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Uebertünchte Ruinen

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Uebertünchte Ruinen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 632–635
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Reiseeindrücke aus Athen um 1860
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Uebertünchte Ruinen.
Aus der neuesten Aera lm Lande Homer’s.

Die Besichtigung der zahlreichen Ruinen der griechischen Hauptstadt war beendet, – die üblichen Ausflüge in Athen’s Umgegend sollten unsern dortigen Aufenthalt beschließen. Wir gingen daher zu Herrn Theophilus, einem neben unserm Hôtel wohnenden Fuhrherrn, und sagten ihm, wir wünschten zu morgen früh um neun Uhr einen zweispännigen Wagen nach Eleusis.

„Wie steht es denn mit der Bedeckung?“ fragte der Fuhrherr, der durch langjährigen Umgang mit den in Athen lebenden Deutschen unsere Sprache ziemlich geläufig sprach.

„Sie können einen halben Wagen schicken,“ gaben wir zur Antwort, „dessen Verdeck sich aufschlagen läßt, wenn es zu warm wird.“

„Ganz wohl,“ bemerkte der Fuhrherr lächelnd; „von einem Verdeck ist aber nicht die Rede. Ich meine die Militär-Bedeckung.“

Wir sahen ihn verwundert an.

„Sie scheinen nicht zu wissen,“ fuhr Herr Theophilus fort, „daß man seit dem Thronwechsel nicht die Nase aus den Thoren von Athen stecken kann, ohne von Räubern angefallen zu werden, und daß zu einer Fahrt nach Eleusis, sowie nach jedem andern Orte, nicht einmal den Piräus ausgenommen, eine militärische Escorte erforderlich ist, deren Bezahlung dem Reisenden den Beutel nicht weniger leicht macht, als ein räuberischer Anfall.“

Jetzt lachten wir. Der Aermste hatte wahrscheinlich unter der Regierung des Königs Otto die Kundschaft der Hof-Cavaliere besessen und durch den Thronwechsel Einbuße erlitten.

„Wir sehen wohl,“ bemerkten wir daher spöttisch, „für morgen sind bei Ihnen keine Pferde mehr disponibel.“

„Sie glauben mir nicht?“ rief er mit zornblitzenden Augen.

„Sehen Sie sich um! Und wenn Sie morgen ohne Bedeckung nach Eleusis fahren, so werden Sie den Cameraden jener fünf Galgenvögel dort einen großen Gefallen thun.“

Unsere Blicke folgten seiner Hand, die auf die Straße deuteten. Was sahen wir? Fünf wüste Männergestalten, umringt von reitenden Gensdarmen, die theils den blanken Säbel, theils den Karabiner mit gespanntem Hahn in der Hand trugen und ihren Fang einem sichern Gewahrsam zuführten. An Neugierigen, die bei dergleichen Anlässen schreiend nebenher laufen, fehlte es hier gänzlich; das Publicum schien in Bezug auf Räubertransporte bereits blasirt zu sein. Einige von den Räubern waren ohne Kopfbedeckung, die sie wohl bei der Verfolgung verloren hatten. Alle gingen barfuß, trugen die bei den griechischen Landleuten übliche „Flockusta“, einen kurzen zottigen Mantel aus grober Schafwolle, dessen glatte Seite im Sommer, und dessen zottige im Winter nach innen gekehrt wird; Alle blickten scheu und trotzig umher wie Eulen, die bei Tage aus ihrem Schlupfwinkel vertrieben und von Sperlingen umschrieen sind.

„Ja, ja!“ triumphirte der Fuhrherr, als er unsere betretenen Mienen sah. „Das ist in dieser Woche der dritte Fang, den die Gensdarmen in der Umgegend gemacht haben, und dennoch ist vorgestern Abend auf dem Wege von hier nach dem Piräus die Post angefallen und des Geldes, das sie mit sich führte, beraubt worden. Die Passagiere aber, drei Matrosen, die keinen Heller in der Tasche hatten, sind mit einer Tracht Prügel davongekommen, deren Verdoppelung die Räuber in Aussicht gestellt, wenn die Seeleute sich abermals auf der Landstraße ohne Geld betreten ließen. Damit Sie aber sehen,“ schloß der Fuhrherr, „daß über meine Pferde noch nicht disponirt ist, soll der Wagen morgen früh um neun Uhr vor Ihrer Thür sein.“

„Wir danken für Ihre Güte,“ riefen wir eifrig, „unter den obwaltenden Umständen leisten wir auf Eleusis Verzicht.“

„Das glaub’ ich, ohne daß Sie darauf schwören,“ höhnte Theophilus. „Von Eleusis rede ich nicht mehr. Der Wagen soll Sie nach dem Champ de Mars, dem Exercirplatz, eine Viertelstunde von der Stadt, führen, wo Sie morgen ganz Athen versammelt finden.“

„Was giebt es dort zu schauen?“

„Allerlei! Den jungen König, unsere ganze Armee, alle Schönen der Stadt in ausgesuchter Toilette.“

„Und die Veranlassung?“

„Sie wissen, daß England uns die ionischen Inseln abgetreten hat. Um nun diese neue Eroberung besetzen zu können, – denn was man besitzen will, muß man bekanntlich besetzen, – ist ein neues Regiment Gensdarmen errichtet worden, denen der König morgen vor ihrem Aufbruche nach den Inseln die Fahne übergiebt. Bei dieser Gelegenheit ist für die übrigen Truppen große Parade und Vorbeimarsch.“

Wir gingen auf den Vorschlag des Fuhrherrn mit Vergnügen ein; denn wo die Bewohner des Landes zusammenströmen – sei die Veranlassung, welche sie wolle – darf der Fremde nicht fehlen. Am nächsten Morgen war es sehr lebendig auf dem Schloßplatze, an welchem wir wohnten. Truppen mit klingendem Spiele kreuzten ihn, Equipagen mit Damen in glänzender Toilette rollten darüber hin, zahlreiche Bewohner der Stadt und Umgegend bildeten Gruppen auf demselben, die in jedem Augenblick wechselten. Wir warteten auf unsern Wagen, – er kam nicht. Voller Ungeduld und um auch nicht die geringste Minute zu verlieren, gingen wir hinunter vor die Thür unseres Hôtels und vertrieben uns die Zeit damit, die graziösen Pfefferbäume vor demselben zu betrachten und den feinen, hellgrünen Blättern durch Zerreiben den auffallend starken Gewürzgeruch zu entlocken. Da der Wagen nicht erschien, klagten wir unsere Noth unserm Wirthe, der seine Mußestunden, d. h. seine ganze Zeit mit Ausnahme der Schlaf- und Eßstunden, im Schatten der erwähnten Pfefferbäume zuzubringen pflegt.

„Theophilus ist ein Mann von Wort,“ entgegnete er. „Aber man kann nicht wissen, was man ihm heut für Ihren Wagen geboten hat. Sie mögen getrost den meinigen nehmen. Anastasius!“ rief er dann, und als Anastasius, der Kellner, erschien, befahl er: „Anspannen für den Effendi!“

Der Wirth hatte die Kunst, Fremden die Heimath zu ersetzen, in Constantinopel studirt und nannte, um dies zu zeigen, einen Jeden Effendi. Bald erschien der auffallend anständige, einer Privat-Equipage ähnliche Wagen unseres Hôtels, und wir fuhren zur Stadt hinaus.

Wohl in keinem Orte der Welt kommt man so schnell zur Stadt hinaus, als in Athen; denn von dieser Capitale ist bis jetzt so wenig vorhanden, daß man sich fast an jedem Punkt innerhalb zugleich außerhalb derselben befindet. Mit Ausnahme der Aeolus-Straße, die zum „Thurm der Winde“ und zur Akropolis führt, und der Hermes-Straße, welche die vorige senkrecht durchschneidet, findet man fast noch nichts, was man in älteren Städten eine Straße zu nennen pflegt. Athen existirt für jetzt nur in seinem Grundrisse, die Straßen sind ausgesteckt und getauft, aber die Häuser fehlen noch. Dagegen wird an vielen Stellen rüstig gebaut, und das bereits Vollendete wird sauber gehalten. Fertig sind bis jetzt an öffentlichen Gebäuden hauptsächlich das kasernenartige Schloß, welches das neue Athen ebenso beherrscht, wie das alte von der Akropolis dominirt wurde; die Kathedrale, äußerlich sehr frappant im byzantinischen Styl, innen bunt, prächtig und phantastisch; endlich mehrere palastartige Gasthöfe, in denen die schöne Kunst blüht, Rechnungen zu schreiben, und zwar solche, die sich bisher ein Versehen zu Gunsten des Fremden nicht haben zu Schulden kommen lassen.

Wenn sich der Reisende nicht schon durch die herrlichen, an den Meißel des Phidias erinnernden Menschengestalten, die krystallreine Luft und die Schönheit der scharf in sie hineingezeichneten Umrisse der die Stadt umgebenden Höhen des Hymettus und des Lykabettus belohnt genug fühlt, so wäre es wohl der dem Publicum geöffnete Schloßgarten, eine Schöpfung der Königin Amalie, was ihn für so manche Täuschung in und über Athen entschädigen könnte. Die unvergleichlichen und hochphantastischen Gartenanlagen vor dem neuen Orangeriehause in Potsdam; die aus der Mode gekommenen Spielereien zu Wörlitz, Schwetzingen und Hellbrunn bei Salzburg; die unter der Scheere gehaltenen Heckenwände von Versailles und Schönbrunn, die Hesperiden- und Blumengärten der Villa Butera und ihrer Nachbarin, der Villa Serra di Falco in der goldenen Muschel bei Palermo, – diese alle sind uns bekannt und wir wissen ihre Reize zu würdigen; aber über den Garten hinter dem Schlosse von Athen geht doch nichts!

Mag das wüste, dürre Ansehen, welches die griechischen Inseln, [633] mit Ausnahme von Chios, die griechischen Küsten, der Weg vom Piräus nach Athen und die Umgebungen dieser Stadt selbst haben, freilich viel dazu beitragen, den Reiz des Schloßgartens zu erhöhen, dennoch bleibt er an und für sich eine Schöpfung, die dem Geiste und dem Geschmack der vorigen Königin die höchste Ehre macht. Der Garten ist wie die Offenbarung eines reichen, schönen Frauengemüths, welches sich einzig und allein dem geliebten Freunde erschließt. Je mehr man in ihm herumwandelt, desto mehr Reize entdeckt man, desto mehr fühlt man sich beglückt. Der Fremde hat in einem Lande, dessen Sprache er nicht versteht, das Gefühl der Isolirtheit; fangen aber die Nachtigallen im Schloßgarten an zu schlagen, dann glaubt er sich in seine Heimath versetzt, denn sie reden eine ihm und aller Welt verständliche Sprache. Was ihn aber stets in den Süden zurückführt, das sind die vielen großen Palmen, welche die Königin, so kühn im Versetzen großer Bäume wie der geistreiche Fürst Pückler, von den griechischen Inseln hierher verpflanzen ließ und die alle gut fortgekommen sind. Die Rosenpracht des Gartens erreicht zwar nicht die der Terrasse vor dem erwähnten Orangeriehause bei Potsdam, dafür glüht aber diese „Blume der Liebe“ unter dem griechischen Himmel weit tiefer und leidenschaftlicher, als im Norden.

Aus einer langen Veranda blickt man über das Thal des beinahe wasserlosen Ilissus auf die Säulenreste des von Hadrian erbauten Jupitertempels. Eine der Säulen ist vor einiger Zeit vom Sturmwind umgeworfen und gleichsam in einzelne runde Scheiben zerlegt worden; da sieht man nun die riesigen Verhältnisse des Capitäls und die Stärke der Eisenzapfen, welche die cannelirten Säulenstücke zusammenhielten. Zwei oben miteinander verbundene Säulen dieses Tempels wurden uns als der fünfzehnjährige Aufenthaltsort eines „Säulen-Heiligen“ bezeichnet. Nichts indeß geht über die Anmuth des ziemlich in der Nähe des Schlosses befindlichen Laubsaales, dessen Dach auf Wänden von blühenden Rankgewächsen schwebt und dessen Fußboden mit einem Teppich in matten, stillen Farben bedeckt zu sein scheint. Es ist dieser vermeintliche Teppich indeß ein in der Umgegend aufgefundener antiker Mosaik-Fußboden mit einem so geschmackvollen Muster, daß unsere Teppichfabriken ihn gern als Modell nehmen würden.

Athen leidet Mangel an Wasser. Die Königin aber nahm für die Bewässerung ihres Gartens einen großen Theil des vorhandenen unentbehrlichen Elements in Anspruch. Dies soll ein Grund mit zu der Unzufriedenheit gewesen sein, die zu dem Thronwechsel geführt hat. Die Anhänger der früheren Zustände, deren Zahl, wie behauptet wird, Legion ist, haben der Königin zu ihrem letzten Geburtstage einen Blumenstrauß aus dem geliebten Garten gesendet, – ein sinnreiches, feingefühltes Geschenk, das aber wohl mehr Kummer als Freude bereitet haben dürfte. Das Schloß, in dessen großen Sälen es seit dem Thronwechsel ziemlich still geworden ist, beginnt den Ausdruck von Verlassenheit anzunehmen. In seinem Innern ist es öde und leer, denn die Kunst- und Werthsachen, die es schmückten, sind dem Könige Otto, dessen Eigenthum sie waren, verabfolgt worden, und man sieht nur kahle Wände. Aber „unfühlend ist die Natur“; um das Schloß herum grünt und blüht es, als wäre nichts im Lande vorgefallen. Da jedoch von den 60,000 Drachmen, welche die Königin jährlich auf den Garten verwendete, von der neuen Regierung 40,000 gestrichen sind, so dürfte auch mit dem Grünen und Blühen bald eine Veränderung vor sich gehen.

Warum man nach der Befreiung Griechenlands vom türkischen Joche die Hauptstadt nicht zum Hafen Piräus hinab verlegt hat, ist schwer zu begreifen; das fabelhaft schnelle Aufblühen von Syra hätte als Fingerzeig dienen können. Freilich ist eine Eisenbahn von Athen nach dem Piräus in Aussicht genommen, aber die Ausführung des Projects kann auf sich warten lassen.

Inzwischen ist unser Wagen beim Champ de Mars angelangt. Wir biegen rechts von der sogenannten Promenade ab, die – ohne Bäume, folglich ohne Schatten – eine Zukunfts-Promenade ist, und verlängern die bereits vorhandene Reihe der Wagen um den unsrigen. Vorläufig sehen wir vor lauter Staub so gut wie nichts. Dann wird eine dichte Wand von Zuschauern sichtbar, die drei Seiten eines offenen Carre’s umgeben, dessen vierte Seite von Truppen in zwei Treffen gebildet wird. Lanzenreiter verhindern die Zuschauer, in das Carré einzudringen oder es zu verengen. In der Mitte des auf diese Weise freigehaltenen Raumes erhebt sich ein bescheidener kleiner Pavillon von Holz, zu dem drei Stufen hinaufführen. Er ist nach allen Seiten offen und besteht aus vier schlichten Säulen, die ein Dach tragen. Dieser Pavillon ist mit den höchsten Würdenträgern der griechischen Kirche angefüllt. Ihre ehrwürdigen Gesichter mit den langen, oft silbergrauen Bärten und ihre Gewänder – die Dalmatiken von weißer oder violetter Seide mit reicher Goldstickerei – erinnern an die Apostel, die man in alten byzantinischen Kirchen auf Goldgrund dargestellt findet. Wenn die Priester auseinander treten, zeigt sich ein mit drap d’argent überdeckter Altar, auf welchem kostbare silberne und vergoldete Kirchengefäße blitzen. Einer der Geistlichen hält die neue Fahne in der Hand; man sieht der Ankunft des Königs entgegen.

Während wir uns die Augen eines Argus wünschen, um Alles zu betrachten, was uns umgiebt: die beispiellos schönen Frauen in den Wagen neben uns, die schlanken Männergestalten in der rothen, hellblauen und gelben gestickten Nationaltracht zur weißen, faltenreichen Fustanella und ihre Begleiterinnen mit dem Feß auf den schwarzen Locken vor uns, tritt ein junger griechischer Officier zu uns heran, den wir von Berlin her kennen, woselbst er seine Studien auf der Artillerie- und Ingenieur-Schule gemacht und etwas Deutsch gelernt hat.

„Schlechte Plätze Sie haben,“ rief er, „laßt sorgen mich für bessere.“

Damit verläßt er uns, um bald darauf, begleitet von dem die Lanzenreiter befehligenden Officier, der einen herrlichen arabischen Grauschimmel reitet, zu uns zurückzukehren.

„Aussteigen Sie, bitte!“ sagt unser Freund. „Wir gehen in Pavillon, ist abgemacht Alles!“

Dabei deutet er auf den Schimmelreiter, welcher, des Deutschen nicht mächtig, zur Bestätigung dessen, was uns verkündet worden, freundlich grüßt, mit der Hand auf den Pavillon deutet und sein Pferd, dessen Fell im Sonnenschein wie Atlas glänzt, anmuthig stallmeistert. Wir sträubten uns mit Hand und Fuß gegen dies freundliche Anerbieten, denn wir befanden uns sämmtlich, Damen sowohl wie Herren, in den einfachsten Reiseanzügen. Aber es half kein Widerstreben.

„Hat zu sagen nichts,“ rief unser Freund, indem er den Wagenschlag öffnete; „aussteigen Sie schnell, ich durchführe Sie.“

Kaum hatten wir den kleinen Pavillon erreicht, wo die Priester unsern Gruß dadurch erwiderten, daß sie die Hand auf’s Herz legten, als eine Staubwolke von der Stadt her die Ankunft des Königs und seines Gefolges verkündete. Er kam in Generals-Uniform, geschmückt mit dem himmelblauen, gewässerten Cordon seines Hausordens, auf einem hellbraunen Vollblutspferde von großer Schönheit herangesprengt. In seiner zahlreichen Suite befanden sich der Kriegsminister in Uniform, der bekannte vierundachtzigjährige General Hadgi Petros im goldgestickten National-Costüm, die Adjutanten des Königs, berittene Diener, Ordonnanzen etc. Vor dem Pavillon anlangend, sprang der junge König rüstig vom Pferde, dieses den Dienern überlassend; die Suite folgte mit Blitzesschnelle seinem Beispiel, wobei der betagte Hadgi Petros seinen jüngeren Cameraden an Behendigkeit nichts nachgab. Die Truppen präsentirten unter Hurrahruf, und die Musik ertönte.

Der König erstieg die Stufen des Pavillons, erwiderte von hier aus den Waffengruß, indem er die Hand an den Hut legte. Sodann wendete er sich nach dem Innern des Pavillons, entblößte sein Haupt und verneigte sich ehrerbietig vor den Geistlichen. Unmittelbar darauf begann die Ceremonie der Fahnenweihe. Sie war für einen mit den Gebräuchen der griechischen Kirche Unbekannten fremdartig und sonderbar genug. Ein Priester goß aus einer kostbar gearbeiteten silbernen Kanne Wasser in ein silbernes Becken, in welchem ein großer Strauß der schönsten Blumen lag. Auf dem Altar standen keine Kerzen; dagegen trug ein junger, schöner Priester in violettem Seidengewande einen wunderlich geformten silbernen Leuchter in der Hand. Dieser bestand aus drei nach unten hin durch drei Arme verbundenen Leuchterknechten, die sich so zu einander neigten, daß die darin steckenden langen Wachskerzen sich in einem Punkte über ihnen kreuzten. In dem Kreuzungspunkte waren sie von einem hellfarbigen Seidenbande umschlungen. Diese drei Kerzen wurden angezündet. Endlich stellte sich vor den Priester, welcher die bunte Dalmatika trug, ein schwarzer, untergeordneter Geistlicher, schlug ein mit Gold und Edelsteinen geschmücktes Kirchenbuch auf und hielt es Jenem vor. Sodann trat der alte Erzbischof an den Altar, der König und alle Anwesenden entblößten ihr Haupt, und die rothseidene Fahne, die bisher zusammengerollt [634] geblieben, wurde entfaltet. Inzwischen hatte sich auch der Oberst des neuen Regiments im Pavillon eingefunden, gefolgt von einem Fahnenjunker und einigen Unterofficieren, die außen an den Stufen harrten, um die Fahne später in Empfang zu nehmen.

Was hätte ein Maler für den Anblick gegeben, der sich in diesem Augenblick uns darbot! Das schönste Bild war gestellt, da brauchte weder etwas hinzugethan, noch etwas hinweggenommen zu werden. Die Ceremonie im Pavillon, die byzantinischen Costüme der Geistlichen, die Uniformen der Officiere, die Kirchengefäße, die Waffen, sie wären des Pinsels eines Paul Veronese würdig gewesen. Die zahlreichen Diener, ungeduldige Rosse an goldenen Zügeln haltend, und das bunte Zuschauer-Publicum, welch’ ein Vordergrund! Das Militär, die Akropolis und die Höhenzüge des Hymettus – was für ein Hintergrund!

Bei der krystallreinen Luft Griechenlands hat man auch die entferntesten Gegenstände immer fast dicht vor den Augen; und so schien es denn, als hätten die Akropolis, der Lykabettus, der Hymettus und der Pentelikon sich persönlich zur Fahnenweihe eingefunden. Der Erzbischof fing nun an zu psalmodiren, die Priester antworteten durch ein Gemurmel. Mitunter erhob seine Stimme sich zum schwachen Gesange, dann tönte auch die Antwort der Priester im vollen harmonischen Chor. Dabei neigten, beugten und bekreuzigten sie sich mit großer Würde. Endlich breitete der Erzbischof beide Hände über das Wasser und sprach unter lautloser Stille seiner Umgebung ein Gebet dazu. Nachdem er so das Wasser geweiht, nahm er aus demselben den Blumenstrauß, küßte ihn feierlich dreimal und bespritzte damit zuerst die Fahne, dann die Geistlichkeit und zuletzt die übrigen im Pavillon Anwesenden. Sodann tauchte er den Strauß abermals ein, und nachdem er ihn wiederholt bekreuzt und an die Lippen geführt, nahte er sich unter dem vollen Gesänge der Priester dem jungen Könige und benetzte ihm damit die Stirn. Hiermit war der geistliche Act der Fahnenweihe beendet.

Der König, welcher weder der griechischen Kirche angehört, noch der griechischen Sprache mächtig ist, zog sein Taschentuch hervor, trocknete sich damit Stirn und Gesicht und bedeckte sich. Hierauf überreichte ihm einer der Adjutanten ein beschriebenes Blatt, von welchem er – zum Obersten gewendet – mit lauter, volltönender Stimme eine kurze griechische Rede ablas. Am Schluß derselben nahm er die Fahne aus der Hand des Priesters und übergab sie dem Befehlshaber des neuen Regiments. Dieser hob sie hoch empor, daß sie – Allen sichtbar – im Winde flatterte, und beantwortete die Rede des Königs durch Angelobung von Treue und Gehorsam, indem er scharf betonte, die Griechen würden solche stets einer constitutionellen Regierung halten. Dazu präsentirten die Truppen, die Musik spielte und die Kanonen donnerten. Endlich übergab der Oberst das neue Panier dem Fahnenjunker, der damit in Begleitung der vier Unterofficiere zur Front des Regiments zurückkehrte. Als Musik und Kanonendonner schwiegen und die Truppen das Gewehr geschultert hatten, entstand innerhalb und außerhalb des Pavillons eine lebhafte Bewegung. Der König warf sich mit seinem Gefolge zu Pferde und sprengte davon, um das neue Regiment und die übrigen Truppen zu mustern. Dabei gaben die Fustanellen, welche sich bei jedem Galoppsprunge hoben und senkten, den Pferden das Ansehen von Flügelrossen. Die Priester legten ihre glänzenden Dalmatiken ab und vertauschten sie gegen die gewöhnliche schwarze Kleidung; die Kerzen wurden ausgelöscht, die Altartücher zusammengelegt und die kostbaren Gefäße eingepackt. Bald waren wir mit unserm griechischen Freunde die Einzigen im Pavillon.

Nachdem die Truppen vor dem Könige mehrere Evolutionen ausgeführt hatten, nahm dieser vor dem Pavillon Platz und ließ sie vorbeimarschiren. Was uns dabei am meisten interessirte, war die mit Maulthieren bespannte Gebirgs-Artillerie. Sie kann ihre kleinen Geschütze auseinandernehmen, die einzelnen Stücke auf die mit Packsätteln versehenen Maulthiere laden, also überall hingelangen und im schwierigsten Terrain agiren. Haltung, Armirung und Bekleidung der Truppen konnte man nur loben.

Ein junger Mann in reicher Nationaltracht ging an unserm Pavillon vorüber, ohne daß ihn die Lanzenreiter zurückhielten.

„Wer ist der junge Mann?“ fragten wir unsern Freund.

„Ist Diener des Obersten vom neuen Regiment; – war Räuber.“

Diese letztere, für uns höchst bedenkliche Mittheilung machte der griechische Officier mit einer so gleichgültigen Miene, als wenn er erzählt hätte, der junge Mann sei früher Schneider oder Schuster gewesen.

Der König galoppirte nach der Stadt zurück, die bunte Menge, welche sich äußerst ruhig und anständig verhalten hatte, verlief sich, wir aber suchten und fanden unseren Wagen, in welchem wir unserm Freunde einen Platz anboten. Er nahm ihn an. Wir machten gegen ihn unserm Herzen Luft in Bezug auf die Unsicherheit der Umgegend.

„Ist alles richtig,“ sagte er, „sollen aber Eleusis dennoch sehen und zwar noch heut. König giebt Nachmittags neuem Regiment großen Schmaus in Daphne, auf halbem Weg nach Eleusis; dann schwärmt ganze Gegend von Soldaten und ist überall sicher. Kommen dann auch an allerletzten Ausgrabungen dicht vor Stadt links vom Wege nach Eleusis vorüber. Da aber Nachmittag nicht viel Zeit ist, sie zu betrachten, ist ‚guter‘, gleich zu fahren hin.“

Wir erklärten uns mit dem Vorschlage einverstanden; der Freund ertheilte daher dem Kutscher den nöthigen Befehl, und wir rollten davon. Unterwegs hielt unser Begleiter es für seine Pflicht, uns auf eine Brauerei aufmerksam zu machen, woselbst ein Baier vortreffliches baierisches Bier fabricirt. Wir stiegen aus und erquickten uns dergestalt an dem deutschen Getränk, sowie an Käse und grobem Brod, als hätte man uns Nektar und Ambrosia vorgesetzt.

Die griechischen Weine sind nämlich Geschwisterkind mit Vitriol und Scheidewasser, der griechische Kaffee fängt bereits an in die türkische Kaffeesuppe überzugehen, und die griechische Küche ist der Art für einen deutschen Gaumen, daß man glaubt, die Speisen werden im Irrenhause bereitet. Die Gewürze sind geradezu ätzend, alles Fleisch ist zähe wie Schuhsohle, jeder Fisch trocken zum Ersticken, das Gebäck säuerlich, von einer schmackhaften Sauce niemals die Rede, und verlangt man Butter, so erhält man ein widriges Product aus Ziegenmilch. Wie froh waren wir daher, als uns mit deutscher Freundlichkeit und deutschem Zuspruch das vaterländische Getränk vorgesetzt wurde, die einzige Flüssigkeit, welche uns in Griechenland gemundet hat.

„O schöner Brunnen, der uns fließt!“ jubelten wir.

Wie bedauerlich, daß wir diesen Brunnen erst kurz vor unserer Abreise entdeckten! In der vortrefflichsten Laune und sehr disponirt „zur Beschauung der Antike“ setzten wir unsern Weg fort zu den Ausgrabungen der letzten Tage. Wir fanden dicht bei der Stadt links vom Wege nach Eleusis einen langen Graben. Die ausgehobene Erde war nach einer Seite geworfen, und auf der Sohle des Grabens standen zahlreiche Grabsteine, so neu und so wohl erhalten, als wären die Monumente erst gestern gesetzt worden.

Man hatte einen Haupt-Begräbnißplatz des alten Athen entdeckt, und gedenkt fleißig mit den Ausgrabungen fortzufahren. Eine reiche Beute aber verspricht man sich von dem Inhalte der Gräber. In der That findet man in und um Athen fast bei jedem Spatenstich einen Schatz. Den besten aber dürfte seiner Zeit wohl Herodes – freilich vor langen, langen Jahren – hier gefunden haben. Bei dem römischen Kaiserhofe, der die frühere Herrscherfamilie des unterjochten Palästina mit Eifersucht betrachtete und im Stillen beobachten ließ, in Ungnade gefallen, sah sich Herodes – wie die Sage erzählt – endlich genöthigt, bei Nacht und Nebel zu entfliehen, um gedungenen Meuchelmördern zu entrinnen. Arm und unbekannt, dem Aeußern nach ein zerlumpter Bettler, kam er nach Athen. Geld, um ein Nachtlager zu bezahlen, besaß er nicht; er setzte sich daher am Fuße der Akropolis hinter einem Felsenvorsprung nieder und beschloß, hier die Nacht zuzubringen. Den Unglücklichen flieht der Schlaf, auch wenn sein Körper todmüde ist. Bei dem Ueberdenken seiner verzweifelten Lage stieß Herodes vor Unmuth mit seinem Wanderstabe auf die Erde. Was war das? Ein sonderbarer Klang tönte ihm entgegen. Er scharrte die Erde bei Seite und kam bald auf den Deckel eines großen ehernen Gefäßes. Wohl Hunderte von Jahren mußte es hier gestanden haben, denn es war vom Roste so zernagt, daß Herodes geringe Mühe hatte, es zu erbrechen. Aber wer malt sein Erstaunen, seine Bestürzung, als Gold und Edelsteine ihm entgegenleuchteten.

„Sollten diese Reichthümer zu dem Tempelschätzen des Parthenons gehören, welche die Athener zur Zeit der Perserkriege an vielen Orten vergruben?“ so fragt er sich, während er fortfährt, das Gefäß mehr und mehr vom Schutt zu befreien. Aber je weiter er den Deckel öffnet, je mehr Gold und Geschmeide findet er.

[635] Am nächsten Morgen sendet er einen Boten nach Rom, an den Kaiser Nerva, mit einem Schreiben des Inhaltes: „Herr! Ich habe zu Athen einen Schatz gefunden. Befiehl in Gnaden, was Dein Knecht damit beginne.“

Der Kaiser antwortete kurz und kaiserlich: „Brauch’ ihn.“

Herodes, der inzwischen die Größe des Schatzes näher kennen gelernt und ihn unerschöpflich gefunden hatte, glaubte sich bei dieser Antwort noch nicht beruhigen zu dürfen. Er schrieb abermals an den Kaiser: „Herr! Der Schatz ist unermeßlich. Sende in Gnaden Deine Befehle.“

Der Kaiser antwortete: „Mißbrauch’ ihn.“

Da glaubte Herodes seiner Pflicht genügt zu haben. Er wurde der Wohlthäter seiner neuen Heimath. An der Stelle, wo er den Schatz gefunden hatte, an der Südwestseite der Akropolis, ließ er das jetzt wieder ausgegrabene sogenannte Theater des Herodes Atticus aufführen; für sich selbst aber erbaute er in Athen einen herrlichen Wohnsitz und zu Kephissia, zwei Meilen davon, einen Sommerpalast. Die Athener jedoch ertheilten ihrem Wohlthäter den Beinamen Atticus und errichteten ihm ein Denkmal, von dem noch Spuren vorhanden sind.

Als wir in die Stadt hineinfuhren, begegneten wir bereits Soldaten, die nach Daphne hinausmarschirten. Wir säumten daher nicht, ihnen bald nachzufolgen. Zuerst führte der staubige Weg durch unangebautes, ödes Land. Als wir auf jegliche Vegetation zu verzichten anfingen, zeigten sich einige alte, melancholische Oelbäume. Endlich wurden wir durch den Anblick des botanischen Gartens erquickt, einer schattigen Oase in der grauen Wüste. Bald hinter dieser hob sich der Weg zu einem Bergrücken empor, von dem aus wir ein verfallenes Gemäuer, von einem ziemlich ausgedehnten Walde umgeben, erblickten. Es war das alte Frauenkloster Daphne, errichtet auf den Trümmern eines Tempels des daphnischen Apollo. Von ihm her ertönte verworrene Musik, Gesang und Jubelgeschrei; es waren die Soldaten, welche im Walde rechts vom Wege an langen, improvisirten Tischen aßen und tranken.

Bald war das kleine Gasthaus neben dem Kloster erreicht. Wir ließen uns Rachat Lukum (zu deutsch: Mund voll Glück), eine aus feinem Mehl, Zucker und Fruchtsaft bereitete und in Würfelform gebrachte türkische Leckerei geben, die wir – wie alle türkische Leckereien – vor Uebersüßigkeit fast nicht genießen konnten. Substantieller nährten sich die Soldaten; aber wir beneideten sie weder um ihre griechische Kost, noch um ihren harzigen, nach dem Bocksschlauch schmeckenden Wein. Der junge König war nicht persönlich, sondern nur in einer Gypsbüste anwesend, die auf einem von Zweigen errichteten Postament an dem oberen Ende der Tafel prangte. Die Soldaten wurden nicht müde, auf seine Gesundheit zu trinken. Einer derselben, welcher die Aufrichtigkeit seiner Gefühle besonders an den Tag legen wollte, ergriff ein an der Erde liegendes Weinfaß, führte es mit herkulischer Kraft an den Mund und that unter dem rauschenden Beifall seiner Cameraden einen langen Zug aus dem Spuntloch. Ein anderer Soldat, um ihn zu überbieten, sprang auf, hob die Büste des Königs von ihrem Postament und bedeckte sie mit Küssen.

Unsere Weiterfahrt, die vor Anbruch der Dämmerung beendet sein mußte, führte in der That durch eine wie für Raubanfälle gemachte Gegend, nämlich durch einen Wald mit unzähligen bemoosten Felsblöcken, die Gelegenheit zum Hinterhalt boten, und so steil bergan, daß Schritt gefahren werden mußte. Aber im Bereich der Stimmen der jubelnden Soldaten, die jetzt sogar anfingen ihre Gewehre abzuschießen, fürchteten wir nichts. Auch zeigte unser Kutscher unter den obwaltenden Umständen eine große „Courage“ und sagte wiederholt: „sie möchten nur kommen, er fürchte sich vor dem Lumpengesindel nicht.“

Als wir die Höhe erstiegen hatten, erblickten wir das Meer, und zwar den blauen Golf von Aegina. Zur Rechten an seinem Gestade zeigte sich Eleusis, zur Linken die Insel Salamis; hinter dem Golf aber stiegen die Höhenzüge von Megara bis nach Korinth und dem Golf von Lepanto in einer Beleuchtung, Durchsichtigkeit und in einem Dufte empor, wie sie nur einem Maiabende in Griechenland eigen sind. Deutlich markirte sich der Hügel, auf welchem Xerxes vor der Schlacht bei Salamis seinen Thron errichten ließ, um von ihm aus mit anzusehen, wie Themistokles im saronischen Busen der Insel mit 380 griechischen Schiffen die aus 2000 Fahrzeugen bestehende persische Flotte in die Flucht schlug. Die Beute war unermeßlich. Zu dem Siege gesellte sich für die Griechen ein zweites Glück: es fand sich ein Perikles, der die Beute mit Hülfe eines Phidias zum Ruhme Athens verwendete.

Wir wollten uns mit der Aussicht – der großartigsten und schönsten, die uns in Griechenland zu Theil geworden – begnügen, der muthige Kutscher bestand aber darauf, uns bis zum Meeresstrande hinab und wo möglich bis nach Eleusis selbst zu fahren. Wir ließen ihn gewähren, kehrten aber bald um, ohne Eleusis erreicht zu haben, da die Dämmerung anbrach und die Feldarbeiter, welche das hier im Mai bereits reife Getreide den Tag über gemäht hatten, die Fluren verließen.

Ohne den geringsten Unfall, nur von den Wagen dann und wann behindert, welche die zu dem Militär-Schmause hinausgeschafften Utensilien nach der Stadt zurückbrachten, erreichten wir unser Hotel.