Tran Nummer 11

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Textdaten
Autor: Kurt Schwitters
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Titel: Tran Nummer 11
Untertitel: Deutsche Volkskritik, die Kritik des Wiederaufbaus
aus: Der Sturm, 11. Jahr, Nr. 5 (August 1920): S. 70–71.
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Erscheinungsdatum: 1920
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Quelle: bluemountain.princeton.edu
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[70] Tran Nummer 11

Deutsche Volkskritik, die Kritik des Wiederaufbaus

Herr Max Streese, offenbar Mitglied der deutschen Volkskritikerpartei, der Partei des künstlerischen Wiederaufbaus, geht seinen Weg zielbewusst rückwärts. Er kommt dabei zu einer erfreulich reaktionären Kritik in den Leipziger Neuesten Nachrichten vom 5. 6. 20, die der Hannoversche Anzeiger und andere ähnliche Zeitungen abdruckten, und erkennt in dem Zurückbleiben der deutschen Kunstentwicklung „unverkennbar“ einen Schritt auf dem Wege des Wiederaufbaus.

Solch eine Wiederaufbaukritik kommt nun so zustande: Herr Max Streese geht in die Ausstellung auf der Mathildenhöhe. Er will doch mal sehen, was denn dieser verdammte Expressionismus wieder einmal „zertrümmert“ hat, und ob sich nicht langsam „etwas herauskristallisiert“, das „auch dem Laien das notwendige gewaltsame Zertrümmern begreiflich erscheinen lässt.“ Herr Streese, ich fürchte, Sie werden den Expressionismus so leichte nich begreifen. „Der erste Eindruck ist naturgemäss ein sinnverwirrender.“ (Da stehst halt machtlos visavis.) Kunst ist doch etwas, das mich erheben soll, besonders jetzt aus die Misäre! „Demnach lässt sich bei eingehendem Beschauen nicht leugnen, dass die Zeit der Gärung vorübergeht.“ Also: Herrn Max Streeses Sinne sind verrwirrt. Gleichsam Hallucinationen. Reden etwa die Bilder? „Raufediewaub.“ Herr Streese fasst sich an den Kopf. Es ist ihm, als ob die Bilder fortwährend das Wort „Raufediewaub“ riefen. Was ist das für ein entsetzliches Wort? Das ist wahrscheinlich Gärung. So ähnlich wie Revolution. Sogar die Waub rauft. Herrn Streese sprühen Funken vor den Ohren. Soll das etwa „Weib“ heissen? Da werden Waube zu Hyänen? Richtig, die Künstler sind mit dem Worte „Waub“ gemeint. Es ist ja bekannt, alle Künstler haben einen weiblichen Einschlag. Und treiben mit Entsetzen Spott, diese entsetzlichen Spötter! Herr Streese besinnt sich. Vielleicht kommt man mit Ruhe und Überlegung doch hinter den Sinn dieses Expressionismus. Und nun beschaut er die Gärung eingehend. Raufediewaub, das ist ja Wiederaufbau, weiter nichts als Wiederaufbau. Man muss es nur richtig betrachten, die Zurückgebliebenen betrachten. Darum hätte man sich doch nicht aufzuregen brauchen. Und nun erkennt Herr Streese, „dass die expressionistische Bewegung in absehbarer Zeit wieder in sehr gesunde Bahnen überläuft.“ Offenbar ist die expressionistische Bewegung ein Topf. Die vielen Mitläufer, die Herr Max Streese bereits „auszuschalten“ beginnt, offenbar hängen diese Mitläufer an einer elektrischen Leitung, diese Mitläufer haben ihn vollgemacht, den Topf nämlich, und nun läuft er über, und zwar grade in die sehr gesunden Bahnen des Wiederaufbaus, die neben dem Topf vorbeifahren. Hier scheint es sich um elektrische Materialförderbahnen zu handeln, die ähnlich wie die Mitläufer ausgeschaltet werden können (confer Brockhaus). Es scheint sehr wichtig zu sein, dass der Expressionismus in diese Bahnen überläuft. Expressionismus scheint etwa eine Schmierflüssigkeit zu sein, offenbar müssen die sehr gesunden Bahnen des Wiederaufbaus mal geschmiert werden. Und dann erklärt Herr Max Streese, was denn eigentlich dieser Wiederaufbau ist, „dass sich aus der uns ureigentlich wesensfremden Kunst des Expressionismus (Herr Streese, Ihnen[WS 1] ist die Kunst des Expressionismus tatsächlich ureigentlich wesensfremd) ein typischer deutscher Charakter herausgebildet hat.“ Heil dir im Siegerkranz, Mottenlöcher hin, Mottenlöcher her, armes Deutschland! „Es fehlen selbstverständlich auch die Extremen in der Ausstellung nicht, aber Bilder wie „Sturmgruppe“ können zweifellos als Experiment bezeichnet werden.“ Und das behauptet ein sinnverwirrter Wiederaufbaukritiker, der selbst zugibt, dass ihm der Expressionismus ureigentlich wesensfremd ist. Und nun gar die Arbeiterbilder von Kurt Schwitters und anderen. „Schwitters malt nicht mehr, sondern sucht Auslese aus den Kehrichthaufen … Über diese Anfänge sind wir Gott sei Dank hinaus.“ Und das behauptet ein sinnverwirrter Wiederaufbaukritiker, dem der Expressionismus ureigentlich wesensfremd ist. Ich danke dir Gott, dass ich nicht so bin, wie diese Sünder und Zöllner, Ehebrecher, Sturmkünstler, Expressionisten und Merzmaler. (Achtung Helltoren! Salz- und Rostfrei, hellgelb). [71] Aber ich will es ihnen schonst zeigen! Wenn ich auch nicht weiss, um was es sich handelt bei diesem verfluchten Expressionismus, so behaupte ich einfach, diese ganze Entwicklung hätte ich längst hinter mir. „Im Geiste des Neinsagens“ nenne ich das dann Wiederaufbau. Darauf behaupte ich dann, „die grosse Mehrzahl der Künstler ginge ihren Weg zielbewusst vorwärts“, und liefe in sehr gesunde Bahnen über (die Zurückgebliebenen nämlich). Herr Max Streese, hier kann ich Sie nicht widerlegen; die kleine Einzahl heisst „Waub“, die grosse Mehrzahl „Wiederaufbau“. Als Beweis dafür, dass die grosse Mehrzahl in sehr gesunde Bahnen überläuft, führt Herr Max Streese dann die „Einzelerscheinung“ Picasso an, der „heute fast realistisch malt“. Herr Max Streese, bilden Sie sich etwa ein, Picassos künstlerische Beweggründe begreifen zu können, da Sie seinen Kubismus noch nicht begriffen haben? Wenn ich zum Beispiel jetzt plötzlich ein naturalistisches Porträt malte, etwa hier dieses Porträt Ihrer kritischen Persönlichkeit, dann behaupten Sie womöglich nächstens, ich würde meiner Merzmalerei untreu und gehörte der Partei des Wiederaufbaus an. Sehr freundlich, aber danke bestens. Ihr Wiederaufbau ist ein windschiefes und morsches altes Haus, das Sie von allen Seiten stützen müssen, damit es der Sturm nicht umweht. Aber schadet nichts, nur ruhig umpusten lassen, Sind ja Wiederaufbaupartei.[1]

Kurt Schwitters

  1. Es handelt sich um die Besprechung der Ausstellung Deutscher Expressionismus Darmstadt 1920.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: lhnen