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TBHB 1946-12

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Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1946-12
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Entstehungsdatum: 1946
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Originaltitel: Dezember 1946
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom Dezember 1946
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Einführung

[Bearbeiten]

Der Artikel TBHB 1946-12 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom Dezember 1946. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über 26 Seiten.

Tagebuchauszüge

[Bearbeiten]
[1]
Sonntag, 1. Dezember 1946.     
1. Advent.     

[1]      Um das neue Kirchenjahr gebührend zu beachten, tranken wir abends die eine von zwei letzten Flaschen Rotwein. Da ich aber nichts mehr zu rauchen habe, war der Genuß nur halb. Hunger hatte ich auch. –

     Vormittags schrieb ich an Herrn Edgar Zieger = Sellin, ferner an Ruth u. Erich, sowie an Klaus u. Irmingard, die sich, dem Vernehmen nach wieder verheiratet haben sollen. – Sonst verlief der Tag still nachdem der Dechant Pich durch einen Boten hatte bestellen lassen, daß er sich in Sachsen befinde u. deshalb heute bei uns nicht das heilige Opfer darbringen könne. Ich glaube, er wird wohl überhaupt den Staub unserer Gegend von seinen Füßen schütteln. Uebel nehmen kann man ihm das nicht. –

     Sonst hat sich nichts ereignet. Es sieht eben auf der ganzen Linie ziemlich trübe aus. Ganz Deutschland gleitet langsam aber sicher in völlige Hoffnungslosigkeit.

[1]
Montag, 2. Dezember 1946.     

[1]      Regenwetter u. so dunkel, daß ich nicht malen kann. – Heute früh legte die Glucke zum ersten Male ein Ei, u. zwar in meinem Beisein. Ich habe noch nie ein Huhn beim Eierlegen beobachtet. Als ich morgens den Stall öffnete, kam die Glucke, die sonst immer die erste ist, zuletzt heraus. Es fiel mir auf, daß sie um den Leib sehr geschwollen aussah u. mit den Schenkeln einknickte. Obwohl sie sonst sehr gierig beim Fressen ist, war ihr heute das Korn gleichgültig u. sie ging gleich wieder in den Stall zurück. Ich hatte Sorge, daß sie krank wäre u. ging durch die Waschküche in den Stall um sie zu beobachten. Sie saß am Boden u. ging dann in eine Ecke, wo sie sich hinhockte u. das Ei legte. Sobald sie das Eie los war, lief sie eilig hinaus, um zum Fressen zu kommen. Sie hat also nicht das Nest benutzt, das etwa in Brusthöhe angebracht ist u. von der Sitzstange aus leicht zu erreichen ist, sondern sie legte das Ei auf den Fußboden. Ich habe nun gleich in dieser Ecke des Stalles mit Brettern u. Stroh ein Nest gebaut.

[2]
Dienstag, 3. Dezember 1946.     

     Den gestrigen dunklen Tag benutzte ich, um eine Landschafts-Zeichnung zu machen als Fortführung einer Fotographie nach einem alten Bilde von mir. Eine Dorfstraße. Sehr gut geworden, ich kann danach eine kleine Landschaft malen.

     Abends sandte uns Frau Neumann Nachricht, daß bei ihr Beamte des Finanzamtes seien u. heute zu uns kommen wollten. Wir erwarteten sie, aber sie kamen nicht. – Vormittags das Bild weiter gemalt, das wirklich sehr schön zu werden verspricht. Am Nachmittag besuchte mich ganz kurz Max Grantz, der für einige Zeit Urlaub hat. Ich zeigte ihm die Fotos von meiner Schweriner Ausstellung, sowie die Fotos der Bilder, die ihm sehr gefielen. Er will in den nächsten Tagen wiederkommen u. wird sich dann die neuen Bilder ansehen.

     Martha ist stark erkältet richtiger Schnupfen, habe deshalb heute stärker geheizt. Gott sei Dank, daß die Witterung dauernd milde ist.

     Gestern Abend gab es ein sehr annehmbares, dunkles Bier bei Möller. Ich ging mit Martha, die von Möller Roggenschrot kaufte, rüber u. holte mir in einer Milchkanne u. wir tranken es abends. Bei Möller waren Spangenberg u. Holzerland u. tranken Schnaps. Beide waren bereits ziemlich betrunken u. ich mußte eine Lage ausgeben, die mir einschl. meines Bieres 15,– Rm. kostete. Spangenberg u. Holzerland schimpften auf die Russen, die uns ruinieren. Momentan macht Stalin auf der Un=Konferenz in New-York in Frieden u. Abrüstung u. das hat für Deutschland den Vorteil, daß viel russisches Militär abtransportiert wird. Man spricht von 20 Divisionen. Aber diese Divisionen nehmen natürlich mit, was sie kriegen können, vor allem Schweine. In Ribnitz u. Umgegend sollen Unmengen von Schweinen von den Russen mitgenommen sein. Kontrollieren kann ich das nicht.

     Von Heyde habe ich für 100,– Rm. Tabak bekommen. Es ist eine Sünde, – aber das Leben ist leichter, wenn man rauchen kann.

     Die Glucke hat heute Nachmittag schon wieder ein Ei gelegt. Am Sonntag werden wir zum Frühstück Eier essen. Zum Abendessen haben wir z. Zt. nichts anderes als Kartoffeln u. trockenes Brot. Ich freue mich schon auf Weihnachten, wenn wir wieder ein Karnickel schlachten werden. Es ist wirklich schlimm! –

Donnerstag, 5. Dezember 1946.     

     Die Glucke legt täglich ein Ei. Wir werden am Sonntag zum Frühstück jeder ein Ei essen u. dann noch etwas haben, um das Mittagessen zu verbessern.

     Wir sind heute alle um 7 Uhr aufgestanden, weil um 1/2 8 Uhr der Töpfer Röwer kommen will, um das Ofenrohr der Zentralheizung herauszunehmen. Er will das Knie nach Wustrow zum Schmied bringen, um eine Reinigungsklappe anbringen zu lassen, denn der Ofen qualmt unerträglich, weil er wahrscheinlich an diesem Knie verstopft ist. Gestern hat Röwer den kleinen Behelfsherd, den wir bisher in der [3] Waschküche stehen hatten, in die Diele versetzt da wir jetzt dort kochen müssen, denn unsere elektrischen Kochplatten sind nun so kaputt, daß man sie überhaupt nicht mehr benutzen kann. Das Kochen in der Waschküche hat sich jedoch als unpraktisch herausgestellt. – Röwer hat uns vor einiger Zeit oben im Atelier einen eisernen Kanonenofen aufgestellt, ein wahres Glück, sonst könnten wir heute überhaupt nicht heizen.

     Gestern erhielt ich vom Kulturbund, Ortsgruppe Stralsund, eine Einladung, mich an einer Weihnachts-Verkaufsausstellung dort zu beteiligen. Da diese Karte seit dem 27.11. unterwegs war u. letzter Einsendungstermin der 3.12. war, kam diese Einladung zu spät. Ich hätte mich auch sonst wohl kaum daran beteiligt; aber daß ich überhaupt aufgefordert worden bin, ist ein Erfolg der Schweriner Ausstellung. Man übergeht mich nicht mehr.

     Vormittags erhielt ich einen langen Brief von Schw. Gertrud Dobczynski, die auf dem Wege der Genesung aber immer noch im Krankenhause Stralsund ist. Ferner ein sehr nettes Schreiben von der „Demokrat. Erneuerung“ aus Schwerin. Die Schriftleitung dankt mir für den Artikel „Dank an Schwerin“. Leider ist die zuletzt erscheinende Nr. 8. bereits abgeschlossen so daß der Artikel in dieser Nummer nicht mehr erscheinen kann. Der Brief ist sehr liebenswürdig.

     In der ganzen russischen Zone soll ab heute der Eisenbahnverkehr völlig eingestellt sein, weil die Russen alle Lokomotiven für den Abtransport ihrer Truppen benötigen. Es ist nicht bekannt, wie lange das dauern wird. Für Fritz wird es schwierig werden, zurückzukommen.

     Röwer hat den Zentralheizungs-Ofen bis zum Abend wieder gut in Ordnung gebracht. R. ist ein tüchtiger u. gewissenhafter Handwerker, der seine Sache versteht, u. außerdem ist er ein netter, freundlicher Mensch.

     Abends hörte ich im Rundfunk aus Hamburg, daß die Engländer eine Frau v. Brauchitsch zu einem Jahr Gefängnis u. 20.000,– Rm. Geldstrafe verurteilt haben, weil sie den ehemaligen SS=General von Alvensleben auf ihrem Gut verborgen gehalten hat. Damit ist also auch dieser joviale Nazigauner nun gefaßt worden. Ueber den Oberhalunken Lorenz habe ich aber leider noch nie etwas gehört.

Freitag, 6. Dezember 1946.     

     Fritz schickte Zeitungen u. Zeitschriften, darunter auch den „Sonntag“, in dem ein „Brief aus Schwerin“, von Herrn Dr. Willi Bredel abgedruckt ist. In diesem Artikel erwähnt Herr B. auch meine Ausstellung im Landesmuseum in einer höchst abfälligen Weise. Es ist das bemerkenswert, weil in einem solchen Artikel wohl die Tatsache dieser Ausstellung erwähnt werden mag zu einer Kritik aber garkeine Veranlassung gegeben ist. Wenn Herr B. das trotzdem tut, dann offenbart er mir damit seine ausgesprochen üble Gesinnung. Die Sache ist interessant, weil Herr B. der verantwortliche Redakteur der „Demokratischen Erneuerung“ ist, deren Schriftleitung mir grade gestern schrieb: „Ihr Dank an Schwerin“ müßte [4] von uns mit einem Dank an Sie beantwortet werden. Sie haben in großzügiger Weise unseren bescheidenen Anteil an Ihrem Kunstschaffen gewürdigt“. Dieser Brief ist freilich nicht von Willi Bredel unterschrieben, aber den Dank an mich hätte ich mir anders vorgestellt. –

Sonnabend, 7. Dezember 1946.     

     Von Fritz ein Telegramm, daß sowohl mit Prof. Resch wie mit Dr. Herting noch immer nichts zu erwarten ist. Es sieht also ganz so aus, als würde aus der Ausstellung in Berlin überhaupt nichts werden. Fritz kommt morgen mit Herrn Sorg in dessen Auto zurück u. bringt Justus Schmitt mit.

     Vormittags war der alte Dechant Pich bei mir. Er wollte am Sonntag, also morgen, um 4 Uhr Gottesdienst halten, aber ich habe ihm klar gemacht, daß das nicht ginge, da um 4 Uhr das Licht ausgeht. Es ist unmöglich, hier im Hause bei völliger Dunkelheit Gottesdienst zu halten, wo so viele sehr alte Frauen da sind. Ich habe ihm vorgeschlagen, daß er am Mittwoch früh 8 Uhr bei uns eine stille Messe lesen soll. Er sah es ein. Wir werden dann verabreden, wie wir es zu Weihnachten machen werden.

     Dechant Pich war in Sachsen, wo er in Bitterfeld einen Bruder hat, ebenfalls Flüchtling aus Sudetenland. Er hatte Sachen für eine Frau mitgenommen, deren Mann im Sudetenlande geblieben ist u. diese Frau ist jetzt in der Gegend von Bitterfeld. Um ihr die Sachen zu bringen, war er dorthin gereist. Inzwischen kam die Einstellung fast des gesamten Personenverkehrs. Der Alte hat für die Rückfahrt hierher 4 Tage gebraucht, von Dienstag bis Donnerstag, unterwegs fast nicht geschlafen u. fast nichts gegessen. Außerdem ist ihm alles Gepäck, bestehend aus zwei Koffern, gestohlen worden. Zuletzt mußte er von Velgast bis Ribnitz zu Fuß gehen, 20 km. Andere mußten bis Rostock gehen – 60 km. Die Reise war unbeschreiblich. Da der Reiseverkehr ohne Ankündigung von heute auf morgen eingestellt worden ist, wurden Tausende davon überrascht. Es hat dramatische Scenen gegeben u. unbeschreiblicher Elend u. Unordnung. Das Maß dieser Russen ist wohl bald voll.

Sonntag, 8. Dezember 1946.     
Unbefleckte Empfängnis.     

     Zum Frühstück aßen Martha u. ich jeder ein Ei, die ersten Eier aus dem Stall.

An Schwester Gertrud Dobczynski geschrieben u. an die Redaktion, „Demokrat. Erneuerung“, der ich ein neues Manuscribt sandte. Ich habe eine sehr gut überlegte Antwort auf die Anpöbelung des Herrn Bredel gegeben.

     Es ist 6 Uhr durch u. das Auto mit Fritz ist noch nicht da. Wir sind etwas in Sorge, weil die Straßen sehr unsicher sind, die abziehenden Russen plündern u. benehmen sich wie im Kriege.

     Das Küken habe ich gegen einen jungen Hahn von Margot Seeberg eingetauscht. Der Hahn ist schon im Mai geboren u. ist kräftig, für unser Küken habe ich Sorge, daß es den Winter nicht überstehen wird.

     Es ist 1/2 1 Uhr Nachts u. das Auto ist noch nicht da. Ich gehe schlafen, weiteres Warten ist zwecklos. Hoffentlich ist nichts passiert, – die Straßen sind [5] so unsicher wie im innersten Asien.

Montag, 9. Dezember 1946.     

     Es ist 9 Uhr abends u. Fritz ist immer noch nicht hier. Wir zerbrechen uns den Kopf, was da los sein könnte, aber es hat keinen Sinn. In den Stunden der Dunkelheit, wenn das Licht abgeschaltet ist, grübelt man. Die beste Erklärung, die sich mir bietet, ist die, daß aus irgend einem Grunde, deren es heutzutage ja viele u. unvorhersehbare gibt Herr Sorg mit seinem Auto nicht fahren konnte, daß Fritz zwar telegraphiert hat, daß aber das Telegramm noch nicht hier eingetroffen ist. Das ist bei den Postverhältnissen durchaus möglich. Seit einigen Tagen schon liegt des Bahnverkehr von u. nach Ribnitz vollständig still.

     Von Kurt kam heute eine erste Rote-Kreuz-Karte.

     Vormittags wurde mein neues Bild „Der Alte“ fertig, es ist sehr gut geworden, wohl sicher eines meiner besten Bilder.

     Martha ist mit Frau Degner u. a. Frauen bei Frau Longard, um dort eine kathol. Weihnachtsfeier zu besprechen.

     1/2 12 Uhr nachts. Martha kommt eben zurück u. bringt ein Telegramm von Fritz mit, welches meine obige Annahme bestätigt. Herr Sorg ist im letzten Moment nicht gefahren, Fritz hat an uns telegraphiert u. dieses Telegramm kam erst heute Abend hier an. Er will nun allein so schnell wie möglich kommen, aber das wird ihm wohl nicht sehr schnell gelingen. Die Sperrung des Eisenbahnverkehrs soll, wie man sagt, noch bis zum 15.12. dauern.

     Martha traf bei Frau Longart P. Beckmann, der morgen früh bei uns eine stille hl. Messe lesen will. Er ist wohl wegen dem Dechanten Pich hier, dessen Existenz in Wustrow ja einfach unmöglich ist infolge des Widerstandes des dortigen kommunistischen Bürgermeisters Herwagen.

Dienstag, 10. Dezember 1946.     

     Nun ist Fritz doch schon gekommen. Ab heute fährt täglich ein D-Zug, den er benutzt hat, sodaß er um 4 Uhr hier im Hause war.

     Er hat in Berlin vor allem mit großer Klarheit festgestellt, wie die Dinge mit meiner Ausstellung liegen. Er war bei Prof. Resch u. es hat sich ergeben, daß die maßgebenden Maler, die etwas zu sagen haben, nämlich Pechstein u. Hofer, zwar zugestehen, daß sie mich von früher her kennen u. als Maler schätzen, daß sie aber der Meinung sind, ich wäre gewissermaßen in der Emigration stecken geblieben u. malte nichts „Neues“. Sie meinen, wenn ich in Berlin lebte, würde ich Neues malen, – so aber wären meine Bilder wohl gut, aber doch nicht ausreichend, um eine Kollektiv-Ausstellung zu rechtfertigen. – Dazu kann ich wohl mit vollem Recht sagen, daß Hofer bestimmt nichts „Neues“ gemalt hat seit jener Zeit vor 1933, er malt fast immer dasselbe Bild, was ich aber von Pechstein in der Reproduktion gesehen habe, ist direkt dürftig, – aber ich kann mir da kein Urteil erlauben, ich sah zu wenig. Auf jeden Fall sind es also die Kollegen, die auch hier wieder im Wege stehen. Fritz sagt nun aber, daß die Räume des Kulturbundes [6] in der Jägerstraße so unzureichend wären, daß sie seiner Meinung nach für eine Kollektiv-Ausstellung nur wenig geeignet wären, – abgesehen davon, daß sie im russischen Sektor liegen u. dieser Sektor mindesten von Engländern u. Amerikanern boykottiert würde. Als Sekretär im Kulturbunde ist nicht mehr Herr Damrow tätig, sondern für ihn ist Herr Hörisch eingetreten, der Schwiegersohn von Franz Triebsch. Herr Hörisch war sehr nett zu Fritz u. hat ihm zu verstehen gegeben, daß seiner Meinung nach weder der Kulturbund, noch irgend ein Kulturamt für mich die richtige Stelle wäre, es wäre besser, wenn ich auf dem Pan einer Kollektiv-Ausstellung verzichtete u. lieber im privaten Kunsthandel ausstellen würde mit einigen wenigen Bildern. Das scheint mir richtig zu sein. – In Zehlendorf ist Fritz nicht gewesen, er hat nur mit Hoffmann telephoniert, der aber in der Sache auch noch nicht weitergekommen ist. – Positiver ist Justus Schmitt, – der mir heute den Katalog der Dresdner Kunstausstellung sandte –, u. der mit Fritz in Sorg's Auto herkommen wollte, woraus nun leider nichts geworden ist. Er ist liiert mit einer berliner Kunsthandlung. – Bremer oder so ähnlich am Südwestkorso –. Er ist interessiert an meinen Bildern u. wollte mit mir das Notwendige besprechen, wenngleich da eine Ausstellung erst zum Frühjahr in Frage kommt. –

     Von Petersen kam ein Telegramm, wonach auch er noch nicht weitergekommen ist. –

     Morgens hl. Messe mit P. Beckmann, der nun den Dechanten Pich von Wustrow fortnehmen will. Er will gleich nach Stralsund fahren, um das Nötige einzuleiten. Die Situation in Wustrow ist unhaltbar.

     Fritz hat mir Oelfarben – Weiß von Spitta u. Leutz mitgebracht, sehr teuer, aber was hilft's.

     Mit meinen Bildern werde ich nun zu meinem früheren Standpunkt zurückkehren. Ich werde mich um die Ausstellung nicht weiter kümmern u. alles der Entwicklung anheimstellen. Die Bilder werde ich von Schwerin hierher zurückkommen lassen u. sie wie im Sommer gelegentlichen Interessenten zeigen, nur daß ich es künftig nicht mehr ablehnen werde, einzelne Bilder in Berlin oder sonst wo auszustellen, wenn sich die Gelegenheit ergibt. So war es vielleicht doch bedauerlich, daß ich in Dresden nicht ausgestellt habe, aber man hat Fritz erzählt, daß auch diese Ausstellung wieder sehr schlecht organisiert war, sodaß zahlreiche Kunstwerke total ruiniert worden sind.

     Man erzählt sich daß es gestern oder in den letzten Tagen in Stralsund zu Meutereien russischer Soldaten gekommen sei, die sich weigerten, nach Rußland zurücktransportiert zu werden. Dabei soll es auch zu wüsten Plünderungen von Zivilpersonen auf dem Bahnhof gekommen sein, indem die Russen ihnen das Gepäck raubten.

     Dr. Buschmann, ein prominentes Mitglied der früheren SPD u. jetzt SED=Mitglied, ist [7] aus dieser Partei ausgetreten u. hat diesen Schritt in einem ausführlichen Brief begründet, den er der Presse übergeben hat u. der eine vernichtende Kritik an der SED. darstellt.

     Dr. Schumacher, Führer der SPD im Westen, ist als Gast der engl. Arbeiterpartei in London. Die Russen regen sich darüber fürchterlich auf, ebenso natürlich auch die östliche SED-Presse. Man tut so, als wäre Dr. Schumacher ein Landesverräter. Ich denke, er wird der Mann der Zukunft sein.

     Fritz hat viele Zeitungen aus Bln. mitgebracht, aus denen man solche Tatsachen entnehmen kann u. von denen man hier nichts, oder fast nichts hört.

Mittwoch, 11. Dezember 1946.     

     Heute erlebte ich eine herzliche Freude. Ich erhielt einen Brief von einem Herrn Gerhard Stübe aus Rostock, Maßmannstr. 111. Er schreibt, es sei ihm ein Bedürfnis mir seine Bewunderung über meine Schweriner Ausstellung auszudrücken. Er sagt, daß er die Anfeindungen in der Presse gelesen habe u. daß er dadurch bewegt worden sei, nach Schwerin zu fahren. Er habe anfangs geglaubt, meinen Gegnern recht geben zu müssen, denn meine Kunst war ihm ungewohnt. Er erklärt das damit, daß er 1921 geboren sei, also 25 Jahre alt, u. daß er allem Expressionismus mit dem Vorurteil engegengetreten sei, den diese vom Nationalsozialismus erzogenen jungen Leute nun einmal haben. Das ist verständlich. Er sagt nun aber, daß er, je länger er meine Bilder betrachtet habe, um so unsicherer u. nachdenklicher geworden sei. Er sagt, daß er ein Laie sei, aber sein Innerstes sei durch meine Bilder angerührt worden, ohne daß er dies erklären könne. Den stärksten Eindruck habe er vom Christkönigs-Bild empfangen, obgleich er, wie er meint, nicht religiös u. nicht einmal Angehöriger einer Konfession sei, dennoch hat ihn das Bild, wie er schreibt, seltsam berührt. Auch der Betende Engel, Verkündigung u. Weidenkätzchen haben ihm Eindruck gemacht, während er zu den Blumenbildern sonst kein Verhältnis gewinnen konnte. Er schreibt, daß ihn moderne Kunst noch nie so angerührt hätte, mit Ausnahme vielleicht von Barlach. – Er schreibt mir das, weil er glaubt, daß ich mich darüber vielleicht „ein wenig freuen“ werde, – u. damit hat er recht, – grade, weil er zur jungen Generation gehört. Er sagt, er sei „gehobenen Gefühls“ von meinen Bildern geschieden u. er hofft, daß sein Brief mir ein wenig den Aerger vertreiben möchte über die Urteile einiger „sehr selbstbewußter Literaten“, u. daß ich mich freuen werde, wenn ich sehe, daß die Jugend anfängt, mein Werk zu verstehen. Zum Schluß spricht er den Wunsch aus, daß meine Bilder auch in Rostock ausgestellt werden möchten. Er hat seine Freunde neugierig gemacht.

     Nun, ich habe mich wirklich sehr gefreut über eine solch spontane Aeußerung, die doch wieder nicht unter der Wirkung des Augenblickes geschehen ist, denn sein Brief ist vom 2. Dezember, also mindestens 14 Tage nach Schluß der Ausstellung. Und da schreibt Herr Dr. Willi Bredel im „Sonntag, daß meine Bilder unserer Zeit u. vor allem der Jugend“ nichts zu sagen hätten! – Ich werde mir reiflich überlegen, was ich dem jungen Herrn antworten werde, – vielleicht kann mir seine Begeisterung doch nützlich werden. –

     Sonst war es heute den ganzen Tag über dunkel u. ich habe nichts getan als Zeitungen gelesen, von denen Fritz einen ganzen Haufen mitgebracht hat.

     Fritz erzählte übrigens eine Geschichte, die [8] typisch für unsere Zeit ist. Herr Sorg in Bln. hat Gelegenheit gehabt, aus alten Heeresbeständen Fallschirmseide zu erwerben. Es wird dabei sicher nicht mit rechten Dingen zu gegangen sein, jedenfalls ist die Seide von der Kriminalpolizei beschlagnahmt worden u. Herr S. bekam ein Gerichtsverfahren an den Hals. Vor Gericht konnte man ihm indessen nichts Strafbares nachweisen u. die Sache verlief sich im Sande. Darauf erschien der Kriminal-Kommissar bei Herrn S. u. bedauerte ihn, daß er bei dieser Gelegenheit doch die Fallschirmseide durch Beschlagnahmung los geworden sei, die er doch sicher teuer bezahlt habe. Er, der Kriminal-Kommissar, wolle ihm gern die Seide wieder zurückgeben u. Herr S. wurde doch sicher gern 40,– Rm. pro Meter dafür an ihn zahlen. Herr S. ist natürlich auf dieses Geschäft eingegangen. – Das ist heute deutsche Polizei. – Auch wir haben von dem Einbruch bei uns nicht alles zurück erhalten, vor allem fehlen alle Oberhemden. Wir sind überzeugt, daß diese sich im Besitze des Kommissars in Ribnitz befinden. – Zwei Tage nach jener Affäre ließ Frau Waach in Ribnitz, Besitzerin des Mecklenbg. Hofes u. Mutter einer erwachsenen Tochter, mit der der Kommissar, wie man sagt, ein Liebesverhältnis hat, Martha wissen, daß sie, Frau W., gern ein wollenes Kostüm hätte. Sie gab deutlich zu verstehen, daß sie die Beschaffung eines solchen als Gefälligkeit ansehen würde für das Eingreifen des Kommissars. Martha hat das natürlich abgelehnt.

[9]
Tagebuch.
Heft 21.

     Begonnen am 12. Dezember 1946.

     Geschlossen am 22. Mai 1947.

[10]
Donnerstag 12. Dezember 1946     

     Heute früh kam zum letzten Male Dechant Pich, um bei uns die hl. Messe zu lesen. Wir frühstückten nachher zusammen. Er wird übermorgen nach Stralsund gehen, wo er als Hilfspriester eine Anstellung gefunden hat durch P. Beckmann. Damit ist dieser unmögliche Zustand seines Bleibens in Wustrow beendet u. ich freue mich für den alten Herrn, obgleich für uns damit die Seelsorge wieder magerer wird. Aber erstens wäre der alte Herr in den unmöglichen Verhältnissen in Wustrow unfehlbar zugrunde gegangen, u. zweitens ist er für uns hier so wie so nicht von großem Nutzen gewesen. Er war ein still ergebenes Opferlamm von tiefer Frömmigkeit, aber diese Frömmigkeit richtete sich doch eigentlich ausschließlich auf das eigene Heil, um die Katholiken kümmerte er sich abgesehen davon, daß er für sie das hl. Meßopfer darbrachte, garnicht. So war er für unsere Diaspora-Verhältnisse wirklich völlig ungeeignet, ja, er wäre uns eine schlimme Last geworden, wenn er erst wirklich unter den Verhältnissen zusammengebrochen wäre, was nur eine Frage der Zeit gewesen wäre. Aber wie hätten wir ihm dann noch helfen können? – So ist es gut, daß er geht. –

     Vormittags schrieb ich an Gerhard Stübe in Rostock. Ich schrieb ihm, daß ich seinem Wunsche, meine Ausstellung auch in Rostock zu sehen, sehr gern entsprechen würde, – daß diese Ausstellung eigentlich zuerst in Rostock geplant gewesen sei, [11] aber durch die Quertreiberei meiner Kollegen verhindert worden sei. Ich verwies ihn an einen Kreis von Studenten um den stud. phil. Düwel, der sich für moderne Kunst interessiere u. an den Rektor Prof. Rienäcker. Wenn von diesen eine kräftige Aktion ausgehe, hielte ich es für möglich, daß auch der Stadtrat Matern wieder Mut bekäme u. die Ausstellung dennoch stattfinden würde.

     Nachmittags war Max Grantz u. Carmen zum Kaffee bei uns. Sie kamen schon um 1/2 4 Uhr, um noch eben grade meine beiden letzten Bilder sehen zu können. Besonders das letzte machte auf Max Grantz einen starken Eindruck.

     Frau Oberländer war in Rostock u. hatte sich erboten, meine Zeichnungen endlich zurück zu bringen, doch brachte sie nur zwei Stück mit, die eine ohne Passepartout. Ich habe sie selbst nicht gesprochen, sie will morgen zu mir kommen u. Näheres erzählen.

     Max Grantz erzählte anschaulich vom Leben in Hamburg. Es sieht auch dort sehr hoffnungslos aus, aber die Engländer sind wenigstens manierliche Leute, die sich tadellos benehmen. Aber sonst ist es ebenso schlimm wie hier im Osten.

     Gestern wurde im Radio durchgegeben, daß die Friedenskonferenz für Deutschland am 10. März 1947 in Moskau beginnen soll. Ob es dann besser wird?

     Abends war Martha mit den kathol. Flüchtlingsfrauen wieder bei Frau Longard, um die Weihnachtsfeier zu organisieren. Ich zeichnete derweil die neue, kleine Landschaft „Dorfstraße“ auf, für die ich vor einigen Tagen den Entwurf gemacht hatte. Es wird ein kleines Bild 42 x 54 cm. auf Sperrholz mit Nesselüberzug, Rückseite des Restes des alten Bildes „Verkündigung“. Die größere Hälfte davon habe ich schon früher für das Bild „Rosen“ verwendet.

Freitag, 13. Dezember 1946.     

     Nachmittags besuchte uns die Malerin Lang=Scheer. Sie war im Sommer schon hier u. hat mich damals 2 x besucht. Sie sah meine Bilder, die neuen, u. fand sie sehr schön. Vormittags hatte ich die neue kleine Landschaft „Dorfstraße“ angelegt, sodaß sie auch davon schon einen ungefähren Eindruck haben konnte.

     Frau Lang-Scheer scheint ein rechter Glückspilz zu sein. Sie erzählte, daß sie im Frühjahr eine Ausstellung in Stralsund machen wird u. daß sie außerdem den Auftrag erhalten habe, in der neuhergerichteten kathol. Kirche in Rostock ein Fresko zu malen, was ebenfalls im Frühjahr geschehen wird. Auch sonst scheint es ihr nicht schlecht zu gehen. Sie ist hierher gekommen, um in der BuStu. ihre Weihnachtseinkäufe zu tätigen u. sie hat das in einem sehr erheblichen Maße getan. Mir selbst hat sie einige Pulverfarben mitgebracht u. etwas echtes Mohnöl.

     Es ist plötzlich sehr kalt geworden bei starkem Ostwind, sodaß wir mit starkem Frost rechnen müssen.

     Dora Oberländer war vormittags bei mir u. gab mir Bericht über Rostock. Danach lehnt es also auch Herr Dr. Fiesel, der jetzige Museumsleiter, es ab, von mir eine Kollektivausstellung zu machen. Meine Zeichnungen, die ehemals bei dem sog. Kunsthändler Weiß waren, sind dort von Herrn Kreuzberg abgeholt worden, der sie jetzt angeblich haben soll. Herr K. [12] selbst war nicht anzutreffen, da er in Warnemünde wohnt. Drei Zeichnungen sollen nach Dr. Fiesel momentan in Wismar sein. Ich werde nun dem Kulturbunde schreiben u. die Sachen zurückverlangen.

Sonnabend, 14. Dezember 1946.     

     Das gestern angelegte Bild war noch zu feucht, um weiter arbeiten zu können, weshalb ich den Vormittag damit zubrachte, die Buchungen für die BuStu. zu machen u. den November abzuschließen. Es ist immer eine langweilige Arbeit. Ueberhaupt ist die ganze Atmosphäre des Hauses wie stets unmittelbar vor Weihnachten für mich entsetzlich anödend. Die Gespräche drehen sich vom Frühstück an um nichts anderes, als um das Geschäft. Gewiß muß das sein, ich verdanke schließlich diesem Geschäft, daß ich malen kann, aber es ist ertötend, von früh bis spät diese Erwägungen anhören zu müssen. Seit dem Fritz hier ist ist das viel schlimmer geworden. Das Geschäft ist nun einmal sein Metier u. sein ganzes Denken kreist um diesen Mittelpunkt, – u. das ist wirklich gut u. ein wahrer Segen. Dennoch ist es für mich schwer, schon zum Frühstück diese Gespräche ertragen zu müssen. Ich habe eine Empfindung, als wäre ich hier zu Besuch u. hörte mir aus Höflichkeit diese Dinge an.

     Nachmittags war nochmals Frau Lang-Scheer bei mir. Sie zeigte mir den Entwurf für die in der Rostocker Kirche geplanten Fresken. Sie behandeln Christus als Richter am Jüngsten Tage nach der Geheimen Offenbarung. Sie sind sparsam in Figuren u. Formen, in Braun u. Violett gehalten, sehr eindrucksvoll. Ich bin sehr neugierig auf die Ausführung. Ich konnte ihr einige Hinweise auf Verbesserung der Komposition geben, die sie bereitwillig annahm. Sie ist offenbar eine recht beachtenswerte Künstlerin, von der man wohl noch etwas erwarten kann.

     Der Frost hat sich verstärkt, wodurch Martha heute in der sehr kalten BuStu. recht mitgenommen worden ist. Auch das trägt nicht grade dazu bei mein Wohlwollen dem Geschäft gegenüber zu vertiefen.

Sonntag, 15. Dezember 1946.     

     Ruhiger Sonntag. Vormittags gelesen u. eine Skizze gemacht für ein Bild, das mich schon seit einigen Wochen bewegt u. zu dem ich durch ein Bild von Carl Hofer „Mann in Ruinen“ angeregt wurde. Dieses Bild Hofers ist ganz besonders schlecht, ich möchte versuchen, etwas Besseres daraus zu machen.

     Nachmittags verhandelten Frau Burgartz, Frau Richter u. unser neuer, junger Lehrer mit Martha u. Fritz in der Diele über eine Weihnachtsfeier der Flüchtlinge, woran ich aber nicht teilnahm.

     Sonst ereignete sich nichts. Es ist nach wie vor sehr kalt u. es sieht nicht so aus, als ob es bald wieder wärmer werden wollte. Es war leichter Schneefall.

Mittwoch, 18. Dezember 1946.     

     Ich habe den Entwurf eines neuen Bildes, den ich am Sonntag machte, nun so weit durchgearbeitet, daß ich gestern Abend noch spät eine neue Zeichnung machte, die nunmehr endgültig zu sein scheint. Ich bin in der Deformierung sehr weit gegangen, worüber ich noch etwas erschreckt bin, aber ich will es dennoch versuchen, da dieses Bild nicht sehr [13] groß zu werden braucht. Wenn es nichts wird, ist es nicht weiter schlimm.

     Die Landschaft „Dorfstraße“ geht gut voran. Heute Vormittag besuchte mich der Kollege Luke aus Prerow. Er brachte mir zwei Farbtuben mit. Dieser Mann ist eine etwas komische Figur. Er ist sehr eitel, als Maler herzlich unbedeutender Naturalist, aber sehr gutmütig, hilfsbereit. Er redete viel über meine Bilder, die ich ihm zeigte, ohne daß er jedoch irgend ein inneres Verhältnis dazu aufbringen konnte. Er ist aber bescheiden genug, einzugestehen, daß er da nicht mitkann, daß er aber wohl merkt, daß da etwas ist, was er nicht versteht. Der andere Kollege, Schulze-Jasmer in Prerow, ist nach Lukes Schilderung u. auch nach meiner Kenntnis darin das Gegenteil. Er ist überzeugt, daß diese ganze abstrakte Malerei eine abgetane Sache sei. Da er nur die Tägliche Rundschau u. die Landeszeitung liest, ist er der Meinung, daß die gesamte Kunstkritik diese moderne Richtung ablehnt u. daß in Zukunft nur noch der platte Naturalismus gelten wird. So war es unter Hitler u. er trat deshalb in die NSDAP ein, – u. so ist es jetzt, weshalb er nun schleunigst in die SED eingetreten ist. Er ist ein liebenswürdiger Gesinnungslump ohne jedes Schamgefühl.

     Der Frost hat Gott sei Dank nachgelassen.

Freitag, 20. Dezember 1946.     

     Heute war wieder einmal von 4 Uhr nachmittags ab bis abends 9 Uhr der Strom unterbrochen. Diese Willkür ist schwer zu ertragen. Außerdem kann ich nicht begreifen, wie bei solchen Methoden die Industrie u. die Geschäfte arbeiten sollen.

     Der Frost hat sich seit gestern Nacht wieder sehr bedeutend verschärft. Ich habe deshalb die Heizung den ganzen Tag bis zur Nacht in Gang gehalten, bisher habe ich nur Vormittags den Ofen geheizt, nachmittags u. abends heizte ich nur den kleinen Ofen im Atelier, den wir uns von Röwer setzen ließen u. an dem wir abends sitzen. Der große Ofen frißt unheimlich Holz, da wir nur noch ganz wenig Koks haben.

     Abends bekamen wir aus Daskow mit Litzau's LKW. 10 Centner Kartoffeln, sodaß wir hoffen dürfen, bis zum Frühjahr auszukommen, dann machen wir die Miete auf. –

Sonntag, 22. Dezember 1946.     

     Gestern am Spätnachmittag traf P. Beckmann ein um heute bei uns Gottesdienst zu halten. Er war über Nacht bei Frau Longard. Den Gottesdienst hatten wir erstmalig nicht im Hause, sondern bei Möller im Seezeichen in der Veranda, die ich mit einigen Sudetendeutschen Frauen gestern Nachmittag dazu hergerichtet hatte. Wir stellten zwei Tische zusammen u. bekamen so einen schönen, breiten Altar rechts u. links davon je ein Tannenbaum, auf den Altar Tannengrün, Stechpalmen. [14] mit roten Früchten u. Weidenkätzchen. Es sah sehr festlich aus. Hanschak hatte reichlich Brennholz herangeschleppt u. auch geheizt, es war in der Veranda bitter kalt. Heute früh hat er schon um 7 Uhr geheizt, wir haben eine Unmasse von Holz verfeuert u. so war es während des Hochamtes ganz erträglich. P. Beckmann kam um 8 Uhr u. hörte Beichte hier bei mir in meinem Zimmer. Auch ich ging zur Beichte. Um 9 Uhr begann das Hochamt, bei dem ich ministrierte. Bürgermeister Schröder saß am Harmonium, das wir aus der Schule geholt hatten u. spielte sehr gut, seine Frau war auch da. Es werden 60 – 70 Katholiken dagewesen sein u. es wäre unmöglich gewesen, so viele Menschen bei uns im Hause zu haben. Die Veranda war ausgezeichnet geeignet. P. Beckmann predigte mit Schwung u. Begeisterung. Es ist erstaunlich, wie er sich entwickelt hat, seit er damals zum ersten Male bei uns war u. schüchtern u. leise seine Ansprache hielt. – Wir frühstückten nachher zusammen u. er fuhr dann nach Wustrow wo um 2 Uhr Gottesdienst ist. Abends kommt er wieder zu Frau Longard zurück u. morgen früh wird er nochmals bei uns eine stille Messe lesen.

     Es ist bitter kalt heute, aber es soll nach dem Rundfunk heute Nacht wärmer werden.

     Heute war Dank des Hochamtes der erste richtige Advent, sonst geht das Leben im grauen Alltag dieser verfluchten Zeit ziemlich stark unter. Und das ist kein Wunder. Was hatte ich nicht erhofft von dieser Nachkriegs Zeit. Ich hatte Freiheit u. Demokratie erhofft, statt dessen werden wir immer stärker von einer neuen Diktatur bedroht, von der Diktatur des Proletariats. Auf politischem, wirtschaftlichem u. sozialem Gebiet sollte mich das nicht so sehr berühren, ich habe nichts dagegen, daß man diese ostelbischen Junker enteignet hat u. daß Monopole u. Trusts aus der Hand der bisherigen Besitzer in die Hand des russischen Staates übergehen, aber bedrückend ist dieser Herrschaftsanspruch auf kulturellem Gebiet. Die Forderung, daß die Künstler sich nach dem geistigen Niveau der Arbeiter zu richten hätten, wird immer lauter und dreister u. wenn dem nicht ein Riegel vorgeschoben wird, dann wird es wieder dazu kommen, daß alle fortschrittlichen Künstler unterdrückt werden, genau wie es bei den Nazis war. Ich warte auf den 10. März, wenn die Verhandlungen in Moskau beginnen sollen. Es ist kein gutes Omen, daß sie grade in Moskau sein werden; aber man wird dann wenigstens sehen können, wohin die Karre läuft. Am Ende wird man sich doch noch zur Auswanderung entschließen müssen.

     Uebrigens überraschte mich P. Beckmann durch seine Stellung zu der Bleistiftskizze zu meinem künftigen Bild „Vernichtung“. Die Skizze lehnte auf meinem Schreibtisch an der Wand u. ich hatte vergessen, sie fortzunehmen. Er fing nach dem Frühstück von selbst davon an u. drückte mir seinen lebhaften Beifall aus. [15] Wir sprachen dann darüber u. ich sah, daß er ohne Schwierigkeit über die starken Deformationen hinweg kam, besonders stimmte er zu, als ich in Bezug auf die menschliche Figur den Psalmvers zitierte: „Ich bin ein Wurm kein Mensch“. Wir sprachen dann über die möglichen Farben u. er fand, daß Grün die einzig richtige Farbe für die Figur sei. Wir versuchten, zu erklären, wieso die Figur nicht anders als grün sein könne. Er konnte keine Erklärung geben. Ich sagte, daß Grün eben die Vernichtung des strahlend=aktiven Gelb sei, aber noch nicht absolute Aufgehen im passiven Blau. Es ist noch Widerstandswille im Grün, – also „Hoffnung“, wenngleich der Zuschauer auch die Hoffnunglosigkeit erkennt. Ich glaube, daß dies die richtige Erklärung ist. –

Montag, 23. Dezember 1946.     

     Heute früh Stille Messe mit P. Beckmann, es waren auch einige Sudetendeutsche da, auch Herr + Frau Triebsch. P. Beckmann frühstückte dann mit uns u. fuhr dann zurück nach Ribnitz. Ich malte, bekam aber die „Dorfstraße“ nicht fertig, obgleich nicht mehr viel daran fehlt. Nun kommen die Weihnachtstage dazwischen. Morgen komme ich nicht mehr zum malen, ich muß den Weihnachtsbaum schmücken, den Hanschak besorgt hat.

     Abends ein Brief von Petersen aus Berlin, der von seiner bisher vergeblichen Bemühung berichtet, in meiner Ausstellungs-Angelegenheit irgend etwas zu erreichen. Offenbar ist er bisher auf unverbindliche Redensarten hereingefallen u. er sieht nun ein, daß die Sache aussichtslos ist. Ich werde in den Weihnachtstagen an Frau Dr. Riemschneider schreiben, daß sie mir alle Bilder wieder zurücksenden möchte. Ich werde also ebenso wie früher nichts mehr in dieser Sache tun u. meine Bilder nur hier gelegentlichen Interessenten zeigen, mag diese ganze Gesellschaft mir den Buckel rauf u. runterrutschen.

     Nachmittags machte ich Zeichnungen zurecht, die ich Weihnachten verschenken will. Martha bekommt die große Skizze zum betenden Engel, Fritz die Zeichnung zum gegenwärtigen Bild „Dorfstraße“ u. Frl. v. Tigerström die kleine Zeichnung zum „Blauen Engel“. Alle Zeichnungen sind in Passepartouts mit gezeichneten, farbigen Leisten um das Bild u. die Zeichnungen selbst habe ich farbig getönt mit Buntstiften. Besonders der „Betende Engel“ sieht dadurch sehr schön aus. Petersen ist übrigens der Ansicht, daß der Widerstand gegen eine Ausstellung meiner Bilder im Motivischen liegt. Das kann gut stimmen. Auch in Schwerin u. Rostock war es so. Damals, im Sommer, als diese Ausstellung noch nicht sicher war, äußerte sich Herr Venzmer, daß er gegen die Ausstellung meiner Bilder sei, weil dieselben, „zu fromm“ seien. Religiöse Bilder liegen eben nicht im Interesse der SED. Solange diese Partei ihre Diktatur ausübt, werde ich keine Aussichten haben. Genau wie bei den Nazis. –

[16]
Dienstag, 24. Dezember 1946.     

     Vormittags den Baum geschmückt u. einen kleinen Baum extra für Fritz. – Martha u. Fritz hatten noch anstrengend in der BuStu. zu tun, bis um 4 Uhr wie immer das Licht abgeschaltet wurde. Gegen 7 Uhr aßen wir zu Abend: Kartoffelsalat u. jeder ein kleines Stück richtig gebratenes Schweinefleisch, ein ganz seltener Genuß, nachher noch Brot mit Butter u. Harzer Käse dazu echten Tee. – Von 8 – 9 Uhr wieder wie immer Stromausschaltung. Wir zündeten den Weihnachtsbaum an u. es begann die Bescherung. Martha schenkte mir fünf richtige Cigarren erstklassiger Qualität, die sie seit Jahren irgendwo aufbewahrt hatte, dazu einen Tabakskasten voll mit einheimischem Tabak, eine Flasche Weinbrand heutiger Herstellungsweise, ein Zigarettenetui aus Leder, eine Zigarettenspitze aus Bernstein u. als bestes Geschenk eine große Tube Kremserweiß. Fritz hat mir ein prächtiges Album über meine Schweriner Ausstellung gemacht mit Fotos der Ausstellung u. Presse-Besprechungen. Außerdem erfreute er mich mit einer 100 gr. großen Blechdose amerikan. Tabak bester Qualität.

     Meine Zeichnungen, die ich schenkte, erfeuten sehr. Martha bekam auch eine Muff, die Frl. v. Tigerström gemacht hat u. sie u. Fritz bekamen noch viele andere Sachen. Fritz schenkte mir auch noch zwei gute Bücher: „Der Untertan“ von Mann u. „Die sieben Kreuze“.

     Als das Licht wieder anging, packten wir die Päckchen aus, die eingegangen waren u. die Fritz aufbewahrt hatte. Darunter befand sich auch ein Päckchen an mich von Ruth u. Erich, in dem Bohnenkaffee u. eine Schachtel Zigaretten waren, dazu ein ganz wundervoller Brief von Ruth, der mich tief bewegt hat. Wir aßen Kuchen, den Mutter Dade gebacken hatte u. der vorzüglich schmeckte u. tranken Tee mit erstklassigem französischem Arrak, der schon lange bei uns auf seine Verwendung gewartet hat u. der noch aus dem Kriege stammte, wo Fritz ihn uns geschickt hatte. Von Herrn Monheim waren Prallinen gekommen, ganz vorzüglich wie im Frieden. Er schickte sie direkt aus Aachen. Um 11 Uhr waren wir müde u. jeder ging ins Bett, Frl. v. T., die mit uns gegessen hatte u. auch mit uns beschert wurde, war schon vorher gegangen. Es war ein schöner, heiliger Abend. – Fritz hat das Foto von der „Krippe“, welches Frau Dr. Riemschneider mir geschickt hatte, eingerahmt u. Mama geschenkt, es sieht sehr hübsch aus. –

     Der Frost ist zwar noch nicht vorbei, aber es ist doch wärmer geworden, sodaß es im Hause schön warm war.

     Nachmittags besuchte mich Paul für kurze Zeit. Grete ist immer noch in Berlin, obwohl sie hätte zurückkommen können. Paul geht noch krummer als bisher u. schlurft wie ein alter Mümmelgreis. Es sind zu langweilige Leute.

[17]
Mittwoch, 25. Dezember 1946.     

     Morgens das übliche, festtägliche Frühstück mit Bohnenkaffee, Ei u. Butter. – An Frau Dr. Riemschneider geschrieben, daß sie Bilder zurücksenden soll. – Mittags Festessen mit gebratenem Kaninchen u. Nachspeise, abends Kaffee mit Kuchen an Stelle des Abendessens. –

     Von Jos. Faensen Brief, es geht ihm nicht gut, er war krank u. liegt noch zu Bett, sie können nur ein Zimmer heizen, in dem es nur 10° Wärme ist, alle wohnen in diesem Zimmer, d.h. mit einer alten Tante sind es sieben Personen, davon ein Säugling.

     Deutschmann brachte etwas Kuchen u. ein Ei.

Sonnabend, 28. Dezember 1946.     

     Gestern nachmittag in der Dunkelheit, war Dr. Burgartz da, er brachte für Fritz Post für den Kulturbund. Fritz war aber in Ribnitz. Dr. B. blieb bis 6 Uhr bei uns, wir luden ihn u. seine Frau zu Sylvester ein.

     Fritz mußte nach Ribnitz, weil der dortige Polizeichef brieflich behauptet hatte, wir hätten aus Anlaß des letzten Einbruches Bezugsscheinwaren als gestohlen angegeben, die er in Wirklichkeit uns zurückgebracht hätte. Er drohte, uns wegen Betruges der Staatsanwaltschaft anzuzeigen. Es ist natürlich nicht wahr u. es handelt sich entweder um einen Racheakt, weil wir der Mutter seiner Freundin, Frau Waag, den von ihr verlangten Wollstoff nicht gegeben haben, oder er will uns sonst wie erpressen. Fritz hatte mit ihm telephoniert u. verabredet, zwischen 2 u. 1/2 3 Uhr in Ribnitz zu sein, um die Sache aufzuklären. Fritz war gestern deshalb mit dem Rade hingefahren traf ihn aber trotz der Verabredung, nicht an, seine Frau behauptete, er sei dienstlich fortgefahren. Infolgedessen fuhr Fritz heute früh nochmals nach Ribnitz. Diese ganze Sache sieht sehr faul aus, es ist offensichtlich, daß der Kerl irgendetwas im Schilde führt.

     Gestern an Ruth u. Erich geschrieben, vorgestern an Faensens. Gestern Abend Brief von Schw. Gertrud Dobczynski, die wieder in Barth ist. Sie schickt mir die Tagebuch-Aufzeichnungen der letzten Tage ihres Bruders. Sie sind mit der Maschine auf Durchschlagpapier doppelseitig geschrieben u. stellenweise nicht zu entziffern, doch will ich versuchen, sie hier abzuschreiben:

     Tagebuch-Aufzeichnungen der Schw. Gertrud

     Dobczynski über die letzten Tage ihres

     Bruders, Pfr. Alvis Dobczynski in Barth.

19.5.45. Pfingstsonnabend: Nachmittags 5 Uhr stürmisches Klingeln. Russ. Offizier begehrt Einlaß. Nach früheren Erfahrungen öffne ich nicht selbst die Tür, hole A. aus dem Beichtstuhl. Er kann sich nur mit Mühe aufrecht halten. Tag u. Nacht gibt er uns Schutz, oft am Stock wankend. Jede Nacht liegen wir in Bereitschaft. .??. Unruhe draußen. Das Haus voll armer Menschen, hilfesuchend. Dicht gedrängt liegen sie Nachts. Damit das Essen für alle reicht, gibt es nur einmal am Tage ..?.. für alle. (An Diät für A. garnicht mehr zu denken.) [18] Ungeduldig durch das lange Warten nimmt der Offizier A. sofort mit nach draussen. Kurze, knappe Forderung, daß bis morgen früh von Kirche ab in breiter Front bis schräg gegenüber ein hoher Bretterzaun mit großem Tor zu errichten sei von uns, Kirche müßte sonst sofort geschlossen werden. Einwände unmöglich.

     Ich laufe, um Bretter u. Leute zum helfen. Die Beichtleute werden nachhause geschickt. Sie begreifen nicht. Wir bitten um ihre Hilfe. Vergeblich. ..?.? zum Pfingstsonnabend Abend niemand zu haben zur Hilfe. Eine Handvoll Bretter nur. A. beginnt mit 2 Jungens u. 2 Männern mühselig. Als die anderen Russen sahen, wie er sich schleppte u. wie wir den besten Willen zeigten, aber nichts besaßen, fingen sie selbst damit an u. schickten uns fort. Pfingsten stand der gesamte Zaun. Dahinter Gefängnis, GPU. Alle Häuser, Krankenhaus mußten geräumt werden bis zu uns.


20/21.5.45 Pfingsten: Viel Gottesdienstbesucher, viel zu tun. Generalabsolution. Das Leid, die bittere Not überall so groß, soviel Trost war nötig. – A. hielt sich eisern. – Abends Erschöpfung. Im Haus keine Ruhe durch die vielen Flüchtlinge u. andere Menschen. Jeden Abend stellen sich noch mehr Hilfesuchende mit Kindern u. Säuglingen ein zum Schlafen. Strohsäcke, Matratzen. Sessel u. Liegestühle reichen nicht aus. Sie liegen dicht nebeneinander auf der Erde auf Teppichen, Decken, Läufer, Mänteln. Jeder Raum überbelegt. Um jeder Gefahr auch bei Nacht begegnen zu können, wachen A. u. ich fast beständig. Fenster u. Türen besonders gesichert, Alarmzeichen mit allen verabredet u. Verhaltensmaßregeln. Das Toben an den Türen macht alle entsetzt auffahren, sonst aber schlafen sie erschöpft u. hören kaum den Spuk an Fenstern .?.

22.5.45. Mehrere aufregende Besuche, wenn auch freudiger Art .?.?. die aus furchtbaren Aufregungen u. Nöten vom Herrgott wieder heil u. wunderbar beschützt .?. geführt wurden u. sich bei uns erst mal ausruhen mußten. A. ist totmüde. – Er legt sich nachmittags etwas in sein Schlafzimmer, das ich nicht, wie er gewollt, auch noch mit Jungen belegen ließ. Zum Abendtisch klopfe ich wie immer. Keine Antwort – ..? – – Ich finde ihn in furchtbaren Herzkrämpfen. Eile mit heißen Kompressen usw. Nach Stunden Besserung. – Er verlangt, ich solle mich die Nacht hinlegen, er wolle mir nach unten klopfen, wenn was wäre.

23.5.45. Die Nacht war schlecht. Trotzdem ich so gut wie nicht schlafe klopft er nicht, um mich nicht holen zu müssen. Am Tage weitere Anfälle. Arzt kommt nicht.

24.6.45. Ich wage es nicht, die Nacht in seinem Zimmer zu bleiben, wenn er es nicht will. Gegen 1/2 12 Uhr höre ich über mir, daß es sehr schlimm sein muß, laufe hinauf. Qualvollste Herzkrämpfe, Todesängste!

Der so schreckliche Herd in der Küche streikt wie immer. Ich brauche so dringend heißes Wasser zur Linderung, heiße Krampftees Nacht für Nacht... Sowie die heiße Packung aufs Herz kommt, einen Augenblick Linderung, dann wieder von neuem Anfälle. Die .?. Nacht die Qual, dazu die Atemnot!

[19] 25.5.45. Arzt sagt wieder ab. Seine Frau erklärt, Patient solle selbst in die Sprechstunde kommen (trotzdem sie ihn kennt u. Bescheid weiß), wenn die Russen ihn aus dem Haus würfen, müßte er ja auch raus. – – Ich schreibe noch einmal Arzt persönlich u. was ist. Er gibt Rezept für Tabletten. – Wenig Linderung. A. will sie nicht mehr nehmen, es ist, als ob sie ihn innerlich verbrennen.

Das älteste Kirchenvorstandsmitglied stirbt die Nacht. Die Angehörigen kommen. Ich darf es ihm nicht sagen, versuche .?.?. durch Boten nach Stralsund trotz der großen Schwierigkeiten dorthin. Auch wegen Sonntags=Vertretung u. einer bevorstehenden Trauung. – – – Die Nacht entsetzlich. – Krampf auf Krampf! – Gegen Morgen etwas Besserung. Ich merke seine Augen auf mir ruhen. Er sagt mit seltsamer Betonung: „Arme Gertrud!“ – – – Nein, ich nehme den Kampf noch auf, denke ich, so weit ist's noch nicht. – Es wurde auch besser. – „Kann ich mal hoch –, kann ich mich mal an Dich anlehnen? – Ach, wie schön: Kannst Du mich noch halten? Bin ich Dir nicht zu schwer ?“ Das Sprechen ging vor Erschöpfung nur in Flüsterton u. stoßweise.

     Der Tag blieb besser. Er bat: „Du mußt mir Mut machen. Weißt Du, ich freue mich, wenn mir jemand Mut macht. Du weißt ja nicht, wie furchtbar das alles ist, wenn man soo – ist!“

     Er nahm die Blumen mit Mühe vom Nachttisch, hielt sein Gesicht darein: „wie schön“, – stellte sie sich ganz dicht vor sich auf den Stuhl u. konnte sie stundenlang angucken u. dazwischen stellte ich später den reizenden Scherenschnitt eines größeren Mädchens, eine Madonna, die ihm viel Freude bereitete.

     Plötzlich zeigte er für das Essen u. Zubereitung mit wie u. was Interesse, er, der sonst nie daran dachte. Wohl wurde es nur jeweil 1/2 Tasse Suppe, die er löffelweise in Pausen u. immer wieder zwischen Hochaufrichten u. Luftschöpfen nehmen konnte. Immer zeigte er Freude darüber, es war seltsam, ihn so mit einem Male vom Essen sagen zu hören „Das schmeckt köstlich, welche Kräuter hast Du drin?“ Nachmittags meinte er lächelnd zu mir „Weißt Du, ich glaube, wir schaffen alles auch ohne Dr. W.“ – Der Tag blieb gut.

Die Nacht wurde lang. Je dunkler es wurde, desto mehr nahm die Bangigkeit zu. Ich brannte von da ab ständig im Zimmer abgedunkelt eine geweihte Kerze, die ich noch hatte. Er hatte immer so sehr das Licht geliebt.

26.5.45. Die Not wurde größer. Wieder qualvolle Unruhe, Schmerzen, Atemnot! – „Hoch!, hoch!, Kann ich mich man an Dich anlehnen? ....“

Bei Tage die furchtbare Unruhe im Haus. Dauernd die Klingel. Oft dringende Sachen, wo ich dringend Bescheid geben muß. Mitunter reißen Russen fast die Klingel ab. Nervenzerreißende Proben. Das wird? Hält die Tür aus? – Die Kinder, besonders oben drüber im Zimmer, sehr ungezogen. Immerfort muß ich sie ins untere Zimmer spielen schicken, so dröhnt ihr Springen u. Toben über ihm, daß er zusammenzuckt... Es ist für mich so schrecklich, daß ich so oft weglaufen muß u. er Grund hat zu sagen: „Immer, wenn ich Dir was sagen will, bist Du draussen. Nachher weiß ich nicht mehr, was ich sagen wollte.“ – Und ich fliege u. haste, so sehr ich kann, kann's doch vor Not nicht schaffen u. ändern.

[20] 27. 6. 45. Die Nacht zum Sonntag wird wieder qualvoll. Bis in die Nacht packen die Flüchtlinge, die plötzlich alle die Stadt verlassen müssen. Ein Rennen u. Hasten und Unruhe! – – – Wieder Krämpfe. Schmerzen. Atemsnot. Es ist entsetzlich! Er kann vor Schwäche u. Not seine Lage auch mit meiner Unterstützung nicht mehr ändern. „Weck Schw. Maria“, flüstert er. – Gut, daß alle Schläfer im Haus sich so wohlgeborgen wissen u. sorglos schlafen, selbst nicht mal das qualvoll unterdrückte Stöhnen wahrnehmen.

     Es dauert, bis ich sie wach habe. Sie kommt sofort, hilfsbereit. Wir betten ihn höher. Als ich einen Augenblick draußen bin, Wasser zu holen, flüstert er zu Schw. Maria „Es dauert so lange ich bin so zäh!“

     Ich schicke sie wieder schlafen. Neue, furchtbare Anfälle. Draussen toben die Hunde der GPU., dazwischen mal Schüsse. Lastautos kommen u. gehen mit Getöse, wie oft steigt die Angst hoch, ob man uns auch, wie die ganze Straße, plötzlich aus dem Haus werfen kann?

     Sowie es anfängt zu dämmern, öffne ich das Fenster. Es ist ja so heiß diese Tage. Zwar kann ich sie oft nicht auflassen vor tollem Krach. Aber es geht immer eine Entspannung über sein zermartertes Gesicht, wenn die ersten Vogelstimmen sich regen. Die frische Luft saugt er gierig mit offenem Munde ein. „Nach Osten nach Osten!“, flüstert er, wirft sich plötzlich mit aller Anstrengung im Bett herum. Ich begreife schließlich, was er meint bette ihn mit dem Gesicht gen Osten. Er liegt in Erwartung, daß die Sonne aufgehen möchte, – – – wartet noch auf etwas anderes – – – „Guck mal raus nach Osten richtig aus! siehst Du nichts?“ Er lächelt u. schließt die Augen. Kaum graut der Tag. Noch Dunkelheit, am Horizont eine Ahnung von Licht. Ich weiß wohl, was er meint, als er mich nun wieder forschend ansieht: „und wenn es – – letzte!! Station wäre?“ durchdringend ist sein Blick. Ich kann nur antworten, ganz ruhig: „die letzten Anzeichen sind noch nicht da. Wir werden es doch noch einmal schaffen! Das wäre ja noch schöner!“ – Er lächelt beruhigt u. schlummert kurz. Die Vögel singen, draussen der Lichtstreifen kommt höher. „Wie schön! Nun ist die bange Nacht vorbei. Er saugt die frische Luft ein. – „Der Diakon soll mir gleich, wenn er kommt, die hl. Kommunion bringen!“

27.5.45. Wir müssen Laiengottesdienst halten, ohne Priester heute Sonntag. Ich frage ihn kurz darüber u. hole Erlaubnis ein. – „Grüßt mir bitte alle Flüchtlinge noch einmal. Ich segne sie alle. Daß ich sie so fahren lassen muß, ins Ungewisse! Ich durfte ihm ja nicht sagen, in welcher Angst u. Not sie noch kamen, um sich noch einmal auszuweinen. Alle Werktage hatte der Diakon früh noch die hl. Kommunion austeilen können, Schw. Maria hatte die Messtexte gebetet, es waren immer viel Beter da. Der Diakon fuhr diesen Nachmittag ab. Auch bei uns ein weiteres, überhastetes Abfahren. Rennen treppauf, treppab. Der Rest von Flüchtlingen blieb. Leider die mit den ungezogenen Kindern auch dabei.

     Etwas Essen, d.h. ja immer nur Flüssiges, er kann Festes nicht mehr schlucken, nimmt A. wieder zu sich. „Was bringst Du mir heute?“ – Fast muß ich lachen, solches Fragen in seinem Mund klingt so komisch, daß er sich für Essen interessiert. Ich gehe drauf ein, [21] entwickle den Kochplan nebst Aufzählen von wieviel Kräutern u. Kalorien, die ich ihm einverleiben werde. „Gut! gut! Ja, das gibt Kraft. Weißt Du. wir müssen das so zusammenstellen, daß ich wieder hochkomme.“ Er gibt sich große Mühe, immer wieder mal einen Schluck zu trinken. Es geht nur in großen Pausen.

     H. H. Erzpriester/Stralsund hat sagen lassen, daß Pfr. v. Hülsen frei sei u. nach seiner Meinung kommen könnte. Nun wartet A., es geht in der Vorfreude besser.

     Der kl. Axel 1 1/2 Jahre alt, guckt mal mit seinem Lausbubengesicht herein zur Tur, läuft stamm zu seinem Bett hockt sich vor ihn hin mit schiefem Kopf, feixend, wie er so oft mit Onkel Pfr. gemacht hat. „Mh?“ – Der lächelt wohl, kann aber nicht mehr sprechen. Dann guckt Detlef, 4 Jahre herein, winkt ihm: „Schw. Gertrud, Du sollst mal herauskommen“. Alles kl. Freuden, für die er dankbar ist.

     Statt H. H. Pfr. v. Hülsen, der selbst krank im Krankenhaus liegt, kommt H. H. Pater D. – A. ringt die Enttäuschung nieder. „S'ist gut, sag ihm bitte, er möcht mir gleich die hl. Oelung spenden.“

     Nach der hl. Handlung, die er ganz wach verfolgte, flüsterte er mir zu: „Ich bin so glücklich!“ Mit Tränen in den Augen: „Die Muttergottes von Barth verläßt mich nicht“

29.5.45. Eine böse Nacht. – Sind sie alle zu Haus?“ – „Ja“ – „Die Kinder auch?“ – „Aber jetzt schlafen sie alle.“ – Die Unruhe wuchs. Anfall auf Anfall. „Wie spät ist es?“ Kann ich schon kommunizieren?“ – „Es ist noch ganz dunkel draussen. Wir dürfen bei unserer Nachbarschaft keinen Lichtschimmer sehen lassen. Wir müssen noch etwas warten. Gar so früh werde ich auch den Pater nicht rausholen dürfen.“

     Bis kurz vor 5 Uhr wartete ich, dann ging's nicht mehr. 5 Uhr: Bitte, Herr Pater, kommen Sie, es geht so schlecht, mein Bruder bittet so sehr um die hl. Kommunion.“ – „Wie? Ja, ich komme!“ – 5:35 Uhr: „Bitte, Herr Pater, beeilen Sie sich doch, es geht so furchtbar schlecht.“ - Wie? Ja, ich komme doch schon!“ – Endlich, kurz vor 6 Uhr war er so weit. Ich sagte, daß A. nur noch winzige Partikelchen schlucken könnte. Er vergaß es wieder, sodaß mich ein angstvoller Blick A.'s aufmerksam machte, als er die ganze Hostie sah u. ich nochmal bitten mußte.

     Dann wurde er ruhiger. – Vormittags Trauung von Marianne L., ein liebes Mädel, die sich alles so ganz anders nach Vereinbarung mit A. vorgestellt hatte, war eine etwas wehmütige Braut. – Der Tag verlief wie immer unruhig. A. fragte nach Marianne. Die Nacht ebenso unruhig.

30.5.45. Nach langem vergeblichen Ueberlegen wegen der Unsicherheit unterwegs, wen nach Stralsd. Bescheid schicken, entschließt sich Schw. Maria zu fahren, um A.s Wunsch um Beistand eines der befreundeten Mitbrüder dort erfüllen zu können u. für hier noch um Hilfe zu bitten. Die Not wird immer größer. Wohl sieht A. großmütig über alles drüberweg, daß nur überhaupt jemand da ist, aber es tut doch weh, als er leise nachdenklich sagt: „Ein Priester, der mit Zigarettenfingern die hl. Kommunion und Oelung spendet ....“

[22]      Dazu kommt täglich die brennende Not an die Tür, wo der Rat eines Seelsorgers gebraucht wird. Wie wartete er selbst auf priesterlichen Beistand u. Verständnis, hatte die ganzen Jahre hier in dieser einsamen Diaspora schon immer so sehr diesen Mangel schwer empfunden. Wenn ich morgens bei Tisch sage: „Die Nacht war furchtbar“, dann ist die einzige Antwort u. Teilnahme daran: „Ja, ja, so ist's. Wissen's, bei Herzkranken ist's halt immer so, einen Tag besser, einen Tag schlechter.“

     A. wartet, ob Schw. Maria einen der bekannten Mitbrüder mitbringt oder wenigstens Bescheid. Er ist ganz hoffnungsfroh.

     Marianne kommt sagen, daß Schw. Maria durch die Zugverspätungen erst in 2 Tagen wird zurück kommen können. Ich tröste A. Er: „Es wird ihr nichts passieren, sie wird zurückkommen, die Muttergottes von Barth verläßt sie nicht“.

     Er dämmerte vor sich hin, rief mich plötzlich strahlend zu sich nahe heran: „Geh mal ans Telephon“, flüsterte er geheimnisvoll. „Das geht doch nicht.“ – „Doch!“ – „Die haben doch die Leitung draußen abgenommen für sich.“ – „Du gehst ans Telephon! – Aber erschreck nicht, wer dran ist, hörst Du. Du mußt nicht erschrecken! Du meldest Dich u. wartest Befehl ab.“

     Ich wollte ihn nicht reizen, wurde selbst unsicher u. tat ihm den Gefallen, so oft er immer wieder von neuem drängte u. immer dringlicher u. beschwörender fragte: „Nun, noch nichts?“ – „Wie spät?“ – Ist's schon 6 Uhr?“ – Ich merkte, wie ihn die Enttäuschung immer mehr u. mehr ergriff u. er mich immer wieder grübelnd betrachtete. „Wenn ein großes Auto kommt, erschrick nicht. Es wird jemand in Zivil von R. gebracht. Die mußt Du reinlassen, hörst Du? –“

     Bei jedem Klingeln fuhr er selig lächelnd hoch, wartete u. schickte mich: „Sie kommen, sind schon unterwegs.“ erklärte er mit Bestimmtheit. „Wie spät?“ Ich wurde ganz irre. War es nur Fantasie, konnte es etwas anderes sein? Die Nacht verlief ebenso mit Warten trotz der Anfälle. „Wie spät?“ – „Schließt die Kirche auf. Es stehen doch schon 2 Priester vor der Tür. - „Es ist noch Nacht, die Russenwache steht nebenan, ich darf jetzt kein Geräusch machen, nichts an der Kirche schließen.“

     5 Uhr: „Schließ die Kirche auf!“ Ich mußte es mit aller Vorsicht tun. Er wartete gespannt: „nun?“ – „Sie werden noch kommen,“ u. er sagte mir lächelnd u. geheimnisvoll, wen er bestimmt erwartete .... u. in welchem Zusammenhang .... u. einer von ihnen möchte mir gleich den Heiland bringen.“

     .... u. es war doch alles Fantasie! Aber welche Sehnsucht, – wie mußte die Enttäuschung werden! Denn der, den er so bestimmt erwartete konnte nicht kommen, der war weit u. ungewiß. Die Augen verfolgten mich den ganzen Tag, wurden müder u. müder u. enttäuschter.

31.5.45, Fronleichnam. Pater D. hatte ihm morgens die hl. Kommunion gebracht. Einen Augenblick wurde der arme Körper ruhiger, dann von neuem Unruhe. Es wurde stündlich schlimmer. Die Beine zuckten ruhelos hin u. her, hin u. her. Er behielt nicht mehr als ein dünnes Leinenlaken über sich. Ab u. zu ist er [23] unklar, guckt grübelnd. Um besser sehen zu können, läßt er sich die Brille aufsetzen. Es bleibt unklar trotz allem, auch wenn er die Augen noch so aufreißt.

     Eine Nacht voll Dunkel u. Bangigkeit Er liegt mit geschlossenen Augen. Die Kerze brennt ruhig, abgedunkelt. Die Beine rascheln hin u. her, zucken hin u. her. Ich merke Versagen bei mir, wage es nur ein paar Minuten hinauszugehen, lasse die Tür auf, lege mich rasch in der Küche lang auf den Fußboden. Es wird besser. – Da!! – Ein Geräusch!! – ? – Ich springe hoch u. hin. Er hat sich aus dem Bett geworfen auf meine Matratze davor. „Was tust Du?“ – „Ich möchte Ruhe haben,“ stöhnt er verzweifelt. Ich tröste ihn, so gut ich kann bette ihn neben mir u. dann nach einer Weile, weil er so niedrig nicht liegen bleiben kann, zurück ins Bett, – „Leg Dich hierher, bleib bei mir!!“ Ich halte ihn ganz fest, massiere ihn vorsichtig streichend die ständig zuckenden Glieder. ...

     Morgens – die zwitschernden Vogel u. die frische Morgenluft lassen die Bangigkeit etwas vergehen. Er lächelt: „Weißt Du, ich möchte so gern, daß X u. X (abgefallene Seelen) den Weg wieder zurückfinden“.

     Morgens versuche ich selbst den Arzt zu bekommen, warte bis 7 Uhr, schelle an der Nachtglocke. Vom 1. Stock aus dem Fenster schickt mich seine Frau barsch fort, es würden keine Hausbesuche gemacht. Die Straße ist leer, nur Russen. Ein Gefährt hält plötzlich dicht neben mir im Fahren an, einer springt dicht neben mich .... ich laufe weiter. Dröhnendes Lachen, aber sie kommen nicht mehr nach. – Um 8 Uhr zur Sprechstunde versuche ich es nochmals selbst beim Arzt. Sie will mich wieder Stunden warten lassen, macht mir die Tür vor der Nase zu. Ich gehe dennoch zwischendurch hinein. (Bei allen durchbrennende Nerven, leider!) endlich bekomme ich Rezept. Medikamente fehlen. Ersatz in Apotheke. A. will es nicht nehmen.

1.6.45. Die Nacht wird wieder arg. Als ich um Wasser laufe, wirft er sich wieder aus dem Bett vor Todesangst .... Ruhelose Bangigkeit ...!

     Am Tage bitte ich einen bekannten Flüchtlingsarzt, ob er mal kommen würde, ich weiß nicht mehr ein u. aus. Er ist zwar schon sehr alt u. nur Augenarzt, ich wollte aber nur mal ein Arzturteil über seinen Zustand hören. Aus Gefälligkeit kam er, war aber so hilflos, nichtssagende Worte –, daß es keinen Zweck hatte. A. sagte hinterher: „Das ist kein Arzt, den hole nicht mehr, hat keinen Zweck.“

2.6.45 Bei Tage große Schwäche. Eine Fünffährige kommt, bringt Blümchen. Er freut sich, ist ruhiger, nur die Glieder zucken weiter. – Die Nacht wird ganz schlimm, er kann vor Schwäche nicht mehr kommunizieren.

3.6.45 Ich überlege mit Jungen wegen Hilfe aus Greifswald. Alles vergeblich, jeder ratet ab, es kommt doch keiner durch. Ich schicke um Hilfe zu anderem Arzt. Es kann keiner kommen, die Russen beanspruchen sie. Schw. Maria die ergebnislos zurückgekommen war von Stralsund u. Rügen (unter großen Schwierigkeiten) geht abends noch einmal zu Dr. W. u. bittet eindringlich. Endlich kommt er, trotzdem er selbst krank ist. Er meint, das Herz sei noch nicht so schlecht, es seien nur die [24] Nerven, läßt mir Spritze da, von der er sich viel verspricht, will nächsten Morgen wiederkommen.

A. lächelt unendlich müde u. schwach. Verschluckt sich immerzu beim Trinken, kann nicht mehr trinken. Ich stütze –?– Als ich einen Augenblick den Rücken wende, wirft er sich, so totmüde er ist, im Bett herum. Sagen kann er nicht mehr: nach Osten, aber ich weiß es auch so u. bette ihn wunschgemäß. Er nickt, scheint dann einzuschlafen trotz des Zuckens der Glieder.

     Nach einer Weile wird die Atmung so krampfartig, daß ich Bescheid weiß. „Schw. Maria, bitte stehen Sie auf, kommen Sie, mein Bruder stirbt!“ – „Nein!“ – „Es ist so!“ – „Ja, ich komme!“

     Wir beteten zusammen u. abwechselnd. Der Körper war glühend heiß u. schweißgebadet ... Erst, als es aufs Letzte ging, ließ ich den Pater wecken, der noch einmal die Absolution gab.

2.55 Uhr. Ein letztes Aufbäumen u. Ausstöhnen, es war vollbracht! ... Wir beteten noch weiter. Die beiden hatten es garnicht gemerkt. Ich hatte ihn im Arm u. war über ihn gebeugt, ich wollte nicht, daß man ihm in seiner Not so ins Gesicht guckte. Erst, als ich um Alleinsein bat, merkten sie es u. gingen hinaus.

     – – – Der Pater ging schlafen. Schw. Maria half mir waschen u. anziehen u. das Meßgewand anlegen. Das kl. Sterbekreuz, das er so oft die Nächte umklammert hatte, nahm ich jetzt an mich u. gab ihm das große über seinem Bett in die Hand. Morgens war es von der erstarrten Hand umklammert. Es lag ein wunderbarer Frieden über ihm. – Ich wollte niemand Fremdes an ihm hantieren lassen u. rasierte ihn selbst.

     – – – Die Gemeinde konnte es nicht fassen. Es war wie ein verzweifelter Aufschrei, jetzt in dieser grenzenlosen Not! Ich mußte sie trösten u. halten. Sie baten, ihn sehen zu dürfen. Soweit sie es erfuhren, kamen sie noch einmal einzeln Abschied von ihm nehmen im Sterbezimmer. Sie baten um Aufbahren in der Kirche. Doch es ging nach dem Gewitter nachts u. bei der Tageshitze nicht mehr. Wir mußten ihn einsargen u. zumachen u. dann den Sarg in der Kirche aufbahren.

     Die Kinder pflückten noch einmal Gänseblümchen für ihn u. Kornblumen zu Kränzen u. Sträußen (er liebte Feldblumen so). Den schlichten Sarg (Gott Dank daß ich einen bekam), schmückten wir mit Buchsbaumguirlanden, den alten, wackligen Handwagen, den wir nur für die Beerdigung bekommen konnten zum Ziehen, mit Grün u. Tüchern. Der Bürgermeister erlaubte Kirchenvorstandsmitgliedern während der Arbeitszeit die Teilnahme an der Beisetzung, sie zogen den Wagen u. trugen den Sarg in die Gruft.

     Am 6.6.45. War H. H. Erzpriester Radek-Stralsd. zur Beisetzung gekommen. Nachts zuvor wollen Russen durch's Kellerfenster ins Haus eindringen. Die nächste Nacht wollten sie die Haustür wieder einschlagen. Gott Dank hielt sie stand.

     Am 7.6.45. morgens 8 Uhr fand das Requiem statt, anschließend betteten wir A drüben [25] an einem stillen Fleckchen, das ich aussuchen konnte, drüben auf dem Friedhof.

     Gnadenbild der Pfarrkirche in Barth

     St. Maria, Trösterin der Betrübten

     „Die Muttergottes von Barth verläßt uns nicht ...!“ (aus seinen letzten Worten)

Sonntag, 29. Dezember 1946.     

     Nachmittags im Dunklen kam Dr. Rudlof aus Ribnitz mit dem Rade. Er hatte um 2 Uhr in Wustrow u. vorher in Dierhagen Gottesdienst gehalten u. wird nun bei Frau Longard übernachten, um morgen früh 8 Uhr eine stille Messe bei uns zu lesen. Es hat heute den ganzen Tag geregnet u. Dr. R. hatte eine schwierige Fahrt von Wustrow hierher.

     Abends brachte Fritz noch Post. Ein Brief von Schw. Ephraem aus Müritz, am 3. Jan. feiert St. Ursula 25jähriges Bestehen. Schw. E. ist schon 23 Jahre dort immer Altarschwester. Sie bestellt Grüße von Schw. Katharina. Der Rektor ist verreist, war im Westen bei seiner Mutter, Schw. E. schreibt, daß er demnächst Pfarrer werden würde, wobei nicht klar ist, ob in Müritz-Graal eine Pfarrei errichtet wird, oder ob er in eine andere Pfarrei versetzt wird.

     Ferner ein Brief von Herrn E. Zieger aus Sellin – Rügen. Er erhielt meinen Brf. v. 30. 11. erst am 16. 12. u. heute bekomme ich seine Antwort. Ich hatte geglaubt, er habe den Wunsch, den „hl. Pfr. von Ars“ zu besitzen, aufgegeben, weil der Preis von 1000,– Rm. immerhin recht hoch ist; aber nun dankt er mir, daß ich ihm das Bild überlassen will u. daß er mir den Betrag per Postanweisung zugehen lassen wird. Er bittet, daß ich Schwerin veranlassen möge, daß ihm das Bild als Wertpaket zugesandt wird. – Ich möchte gern wissen, wer dieser Edgar Zieger eigentlich ist?

     Abends bereiteten wir für die morgige Messe alles vor, es ist doch jedesmal eine umständliche Sache.

     Von Emma Aldmann-Wendt ein Päckchen mit sehr schönen Dingen, auch Kaffee, Käse, Süßstoff etc.

[26]
Montag, 30. Dezember 1946.     

[26]      Heute früh in der Messe ziemlich viele Menschen, sodaß die Stube voll war. Nachmittags hielt ich den zweiten Teil des Farben-Vortrages, dessen 1. Teil ich etwa vor 3 Wochen hielt vor den Angestellten der BuStu. Martha hatte auch Fremde eingeladen, wodurch es etwas viele Zuhörer waren.

     Am ganzen Nachmittag u. Abend von 4 Uhr bis 9 Uhr ohne Licht.