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Therese Malten

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Carlos Droste
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Titel: Therese Malten
Untertitel:
aus: Moderne Kunst, Band XVII, S. 266–268
Herausgeber: Richard Bong
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Erscheinungsdatum: ohne Jahr (ca. 1903)
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Scan auf Commons
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Therese Malten


Therese Malten.

Der Ruhm‚ unter den gegenwärtig noch tätigen dramatischen Bühnensängerinnen Deutschlands eine der unbedingt ersten Stellungen einzunehmen, gebührt dem langjährigen Mitgliede der Dresdener Hofoper, der Königlich sächsischen Kammersängerin Fräulein Therese Malten, welche am 13. Februar dieses Jahres als ständiges Mitglied nach rund 30 Jahren aus dem Verbande der genannten Bühne schied, derselben aber als Ehrenmitglied auch ferner noch angehören wird. Es waren gewaltige Ovationen, die der Künstlerin bei dieser Gelegenheit zu teil wurden. Gab es doch am Schluss allein über vierzig Hervorrufe! Als die gottbegnadete Künstlerin im Jahre 1898 auf eine fünfundzwanzigjährige ununterbrochene Tätigkeit an dem Kunstinstitut der sächsischen Residenzstadt zurückblicken konnte, war der Name Therese Malten in aller Munde und überaus zahlreich waren die Beweise der Liebe, Bewunderung und Verehrung, die der Jubilarin, welche, noch immer in der Vollkraft ihrer künstlerischen Mittel, fast sämtliche jüngeren Kolleginnen um ein Bedeutendes überragt, von allen Seiten gespendet wurden.

Therese Malten gehört jenen auserwählten, von der gütigen Mutter Natur besonders reich ausgestatteten künstlerischen Erscheinungen, denen die herrliche Gottesgabe der Kunst gleichsam schon in die Wiege gelegt und mit auf den Lebensweg gegeben worden ist. Schon bei dem kaum einundeinhalbjährigen Kinde – Therese Malten oder Röschen Müller, wie ihr Familienname eigentlich lautet, wurde am 21. Juni 1855 als Tochter eines höheren Militärbeamten zu Insterburg in Ostpreussen geboren – zeigten sich deutlich die welche die Spuren musikalischer Veranlagung und die Eltern, welche die in ihrer Tochter schlummernde reiche Begabung erkannten, liessen derselben schon frühzeitig musikalischen Unterricht, insbesondere Unterweisung im Gesange erteilen. Danzig und [267] Torgau waren die Städte, in denen das junge Mädchen aufwuchs. Mit dem vollendeten achtzehnten Lebensjahre kam Therese Malten bei ihrem ersten auf Engagement abzielenden Gastspiel, dank der vorzüglichen Empfehlung ihres Lehrers Dr. Engel, an keine geringere Kunststätte als an die Dresdener Königliche Hofoper. Der 30. Mai des Jahres 1873 sah die jugendliche, kaum achtzehnjährige Sängerin als Pamina in Mozarts „Zauberflöte“ erstmalig auf den weltbedeutenden Brettern, am 6. Juni desselben Jahres folgte die Agathe in Webers „Freischütz“, und das Resultat dieser beiden Gastvorstellungen der reich talentierten Novize war der Abschluss eines mehrjährigen Engagementsvertrages zwischen ihr und dem damaligen Intendanten der königlichen Hofbühnen, dem Grafen Platen. In der Rolle der Elsa in Wagners „Lohengrin“ konnte Fräulein Therese Malten bereits am 18. Juni desselben Jahres zum ersten Male als fest engagiertes Mitglied der Hofoper in der schönen Elbresidenz auftreten.

Von diesem Tage an ist der künstlerische Entwicklungsgang und die Bühnenlaufbahn der Malten eine sich beständig steigernde Reihe von Erfolgen und Triumphen gewesen. Um statt einiger breiter und ermüdender Ausführungen hier nur einige Andeutungen und Einzelheiten von der Tätigkeit zu geben, welche die junge Künstlerin an ihrer nunmehrigen Wirkungsstätte alsbald entwickelte, sei konstatiert, dass Therese Malten gleich im ersten Jahre ihrer Bühnencarriere berufen wurde, Rollen wie Elsa, Elisabeth, Evchen, Pamina, Agathe, Anna (im „Heiling“) u. a. m. regelmässig zu singen und dass ihr ferner sogleich zwei völlig neu zu kreiernde Partien, nämlich die Mignon in Ambroise Thomas’ gleichnamiger Oper und die Maria in den „Folkungern“ von Edmund Kretzschmer übertragen wurden. Letztere, zu ihren bedeutendsten Darbietungen zählende Rolle, hat die Künstlerin bis auf den heutigen Tag inne und bereits über siebzigmal gesungen.

Walküren-Rüstung
von Therese Malten.

Besonders für die Verkörperung der weiblichen Idealgestalten Richard Wagners erwies sich Fräulein Malten als in hohem Grade geeignet und vor anderen berufen. Neben einer sanften, träumerischen Elsa, einer echt mädchenhaften, wunderbar keuschen Elisabeth, einem reizenden und poesievollen Evchen wusste die sich zusehends entwickelnde Künstlerin sehr bald auch eine imponierende, hasserfüllte und wahrhaft dämonische Ortrud, eine verführerische, sinnbetörende und liebeglühende Venus meisterlich darzustellen. Als Senta im „Fliegenden Holländer“ sah Richard Wagner selbst die Sängerin im Herbst des Jahres 1881. Hingerissen von dieser Leistung, schloss der Meister die Künstlerin begeistert in seine Arme und übertrug ihr sogleich die Partie der Kundry in seinem „Parsifal“, welche Therese Malten denn auch bei den Festspielen des Jahres 1882 in Bayreuth in geradezu mustergiltiger Weise vertrat. Elfmal hat die Künstlerin seitdem als stets aufs neue bewunderter und hochgeschätzter Gast in dem Festspielhause am roten Main Einkehr gehalten. Der Kundry liess sie dann späterhin ihre ganz unvergleichliche Eva und ihre nicht minder herrliche Isolde folgen und ungezählt sind die Stimmen derer, die ihr auch in dieser Rolle die Palme vor allen andern Darstellerinnen derselben – selbst eine Rosa Sucher nicht ausgenommen – zusprachen. Zahlreiche überlieferte mündliche und in Briefen an sie niedergelegte schriftliche Anerkennungen des Meisters selbst können der Nachwelt bezeugen, welches die Verdienste Therese Maltens um das grosse Bayreuther Werk, welches ihre dort gefeierten Siege und Triumphe gewesen sind. Dass nach all diesen Erfolgen es nicht an wiederholten Versuchen fehlen konnte, die Künstlerin für andere hervorragende Operninstitute (z. B. Berlin) zu gewinnen, ist wohl einleuchtend. Aber Therese Malten blieb allen noch so verlockenden Anerbietungen ungeachtet in dem ihr lieb gewordenen Wirkungskreis. Als Gast freilich haben die Künstlerin im Laufe der Jahre wohl sämtliche grössere Bühnen Deutschlands gesehen; auch in das Ausland folgte sie dem häufig an sie ergangenen Rufe zu wiederholten Malen. Nur Amerika versuchte vergebens, die Gefeierte zu einem Gastspiel jenseits des Ozeans zu bewegen. In Dresden fügte unsere Sängerin dem Ruhmeskranze ihrer bisherigen Taten bald noch zwei neue Blätter hinzu mit der Durchführung der Riesen-Partien der Isolde und Brünnhilde. Erstere Rolle, welche die Künstlerin auch bei den Bayreuther Festspielen, wie bereits bemerkt wurde, kreiert hatte, muss unbedingt als die vollkommenste ihrer musikalisch-dramatischen Darbietungen gelten. Als ihre liebste Partie hingegen – neben der des seltsamen Zauberweibes Kundry im „Parsifal“, welche sie über sechzigmal, von dem Meister selbst mit stolzer Genugtuung als „beste“, trotz einer Amalie Materna und Marianne Brandt, bezeichnet, in Bayreuth und nebenbei auch in den Münchener Separatvorstellungen vor König Ludwig darstellen durfte – bezeichnet Therese Malten die Brünnhilde im „Ring des Nibelungen“. Und in der Tat treten alle die reichen Vorzüge der Künstlerin an keiner zweiten Rolle so deutlich zu Tage. Das Heldenhafte, Pathetische, Düstere – kurzum das spezifisch Dramatische ist eben ihr eigentliches Lebenselement; als stahlgepanzerte und waffenschwingende Schlachtenjungfrau Wotans und Loskieserin fühlt sie sich am Platze, wie nirgendwo sonst.

Im ganzen ist Fräulein Malten in Dresden allein über 1600 mal aufgetreten. Zahlreich sind die Opern, denen lediglich der Umstand ihres Mitwirkens in einer massgebenden Rolle zu einem Erfolge verholfen hat. Der Name Therese Malten auf dem Theaterzettel übt noch heute in Dresden auf Einheimische wie auf Fremde die Wirkung eines Kassenmagneten aus.

Wenn wir den Versuch machen wollen, nunmehr auch in gedrängter Kürze eine Charakteristik der ganzen künstlerischen Erscheinung Therese Maltens zu geben, so verweisen wir am besten auf Richard Wagners Ausspruch, dass er in dieser Künstlerin, seinem „lieben Kinde“, wie er sie wohl zärtlich zu nennen pflegte, immer wieder aufs neue gar lebhaft an die unvergessliche Wilhelmine Schroeder-Devrient gemahnt werde. Wie jene von unseren Eltern und Grosseltern hochverehrte dramatische Künstlerin, ist auch Therese Malten mit einem Stimmvermögen begabt, welches ihr die Bewältigung auch der grössten und anspruchsvollsten Gesangsaufgaben zu etwas ganz leichtem und selbstverständlichem macht. Dazu im Besitze eines ausserordentlichen technischen Könnens, von starkem Temperament und ungewöhnlicher Darstellungsgabe und der seltenen Fähigkeit, sich jederzeit in den Geist auch der verschiedenartigsten Partien völlig einleben zu können, gebührt Therese Malten unbedingt ein Ehrenplatz unter den Bühnenkünstlerinnen der Gegenwart. Ihre Eigenart erkennt die Künstlerin wohl selbst am zutreffendsten damit, wenn sie ausgesprochen hochdramatische Rollen wie Brünnhilde, Isolde, Armide, Königin von Saba usw. als ihr in erster Linie „gut liegend“ bezeichnet. Das dunkeläugige, strahlende Wotanskind der „Walküre“ in kriegerischer Wehr oder das wissend gewordene Weib in der „Götterdämmerung“, die königliche Zauberin Armide oder Irlands stolze Fürstenbraut, die Herrscherin Isolde, die über Sturm und Meer zu gebieten wünscht – das sind die Aufgaben, denen Therese Malten mit Vorliebe ihre hohe Künstlerschaft widmet. „Hier sind die starken Wurzeln ihrer Kraft“. Aber auch das Liebliche, Zarte, Sinnige, Empfindsame poesievoller Mädchengestalten, wie Agathe, Pamina, Elsa, Evchen usw., kleidet unserer Sängerin gar wohl. Ihr feines künstlerisches Empfinden, ihre hohe Intelligenz und ihre in das Wesen einer jeden der von ihr dargestellten Bühnengestalten sich versenkende schöpferische Natur lassen sie selbst in den heterogensten Rollen stets auf der Stufe gleicher Abrundung und Vollendung, originell und für ein jüngeres Künstlergeschlecht im besten Sinne vorbildlich erscheinen. In ihr bestätigt sich mutatis mutandis, was Richard Wagner einst über den unvergesslichen Schnorr von Carolsfeld – nach der ersten Begegnung mit diesem Künstler im Jahre 1862 gelegentlich einer „Lohengrin“-Aufführung in Karlsruhe – sagte: nicht nur den genialen Sänger und Darsteller, sondern den „singenden wirklichen Musiker und Dramatiker“ habe er endlich gefunden.

Villa Malten in Dresden.

Dass es Therese Malten im Verlaufe ihrer langen und ruhmreichen Künstlerlaufbahn nicht an den verschiedenartigsten Ehren wie an den Auszeichnungen [268] der Grossen dieser Erde gefehlt hat, liegt wohl auf der Hand. – Nicht eher bitte ich den Leser, von dem Bilde der Künstlerin Therese Malten scheiden zu wollen, als bis er nicht wenigstens auch einen flüchtigen Blick in das Privatleben derselben getan hat. An den hügelumkränzten Ufern des seine Wogen majestätisch vorwärts wälzenden Elbstroms liegt etwa eine Stunde oberhalb Dresdens gegenüber dem königlichen Schlosse Hosterwitz und dem Städtchen Pillnitz in malerischer Umgebung das liebliche Klein-Zschachwitz, eine Garten- und Villenkolonie der begüterten Dresdener.

Musiksaal der Villa Malten mit dem Trophäenschmuck

Hier hat sich vor nunmehr zehn Jahren auch Therese Malten ein stilles Plätzchen ausgesucht, auf welchem sie nach ihres Berufes Last und Mühen die Annehmlichkeiten und die Erholungen des Landlebens ungeniert geniessen kann. Der buen retiro der gefeierten Primadonna, der sich allerdings nur dem Eingeweihten öffnet, besteht in einer von einem grossen Grundstück mit Parkanlagen, Teich, Pavillon, Gehöften und dergleichen umgebenen herrschaftlichen Villa, die sich dem Auge überaus geschmackvoll präsentiert und im Innern ein elegantes, aber behagliches Heim darbietet. „Es zeigen die Pforten, es zeigen die Säulen, dass Klugheit und Arbeit und Künste hier weilen“. Eine wirkliche Sehenswürdigkeit ist der Musiksalon der Hausherrin. Derselbe enthält tausendfache Beweise der zahllosen Triumphe der Künstlerin, darunter viele Reliquien, Briefe und sonstige Erinnerungen an Richard Wagner. Die Wände des Saales sind – eine höchst originelle Idee – vollständig mit einem Geflecht von Bändern und Kranzschleifen überzogen, welche von den ungezählten Lorbeer- und Blumenspenden, die der gefeierten Sängerin im Laufe der Jahre gewidmet wurden, herrühren. Sogar über den inmitten des Saales aufgestellten Konzertflügel breitet sich eine Decke, aus gleichem Stoffe gefertigt. Hier verbringt Therese Malten, von ihren Kollegen, Freunden und Bekannten hochgeschätzt und geliebt, von der Bevölkerung ihrer Umgebung, besonders der Kinderschar des Dorfes, denen sie eine allzeit freundliche und gütige Wohltäterin ist, wärmstens verehrt, nicht nur die sieben Monate, während welcher sie kontraktmässig am Hoftheater tätig sein musste, sondern auch den grössten Teil ihres Urlaubs.

Therese Malten im ihrem Dog-cart.

Möge es der so herrlich Begabten und vor anderen Ausgezeichneten noch lange vergönnt sein, als eine berufene Priesterin im Dienste der „heil’gen deutschen Kunst“ ihre segensreiche Tätigkeit auszuüben.

Carlos Droste.