TBHB 1946-10-20
Einführung
[Bearbeiten]Der Artikel TBHB 1946-10-20 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 20. Oktober 1946. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über drei Seiten.
Tagebuchauszüge
[Bearbeiten][1] Gestern vergaß ich daß ein geistlicher Herr in der BuStu. war. Derselbe ist mit Sudeten=Flüchtlingen nach Wustrow gekommen u. er will nun regelmäßig sonntags bei uns Gottesdienst halten, erstmalig heute Nachmittag 3 Uhr. Ich selbst habe den Herrn noch nicht gesehen.
Gestern Abend kam Fritz zurück. Es war schon ziemlich spät u. er erzählte viel; aber meine Hoffnung, daß sich da eine Heirat anspinnen könnte, scheint sich nicht zu verwirklichen.
Fritz brachte mir noch Zeitungsausschnitte mit, von denen eine Notiz im „Demokrat“ für mich neu war. Es wird auf die stattgefundene Diskussion vor meinen Bildern hingewiesen in sehr wohlwollender Weise. Fritz sagt, es seien etwa 400 Menschen zugegen gewesen. Der Kritiker des Demokrat: Götz-Günther Keil, stellt fest, daß die rege Beteiligung beweise, daß die Schweriner Bevölkerung sich ernsthaft mit meinen Bildern beschäftige. Das Publikum erkenne widerspruchslos das ernste Ringen an, das in meiner Arbeit zum Ausdruck komme, wenn auch die Meisten die Bilder ablehnten. – Diese Kritik ist also sehr anständig. –
Außerdem ist im „Demokrat“ noch eine weitere Kritik von Ursula Karsten erschienen unter dem Titel: „Zeitnahe Kunst, ein drittes Wort zur Ausstellung Hans Brass.“ Diese Kritik ist sehr positiv u. ausführlich. – Es geschieht also in Schwerin wirklich sehr viel. –
Fritz brachte mir ferner einen ausführlichen Brief von Frau Dr. Riemschneider mit. Er ist am vorigen Sonntag gleich nach der Diskussion geschrieben u. sie versucht, mir dieses Ereignis zu beschreiben, obgleich sie, wie sie schreibt, noch keinen rechten Abstand dazu habe. Sie schreibt, daß die Diskussion würdig u. wohlgelungen verlaufen sei u. manch einer dadurch doch noch ein positives Verhältnis zu meinen Bildern gefunden habe. Von Pfr. Dr. Schräder schreibt sie, daß er der Sache „lächelnd u. schweigend beigewohnt“ habe.
Die Diskussion wurde von Ehm Welk eröffnet. Es sei dann gleich der Maler Gahlbeck aufgetreten, wohlpräpariert mit vielen Notizzetteln bewaffnet, der die Ansicht vertreten habe, daß meine Malerei eine Sackgasse sei. Daraus habe sich eine fruchtbare Diskussion zwischen G. u. Frau Dr. R. ergeben, die aber leider durch „Kulturbundquerulanten“ Adam Scharrer wieder gestört wurde. Dieser selbe Mann hat ja auch in der Landeszeitung versucht, mich runter zu reißen. Herr Sch. meinte, daß diese Diskussion ein leeres Fachgespräch sei, das nicht interessiere, meine Kunst [2] sei nicht „zeitnahe“. Er hat also zum Ausdruck gebracht, was er nachher in der Landeszeitung geschrieben hat. Frau Dr. R. meint, daß seine Behauptung, die Bilder seien nicht zeitnahe, auf allseitigen heftigen Protest gestoßen sei unter Hinweis auf den „Aufbruch“.
Danach habe Frau Karsten sehr schöne Erklärungen der Bilder „Aufbruch“ u. „Wohnstube“ gegeben u. habe damit allseitige Zustimmung geerntet. Diese Erklärungen gibt sie ja auch in ihrer Kritik im „Demokrat“, nur daß ihr leider das Mißgeschick begegnet, daß sie die Alte auf dem Bilde „Aufbruch“ als Mann u. Vater deutet, was mir einigermaßen unverständlich ist. Herr Scharrer aber habe nach seinem vollbrachten Protest den Saal verlassen, ohne sich noch weitere Erklärungen anzuhören. –
Irgend ein aufgeregter, alter Mann mit „kriegerischen Allüren“, aus denen nicht recht ersichtlich geworden sei, ob für oder wider, erklärte das Bild „Weidenkätzchen“ für ein sehr schönes Bild, u. die Tatsache, daß man darüber überhaupt diskutiere, sei ein Frevel. –
Ehm Welk schloß darauf die Diskussion mit einem kurzen Schlußwort. Hinterher habe sich dann ergeben, daß das anwesende Publikum sich in zwei Lager spaltete. Um Frau Dr. R. habe sich die ganze Jugend geschart während die Opposition sich um Gahlbeck sammelte. –
Frau Dr. R. schreibt, sie sei vom Verlauf sehr befriedigt gewesen. Bis zum Sonntag Mittag seien 700 Eintrittskarten verkauft worden, die geladenen Gäste nicht gerechnet. Fritz meint, daß sich der Verkauf jetzt auf 1100 Karten beliefe. Das ist enorm. Frau Dr. R. schließt ihren Brief mit den Worten: „Wenn die gesamten Mecklenburger nicht entfernt so zögen wie der eine, dem das Rostocker Museum seine Pforten nicht öffnen soll, so wäre das doch eine vergnügliche Perspektive.“ –
Auf jeden Fall ist bewiesen, daß in ganz Mecklenburg noch nie eine Bilderausstellung so weite Kreise in Erregung gebracht hat, wie diese, – u. das allein ist ein ganz großer Erfolg, selbst wenn die Opposition die Mehrheit hat.
Die Landeszeitung von gestern, die heute gekommen ist, bringt bereits wiederum eine ziemlich ausführliche Notiz über die Diskussion, überschrieben: „Respekt vor den Werken der bildenden Kunst“. Unterschrieben ist die Notiz: „Y.H.“ – Wer das ist, weiß ich nicht.
Abends: Nach Tisch zur Landtags= u. Kreistagswahl. – Um 3 Uhr kam der sudetendeutsche Pfarrer, ein kleines, verhutzeltes Männchen der uns ein Hochamt mit Predigt hielt. Die Predigt war nicht sehr bedeutend, aber die Teilnahme war enorm, da in letzter Zeit viele sudetendeutsche Flüchtlinge hier eingetroffen sind. Dieser Pfarrer ist sehr unpersönlich. Ich weiß nicht einmal wie er heißt. Wir wollten nach dem Gottesdienst mit ihm Kaffee trinken aber er machte sich gleich wieder auf den Weg nach Wustrow.
Am Abend brachte uns Fritz die Wahlergebnisse [3] hier aus dem Dorf. Es ist so, wie es zu erwarten war. Die SED. ist mächtig abgerutscht, die CDU. hat die meisten Stimmen:
Für den Landtag wurden abgegeben
SED = 86 Stimmen, CDU = 113 u. LDP = 24
Für den Kreistag
SED = 84 Stimmen, CDU = 106 u. LDP = 7.
Wenn es so schon hier im Dorfe ist wo die Leute feige sind, so ist zu erwarten, daß das Verhältnis im übrigen Lande weit krasser ist.
Die SED hat sich nach den Gemeindewahlen mächtig als Sieger aufgebläht, – es wird sehr interessant sein, was die Partei jetzt macht. Dabei stand ihr im Wahlkampf ein riesiger Propaganda-Apparat zur Verfügung während die anderen Parteien kaum Papier bekamen, um ein kümmerliches Blättchen herauszugeben.