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TBHB 1953-06-11

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: TBHB 1953-06-11
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Entstehungsdatum: 1953
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Originaltitel: Donnerstag, 11. Juni 53.
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ungekürzte Tagebuchaufzeichnungen vom 11. Juni 1953
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Einführung

Der Artikel TBHB 1953-06-11 zeigt die ungekürzten Tagebuchaufzeichnungen von Hans Brass vom 11. Juni 1953. Diese Aufzeichnungen erstrecken sich über fünf Seiten.

Tagebuchauszüge

[1]
Donnerstag 11. Juni 53.     

[1]      Das neue Straßenbild wurde gestern fertig bis auf einige Kleinigkeiten. Seit längerer Zeit stelle ich fest, daß mir das Malen sehr viel leichter geworden ist, ich male jetzt ein Bild in drei bis vier Tagen, wo ich früher mindestens das Doppelte brauchte.

[1]      Die Bevölkerung der DDR. hat einen großen Sieg über die Regierung errungen. Heute steht eine große Bekanntmachung in der Zeitung, nach welcher die zahlreichen, in letzter Zeit flüchtig gewordenen Bauern aufgefordert werden, wieder zurückzukehren. Es soll ihnen ihr Besitz zurückgegeben oder sie sollen entschädigt werden u. sie sollen keinerlei Verfolgungen wegen ihrer Flucht ausgesetzt sein. Ebenso sollen allen Geschäftsleuten und Handwerkern, [2] die geflohen sind oder deren Betriebe sonst beschlagnahmt worden sind, ihr Eigentum wieder zurückgegeben werden oder sie sollen entschädigt werden. – Die Verordnung betreffend Lebensmittelkarten soll rückgängig gemacht werden, ab 1. Juli sollen alle denen die Lebensmittelkarten entzogen wurden, dieselben wieder gegeben werden. Alle Schüler u. Studenten, die in letzter Zeit von Schulen u. Hochschulen relegiert worden sind, sollen sofort wieder in den Schulen aufgenommen werden u. alle Beschlagnahmungen kirchlichen Eigentums sind sofort an die Kirchen zurückzugeben. – Diese neue Verordnung stellt tatsächlich eine ganz gewaltige Niederlage der SED. dar –, daß sie diese Niederlage so kraß eingesteht, dürfte wohl kaum auf eigene Einsicht u. guten Willen zurückzuführen sein. Die SED. tut ja nichts, ohne daß es ihr vorher von Moskau befohlen worden wäre, also wird sie wohl auch hier Moskauer Weisungen folgen. Es ist die Moskauer Politik zwei Schritte vorwärts zu machen u. einen Schritt rückwärts. Daß diese Politik aufgegen werden sollte, darf man nicht erwarten, es handelt sich nur um den einen Schritt rückwärts zur Beruhigung der Weltöffentlichkeit. Der Flüchtlingsstrom aus der DDR. hatte ja enormen Umfang angenommen, es war eine offene Blamage für die DDR. – Es werden nun wahrscheinlich viele Bauern u. auch Geschäftsleute u. Handwerker zurückkehren; aber was werden sie vorfinden? Devastierte Bauernhöfe oder Geschäfte, die von der HO übernommen worden sind. Werden sie wirklich den versprochenen Schadenersatz erhalten? Das ist nicht anzunehmen, denn die DDR., die sich aus Geldmangel schon zu der großen Sparsamkeitsaktion entschlossen hat, kann den entstandenen Schaden garnicht bezahlen. Wenn sich z.B. der Rechtsbeistand Vogel entschließen, würde, zurückzukehren, was leicht möglich ist, so würde er in eine leere Wohnung kommen. Seine Möbel haben ja längst andere Leute. Wird der Staat ihm das bezahlen? – Und wenn er es täte, geschähe dies aus unseren Steuergroschen, aber die reichen ja nicht einmal aus, um den ganzen Propaganda-Apparat der Staates zu bezahlen. Eine Rückkehr all dieser Menschen, die heute schon in die Millionen geht, würde eine Finanzkatastrophe herbeiführen, wenn sie alle für ihre Verluste bezahlt werden sollten. – Die ganze Geschichte läßt blitzartig erkennen, in welcher Lage wir uns heute befinden u. wohin uns der Kommunismus geführt hat. –

     Wie gesagt, glaube ich, daß die ganze Sache auf eine Weisung Moskaus zurückgeht, wie auch die Beseitigung der Hemmnisse zum [3] Abschluß des Waffenstillstandes in Korea auf Moskau zurückgeht. Dieser Waffenstillstand steht nun ja unmittelbar bevor. Ein Waffenstillstand ist aber noch längst kein Friedensvertrag. Auch der Waffenstillstand gehört zur Politik der zwei Schritte zurück, der Friedensvertrag wird dann wieder einen Schritt vorwärts bedeuten u. um diesen Schritt wird wohl nicht weniger zäh gekämpft werden. Außerdem liegt da ein Haar in der Suppe, denn die Südkoreaner wollen den Waffenstillstand nicht, sie wollen weiterkämpfen um die Einheit Süd= und Nordkoreas, u. daß gerade wollen die Russen nicht. – Immerhin ist doch in all dem ein Einlenken der Russen zu verspüren u. es wird sich zeigen, wie weit sie gehen wollen – u. können. Grade in diesem Augenblick zeigt es sich, daß der Kommunismus einige sehr stichhaltige Trümpfe in der Hand hat. Die Freundschaft zwischen England u. Amerika ist zweifellos in letzter Zeit recht sehr getrübt worden, die zu erwartende Bermuda=Konferenz wird zeigen, wie weit diese Trübung geht. In Frankreich besteht seit Wochen eine Regierungskrise u. es gelingt nicht, eine neue Regierung zu bilden, schon mußte deshalb die Bermudakonferenz verschoben werden, weil Frankreich keine Regierung hat. In Italien sieht es ähnlich aus. Es waren dort eben Neuwahlen u. die bisherige Regierung de Gasperi hat dabei eine so minimal knappe Mehrheit errungen, daß sie damit kaum weiterhin lebensfähig sein wird. In Italien wie in Frankreich sind die Kommunisten stärkste Parteien u. arbeiten natürlich für Moskau u. gegen Amerika. Das politische Uebergewicht des Westens unter Amerikanischer Führung wird dadurch erheblich geschwächt. Wenn gleichzeitig der Osten unter Moskau's Führung ein Entgegenkommen zeigt –, u. sei es auch nur durch Worte u. leere Gesten –, so wird er dadurch einen Stärkezuwachs erhalten, vielleicht nicht in den eigenen Reihen, denn in der DDR. mindestens sind so viele Dummheiten u. Verbrechen begangen worden, daß die Bevölkerung ihrer Regierung keineswegs wegen ein paar milden Verordnungen ihr Vertrauen schenken wird, aber doch in den Reihen der westlichen Kommunisten. Die Propaganda wird eine noch größere Rolle spielen als bisher. Diese betreibt jetzt ja eine neue Vierer=Konferenz zwischen Amerika, England, Frankreich u. Rußland u. gleichzeitig betreibt sie die Verschärfung der Gegensätze zwischen den drei westlichen Mächte. Bermuda soll der Beseitigung dieser Gegensätze dienen. Gelingt das nicht, was leicht möglich ist, wie die Verschiebung dieser Konferenz wegen der französischen [4] Schwierigkeiten bedrohlich beweist, so würde Rußland bei einer Viererkonferenz tatsächlich eine sehr starke Stellung haben u. Herr Molotow ist ganz der Mann dazu, diesen Vorteil auszunutzen. Bei dieser Sachlage wäre dann aber denkbar, daß die Russen wiederum in ihrer Politik des Zurückweichens um zwei Schritte den Osten Deutschlands preisgeben, weil sie ihn auf die Dauer doch nicht halten können, um dafür auf anderen Gebieten einen Schritt vorwärts gehen zu können. Aber das läßt sich noch nicht übersehen, es wird sich wohl noch im Ablauf dieses Jahres zeigen. Sicher scheint mir nur, daß die Russen ohne Stalin heute noch weniger einen Krieg wünschen wie mit Stalin, sie können sich einen Krieg nicht leisten. Amerika wünscht zwar auch keinen Krieg, hat aber nicht eine so große Abneigung dagegen wie Rußland u. würde daher im Notfalle wohl angreifen, wenn nicht die Kommunisten in Italien u. Frankreich so mächtig wären. Es ist also Rußlands Interesse, diese westlichen Kommunisten weiter zu stärken, um den Westen am Kriege zu hindern. Eigentlich wäre diese Konstellation sehr gut, denn in ihr wird ein Krieg verhindert, es fragt sich bloß, welcher Preis dafür bezahlt werden muß. Es ließe sich ja schließlich auch eine Regierungsform denken, in welcher die Kommunisten eine sehr starke Position hätten, ohne aber in absoluter Form zu herrschen wie im russischen Bolschewismus. Wenn es sich um eine totale Bolschewisierung Europas handelte, wäre ein Krieg auf Leben u. Tod wohl zu rechtfertigen, er wäre ethisch zu rechtfertigen als Verteidigung letzter u. unveräußerlicher Kulturgüter Europas; aber wenn es sich darum handelt, in einer neuen Regierungsform der großen Masse der Kommunisten Recht u. Stimme u. Macht zu geben, so wäre das ja wirklich Demokratie u. es gäbe keine ethische Rechtfertigung für einen Krieg. Ich glaube, daß die Entwicklung wirklich diesen Weg gehen wird, denn er wäre ganz einfach logisch. Der demokratische Gedanke ist ganz sicher in Westeuropa die stärkste Potenz u. er muß zwangsläufig dahin führen, daß ebenso die Rechts= wie die Linksradikalen im Parlament ihre Ansichten ungehindert aussprechen u. dafür kämpfen dürfen, wenngleich auch zu wünschen ist, daß eine demokratische Mitte die führende Mehrheit besitzt. –

     Elisab. ist in Wuhlgarten bis jetzt sehr zufrieden. Sie hat zu tun, sich in die neue Materie einzuarbeiten. Dr. Wolf ist jetzt in Urlaub u. sie ist Leiterin seiner Station von etwa 70 Betten. Sie ist angeregt u. wieder nett u. freundlich in ihrem Wesen u. ich freue mich [5] über sie. Ich hoffe, daß es so bleibt. Heute Abend hat sie, um Geld zu verdienen, wieder Bereitschafts=Nachtdienst übernommen, aber ich bin etwas in Sorge, daß ihr das zu viel wird.