Und er soll Dein Herr sein

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Autor: Franziska Jarke
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Titel: „Und er soll Dein Herr sein“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 649–652, 654
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[649]
„Und er soll Dein Herr sein.“[1]


Der Wirklichkeit nacherzählt von E. Rudorff.


„Katharina, hat meine Nichte ihre Balltoilette schon beendet?“ fragte die verwittwete Landräthin von Herbeck eine in das Zimmer tretende Dienerin, welche Shawls, Capuzen und Wintermäntel hereinbrachte.

„Das Fräulein wird bald herunterkommen, gnädige Frau!“

„So bringen Sie uns um sechs Uhr den Thee, Katharina! Das Thermometer ist zwar auf Null gestiegen, allein eine Tasse warmen Thees kann vor einer Fahrt über Land nicht schaden!“

Katharina verließ das Zimmer, und die Landräthin erhob sich von ihrem Lehnstuhl und ging einige Male in dem schönen großen Gemach auf und nieder.

Die Dame konnte fünfzig Jahre zählen und hatte milde, freundliche Züge. Sie war in ein Gewand von schwerem Seidenstoff gekleidet. Eine schwarze Mantille hing über einer Stuhllehne; Batisttuch und Handschuhe lagen daneben und aus einem offenen Haubenkörbchen guckte ein Spitzenaufsatz mit weißen Bändern hervor. Alles schien sorglich zu der Fahrt auf den Sylvesterball vorbereitet zu sein, welche man nach D., der eine halbe Meile entfernten Hauptstadt der Provinz, unternehmen wollte.

Frau von Herbeck folgte einem lebhaften Gedankenzuge. „Wenn Emmy doch ihr Glück nicht verscherzen wollte!“ – sprach sie zu sich selbst – „einen Bewerber wie Löbau findet sie wahrscheinlich nie wieder! Aber predige man doch Vernunft einem achtzehnjährigen, durch Huldigungen verwöhnten Kinde! Emmy ist schön, schöner noch, als ihre Mutter, meine so früh dahingegangene Schwester Antoinette, es war; in wenigen Jahren jedoch wird die Schalkheit und der Muthwille, welchen die Männer jetzt so unwiderstehlich an ihr finden, ernsteren Anschauungen, vielleicht der Erkenntniß begangener Thorheiten gewichen sein! Und wer weiß, ob die Schaar der Anbeter nicht überhaupt sich lichtete, wenn meine Augen geschlossen wären!“

Der Landräthin war von ihrem Gatten, mit dem sie zwanzig Jahre in einer kinderlosen und wenig befriedigenden Ehe gelebt hatte, nach dessen vor drei Jahren erfolgtem Tode der Nießbrauch seines Vermögens und das Gut Birkenwalde auf Lebenszeit testamentarisch gesichert worden, jedoch mit der Beschränkung, daß das Gut nach dem Ableben der Landräthin an den Vetter ihres Gatten, Herrn Victor von Herbeck, fallen solle.

Emmy hatte ihren Vater, den Hauptmann von Rohr, in zartem Kindesalter verloren, und die Mutter war dem Gatten nach wenigen Jahren gefolgt. Die Landräthin nahm sich der Verwaisten in treuer Liebe an und ließ des Mädchens schöne Anlagen in der nahen Hauptstadt der Provinz auf’s Sorgfältigste ausbilden, damit Emmy nöthigenfalls im Stande wäre, dereinst auf eigenen Füßen zu stehen. Seit ihrer Confirmation lebte Emmy ganz im Hause der Tante, und je mehr diese sich an dem frischen, heiteren Wesen und der innigen Liebe des Mädchens zu ihr erquickte, um so trauriger ward sie bei dem Gedanken, daß Emmy, die so ganz geschaffen schien, Lust und Freude in einem häuslichen Kreise zu verbreiten, genöthigt sein könnte, ein Unterkommen in einem fremden Haushalt zu suchen.

„Immer mit leichtem Sinn
Tanzen durch’s Leben hin –“

sang – nein jubelte gleich der Lerche – eine silberhelle Stimme im Corridor. Die Thür des Zimmers öffnete sich und die reizendste Mädchengestalt, welche man erschauen konnte, eilte über die Schwelle, breitete die Arme aus und umschlang Frau von Herbeck.

„Emmy, Du zerknitterst ja Deine weißen Tarlatanröcke und die Rosen und Schleifen bei dieser stürmischen Umarmung,“ warnte die Tante.

„Tantchen, wenn die Röcke und die Blumen mich hindern sollten, Dir den herzlichsten Kuß zu geben, so legte ich sie gleich wieder ab! Ich wollte Dich um Verzeihung bitten, daß Du so lange auf mich warten mußtest. Mein Wellenscheitel wollte gar nicht halten, und da habe ich ihn so lange bearbeitet, bis er völlig glatt anliegt und ich wie die Kirchengängerin auf dem Bilde in unserm Kalender aussehe. Ich will auch heute eine ganz ernste Miene auf dem Ball annehmen, gehen wir doch in ein neues Jahr! Wer weiß, was es bringen wird?“

Einen Augenblick schaute das liebliche Geschöpf träumerisch vor sich hin, dann glitt wieder ein glückseliges Lächeln über die schönen Züge und Emmy rief, die Hand der Landräthin an ihre Lippen ziehend: „Was es auch bringen mag, ich will es muthig tragen, bleibt mir nur die Liebe meiner guten, trauten, besten Tante!“

Frau von Herbeck streichelte die Wangen des reizenden Kindes und sagte: „Emmy, Du hast mich so lieb, und in einem Falle thust Du doch nicht, was ich so herzlich wünsche!“

Schalkhaft und mit leisem Erröthen blickte Emmy zu der Tante auf und sagte fragend: „Löbau? nicht wahr, ich hab’s errathen?“

„Warum bist Du so kurz angebunden, so wenig liebenswürdig [650] zu unserm Nachbar? ist er nicht ein sehr ehrenwerther Mann?“

„Tante, ehrenwerth! das klingt so alt, das klingt so kalt, wie kann ein ehrenwerther Herr mich interessiren?“ Pathetisch declamirend rief Emmy:

 „Und Brutus ist ein ehrenwerther Mann!“

„Nun gut, Du kleiner Schalk, lassen wir das Beiwort ehrenwerth, obwohl der achtundzwanzigjährige junge Mann es in reichem Maße verdient. Ist Löbau nicht ein geistvoller, liebenswürdiger und sehr hübscher Mann?“

„Ja, das gebe ich gerne zu, allein er ist viel zu nachgiebig. Sieh, Tantchen –“

Katharina brachte den Thee, und Emmy bereitete sorgsam eine Tasse für Frau von Herbeck, rückte deren Lehnsessel näher an den Tisch und fuhr fort, als die Dienerin das Zimmer verlassen:

„Sieh, Tantchen, ich weiß nicht, wie ich Dir das veranschaulichen soll; allein ein Mann könnte nur dann den rechten Eindruck auf mich machen, wenn er eine Art von Tyrann wäre, wenn ich um seinen Beifall buhlen, ein wenig Angst vor ihm haben müßte. Heirathe ich einmal, so soll es nicht heißen: das ist der Mann von der Frau von Löbau! Nein, mein Herr Gemahl muß Jedermann zu imponiren verstehen, und mir ganz besonders. Löbau freut sich über Alles, was ich sage, er lächelt zu meinen Thorheiten, ja er läßt sich meine Unarten gefallen. Das reizt mich geradezu, nur immer unangenehmer zu werden. Neulich im Kränzchen bei Restorfs sage ich während des Cotillons zu ihm: ‚Die Hitze ist wirklich unerträglich hier im Saale, wenn man doch Limonade herumreichte!‘

‚Fräulein,‘ sagt er beeifert, ‚ein Glas Limonade soll augenblicklich zu Ihren Diensten sein.‘

Er eilt fort, kommt mit einem Diener, nimmt diesem das Glas ab und reicht es mir.

‚Ach, das ist ja gewöhnliche Citronenlimonade,‘ sage ich enttäuscht.

‚Wünschten Sie etwas Anderes, Fräulein?‘

‚Ich trinke nur Himbeerlimonade, Herr von Löbau.‘

‚Schade, daß Sie dies nicht sofort mir sagten –‘

‚Ich sagte Himbeerlimonade, Herr von Löbau!‘

‚Wenn Sie das mit solcher Bestimmtheit versichern, so muß ich allerdings nicht gut gehört haben; ich werde gleich die gewünschte Limonade beschaffen.‘

Tantchen, ist das nicht schrecklich? Weißt Du, was ich an seiner Stelle gethan hätte?“ Emmy trat einige Schritte von dem Theetische zurück, zog ihr Gesicht in die düstersten Falten und sprach in dem tiefsten Tone, den ihre Stimme hervorzubringen vermochte: „‚Sie kleiner Naseweis,‘ hätte ich gesagt, ‚meinen Sie, ich werde Ihre Unarten so ruhig hinnehmen? Wenn Sie, anstatt für die gebotene Erfrischung zu danken, mich chicaniren wollen, so wählen Sie künftig zur Erfüllung Ihrer Wünsche einen Andern; ich fühle mich dazu viel zu schade!‘“

Bei den letzten Worten schlug die Stimme in den höchsten Discant über, und die Landräthin, in deren Mienen Aerger und Lachen miteinander kämpften, rief: „Genug von Deinen Thorheiten, Emmy! Trinke Deine Tasse Thee! Es ist Zeit, daß wir aufbrechen.“

Frau von Herbeck schellte und gab den Befehl zum Anspannen.

„Tantchen,“ sagte Emmy, als die Dienerin sich wiederum entfernt hatte, „laß mich noch vollenden, was ich aussprechen wollte. Ich finde es gar nicht so thöricht, wenn bei einigen wilden Völkerschaften die Frauen – wie man sagt – ihre Männer um so inniger lieben, je mehr Schläge sie von diesen erhalten. Nur ein Satan, ein wirklicher kleiner Satan, wird dereinst Dein Schwiegersohn,“ – hier nahm die Stimme einen wahrhaft rührenden Ton kindlicher Liebe an – „denn Du bist ja in der That meine zweite Mutter, und keine Mutter könnte gütiger sein.“

Frau von Herbeck küßte Emmy auf die Stirn und sagte: „Gott gebe, daß Alles ein gutes Ende nehme! Dein Schicksal macht mir oft genug Sorge.“

„Der Wagen ist vorgefahren!“ meldete die Dienerin, und die Reisetoilette begann. Emmy zog einen kurzen, mit Pelzwerk gefütterten Paletot an und setzte eine Capuze von weißer zarter Wolle über das prächtige blonde Haar.

„Aber Dein Paletot ist so weit, Emmy, da dringt die Kälte ja überall durch!“ warnte die Landräthin.

„So will ich den rothen Shawl um die Taille nehmen und sehe dann wie ein Russe in seinem Kaftan aus.“

„Und was ziehst Du über die Atlasschuhe, Emmy?“

„Die will ich gleich in die Stiefelchen stecken, welche Du mir zu Weihnachten gestrickt hast, Tantchen! Nicht wahr, ich bin gehorsam, ich thue Alles, was Du wünschest?“

Frau von Herbeck schüttelte leicht den Kopf.

Das Reisecostüm war angelegt; die Dienerin geleitete die Damen in den Wagen, legte noch eine tüchtige Pelzdecke über die Füße, wünschte eine glückliche Reise, und fort ging es über den knisternden Schnee.

Schnell war die Grenze von Birkenwalde überschritten, und das Herrenhaus von Charlottenhof – der Wohnsitz des Assessors von Löbau – trat als düstere, compacte Masse in dem Halbdunkel hervor. So sehr auch Emmy gegen Löbau geeifert hatte, sie bog doch das Köpfchen aus der Wagenecke bis an die Scheiben der Wagenthür und ließ prüfend den Blick über das Gebäude schweifen, in welchem nur aus zwei Fenstern des Erdgeschosses ein matter Lichtstrahl hervorschimmerte.

„Löbau ist schon nach D. gefahren; die unteren Zimmer bewohnt ja der Inspector,“ murmelte sie.

Da die Tante keine Fragen that und den Schleier noch fester über das Gesicht zog, so lehnte auch Emmy den Kopf wieder in die Kissen und träumte selig von den Freuden ohne Zahl, welche der heutige Sylvesterball ihr bringen mußte.




Assessor Otto von Löbau, an dem seine näheren Freunde mit einer fast verehrenden Zuneigung hingen, konnte bei Fernstehenden leicht für einen schwachen, lenksamen Mann gelten. Er maß die Dinge mit ernstem großem Blicke; was ihm als Recht und Pflicht erschien, davon hätte ihn nichts abzubringen vermocht; wie Unbedeutendes sich abspielte, dünkte ihn gleichgültig, und er stellte zuvorkommend den Wünschen seiner Freunde und Bekannten die eigenen nach. In den gewöhnlichen gesellschaftlichen Beziehungen gab es daher keinen freundlicheren, liebenswürdigeren Mann, als Löbau es war. Wehe Dem jedoch, welcher die Milde und Höflichkeit seines Auftretens mißverstehen und Ungebührliches wagen sollte! Einer der größten Raufbolde der Universität – als ausgezeichneter Schläger bekannt und gefürchtet – trug noch jetzt die tiefe Narbe, mit welcher Löbau’s kraftvoller Arm für eine versuchte Rohheit ihn im Duell gezeichnet hatte. –

Vor drei Jahren, als Löbau sich soeben zu einem zweiten juristischen Examen vorbereitete, fiel ihm unerwartet das schöne Majoratsgut Charlottenhof zu. Jedermann glaubte nun, er werde mit Studiren sich nicht weiter plagen und als hochangesehener Mann auf der Besitzung seiner Vorfahren sich niederlassen. Man hatte falsch gerechnet!

Das Studium, welches er begonnen, meinte Löbau auch in Ehren zu vollenden. Erst wenn er sein Staatsexamen gemacht, wollte er auf einige Monate Urlaub nehmen, um zu prüfen, wie ihm das Leben auf dem Lande und die damit verbundenen Pflichten zusagen würden. Löbau setzte einen tüchtigen Landwirth als Oberinspector in Charlottenhof ein und fixirte dessen Einkommen in der großmüthigsten Weise. Auch die Lage seiner Gutsleute stellte er so günstig für sie, als es nur geschehen konnte, ohne seinen minder gut situirten Nachbarn dadurch Verlegenheiten zu schaffen. Nach einem glänzend bestandenen Assessor-Examen war Löbau gegen das Ende des Sommers zu einem längeren Aufenthalte in Charlottenhof eingetroffen.

Emmy hatte gleich bei dem ersten Zusammentreffen den tiefsten Eindruck auf ihn gemacht. Ihre Schönheit und Anmuth entzückten ihn, und selbst der Muthwille und die kleinen Unarten standen ihr so allerliebst an, daß man wohl ein wenig zürnen, jedoch nicht ernstlich böse werden konnte. Auch leuchtete – wenn sie zu der Tante sprach – ein Strahl so innigen Empfindens aus den herrlichen blauen Augen, daß kein Zweifel an ihrer Herzensgüte haften blieb. Je mächtiger das Gefühl wurde, welches Löbau erfüllte, um so schwerer ward ihm der leichte, neckende Ton der Unterhaltung dem geliebten Mädchen gegenüber.

Wenige Tage vor dem Sylvesterball beschloß er Klarheit in [651] sein Verhältniß zu Emmy zu bringen. Löbau wollte innig und voll Ernst zu ihr sprechen und, fand er sie sich geneigt – wie er es hoffte –, schnell die Entscheidung herbeiführen. In tiefster Seele bewegt und voll quälender Unruhe, traf Löbau an dem Sylvesterabend[WS 1] schon eine Stunde vor dem Beginn des Balles in D. ein. Gleichgültiges und mit Gleichgültigen zu sprechen, war ihm unmöglich; sein erstes Wort sollte an diesem Abend an Emmy gerichtet sein.

Löbau begab sich daher in eine dem Balllocale gegenüber liegende Conditorei, setzte sich in eine Fensternische und blickte auf die vorfahrenden Wagen, während er, scheinbar in die neueste Nummer der Zeitung ganz vertieft, dieselbe vor sich ausgebreitet hielt. Endlich fuhr die Equipage der Landräthin vor, die er sofort an den beiden Grauschimmeln und den großen Wagenlaternen erkannte. Wie eine Sylphide eilte Emmy die Stufen der Freitreppe hinauf; Löbau verließ seinen Platz und ging ebenfalls in das Balllocal. – Als Emmy in der Garderobe kaum die Winterhülle abgelegt hatte, traten Frau von Restorf und deren Tochter Laura – eine von Emmy’s Freundinnen – ein. Mit freudigem Ausruf begrüßten sich die jungen Mädchen, dann flüsterte Laura, indem sie in Emmy’s Haaren den Kranz von dunkeln Rosen befestigte, derselben zu: „So eben ist ein gewisser Jemand mit mir zusammen die Treppe heraufgekommen!“

„Ich weiß nicht, von wem Du sprichst!“ entgegnete Emmy, während sie das Köpfchen abwendete – anscheinend um Laura’s Bemühungen zu erleichtern.

„Schelm, Du weißt sehr gut, wen ich meine; Löbau ist Dir gar nicht so gleichgültig, wie Du uns einreden willst!“

„Mir nicht gleichgültig!“ eiferte Emmy, „er ist mir gerade so gleichgültig, wie Dir ‚Lord Merino‘!“

„Lord Merino“ hieß eigentlich Isidor Erlanger und war der einzige Sohn des reichsten Wollhändlers in der Provinz. Isidor hatte zu seiner geschäftlichen Ausbildung sich zwei Jahre in England aufgehalten und schwärmte nach seiner Rückkehr in die Vaterstadt nicht nur für Alles, was er in jenem Lande gesehen, sondern ahmte auch die Sprechweise und das Gebahren der Engländer in fader Weise nach. Die jungen Mädchen, mit welchen er häufig in einem Lesekränzchen zusammenkam, hatten ihm daher spottweise den Namen „Lord Merino“ gegeben.

Laura achtete auf Emmy’s Bemerkung nicht weiter; die beiden jungen Mädchen halfen sich nun gegenseitig die von der Fahrt etwas in Unordnung gerathene Toilette ordnen, und Laura begann wiederum: „Gewiß tanzt der Bewußte heute den Cotillon mit Dir!“

„Das heißt, wenn ich es will, Laura! mir wird dies Gerede von Euch wirklich lästig; das Beste wird sein, ich tanze gar nicht mehr mit ihm!“

„Wenn er Dich auffordert, mußt Du doch mit ihm tanzen, Emmy!“

„Ich muß? Bin ich eine Sclavin? müssen wir Mädchen uns stets glücklich schätzen, wenn solch ein gestrenger Herr der Schöpfung uns würdigt, mit ihm einen Galopp oder eine Polka zu tanzen? Nein, Du sollst sehen, was ich thun werde!“

„Kinder, seid Ihr endlich fertig? plaudern könnt Ihr ja noch den ganzen Abend im Ballsaal!“ sagte Frau von Restorf, und die Damen verließen das Zimmer.

Das Garderobenzimmer führte auf einen Corridor, und aus diesem trat man in ein schmales Vorzimmer, von dessen beiden Seiten einige Stufen in den Ballsaal führten. Dieses Vorzimmer hatte drei offene Fensterbrüstungen gegen den Saal zu, welche – gleich den Logen im Theater – den schönsten Blick über den Ballraum und den Vorzug einer gemäßigten Temperatur gewährten. Die Landräthin nahm hier auf einem gepolsterten Sitze Platz und übergab Emmy dem Schutze von Frau von Restorf, die beide Mädchen in den Saal führte.

Emmy befand sich in einer gereizten Stimmung, die ihrem Wesen sonst ganz fremd war; wem sie eigentlich zürnte, das hätte sie kaum anzugeben gewußt. Der Saal hatte sich schon mäßig gefüllt, und in der Mitte desselben standen die Ballordner und einige andere Herren, unter diesen auch Löbau.

Bei dem Eintreten Emmy’s näherte er sich ihr sofort und sagte mit gepreßter etwas heiserer Stimme: „Darf ich um den ersten Walzer bitten, Fräulein von Rohr?“

„Ich danke, Herr von Löbau, ich bin schon engagirt,“ entgegnete Emmy in einem so kurzen herben Tone, wie sie noch niemals zu dem jungen Manne gesprochen. Das Mädchen erschrak selbst, als die Worte ihrem Munde entflohen waren; sie erwartete von Löbau die Aufforderung zu einem andern Tanze, den sie jetzt angenommen haben würde, oder irgend ein Wort des Bedauerns, an das man anknüpfen konnte. Allein er verneigte sich schweigend und ging nach dem Ausgange rechts, dem Treppenansatze zu.

Ihm unmittelbar folgte Herr Isidor Erlanger, der ebenfalls um den ersten Walzer bat. Mit Lord Merino tanzen müssen! das war hart! Emmy sagte jedoch schnell zu, damit der fatale Walzer vergeben sei und sie nicht als Lügnerin vor Löbau zu stehen hätte.

Nun wandte sie den Kopf, um der Tante freundlich zuzunicken, als ihr Blick dem Auge Löbau’s begegnete, der, statt die Stufen hinaufzusteigen, wenige Schritte von ihr entfernt stehen geblieben war. Emmy erbebte unter seinem Blicke, so hatte noch kein Auge auf sie geschaut. Was lag Alles in diesem Blick! Wer ihr das hätte deuten können! Wenn sie noch einmal in sein Auge blickte?

Wie ein furchtsames Kind, welches ein Gespenst zu sehen vermeinte und allen seinen Muth zusammennimmt, um noch einmal nach jener gefürchteten Stelle zu schauen, so wendete Emmy den Kopf nach Löbau hin.

Löbau war fort!

„Mit wem wird er tanzen?“ fragte sich Emmy.

Bald ertönten die einleitenden Tacte des Walzers und Herr Isidor Erlanger holte seine Tänzerin. Emmy war schweigsam, und Lord Merino trug die Kosten der Unterhaltung. Er erzählte von seinem Aufenthalte in England, daß er dort mit einer sehr angesehenen Familie verkehrt habe, die einmal sogar den Premier – Disraeli – bei sich gesehen, und daß er beinahe dort mit diesem Staatsmann zusammengetroffen wäre. Dann fragte er, ob Emmy „Coningsby“ von Disraeli kenne und daraus erfahren habe, daß die bedeutendsten Männer der Neuzeit jüdischen Ursprungs gewesen seien.

Endlich war der Walzer zu Ende. Löbau hatte ihn nicht getanzt! Emmy ersuchte ihren Partner, sie zu der Tante in das Nebenzimmer zu führen. Vielleicht hatte diese ihn gesprochen, vielleicht war er dort. Emmy nahm sich vor, sehr freundlich zu sein und ihm den ersten Orden im Cotillon zu geben. Die Landräthin hatte Emmy tanzen sehen, und diese mußte berichten, welchen Herren sie die übrigen Tänze zugesagt.

„Hast Du Löbau nicht gesehen?“ fragte die Tante.

„Er forderte mich zum ersten Walzer auf –“

„Nun, und –“

„Ich sagte ihm, daß ich bereits engagirt sei!“

Frau von Herbeck schöpfte keinen Argwohn, und bald mischte Emmy sich wieder unter die Reihen der Tanzenden. Es folgten noch drei Tänze, und den Schluß machte der Cotillon. Löbau tanzte nicht, das war sicher, und hatte, so schien es, das Balllocal schon vor dem Beginne des Walzers verlassen. Emmy suchte die Unruhe und Unbehaglichkeit, welche sich ihrer bemächtigten, unter einer forcirten Heiterkeit zu verbergen, die ihr immer schwerer wurde und sie endlich ganz traurig machte. War dies der Ball, von dem sie so viel Freuden sich versprochen?

Keine Dame empfing mehr Sträußchen, keine wurde so oft gewählt. Emmy hatte vorzügliche Tänzer; ihre Freundinnen plauderten heiter mit ihr. Die Tante lächelte beglückt dem Lieblinge zu – allein was war mit Löbau geworden?

Um die Mitternachtstunde erschollen zwölf dumpfe Schläge im Saale; es wurde Tusch geblasen, und Jeder eilte zu den Freunden und Bekannten, um ein glückliches neues Jahr zu wünschen. Wie eine kleine Königin stand Emmy da, umgeben von einer Menge Herren und Damen, die dem heitern, reizenden Mädchen die herzlichsten Wünsche darbrachten. Und sie war so gar nicht froh!

Frau von Herbeck und einige befreundete Familien blieben zur Abendtafel. Es war zwei Uhr Morgens, als die Tante und Emmy den Wagen zur Rückfahrt bestiegen.

Leuchtend stand der volle Mond am Himmel; unzählige Sterne glitzerten an dem dunkelblauen Firmamente. Ein zarter Reif hatte die Aeste und Zweige der Bäume mit allerlei phantastischen Blüthen und Blättern geschmückt, die in dem herrlichen [652] Mondlichte gar zauberisch erglänzten. Tiefer Friede ruhte über der stillen Landschaft; kein Windhauch regte sich; man hörte nichts als die Bewegung der Räder des schnell dahinrollenden Wagens.

Emmy war müde – so hatte sie der Tante gesagt –, und beide Frauen lehnten sich schweigend in die weichen Polsterkissen des Reisewagens. Wieder hob Emmy das Köpfchen, als man Charlottenhof sich näherte. Alle Bewohner des großen Gebäudes schienen der Nachtruhe zu pflegen, nur die Zimmer Löbau’s im ersten Stock waren noch beleuchtet. Ein schwerer Seufzer entrang sich der Brust des jungen Mädchens. Wenige Schritte hatten sie das Herrenhaus hinter sich gelassen, als plötzlich ein wunderbarer Lichtglanz durch die Wagenfenster drang. Der Anblick, welcher sich den beiden Frauen bot, war in der That märchenhaft, und eine ungeahnte Ueberraschung sollte ihnen bereitet werden.




Unmittelbar vor der großen Gutsscheune lag ein kleiner Teich, um welchen Löbau vor drei Jahren auf den Rath des Inspectors hatte Eschen pflanzen lassen. Zwischen die mit glänzenden Eiskrystallen bedeckten Bäume waren jetzt buntfarbige, reichverzierte Lampions gehängt, deren schimmerndes Licht im Verein mit den Mondesstrahlen die spiegelblanke Fläche des Weihers zauberhaft beleuchteten. Als der Wagen der Landräthin sich vis-à-vis dem Weiher befand, rief eine energische Stimme dem Kutscher ein „Halt“ zu, die Pferde standen, die Wagenthür wurde geöffnet und – Löbau trat an den Schlag.

„Gnädige Frau,“ sagte er sich ehrfurchtsvoll vor der Landräthin verbeugend, „gestatten Sie, daß ich Ihnen ein glückliches neues Jahr wünsche.“

Die erstaunte, nur vor wenigen Augenblicken aus einem Halbschlummer erwachte Dame erwiderte einige Worte des Dankes.

Löbau gab nun ein Zeichen, und aus der geöffneten Scheunenthür ertönten, von einer kleinen Capelle ausgeführt, die Melodien eines beliebten Walzers.

„Fräulein von Rohr,“ wendete sich nun Löbau artig an Emmy, „darf ich um den ersten Walzer bitten?“

„Herr von Löbau,“ entgegnete Frau von Herbeck, „was hat diese seltsame Aufforderung zu bedeuten?“

„Gnädige Frau, es traf sich gestern Abend für mich so unglücklich, daß Ihr Fräulein Nichte den Walzer, um welchen ich sie bat, nicht mit mir tanzen konnte. Ich hoffe bestimmt jetzt keine Fehlbitte zu thun.“

„Herr von Löbau, dies kann wohl nur ein Scherz sein, und ich finde die Tageszeit dazu nicht ganz passend.“

„Gnädige Frau, ich gab mir das Wort, Fräulein von Rohr würde einen Walzer mit mir tanzen, ehe sie ihr Haus betreten hätte, und ich habe noch stets ausgeführt, was ich mir in solcher Weise vorgenommen. Für Musik und Beleuchtung ist gesorgt, der kleine Teich ist eben wie das schönste Parquet eines Ballsaales; die Nacht ist wunderbar mild und Teppiche bedecken die kurze Strecke bis zu der Eisfläche. Fräulein von Rohr, ich bitte nochmals um den Walzer.“

„Liebe Tante,“ sagte Emmy, „ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ich durch meine Weigerung Dich noch einen Augenblick länger der Nachtluft aussetzte. Herr von Löbau, ich werde Ihrer Aufforderung Folge leisten.“

Mit der größten Artigkeit half Löbau dem jungen Mädchen aus dem Wagen, schloß die Wagenthür und führte Emmy über die ausgebreiteten Teppiche zu dem improvisirten Tanzplatz. Emmy war gekleidet wie bei der Hinfahrt; Löbau trug einen Paletot und eine niedrige Jagdmütze. Mit festem Arm hielt er das Mädchen auf der spiegelglatten Fläche; unter den Klängen des Strauß’schen Walzers „Das Leben ein Tanz“ und bei dem Glitzern der herrlich leuchtenden Himmelskörper tanzten sie zweimal um die Rundung des kleinen Weihers. Als Emmy wieder den Fuß auf die Teppiche setzte, sagte Löbau: „Indem ich Ihnen, Fräulein, den besten Dank abstatte, gebe ich mir zugleich die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen; ich reise mit dem Morgenzuge nach der Residenz.“

„Wohl eine Vergnügungsfahrt, Herr von Löbau?“

„Nein, Fräulein, ich werde für immer in der Residenz bleiben.“

„Ach –“

„Was ist geschehen, Fräulein?“

„Ich vertrat mir den Fuß –“

„Stützen Sie sich fester auf meinen Arm, Fräulein!“

„Ich muß einen Augenblick stehen bleiben! – Herr von Löbau, ich möchte Sie sprechen, ehe Sie abreisen.“

„Das wird kaum möglich sein, Fräulein! Der Zug geht um sieben Uhr ab, und ich habe noch Manches zu ordnen.“

„Ich darf die Tante nicht länger warten lassen, allein, ich wiederhole es, ich möchte Sie noch sprechen, bevor Sie Charlottenhof verlassen. Hier liegt mein Shawl –“ Emmy knüpfte den rothen Shawl los, den sie um die Taille geschlungen, und ließ ihn niedergleiten – „besteigen Sie ein Pferd, sagen Sie unseren Dienstleuten, daß Sie meinen Shawl gefunden haben und mir denselben persönlich übergeben wollen!“

„Ich werde sofort Ihren Befehl ausführen, Fräulein!“

Schweigend legten Beide die wenigen Schritte bis zu dem Wagen zurück, in welchen Löbau seine Tänzerin hob. Dann verabschiedete er sich von der Landräthin, als wäre nichts Ungewöhnliches vorgefallen.

Frau von Herbeck befand sich in der höchsten Aufregung. Kaum war die Wagenthür geschlossen und die Pferde hatten sich in Trab gesetzt, als sie Emmy fragte, ob irgend etwas sich zugetragen habe, das dieses extravagante Benehmen Löbau’s zu entschuldigen im Stande wäre. Emmy küßte die Hand der Tante und bat, sie möge augenblicklich nicht weitere Auskunft verlangen, morgen werde sie berichten, was sie wisse. Da heiße Thränen auf die Hand der Landräthin fielen, so schwieg die Dame, obwohl sie gern Klarheit in der Sache gehabt hätte. – Die Landräthin und Emmy hatten eben die Reisekleider abgelegt, als Katharina melden kam, daß Herr von Löbau zu Pferde angekommen sei. Derselbe habe den Shawl von Fräulein von Rohr gefunden und wünsche, ihn dem Fräulein selbst abzugeben.

„Liebe Tante,“ fiel Emmy ein, ehe Frau von Herbeck eine Antwort geben konnte, „gestatte, daß ich Herrn von Löbau empfange, ich komme sogleich wieder zu Dir herauf.“

„Zünden Sie die Lampe in dem Balconzimmer an, führen Sie Herrn von Löbau hinein und melden Sie, daß meine Nichte erscheinen werde,“ sagte die Landräthin zu der alten Dienerin.

„Emmy, das ist doch unerhört –“

„Geliebte Tante, gönne mir diese kurze Frist! Du sollst bald Alles hören!“ bat das Mädchen.

Emmy hüllte die schönen Schultern in eine Mantille, schlang ein leichtes Tuch über das Haar und ging dann nach dem Balconzimmer, in welchem Löbau sie erwartete.

Ihr reizendes Gesicht trug nicht jenen schelmischen Ausdruck, der es sonst so bezaubernd machte; die blauen Augen blickten ernst, und die liebliche Stimme zitterte, als sie den jungen Mann anredete.

„Herr von Löbau, ich habe gegen Sie gefehlt, und Sie haben nach Ihrem Ermessen mir eine Strafe auferlegt, unsere Rechnung könnte also geschlossen sein; allein ich mußte meiner geliebten Mutter einst als Kind versprechen, daß ich mich nie zur Ruhe legen würde, wenn ich für eine begangene Unart nicht um Verzeihung gebeten hätte, nicht in Frieden mit mir und allen Menschen einschlummern könnte. Darum will ich vor Ihrem Scheiden Ihnen sagen, daß ich – gleich nachdem Sie mich auf dem Balle verließen – es herzlich bereute, Sie verletzt zu haben. Nicht wahr, Sie zürnen mir nicht mehr?“

In der Brust Löbau’s wogte und stürmte es; sollte er Emmy’s Hand ergreifen und gestehen, was er gefühlt und gelitten? Nein, Schmerz und Grimm, welche in ihm getobt, siegten, und er sagte artig: „Ich danke Ihnen für Ihre gütigen Worte, Fräulein, und werde mich nur an diese erinnern.“

Allein seine Augen ließen sich nicht zügeln, wie die Worte, und Emmy mußte vor dem feurigen Strahl, der sie traf, erröthend die ihrigen senken.

„Herr von Löbau,“ sagte sie wieder zu ihm aufblickend, „wollen Sie mir noch eine Frage offen und wahrheitsgetreu beantworten?“

„Ich verspreche es, Fräulein!“

„War es bereits Ihre Absicht, nach der Residenz zu reisen, als Sie gestern den Ball besuchten?“

„Erlassen Sie mir die Antwort – –“

[654] „Sie haben mir Wahrheit gelobt!“

„Nun wohl, ich gedachte für immer hier zu bleiben. Ich war ein Thor, ein Träumer! ich hatte mein volles Herz einem Mädchen gegeben, schön und anmuthig, wie keine zweite. Ich fühlte die Kraft in mir, sie zu schützen und zu bergen an der treuesten Brust; kein rauher Windhauch sollte meine zarte Blume treffen! Aber für den Mann giebt es noch Eines, das höher ist, als die Liebe, soll sein Wirken nicht verloren sein – die Ehre! Sie muß unangetastet bleiben; sie duldet nicht den leisesten Makel. Ein Hauch ist übergenug, ihren hellen Spiegel zu trüben. Dem Weibe, das mich liebt, müßte meine Ehre eben so heilig sein; nicht nur im Großen und Ganzen, nein, in jedem Augenblick, in jeder Aeußerung und Regung. Mit dem bittersten Schmerz habe ich mich davon überzeugt, daß es jenem Mädchen nicht nur leicht wurde, mir augenfällig eine unverdiente Kränkung zuzufügen, sondern daß sie dieselbe noch verschärfte, indem sie einen anerkannten Narren mir vorzog.“

„Herr von Löbau,“ erwiderte Emmy mit bebender Stimme, indem sie gewaltsam ihre tiefe Bewegung unterdrückte, „Sie haben nicht recht gethan, jenes Mädchen ungehört zu verdammen. Sie hätten auch daran denken sollen, daß sie eine Waise ist, die nie eines Vaters freundlich ernste Mahnung vernahm, eine Waise, die Jeder nach einer andern Richtung hin erzogen hat. Gott gab ihr einen heiteren Sinn. Darum verkümmerte sie nicht unter soviel Schwerem; wie fröhlich sie jedoch in das Leben blickte, stets regte sich in ihr die Sehnsucht, von einer starken Hand liebevoll geleitet zu werden. Sie haben gesagt, Herr von Löbau, daß es für den Mann noch etwas Höheres giebt, als seine Liebe – für die Frau ist sie gewiß das Höchste! Und weil sie ihr so heilig ist, ruht sie tief verschlossen in stiller Brust. Oft weiß ein Mädchen ja kaum, was es empfindet, und erst des geliebten Mannes Wort offenbart ihr das Geheimniß ihres Herzens. Wie zürnt sie allen Unberufenen, daß sie voreilig rütteln an dem, was so verschwiegen bleiben müßte! Und damit nicht Fremde erfahren, was sie zuerst dem Geliebten gestehen möchte, tritt sie oft herb und kalt dem Mann entgegen, der ihr so theuer ist! – Sie haben schwer gelitten, Herr von Löbau; jenes Mädchen leidet auch! Sie fühlt – – –“ Emmy stockte.

„Vollenden Sie, Fräulein, ich beschwöre Sie darum!“ rief Löbau und ergriff der Geliebten Hand.

„Sie fühlt – – – daß sie den Mann gefunden, den sie ersehnt, und – sie hat ihn verloren!“ – –

„Nein, Emmy, beim wahrhaftigen Gott, Du hast ihn nicht verloren! wer könnte solch’ hochherziger Offenheit widerstehen!“ und mit vollem Glücksgefühl umfaßte er das zitternde Mädchen.

Man klopfte.

„Die gnädige Frau wünscht Fräulein von Rohr zu sprechen,“ meldete die Dienerin.

„Wir kommen!“ rief Löbau, der sein Glück Allen verkünden wollte.

Die erstaunte Landräthin gab dem feurig Bittenden die ersehnte Einwilligung zu dem Herzensbunde. „Sie werden es jedoch schwer haben mit dem kleinen Schelm, lieber Löbau, das sage ich Ihnen zuvor,“ warnte sie freundlich.

„Fürchte nichts, Tantchen!“ entgegnete Emmy, und zum ersten Male schwebte wieder das reizende Lächeln über die schönen Züge, „Der versteht’s! Wenn ich einmal nicht thun werde, was ich soll, gleich giebt es einen Walzer auf dem Eise!“ –



  1. Der Verfasser behält sich das Recht der dramatischen Bearbeitung vor.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Sylversterabend