils aber mit ganz großer Freude erfüllt, beweist er doch, daß meine wirkliche Tochter im Unrecht mir gegenüber ist. Gott möge ihr verzeihen, wie auch ich ihr verzeihe, denn sie ist ja in erster Linie das unglückliche Opfer ihrer Mutter; aber Fritz ist nun in meinem Herzen so, wie ich gern im Herzen meines eigenen Vaters gewesen wäre. Durch diese Liebe von Fritz zu mir wird sehr viel geschehenes Unrecht wieder gut gemacht. Gott sei Dank! [5] An der Weihnachtskrippe gemalt. Die Figuren kommen jetzt langsam ins Bild. Obwohl es auch heute wieder meist sehr dunkel war, bin ich doch ein gutes Stück vorwärts gekommen.

     Heute sind die Russen im Monheim'schen Hause abgerückt u. es scheint so als kämen nun keine neuen mehr her. Auch in Althagen scheinen kaum noch Russen zu sein. Als wir am Sonntag zu Koch-Gotha gingen, sahen wir, daß die ehemalige Batterie ziemlich demoliert ist. Sie wurde seit Beginn des Winters von den Russen nicht mehr benutzt, diese wohnten in den Häusern am Hohen Ufer, es scheint, daß die Bevölkerung sich jetzt aus den Baracken herausholt, was sie braucht.

Mittwoch, 6. Februar 1946.     

     Von Ruth nach langer Zeit wieder ein Brief, der ziemlich hastig ist u. den Eindruck macht, als hätte sie viel zu viel Arbeit u. zuhause keine Entspannung. Die Entfremdung gegenüber Erich, von der sie seither nichts mehr geschrieben hatte, besteht unvermindert fort, hat vielleicht noch zugenommen, da Erich selbst, wie es scheint, sich keine Mühe gibt u. wieder ganz in seine egozentrische Haltung zurückgefallen zu sein scheint. R. schreibt, daß Erich im Februar „auf Urlaub zum Skilaufen“ gehen will u. daß sich die ganze Familie darauf freut! Nun ja, mag sein, – aber daß dieser Mann zum Skilaufen will u. seine überarbeitete Frau allein läßt, – das läßt doch tief blicken. Und dann überhaupt: in dieser Zeit Skilaufen! – Hat der junge Mann denn überhaupt kein soziales Verantwortungsbewußtsein? Geniert er sich nicht vor dem grauenvollen Elend der Ostflüchtlinge?

     Von Fritz wieder ein Päckchen mit kleinen Herder=Schriftchen, lauter schon bekannte Sachen, die wir weitergeben.

     Heute wurde mir erzählt, daß Herr v. Achenbach sich auf einer Versammlung der 3 oder 4 Kommunisten, oder vielmehr: Kommunistinnen, in Ahrenshoop u. Althagen über mich geäußert hat: ich hätte in meiner Bürgermeisterzeit die Nationalsozialisten begünstigt. Nach u. nach erkenne ich mehr u. mehr, wes Geistes Kind dieser Herr ist, von dem mir der kranke Herr Glaeser, den ich heute besuchte, sagte, daß er ihm 26,– Rm. für erteilten russischen Unterricht schulde. Er ist jetzt in Rostock Geschäftsführer des Kulturbundes geworden u. hat sich nach dort begeben, jedoch ist seine Familie nach wie vor hier.

     Im Monheimschen Hause sind neue Russen. –

     In meinem Bilde bin ich heute mit dem linken Hirten in den Vordergrund vorgebrochen u. hoffe, von hier aus dem Ochs u. dem Esel beikommen zu können, die sich einer organischen Einfügung immer noch hartnäckig widersetzen. Morgen werde ich den rechten Hirten angreifen u. dann hoffentlich zur endgültigen Lösung kommen.

Donnerstag, 7. Februar 1946.     

     Der rechte Hirte sitzt. Auch die Krippe ist fertig. Ochs + Esel sind nun endlich im Raum. Morgen werde ich wohl letzte Hand anlegen, die Glaskugeln müssen noch einmal übermalt werden zusammen mit den Zweigen der Tanne. Dieses Bild ist wieder sehr schön geworden.

     In der „Guten Laune“ ist eingebrochen worden, alle Kleider [6] u. Mäntel der Frau Kahl, die verreist ist, sind gestohlen, darunter ein sehr wertvoller Pelz. Die Frau K. wird ja ein furchtbares Geschrei erheben, wenn sie wiederkommt, denn sie ist schrecklich geizig u. besitzgierig. Sie ist nach Berlin gefahren, um nach ihren Sachen zu fahnden, die ihr aus ihrem dortigen Hause von einer ungetreuen Mieterin gestohlen worden sind. Während sie dort auf der Jagd nach ihrem Eigentum ist, wird ihr hier alles gestohlen. Diese Frau ist eine sehr heuchlerische Katholikin, die zuweilen in unsere Andacht kommt u. nachher gefühlvolle, fromme Sprüche macht; aber sie ist einmal geschieden von einem Mann, den sie des Geldes wegen geheiratet hatte u. der sich nachher, wie sie sagt, „als krasser Materialist“ erwiesen habe. Natürlich, woher sollte er denn sonst das viele Geld hergehabt haben. Herr Kahl, mit dem sie jetzt verheiratet ist, ist Protestant u. ein nicht geringerer Materialist, der vielleicht nicht so viel Vermögen besaß wie jener erste, aber sehr viel verdiente. Damit wird es nun auch vorbei sein. – Gottes Wege! –

Sonnabend, 9. Februar 1946.     

     Gestern Abend fand die übliche Winter-Einladung zu Neumanns statt. Es gab gebackene Leber mit Kartoffelsalat, nachher eine vorzügliche Apfelspeise, alles in den gewohnten Massen. Neumanns sind eifrig beim Herrichten dessen, was noch übrig geblieben ist vom Kurhause u. hoffen auf den sommerlichen Besuch von einigen ihrer treuesten Gäste. Falls sich die Verhältnisse bis dahin etwas ändern, mag diese Hoffnung sich erfüllen, aber so lange die Russen hier sind, kann ich es mir nicht vorstellen.

     Gestern wurde nun auch die „Weihnachtskrippe“ fertig. Es ist ein schönes Bild geworden. Ich habe 10 Tage daran gearbeitet.

     Heute vor einem Jahr starb der alte Neumann. Frau N. machte gestern einen recht ernsten Eindruck, nicht bloß, weil sie schwarz angezogen war.

     Zur Feier der Vollendung des Krippenbildes tranken wir gestern Nachmittag eine Tasse Bohnenkaffee, was auch für den abgesehen vom Essen stets etwas langweiligen Abend bei Neumanns von Nutzen war.

     Von Schwester Oberin van Beck bekamen wir kürzlich eine Karte, nach welcher Dr. Tetzlaff immer noch in Badenweiler sein soll. Ich schrieb heute kurz an ihn.

     Von Fritz Brf. Nr. 12 vom 26. Januar. Er gedenkt des 29. Jan. u. daß es da 25 Jahre her sind, daß Martha u. ich uns kennen lernten. Er schreibt wieder überaus nett. Es finden wieder Bibelstunden statt, an denen er teilnimmt u. es wird die Apostelgeschichte u. das Lukas-Evang. gelesen. Sehr schön! – Das Lager hat wieder neue Gefangene erhalten u. an Entlassung ist nicht zu denken. Fritz ist jetzt als Dolmetscher im franz. Baubüro des Stabes beschäftigt u. es geht ihm dort gut, er braucht nicht mehr Kartoffeln zu schälen u. er vervollkommnet seine französ. Sprachkenntnisse. Leider klagt er immer noch über Kopfschmerzen als Folge des Unfalls.

     Nachmittags kamen wieder Marthas Mitarbeiterinnen, um das fertige Bild zu sehen. Ich sprach wieder kurz über Kunst im allgemeinen u. führte aus, daß Kunst Ausdruck heiliger Gedanken u. Empfindungen sein müsse; man habe die Kunst aber dieses ihres Wesens entkleidet u. sie profaniert. Damit habe die Verweltlichung alles Denkens u. Tuns begonnen u. wir befinden uns heute im tiefsten Abgrunde dieses Hinabstieges. Ich sagte, daß der Untergang unvermeidlich sein würde, wenn dieser Profanation des Denkens nicht Einhalt geboten würde. Da die Kunst diesen Abstieg begonnen habe, müsse sie [7] auch als erste den Rückweg antreten u. wieder sakral werden. Nur eine neue sakrale Kunst, die aber nun keine Wiederholung des einmal gewesenen Heiligenbildes sein dürfe, kann uns vor der grauenvollen Lebensangst retten, von der alle Menschen befallen sind. Die neue sakrale Kunst braucht nicht in der Darstellung religiöser Dinge zu bestehen, ihre Aufgabe wird vielmehr sein, profane Dinge durch eine edle Geistigkeit zu heiligen.

Sonntag, 10. Februar 1946.     

     Sehr schöner Sonntag ohne besondere Ereignisse. Gut besuchte Morgenandacht mit Ansprache, die allen zu Herzen ging. Nachher an Fritz geschrieben. Nachmittags war bis 6 Uhr Licht, sodaß wir nach dem Kaffee den Tagesspiegel lesen konnte, von dem wir 2 Exemplare geliehen bekommen hatten vom 26. u. 24. Januar. Bemerkenswert ist eine ziemlich scharfe Auseinandersetzung zwischen England u. Rußland. Letzteres hat eine Stunde vor Beginn der Beratung des Sicherheits-Ausschusses dagegen protestiert, daß seine Differenz mit Persien vor diesem Ausschuß beraten würde, darauf ziemlich scharfe Entgegnung Englands. Bisher sind tatsächlich alle Differenzen, die in den Beratungen der Uno bis jetzt aufgetreten sind, von Rußland ausgegangen u. es scheint so, als fände die große Geduld, die England u. Amerika diesen Quertreibereien bisher entgegengesetzt hat, allmählich ihre Grenze. – Ferner hat der engl. Außenminister auf die gefährliche Entwicklung in Polen hingewiesen, wo in den letzten Wochen eine Flut politischer Morde sich ergossen hat. Der Engländer mahnte, daß es nun nötig sei, dort demokratische Wahlen auszuschreiben, um diesen Zuständen ein Ende zu setzen. Darauf empörte Widerrede des polnischen Außenministers von Warschau aus, sowie ebensolche Widerreden der Kommunisten, die mit der gegenwärtigen Regierung zusammenarbeiten. Dabei erfuhr man, daß in den letzten Wochen 1500 polnische Polizisten, 900 Kommunisten u. 200 andere Menschen den Tod gefunden haben sollen durch „faschistische“ polnische Offiziere. Das sieht schon beinahe nach Bürgerkrieg aus, jedenfalls sieht man klar, daß sehr starke Volksteile in Opposition zur Regierung stehen u. nichts von Rußland wissen wollen.

     Abends kam Frl. v. Tigerström aus Wustrow von Schönherrs u. erzählte, daß drüben über dem Bodden auch jetzt immer noch gewaltsame Plünderungen der Landbevölkerung durch russ. Soldaten an der Tagesordnung sein sollen.

Montag, 11. Februar 1946.     

     Heute den Christus-König angelegt, sehr monumental. Nachmittags Unterweisung an Herrn Schwertfeger, Frl. v. Tigerström, Frl. Müller u. die Tochter Stricker, die alle sich in künstlerischer Produktion versuchen wollen. Herr Schwertfeger hat mit dem Taschenmesser einen Holzschnitt gemacht, der zweifellos Begabung zeigt. Die Tochter Stricker hat ein sehr hübsches Märchen geschrieben „Die Darssmuhme“ u. Frl. v. T. hat nette Zeichnungen dazu gemacht. Frl. Müller macht recht beachtliche Puppen.

     Ich habe mir mein Buch „Wehe uns Gottlosen“ wieder vorgenommen, um Korrekturen vorzunehmen. Man kann nun ja daran denken, dieses Buch herauszugeben.

[8]
Dienstag, 12. Februar 1946.     

     Heute die Wiederholung des Malvenbildes angelegt. Es hat mich noch nie ein Bild derartig erregt, wie dieses. Die Neufassung ist ganz herrlich.

     Dora Oberländer war in Rostock beim Kulturbund. Herr Kreuzberg, der Geschäftsführer der Sektion für bild. Kunst, läßt mich bitten, hier den Verbindungsmann für das Fischland zu machen.

     Abends bei Frau Longard. Sie war wieder wie immer sehr lebhaft u. amüsant.

     Es war heute sehr stürmisch u. recht kalt, hoffentlich gibt es keinen Frost mehr.

Mittwoch, 13. Februar 1946.     

     Das Christkönigsbild begonnen, es scheint sich sehr leicht zu malen, da es im Entwurf sehr durchgearbeitet u. in seinen Formen überaus einfach ist.

     Nachmittags habe ich angefangen, für meine alten Zeichnungen Passepartouts anzufertigen. Ich sah das neulich bei Koch-Gotha, der alle seine Zeichnungen, auch gewöhnliche, flüchtige Skizzen, sauber in Passepartouts geheftet hat. Durch diese Aufmachung sieht solch eine Zeichnung gleich ganz anders aus. Meine Landschafts-Zeichnungen, Porträts u. auch Bildentwürfe werde ich alle so aufziehen, sie werden dadurch verkäuflich u. sehen sehr kostbar aus, außerdem hat man dann immer etwas, um Gelegenheits-Ausstellungen zu beschicken. Leider habe ich nicht genug Kartons u. überhaupt keine Pappen für die Rückwände.

     Heute hatten wir den ganzen Tag über Licht.

     An Kreuzberg geschrieben, daß ich die Vermittlung zwischen der Sektion für bild. Kunst u. den hiesigen Kollegen übernehmen will.

     Dr. Krappmann bittet mich um eine Bescheinigung, daß er in der Zeit von 1939 – 1945 kein Nazi war. Er hat Aussicht, in Schweinfurt eine Anstellung als Studienrat zu erhalten.

Donnerstag, 14. Februar 1946     

     Am Christusbild das rote Gewand gemalt. Prächtige Farbe.

     Erklärung für Dr. Krappmann geschrieben u. nach Schweinfurt an den Vater Krappmann gesandt, worum er gebeten hatte.

     Nachmittags wieder Passepartouts geschnitten. Die Zeichnungen sehen fabelhaft aus.

Freitag, 15. Februar 1946.     

     Am Christusbild jetzt den Kopf begonnen, die Umrahmung durch das Haar. Die äußeren Zacken der Krone habe ich weggemalt u. habe dadurch eine noch stärkere Geschlossenheit u. Monumentalität erreicht. Es ist mir dadurch gelungen, was ich schon von Anfang an haben wollte; daß Kopf u. Krone Eins sind. Christkönig trägt die Krone nicht auf dem Haupte, sondern die Krone krönt das Haupt u. ist mit ihm eins. Es ist das eine sehr entscheidende Korrektur des Bildes gewesen u. war, wie gesagt, von Anfang an beabsichtigt, aber ich konnte die Lösung nicht finden. Heute ergab sie sich ganz von selbst. Es ist das wieder einer dieser wunderbaren Vorgänge beim Malen, daß sich das Bild von selber malt.

     Nachmittags war ich wieder bei Triebsch. Mir [9] ist nicht klar, was das Ganze soll, denn diese Nachmittage sind immer ausgefüllt mit gewöhnlicher Unterhaltung. Am letzten Freitag war ich nicht bei ihm, da er in Rostock war zur Untersuchung seiner Augen. Das Ergebnis war leider, daß es mit den Augen schlechter geworden ist. Eine nochmalige Operation ist aber nicht angängig. Der Arzt hat aber gemeint, daß Triebsch eine völlige Erblindung nicht zu befürchten habe. Hoffentlich ist das nicht ein bloßer Trost, sondern Wahrheit.

Sonntag, 17. Februar 1946     
Septuagesima.     

     Gestern Nachmittag Dora Oberländer mit Gretl Neumann, um Bilder anzusehen. Dabei merkte man bei Gretl Neumann sehr stark, daß ihr gutes Benehmen nur äußere Tünche ist. Sie verhielt sich vor den Bildern unmöglich. Statt zu schweigen, schwatzte sie immerfort dummes Zeug, um ein Verständnis vorzutäuschen, doch wurde ihr Unvermögen grade dadurch offenbar. Um der Torheit die Krone aufzusetzen, redete sie von dem Kopf des alten Propheten als von einem Christuskopf. Ich machte sie darauf aufmerksam, daß es der Kopf eines mindestens 70 Jahre alten Mannes sei, während Christus mit 30 Jahren gestorben sei. Sie nahm das zur Kenntnis, ohne sich sonst stören zu lassen.

     Später kam Koch-Gotha dazu, der mit großem Interesse das neue Krippenbild betrachtete u. dem ich dann auch das Christusbild zeigte, das einen starken Eindruck auf ihn machte. Martha kam dann u. zeigte ihm auch das Märchenbuch u. das Fischlandspiel, das die Damen in der BuStu. zur Zt. machen. Er kaufte gleich von beiden je ein Exemplar.

     Abends war Heinz v. Paepke da, der für einige Tage hierher gekommen ist. Er hat die Kampftage in Berlin mitgemacht u. wußte davon schauerliche Dinge zu erzählen. Er hat seine Familie über die grüne Grenze nach Krefeld zu den Schwiegereltern gebracht, wohnt aber selbst in Berlin. Er schmuggelt sich öfter über die grüne Grenze u. hat ein Urteil über den Unterschied der Zonen. Er gibt zu, daß die russische Zone die unerfreulichste ist.

     Heute an Fritz geschrieben. Die vorhandenen Kartons habe ich nun alle zu Passepartouts verarbeitet; aber es sind noch Zeichnungen übrig. Ich denke, daß ich noch von dem steifen Aquarellpapier haben werde, auf dem ich im Jahre 1944 die ersten Oelbilder gemalt habe. Dieses Papier werde ich ebenfalls zu Passepartouts verarbeiten. Es fehlen mir nun bloß noch die Rückwände.

Montag, 18. Februar 1946.     

     Wir bekamen zwei Zentner Steinkohlen gegen Wolle u. hatten heute ein schön warmes Haus. Schütz hat uns seit langem Koks versprochen u. hat dafür von uns zwei Paar Schuhe bekommen, aber den Koks hat er immer noch nicht geliefert.

     Am Christkönigsbild male ich den Kopf, der sehr große Schwierigkeiten bietet. Ich habe es schon in der vorigen Woche von der Krone u. der Stirn her versucht, kam aber nicht weiter. Ich versuchte es dann von unten her, indem ich den Bart aus dem Gewande heraus entwickelte, wobei ich einige Anhaltspunkte hatte, aber es gelang nicht, den Anschluß an das von oben her flutende Licht zu finden. Heute habe ich deshalb das Haar in der unteren Partie nochmals vorgenommen u. bin von da aus in den Kopf hineingegangen. Dabei [10] ergab sich, daß im Kopf noch viel zu viel Detail vorhanden ist. Ich habe zunächst den Bart farbig aufgelöst, so daß er jetzt heller u. schleierhafter ist u. habe im Gesicht um die Nase u. die Wangen alle Formen aufgelöst. Morgen muß ich versuchen, den Anschluß an die Stirn zu gewinnen u. die jetzt viel zu starken Formen um die Augen aufzulösen. Es wird das alles nicht einfach sein. Es muß alles in dem von oben flutenden Licht aufgelöst sein u. doch muß alles da sein. Es wird schwer werden!

Dienstag, 19. Februar 1946.     

     Am Kopf des Christkönigs gearbeitet. Langsamer Fortschritt.

Mittwoch, 20. Februar 1946.     

     Weiter am Christusbilde gearbeitet. In der Nacht, als ich wegen des Bildes nicht schlafen konnte u. betete, fielen mir einige Aenderungen ein, die nur einfach sind u. die Komposition nicht stören, vielmehr dieselbe noch stärker zusammenfassen, die aber dennoch eine nochmalige Bearbeitung des ganzen Hintergrundes notwendig machten. Ich habe das heute gemacht u. hoffe, nun die Lösung gefunden zu haben, durch die nicht nur der Kopf, sondern auch das Gewand u. die Krone noch inniger in das Gesamtbild verwoben werden. Mit dem Gewande war ich schon ganz zufrieden gewesen, aber die Arbeit heute hat mir gezeigt, daß auch dieses noch immer ein Sonderdasein führte u. nicht in das Ganze verwoben war. Das ist immer das Geheimnis eines jeden Bildes, daß alles miteinander in Beziehung steht u. daß nichts etwas will, was nicht der Wille aller Formen, Farben u. Linien ist. Es ist das ungeheuer schwer zu finden; aber wenn es dann gefunden ist, dann ergibt sich ein unsagbares Glücksgefühl, eine wirkliche Befreiung.

     Heute von Fritz Brf. Nr. 13. Der arme Kerl ist krank, offenbar eine Erkältung, aber er scheint doch auch noch mit seiner Gehirnerschütterung zu schaffen zu haben u. klagt viel über Kopfschmerzen u. allgemeine Schwäche.

     Von Else bekam ich ein Fläschchen Terpentinöl. Leider keinen Leim u. auch kein Oel, das ich für die Grundierung von Leinewand brauche.

     Die Arbeit am Christusbilde strengt sehr an, es ist sehr schwer zu malen.

     P. Drost teilt heute mit, daß er abgelöst worden ist durch einen jüngeren Herrn. Er selbst ist jetzt in Rostock, wo er, wie mir scheint, ein Jesuitenhaus einrichten soll. Er schreibt nichts davon, ob sein Nachfolger am 27. Febr. hier bei uns sein wird, wie es verabredet war.

     Vom Rektor Dutemeyer Müritz Nachricht, daß er wieder gesund ist. Er hat Typhus gehabt u. ist dem Tode entronnen.

Donnerstag, 21. Februar 1946.     

     Heute die Lichtkrone des Christkönigs noch weiter aufgelöst. Sie wirkt jetzt wirklich wie aus Licht gewoben. Den Kopf habe ich ebenfalls weiter entmaterialisiert, aber es genügt noch nicht. Ich werde ihn wahrscheinlich noch mehr in geometrische Formen zurückführen müssen. Auch die Farbe ist noch zu dunkel u. zu materiell, das Gesicht muß durchsichtiger werden. Der Bart scheint jetzt im großen Ganzen richtig zu sein, ich habe starke, grüne Töne hineingegeben, reines Chromoxydgrün. Es ist ungemein schwer, aber nicht hoffnungslos. Gestern war ich allerdings sehr voll Angst, daß ich nicht weiter käme. Wenn ich dieses Bild nicht schaffte, wäre [11] das allerdings für mich überaus deprimierend. Aber heute denke ich doch, daß ich es schaffen werde.

     Es ist noch einmal Winter geworden. Es liegt Schnee u. wir haben jetzt am Nachmittag 4° Kälte. Es ist kälter, als es heute früh war.

     Man hört von verschiedenen Seiten, daß beschlossen worden sei, Ahrenshoop auch in Zukunft nicht mit Flüchtlingen zu belegen, sondern vielmehr möglichst bald wieder für den Badebetrieb frei zu machen u. vor allem als Künstlerort zu bevorzugen. Wenn sich das bewahrheiten sollte, wäre das freilich ein bedeutender Hoffnungsschimmer. Wenn auch nur wenig Sommergäste kommen werden, würde das doch für uns von großer wirtschaftlicher Bedeutung sein. Ich würde dann meine Bilder in der BuStu. ausstellen.

Freitag, 22. Februar 1946.     

     Wieder ein Brief von Fritz, Nr. 14 v. 9. II. Er ist wieder gesund u. arbeitet wieder als Dolmetscher. Auch von Irmingard Wegscheider ein Brief, aus dem hervorgeht, daß Klaus immer noch derselbe Narr ist wie früher u. nichts gelernt hat. Es ist gradezu trostlos u. er mag mir nun gestohlen bleiben.

     Nachmittags wieder bei Triebsch, dem ich sagte, daß es keinen Zweck hätte, jeden Freitag eine Unterhaltung zu veranstalten, wenn dabei nicht über Religion gesprochen würde. Er bat mich, von jetzt ab selbst irgend ein Thema anzuregen.

     Der Christkönig hat heute bedeutende Fortschritte gemacht. Ich habe das Gesicht sehr viel heller gemacht, aber, wie ich abends feststellte, noch immer nicht hell genug. Dabei gerate ich in die Gefahr, daß das ganze Gesicht fade wird, ich werde morgen trotz weiter verstärkter Helligkeit einige kräftige Schatten hineinsetzen müssen. Es strengt sehr an. Am 11. Februar habe ich mit dem Bilde angefangen u. arbeite nun schon elf Tage daran, obwohl ich am 13. Febr. notierte, daß sich dieses Bild sehr leicht malen lassen würde. So irrt man sich! Es ist weder in den Formen u. noch viel weniger in den Farben so einfach, wie ich dachte.

Sonnabend, 23. Februar 1946.     

     Heute ist das Gesicht des Christkönigs fertig geworden. Ich habe noch eine Aenderung vorgenommen, indem ich das herabwallende Haar rechts u. links die Stirn überschneiden lasse u. die Kanten mit einem schmalen, roten Streifen betont habe. Dadurch habe ich den ganzen Kopf mehr in den Raum hineinbekommen, er steckt jetzt gewissermaßen im Haar wie in einer Hülle, während das Gesicht bisher davor lag. Außer diesem räumlichen Reiz habe ich dadurch auch erreicht, daß die große, rote Fläche des Gewandes nach oben in das Bild hinein ausklingt. Ich werde sogar noch über der Stirn in dem nach unten gerichteten Winkel der Krone diese rote Farbe noch einmal wiederholen u. hoffe, damit einen neuen, sehr schönen Reiz zu erzielen. Das Gewand selbst will ich ebenfalls noch etwas aufteilen u. die nach oben strebenden Formen der Krone u. des Gesichtes im umgekehrten Sinne wiederholen. Es bleibt dann nur noch der Bart u. die Hand zu malen, was beides, wie ich hoffe, keine großen Schwierigkeiten mehr machen wird.

     Draußen ist heute ununterbrochenes Schneetreiben bei gelindem Frost, der Schnee liegt recht hoch. Ich denke [12] aber, daß dies Wetter in Tauwetter übergehen wird, da der Wind von Osten nach Süden zu drehen scheint.

Sonntag, 24 Februar 1946.     

     Der Wind ist wieder herumgegangen. Er hat sich gesteigert zu großem Sturm, etwa Windstärke 9 u. bläst aus Nordwesten u. hat neue Schneemassen mitgebracht, so daß heute ein richtiges Unwetter herrscht. Infolge dessen waren nur fünf Menschen zur Andacht gekommen. Es ist ein richtiges Katastrophenwetter –

     Gestern brachte uns Herr Heyde ein neues Radio, einen ganz einfachen, in eine Pappschachtel eingebauten Apparat, von ihm selbst gebastelt. Die erste Nachricht, die wir daraus erhielten, war die einer furchtbaren Bergwerks=Katastrophe im Ruhrrevier, bei der weit über 400 Bergleute umgekommen sind. Es ist das die größte Bergwerks-Katastrophe, die sich bisher ereignet hat. Es scheint, als wirke sich die dreimal nacheinander auftretende Konjunktion von Mars mit Saturn in dieser Weise aus. Es ist zu fürchten, daß noch weitere ähnliche Katastrophen eintreten werden. – Saturn ist ja der Herr der Bergwerke u. aller dunklen Orte u. Gefängnisse usw. – Mars der Herr des Feuers. – Ich bin gespannt, ob sich diese Konjunktion auch für mich auswirken wird. Die große Konjunktion Jupiter-Saturn kurz vor dem Kriege hat mir persönlich ja kein Unglück gebracht, obgleich diese beiden Planeten bei mir im Quadrat stehen. Es scheint so, als ob dieses Quadrat sich für mich im Alter zum Segen verwandelt hätte u. Saturn sich nun von seiner anderen Seite zeigt. Wenn es der Fall ist, wird auch diese Konjunktion Mars-Saturn für mich segensreich sein. Saturn steht bei mir ja im Hause des Berufes u. der öffentlichen Stellung, Mars im Hause der Freundschaften u. Beziehungen. Meine kurze, aber doch erfolgreiche Stellung als Bürgermeister, die meine Beziehungen zu den Menschen hier so gut beeinflußt hat u. mir eine starke Geltung verschaffte, ist vielleicht ebenso darauf zurückzuführen, wie meine große Produktivität als Maler in dieser Zeit. Es ist sehr gut möglich, daß sich auch daraus eine neue u. günstige Beziehung zu Menschen ergibt, wie es angedeutet wird durch die bereits vorhandene, neue Beziehung zu Koch-Gotha u. Franz Triebsch.

Montag, 25. Febr. 1946.     

     Bei dem gestrigen Unwetter, das auch heute morgen noch einigermaßen anhielt, ist ein Dampfer, der von Wilhelmshaven nach Warnemünde unterwegs war, gescheitert. Die elf Mann starke Besatzung gelangte mit einem Rettungsboot an unseren Strand, total durchnäßt u. durchgefroren, u. wurden gleich von den Russen in Verwahrung genommen. Im Dorfe wurde eine Sammlung von warmer Unterwäsche gemacht. Seit Mittag hat sich der Sturm gelegt, aber es ist sehr kalt. Das Licht, das gestern nicht funktionierte, ist heute wieder in Ordnung, nur der Kraftstrom funktioniert nicht.

     Heute Bart u. Gewand des Christkönigs gemalt, ohne befriedigendes Resultat. Hoffentlich gibt das nicht noch eine überraschende Schwierigkeit.

     Am Sonnabend brachte der Briefträger Totzke die Nachricht aus Wustrow mit, daß der Pater aus Ribnitz am Mittwoch um 3 Uhr bei uns sein würde. Nähere Nachfrage ergab, daß er schon am Dienstag in Wustrow [13] Morgens eine hl. Messe liest. Es war unerklärlich, wieso er dann nicht schon am Dienstag Nachmittag hierher kommt. Wir nehmen an, daß das Ganze ein Irrtum ist u. er morgen schon kommt; – aber ich habe am Sonntag den Katholiken gesagt, er käme Mittwoch. Wir werden sehen. Die Sache geht durch Frau Dr. Völkel, die den Gottesdienst in Wustrow redigiert, aber der Sache nicht gewachsen ist u. lauter Unsinn anrichtet.

Dienstag, 26. Febr. 1946.     

     Heute war ein Tag voll bemerkenswerter Ereignisse. Morgens früh brachte unsere Trude die betrübende Nachricht, daß der kleine Sohn ihrer Schwester an Diphterie erkrankt sei u. Dr. Meyer die ganze Familie impfen werde. Trude muß deshalb nun zuhause bleiben.

     Vormittags malte ich am Gewande u. Bart des Christkönigs, doch mußte ich bald aufhören, da der Briefträger Totzke gestern Abend noch die Nachricht aus Wustrow brachte, daß der Pater nicht am Mittwoch, sondern schon am Dienstag, also heute, käme. Wir mußten alle Katholiken benachrichtigen u. sie zu 3 Uhr einladen u. mußten zudem das Zimmer vorbereiten. Um 3 Uhr war es brechend voll, aber kein Pater kam. Carmen Grantz hatte die Schwester von Frau Dr. Völkel getroffen u. diese hatte gesagt, der Pater käme erst am Mittwoch nach Ahrenshoop. Niemand wußte also Genaues u. nachdem wir eine halbe Stunde vergeblich gewartet hatten, gingen alle wieder nachhause.

     Um uns zu erholen, tranken Martha u. ich Kaffee u. ich ging dann in mein Zimmer. Es erschienen dann drei fremde Herren, d.h. den einen von ihnen kannte ich, es war der Maler Schmidt-Detloff aus Rostock. Die beiden anderen entpuppten sich als der Geschäftsführer der Sektion f. bild. Kunst im Kulturbunde, Herr Kreuzberg u. als der sog. Kunsthändler des Sektion, Herr Weiß. Letzterer könnte ebensogut ein Geschäft für Büromöbel oder sonst etwas haben, man sieht ihm an, daß er von Kunst nicht viel versteht, aber er macht den Eindruck eines gutmütigen u. anständigen Kerls. Herr Kreuzberg dagegen sieht vorzüglich aus. Er ist ein feiner, bescheidener u. intelligenter Mensch mit guten Manieren, er mag etwas über 30 Jahre alt sein, ungemein sympatisch.

     Die Herren sahen sich also meine Bilder an. Herr Weiß war sprachlos u. verstand nichts, um so entzückter waren die beiden anderen Herren. Herr Weiß gab sich rührend Mühe, irgendetwas zu verstehen u. bat mich um Hilfe, die ich ihm gab so gut ich konnte. Allmählich wurde er immer lebendiger, was sich dann noch erheblich steigerte, als ich meine Zeichnungen zeigte, die in ihren Passepartouts wirklich einen sehr guten Eindruck machen. Schließlich war Herr Weiß so begeistert, daß er am liebsten gleich sämtliche Bilder mitgenommen hätte. Er bot mir an, in der ständigen Kunstausstellung der Sektion ein besonderes Zimmer für mich einzurichten u. dort nur ausschließlich meine Bilder zu zeigen. Ich sagte ihm, daß ich daran kein Interesse hätte, ich wollte meine Bilder zurückhalten, bis ich einmal Gelegenheit haben würde, in einer geschlossenen Sonderausstellung groß herauszukommen. Da er aber nicht aufhörte zu bitten, gab ich nach u. versprach, ihm drei bis vier Bilder zu überlassen. Es ist ja möglich, daß sich auf diese Art die von mir erstrebte Sonderausstellung einmal verwirklichen läßt. Vorerst gab ich ihm zehn Zeichnungen mit, die er zunächst [14] einmal ausstellen mag. Wegen der Oelbilder wollen die Herren bald noch einmal herkommen. Sie hatten nämlich wegen des verschneiten Weges ihren Wagen in Wustrow stehen lassen u. ich wollte ihnen die Bilder so nicht mitgeben, da sie zu leicht beschädigt werden können. Ich sagte Herrn W., daß ich ihm die Bilder erst geben könne, wenn er mit dem Wagen bis vor meine Tür fahren könne. Er war auf Zureden der anderen Herren einverstanden u. zog erst einmal hoch befriedigt mit den zehn Zeichnungen ab.

     Herr Kreuzberg berichtete zwischendurch von allerhand großen Plänen, die die Sektion hat, aber das ist noch Zukunftsmusik. Aber ich freute mich, diesen sympatischen Menschen kennengelernt zu haben.

     Kaum waren die Herren fort, – es dämmerte schon –, als der junge Kollege Müller-Rave kam u. von Berlin erzählte, wo er einige Tage war u. wohin er wohl auch zurückkehren wird, obgleich er den Aufenthalt in dieser Stadt verabscheut. Er war noch nie bei mir gewesen u. wollte gern Bilder sehen, was nun aber nicht ging, da es dunkel war u. ab 5 Uhr kein Strom ist bis 9 Uhr. Ich sagte ihm, daß er doch wiederkommen solle u. mir einige seiner Aquarelle mitbringen solle, ich würde ihm dann gern meine Bilder zeigen, auf die er offenbar sehr neugierig war. – Ich weiß nicht, woher diese plötzliche Neugierde kommt, vielleicht hat Koch-Gotha wieder für mich Reklame gemacht, denn mit ihm kommt er wohl öfter zusammen.

     Ueber den Besuch der drei Herren ist noch erwähnenswert, daß auch Herr v. Achenbach mit ihnen gekommen war, aber nicht in mein Haus kam, sodaß ich davon nichts wußte. Als es dämmerig wurde, erschien plötzlich Frau v. Achenbach, um zu sagen, daß ihr Mann unten wartete u. die Herren bäte, bald zu kommen. Die Aversion dieses Herrn gegen mich geht also so weit, daß er nicht selbst in mein Haus kommt, sondern seine Frau schickt. Herr Kreuzberg bemerkte, daß Herr v. A. ein ausnehmend eitler Mensch sei u. höchst unsympatisch u. daß ein solches Benehmen nur auf ihn zurückfalle. Ich sagte weiter nichts dazu. Aber ich habe die sichere Ueberzeugung, daß dieser Besuch der drei Herren für mich von recht günstiger Bedeutung sein kann u. daß sich daraus etwas entwickeln kann. Die Herren, besonders die beiden Kollegen, waren so offensichtlich beeindruckt von den Bildern, daß ich mich darüber sehr freute.

     Heute hatten wir schönes Sonnenwetter, aber es herrscht nach wie vor Frost.

Mittwoch, 27. Febr 1946.     

     Heute war nun der Herr Pater bei uns. Es ergab sich, was ich vermutet hatte, daß diese ganze Konfusion von Frau Dr. Völkel angerichtet worden ist. Er versprach mir, künftig Mitteilungen an uns direkt zu richten. Leider war nun heute die Beteiligung nicht so stark, es herrschte wieder Nordwind mit neuem Schneetreiben. – Nach der hl. Messe trank der Pater mit uns eine Tasse Kaffee. Ich zeigte ihm einige Bilder u. er erzählte schreckliche Dinge aus den Flüchtlingslagern um Damgarten, wo Flecktyphus herrscht u. die Menschen in Massen sterben, nachdem sie durch das Flüchtlingselend schon vorher geschwächt sind. Der Pater ist ein noch junger, ungemein sympatischer u. gebildeter Mensch. Er ging gegen 1/2 6 Uhr [15] nach Wustrow zurück, um morgen früh den Omnibus nach Ribnitz zu erreichen.

     Abends, kam ein Fräulein, deren Namen ich vergessen habe. Sie kam direkt aus Stettin u. will ihre alte Mutter, die hier im Hause Koehn ist, besuchen. Da es spät war, konnte sie nicht mehr dorthin gehen u. sie bleibt deshalb über Nacht in unserem Hause. Sie erzählte haarsträubende Sachen über die Verhältnisse in Stettin, wo Polen u. Russen sich gegenseitig ermorden u. beide zusammen die Deutschen mißhandeln. Sie sagt, daß noch 40000 Deutsche in Stettin wären, die jetzt aber alle in die westliche Zone transportiert werden sollen. Sie behauptet, daß es bestimmt zum Kriege käme u. daß der Abtransport der Deutschen wegen dieses zu erwartenden Krieges auf Betreiben der Engländer geschähe. – Zum Kriege zwischen Ost u. West wird es allerdings einmal kommen, aber daß das jetzt schon der Fall sein wird, daran kann ich nur schwer glauben. Daß die Spannungen zwischen den Westmächten u. Polen u. Rußland sehr groß sind, ist ja offensichtlich, aber sowohl die Russen, wie die Engländer u. Amerikaner sind überaus vorsichtig u. tun alles, um einen offenen Konflikt zu vermeiden. Die Polen dagegen benehmen sich so, daß die ganze Welt darüber in den Zeitungen schreibt u. es kann sein, daß in diesem Lande selbst ein Bürgerkrieg zum Ausbruch kommt. Die polnische Intelligenz u. die polnischen Offiziere sind scharf in Opposition gegen die kommunistische Regierung, außerdem steht eine polnische Streitmacht unter dem Befehl des Generals Anders in dem nicht von Russen besetzten Teil Oesterreichs noch immer unter Waffen u. auch in England befinden sich noch viele polnische Soldaten, die gegen die Regierung sind u. nicht heimkehren wollen. Das ist alles sehr bedrohlich. Wenn es da zum Bürgerkriege kommen sollte, wird Rußland zweifellos der Regierung helfen u. dadurch kann England leicht veranlaßt werden, der Opposition zu helfen, da vom englischen Außenminister ja wiederholt gesagt worden ist, daß England keine diktatorische Regierung in Europa dulden werde. In diesem Falle würde dann allerdings der Krieg unvermeidlich sein.

     In diesem Zusammenhang ist interessant, daß die kanadische Regierung eine groß aufgezogene Aktion wegen eines Spionagefalles gestartet hat. Diese Aktion ist ungewöhnlich. Es wird dabei nicht gesagt, um was es sich handelt, aber es geht das Gerücht, daß von den Russen die Geheimnisse der Atombombe gestohlen worden seien. Zugleich verlautet in den Zeitungen, daß die Russen selbst ein neues Verfahren der Atomzertrümmerung entdeckt hätten. Es scheint da also etwas zu stinken.

     Vormittags am Christkönigsbild gearbeitet, das nun seiner Vollendung entgegengeht.

     Es herrscht immer noch Frost.

[15]
Donnerstag, 28. Febr. 1946     

[15]      Heute ist das Christkönigsbild so weit gediehen, daß ich morgen die letzte Hand anlegen kann. Nur noch die Hand ist etwas nachzuholen, ferner noch eine geringe Tönung im Bart u. am Gewande muß die Farbe noch etwas aufgelockert werden.

     Immer noch Frost, auch wieder neuer Schnee.