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TBHB 1946-03

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1946-03
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Entstehungsdatum: 1946
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Originaltitel: März 1946
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom März 1946
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Einführung

[Bearbeiten]

Der Artikel TBHB 1946-03 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom März 1946. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 12 Seiten.

Tagebuchauszüge

[Bearbeiten]
[1]
Sonnabend, 2. März 1946.     

[1]      Gestern wurde das Christkönigsbild fertig. Es ist wohl wirklich das weitaus schönste Bild, daß ich bisher überhaupt gemalt habe.

     Heute Nachmittag war nochmals wieder die Arbeits=Gemeinschaft [2] der BuStu. versammelt, um sich von mir etwas über Kunst sagen zu lassen. Ich tat es sehr ausführlich u. grundlegend im Hinblick darauf, daß Brigitte Nickstadt u. der junge Schwerdtfeger zum letzten Male in diesem Kreise weilten. Beide gehen am Montag nach Rostock zum Studium, Brigitte, um ihr Chemiestudium zu beenden u. der junge Schwerdtfeger, um es zu beginnen.

     Vorher machte ich eine neue Zeichnung einer Mutter Gottes mit dem Jesuskinde, wozu mich die bayrische Wachsplastik angeregt hat, die Ruth uns einmal geschenkt hat. Diese Zeichnung ist gut geworden, allerdings nicht so, daß sie kathol. Pfarrern gefallen kann. Das Jesuskind ist nur sehr angedeutet, so, als ob es noch ganz eins mit der Mutter ist. Ich will diese Zeichnung nun erst mal eine Zeit lang stehen lassen, um zu sehen, ob sie auf die Dauer standhält. Jedenfalls ist sie sehr originell.

     Es ist gelindes Tauwetter eingetreten.

     Gestern war ich wieder bei Triebsch, wo es nun etwas fruchtbarer war. Er fragte mich nach den Unterschieden der beiden Konfessionen. Frau Burgartz störte uns, sodaß ich das Thema nicht erschöpfend behandeln konnte, sodaß ich Gelegenheit nehmen werde, am nächsten Freitag wieder davon zu sprechen.

Sonntag, 3. März 1946.     

     Heute war zum ersten Male Franz Triebsch in unserer Andacht. Es traf sich eigenartig, daß grade heute das Evangelium vom blinden Bettler verlesen wurde, sodaß ich anknüpfend daran sagen konnte, wie grade in diesem Blinden die Saat des Gotteswortes aufgegangen sei, weil seine Blindheit den stillen Raum schaffte, in dem das Saatkorn keimen konnte u. welche Stille nicht gestört wurde durch sehende Augen, durch die der Wirrwarr u. die Zerstreuung der Welt in den Menschen kommt u. das innere Leben stört. – In der heutigen Andacht war mir die Wirksamkeit des Hl. Geistes ganz deutlich spürbar.

     Brigitte Nickstadt verabschiedete sich nach der Andacht. Es tut mir sehr leid, daß sie geht, sie ist ein guter, herzlicher Mensch, den ich richtig liebgewonnen habe. Aber ich freue mich auch für sie, daß sie nun ihr Studium abschließen kann. Der Vater war auch da, er ist auch sehr nett.

Dienstag, 5. März 1946.     

     Gestern fing ich das neue Malvenbild an. Es geht damit flott vorwärts u. es scheint in der Farbe ganz wunderbar zu werden. Das alte Malvenbild sieht dagegen einfach grau aus.

     Leider geht es mir nicht besonders gut. Schlechter Schlaf. Wenn ich mich Abends ins Bett lege, sind meine Beine bis über die Kniee eiskalt. Es hilft auch nichts, wenn ich die Beine in eine wollene Decke wickele, sie sind eben von innen her kalt.

     Draußen ist es, Gott sei Dank, etwas wärmer geworden, heute sogar schöner Sonnenschein, aber immer nördliche u. östliche Winde, die in Verbindung mit dem noch reichlich liegenden Schnee die Temperatur sehr kalt halten.

     Gestern sandte uns Schütz endlich 5 Centner Koks.

Aschermittwoch Mittwoch, 6. März 1946.     

     Seit heute früh schneit es ununterbrochen bei mäßigem Frost u. Nordwind.

     Das Malvenbild macht gute Fortschritte. Es ist unerhört farbig u. bietet keine wesentlichen Schwierigkeiten, obgleich ist stark erkältet bin.

     Soeben, um 1/2 6 Uhr nachm., kommt ein Telegramm [3] von Fritz, daß er entlassen ist, u. zwar auf Grund des Gesuches seiner Schwester Ruth. Er fährt jetzt erst nach Regensburg u. dann hierher, sodaß wir ihn, so Gott will, zu Ostern hier haben werden.

Donnerstag, 7. März 1946     

     Es hat gestern den ganzen Tag bis in die Nacht hinein ununterbrochen geschneit u. es schneit auch jetzt immer noch ein wenig, so daß der Schnee bergehoch liegt.

     Das Malvenbild wird sehr schön.

     Gestern bekamen wir auch noch einen Brief von Fritz vom 20. Februar, der nun überholt ist. Ferner bekam ich einen Brief von Herrn Keßler, Berlin-Frohnau, Kastanienallee 57. Dieser Mann kaufte einmal ein Aquarell von mir durch Vermittlung von P. Benedikt Momme-Nissen, der damals Hausgeistlicher am Dominikus-Krankenhause in Herrnsdorf war. Herr Keßler, ein Angestellter der Berliner Gasag, stotterte den Kaufpreis von 100, Rm. in 10 Monatsraten à 10,– Rm. ab. Bei ihm war noch ein zweites Bild von mir, das ich immer abholen wollte, aber nie dazu kam. Jetzt schreibt er, daß er damals bei der Gasag hinausgeworfen worden sei u. von der Gestapo verhaftet u. vor ein Sondergericht gestellt worden sei u. daß er nun nach 8 Jahren wieder zuhause sei. Er schreibt nicht, was gewesen ist, aber es läßt sich ja unschwer erraten, daß er im Gefängnis war, weil er irgendetwas gemacht hat, was den Nazis nicht paßte. Er will nun gern das andere Bild auch haben, ich werde es ihm schenken. –

Freitag, 8. März 1946.     

     Heute Briefe von Fritz u. von Ruth, die schwer zu seufzen hat unter der naiven Selbstsucht ihres Mannes. Ferner bekamen wir nun doch vom Verlag den Tagesspiegel zugesandt, aber nicht über Post-Zeitungsliste, sondern im Briefumschlag. Auf diese Weise kommt diese Zeitung zwar später, aber sie kommt, während die Tägliche Rundschau, die wir seit dem 1. März mit etwa bloß dreitägiger Verspätung durch die Post beziehen, ein schreckliches Mistblatt ist. Es ist gradezu beschämend, eine solche Zeitung zu lesen.

     Das Malvenbild ist heute fertig geworden. Nur Kleinigkeiten sind morgen noch zu machen. Das Bild ist eine Delikatesse in Bezug auf Farbe.

     Nachmittags bei Triebsch, dem ich nun einen regelrechten theologischen Vortrag hielt.

Sonntag, 10. März 1946.     

     Gestern am Abend kam Margot Seeberg mit ihrem Sohn Ando, der jetzt in Göttingen Medizin studiert. Frau S. war in Bln. gewesen u. hatte mit Jesuiten u. a. kathol. Geistlichen gesprochen, die alle dasselbe gesagt haben, was sich auch mir mehr u. mehr aufdrängt, nämlich daß wir hier östlich der Elbe uns allmählich auf Rußland einstellen müssen, wenn wir überhaupt weiter leben wollen. Ando berichtete aus Göttingen, wo an der Universität voller Betrieb ist. Göttingen liegt in der englischen Zone. – Frau S. erzählte, die Berliner Geistlichen hätten gesagt, daß eine Annäherung an Rußland sehr schwer sei, erstens, weil wir Deutschen alle kein Russisch können u. eine private Aussprache deshalb nicht möglich ist, u. zweitens, weil die Russen von den Engländern u. Amerikanern geschnitten werden. Man kann sie nicht zusammen einladen, wo Russen sind, gehen die Engländer u. Amerikaner nicht hin. Aber sie meinte, daß es in Berlin unter den Russen doch viele gebildete [4] Leute gäbe. Wir hier laufen Gefahr, alle Russen nach dem Niveau unserer drittklassigen Infanteristen zu beurteilen, die unsere Besatzung hier sind.

     Frau S. brachte uns auch eine Neuigkeit, die uns persönlich angeht. Sie erzählte, daß Fritzens ehemalige Frau Margret sich mit einem französischen Offizier verheiratet habe u. gegenwärtig in Tunis sei, was bei mir sofort das Wortspiel von einem „Tunis=Gut“ auslöste. So hat Margret also den Weg zu einem richtigen Abenteurerleben gefunden.

     Was aber die Lage Deutschlands zwischen West u. Ost betrifft, so fängt, je länger je mehr, für mich der Begriff „Europa“ an, zweifelhaft zu werden. „Europa“, – das ist höchstens noch der Erdteil bis zur Elbe u. Deutschland ist höchstens noch die Brücke zwischen Ost u. West. Aber kann man auch im Westen noch von „Europa“ sprechen in dem Sinne, wie man es früher tat? Welches ist die für Europa charakteristische Idee? – eine Idee, welche an Stelle der alten Idee der abendländischen Christenheit treten könnte? Die christliche Idee, die einst das Charakteristikum für Europa war, ist längst nicht mehr rein europäisch. Die Neuernennung von Kardinälen hat das stark beleuchtet, besonders durch die Ernennung eines Chinesen.

[5]
Kätzchenbild.
11.III.46.


Tagebuch.
Heft 19.

     Begonnen am 11. März 1946.

     Geschlossen am 9. August 1946.

[6]
Montag, 11. März 1946.     

     Heute ein neues Bild angelegt. Ich hatte in der letzten Woche eine Naturstudie nach einigen Zweigen von Weidenkätzchen gemacht, die eigentlich wenig Anregung zu einem Bilde bot; aber grade das reizte mich zu dem Versuch, ob sich nicht vielleicht doch etwas daraus machen ließe u. so zeichnete ich eine Bildstudie, nach der ich nun das neue Bild malen will. Die Anlage ist sehr glücklich geworden. Die Kätzchen tanzen links unten aus der Ecke heraus nach oben über die ganze Bildfläche vor einem rosa=gelb=kobaltblauen Grunde. Das Bild sieht leicht u. frühlingshaft aus u. verspricht, hübsch zu werden.

     Leider entspricht dieses Frühlingsbild garnicht der Witterung. Es taut zwar draußen u. die Sonne scheint, aber der Schnee liegt überall noch sehr hoch, sodaß es nicht warm wird. Ohne diesen Schnee würden wir sonst heute einen schönen Frühlingstag haben.

     Ueber Mittag war ich bei Gräff, um mir einen Pinsel zum Grundieren einer neuen Leinewand zu leihen, doch traf ich ihn leider nicht an. Seine Frau klagte sehr, weil man ihr in der letzten Woche sämtliche Hühner aus dem Stall während der Nacht gestohlen hatte, Gräffs hatten die Hühner mit Mühe u. Not durch den Winter gebracht u. sich dazu selber Nahrung entzogen. Nun sollten die Hühner anfangen zu legen. Es ist eine Gemeinheit; aber solche Räubereien werden Kein Fehler gefundennun wohl noch viele kommen, denn die Flüchtlinge hier haben eben Hunger.

     Die Leinewand, die ich grundieren will, ist gedacht für ein Bild der dreifach gekrönten Mutter Gottes mit dem Jesuskinde, für das ich letzthin eine Studie nach der [7] bayerischen Wachsplastik machte, die Ruth uns einmal schenkte. Das Bild ist problematisch u. wird vermutlich Arbeit machen, sodaß ich etwas Angst davor habe. Die Studie habe ich nun aber seit einiger Zeit dauernd vor mir stehen u. sie hält stand, – so habe ich mich entschlossen, das Bild zu malen.

     Meine böse Erkältung ist besser, aber noch nicht überwunden. Gestern Abend hatte ich wieder leichte Beschwerden, die ich auf Nierensteine zurückführe. Ich schlief deshalb nicht besonders gut u. bin heute ziemlich matt.

     Grete u. Paul waren gestern Abend bei uns, wobei zur Sprache kam, daß Grete jetzt schon seit drei Wochen für die achtzigjährige Mutter der Frau Kahl Mittagessen kocht. Die Frau Kahl reist derweil in der Welt herum, um die Reste ihres Vermögens einzusammeln. Währenddem ist hier bei ihr eingebrochen worden u. man hat ihr alles gestohlen, was sie an Vorräten u. Kleidern zusammengehamstert hatte. Die Mutter ist eine hilflose, alte Frau, um die sich die Tochter nicht kümmert u. die sie schlecht behandelt, wenn sie hier ist. Dabei kommt diese Person aber in unsere Andacht. Sie ist wirklich eine höchst fatale Erscheinung.

Dienstag, 12. März 1946.     

     Vormittags an den Weidenkätzchen gemalt, Nachmittags die Leinewand für das Muttergottesbild grundiert.

     Nachmittags Besuch von Herrn u. Frau Pastor Wunderlich aus Wustrow. Er ist ein sehr belangloser Herr, wenigstens nach diesem ersten Eindruck. Er stellt sich seine Arbeit sehr leicht vor, aber er ist eben noch recht jung. Seine Frau ist wohl ein ziemlich problematischer Mensch von sehr hohem Idealismus. Man muß erst mal sehen, was aus diesen beiden Menschen wird.

     Meine Erkältung ist im Abklingen. Ich fühle mich sehr schwach, es scheint sich die Unterernährung bemerkbar zu machen.

     Was mit den Weidenkätzchen wird, ist noch nicht ganz sichtbar. Ich versuche, das Tanzende herauszubringen, das sich auch dem Hintergrunde mitteilen soll, oder vielmehr, daß eben das ganze Bild tanzt; aber bis jetzt bin ich wenig zufrieden, das Bild sieht noch viel zu mager aus. Aber es ist ja erst der erste Arbeitstag u. dafür bin ich doch schon recht weit gekommen. Dieses Bild wird entweder sehr schwierig u. dann unbefriedigend bleiben, oder es wird plötzlich fertig sein, – vielleicht schon morgen.

     Unsere Trude, die in Wustrow im Krankenhause zur Bestrahlung liegt, ebenfalls Erkältung, fehlt uns sehr, besonders in Bezug auf den Küchenzettel.

     In der Zeitung große Erregung über eine Rede Churchills, die dieser in Fulton USA. gehalten hat u. die eine heftige Abneigung gegen Rußland nicht verbirgt. Unsere russische Tägl. Rundschau speit Gift u. Galle, der Tagesspiegel bespricht sie sachlich u. bringt auch positive Pressestimmen. Die Rede beweist, daß ich Recht habe, wenn ich meine, daß ein Krieg über kurz oder lang unvermeidlich ist. Diese Rede hat das russische Mißtrauen überaus vertieft.

Mittwoch, 13. März 1946.     

     Die Weidenkätzchen sind tatsächlich heute fertig geworden. In so kurzer Zeit habe ich bisher noch nie ein Bild gemalt. Obwohl dieses Motiv weder interessante Formen noch Farben bietet, ist das Bild doch interessant u. von einer überaus zarten Farbigkeit. [8] Ich hatte nicht geglaubt, daß ich dieses Bild heute schaffen würde, da ich eine sehr schlechte Nacht hatte. Ich fürchte, daß sich meine Vermutung betreffend Nierensteine bewahrheiten wird. Während der Nacht mußte ich alle Stunde aufstehen wegen starken Urindrang, obwohl ich nichts getrunken hatte u. tatsächlich auch nicht viel Urin vorhanden war. Heute am Tage ist es etwas besser. So viel ich weiß, ist solch ständiger Urindrang ein Zeichen für das Vorhandensein von Nierensteinen. Ich habe vorgestern, als Trude nach Wustrow ins Krankenhaus ging, ihr ein Fläschchen mit Urin zur Untersuchung mitgegeben, ich denke, daß Dr. Lasch oder Dr. Meyer mir bald sagen lassen werden, wie es damit steht.

     Ich werde nun morgen gleich das Muttergottes-Bild untermalen. Es ist das dann schon das neunte Bild, welches ich im Jahre 1946 male, u. das zehnte, seitdem ich das Bürgermeisteramt los bin.

     Seit einigen Tagen haben wir wieder ein kleines Radio durch Herrn Heyde, der ein einigermaßen brauchbares Gerät zusammengebastelt hat, nachdem ein anderes Gerät, das er uns vorher gegeben hatte, nichts taugte.

     Herr Bütow. der von Zeit zu Zeit nach Berlin fährt u. dabei für uns dort Lieferanten besucht, kam heute abend zurück u. brachte für rd. 1200,– Rm. Waren mit von Weckmann u. R. W. Grube u. Co. Die Ware von Weckmann besteht aus dem gewohnten Kitsch, aber diese Sachen können sofort verkauft werden. Martha will das Geschäft am Montag aufmachen, wir brauchen doch etwas Geld, da wir seit dem 1. Oktober, seitdem die Russenschneiderei nicht mehr im Gange ist, dauernd Löhne zahlen, ohne Einnahmen zu haben.

     Die Reibungen zwischen Rußland u. England nehmen ständig zu. Jetzt handelt es sich wieder um Persien. Die Russen waren verpflichtet, dieses Land bis zum 2. März zu räumen, aber sie denken garnicht daran. So hat es wieder neue diplomatische Noten gegeben, auch von Seiten Amerikas. Die Verhältnisse werden immer gespannter.

     Von Ruth bekamen wir heute drei Päckchen mit Kaffee-Ersatz, mit Bohnen u. mit Nudeln. Ich freute mich sehr. Allmählich fängt diese Hungerei an, fatale Formen anzunehmen. So sehr ich mich freue, daß Fritz kommt, tut er mir doch leid, er war in französ. Gefangenschaft gut verpflegt.

Sonntag, den 23. März 1946.     

     Diese Zwischenzeit ist sehr anders verlaufen, als ich dachte. Am Donnerstag war ich nicht mehr fähig, zu arbeiten. Ich saß den ganzen Morgen vor der Staffelei, dösend. Mittags maß ich meine Temperatur, die über 39º war. Ich bin gleich zu Bett gegangen u. Martha benachrichtigte Dr. Meyer, der aber in Schwerin war u. von Dr. Lasch vertreten wurde. Dr. Lasch stellte nach dem Krankheitsbild mit immerwährendem Urindrang eine Nierenbecken= u. Blasen=Entzündung fest u. wollte die ganze Sache sehr harmlos ansehen. Ich wußte, daß sie das nicht war; aber ich konnte Dr. L. nicht übel nehmen, wenn er nicht gern herkam, denn es war inzwischen ein tolles Schneewetter ausgebrochen, bei dem man keinen Hund vor die Tür jagen konnte. [9] Dieses Tolle Wetter hielt auch noch den ganzen nächsten Tag an; aber Dr. L. bekam dann doch wohl ein schlechtes Gewissen. Er kam u. untersuchte mich sehr gründlich u. stellte wiederum eine Nierenbecken= + Blasenentzündung fest. Er versicherte mir mit rührender Eindringlichkeit, daß er mir nichts verschwiege, daß nichts anderes zu finden sei u. daß ich mir keine Sorgen machen sollte. Aber das alles hinderte nicht, daß ich bis gestern, also neun Tage hindurch, dauernd in einer Temperatur zwischen 38 – 40° gekocht habe. Mein Zustand ist dabei so geworden, daß man das Ende bald absehen konnte.

     Dr. Meyer ist dann von sich aus gekommen u. hat sich um mich bekümmert, obwohl er nicht viel machen konnte; aber er hat gewissenhaft getan, was er tun konnte. Bis er dann gestern sah, wie ich zusehends abnahm, wodurch er zu dieser letzten Entscheidung u. Verantwortung gedrängt wurde, die ich bei ihm ja schon zuweilen erlebt habe. Er entschloß sich zu Spritzen, deren Wirkung einer Pferdekur gleichen u. der ich leicht hätte erliegen können, wenn mein Herz nicht so gesund wäre. Er hatte mich vorher daraufhin untersucht.

     Nun ist das Fiber zum ersten Male gewichen. Ich sitze am Fenster meiner Schlafstube u. sehe draußen die Schneeglöckchen u. die ersten gelben Krokusse, denn seit drei Tage ist endlich der Schnee fort. Im Dorf ist Unruhe, denn die Russen sollen Prof. Reinmöller abgeholt haben. Heute früh soll eine große Aktion gewesen sein zum Zwecke der Milch=Erfassung. Die Russen haben verlangt, daß sofort alle Milch nach Wustrow in die Molkerei abgeliefert wird. Es ist das ja immer das alte Lied. Jetzt scheinen sie ernst zu machen, es heißt, der Bürgermeister sei bestraft worden, weil er bisher die Milch nicht abgeliefert hat.

     Eben kam die Post, darunter ein Schreiben von Fritz durch das Rote Kreuz vom September 1945, in dem er uns mitteilt, daß er in Hinterzarten im Lazarett liegt u. in französ. Kriegsgefangenschaft sei. Eine Organisation, die so arbeitet, scheint mir doch jeden Sinn verloren zu haben.

Montag, 24. März 1946.     

     Auch heute fieberfrei, habe aber dennoch den ganzen Tag gelegen, bin erst jetzt Nachmittags zum Kaffee etwas aufgestanden.

     Gestern Nachmittag war Dr. Meyer da.

     Uebrigens hatte ich in der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag einen bemerkenswerten Traum. Ich gehörte einer Religionsgemeinschaft als Priester an, zu deren Kult Menschenopfer gehörten. Als Kultgebäude diente ein großes, völlig Kubisches Haus, dessen Innenräume nach oben immer kleiner u. niedriger wurden. Es war überall sehr sauber u. gepflegt, aber völlig schmucklos, rein sachlich. [10] Ich trug eine schlichte, weiße Priesterkleidung, bestehend aus einfachen weißen, sehr weiten Leinenhosen u. Leinenschuhen u. einem weißen, halblangen Leinenkittel. Ich habe nicht geträumt, daß ich irgend welche rituellen Funktionen ausführte, ja, ich habe überhaupt keinen anderen Menschen gesehen; aber ich träumte, daß ich durch die obersten Stockwerke ging u. daß ich, – nachdem ich dort priesterliche Funktionen ausgeübt hatte, in einen anderen, sehr hohen Saal hinabgestiegen sei, wo ich das hl. Meßopfer darbrachte. Auch hiervon träumte ich nur die Tatsache, dies aber so lebhaft, daß ich davon erwachte u. sehr unglücklich war, daß ich in Zukunft täglich das hl. Meßopfer darbringen müßte.

     Der Pater aus Ribnitz hat geschrieben, daß er am Mittwoch bei uns hl. Messe lesen will, aber heute kam ein Telegramm, daß er erst am Sonnabend kommen kann.

     Für mich, bzw. Martha, ist jetzt das große Problem, wie ich den Gewichtsverlust wieder einbringen soll. Dr. Meyer war gestern ziemlich entsetzt über mein Aussehen. Spangenberg u. Herr Heyde geben sich rührende Mühe, mir Lebensmittel in Gestalt von Eiern, Butter + Milch heranzuschaffen, auch Kartoffeln haben sie gebracht u. Handschak hat Fleisch abgegeben, das er von den Russen bekommen hat.

Dienstag, 25. März 1946.     

     Heute Brief von Fritz vom 3. März aus Freiburg, am Tage vor seiner Abreise von dort nach Tuttlingen. Er war ja zuletzt in Offenburg gewesen. von wo er nun entlassen ist. Er hat den Sonntag in Freiburg bei Lieschen Schultze verbracht u. muß am Montag d. 4.3. in Tuttlingen zum Empfang seiner Papiere sein. Von dort hat er ja auch das erste Telegramm an uns geschickt, das wir am 6.3. bekamen. Er will dann nochmals nach Freiburg zurück, wo er etwa 10 Tage bleiben wird, bis seine Kautschukplatte, die grade in Arbeit ist, fertig ist. In dieser Zeit will er auch nach Hinterzarten zu Frau v. Wolff u. nach Bombach zu Frau Monheim. Dann will er gleich nach Regensburg, wo er nun jetzt ist. Gestern kam von dort ein Telegramm, daß es unmöglich ist, vor Ostern hier zu sein. Die Reise hierher wird gewiß noch schwierig genug werden.

     Auch von Fritzens letztem Vorgesetzten Dr. Kuntze bekamen wir heute einen Brief. Er fragt nach Fritz u. er möchte ihn gern als Sekretär bei sich anstellen.

     Von Justus Schmitt ein Brief. Er scheint in einer sehr entscheidenden inneren Entwicklung zu sein.

Mittwoch, 26. März 1946.     

     Gestern Nachmittag kam ganz überraschend der Junge Pater aus Ribnitz, der von meiner Erkrankung erfahren hatte. Er hatte sich sofort aufs Rad gesetzt, um mir die hl. Kommunion zu bringen, nachdem er mir vorher das hl. Bußsakrament gespendet hatte. Zum Schluß spendete er mir auch noch die hl. Krankenölung. Es war rührend von ihm u. ich war hochbeglückt. Er hat dann noch mit Martha Kaffee getrunken u. das Christkönigsbild gesehen, das einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht [11] hat, wie Martha sagt.

Heute bekamen wir wieder einen Brief von Fritz vom 12.3., immer noch aus Freiburg, u. einen Brief von Ruth vom gleichen Datum. –

     Justus Schmitt schreibt in dem Brf. v. 19.3., den ich vorgestern erhielt, über die Lage im Kunstmarkt. Er schreibt, die Preise seien rückläufig, weil das Geld langsam knapp wird. Das wäre ja sehr begrüßenswert. Die Ausländer interessieren sich nur für alte Kunst internationaler Geltung. Der Markt ist überschwemmt von modernen Durchschnittsbildern u. die schwer verkäuflich sind. Aber auch wirklich fortschrittliche Künstler werden von der Presse bekämpft, sie finden höchstens Anklang bei einigen Engländern u. Amerikanern. Nur die Galerie Rosen fördert moderne Künstler, aber wohl ohne Erfolg, u. der Tagesspiegel gibt sich Mühe, den fortschrittlichen Künstlern die Wege zu ebenen. Die Künstler selbst, schreibt Schmitt, sind sehr vorsichtig u. unentschlossen. Es ist wohl nur der Kreis um die Galerie Rosen, der etwas riskiert. Carl Hofer gilt zwar als Name viel, aber selbst er scheint nicht viel zu erreichen. Es scheint, daß eben das Publikum selbst sehr böswillig ist, es hat anscheinend nicht die Absicht, sich von der nationalsoz. Erbschaft des Banausentums zu trennen, so wie es ja auch am Antisemitismus festhält. Es ist also die Situation auf dem Kunstmarkt z. Zt. überaus schlecht. Schmitt möchte gern Fotos meiner Bilder haben, weil er hofft, damit Vorarbeit leisten zu können, für eine spätere Ausstellung, – aber ich sehe das wenig hoffnungsvoll. Dazu muß man wohl noch warten, die Zeit ist noch nicht reif.

Donnerstag, 27. März 1946.     

     Die Besserung macht Fortschritte. Heute Vormittag an Else geschrieben, nur im Entwurf, da ich von ihr einen eingehenden Brief erhalten hatte, als ich mich krank hinlegte. Das Schreiben machte mir keine besonderen Schwierigkeiten.

     Vormittags war Frau Dr. Umnus da, die ein Stückchen Wurst mitbrachte. Ich habe sie selbst nicht gesprochen. Ich bin heute seit dem Frühstück auf, ohne daß es mich besonders anstrengt. Martha muß sich jetzt sehr schonen, sie ist sehr angestrengt. Trude Dade ist immer noch nicht aus dem Krankenhaus zurück.

Sonntag, 30. März 1946     

     Am Freitag Nachmittag kam P. Buchholtz aus Ribnitz Er trank bei mir im Zimmer mit Martha u. mir Kaffee, aber es strengte mich bald sehr an, sodaß ich froh war, als er zu Frau Longard ging, wo er übernachten sollte. Am nächsten morgen stellte sich bei mir ein heftiger Durchfall ein u. ich fühlte mich wieder sehr schlecht, sodaß ich im Bett blieb, während oben die hl. Messe gelesen wurde. Pater B. brachte mir dann bloß noch die hl. Kommunion. Abends kam Dr. Meyer, der mich erneut untersuchte, mir aber versicherte, daß der Durchfall keine böse Bedeutung hat, aber natürlich recht unangenehm ist, da er mich weiter schwächt. Er verschrieb mir Kohle, die mir gut getan hat. Heute bin ich nach dem Frühstück aufgestanden.

     Gestern Brief von Frau Monheim über den Besuch, den Fritz ihr gemacht hat.

[12]      Im Petrusblatt ist die Rede abgedruckt, die der hl. Vater beim hl. Konsistorium vor den neuen Kardinälen gehalten hat, – eine sehr tief schürfende Rede über das Verhältnis der Kirche zur menschlichen Gesellschaft, in der mit großer Klarheit dieses Verhältnis dargelegt wird. Ich glaube, daß noch von keinem Papst jemals so klare Worte gesprochen worden sind. – Worte, in denen jeglicher Imperialismus der Kirche enschieden abgelehnt wird u. die Aufgabe der Seelsorge am einzelnen Menschen in den Vordergrund gestellt wird. Es ist das ja natürlich kein neuer Aufgabenbereich, den der hl. Vater da für die Kirche feststellt, sondern diese Aufgabe war die Aufgabe der Kirche von Anfang an. Sie ist aber lange durch imperialistisches Machtstreben verdrängt worden. Wenn der hl. Vater diese Aufgabe jetzt so eindringlich in den Vordergrund stellt, so bedeutet das eine ernste u. sehr entschiedene Besinnung auf die eigentliche Aufgabe der Kirche. – Diese Rede hat mich tief ergriffen u. begeistert. –

     Prof. Reinmöller ist schon vor etwa 14 Tagen von den Russen abgeholt worden u. bis jetzt nicht zurück. Man weiß nicht, wo er geblieben ist.

     Kardinal Clemens-August Graf Gahlen, der Bischof von Münster, ist gestorben, nach dem er wenige Tage zuvor aus Rom zurückgekehrt war, wo er den Purpur empfangen hatte. Er ist ein schwer zu ersetzender Mann.