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TBHB 1946-10-08

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1946-10-08
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Entstehungsdatum: 1946
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Originaltitel: Dienstag, 8. Oktober 1946.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 8. Oktober 1946
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Einführung

[Bearbeiten]

Der Artikel TBHB 1946-10-08 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 8. Oktober 1946. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über fünf Seiten.

Tagebuchauszüge

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[1]
Dienstag, 8. Oktober 1946.     

[1]      Es waren sehr ereignisreiche u. eindrucksvolle Tage.

     Am Sonnabend früh, noch in tiefer Dunkelheit, fuhren Martha u. ich auf dem offenen Wagen von Brandt mit dem Kutscher Hanschak los gen Wustrow. Es war der Last-Plattenwagen mit Gummirädern, auf den wir drei Stühle gesetzt hatten, denn Dr. Burgartz hatte sich uns angeschlossen. Unterwegs sammelten wir noch drei junge Mädchen auf, die ebenfalls zum Autobus wollten. – Anfangs ging alles gut, aber unterwegs fing es an zu regnen, sodaß wir ziemlich durchnäßt in Wustrow um 7 Uhr ankamen (Sommerzeit). Im Autobus trafen wir den Maler Holtz, der nach Rostock zur Kulturbund-Sitzung wollte, welche am Sonnabend tagte. – Der Autobus war sehr voll, doch kamen wir mit u. hatten sogar Sitzplätze. – In Ribnitz trafen wir noch Frau Dr. Ummus mit ihrem Sohn, Medizin-Student. Beide wollten nach Rostock. Wir warteten gemeinsam im Wartesaal auf den Zug, der etwa eine Stunde später kam. Der junge Ummus bemächtigte sich unseres Gepäcks u. ergatterte mit großem Geschick für uns alle Sitzplätze in dem sonst sehr vollen Zug im letzten Waggon. Mutter u. Sohn Ummus stiegen in Rostock aus. Martha u. ich fuhren ohne Zwischenfall weiter durch bis Schwerin. Nur zum Schluß gab es eine kleine Rempelei mit einem jungen Mitreisenden infolge einer etwas unbedachten politischen Aeußerung meinerseits. Ich sah daraus, wie weltfremd man wird, wenn man jahraus u. jahrein hier [2] auf dem Dorfe wohnt. Ich hatte nämlich geglaubt, man dürfe, seitdem es keine Nazis mehr gibt, seine politische Meinung äußern. Der junge Mann, der sich als SED=Mann entpuppte, belehrte mich, daß das ein Irrtum ist; man darf auch heute nichts sagen sondern muß das Maul halten.

     In Schwerin erwartete uns Frau Dr. Riemschneider an der Sperre. Ihr Söhnchen Kaspar hatte einen kleinen Handwagen, auf den das Gepäck verladen wurde. Ich sah Schwerin zum ersten Male. Der große See, der, wie ich glaube, der Faule See heißt u. der uns gleich empfing, erinnerte lebhaft an das Alsterbassin in Hamburg, nur ist alles viel kleinstädtischer u. gemütlicher, also in gewissem Sinne besser wie Hamburg.

     Schwerin ist durch Flüchtlinge u. eine sehr große russische Garnison u. viele hohe Stäbe überaus volkreich u. belebt. Es wimmelt von Autos. So ist der Eindruck sehr lebendig u. durchaus großstädtisch. Wir hatten bis zur Wohnung von Frau R. etwa 20 Minuten zu gehen u. auf diesem Wege empfing ich einen sehr angenehmen Eindruck. Frau R. wohnt in einer Dienstwohnung, die der Direktorin des Landesmuseums gebührt, die sie jedoch nicht voll ausnutzt, da sie auch andere Leute noch dort aufgenommen hat wie Frau Maaß u. deren Tochter. Frau M. versieht dafür den Haushalt offenbar sehr gut. Ich selbst schlief in einem Bett, welches jeden Abend aus dem Schlafzimmer in das große Büro der Museums=Verwaltung geschoben wurde u. das sonst Kaspar sein eigen nennt, während Martha nebenan im Eßzimmer auf einer Kautsch schlief. Zur Familie gehört noch die 13 jährige Barbara. Kaspar ist wohl 10 Jahre alt.

     Nach dem Mittagessen machte sich Martha gleich auf den Weg, um allerhand zu erledigen, u. a. auch, um die Kirche zu erkunden die etwa 10 Minuten vom Hause entfernt liegt. Sie hat den Pfarrer gesprochen, der bereit war, uns am Sonntag Nachmittag 4 Uhr zu empfangen. Ich selbst besichtigte mit Frau R. das Museum u. meine Ausstellung.

     Frau R. hat sich eine erstaunliche Mühe gegeben. Sie hat den repräsentativsten Saal, der sonst große Gemälde von Rubens u. a. Flamen enthält, für mich ausgeräumt u. hat dort meine Bilder in einer überraschend geschickten Weise gehängt. Wenn man eintritt, sieht man sich sofort dem Christkönig gegenüber u. dieses Bild wirkt schlechthin ungeheuerlich. Rechts u. links davon hängen die Engelbilder u. die Verkündigung. Diese alle hängen rechts neben dem breiten Eingang zu einem Halbrundraum, der in sich abgeschlossen ist u. in dem, in einzelne Kojen aufgeteilt, die gut unter Glas gerahmten Zeichnungen hängen, sowie die frühen Oelbilder. Auf der anderen Seite dieses Einganges hängt die Himmelskönigin, Melchisedek, der Prophet und –, vielleicht doch nicht ganz befriedigend, auch die Treppe, die da keine rechte Beziehung findet. An der links anschließenden Querwand hängen dann [3] Dr. Tetzlaff u. die Wohnstube. Eine Tür führt dann zum Nachbarsaal, der aber abgesperrt war. Jenseits der Tür hängen ganz vorzüglich die Weidenkätzchen, die unerhört leuchten, sowie die „Blüten u. Dornen“. An der großen Eingangswand schließen sich dann die Landschaften an, unter denen die Ostseeküste mit ihren gelben Farben fabelhafte Leuchtkraft hat. Auf der anderen Seite des Einganges sind die Blumenbilder, auch noch an der anschließenden Wand, die wiederum eine zum Nachbarsaal abgeschlossene Tür hat. Hier an der Tür, zusammen mit den Blumen, hängt vorzüglich das Gnadenbild, das starken Eindruck macht. Jenseits der Tür hängt zwischen Dirne u. Gespenst der große „Aufbruch“; ebenfalls sehr stark wirkend. Daran schließt sich dann die Wand mit dem Christkönig. – Der ganze Eindruck ist ungeheuer stark u. ich war einfach erschlagen, als ich das sah. – Der Pfarrer von Ars hängt ganz für sich an der dunklen Holzwand, welche den dahinter liegenden Halbrundraum abschließt.

     Am Sonntag um 11 Uhr war dann die feierliche Eröffnung. Am Abend vorher las ich zum Glück die Rede vor, die ich zu halten gedachte u. die Frau R. einfach unmöglich fand. Wieder zeigte sich, dass ich hier in der Abgeschiedenheit ganz das Gefühl für Menschen verloren habe, von denen ich gar zu leicht annehme, daß sie mir u. meiner Malerei feindlich sind. Ich entschloß mich darum, das Manuskript zuhause zu lassen u. eine Rede aus dem Stegreif zu halten. –

Es waren wohl 150 – 200 Menschen da. Herr Verlagsbuchhändler Bahn, Vorsitzender des Ausstellungsausschusses des Kulturbundes, sprach einige einleitende Worte u. erteilte mir dann das Wort. Ich sprach frei u. ungezwungen u. hatte sehr rasch einen lebendigen Kontakt hergestellt zwischen mir u. dem Publikum u. erntete zum Schluß lebhaften Beifall durch Händeklatschen.

     Die Leute hatten moderne Bilder größtenteils noch nie gesehen, jedenfalls hat es in Schwerin dergleichen bisher nie gegeben, aber sie gingen bereitwillig auf alles ein u. zeigten größtes Interesse, – zunächst natürlich ohne eigentliches Verständnis. Ich wurde von vielen angesprochen u. um Erklärungen gebeten. Ich notierte mir den Landessuperintendenten Werner, einen Herrn Ziegler, der gern den Pfarrer von Ars gekauft hätte, ferner die beiden Schweriner Maler Gahlbeck u. Maltner, Herrn Altrock, welcher Geschäftsführer des Ausstellungsausschusses ist usw. Mehrere Leute wollten Bilder kaufen, was ich aber ablehnte, da die Kollektion ja vielleicht weiter gehen soll. Ich vertröstete die Leute auf später. Herr Venzmer war nicht erschienen, da er angeblich krank war, dafür aber war seine Frau als Beobachterin da u. machte bissige Bemerkungen über Frau Riemschneider. – So verlief also diese ganze Sache überraschend gut, wie ich es niemals [4] gedacht hatte.

     Am Morgen waren Martha u. ich natürlich zur hl. Messe gewesen. Abends waren Herr Heiling u. seine Frau bei uns. Frau H. entschuldigte sich, daß sie, als sie in Ahr. war, meine Bilder nie angesehen hätte. Sie gestand, daß sie in der BuStu. nur meine Zeichnungen gesehen u. diese nicht bejaht hätte; aber nun sei sie von dem Gesamteindruck völlig besiegt.

     Nachmittags um 4 Uhr waren wir beim Pfarrer Dr. Schräder, der sehr liebenswürdig u. ein aufgeschlossener Mann ist, mit dem ich rasch Kontakt fand. Wir verabredeten, daß ich ihm am Montag Nachmittag die Ausstellung zeigen wollte. So entschloß ich mich also einen Tag zu zugeben, denn eigentlich wollte ich am Montag früh schon wieder zurück fahren. Ich mußte ja auch noch zu Frau Haeffner im Landessender, was ich am Montag Vormittag ausführte. Da mein Referat aber nicht vor dem Mittwoch gesendet werden konnte, kamen wir überein, daß es von jemand anders für mich gelesen werden sollte, denn bis Mittwoch konnte ich mit Rücksicht auf Fritz nicht bleiben, der am Donnerstag verreisen will.

     Von Herrn u. Frau Ehm Welk, die ebenfalls bei der Eröffnung zugegen waren, hatte ich erfahren, daß die Herren Kollegen in Rostock eine große Attacke gegen mich in Szene gesetzt haben. Sie haben gegen die Ausstellung meiner Bilder im Rostocker Museum protestiert, mit der Begründung, daß noch niemals ein Rostocker Künstlerkollektiv im Rostocker Museum ausgestellt worden wäre. Es hat wohl Krach gegeben u. Ehm Welk hat den Herren seine Meinung gesagt. Er erzählte mir, daß sowohl der Stadtrat Matern wie auch Herr v. Achenbach sich mit Ehm Welk's Ansicht solidarisch erklärt hätten. In diesem Zusammenhang war es mir sehr interessant, von Frau Haeffner zu hören, daß auch bei ihr der Schweriner Maler Stapel, der ein Freund des Herrn Venzmer ist, erschienen sei u. den Versuch unternommen habe, die Rundfunksendung über mich zu verhindern. Daß Venzmer selbst gegen meine Rostocker Ausstellung intrigiert hat, steht wohl fest. Der Erfolg davon ist, daß er nun diese Ausstellung in Schwerin selbst hat u. zwar mit einer Wirkung, wie er es sich wohl nie hat träumen lassen. Frau Riemschneider hat einen umfangreichen Artikel über meine Ausstellung in die Tägliche Rundschau gebracht u. es wird dazu sogar eine Reproduktion eines Bildes erscheinen. Frau Ehm Welk, die unter dem Namen Langner schreibt, bringt einen langen Artikel in der Landeszeitung u. in der Zeitschrift des Kulturbundes „Demokratische Erneuerung“ erscheint ebenfalls ein Artikel von Frau Riemschneider.

     Am Montag abend waren wir durch Vermittlung der Schauspielerin Gruel Gäste im Staatstheater u. sahen aus der Intendantenloge das Tendenzstück „Professor Mamlock“, von dem so viel her gemacht wird. Die Schauspieler taten ihr Bestes, um dieses Stück zur Aufführung zu bringen, aber es ist ein großer [5] Schmarren mit billigen Effekten.

     Heute früh fuhr Martha nach Berlin weiter u. ich fuhr hierher zurück. In Ribnitz fand ich nur ein Schiff nach Wustrow u. dort regnete es in Strömen. Fritz holte mich zum Glück ab. Ich kam völlig durchnäßt zuhause an, von den Knien abwärts bis auf die Haut naß, sodaß ich mich total umziehen u. Kleider u. Mantel zum trocknen aufhängen mußte.

     Ich vergaß zu berichten, daß Pfr. Dr. Schräder am Montag Nachmittag mit aller größtem Interesse meine Ausstellung besichtigte u. daß wir uns dabei sehr anregend unterhielten. Natürlich waren Martha u. ich auch am Montag Morgen in der Messe gewesen, wie auch am Sonntag ein zweites Mal gleich nach unserem Besuch beim Pfarrer. Er ist ein sehr angenehmer Mann, mit dem man gut befreundet sein könnte, wenn ich in Schwerin wäre. – Und mir scheint daß ich gern dort wäre, falls ich dort eine gute u. bequeme Winterwohnung finden würde, woran aber bei der derzeitigen Uebervölkerung nicht zu denken ist.

     Hier zuhause zeigte mir Fritz, daß die Landes-Zeitung meine Entgegnung „Kritik der Kritik“, die ich vor 14 Tagen Ehm Welk für die „Demokrat. Erneuerung“ gegeben hatte, gebracht hat, u. zwar nur in der Rostocker Ausgabe, sodaß ich sie in Schwerin nicht gelesen habe. Fritz ist ärgerlich, daß die Landeszeitung diesen Artikel sehr gekürzt hat, aber man kann der Zeitung nicht übel nehmen, wenn sie die Stellen weggelassen hat, die sich gegen die Zeitung selbst richten. Ich finde es sehr anerkennenswert, daß die Zeitung diesen Artikel gebracht hat u. habe mich darüber gefreut. Ferner ist in derselben Zeitung eine größere Notiz erschienen über eine geplante Ausstellung „Ahrenshooper Künstler“, jedoch ist der einzige Ahrenshooper, der da genannt wird, der vor 30 Jahren vestorbene Schorn. Dafür aber wird Herr Venzmer um so hervorragender genannt, obgleich er garkein Ahrenshooper Künstler ist. Man scheint also meine Ausstellung in Rostock endgültig zu den Akten gelegt zu haben u. Herr Venzmer hat sich dafür in den Vordergrund geschoben. Nun gut! – Ich habe mich zu keiner Ausstellung gedrängt u. werde das auch in Zukunft nicht tun.

     Am Montag, als ich dem Pfarrer die Bilder zeigte, war auch Frau Karsten zu gegen mit ihrer Tochter u. dem soeben verlobten Schwiegersohn, der sich wohl auch Mühe geben will, über mich in der demokrat. Presse zu schreiben. Außerdem war da ein schwer kriegsbeschädigter, einbeiniger junger Mann namens Brandt, von dem ich nicht weiß, woher er kam u. der voll großer Bewunderung war.