Tragödien und Komödien des Aberglaubens/Der geheimnisvolle Runenstein zu Jesteburg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Heinrich Niebuhr
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der geheimnisvolle Runenstein zu Jesteburg
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 656–660
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Serie: Tragödien und Komödien des Aberglaubens
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[656]

Tragödien und Komödien des Aberglaubens.

Der geheimnisvolle Runenstein zu Jesteburg.
Von Heinrich Niebuhr.

In dem Altertumsmuseum zu Stade befindet sich ein uralter Runenstein. – Er hat den Namen „der geheimnisvolle Runenstein“ erhalten, weil kein Forscher bisher imstande gewesen ist, die seltsamen Zeichen, welche ihm vor Jahrtausenden eingegraben wurden, zu entziffern.

Erst im Jahre 1879 gelangte der Stein in dieses Museum; bis dahin hatte er seinen Platz im Pfarrgarten zu Jesteburg, einem hannoverschen Kirchdorf, und diente als Rückwand einer von Moos überwucherten steinernen Ruhebank. Ein volles Jahrhundert befand er sich dort; im Jahre 1780 hatte der Pastor Johann Karl Gottlieb Runge, ein gelehrter Mann und leidenschaftlicher Altertumsforscher, den Stein von seiner ursprünglichen Ruhestätte in einem Forste, nahe dem Dorfe Seppensee, fort und nach Jesteburg schaffen lassen. Runge legte sich dann darauf, die Runen zu entziffern, und verlor darüber den Verstand! – Sein Eifer, die unklaren Zeichen zu deuten, artete zu dem Wahn aus, daß es ihm gelingen müsse, die Inschrift zu erklären und zu verdeutschen. Es sind seltsame Runen, welche entschieden Aehnlichkeit mit den Grundrunen der alten Germanen haben, aber mit unverständlichen Figuren durchkreuzt und verwoben sind.

Die meiste Zeit des Tages weilte Runge vor dem Steine und des Nachts träumte er nur noch von dessen Inschrift; schweißgebadet fuhr er aus dem Schlafe und schrieb auf bereitgehaltenes Papier seine Gedanken nieder. Er glaubte endlich, den Schlüssel zu seinem Runenrätsel gefunden zu haben, und dicht beschriebene Seiten reihten sich zu einem dicken Manuskript zusammen, das die vermeintliche Deutung der Runeninschrift, ins Deutsche übertragen, am Ende seiner Darlegung enthielt.

Er bot seine „wissenschaftliche Arbeit“ Verlegern in Hamburg, Hannover und Celle an. Er scheute nicht die zu jener Zeit kostspieligen Reisen nach den Städten, den teuren Aufenthalt in den Gasthäusern. Aber von allen wurde er zurückgewiesen, die Verleger erkannten in der Arbeit nur das verworrene Geschreibsel eines Irrsinnigen mit gelehrten Floskeln durchzogen – es war ein trauriger Wirrwarr.

Wohin das sonderbare Manuskript schließlich gekommen ist, weiß man nicht. Das Ende seines Verfassers war tief tragisch. Pastor Runge mußte schließlich in das ehemalige St. Michaeliskloster zu Hildesheim, das schon zu Ende des vorigen Jahrhunderts zur Aufnahme für Wahnsinnige diente, gebracht werden. Dort lebte er noch Jahre hindurch. In Hildesheim war der arme Kranke mit den früh ergrauten Locken und dem feinen, geistreichen Kindergesicht, aus dem die dunklen Augen so seltsam hervorschauten, allgemein bekannt. Man konnte den harmlosen Mann von der Straße aus im Garten vor einem großen Holzblock sitzen sehen. Er starrte den Block an und schrieb und schrieb immer [658] wieder mit einem Bleistift auf ein vollgekritzeltes Pergament. Er glaubte, in dem Holzblock den Runenstein vor sich zu haben.

Und weiter wird erzählt: Eines Tages war Pastor Runge aus dem Hildesheimer Irrenhause entwichen. Man suchte ihn vergebens, keine Spur war von ihm zu entdecken. Tage-, ja wochenlang setzte man die Nachforschungen fort, der unglückliche Irre war und blieb verschwunden.

Da wurde der neue Pfarrer zu Jesteburg an einem herrlichen Julimorgen durch die Kunde aufgeschreckt: draußen auf dem „Blutstein“ läge ein toter Mann, mit schneeweißem Haar. Und wirklich sah er, als er den Garten betrat, lang ausgestreckt über den Runenstein, die Leiche seines unglücklichen Amtsvorgängers, das abgeschossene Pistol noch krampfhaft in der Rechten haltend.

Die Todesart des bedauernswerten Mannes wurde verheimlicht. – In die Pfarrakten eingetragen findet sich nur die Nottz, daß der Pfarrer Johann Karl Gottlieb Runge am 5. Juli 1794 im Alter von 51 Jahren plötzlich verstorben sei.

Der „Jesteburger Runenstein“ hatte in ihm sein letztes Opfer gefunden. –

Schon früher war er von Menschenblut gefärbt worden, weshalb er ringsum von den Bewohnern der zerstreut liegenden Walddörfer der „Blutstein“ genannt wurde, unter welchem Namen er auch nach Jesteburg kam. Auch „Teufelsstein“ und „Hexenstein“ nannte ihn das Volk. Jedermann mied die Stelle, wo er lag.

Der „Blutstein“ sollte an einem bestimmten Tage im Monat August Blut schwitzen. „Teufelsstein“ wurde er geheißen, weil der Teufel mit seinen Knöcheln dem Steine die seltsamen Zeichen eingegraben haben sollte, und als „Hexenstein“ wurde er bezeichnet, weil eine junge Hexe, der Sage nach, mit ihrem Buhlen, dem Bösen selber, an dieser Stelle Zusammenkünfte gehabt hatte. Schweres Seufzen, wie von dem Stein ausgehend, vernahm man an dem Tage, an welchem die Hexe in Hamburg verbrannt worden war.

Wenngleich der „Runenstein zu Jesteburg“ in der alten Kriminalstatistik nur Bedeutung hat, weil er thatsächlich in einem Hexenprozeß des Jahres 1661 eine Rolle spielt, sind die Sagen über ihn doch gewiß interessant genug, um sie hier im Zusammenhang darzustellen.

Die älteste der drei Sagen erzählt, wie der Stein zu dem Namen „Teufelsstein“ kam. Seppensee ist ein auf dem Wege der Bahn von Harburg nach Celle gelegenes freundliches Dorf, das ehemals im Walde förmlich versteckt lag. Das mächtige Waldrevier stand unter Obhut des Jägers zu Lohbergen. Zwischen Seppensee und Lohbergen erhob sich abseits vom Wege eine Anhöhe, auf welcher sich ein von Moos und Kräutern umwachsener Stein befand. Dieser Stein war unser Runenstein, der aber zu jener Zeit von keinem Menschen als solcher erkannt ward.

Nun lebte damals in Seppensee ein Schneider, der zugleich Musikant war. Nebenbei betrieb unser Schneiderlein auch noch die Kunst, mit Spielkarten allerlei Hokuspokus zu machen, über die sein erstauntes Bauernauditorium sich jedesmal schier zu Tode lachen wollte. Zu verwundern war es da wohl nicht, daß unser Meister Zwirn mitunter die häuslichen Sorgen von sich warf und bei Spiel und Tanz, sowie bei den dann gewöhnlich folgenden Kartenkunststücklein einen Schluck über den Durst nahm und mit schwerem Kopf und schwachen Beinen mitten in der Nacht nach Hause wankte. –

In einer schönen Sommernacht kam der Schneider denn auch mal wieder von einer Kirchweih heim und wanderte, seine Fiedel über den Rücken gehängt, durch den Lohbergener Forst seinem Heimatsdorfe Seppensee zu.

Der Mond schien taghell. Der Weg war lang und einsam, mutterseelenallein schritt er den Waldpfad dahin, allmählich schwanden die Geister der genossenen Getränke aus seinem Gehirn und die Wehmut des beginnenden Katzenjammers überkam ihn. Er warf sich mitten im Walde nieder und rief: „Das Leben ist doch gar zu erbärmlich! Die Woche über muß ich nähen, daß mir die Augen blind und die Hände lahm werden, am Sonntag fiedle ich vom Nachmittag an bis in den helllichten Morgen hinein; dazu ein immer keifendes Weib, fünf nimmersatte junge Mäuler – wahrlich, das Leben möge der Teufel holen, wann er’s haben will!“

Plötzlich trat ein Mann in reicher Jägertracht hinter dem Hügel hervor und sagte: „Ist’s Euch so leid ums Leben? Irre ich nicht, so seid Ihr doch der lustige Schneider und Fiedler von Seppensee?“

„Der bin ich, Herr!“ entgegnete der Schneider, „aber hol’ mich der Teufel, es ist wahr, was ich sagte: es ist eine Schand’, wie wir armen Leute uns quälen müssen. Was hab’ ich von all meinem Arbeiten und Fiedeln? Nichts als das trockne Brot für mich und die Meinen.“

„Ihr sollt ja trefflich Karten spielen und Zauberstücklein mit Euren Karten machen können,“ sagte wieder der Fremde, „da geht auf Reisen! Eure Karten können Euch ein schön Stück Geld draußen im Lande, namentlich in den großen Städten, eintragen.“

„Und während dessen verhungern Weib und Kinder!“ meinte der Schneider.

„Mache Euch einen Vorschlag,“ erwiderte der Jäger und zog aus seiner Jagdtasche einen Beutel, den er von seiner Schnur befreite und aus dem nun blanke Goldstücke dem Schneider entgegenblinkten. „Hier, dieser Beutel voll Goldgulden ist Euer, wenn Ihr dreimal hintereinander im Kartenspiel mit mir gewinnt.“

Der Schneider blickte den Fremden groß an, betrachtete dann die rotglänzenden Goldstücke und fragte gedehnt: „Und wenn ich verspiele?“

„Dann seid Ihr der Meine, ich bin Euer Herr und Ihr folgt mir; aber das Gold hier könnt Ihr zuvor Eurer Familie geben.“

Der Schneider that einen Luftsprung, der Handel war gar zu verlockend.

„Nun, wollt Ihr?“ fragte der Jäger. „Könnt es getrost mit mir wagen.“

„GutI“ rief der Schneider, seiner Spiel- und Kartenkunst vertrauend. „Aber – soll’s gleich sein? Wir haben ja keinen Tisch?“

Der Jäger zeigte nach der Anhöhe hinauf.

„Dort oben liegt ein Heidenstein,“ bestimmte er, „an dem spielt sich’s vortrefflich.“

Die beiden erstiegen die Anhöhe und lagerten sich zu Füßen des Steins. Der Schneider nahm seine Karten, die er allzeit bei sich trug, ließ den Fremden mischen und das Spiel begann.

„Ein wenig rasch, seid so gut!“ befahl der Fremde, „möchte vor dem ersten Hahnenschrei zu Hause sein, der Mond wird bleicher, und es beginnt schon zu dämmern.“

Stich um Stich wurde nun gethan; mit dem Beginn des Spiels hatte der Schneider seine ganze Denkkraft wieder gewonnen, um so mehr, als ein wahrer Goldschatz für ihn zu gewinnen war. Das erste Spiel war zu Ende, der Schneider hatte gewonnen.

„Verflucht!“ rief der Fremde und seine Stimme klang krächzend wie die einer Nachteule.

Sie spielten weiter. Stich um Stich siegte wieder der Schneider, während dessen Gegner bei jeder neuen Karte mit seinen Handknöcheln auf die Steinfläche schlug, daß ein harter, schriller Laut ertönte. Zugleich gewahrte der Schneider, daß mit jedem Schlag, den sein Mitspieler auf den Stein that, dieser tiefer in den Erdboden sank. – Auch das zweite Spiel war zu Gunsten des Schneiders entschieden.

Der Mond schien mehr und mehr zu erbleichen, sein Licht wich der Morgendämmerung, die den Osten zu erhellen begann. Der Jäger that einen neuen gotteslästerlichen Fluch und streckte, wohl um bequemer zu lagern, seine Beine lang aus.

Da erschrak der ungläubige Schneider bis ins Herz hinein. War ihm schon das Schlagen des Fremden mit seinen Handknöcheln auf den harten Stein, das Einsinken des Steines gar unheimlich erschienen, jetzt erblickte er mit Grausen, daß des Jägers linker Fuß einem Klump- oder Pferdefuß glich. Mit einem Male war es ihm klar: er hatte den Teufel gerufen, und dieser war gekommen!

Jetzt galt es Fassung, sollte nicht alles verloren sein. – Ein Spiel war noch übrig! Wer konnte wissen, welche Teufelskniffe der Satan anwenden würde, dies zu gewinnen. Aber der Schneider von Seppensee verlor nicht die Courage.

„Seid nicht unwirsch, Herr!“ rief er, „will Euch zur Kurzweil erst mal ein Kunststücklein zeigen, dann werdet Ihr freundlich gestimmt und wir spielen weiter.“

Und im selben Augenblick hielt er dem Jäger die Karten hin und sagte: „Zieht eine Karte und behaltet sie in der Hand.“

Der Jäger that, wie der Schneider wollte. Dann forderte dieser ihn auf, die Karte, welche er in der Hand hielt, in seinen Hut zu legen und diesen wieder auf den Kopf zu setzen. – Auch dies that der Jäger. Der Schneider mischte nun wieder die Karten, nahm die oberste davon und reichte sie dem Fremden [659] mit den Worten: „Da habt Ihr Eure Karte – nun gebt mir die aus dem Hut.“

Die Karte, welche der Jäger selber in seinen Hut gelegt hatte, war verschwunden.

„Beim Beelzebub! Kerl, wie habt Ihr das gemacht?“ lachte der Jäger.

Der Schneider ergriff die Karten, warf sie dem Fremden ins Gesicht und rief dann: „Jetzt, Herr, nehmt mal wieder vorsichtig Euren Hut ab und seht, was darin ist.“

Der Fremde nahm seinen Hut wieder ab – und dieselbe Karte war in seinen Händen.

„Holla, Schneider, Ihr seid ein Spitzbube,“ rief der Jäger und seine dunkelglühenden Augen richteten sich nach Osten, „nun vorwärts, rasch das dritte Spiel!“

„Ja, ja,“ antwortete der Schneider, „sucht nur die Karten erst mit zusammen, dann spielen wir weiter.“

Der Fremde raffte hastig die Karten auf, unser Schneider beeilte sich nicht zu sehr, eine geheime Furcht schien ihn zu verwirren. Endlich war das Spiel beisammen. Der Fremde, der diesmal mischen mußte, zählte, es fehlten noch zwei Karten.

„Verdammter Spitzbube,“ donnerte er dem Schneider zu, „wo habt Ihr die Karten? Die Zeit verrinnt, es wird Morgen!“

„Bei Euch, Herr, müssen sie niedergefallen sein und noch liegen,“ entgegnete dieser, und nach geraumem Nachsuchen fand der Jäger wirklich die zwei noch fehlenden Karten.

Das dritte Spiel begann. – Der Beutel mit den funkelnden Goldstücken lag neben dem Stein. – Der Jäger schien sich bei jedem Stich zu besinnen, er blickte mit seinen glühenden Augen den Schneider an, als ob er ihn durchbohren wollte, aber dieser sann ebenfalls bedächtig nach, und nur langsam folgte Stich auf Stich.

Da plötzlich, mitten im Spiel, flammte es blutrot auf über dem Wald, die Dämmerung war verschwunden – und drüben überm Walde krähte laut ein Hahn. Die Sonne stieg rotglühend im Osten empor. Der Schneider hatte plötzlich das Gefühl, als sei er vom Blitze getroffen – taub, blind, gelähmt. Erst allmählich kam er wieder zu sich. Als er die Gegenstände vor und um sich wieder zu unterscheiden vermochte, war der Fremde verschwunden. Zu seinen Füßen aber fand der Schneider den Beutel mit all den Goldgulden. Jetzt begriff er! Beim ersten Hahnenschrei hatte der Teufel nach „Teufels- und Hexengesetz“ entweichen müssen; er konnte ihm jetzt nichts mehr anhaben. Aber ein „grundehrlicher Teufel“ war es doch gewesen, denn er hatte sich als Ueberwundener gefühlt und, was man einem Teufel nimmermehr hätte zutrauen sollen, dem armen Schneider redlich den versprochenen Gewinn gelassen.

Der Schneider von Seppensee aber verließ nach dieser Begegnung sein Heimatsdorf und siedelte nach Bremen über, weil er sich da vor einer zweiten Begegnung mit dem Teufel gesicherter hielt. Er ist alldort ehrsamer Meister und Bürger geworden und soll bis zu seinem hoffentlich seligen Ende ein großes Schneidergeschäft betrieben haben, das er dann seinen Kindern vererbte.

Der Stein, an welchem Teufel und Schneider gespielt hatten, war also in jener Nacht bis auf einen Fuß hoch in die Erde gesunken und die ganze obere Fläche zeigte wunderliche Vertiefungen, welche beim Ausspielen der Karten die Handknöchel des Teufels eingedrückt haben sollten. Wir kennen sie als Runenzeichen. –

Von tragischem Charakter sind die Vorgänge, durch welche der Runenstein von Jesteburg zu dem Namen „Hexenstein“ kam. Ihr Schauplatz ist hauptsächlich Hamburg.

Nach 1550 wurde in Hamburg die Folter eingeführt, und von da an mehrten sich die Hexenprozesse, welche früher nur vereinzelt vorgekommen waren. Man kann nicht ohne Entsetzen lesen, wie viel arme, unschuldige Menschen damals dort, wie anderwärts, dem Hexenwahn zum Opfer fielen.

Sein letztes Opfer in Hamburg war ein blutjunges, unschuldiges Mädchen, das bei dem Bürgermeister Berthold Möller dort im Jahre 1661 im Dienste stand.

Das junge, hübsche Ding hieß Grete Feindt und war die Enkelin des Waldwächters zu Lohbergen.

Janssens handschriftliche Aufzeichnungen erzählen uns, daß die Frau Bürgermeisterin mit dem Mädchen in der ersten Zeit gar wohl zufrieden gewesen ist, doch sei die Grete oft kopfhängerisch gewesen und habe immer nach ihrer Heimat zurückverlangt. Der Großvater wäre aber mit der Heimkehr seiner Enkelin nicht einverstanden gewesen und habe deren Bleiben im Hause ihres Herrn befohlen.

Das junge Mädchen sei dann immer seltsamlicher geworden, habe sich oft in seinem Schlafkämmerlein eingeschlossen, und während der Nacht habe man es gar mitunter bei ihr rumoren gehört, und es sei gewesen, als ob sie mit jemand spräche, bis es plötzlich totenstill geworden wäre.

Da trug sich eine gar rätselhafte Begebenheit zu, welche von den schrecklichsten Folgen begleitet war.

Der bereits über fünfzig Jahre alte Gerichtsdiener Peter Lukas Meineke, welcher bei dem Bürgermeister ein- und ausging, hielt um die schöne Grete Feindt an, erbot sich auch, dieselbe in aller Kürze zu ehelichen. Der Bürgermeister muß in dem Antrage des bejahrten Mannes, der doch eigentlich nicht zu dem sauberen, jungen Mädchen paßte, nichts Ungeeignetes erblickt haben und berichtete darüber an deren Großvater, den alten Forstwächter zu Lohbergen, ließ aber zugleich der Grete durch seine Frau von dem Heiratsantrag Mitteilung machen.

Während von dem Forstwächter ein höchst devotes Schreiben einlief, in welchem der alte Mann für die hohe Ehre dankte und seine Einwilligung ohne weiteres gab, ging mit dem jungen Mädchen eine große Veränderung vor. Grete saß fortan, anstatt zu arbeiten, vor sich hinbrütend am Spinnrocken und Nähtische und weigerte sich heftig, dem Gerichtsdieuer die Hand zum Ehebunde zu reichen, ja, als dieser eines Tags zu ihr ins Zimmer trat und ihr persönlich seinen Antrag machte, floh sie auf die Galerie und sank dort wie leblos zusammen.

Man mußte sie ins Bett tragen; sie geriet in Phantasien, und in diesem Zustande rief sie nach einem „Gerhard“, der sein Pferd satteln und kommen sollte, sie zu holen und zu retten.

Als sie nach einigen Tagen wieder zu sich kam, wußte sie von all dem, was sie phantasiert hatte, nichts mehr, blieb von nun an aber wie in einer Lethargie befangen und starrte mit den großen, blauen Augen gedankenlos vor sich hin.

Mit dem alten verliebten Gerichtsdiener Meineke ging’s aber noch ärger. Der grauköpfige Narr gebärdete sich wie ein Toller. Er erzählte aller Welt, die Grete habe es ihm angethan, sie müsse ihn behext haben, er könne nicht ohne sie leben und er würde sich töten, wenn er das Mädchen nicht zur Frau bekäme.

Da nun aber Grete in ihrem Starrsinn beharrte und durchaus nichts von der Liebe des alten Thoren hören wollte, erhängte sich dieser wirklich und noch dazu in dem bürgermeisterlichen Hause im zweiten Stocke auf der umlaufenden Galerie, an der oberen Angel der Kammerthür, hinter welcher das junge Mädchen schlief, das er mit seiner wahnsinnigen Liebe verfolgt hatte.

Der Fall machte erklärlicherweise ein ungeheures Aufsehen in der ehrsamen Hansestadt; es konnte hierbei unmöglich mit rechten Dingen zugegangen sein! Der Selbstmörder hatte all seinen Freunden, Verwandten und Bekannten unter Thränen und heiligen Beteuerungen versichert, das Mädchen müsse es ihm „angethan haben“, und eine geheime, unerklärliche Macht zwänge ihn, sich selber zu töten. Es war sonnenklar: man hatte es hier mit einer Hexe, mit dem Teufel als Urheber und Beihelfer, zu thun.

Viel geringere Ursachen vermochten dazumal eine Weibsperson in den Verdacht zu bringen, daß sie eine Hexe sei, und wo der Verdacht erst gegen eine solche Unglückliche Platz gegriffen hatte und erhoben war, da waren auch Anklage und Folter nicht mehr weit entfernt!

Grete Feindt wurde der Hexerei, des bösen Zaubers, ausgeführt an dem so schmählich zu Tode gekommenen Gerichtsdiener Peter Lukas Meineke, angeklagt und nach dem Berg in die Frohnerei gebracht. Der Hergang bei Hexenprozessen war immer derselbe: eine Folge der qualvollsten, unerträglichsten Martern, unter deren schrecklicher Wirkung auch der Unschuldigste endlich alles gestand, was seine grausamen Peiniger haben wollten.

So auch hier. Das schöne, bejammernswerte Mädchen bekannte unter den Folterqualen, daß es mit dem Teufel in Verbindung stehe, den es in dem Hause des Großvaters im Walde zu Lohbergen kennengelernt hatte, er habe sich Junker Gerhard von Rehden genannt und sie zu nächtlichen Zusammenkünften am „Teufelsstein“ überredet.

Grete Feindt gestand ferner, der Teufel sei ihr stets in Gestalt eines hannoverschen Reiteroffiziers erschienen und habe sie [660] auch im Hause des Bürgermeisters nächtlicherweile besucht. Auch habe er ihr gezeigt, wie sie es zu machen habe, wenn sie zur Kurzweil Männer in sich verliebt machen wolle. Dies Mittel, das im Sprechen eines „Hexenspruches“ bestanden, habe sie auch bei dem Herrn Gerichtsdiener angewandt.

Nachdem man dies wahnsinnige Bekenntnis dem unschuldigen Mädchen abgefoltert hatte, wurde das Urteil gesprochen, das wie gewöhnlich lautete: die Hexe sei, in ein härenes Bußgewand gekleidet, zu verbrennen.

Und so geschah es: am 31. Juli 1661 wurde die achtzehnjährige Grete Feindt aus Lohbergen vor dem Steinthor zu Hamburg als Hexe verbrannt. – Sie war dort das letzte Opfer des Hexenprozeßwahns.

Die „handschriftlichen Aufzeichnungen“ bleiben uns eine Aufklärung über die schauerliche Affaire nicht schuldig. Sie sind so einfach, wie natürlich.

Die schöne Grete hatte in ihres Großvaters Waldhause die Bekanntschaft eines jungen hannoverschen Reiteroffiziers gemacht, der in der Stadt Celle eine zeitlang einquartiert gewesen und den Namen Gerhard von Rehden trug oder solchen angegeben hatte. Ob der junge Offizier es ehrlich mit dem schönen, unschuldigen Waldkinde gemeint hat, davon wird nichts weiter berichtet.

Das unerfahrene Mädchen mochte mit ihm wohl hinter dem Rücken des alten Forstwächters auch nächtlicherweile am „Teufelsstein“ zusammengetroffen sein; die Liebe kennt ja keine Furcht, und ein Jägerkind erst recht nicht. Der Großvater mochte dann hinter die Liebschaft gekommen sein, und da der alte Mann wohl mit Recht ein böses Ende fürchtete, entfernte er seine Enkelin und brachte sie in Hamburg im Hause des Bürgermeisters Berthold Moller unter.

Geraume Zeit nach der Verbrennung der schönen unglücklichen Grete wurde es dann auch in der Gegend von Seppensee und Lohbergen kund, daß die Enkelin des Waldwächters Feindt eine Hexe gewesen und zu Hamburg verbrannt worden wäre. Auch daß der Teufel mit ihr in Gestalt eines jungen Reiteroffiziers Umgang gepflogen, blieb nicht geheim, und der Runenstein erhielt neben dem Namen „Teufelsstein“ nun den „der Hexenstein“. –

Seinen dritten Namen, „Blutstein“, trägt er von einer grausen Begebenheit, die sich dort im Waldesdickicht einst abspielte.

Im Dorfe Seppensee liebte des Vogts einzige Tochter, die blonde, blauäugige Lene, den jungen, hübschen Jäger im Forsthause der Herrschaft Lohbergen, und jedermann glaubte, daß, wenn der alte Förster, ein hoher Siebziger, die Augen schlösse, dann der junge Jäger Marten zum Förster ernannt und die beiden Liebenden ein glückliches Ehepaar werden würden.

Endlich starb der alte Förster, von Lüneburg her aber wurde ein neuer Förster für Lohbergen ernannt: ein heruntergekommener Mensch, der jedoch von Adel war, hohe Fürsprache besaß, auch als vortrefflicher Schütze galt und für alles, was er nicht wußte, an Marten einen ausgezeichnet tüchtigen Gehilfen hatte.

Der Förster sah bald die blonde Lene, verliebte sich in sie und gewann die Gunst ihres Vaters, der gerne mit seinem schönen Kinde hoch hinaus wollte. Als er um Lenes Hand anhielt, da gab der Alte seine Einwilligung, und aller Bitten und allen Jammerns ungeachtet, mußte die Tochter des neuen Försters Weib werden.

Das würde nimmer gut thun, sagten da die Leute, das könne nur Unglück bringen. Und sie behielten recht. Die Ehe wurde höchst unglücklich; schon nach kurzer Zeit mißhandelte der rohe Mensch sein Weib, sobald er angetrunken war, und wenn die arme Frau den Marten nicht zur Seite gehabt hätte, so wäre sie schier verzweifelt und würde sich selber ein Leids angethan haben.

Der Jäger Marten war ein rechtschaffener, ehrlich denkender Mensch. Anfangs hatte er davongehen und in die weite Welt hinauswandern wollen, aber die Lene hatte ihn beschworen, zu bleiben, und er blieb, um sie zu beschützen.

So war das frühere Liebespaar miteinander unter einem Dache. Das Forsthaus lag einsam, tief im Wald versteckt. Durch den Wald führte der Hauptweg, welcher die Ortschaften miteinander verband; Forsthaus und Wald waren verschwiegen und verrieten nichts von den Vorgängen, deren Zeugen sie vielleicht waren. Aber Menschenaugen spähen und werden zu Verrätern, und so hatte denn auch der Hundejunge, den der neue Förster sich von Lüneburg her mitgebracht hatte, gemerkt, daß die Frau Försterin mit dem Marten tief im Walddickicht, abseits von der Fahrstraße, nahe bei dem „Hexenstein“ Zusammenkünfte hielt. Und was der listige Junge erlauscht hatte, das berichtete er getreulich seinem Herrn.

Tags darauf gab der Förster vor, nach Lüneburg reiten zu müssen. Als er aber eine kurze Strecke geritten war, trat der von ihm dorthin bestellte Hundejunge aus dem Walddickicht hervor, diesem übergab der Förster sein Pferd und ging dann selber auf einem Umweg nach dem „Hexenstein“. Bewaffnet mit einer Jagdflinte, erstieg er vom Waldweg aus den Hügel und kauerte sich hier, wohlversteckt, im Gebüsch nieder. Er vermochte von hier aus in den Wald nach dem Platze zu lugen, wo sein ungetreues Weib ihr Stelldichein abhalten sollte.

Er brauchte nicht lange zu warten, da tauchte das Paar, Arm in Arm gehend, wie zwei Liebende, aus dem Walddunkel hervor und setzte sich an einer lichteren Stelle auf eine von der Natur gebildete Rasenbank nieder. Die Gesichter des Paares waren dem Spähenden zugekehrt. Der Förster sah, wie der Jäger dem ungetreuen Weibe über das blonde Wellenhaar strich, wie sie ihn mit ihren schönen blauen Augen, die gar seltsam glänzten, liebend und schmachtend anblickte. Und der Förster erhob das todbringende Rohr, er legte den Lauf auf den „Hexenstein“ – der Hahn des Gewehrs knackte.

Im selben Augenblick war des Jägers scharfes Auge – war’s Zufall, war’s Geschick? – auf den „Hexenstein“ gerichtet. Er erkannte den Kopf des Försters, erkannte zugleich die Gefahr – sah die kleine Mündung des auf ihn gerichteten Gewehres. Ein Moment, und auch seine Flinte war, indem er aufsprang, in Anschlag gebracht. Zwei Schüsse krachten zur gleichen Sekunde durch die Stille des herrlichen Sommermorgens.

Der Jäger Marten griff nach seiner Brust und fiel vornüber zur Erde nieder – der Förster sank mit dem Haupte auf den „Hexenstein“, und ein Blutstrahl, der aus der zerschmetterten Stirn des Mannes floß, färbte die Platte des Steins purpurrot. Das Fürchterliche war geschehen. Die Männer hatten sich gegenseitig gut getroffen, zwei blutige Leichen lagen da.

Die Erschossenen wurden noch am selben Tage gefunden; die Försterin, des Vogts von Seppensee schöne Tochter, war verschwunden. Erst zwei Wochen später entdeckte man am Ufer des damals noch vorhandenen Waldweihers im Schilfe den Leichnam einer Ertrunkenen; es war die unglückliche junge Frau des Försters.

Diese düstere Schauergeschichte am Hexenstein mag sich in der Mitte des vorigen Jahrhunderts ereignet haben.

Scheu und ängstlich schlichen die Menschen an dem Hügel, auf welchem der Stein, von Moos und Schlingkraut fast verdeckt, lag, vorüber, ein stilles Gebet sprechend.