TBHB 1952-05-29
Einführung
[Bearbeiten]Der Artikel TBHB 1952-05-29 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 29. Mai 1952. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über zwei Seiten.
Tagebuchauszüge
[Bearbeiten][1] Der gestrige Besuch von Frau Dr. Daehne war recht interessant. Zunächst fand sie das Ekzem Bettinchens doch recht beachtlich, wenn auch nicht gefährlich. Sie meinte aber, daß es sehr lange dauern könne, bis es abgeheilt sei, etwa ein halbes Jahr. Außer der Oelbehandlung u. den Salben die Elisab. so wie so anwendet, empfahl sie Kamillen-Umschläge.
Wir tranken dann eine Tasse Kaffee u. meine Bilder waren der Mittelpunkt des Gespräches. Frau Dr. D. hat bislang noch niemals irgend eine nähere Beziehung zur bildenden Kunst gehabt, sie u. ihr Mann leben in einer Wohnung mit völlig leeren Wänden. Es fiel dieser Frau also nicht leicht, eine Beziehung zu meinen Bildern zu bekommen, aber andererseits waren auch keine Vorurteile vorhanden, die erst beseitigt werden mußten. – Von den Bildern gefiel ihr –, wie allen Menschen –, am meisten das Lupinenbild, sodann auch die Kleine Gasse u. schließlich, aber nicht zuletzt ein Bild, welches ich selten zeige u. das Elisabeth hervorholte: „Verkündigung“. – Im großen Ganzen war es so, daß ihr meine Bilder zu vollkommen sind. Es kam das bei dem Mondbild mit den Fischernetzen sehr zum Ausdruck. Sie fand dieses Bild wohl sehr [2] schön, aber sie fand es krystallisch u. kalt, während sie zu der viel schlechteren Zeichnung sofort eine sehr starke Beziehung fand. Diese Zeichnung fand sie warm u. menschlich, sie war von ihr sehr berührt, grade weil die Zeichnung weniger vollendet ist als das Bild. In der Zeichnung sind Zufälligkeiten, die auch anders sein könnten, u. grade das spricht sie an, während ihr die krystallische Vollkommenheit des Bildes unheimlich ist.
Damit drückte sie ihre Grundhaltung gegenüber meinen Bildern aus u. diese ist durchaus berechtigt. Meine Bilder sind tatsächlich krystallene Kugeln, es kann an ihnen nichts geändert werden u. dadurch wirken sie im Verhältnis zu anderen Bildern, sagen wir Rembrandt, kalt, starr, unheimlich, unmenschlich. Dies aber ist etwas, was mir von größter Wichtigkeit ist. Es ist darin die entschiedenste Ablehnung unserer chaotischen Zeit u. auch einer Kunst, die dieses Chaotische zum Inhalt hat wie z.B. Max Beckmann. Diesen Künstler lehne ich vollkommen ab, er ist für mich einfach zuchtlos, lasterhaft u. –, was das Schlimmste ist –, schamlos. Dagegen empfinde ich z.B. Carl Hofer als zuchtvoll, wenn er auch einige sehr wüste Bilder gemalt hat; aber bei ihm ist alle Leidenschaft zuchtvoll u. discipliniert. Erst wenn das der Fall ist, empfinde ich ein Bild wirklich als Kunst. – Es ist klar, daß in unserer Zeit, deren Merkmal der Kampf der chaotischen Unordnung gegen die ordnenden Kräfte ist, meine Kunst wenig Anklang findet. Abends nahm Elisabeth dieses Thema nochmals auf u. ich freute mich, wie klar sie das empfindet. Grade der Gegensatz zwischen Malern wie Max Beckmann u. mir ist ihr sehr deutlich u. sie bejaht es rückhaltlos, daß ich lieber auf einen billigen Künstlerruhm verzichte, als solche Zuchtlosigkeit mitzumachen. –
Am Abend waren dann noch Falkes aus Steglitz da, die in der HO. einen Teppich gekauft hatten. Sie wollten die Abendstunde bei uns abwarten, um dieses Objekt unauffälliger nach dem Westen verschleppen zu können. So ist das! – Besonders die Frau ist wütende Gegnerin des Kommunismus, unterstützt ihn aber doch, indem sie in der HO. kauft. Ohne Westberlin würde die HO. ein recht schlechtes Geschäft sein, denn wir Ostleute können uns die Preise nicht leisten, aber für den Westen sind die Preise billig, z. Zt. der vierte Teil. –