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TBHB 1951-07-18

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1951-07-18
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Entstehungsdatum: 1951
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Originaltitel: Mittwoch, 18. Juli 51.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 18. Juli 1951
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Einführung

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Der Artikel TBHB 1951-07-18 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 18. Juli 1951. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über vier Seiten.

Tagebuchauszüge

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[1]
Mittwoch, 18. Juli 51.     

[1]      Heute erhielt ich aus Rostock die Ausfertigung des Urteils in der Scheidungssache. Demnach ist meine Ehe nunmehr geschieden, ich bin als der Schuldige erkannt, da ich mich „beharrlich u. grundsätzlich“ geweigert habe, die Ehe fortzusetzen. Der rostocker Scheidungsrichter trägt den schönen Namen „Gedeon“.

     Damit ist eine lange Epoche meines Lebens endgültig abgeschlossen. Es tut mir für M. nach wie vor sehr leid, daß es so kommen mußte. Ich hatte bestimmt erwartet, daß diese Ehe mit M., der letzte Lebenszustand für mich sein würde. Seit vielen Jahren hatte ich begriffen, daß diese Ehe für mich eine Art von Tod bedeutete, insofern, als ich dafür meinen Beruf u. meine Neigungen zum Opfer brachte. Ich habe dafür eine gewisse Sicherheit meiner wirtschaftlichen Verhältnisse eingetauscht, ich habe eine Wohnung gehabt, Kleidung u. Essen u. habe eine geradezu buddhistische Wunschlosigkeit errungen. Ich habe mein ganzes Streben, ausschließlich auf die Erringung meiner ewigen Seligkeit gerichtet, wovor mir alles andere zweitrangig erschien u. der ich alles andere opferte. Ich habe tatsächlich in der Überzeugung gelebt, daß es ausschließlich auf diese [2] ewige Seligkeit ankäme u. daß zur Erringung derselben in erster Linie die Abtötung der Sinne notwendig sei –, ganz im Sinne Buddhas. Ich hatte mir bewußt die Aufgabe gestellt, diese ewige Seligkeit zu erringen. Unter dieser verstand ich die größtmögliche Verähnlichung meiner selbst mit dem Bilde meiner von Gott geschaffenen Geistpersönlichkeit. Diese Geistpersönlichkeit, welche ich mir als das von Gott erdachte Bild meiner selbst vorstellte u. die sie wohl auch ist, wollte ich bis zu meinem Todestage in möglichster Vollendung erreichen. In der Stunde meines Todes, so dachte ich's mir, würden dann die letzten, durch die materielle Existenz bedingten u. notwendigen Schranken von selbst fallen, die mich noch von der Vollendung trennten u. ich würde so in die Seligkeit eingehen. So deutete ich das Goethewort: „Höchstes Glück der Erdenkinder ist doch die Persönlichkeit“. Unter Persönlichkeit verstand ich eben die Verwirklichung jener Idee Gottes von mir selbst. Und diesem Gedanken habe ich dann bewußt meinen Beruf u. alle anderen Wünsche geopfert.

     Nun ist der Zeitpunkt da, wo ich mir Rechenschaft abzulegen habe, wie ich jetzt darüber denke, ob ich nach wie vor zu dieser Idee stehe, oder ob ich sie als Irrtum betrachte.

Wäre dies letztere der Fall, dann wäre das so erschütternd, daß sich ein weiteres Leben kaum noch lohnen würde. Ich hätte 30 Jahre meines Lebens umsonst vertan u. würde nun jetzt vor einem völligen Bankrott stehen. – Aber so ist es nicht! – Vielmehr ist in diesen 30 Jahren eine Frucht reif geworden, die ich heute pflücken darf. Daß diese Frucht aus der Einsicht entstammt, einen Irrtum begangen zu haben, vermindert die Köstlichkeit dieser Frucht nicht, vielmehr gibt mir diese Tatsache ein sehr großes Glücksgefühl.

     Wäre mir diese Einsicht nie gekommen u. wäre ich im Irrtum gestorben, wie ich mir das gedacht hatte, dann wären die letzten Jahre meines Lebens zwar, „glücklich“ verlaufen, aber nur im Sinne irdischen Glückes. Es hätte dann keine Katastrophen gegeben, kein Leid, weder für mich noch für M. mein Ende wäre harmonisch gewesen im Bewußtsein, die größtmögliche Verähnlichung mit Gottes Idee von mir erreicht zu haben u. ich wäre zufrieden gestorben. So hätte es bei der letzten Operation gut sein können u. so erwartete ich es auch. Ich begriff damals nicht, weshalb ich wieder gesund wurde, da ich doch m. E. mein Leben u. die mir gestellte Aufgabe vollendet hatte. Wozu sollte ich noch weiter leben? – was wollte Gott noch von mir? – Das weitere Leben konnte doch nur noch ein stilles Warten auf den Tod bedeuten, u. so wäre mein Weiterleben neben M. auch tatsächlich geworden: ein stilles Warten auf den Tod –, eine Überflüssigkeit. Und an Überflüssigkeiten im Leben kann ich nicht glauben, da ich zu fest davon überzeugt bin, daß mein Leben durchaus zweckvoll ist –, wenngleich ich seinen Zweck auch nicht klar erkennen kann, sondern ihn nur ahne.

[3]      Die Einsicht, daß die Vollendung des Lebens nicht darin besteht im buddhistischen oder im christlich-ascetischen Sinne alle Wünsche abzutöten, den Durst zu löschen, wie Buddha sagt – diese Einsicht ist mir durch das unerwartete Auftauchen Elisabeth's zuteil geworden. Dieses Erleben brachte mich zu der neuen Einsicht, daß mein Leben bei meinem Tode infolge der Operation eben durchaus noch nicht vollendet gewesen wäre, wie ich glaubte, sondern daß es dann unvollendet abgeschnitten worden sei. Zur Vollendung gehörte eben unbedingt noch die Vollendung meiner künstlerischen Aufgaben, die mir ja auch von Gott gestellt wurden, die er von mir verlangt, die zur Verähnlichung meiner selbst mit seiner Idee von mir gehören u. die ich so lange Jahre sträflich vernachlässigt hatte. Ich betrachte es heute als eine geradezu staunenswerte Gnade Gottes, daß er mir nun noch die Frist gelassen hat, diese Aufgabe zu lösen, – ich hätte ja auch unvollendet sterben können u. hätte dann nie mehr die Möglichkeit gehabt, das Versäumte nachzuholen. Es ist staunenswert, daß Gott mir diese Gnade zuteil werden ließ u. es ist ein sehr hohes Glücksgefühl zu spüren, daß ich so fest u. sicher in Gottes Hand ruhe u. daß er mich selbst zu dem mir bestimmten Ziele führt, auch wenn ich selbst dieses Ziel nicht sehe, sondern nur ahne.

     Diese Einsicht wurzelt in der neuen Erkenntnis, daß wir Menschen Organe Gottes sind, die er sich geschaffen hat, um durch uns die sonst gottfremde Materie zu erfahren –, d. h. sie zu erlösen.

     Diesen Gedanken, der ja auch ganz dogmatisch ist, habe ich wohl schon immer gehabt, aber ich habe ihn nicht besonders beachtet, er blieb im Hintergrunde. Ich dachte nur immer an meine eigene Seligkeit, die ich durch eine Art Kurzschluß zu erreichen hoffte, in dem ich mich durch eigene Kraft abzutöten suchte. Das ist christlicher Egoismuß u. entspricht nicht den Absichten Gottes, ja, er durchkreuzt sie. Gott will durch mich die Materie erfahren, ich bin Organ Gottes u. dazu bestimmt, an der Erlösung und Vergöttlichung der Materie mitzuarbeiten. Und ich tue das mit meiner Malerei so gut ich eben kann. Ich male nicht, um die äußere Schönheit der Natur wiederzugeben, wie die abendländischen Künstler das seit der Renaissance bis zum Impressionismus getan haben, sondern ich versuche, das innere Wesen u. die Gesetzmäßigkeit der Erscheinung klar hinzustellen. Wieweit mir das gelingt, ist eine müßige Frage, es kommt nur auf die Absicht an. Meine Malerei ist der Versuch der Erlösung der Materie aus ihrer Stofflichkeit –, u. so fühle ich mich als Mitarbeiter Gottes am Erlösungswerk. –

Dabei hat mich meine veränderte Haltung der Kirche gegenüber zunächst sehr irritiert. Ich werde mir allmählich klarer darüber. Ich sehe jetzt, daß diese Kirche in der Renaissance [4] einen eigentümlichen Weg gegangen ist, den Weg des abendländischen Humanismus. Je mehr die Kirche diesem humanistischen Geist gefolgt ist, um so krampfhafter hat sie sich an den anderen Geist geklammert, den ich den Geist des Wahnes nennen möchte. Heute ist die Spannung zwischen diesem humanistischen, naturwissenschaftlichen Geist u. dem Geiste des Wahnes so groß geworden, daß er zu zerreißen droht. Diese Spannung empfinde ich jetzt deutlicher als je. Ich habe sie immer empfunden, aber ich konnte das auf sich beruhen lassen, das geht heute nicht mehr. Ich befinde mich heute inmitten dieser Spannung u. ich weiß noch nicht, wohin mich das führen wird, aber ich bin jetzt nicht mehr in der Lage, gewisse Dogmen der Kirche widerspruchslos hinzunehmen. Es wäre Feigheit, davor die Augen zu verschließen u. ich habe genug Mut, diesen Dingen ins Auge zu sehen.

[Eingeklebte Anzeige:]

     Für die zahlreichen Beweise herzlicher Anteilnahme beim Heimgange meines geliebten Mannes, unseres guten Vaters und Sohnes, des Chemikers

Dr. Heinz Isensee

sagen wir, im Namen aller Hinterbliebenen, unseren tiefempfundenen Dank.

Ruth Isensee, geb. Braß
Thomas und Stefan

Berlin-Charlottenburg, im Juni 1951

      Lötzener Allee 9