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TBHB 1946-10

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Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1946-10
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Entstehungsdatum: 1946
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Originaltitel: Oktober 1946
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom Oktober 1946
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Einführung

[Bearbeiten]

Der Artikel TBHB 1946-10 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Oktober 1946. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 22 Seiten.

Tagebuchauszüge

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[1]
Dienstag, 1. Oktober 1946.     

[1]      Gestern Abend kam es noch zu einer sehr ernsten Aussprache zwischen Fritz u. Martha, wobei ich durchaus Fritz'ens Anschauung vertrat. Es handelte sich um die Person der Frau Kuhrt, die einen ungebührlichen Einfluß auf Martha in diesem Sommer gewonnen hat, der durchaus unerwünscht ist, da Frau K., milde ausgedrückt, eine allzu fantasiebegabte Person ist. Ich bin sehr froh, daß Fritz, der sonst ja für solche Frauen eine Schwäche hat, in diesem Falle nicht darauf reingefallen ist. Es war besonders gefährlich, da diese Frau alles darauf anlegte, Fritz an sich zu fesseln. Sie hat bestimmt gedacht, daß Fritz sie heiraten würde u. sie so Inhaberin der BuStu. werden würde. Durch die gestrige Aussprache ist die Sache [2] nun ins Rutschen gekommen. Fritz hat heute erreicht, daß Frau K. nun nicht mehr in die BuStu. kommt. –

     Heute Abend hörten wir die Urteile im Nürnberger Prozeß. Schacht, Papen u. Fritsche sind freigesprochen, doch halte ich es für möglich daß man sie nun noch vor ein deutsches Gericht stellt. Sieben Todesurteile durch den Strang! – Man hatte es erwartet u. für Göring mindestens auch gewünscht; – aber nun schauert es einen doch, wenn man dieses Urteil liest.

Mittwoch 2. Oktober 1946.     

     Heute morgen erhielt ich einen Brief von Frau M. Riemschneider, den diese am 25. September geschrieben hat, also unmittelbar nach Eintreffen meiner Bilder in Schwerin. Sie teilt mit, daß das Auto dort gut angekommen sei u. daß sie das Bild „Aufbruch“ noch erwartet. Es wird hoffentlich inzwischen angekommen sein. Sie schreibt, daß meine Ausstellung nun also endgültig „im großen Vlamensaal“ stattfinden soll, den sie zu diesem Zweck ausgeräumt hat. Die Ausstellung soll auf jeden Fall dem 6. Okt. eröffnet werden mit einer kleinen Feier vor geladenen Gästen mit meiner Ansprache. – Sie betont, daß weder Venzmer noch Ehm Welk mit der Sache etwas zu tun hätten, daß die Ausstellung ausschließlich Museumsangelegenheit sei. Wegen der Wichtigkeit der Sache habe sie dieselbe aber dem Programmausschuß des Kulturbundes angeboten als kulturpolitische Ausstellung u. dieser habe sie auch so akzeptiert. Inzwischen sei, wie sie schreibt, neben diesem Programmausschuß noch eine zweite Dachorganisation des Kulturbundes entstanden, nämlich der Ausstellungsausschuß, der für ganz Mecklenburg zuständig sei u. ohne den von nun an überhaupt keine Ausstellung mehr in Mecklenburg gemacht werden könnte. Dieser Ausstellungsausschuß kann der Sektion Bildende Kunst die Veranstaltung einer Ausstellung übertragen, wie er auch das Museum oder sonst eine Stelle damit beauftragen kann. In meinem Falle hat er also das Museum beauftragt. – Daraus erklärt sich mir nun auch die etwas eigenartige Haltung von Ehm Welk, der mir am Sonntag etwas abgekühlt zu sein schien.

     Ueber Venzmer schreibt Frau R., daß dieser sich in einer wenig freundlichen u. zustimmenden Weise über meine Bilder geäußert hätte. Auf sei Betreiben hin sei auch meine Rundfunkansprache, „abgesagt“ worden. Nun, das stimmt nicht ganz. Ich habe selbst darauf verzichtet, nachdem die Ausstellung in Rostock nichts wurde, Frau Haeffner vom Rundfunk dagegen hat von sich aus bei mir angefragt, wann ich das Referat halten wolle. Ich habe ihr gestern sicherheitshalber telegraphisch mitgeteilt, daß es am Sonnabend stattfinden könne. Frau R. behauptet, daß Venzmer die Absage bewirkt hätte mit der Begründung, daß meine Bilder „zu fromm“ seien. Frau R. hat darum die Sektion garnicht erst bemüht u. die Ausstellung bleibt deshalb eine Ausstellung des Museums.

     Es scheint also doch so, als hätte Herr Venzmer seine Hände da im Spiel – u. vielleicht war das auch in Rostock schon der Fall, wie Frau R. behauptet. Es ist ja sehr auffällig, daß in Rostock jetzt eine Ausstellung von [3] Partikel u. Oberländer gemacht wird, obwohl Herr Dr. Gräbke doch immer noch krank sein soll. –

     Ueber den Ausstellungsraum schreibt Frau R., daß der Ausstellungsausschuß ihr die Wahl des Raumes übertragen hätte. Sie schreibt, daß der Ausstellungsraum, von dem Venzmer gesprochen hat u. der nach dessen Aussage, zu ebener Erde liege, in Wirklichkeit im Kellergeschoß gelegen sei u. noch dazu völlig abgelegen. Der Raum sei in keiner Weise für Gemäldeausstellungen zurechtgemacht, die Wände hätten in Blickhöhe farbig wechselnde Streifen. Der große Vlamensaal dagegen, den sie nun in Aussicht genommen habe, sei der eigentliche Empfangs= u. Festsaal des Museums. Sie will ihn für mich ausräumen. So scheint nun also die Raumfrage bestens gelöst zu sein. – Zum Schluß läd sie mich nochmals ein, bei ihr zu wohnen u. zwar mit Martha, die dann ja nach Berlin weiterfahren will. Ich selbst gedenke, am Montag wieder hierher zurück zu fahren.

Freitag, 4. Oktober 1946.     

     Nachdem unsere Trude etwa 14 Tage in Rostock in der Klinik gelegen hat, um wegen einer Gehirnhöhlen Vereiterung beobachtet zu werden, ohne daß jedoch etwas unternommen worden ist, ist sie nun wieder aufs Neue erkrankt angeblich mit Nierenbecken-Entzündung. Sie fehlt uns sehr. –

     Fritz erzählt mir, Frau Burgartz habe ihm gesagt, daß meine Wahl zum Gemeinderat hinfällig sei. Es sei von Rostock der Bescheid gekommen, daß Gemeinderäte nicht gewählt zu werden brauchten. Ich bin's sehr zufrieden; aber das Ganze ist wieder eine unerhörte Schweinerei. Es ist extra ein Gesetz erlassen worden –, vor der Wahl –, nach dem überall Gemeinderäte zu wählen seien. Nun, nachdem die Wahl ergeben hat, daß es nicht möglich ist, überall SED=Mitglieder zu Gemeinderäten zu wählen, wird dieses Gesetz einfach wieder abgeschafft.

     In Althagen liegen die Verhältnisse besonders schlimm. Dort haben die Einwohner um eine Stimme mehr ungültige Stimmen abgegeben als SED-Stimmen. Man hatte schon vorher mit russischer Hilfe versucht, den Bürgermeister Dillwitz abzusetzen, obgleich er mit 95%iger Mehrheit das Vertrauen der Gemeinde hatte. Der KPD= bzw. SED=Mann, der für Dillwitz Bürgermeister werden sollte, hat aber im letzten Moment gekniffen, da er früher als Bauer polnische Arbeiter schlecht behandelt hatte u. überdies früher einmal in Gehlsdorf gewesen war. Er verzichtete deshalb u. ein anderer war nicht da. Man trat also wieder an Dillwitz heran u. sagte ihm, er könne weiter Bürgermeister bleiben, wenn er Mitglied der SED. werden würde. Er lehnte das ab, war aber leider bereit, aus der CDU. auszutreten. Man begnügte sich damit u. er wurde nun einstimmig wieder gewählt. – Am 20. Okt. wird das Volk ja hoffentlich die Antwort geben auf all diese Dinge u. es wird hoffentlich zu einer vernichtenden Niederlage der SED. kommen.

     Gestern habe ich die neue Zeichnung des „Mann auf der Flucht“ angefangen. Ich lese z. Zt. ein vorzügliches Buch von Theodor Plivier „Stalingrad“. Der Mann hat eine ungewöhnliche Kenntnis der Dinge u. dieses Buch gibt mir die beste Intention für diese Zeichnung. [4] In Nürnberg wurden 12 Todesurteile augesprochen, – nicht bloß sieben, wie ich dachte, nämlich: Göring, Ribbentrop, Keitel, Frank, Frick, Streicher, Rosenberg, Kaltenbrunner, Sauckel, Jodl, Seyß-Inquart u. Bormann. Letzterer war freilich nicht da weil er wahrscheinlich beim Einmarsch der Russen in Berlin schon umgekommen ist. Dazu muß man Hitler selbst u. Goebbels rechnen sowie Rob. Ley. – Heß, Funk u. Raeder erhielten lebenslängliche Gefängnisstrafen, v. Schirach u. Speer erhielten 20 Jahre Gefängnis, Neurath 15 Jahre u. Dönitz 10 Jahre. – Die russischen Mitglieder des Gerichtshofes haben gegen das Urteil protestiert, insofern Schacht, Papen u. Fritsche freigesprochen worden sind u. Heß zu lebenslänglicher Gefängnisstrafe verurteilt worden ist, er hätte ihrer Meinung nach ebenfalls hingerichtet werden müssen. Die Russen sind auch der Meinung, daß der Generalstab u. das Oberkommando der Wehrmacht u. die ganze Reichsregierung zu verbrecherischen Organisationen hätten erklärt werden müssen. – Die Landeszeitung entwickelt, ebenfalls eine große Hetze u. erklärt, daß „nach der Meinung des Volkes“ alle Angeklagten ausnahmslos hätten zu Tode verurteilt werden müssen. Sie unterstützt diese Ansicht mit den üblichen Meinungsäußerungen aus dem Volk.

Dienstag, 8. Oktober 1946.     

     Es waren sehr ereignisreiche u. eindrucksvolle Tage.

     Am Sonnabend früh, noch in tiefer Dunkelheit, fuhren Martha u. ich auf dem offenen Wagen von Brandt mit dem Kutscher Hanschak los gen Wustrow. Es war der Last-Plattenwagen mit Gummirädern, auf den wir drei Stühle gesetzt hatten, denn Dr. Burgartz hatte sich uns angeschlossen. Unterwegs sammelten wir noch drei junge Mädchen auf, die ebenfalls zum Autobus wollten. – Anfangs ging alles gut, aber unterwegs fing es an zu regnen, sodaß wir ziemlich durchnäßt in Wustrow um 7 Uhr ankamen (Sommerzeit). Im Autobus trafen wir den Maler Holtz, der nach Rostock zur Kulturbund-Sitzung wollte, welche am Sonnabend tagte. – Der Autobus war sehr voll, doch kamen wir mit u. hatten sogar Sitzplätze. – In Ribnitz trafen wir noch Frau Dr. Ummus mit ihrem Sohn, Medizin-Student. Beide wollten nach Rostock. Wir warteten gemeinsam im Wartesaal auf den Zug, der etwa eine Stunde später kam. Der junge Ummus bemächtigte sich unseres Gepäcks u. ergatterte mit großem Geschick für uns alle Sitzplätze in dem sonst sehr vollen Zug im letzten Waggon. Mutter u. Sohn Ummus stiegen in Rostock aus. Martha u. ich fuhren ohne Zwischenfall weiter durch bis Schwerin. Nur zum Schluß gab es eine kleine Rempelei mit einem jungen Mitreisenden infolge einer etwas unbedachten politischen Aeußerung meinerseits. Ich sah daraus, wie weltfremd man wird, wenn man jahraus u. jahrein hier [5] auf dem Dorfe wohnt. Ich hatte nämlich geglaubt, man dürfe, seitdem es keine Nazis mehr gibt, seine politische Meinung äußern. Der junge Mann, der sich als SED=Mann entpuppte, belehrte mich, daß das ein Irrtum ist; man darf auch heute nichts sagen sondern muß das Maul halten.

     In Schwerin erwartete uns Frau Dr. Riemschneider an der Sperre. Ihr Söhnchen Kaspar hatte einen kleinen Handwagen, auf den das Gepäck verladen wurde. Ich sah Schwerin zum ersten Male. Der große See, der, wie ich glaube, der Faule See heißt u. der uns gleich empfing, erinnerte lebhaft an das Alsterbassin in Hamburg, nur ist alles viel kleinstädtischer u. gemütlicher, also in gewissem Sinne besser wie Hamburg.

     Schwerin ist durch Flüchtlinge u. eine sehr große russische Garnison u. viele hohe Stäbe überaus volkreich u. belebt. Es wimmelt von Autos. So ist der Eindruck sehr lebendig u. durchaus großstädtisch. Wir hatten bis zur Wohnung von Frau R. etwa 20 Minuten zu gehen u. auf diesem Wege empfing ich einen sehr angenehmen Eindruck. Frau R. wohnt in einer Dienstwohnung, die der Direktorin des Landesmuseums gebührt, die sie jedoch nicht voll ausnutzt, da sie auch andere Leute noch dort aufgenommen hat wie Frau Maaß u. deren Tochter. Frau M. versieht dafür den Haushalt offenbar sehr gut. Ich selbst schlief in einem Bett, welches jeden Abend aus dem Schlafzimmer in das große Büro der Museums=Verwaltung geschoben wurde u. das sonst Kaspar sein eigen nennt, während Martha nebenan im Eßzimmer auf einer Kautsch schlief. Zur Familie gehört noch die 13 jährige Barbara. Kaspar ist wohl 10 Jahre alt.

     Nach dem Mittagessen machte sich Martha gleich auf den Weg, um allerhand zu erledigen, u. a. auch, um die Kirche zu erkunden die etwa 10 Minuten vom Hause entfernt liegt. Sie hat den Pfarrer gesprochen, der bereit war, uns am Sonntag Nachmittag 4 Uhr zu empfangen. Ich selbst besichtigte mit Frau R. das Museum u. meine Ausstellung.

     Frau R. hat sich eine erstaunliche Mühe gegeben. Sie hat den repräsentativsten Saal, der sonst große Gemälde von Rubens u. a. Flamen enthält, für mich ausgeräumt u. hat dort meine Bilder in einer überraschend geschickten Weise gehängt. Wenn man eintritt, sieht man sich sofort dem Christkönig gegenüber u. dieses Bild wirkt schlechthin ungeheuerlich. Rechts u. links davon hängen die Engelbilder u. die Verkündigung. Diese alle hängen rechts neben dem breiten Eingang zu einem Halbrundraum, der in sich abgeschlossen ist u. in dem, in einzelne Kojen aufgeteilt, die gut unter Glas gerahmten Zeichnungen hängen, sowie die frühen Oelbilder. Auf der anderen Seite dieses Einganges hängt die Himmelskönigin, Melchisedek, der Prophet und –, vielleicht doch nicht ganz befriedigend, auch die Treppe, die da keine rechte Beziehung findet. An der links anschließenden Querwand hängen dann [6] Dr. Tetzlaff u. die Wohnstube. Eine Tür führt dann zum Nachbarsaal, der aber abgesperrt war. Jenseits der Tür hängen ganz vorzüglich die Weidenkätzchen, die unerhört leuchten, sowie die „Blüten u. Dornen“. An der großen Eingangswand schließen sich dann die Landschaften an, unter denen die Ostseeküste mit ihren gelben Farben fabelhafte Leuchtkraft hat. Auf der anderen Seite des Einganges sind die Blumenbilder, auch noch an der anschließenden Wand, die wiederum eine zum Nachbarsaal abgeschlossene Tür hat. Hier an der Tür, zusammen mit den Blumen, hängt vorzüglich das Gnadenbild, das starken Eindruck macht. Jenseits der Tür hängt zwischen Dirne u. Gespenst der große „Aufbruch“; ebenfalls sehr stark wirkend. Daran schließt sich dann die Wand mit dem Christkönig. – Der ganze Eindruck ist ungeheuer stark u. ich war einfach erschlagen, als ich das sah. – Der Pfarrer von Ars hängt ganz für sich an der dunklen Holzwand, welche den dahinter liegenden Halbrundraum abschließt.

     Am Sonntag um 11 Uhr war dann die feierliche Eröffnung. Am Abend vorher las ich zum Glück die Rede vor, die ich zu halten gedachte u. die Frau R. einfach unmöglich fand. Wieder zeigte sich, dass ich hier in der Abgeschiedenheit ganz das Gefühl für Menschen verloren habe, von denen ich gar zu leicht annehme, daß sie mir u. meiner Malerei feindlich sind. Ich entschloß mich darum, das Manuskript zuhause zu lassen u. eine Rede aus dem Stegreif zu halten. –

Es waren wohl 150 – 200 Menschen da. Herr Verlagsbuchhändler Bahn, Vorsitzender des Ausstellungsausschusses des Kulturbundes, sprach einige einleitende Worte u. erteilte mir dann das Wort. Ich sprach frei u. ungezwungen u. hatte sehr rasch einen lebendigen Kontakt hergestellt zwischen mir u. dem Publikum u. erntete zum Schluß lebhaften Beifall durch Händeklatschen.

     Die Leute hatten moderne Bilder größtenteils noch nie gesehen, jedenfalls hat es in Schwerin dergleichen bisher nie gegeben, aber sie gingen bereitwillig auf alles ein u. zeigten größtes Interesse, – zunächst natürlich ohne eigentliches Verständnis. Ich wurde von vielen angesprochen u. um Erklärungen gebeten. Ich notierte mir den Landessuperintendenten Werner, einen Herrn Ziegler, der gern den Pfarrer von Ars gekauft hätte, ferner die beiden Schweriner Maler Gahlbeck u. Maltner, Herrn Altrock, welcher Geschäftsführer des Ausstellungsausschusses ist usw. Mehrere Leute wollten Bilder kaufen, was ich aber ablehnte, da die Kollektion ja vielleicht weiter gehen soll. Ich vertröstete die Leute auf später. Herr Venzmer war nicht erschienen, da er angeblich krank war, dafür aber war seine Frau als Beobachterin da u. machte bissige Bemerkungen über Frau Riemschneider. – So verlief also diese ganze Sache überraschend gut, wie ich es niemals [7] gedacht hatte.

     Am Morgen waren Martha u. ich natürlich zur hl. Messe gewesen. Abends waren Herr Heiling u. seine Frau bei uns. Frau H. entschuldigte sich, daß sie, als sie in Ahr. war, meine Bilder nie angesehen hätte. Sie gestand, daß sie in der BuStu. nur meine Zeichnungen gesehen u. diese nicht bejaht hätte; aber nun sei sie von dem Gesamteindruck völlig besiegt.

     Nachmittags um 4 Uhr waren wir beim Pfarrer Dr. Schräder, der sehr liebenswürdig u. ein aufgeschlossener Mann ist, mit dem ich rasch Kontakt fand. Wir verabredeten, daß ich ihm am Montag Nachmittag die Ausstellung zeigen wollte. So entschloß ich mich also einen Tag zu zugeben, denn eigentlich wollte ich am Montag früh schon wieder zurück fahren. Ich mußte ja auch noch zu Frau Haeffner im Landessender, was ich am Montag Vormittag ausführte. Da mein Referat aber nicht vor dem Mittwoch gesendet werden konnte, kamen wir überein, daß es von jemand anders für mich gelesen werden sollte, denn bis Mittwoch konnte ich mit Rücksicht auf Fritz nicht bleiben, der am Donnerstag verreisen will.

     Von Herrn u. Frau Ehm Welk, die ebenfalls bei der Eröffnung zugegen waren, hatte ich erfahren, daß die Herren Kollegen in Rostock eine große Attacke gegen mich in Szene gesetzt haben. Sie haben gegen die Ausstellung meiner Bilder im Rostocker Museum protestiert, mit der Begründung, daß noch niemals ein Rostocker Künstlerkollektiv im Rostocker Museum ausgestellt worden wäre. Es hat wohl Krach gegeben u. Ehm Welk hat den Herren seine Meinung gesagt. Er erzählte mir, daß sowohl der Stadtrat Matern wie auch Herr v. Achenbach sich mit Ehm Welk's Ansicht solidarisch erklärt hätten. In diesem Zusammenhang war es mir sehr interessant, von Frau Haeffner zu hören, daß auch bei ihr der Schweriner Maler Stapel, der ein Freund des Herrn Venzmer ist, erschienen sei u. den Versuch unternommen habe, die Rundfunksendung über mich zu verhindern. Daß Venzmer selbst gegen meine Rostocker Ausstellung intrigiert hat, steht wohl fest. Der Erfolg davon ist, daß er nun diese Ausstellung in Schwerin selbst hat u. zwar mit einer Wirkung, wie er es sich wohl nie hat träumen lassen. Frau Riemschneider hat einen umfangreichen Artikel über meine Ausstellung in die Tägliche Rundschau gebracht u. es wird dazu sogar eine Reproduktion eines Bildes erscheinen. Frau Ehm Welk, die unter dem Namen Langner schreibt, bringt einen langen Artikel in der Landeszeitung u. in der Zeitschrift des Kulturbundes „Demokratische Erneuerung“ erscheint ebenfalls ein Artikel von Frau Riemschneider.

     Am Montag abend waren wir durch Vermittlung der Schauspielerin Gruel Gäste im Staatstheater u. sahen aus der Intendantenloge das Tendenzstück „Professor Mamlock“, von dem so viel her gemacht wird. Die Schauspieler taten ihr Bestes, um dieses Stück zur Aufführung zu bringen, aber es ist ein großer [8] Schmarren mit billigen Effekten.

     Heute früh fuhr Martha nach Berlin weiter u. ich fuhr hierher zurück. In Ribnitz fand ich nur ein Schiff nach Wustrow u. dort regnete es in Strömen. Fritz holte mich zum Glück ab. Ich kam völlig durchnäßt zuhause an, von den Knien abwärts bis auf die Haut naß, sodaß ich mich total umziehen u. Kleider u. Mantel zum trocknen aufhängen mußte.

     Ich vergaß zu berichten, daß Pfr. Dr. Schräder am Montag Nachmittag mit aller größtem Interesse meine Ausstellung besichtigte u. daß wir uns dabei sehr anregend unterhielten. Natürlich waren Martha u. ich auch am Montag Morgen in der Messe gewesen, wie auch am Sonntag ein zweites Mal gleich nach unserem Besuch beim Pfarrer. Er ist ein sehr angenehmer Mann, mit dem man gut befreundet sein könnte, wenn ich in Schwerin wäre. – Und mir scheint daß ich gern dort wäre, falls ich dort eine gute u. bequeme Winterwohnung finden würde, woran aber bei der derzeitigen Uebervölkerung nicht zu denken ist.

     Hier zuhause zeigte mir Fritz, daß die Landes-Zeitung meine Entgegnung „Kritik der Kritik“, die ich vor 14 Tagen Ehm Welk für die „Demokrat. Erneuerung“ gegeben hatte, gebracht hat, u. zwar nur in der Rostocker Ausgabe, sodaß ich sie in Schwerin nicht gelesen habe. Fritz ist ärgerlich, daß die Landeszeitung diesen Artikel sehr gekürzt hat, aber man kann der Zeitung nicht übel nehmen, wenn sie die Stellen weggelassen hat, die sich gegen die Zeitung selbst richten. Ich finde es sehr anerkennenswert, daß die Zeitung diesen Artikel gebracht hat u. habe mich darüber gefreut. Ferner ist in derselben Zeitung eine größere Notiz erschienen über eine geplante Ausstellung „Ahrenshooper Künstler“, jedoch ist der einzige Ahrenshooper, der da genannt wird, der vor 30 Jahren vestorbene Schorn. Dafür aber wird Herr Venzmer um so hervorragender genannt, obgleich er garkein Ahrenshooper Künstler ist. Man scheint also meine Ausstellung in Rostock endgültig zu den Akten gelegt zu haben u. Herr Venzmer hat sich dafür in den Vordergrund geschoben. Nun gut! – Ich habe mich zu keiner Ausstellung gedrängt u. werde das auch in Zukunft nicht tun.

     Am Montag, als ich dem Pfarrer die Bilder zeigte, war auch Frau Karsten zu gegen mit ihrer Tochter u. dem soeben verlobten Schwiegersohn, der sich wohl auch Mühe geben will, über mich in der demokrat. Presse zu schreiben. Außerdem war da ein schwer kriegsbeschädigter, einbeiniger junger Mann namens Brandt, von dem ich nicht weiß, woher er kam u. der voll großer Bewunderung war.

Mittwoch, 9. Oktober 1946.     

     Heute abend bekam ich die Landeszeitung vom gestrigen Tage mit der Besprechung meiner Schweriner Ausstellung von Agathe Lindner = Frau Ehm Welk. Die Zeitung hat die Besprechung ungekürzt gebracht, obgleich sie gut 3 volle Spalten lang ist u. einen enormen Platz beanspruchte. Die Sache wirkt natürlich ganz außerordentlich u. ich denke mir, daß die Rostocker recht dumme Gesichter machen werden. In dieser Woche ist mein Name so reichlich in dieser [9] Zeitung gedruckt gewesen, daß ich zufrieden sein kann. Wenn nun noch der Artikel von Frau Riemschneider in der Täglichen Rundschau erscheinen wird, dann ist wirklich sehr viel getan.

     Morgen früh fährt Fritz nach Königsmark. Hoffentlich wird alles nach Wunsch gehen.

     Heute habe ich zum ersten Male am Nachmittag mit Holz geheizt es ist recht kalt, aber heute schien wenigstens die Sonne.

     Ich habe den Alten Juden nochmals gezeichnet. Er ist jetzt kein Jude mehr, sondern nur noch ein alter Mann. Die Architektur-Andeutungen des Hintergrundes habe ich vertauscht gegen einen dicken Baum, dessen bizarre Aeste besser den Raum aufteilen. Außerdem geben sie die Gelegenheit, die Gestalt mehr in den Raum hineinzuziehen, da ich einen Ast im Vordergrunde die Gestalt überschneiden lassen kann. Der Alte sitzt jetzt besser im Raum.

Donnerstag 10. Oktober 1946.     

     Vormittags legte ich das neue Bild „Mann im Kerker“ an. Mittags kam P. Beckmann per Rad von Ribnitz. Er berichtete, daß Herr Dr. Rudolf am Sonntag bei uns am Nachmittag das hl. Meßopfer darbringen will. Dr. R. ist der Pfarrer u. Religionslehrer, der mit den Flüchtlingen aus dem Sudetenlande hierher gekommen ist Es scheint das ein ausgezeichneter Mann zu sein. P. Beckmann aß mit mir zusammen zu Mittag u. fuhr dann nach Ribnitz zurück. Es ist wirklich ein prachtvoller junger Jesuit. Er fragte gleich nach dem Erfolg meiner Bitte beim Kardinal um Unterstützung in der Beschaffung von Farben. Ich erzählte ihm, daß ich zur Antwort bekommen hätte, daß jetzt Nahrung und. Kleidung wichtiger wären. Er meinte dasselbe, was ich meinte, daß daran garnicht zu zweifeln sei, aber mit meiner Bitte nichts zu tun hätte.

     Später brachte mir der Maler Klünder, der Schwiegersohn von Koch-Gotha, eine Postkarte von der Landesleitung des Kulturbundes, Sektion Bild. Kunst, in Schwerin folgenden Inhalts:

     Aus besonderen Gründen, auf die ich hier nicht eingehen kann, wird die Sonderausstellung Ihrer Arbeiten durch einen sogen. Ausstellungsausschuß des Kulturbundes durchgeführt, die Sektion Bildende Kunst in der Landesleitung des Kulturbundes zeichnet für diese Ausstellung nicht verantwortlich.

Der Leiter der Sektion Bild. Kunst
ergebenst
G. Venzmer

     Schwerin, den 4.10.46

     Ich habe lange gebraucht, um hinter den Sinn dieser törichten Auslassung zu kommen u. meine Haltung zu bestimmen. Ich habe dann schließlich einen Brief verfaßt, den ich abschriftlich Frau Dr. Riemschneider senden werde. In meiner Antwort habe ich an Hand meiner Tagebuch-Aufzeichnungen klargelegt, daß:

     1) die Initiative zu dieser Ausstellung nicht von mir u. auch nicht von Frau Dr. Riemschneider [10] ausgegangen ist, sondern von der Landesleitung des Kulturbundes, Herrn Pastor Kleinschmidt, u.

2) daß die Sektion für Bild. Kunst von keiner Seite aufgefordert worden ist, für diese Ausstellung verantwortlich zu zeichnen u. daher ihre Mitteilung völlig unverständlich ist.

Die ganze Sache ist eine dumme Unverschämtheit dieses Venzmer, der in seinem Haß gegen Frau. Dr. Riemschneider jede Haltung verloren zu haben scheint. – Ich werde morgen Frau Dr. R. Abschriften zugehen lassen.

Freitag, 11. Oktober 1946.     

     Da das gestern untermalte Bild nicht trocken, ist benutzte ich den Vormittag um Frau Dr. Riemschneider das Vorgefallene mitzuteilen. Abschrift meines Briefes an die Sektion habe ich hier behalten. Es ist seit gestern prächtiges Wetter, das Barometer steht sehr hoch, aber einen Schnupfen habe ich weg.

Sonnabend, 12. Oktober 1946.     

     Nach der Landeszeitung ist nun auch das Organ der CDU. in Schwerin „Der Demokrat“ mit einer Besprechung herausgekommen, u. zwar gleich in doppelter Aufmachung. Der erste Teil unter dem Titel: „Hans Brass der Expressionist – Bilder sprechen zu uns“ ist von einem Herrn Hans-Günter Mayer gezeichnet, der zweite Teil von einem Götz-Gunter Keil. Beide Kritiker geben sich wohl Mühe, besitzen aber kein Verständnis. Immerhin spricht der erste von einer „unerklärlichen Feinsinnigkeit“ des Christkönigsbildes u. meint, daß man durch das Bild hindurchsehen könne. Er bemerkt, daß zwar nicht jeder leicht den Weg zu meinem Schaffen finden könne u. daß Wille u. Beschäftigung mit den Bildern dazu gehöre, um sie zu erkennen u. er erkennt an, daß in meinen Bildern Tiefe u. hohes künstlerisches Verantwortungsgefühl vorhanden sei. – Der zweite stellt fest, daß es nur wenige Menschen geben wird, die meine Sprache verstehen. Er erklärt, daß die Bilder auf inneren Widerstand stoßen u. teilweise sogar „ängstigen in ihrem Realismus“ Dieser Herr Götz-Gunter Keil hat also offenbar überhaupt nichts abbekommen, denn er schließt mit einem Hinweis auf die Bilder des 17. u. 18. Jahrhunderts, die man durch die offenen Türen in den Nachbarsälen sieht. Von diesen sagt er, daß ihre Klarheit u. Schönheit seine Sprache seien u. seine Welt. Der arme Mann hat das Wesen des 20. Jahrhunderts immer noch nicht begriffen u. ich verstehe nicht, wie solch ein Mensch überhaupt leben kann.

     Vormittags gemalt.

Montag, 14. Oktober 1946.     

     Gestern Artikel geschrieben: „Dank an Schwerin“, für die Demokratische Erneuerung. Ich fürchte nur, daß er viel zu lang ist.

     Nachmittags kam Herr Dr. Rudlof. Ein richtiger alpiner Typ dunkelhaarig u. dunkeläugig, mit rundem Kopf, untersetzt breitschultrig, O-Beine. Aber ein guter, frommer Priester, wohl Ende der dreißiger. Es hielt ein schönes Hochamt, sein Beten teilte sich uns mit. Ein großer Unterschied gegen Prof. Rauer.

     Heute früh hatten wir nochmals eine stille Messe, [11] danach frühstückte ich mit ihm. Ich fragte ihn nach seinen persönlichen Verhältnissen. Er ist Flüchtling aus Trautenau im Sudetenlande u. hat seinen 81jährigen Vater bei sich, ferner eine Schwester u. eine Schwägerin, die Witwe seines im Kriege gefallenen Bruders. Alle leben nur von ihm. Ich gab ihm einen Geldbetrag mit, ich glaube, daß auch Frau Longard, bei der er geschlafen hat dasselbe getan hat. – Sonst erzählte er, daß in Berlin der neue Katechismus der Diözese erschienen ist ohne das Gebot der Sonn= u. Feiertagheiligung, da das von den Russen verboten wurde. Der Bischof hat den Katechismus trotzdem herausgegeben nach der Ueberlegung, daß ein solcher Katechismus besser sei als garkeiner. – Der Pfarrer von Wittenburg hat an einem Sonntag über dieses Gebot gepredigt. Er ist daraufhin von den Russen verhaftet u. nach Neubrandenburg gebracht worden, doch ist er nun auch von dort verschwunden u. niemand weiß, wo er geblieben ist. Das Pfarrhaus haben die Russen ausgeräumt einschließlich der Sachen, die der Schwester des Pfarrers gehörten, die ihm die Wirtschaft führte.

     Heute Telegramm von Martha, daß sie Mittwoch zurückkommt mit Anneliese.

     Gestern herrliches Wetter, aber heute windig, bedeckt u. recht kalt. Habe geheizt.

Mittwoch, 16. Oktober 1946.     

     Gestern früh wurden wir durch die Feststellung überrascht, daß in der Nacht in der BuStu. eingebrochen worden war. Es hatte jemand die Schaufensterscheibe zerschnitten u. den Fischlandschmuck, der in einem Glaskasten lag, gestohlen, etwa für 500,– Rm. Es ist in letzter Zeit hier viel eingebrochen worden, vor allem wurden Kaninchen u. Hühner gestohlen. Man hat kürzlich Leute, die in Althagen dergleichen gestohlen hatten, im Zuge nach Berlin geschnappt. Es lohnt sich das natürlich. – In diesem Falle war sich die ganze Belegschaft darüber einig, daß als Dieb nur der junge Kahlig in Betracht kommt, der in letzter Zeit mehrere Stücke des Fischlandschmucks gekauft hat u. auch gestern Nachmittag wieder davon kaufte. Er fährt nämlich heute nach Berlin u. wird den Schmuck dort teuer verkaufen. Ich habe Anzeige erstattet u. beantragt, daß sein Gepäck revidiert wird. Vor kurzer Zeit ist auch Nachts im Gemeindeamt eingebrochen worden, es wurden beide Schreibmaschinen gestohlen.

     Eben kam der Bürgermeister aus Ribnitz. Er erzählt, daß die Polizei den jungen Kahlig festgehalten u. sein Gepäck reividiert hat. Es wurden zwar Schnaps u. Cigaretten gefunden u. auch die von ihm gekauften Schmuckstücke, aber nicht die gestohlenen.

     Von Fritz gestern eine Karte. Er schreibt sehr begeistert von der Ausstellung in Schwerin. Es seien bisher also in der ersten Woche, 400 Besucher dagewesen, das ist sehr viel.

     Ein Herr Ernst Laukant aus Boizenburg schickte mir Zeichnungen seiner 18-jährigen Tochter. Er hat über mich in der Landeszeitung gelesen u. bittet mich, die Arbeiten seiner Tochter zu begutachten. Etwas überaus besonderes ist es nicht, aber ganz talentiert.

     Auch von Erich Friese ein Brief, in dem er mir klar zu machen sucht, wie schlimm die Russen u. die SED. wären. [12] Als ob ich das nicht wüßte!

     Heute wird Martha zurückkommen. Ich habe geheizt.

     Gestern Abend ging das Licht schon um 7 Uhr aus. Sonst geht es nach einer Stunde wieder an, gestern dauerte es bis 9 Uhr. Ich wartete es nicht ab u. ging schlafen.

     Ich arbeite am Bilde „Mann im Kerker“, aber bis jetzt komme ich noch nicht weiter. Es ist sehr schwer.

Freitag, 18. Oktober 1946.     

     Martha traf am Mittwoch Abend erst spät mit dem kleinen Autobus von Johannsen ein, es war 8 Uhr vorbei. Sie brachte Anneliese mit, die ihr auf der Reise sehr nützlich war. Sie hat eine erste Rote-Kreuz-Karte von Kurt erhalten. –

     Martha hatte viel zu erzählen. Sie war u. a. bei Prof. Resch u. Herrn Damrow, die beide zwar versicherten, daß nach wie vor die Idee meiner Ausstellung bestünde; aber wann diese Idee Gestalt annehmen würde, wußte niemand. Die Räume in der Jägerstraße sollen zudem für eine Ausstellung keineswegs sehr schön sein. Martha ist dann nach Zehlendorf gefahren u. hat Herrn Hertwig besucht, derselbe, der im Sommer einmal von Prerow aus bei mir war u. der ein sehr netter Mensch ist. Er hat in Zehlendorf irgend welchen Einfluß u. hat sich sehr entgegen kommend gezeigt. Dann war sie bei Rechtsanw. Hoffmann, der sich über den Besuch ungemein freute u. der nun sehen wird, wie man diese Ausstellung im „Haus am Waldsee“ für mich machen kann.

     Gestern Abend öffneten wir zahlreiche Päckchen, die aus Regensburg eingetroffen waren, – schöne Nahrungsmittel, aber leider kein Kaffee.

     Von Heyde kaufte ich gestern für 300,– Rm. Rohtabak, vor einigen Tagen schon einmal für 200,– Rm. Es ist viel Geld, aber ich komme damit sehr viel weiter, als wenn ich 50 gr. fertigen Tabak kaufe, der auch 200,– Rm. kostet u. dann noch minderwertig ist.

     Der „Mann im Kerker ist ein sehr schwieriges Bild. Jetzt endlich scheint der Groschen gefallen zu sein.

Sonnabend, 19. Oktober 1946.     

     Von Fritz Telegramm, daß er heute Abend wieder bei uns sein wird. – Anneliese ist heute früh nach Berlin zurückgefahren.

     Vormittags gemalt. Das Bild ist überaus schwierig u. ich bin zeitweilig ganz verzweifelt.

     Nachmittags entdeckte ich in der Landeszeitung einen neuen Artikel über meine Schweriner Ausstellung. Verfasser ist ein Schriftsteller Adam Scharrer aus Schwerin, derselbe, welcher bereits vor Eröffnung meiner Ausstellung u. ehe er überhaupt je ein Bild von mir gesehen hatte, am Landessender den Versuch unternommen hatte, die Sendung über mich zu inhibieren. Dieser Herr ist, wie ich von Frau Dr. Riemschneider hörte, ein Freund von Venzmer, welcher ihn immer vorschickt, wenn er selbst im Hintergrunde bleiben will. Natürlich nimmt Herr Sch. entschieden gegen mich Stellung, hauptsächlich deshalb, weil meine Bilder keine Waisenkinder oder sonstige Menschen der Zeit, Flüchtlinge, Kriegskrüppel, Heimkehrer oder Arbeiter zeigen, dann [13] aber auch wegen meiner Malweise, die er einen „Hexensabbat von Farben u. Masken u. Fratzen“ nennt. Es nennt meine Malerei eine Gefahr (!) –, weil dadurch junge Malschüler irritiert werden könnten. Man spürt dahinter den geheimen Wunsch eines Verbotes wie zu Hitlers Zeiten, nun aber auf Geheiß von Wilhelm Pieck. – Die Landes Zeitung selbst fordert in einer Bemerkung zu weiterer Debatte auf. Das kann ja gut werden. –

Sonntag, 20. Oktober 1946.     

     Gestern vergaß ich daß ein geistlicher Herr in der BuStu. war. Derselbe ist mit Sudeten=Flüchtlingen nach Wustrow gekommen u. er will nun regelmäßig sonntags bei uns Gottesdienst halten, erstmalig heute Nachmittag 3 Uhr. Ich selbst habe den Herrn noch nicht gesehen.

     Gestern Abend kam Fritz zurück. Es war schon ziemlich spät u. er erzählte viel; aber meine Hoffnung, daß sich da eine Heirat anspinnen könnte, scheint sich nicht zu verwirklichen.

     Fritz brachte mir noch Zeitungsausschnitte mit, von denen eine Notiz im „Demokrat“ für mich neu war. Es wird auf die stattgefundene Diskussion vor meinen Bildern hingewiesen in sehr wohlwollender Weise. Fritz sagt, es seien etwa 400 Menschen zugegen gewesen. Der Kritiker des Demokrat: Götz-Günther Keil, stellt fest, daß die rege Beteiligung beweise, daß die Schweriner Bevölkerung sich ernsthaft mit meinen Bildern beschäftige. Das Publikum erkenne widerspruchslos das ernste Ringen an, das in meiner Arbeit zum Ausdruck komme, wenn auch die Meisten die Bilder ablehnten. – Diese Kritik ist also sehr anständig. –

     Außerdem ist im „Demokrat“ noch eine weitere Kritik von Ursula Karsten erschienen unter dem Titel: „Zeitnahe Kunst, ein drittes Wort zur Ausstellung Hans Brass.“ Diese Kritik ist sehr positiv u. ausführlich. – Es geschieht also in Schwerin wirklich sehr viel. –

     Fritz brachte mir ferner einen ausführlichen Brief von Frau Dr. Riemschneider mit. Er ist am vorigen Sonntag gleich nach der Diskussion geschrieben u. sie versucht, mir dieses Ereignis zu beschreiben, obgleich sie, wie sie schreibt, noch keinen rechten Abstand dazu habe. Sie schreibt, daß die Diskussion würdig u. wohlgelungen verlaufen sei u. manch einer dadurch doch noch ein positives Verhältnis zu meinen Bildern gefunden habe. Von Pfr. Dr. Schräder schreibt sie, daß er der Sache „lächelnd u. schweigend beigewohnt“ habe.

     Die Diskussion wurde von Ehm Welk eröffnet. Es sei dann gleich der Maler Gahlbeck aufgetreten, wohlpräpariert mit vielen Notizzetteln bewaffnet, der die Ansicht vertreten habe, daß meine Malerei eine Sackgasse sei. Daraus habe sich eine fruchtbare Diskussion zwischen G. u. Frau Dr. R. ergeben, die aber leider durch „Kulturbundquerulanten“ Adam Scharrer wieder gestört wurde. Dieser selbe Mann hat ja auch in der Landeszeitung versucht, mich runter zu reißen. Herr Sch. meinte, daß diese Diskussion ein leeres Fachgespräch sei, das nicht interessiere, meine Kunst [14] sei nicht „zeitnahe“. Er hat also zum Ausdruck gebracht, was er nachher in der Landeszeitung geschrieben hat. Frau Dr. R. meint, daß seine Behauptung, die Bilder seien nicht zeitnahe, auf allseitigen heftigen Protest gestoßen sei unter Hinweis auf den „Aufbruch“.

     Danach habe Frau Karsten sehr schöne Erklärungen der Bilder „Aufbruch“ u. „Wohnstube“ gegeben u. habe damit allseitige Zustimmung geerntet. Diese Erklärungen gibt sie ja auch in ihrer Kritik im „Demokrat“, nur daß ihr leider das Mißgeschick begegnet, daß sie die Alte auf dem Bilde „Aufbruch“ als Mann u. Vater deutet, was mir einigermaßen unverständlich ist. Herr Scharrer aber habe nach seinem vollbrachten Protest den Saal verlassen, ohne sich noch weitere Erklärungen anzuhören. –

     Irgend ein aufgeregter, alter Mann mit „kriegerischen Allüren“, aus denen nicht recht ersichtlich geworden sei, ob für oder wider, erklärte das Bild „Weidenkätzchen“ für ein sehr schönes Bild, u. die Tatsache, daß man darüber überhaupt diskutiere, sei ein Frevel. –

     Ehm Welk schloß darauf die Diskussion mit einem kurzen Schlußwort. Hinterher habe sich dann ergeben, daß das anwesende Publikum sich in zwei Lager spaltete. Um Frau Dr. R. habe sich die ganze Jugend geschart während die Opposition sich um Gahlbeck sammelte. –

     Frau Dr. R. schreibt, sie sei vom Verlauf sehr befriedigt gewesen. Bis zum Sonntag Mittag seien 700 Eintrittskarten verkauft worden, die geladenen Gäste nicht gerechnet. Fritz meint, daß sich der Verkauf jetzt auf 1100 Karten beliefe. Das ist enorm. Frau Dr. R. schließt ihren Brief mit den Worten: „Wenn die gesamten Mecklenburger nicht entfernt so zögen wie der eine, dem das Rostocker Museum seine Pforten nicht öffnen soll, so wäre das doch eine vergnügliche Perspektive.“ –

     Auf jeden Fall ist bewiesen, daß in ganz Mecklenburg noch nie eine Bilderausstellung so weite Kreise in Erregung gebracht hat, wie diese, – u. das allein ist ein ganz großer Erfolg, selbst wenn die Opposition die Mehrheit hat.

     Die Landeszeitung von gestern, die heute gekommen ist, bringt bereits wiederum eine ziemlich ausführliche Notiz über die Diskussion, überschrieben: „Respekt vor den Werken der bildenden Kunst“. Unterschrieben ist die Notiz: „Y.H.“ – Wer das ist, weiß ich nicht.

     Abends: Nach Tisch zur Landtags= u. Kreistagswahl. – Um 3 Uhr kam der sudetendeutsche Pfarrer, ein kleines, verhutzeltes Männchen der uns ein Hochamt mit Predigt hielt. Die Predigt war nicht sehr bedeutend, aber die Teilnahme war enorm, da in letzter Zeit viele sudetendeutsche Flüchtlinge hier eingetroffen sind. Dieser Pfarrer ist sehr unpersönlich. Ich weiß nicht einmal wie er heißt. Wir wollten nach dem Gottesdienst mit ihm Kaffee trinken aber er machte sich gleich wieder auf den Weg nach Wustrow.

     Am Abend brachte uns Fritz die Wahlergebnisse [15] hier aus dem Dorf. Es ist so, wie es zu erwarten war. Die SED. ist mächtig abgerutscht, die CDU. hat die meisten Stimmen:

Für den Landtag wurden abgegeben

     SED = 86 Stimmen, CDU = 113 u. LDP = 24

Für den Kreistag

     SED = 84 Stimmen, CDU = 106 u. LDP = 7.

     Wenn es so schon hier im Dorfe ist wo die Leute feige sind, so ist zu erwarten, daß das Verhältnis im übrigen Lande weit krasser ist.

     Die SED hat sich nach den Gemeindewahlen mächtig als Sieger aufgebläht, – es wird sehr interessant sein, was die Partei jetzt macht. Dabei stand ihr im Wahlkampf ein riesiger Propaganda-Apparat zur Verfügung während die anderen Parteien kaum Papier bekamen, um ein kümmerliches Blättchen herauszugeben.

Montag, 21. Oktober 1946.     

     Heute bin ich endlich mit dem Bilde etwas voran gekommen, ich glaube, daß es nun gehen wird. – Die schwere Erkältung, die ich als Ertrag der Schweriner Reise immer noch mit mir herumschleppe, ist heute ebenfalls etwas besser.

     Nachmittags war Carmen Grantz da u. erzählte vom Ergehen ihres Mannes in Hamburg. Man hat ihr in die kleine Wohnung noch Flüchtlinge hineingepackt. Auch bei uns steht das Flüchtlingsproblem im Vordergrund. Fritz, der zur Kommission gehört, hatte heute eine Sitzung von drei Stunden Dauer in dieser Sache.

Mittwoch, 23. Oktober 1946.     

     Gestern wieder gemalt. Ich bin sehr schwer erkältet u. glaube, daß dies der Grund ist, warum ich mit dem Bilde nicht weiterkomme. Gestern habe ich wenigstens die Wand auf der rechten Seite im Ton richtig hinbekommen.

     Nachmittags Briefe geschrieben an Dr. Hertwig in Bln-Zehlendorf, an Herrn Manfred Pahl-Rugenstein, ebenfalls Zehlendorf. Vielleicht läßt sich eine Ausstellung im Haus am Waldsee machen. Rechtsanw. Hoffmann ist ja in derselben Richtung tätig. Ferner habe ich an Dr. Graepke – Rostock geschrieben. Ich habe ganz dumm getan u. ihm mitgeteilt, daß die Bilder nun zu der geplanten Ausstellung bereit sind. Endlich schrieb ich an Fr. Dr. Riemschneider u. fragte an, was sie mit dem kleinen Asternbild vorhatte, das sie zurückgehalten hat, – ob sie erwartet, daß ich dem Museum das Bild zum Geschenk mache. Ich wäre dazu bereit. Ferner habe ich die Frage aufgeworfen, ob man die Ausstellung um 14 Tage verlängern soll, das würde ja gut wirken. Die Diskussion über die Ausstellung reißt immer noch nicht ab, heute findet sich in der Landeszeitung wieder ein Artikel als Antwort auf den Angriff von Herrn Adam Scharrer. Der Einsender ist nicht genannt. Da er Herrn Scharrer „Genosse“ nennt, glaube ich fast, daß Dr. Burgartz der Schreiber ist.

     Gestern Abend war mir wenig gut, sodaß ich das [16] Abendbrot unterbrach u. ins Bett ging. Ich hatte 389 Fieber. Habe Tabletten genommen u. geschwitzt. Heute früh hatte ich immer noch 386 Fieber, sodaß ich liegen blieb. Erst um 11 Uhr bin ich aufgestanden, bleibe aber im Zimmer, wo es schön warm ist. Draußen ist es kalt geworden.

     Gestern brachte eine Flüchtlingsfrau aus dem Sudetenland zwei Winterastern, die sie in Wustrow gekauft hat für unseren Altar. Sie holte sich bei uns zwei Blumentöpfe dazu u. wird sie selbst einpflanzen u. dann herbringen. Das ist das erste Mal, daß einer dieser Katholiken, die nun seit 1939 zu uns zum Gottesdienst kommen, etwas dafür tun. Diese Frau ist mir schon öfter aufgefallen, sie hat ein großzügiges Gesicht. Sie erzählte mir, daß sie in ihrer Heimat ein großes Holzhaus gehabt habe, breiter als unser Haus, u. an allen Fenstern seien Geranien u. Pelargonien gewesen.

     Die Wahl hat überraschenderweise hier in Mecklenb. doch zu einem vollen Erfolg der SED. geführt. Ich habe zwar noch keine genauen Zahlen, aber der Sieg der SED. ist in Mecklenbg. jedenfalls sicher. In Berlin dagegen ist die SPD. als stärkste Partei hervorgegangen, dann folgt die CDU. u. dann erst die SED. Davon liest man freilich in der Landeszeitung nichts. Auch über das Ergebnis in den anderen Ländern ist nichts bekannt, was darauf schließen, läßt, daß Mecklenburg den Vogel abgeschossen hat.

Donnerstag, 24. Okt. 1946.     

     Es geht heute besser. Temperatur morgens 372, während ich gestern Abend noch 383 hatte.

     Es liegen nun die Wahlergebnisse vor. Tatsächlich hat die SED. die große Mehrheit überall, außer in Berlin. In der Provinz Brandenburg bleibt die SED sowohl im Landtag, wie in den Kreistagen etwas hinter der Summe von CDU u. LDP. zurück u. ebenso ist es im Landtag der Provinz Sachsen. Sonst aber hat die SED. überall die absolute Mehrheit, außer wie gesagt in Berlin. Dort steht die SED erst an dritter Stelle hinter der CDU. Die Summe der CDU= u. LDP= Stimmen reicht noch nicht entfernt an die Stimmen der SPD heran, sodaß, wenn SPD. u. SED. zusammengehen, was meist der Fall sein wird, eine absolute sozialistische Mehrheit vorhanden ist. Aber das Entscheidende ist, daß die SPD. mit riesiger Ueberlegenheit über die SED gesiegt hat. Die Landeszeitung versucht, diese Tatsache damit aus der Welt zu schaffen, als sie einfach keine Notiz davon nimmt. – Dafür bringt sie in der letzten Nummer noch einmal den Artikel: „Es geht um die Idee – nochmals die Hans-Brass-Ausstellung“, – den sie genau so gestern schon gebracht hatte. Es liegt wohl ein technisches Versehen vor da derselbe Artikel gestern mit den Büchstaben „Ro“ versehen war, also nur in der Rostocker Ausgabe erschienen war. Daraus hatte ich geschlossen, daß der ungenannte Verfasser Dr. Burgartz sei. Herr B. hatte mir ja damals in Schwerin bei der Vorbesichtigung heilig versprochen, für mich in der Presse eintreten zu wollen, wenn ich angegriffen werden würde. Ich hatte nun geglaubt, [17] er hätte dieses Versprechen eingelöst, aber –, vorsichtig wie er ist –, lieber seinen Namen nicht genannt. Nun ist aber diese heutige Wiederholung unterzeichnet mit dem Signum: „– é –“. Das kann also kaum Burgartz sein. Es muß aber doch wohl ein Rostocker sein, da der Artikel ursprünglich nur für Rostock erschient. Ich kenne jedoch hier niemanden, dessen Name mit e endet außer Herrn Gené, der aber kaum dafür in Betracht kommt. Doch mag das nun sein wie es will, diese Wiederholung ist sehr nützlich. In diesem ganzen Monat ist mein Name öfter in der Landeszeitung genannt worden als irgend ein Name eines Wahlkandidaten.

     Nachmittags kam Dr. Meyer, den Martha ohne mein Wissen hatte holen lassen. Er untersuchte mich, fand jedoch nichts, nur stellte er wieder fest, daß ich immer noch entsetzlich mager wäre u. auch sonst schlecht aussehe. – Nun ja, – das stimmt beides leider wohl, es fehlt eben einfach die Nahrung.

     In Wustrow singen die jungen Leute auf der Straße nach der Melodie des Horst-Wessel-Liedes:

„Die Preise hoch –, –
die Läden fest geschlossen.
Die Kalorien sinken Schritt für Schritt.
Es hungern stets dieselben Volksgenossen –,
die andern hungern nur im Geiste mit! –

Freitag, 25. Oktober 1946.     

     Gestern Abend war ich ganz fieberfrei, – auch heute. In diesen Tagen des Fiebers hat es ununterbrochen in mir an dem Bilde „Mann im Kerker“ gemalt. Gestern Nachmittag war endlich der Durchbruch da u. ich wußte, wie das Bild zu malen sei. In der Nacht träumte ich dann in zwei Abteilungen die Fortsetzung der Arbeit. Die zweite Abteilung ist mir leider ganz wieder entfallen, aber die erste, nach der ich sofort aufwachte u. die ich infolge dessen gründlich betrachten konnte, ist mir noch ganz gegenwärtig. Das Besondere an diesem Traum ist, daß mir sogleich nach dem Erwachen völlig klar war, daß der Traum meine Arbeit bedeutete, obgleich das Ganze sehr unter Symbolen verdeckt war.

     Ich sah von oben her das gewöhnlich recht wüst aussehende Stück Gartenland zwischen unserem Kleinen Haus u. dem Hause Dohna. Irgend welche fleißigen Hände waren dabei, unter viel Lärm hier Ordnung zu schaffen. Im Nu war der Boden geebnet, sauber geharkt u. ein kreisrundes Beet angelegt, dessen Peripherie ganz dicht mit kleinen Kastanienbäumchen bepflanzt war. – Sodann liefen diejenigen, die das gemacht hatten, abermals sehr lärmend zwischen unseren Häusern entlang, wobei sie unsere Grenze überschritten. Sie liefen zwischen dem Großen Hause u. der Waschküche hindurch, schlugen dort einen Bogen nach links, liefen dann wieder gradeaus etwa bis zu unserer Sickergrube, um dort abermals einen großen Bogen zu beschreiben, in dem nun aber alle verblieben u. viel Lärm machten. Ich zeichne [18] nun den Teil meines Bildes, den dies alles bedeutet: Ausgangspunkt des Traumes ist also das kreisrunde Beet mit den kleinen Kastanienbäumchen, – im Bild der Bauch des Sitzenden und der Schluß der blauen Hose, mit der er bekleidet ist. Dieses Stück liegt bisher noch unvollendet u. wird sich also leicht erledigen, ohne Schwierigkeiten zu machen. Von da wird die Arbeit weiterlaufen den Arm entlang, der in seinem unteren Teil weit auslädt, also „die Grenze überschreitet“, dann senkrecht nach oben u. schließlich das Rund des Kopfes.

     Im Traum war deutlich, daß von links her ein leerer Raum in dieses Kopfrund hereinbricht, denn dieser leere Raum, der im Bild das Licht ist, welches durch das Fenster hereinbricht, war im Traum durch den momentan „leeren“ Garten angedeutet, der natürlich nämlich insofern „leer“ ist, als wir ihn vor einigen Tagen gründlich ausholzen ließen, sodaß nur die Strünke der Weidenbäume dastehen. Und dahinter ist dann die noch größere Leere des Meeres, im Bilde das Fenster selbst.

     Nun ging der Traum weiter: Herr Brandt kam auf demselben Wege angerannt, den die anderen vorher gelaufen waren. Auch er machte viel Lärm u. vereinigte sich mit den anderen im Kopfrund. Jetzt zeigte sich, daß auch Frau Brandt bei jenen war. Herr Brandt trug unsere Stufenleiter auf dem Rücken. Er hing sich diese Leiter so über den Rücken, daß sie fast senkrecht stand u. Frau Brandt sich auf die unterste Stufe stellen konnte, sodaß Herr Brandt auf diese Art die Leiter mitsamt seiner Frau davontragen konnte. Er tat es und trug sie auf das Dohna'sche Grundstück zurück, also an der ganzen Linie des andren Armes entlang zu dem runden Beet mit den Kastanienbäumchen.

     Ich deutete dies so, daß meine Arbeit auf der rechte Seite des Bildes an dem Arm entlang, über Schulter und Hals zum Kopf geht. daß hier wohl noch einiges zu tun sein wird, wobei ich nicht vergessen darf, das weibliche Blau in die Farbe zu mischen, damit nicht die „Brandfarbe“ dieses ganzen Teiles allzu dominierend wird. Die Arbeit kehrt dann zurück zum Ausgangspunkt des Leibes und der Hose, wobei mir die Bedeutung des Symbols der „Kastanie“ freilich noch unklar ist. – Im Traum trat nun eine Pause ein. Ein Mann verbarg sich irgendwo im Halbschatten, Symbol für die blaue Hose, u. auch Herr Brandt verharrte hier, mit der Leiter u. seiner Frau auf dem Rücken wartend, – denn aus dem Inneren des bisher nur umschriebenen Raumes zwischen den Armen, also aus dem Raum der Brust, [19] trat jetzt eine neue Gestalt, – ein rüstiger alter Mann mit freundlichem Lächeln, der auf Brandt zuging. – Darüber erwachte ich.

     Ich weiß nicht, was es mit diesem alten Mann für eine Bewandtnis hat. Ebenso ist mir das Symbol der Stufenleiter nicht klar. Aber Brandt selbst ist klar. Er ist ein „Mann im Kerker“ im wahrsten Sinne. Die Enge Ahrenshoops muß für ihn sehr drückend sein. Dazu kommt, daß er s. Zt. nicht nur verschwiegen hat, PG. gewesen zu sein, sondern daß er sogar 2 x Lebensläufe an die Landräte in Barth u. in Rostock abgegeben hat, in denen er ausdrücklich gesagt hat, nie PG. gewesen zu sein. Ich könnte den Mann damit jederzeit ins Gefängnis bringen. Außerdem ist er der aktive u. energische Mann meines Bildes, der nun im Kerker ohnmächtig sitzt.

     Ich schlief dann wieder ein u. der Traum setzte sich fort, aber wie gesagt, die Fortsetzung hat sich meinem Bewußtsein leider wieder entzogen.

Sonnabend, 26. Oktober 1946.     

     Heute ist mein Bild einen guten Schritt vorwärts gekommen. Endlich sitzt der Kopf richtig im Raum u. auch der Oberkörper geht so. Es beginnt nun das neue Problem, den hellen, nackten Oberkörper aus der Dämmerung des Raumes u. der blauen Hose heraussteigen zu lassen, doch hoffe ich, daß diese Schwierigkeit nicht zu groß wird. Am 10. Oktober habe ich die erste Anlage dieses Bildes gemacht, sodaß ich nun schon 16 Tage daran arbeite, abgesehen von den Vorentwürfen. So lange hat mich schon lange kein Bild mehr aufgehalten.

     Gestern bekamen wir aus Althagen angeblich ein Huhn u. zwei junge Hühner, die wir teuer genug bezahlen mußten. Martha war gestern in Wustrow u. die Frau, die diese Hühner brachte, tat dies in der Dunkelheit. Frl. v. Tigerström hat mich leider nicht benachrichtigt, sondern sie ließ die Frau in den Hühnerstall, wo sie die angeblichen Hühner selbst absetzte. Heute früh stellte ich fest, daß es eine Glucke mit zwei Küken ist, von denen man noch nicht feststellen kann, ob sie einmal Hühner oder Hähne sein werden, falls wir sie überhaupt durch den Winter kriegen.

Sonntag, 27. Oktober 1946     
Christkönigsfest.     

     Gestern schrieb ich Briefe an Dr. Hertwig – Bln-Zehlendorf u. an Manfred Pahl-Rugenstein, ebenfalls Zehlendorf, um beide für eine Ausstellung meiner Bilder in Zehlendorf im „Haus am Waldsee“ zu interessieren. Heute schrieb ich an Prof. Resch vom Kulturbund Berlin wegen der s. Zt. von ihm geplanten Ausstellung u. ferner an Ilse Langner, um durch sie vielleicht die Berliner Presse für meine Schweriner Ausstellung zu interessieren. Auch Prof. Resch soll Dr. Adolf Behne dafür interessieren.

     Nachmittags 5 Uhr war Gottesdienst bei sehr geringer Beteiligung. Der alte Sudetenpfarrer ist doch schon sehr taperig, obgleich er erst 63 Jahre alt ist. Er kam zur Messe herein ohne Meßgewand, was er erst [20] merkte, als er schon vor den Altar stand u. das Staffelgebet beginnen wollte. Er mußte wieder zurückgehen u. das Meßgewand anlegen. Dann vergaß er vor dem Evangelium das „munda cor“ zu beten u. merkte es erst, als er bereits „Dominus vobiscum“ gesungen hatte. Zum Schluß sagte er anstatt des „ite missa est“, – „requiescant in pace“. Gepredigt hat er über Christus den König, daß es zum Davonlaufen war. –

     Abends ging, wie jetzt immer, um 6 Uhr 15 das Licht aus, erst kurz vor 9 Uhr geht's wieder an. Fritz war in dieser Zeit bei Dr. Burgartz, von dem das Gerücht ging, daß er den Vorsitz der Ortsgruppe des Kulturbundes niedergelegt habe. Dr. B. bestätigte dieses Gerücht u. daß er mich als seinen Nachfolger vorgeschlagen habe. Fritz sagte ihm natürlich, was Dr. B. ja auch wußte, daß ich dieses Amt auf keinen Fall übernehmen würde u. daß es wohl das beste wäre, die Ortsgruppe wieder aufzulösen, zumal da ja seitens der Behörden das gegebene Versprechen, Ahrenshoop nicht mit Flüchtlingen zu belegen, nicht gehalten worden wäre. Dabei stellte sich heraus, daß der Ort im Gegenteil noch weitere 600 Flüchtlinge bekommen soll. Das Ganze soll angeblich eine Strafmaßnahme sein, weil in Ahrenshoop so schlecht gewählt u. die SED. hinten runtergefallen sei. – Nun, erstens ist es schlechthin unmöglich hier noch 600 Flüchtlinge unterzubringen; aber 60 wären auch schon genug, um die Idee, „Ahrenshoop als Kulturbund-Bad“ zum Einsturz zu bringen. Außerdem wäre es ja reizend, wenn man diese Flüchtlinge dazu verwendete, um unliebsame Ortschaften mit ihnen „zu bestrafen“. –

     Dr. B. hat Fritz die Anschrift eines Freundes gegeben, ein Dr. Erwin Kroll in Bln-Friedenau, Laubacherstr. 14., welcher in der Lage sein soll, die „Neue Zeitung“, die in München erscheint u. gern Kunstnotizen bringt, besonders wenn es sich um moderne Kunst handelt, zu bewegen, über meine Schweriner Ausstellung wenigstens eine Notiz zu bringen.

     Herr v. Achenbach soll das Gerücht verbreiten, daß einer dieser KPD=Pastoren, Herr v. Jüchen, in der kommenden Woche an der Rostocker Universität einen Vortrag gegen den Expressionismus halten wird. Ich halte das für unglaubhaft. Pastor v. Jüchen ist ein Freund von Pastor Kleinschmidt, der bestimmt kein Gegner expressionistischer Kunst ist, u. außerdem hieße es, Eulen nach Athen zu tragen, wenn man hierzulande gegen den Expressionismus sprechen wollte. Wenn überhaupt, dann kann man hier nur für ihn sprechen. Aber man sieht, daß auf allen Gebieten die Luft hier immer dicker wird u. keiner mehr dem anderen traut. Das Leben, – ohnedies nicht leicht –, wird dadurch immer weniger angenehm u. es ist wirklich des Ueberlegens wert, ob man dem nicht entfliehen soll, diesmal nach Berlin, wo es doch anscheinend noch einen Kreis von Menschen gibt, der sich von diesen Dingen frei hält. Martha behauptet jedenfalls, daß der Rechtsanw. Hoffmann in solchem Kreise verkehrt. Aber wie soll man dort eine Wohnung finden?

[21]
Montag, 28. Oktober 1946.     

     Telegramm von Marg. Riemschneider, daß sie mit Barbara am Freitag abend hier eintreffen wird. –

     Die neue Nummer 7 der „Demokrat. Erneuerung“ ist erschienen mit einem Aufsatz von Marg. Riemschneider „Zur Ausstellung Hans Brass“. In der Bildbeilage ist eine Reproduktion des „Gnadenbild“, das leider zur Reproduktion recht ungeeignet ist.

     Heute ging das Licht bereits um 5 Uhr aus, sonst immer erst um 6 Uhr dafür ging es aber schon um 8 Uhr wieder an, sonst erst um 9 Uhr.

     Die Zeitungen der nichtrussischen Zone in Berlin, also Telegraph, Kurier u. Tagesspiegel, bringen sehr alarmierende Berichte über eine neue Welle von Demontage deutscher Industrien durch die Russen, u. zwar diesmal nicht bloß der Einrichtungen, sondern auch den Abtransport der Arbeiter u. Techniker. Vor allem geschieht das in Thüringen. Die Zeiss-Werke u. Jenaer Glas usw. werden geschlossen nach Rußland verschleppt mitsamt den Arbeitern, Spezialisten, Chemikern u. Ingenieuren, ebenso ein Werk für „Raketen=Jaeger“. Was das ist, weiß ich nicht. Es wurde mir kürzlich schon einmal erzählt, daß alle deutschen Ingenieure Chemiker usw. u. alle Spezialarbeiter, die ehemals in der Herstellung der Raketenbomben tätig waren, nach Rußland verschleppt würden, um dort diese Waffe weiter auszubauen. Das ist das wahre Angesicht dessen, was man unter „Frieden“ versteht, um den sich die sozialistischen Russen angeblich so heiß bemühen. – Die Tägl. Rundschau dagegen ist in eine wüste Schimpferei ausgebrochen im besten Kutscherton über jene anderen Zeitungen, die die Nachrichten gebracht haben. Sie werden mit Gauner u. a. Worten tituliert u. man denkt, es wäre alles nicht wahr u. gelogen. Aber nein, – es wird keine Jota dementiert von dem, was jene gedruckt haben, – es wird bloß erklärt, daß es eine bodenlose Gemeinheit u. eine unanständige Hetze gegen Rußland wäre, wenn jene Zeitungen drucken, was die reine Wahrheit ist. – Die Leute sind nun hier alle in Sorge um ihre heranwachsenden Söhne u. jeder denkt daran, wie er seinen Sohn vor den Russen verstecken kann.

Dienstag, 29. Oktober 1946.     

     Gestern Nacht ist Frl. Reinhardt in Wustrow im Krankenhause verstorben. Sie war von Schwerin zu uns als Verkäuferin gekommen auf ihren eigenen Wunsch, aber ihr Hiersein hat von Anfang an unter einem sehr ungünstigen Stern gestanden. Sie konnte sich nicht in die Gemeinschaft der anderen Angestellten einfügen u. als dann eine bis heute noch nicht aufgeklärte, recht unangenehme Geschichte eintrat, wobei es sich um ein Brot handelte, das Herrn Glaeser gestohlen wurde u. das dann nachher bei Frl. R. gefunden wurde, war es ganz aus. Frl. R. bestritt zwar, daß das bei ihr gefundene Brot das des Herrn Glaeser sei, doch konnte [22] sie die Herkunft des bei ihr gefundenen Brotes nicht nachweisen. – Bald darauf wurde sie krank. Kaum wieder gesund, bekam sie eine Lungenentzündung, an der sie nun gestorben ist. Martha war am letzten Freitag bei ihr im Krankenhause u. sie sagt, daß es da schon hoffnungslos mit ihr ausgesehen habe. –

[22]
Donnerstag, 31. Oktober 1946.     

[22]      Plötzlich haben die Russen jeglichen Autoverkehr verboten, auch die Verkehrs-Omnibusse sind eingestellt, sodaß wir an Frau Dr. Riemschneider telegraphieren mußten, daß nur die Dampfer-Verbindung nach hier besteht, ab Ribnitz 2 Uhr. Sie muß also schon früh von Schwerin abfahren, wenn sie den Dampfer erreichen will.

     In der Landeszeitung verbreitet sich ein Herr Harald Oberg aus Wismar unter dem Titel „Abwege der Kunst“ über meine Schweriner Ausstellung in einer höchst arroganten Weise. Dieser Herr, der Schulmeister in Wismar zu sein scheint, erklärt ganz einfach, daß ich „überhaupt nicht mehr zur Diskussion stehen sollte“. –

     Fritz hat über die Tochter Niemann mit Frau Dr. Riemschneider telephoniert. Sie wird demnach morgen Nachmittag gegen 1/2 4 Uhr im Hafen Althagen ankommen. Dadurch entstehen bei uns allerhand Schwierigkeiten. Zunächst muß Martha ihre Teilnahme an der Beerdigung von Frl. Reinhard, die um die gleiche Zeit ist, absagen, Frl. v. Tigerström muß sie vertreten, während Martha selbst Frau Dr. R. abholen wird. Fritz u. ich haben um dieselbe Zeit eine Sitzung des Kulturbundes, bei der es sich darum handelt, daß die Fischlandkünstler sich als selbständige Sektion zusammenschließen sollen. Es ist unmöglich, dieser Sitzung fern zu bleiben. Ferner sollte morgen Nachmittag Ausgabe von Textilien gegen Bezugsscheine stattfinden, aber das läßt sich auf übermorgen verschieben. – Sodann das Problem: wo u. wie soll Frau Dr. R. mit Barbara wohnen? Und wie sollen wir die beiden ernähren? Vor Montag früh können beide hier nicht fort, da am Sonntag keine Verbindung besteht. Am Sonnabend Nachmittag will der Sudetenpfarrer zum Ueberfluß bei uns Gottesdienst abhalten. – Es wird in der Tat am besten sein, wenn wir die beiden bei Lukas=Saatmann unterbringen, obgleich das etwas ungastlich aussieht; aber wir wissen nicht, wie wir's im Hause machen sollen. Und zu essen haben wir z. Zt. so gut wie nichts, – es ist überaus schwer, daß wir selbst satt werden, was meist nicht möglich ist. – Es wird. sehr schwierig werden. Dazu kommt noch die tägliche Lichtabschaltung von 6 – 9 Uhr die wirklich sehr unangenehm ist. Es bleibt nichts anderes übrig als von 6 – 9 Uhr zu schlafen, aber mit dem Rest des Abends kann man dann nichts mehr anfangen.