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Unsere „schlechten Dienstboten“

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Textdaten
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Titel: Unsere „schlechten Dienstboten“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 242–245
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[242]
Unsere „schlechten Dienstboten“.


„Giebt es denn wirklich keine guten Dienstboten mehr? Und woher kommt das?“

Diese Fragen fielen als Brandraketen in einen größeren Kreis von Damen aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands, welche der Hochsommer in dem reizenden Berchtesgaden vereinigt hatte. Es war einer der vielen Regennachmittage des gesegneten Septembers, und statt wieder einmal, wie schon seit acht Tagen auf der obern Straße in triefenden Regenmänteln zu wandeln und in die wolkenverhüllten Thäler nach gutem Wetter zu spähen, hatte man beschlossen, heute einen gemüthlichen Kaffee zu arrangiren mit gänzlicher Ignorirung des undankbaren Wetters und in der stillen Hoffnung, durch diese entgegengesetzte Behandlungsweise vielleicht einen Umschlag zum Besseren zu erzielen. Alles war heiter und friedlich abgelaufen, bis zu dem Augenblick, wo die oben angeführte Frage eine plötzliche Wallung der Gemüther veranlasste.

„Das will ich Ihnen sagen, meine Liebe,“ nahm Frau Präsidentin von Breda das Wort, indem sie mit einer heftigen Bewegung das Haubenband unter dem Kinn lockerte. „Das kommt Alles von den neumodischen und unchristlichen Anschauungen, die ja jetzt mit Gewalt unter den Arbeitern und Dienstboten verbreitet werden. Seit die Köchinnen Hüte tragen und in den Arbeiterbildungsverein laufen, seitdem ist es fertig mit der guten alten Zeit. Es wäre zum Lachen, wenn man sich nicht darüber todt ärgern müßte. Einer Frau von meinem Alter kann es am Ende gleichgültig sein, denn ich erlebe es nicht mehr, aber Sie werden vielleicht noch alle an mich denken, wenn Sie einmal für Geld und gute Worte Niemanden mehr finden, der sich herbeiläßt, Ihre Hausarbeit zu thun.“

Und die Stricknadeln der alten Dame klapperten heftiger, als zuvor.

„Erlauben Sie, Frau Präsidentin,“ begann etwas gereizt eine lebhafte kleine Schwäbin, die Frau des Redacteurs Michaelis, „der Arbeiterbildungsverein trägt die geringste Schuld an der ‚Verschlechterung der Dienstboten‘, die ich übrigens gar nicht so himmelschreiend finde. Die früheren werden auch nicht lauter Ideale gewesen sein, und ‚gute Herrschaft, gutes Gesinde‘ heißt es schon im Sprüchworte. Ich sprach einmal mit einer sehr ausgezeichneten Frau über die Idee eines Vereins zur Besserung der weiblichen Dienstboten. Meine Rike horchte aufmerksam von der Küche her zu und sagte dann zu mir, als jene fort war: ‚Das ischt recht schön mit dem Besserungsverein, aber wäger, mer müsset au glei en Madamenbesserungsverein gründe.‘“

Die Damen lachten, nur Frau von Breda sagte verächtlich: „Auf diese Rede hätte ich die Person sofort aus dem Dienste gejagt.“

„Warum?“ versetzte die unverbesserliche Redacteurin. „Ich hatte keine Ursache, mich getroffen zu fühlen.“

„Aber liebe Frau Michaelis,“ begann nun Frau Dr. Langsdorff, eine zarte, etwas leidende Blondine, „Sie können mir glauben, auch mit der besten Behandlung sind Sie nicht im Stande, sich treue und anhängliche Dienstboten zu verschaffen. Ich habe meine Mädchen vom Anfange unserer Ehe so gütig und schonend behandelt, wie mir möglich war. Wir wechselten unsere erste Wohnung, weil mir Therese, ein Mädchen mit dem ich sehr zufrieden war, erklärt hatte, sie könne das Wasser nicht drei Treppen hoch tragen, und ich nahm eine Gehülfin für die grobe Arbeit, weil Eduard auch meinte, man dürfe das junge Mädchen nicht mit Waschen und Putzen belasten. Sie war denn auch im Anfange sehr tüchtig, sorgte für Alles und pflegte mich, wenn ich mich leidend fühlte. Dagegen gab ich mir alle Mühe, den Charakter des Mädchens zu ergründen und sie bildend zu mir heranzuziehen. Ich kann wohl sagen, sie war gehalten wie ein Kind vom Hause; bekam viele Geschenke und nie ein strenges Wort zu hören; Eduard, der sehr viel für Volksbildung wirkt, gab ihr gute Bücher und wünschte, daß ich ihr bestimmte Stunden festsetze, damit sie darin lesen könne. Aber schon nach einem halben Jahre fing sie an, mitunter einen ungezogenen schnippischen Ton anzunehmen, den ich ihr umsonst in Güte zu verweisen suchte; sie wurde immer anspruchsvoller, dachte nur noch an Putz und Ausgehen und vernachlässigte ihre Pflichten, während meine täglichen Ausgaben wuchsen, ohne daß ich doch genau nachweisen konnte, wodurch. Zuletzt machten wir denn zufällig die Entdeckung, daß sie ein in jeder Beziehung unwürdiges Geschöpf geworden war, und mußten sie plötzlich entlassen. Es hat uns Beiden diese Erfahrung, die leider nicht die einzige blieb, einen tiefen Eindruck gemacht. Sie werden vielleicht sagen: Das war ein vereinzelter Fall. Allein ich kann Sie versichern, ein wie großes Vertrauen ich auch einem Mädchen entgegengebracht, nie hat es mir den Lohn der Treue von ihrer Seite eingetragen. Es ist das sehr traurig.“ Und die arme Leidende sank in den Fauteuil zurück, das Occhi-Schiffchen nachlässig zwischen den schlanken blassen Fingern weiter bewegend.

„Nehmen Sie mir’s nicht übel, liebe Frau Doctor, aber ich habe fast lachen müssen über Ihre Geschichte.“

Die so sprach, war eine tüchtige runde Mama von heiterem Gesichtsausdrucke. „Wenn Sie durchaus hätten schlechte Dienstboten haben wollen, hätten Sie’s gar nicht praktischer anstellen können. Allen Respect vor Ihrem guten, warmen Herzen, aber hier hat es Ihnen einen tüchtigen Streich gespielt. Das kann ich Sie versichern: wenn mir die Therese gekommen wäre, sie könne das Wasser nicht tragen, so hätte ich ihr ohne Umstände erwidert: ‚dann trägt es morgen eine Andere‘, und glauben Sie mir, sie hätte ihren Eimer ruhig zur Hand genommen. Nein, mit der Güte allein ist’s nicht gethan; man muß auch daneben gehörig fest sein und Strenge zeigen, ehe es Noth thut.“

„Da haben Sie wohl Recht, Frau Meier,“ erklangen die etwas scharfen Töne des Fräuleins Dernburg, „das ist auch meine Erfahrung. Streng behandelt wollen diese Leute sein, sonst werden sie übermüthig. Man muß sich nur ja keine Illusionen über sie machen; sie betrachten uns als ihre natürlichen Feinde, denen sie nur nothgedrungen dienen, und so ist es ja wohl am besten, das Verhältniß ganz nüchtern aufzufassen und seine Rechte streng zu wahren. Ich führe nun schon seit Jahren meines Vaters Haushalt und habe mich bei diesem Grundsatze immer gut befunden. Allerdings mußte ich die Dienstboten viel wechseln, allein was liegt im Grunde daran? Man hat den Vortheil, keine Mißbräuche einreißen zu lassen, und kann die Leute so sparsam halten, wie es in diesen theuern Zeiten nöthig ist. In meinem Haushalte muß über jeden Tropfen Milch und jedes alte Stückchen Fleisch Rechenschaft abgelegt werden, und es fiel mir nicht ein, das, was für uns auf den Tisch kommt, Alles wieder in die Küche wandern zu lassen. Auf diese Weise behalte ich alle feineren Reste zum Thee Abends und führe mit verhältnißmäßig wenig Mitteln einen hübschen Haushalt.“

„Haben Sie aber bei diesen Grundsätzen jemals von Seiten Ihrer Leute Anhänglichkeit an Ihre Person und Ihr Haus erlebt?“ fragte jetzt eine Frau, die bis dahin schweigend zugehört hatte. Sie war nicht mehr jung, aber ihre schönen Augen hatten einen verständnißvollen Blick, welcher Nachdenken über eigene und fremde Schicksale verrieth.

„Erlebt die überhaupt Jemand heutzutage?“ fragte das Fräulein dagegen, indem ihre dünne Nase sich forschend im ganzen Kreise umherwandte.

„Ich nicht,“ sagte mit einem leisen Seufzer die leidende Blondine.

„Nein, wahrhaftig,“ pflichtete ihr Frau von Breda aus tiefstem Herzen bei, „Anhänglichkeit findet man in unserer Zeit bei den Dienstboten nicht mehr. Früher hatte man seine Mädchen acht bis zehn Jahre, aber jetzt? Du lieber Gott, jetzt heißt es schon ‚lange‘, wenn sie ein Jahr da sind.“

„Das kommt darauf an,“ meinte Frau Michaelis. „Man muß eben nur die alten patriarchalischen Ideen fahren lassen. Die Leute haben begriffen, daß sie keine Sclaven sind, und ziehen natürlich unter zwei Plätzen den einträglicheren und leichteren vor. Alle anderen Gesellschaftsclassen sehen ja auch nur auf ihren Vortheil. Warum sollen es denn Die nicht thun, die es gerade am nöthigsten haben?“

„Nun, mehr braucht man wahrhaftig nicht zu hören,“ rief eifrig die dicke Präsidentin. „Da sprechen Sie es ja selbst aus, daß wir geradezu auf die amerikanischen Zustände lossteuern, wo man keinen Fleck wegputzt, ohne contractlich dazu engagirt zu sein.“

[243] „Das wäre noch nicht das Schlimmste,“ beharrte unerschütterlich die fortschrittliche Redacteurin, aber hier erhob sich auch von Seite derjenigen stillen Seelen, die bisher, nur mit Strickstrumpf und Kuchen beschäftigt, andachtsvoll zugehört hatten, ein Sturm gegen sie, dessen Wellen bald hoch gingen. Jenes anziehende Stadium eines Disputes, während welches Alle sprechen und Keiner hört, hatte schon längere Zeit gedauert, und Frau Michaelis verlor im Gedränge so viel Terrain, daß sie ihre nahe Niederlage voraussah. In dieser Noth beschloß sie, eine Ablenkung zu machen, und rief plötzlich:

„Ich berufe mich auf Frau Heyne; sie ist sicherlich auf meiner Seite. Und Sie werden zugeben, meine Damen, daß eine Frau von ihrer Art in solchen Sachen urtheilsfähig ist.“

„Ja,“ rief ein ganz junges Frauchen mit einem lustigen Kindergesicht, „Frau Heyne soll sprechen. Denn sie ist nicht nur eine ausgezeichnete Hausfrau mit beneidenswerth langjährigen Dienstboten, sondern auch – na, wir wissen ja Alle, daß man drucken kann, was sie denkt und schreibt.“

„Ja, ja,“ hieß es von allen Seiten, „Frau Heyne soll die Sache entscheiden!“

Nicht ohne einiges Zögern überschaute die Frau mit den geistvollen Augen, an deren Person ein gewisser Nimbus stummer Schriftstellerei haftete, den plötzlich schweigsam gewordenen Kreis. „Warum sollte gerade ich hierin ein entscheidendes Urtheil haben?“ fragte sie dann.

„Nun, wir haben einmal jetzt das Vertrauen zu Ihnen,“ rief die kleine Frau von Berg. „Also sagen Sie uns geschwind, ob Sie auch für die amerikanischen Zustände sind, wie Frau Michaelis.“

„Das könnte ich nicht sagen, wenigstens nicht unbedingt,“ nahm Frau Heyne das Wort. „Es schiene mir sehr traurig, wenn die gegenseitige Neigung und Rücksicht, welche in vielen guten deutschen Familien heute noch Herrschaft und Dienstboten verbindet, gänzlich abhanden kommen sollte. Eine der schönen Seiten des deutschen Familienlebens wäre damit verloren.“

„Ja, aber bis jetzt wenigstens ging es damit mehr und mehr abwärts,“ rief Fräulein Dernburg etwas scharf dazwischen.

„Wir leben hierin, wie in so manchem Andern, in einem Uebergangszustande,“ nahm Frau Heyne ruhig wieder das Wort, „und müssen seine Schattenseiten ertragen. Aber ich habe die sichere Hoffnung, daß mit der steigenden Bildung der dienenden Classen, sowie der Frauen selbst, auch wieder Lichtseiten zum Vorschein kommen, von welchen unsere Mütter ebenfalls so wenig eine Ahnung hatten, wie von den vielberufenen Uebelständen unserer Zeit.“

„Aber das können Sie doch nicht in Abrede stellen, daß man früher bessere Dienstboten hatte,“ sagte Frau von Breda fast schwermüthig.

„Andere, Frau Präsidentin, bessere schwerlich. Abgesehen davon, daß die Klagen über schlechtes Gesinde in Romanen und Lustspielen des vorigen Jahrhunderts häufig genug vorkommen, glaube ich versichern zu können, daß wir die Dienstboten von ehemals einfach heute nicht mehr ertragen könnten. Stellen Sie sich eine solche bäuerische Magd in Rock und Jacke vor, die in der Regel mit zur Familie gerechnet wurde, Abends nach dem Nachtessen sich mit dem Strickstrumpfe herein in’s allgemeine Familienzimmer setzen mußte, ‚um Holz und Licht zu sparen‘, auf die ungenirteste Weise die Angelegenheiten des Hauses mitbesprach, die Töchter, wenn es hoch kam, ‚Jungfer Line‘ oder ‚Jungfer Mine‘ hieß und mit den Söhnen zeitlebens auf ‚Du‘ stand. Das könnten Sie nicht mehr ertragen und befinden sich sehr wohl bei der schweigenden Zurückhaltung, mit der heute Ihr nettgekleidetes Mädchen ins Zimmer tritt, um geräuschlos ihren Dienst zu thun. Daß aber dieses Mädchen, wenn es ausgeht, auch mit einer gewissen Zierlichkeit gekleidet sein will und in Folge dessen etwas Zeit zu ihrer Toilette braucht, das kommt Ihnen im Vergleiche gegen die ‚gute alte Zeit‘ als Prätension vor.“ –

„Nun, darüber ließe sich allerhand sagen,“ warf hier Frau Meier ein. „Sie werden doch nicht in Abrede stellen wollen, daß gerade in diesem Punkte noch sehr viel zu verbessern wäre?“

„Es wäre in allen Punkten noch viel zu verbessern, liebe Frau Meier,“ erwiderte Frau Heyne, „und ich möchte nur alle Frauen auffordern, einmüthig zu diesen Verbesserungen die Hand zu bieten; es würden sich die Zustände bald viel angenehmer gestalten. Wenn Sie eine kurze Geduld haben wollen, so möchte ich Ihnen die Hauptpunkte herausheben, um die es sich nach meiner Ansicht handelt. – Zunächst werden wir einsehen müssen, daß der gewaltige Umschwung unserer Zeit auch in die häuslichen Verhältnisse eingreift, daß es also nur natürlich ist, wenn unsere Dienstboten einen bedeutend höheren Lohn verlangen als früher. Ihnen diesen freiwillig zu gewähren, halte ich für ein Gebot der Klugheit, ebenso, wie sie in Beziehung auf Kost, Schlafstelle, Ausgang etc. so günstig zu stellen, wie es nach den Verhältnissen der Familie nur möglich ist. Ehe die Anhänglichkeit an die Herrschaft sich entwickeln kann, bindet das Gefühl der angenehmen Existenz die Leute an’s Haus, und nun, nachdem für ihre materiellen Bedürfnisse gut gesorgt ist, kann man auch eine tüchtige Arbeitsleistung von ihnen verlangen. In einem gut eingerichteten Haushalte, wo Jeder sein fest angewiesenes Theil Arbeit täglich in derselben Weise zu versehen hat, wo eine tüchtige Hand die Zügel führt und ein helles Auge über Allem wacht, gab und giebt es noch immer gute Dienstboten, denn dem Geiste eines solchen Hauses fügt sich auch ein anfangs widerstrebendes Element, und trotz aller ‚neuen Anschauungen‘ beherrscht die feste Autorität einer tüchtigen und charakterfesten Frau heute wie ehemals ihre ganze Umgebung.

Aber da kommt nun der Hauptpunkt, über den ich gar nicht sprechen würde, wenn sich die Frage ohne ihn abhandeln ließe. In hundert und aber hundert Fällen hat sich mir die Wahrnehmung immer wieder aufgedrängt: Es fehlt größtentheils an den Frauen, auch sie befinden sich in einem Uebergangszustande von der praktischen Tüchtigkeit ihrer Großmütter zu der gediegenen Bildung kommender Generationen. Was wir aber jetzt vor uns sehen, ist in so vielen Fällen Halbheit, Oberflächlichkeit und untüchtiges Wesen, daß es mit Wundern zugehen müßte, wenn die Dienerinnen solcher Herrinnen etwas Besonderes leisteten.“

„Sie sind sehr – aufrichtig, beste Frau Doctorin,“ brachte Frau von Breda etwas mühsam heraus.

„Ich rechne auf Ihre allseitige Klugheit und Güte, gnädige Frau. Der redliche Wunsch, etwas zur Besserung unserer häuslichen Verhältnisse beizutragen, hat mich schon öfter in dieser Weise sprechen und schreiben lassen – daß ich keine persönlichen Absichten dabei verfolge, wissen Sie Alle gewiß.

An den Frauen wäre es also vor allen Dingen, ihr Haus so zu ordnen, daß es Mann, Kindern und Gesinde wohl darin sein kann. Dies läßt sich durch vernünftige Eintheilung der Arbeit in kleinen wie in großen Verhältnissen erreichen. Aber dazu gehört vor allen Dingen, daß die Frau mit ganzer Seele sich den Pflichten des Haushaltes widmet, jede Arbeit selbst versteht und sie im Nothfalle selbst mustergültig thun kann. Es ist unglaublich, wie rasch die Dienstboten den sachverständigen Tadel von dem unbestimmten zu unterscheiden wissen, wie sie gegen den ersteren schweigen und gegen den letzteren grob werden.

Dann entspringt aber noch ein anderer großer Vortheil aus diesem Selbstkönnen und Wissen: eine solche Frau wird niemals ihr Dienstmädchen mit übertriebenen Forderungen belasten. Wer selbst die Erfahrung hat, wie viel Zeit es braucht, ein Geschäft richtig zu thun, wird es nie in der Hälfte dieser Zeit verlangen. Ich bin oft erstaunt über unsere jungen Frauen: je untüchtiger sie selbst zu jeder Arbeit sind, je mehr dem Innern ihres Hauses entfremdet, um so anspruchsvoller werden sie gegen die Einzige, welcher sie sowohl grobe als feine Arbeit zumuthen, ganz uneingedenk des sehr wahren Wortes: ‚Du hast an Deiner Magd keine Sclavin, sondern eine Gehülfin‘. Die ‚Gehülfin‘ aber setzt eben eigene Thätigkeit voraus.“

„Sie haben in Vielem Recht,“ versetzte nun Frau Meier, „es würde Vieles, so namentlich auch die Erziehung der Kinder, besser stehen, wenn die Frauen selbst vernünftiger wären. Aber alles Uebel läßt sich damit nicht wegschaffen. Die Dienstboten von heutzutage sind, sogut wie die Arbeiter, fauler, widerspenstiger und genußsüchtiger, als sie es früher waren. Es ist für mittlere und kleinere Verhältnisse kaum mehr möglich, eine ordentliche Person zu bekommen oder zu behalten. Wie viele von uns haben diese Erfahrung gemacht und zuletzt Muth und Lust verloren!“

[244] „Ich kann auf diesen sehr begründeten Einwand nur antworten, daß er den großen, socialen Umschwung berührt, welcher in allen Lebensgebieten sich mächtig fühlbar macht. Für einzelne Classen der Gesellschaft ist es eine harte, eiserne Zeit, und wir, als die Generation des Uebergangs, leiden am meisten davon. Aber sehen Sie um sich: das Jagen nach materiellem Genuß, nach raschem Reichthum bei möglichst wenig Anstrengung – ist ja allgemein; sollten die Dienenden allein von dem Fieber nicht ergriffen werden? Und wäre es nicht an uns, hier mit gutem Beispiel ihnen voranzugehen, statt den Luxus zu pflegen und dann nur plötzlich wieder an den Dienstboten sparen zu wollen? Allerdings werden die kleinen Beamten- und Rentiersfamilien die Concurrenz um tüchtig geschulte Dienstboten nicht mehr mitmachen können, aber dafür ist die Haushaltungsarbeit durch die Hülfsmittel unserer modernen Zustände so vereinfacht, daß die Töchter eines solchen Hauses sie mit leichter Mühe und vielleicht einer Hülfe für die gröbste Arbeit selbst versehen können. Dabei müßten sie freilich jenen mühsam gewahrten Schein der ‚Damenhaftigkeit‘ aufgeben, der ohnedies in keiner Weise zu solchen Zuständen paßt.“

„Oder aber selbst Etwas erwerben,“ sagte Frau Michaelis, „wenn sie den Standeshochmuth bei Seite setzen und bedenken wollen, daß heutzutage mit Verdienen mehr zu machen ist, als mit Sparen.“

„Wir kommen weit von unserem eigentlichen Thema ab,“ warf Fräulein Dernburg ein. „Die Frau Doctorin ist uns das eigentliche Recept, aus schlechten Dienstboten gute zu machen, noch schuldig. Ich wäre Ihnen für einige specielle Winke in dieser Beziehung, wie ich ehrlich gestehen muß, sehr dankbar, denn mit dem allgemeinen Klagen über die Unvernunft der Frauen ist im Grunde wenig geleistet.“

„Das ‚Recept‘,“ sagte Frau Heyne mit einem ernsthaften Blick nach ihrem Gegenüber, „ist dasselbe, wie zum friedlichen Umgang mit allen anderen Mitmenschen auch: Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Menschenliebe, nebst unbeugsamer Consequenz im Festhalten des einmal für recht Erkannten. Eine Frau, welche diese Eigenschaften, die Resultate einer tüchtigen Erziehung, in ihrem täglichen Leben bethätigt, wird nie über schlechtes Gesinde klagen, denn wenn sie auch die Schlechte und Gemeine abweisen muß, so wird sie im Stande sein, durch den Eindruck ihrer eigenen Persönlichkeit mit Strenge und Güte aus der Schlechterzogenen, aber noch Gutartigen etwas Tüchtiges zu bilden, während dasselbe Mädchen bei einer anderen Frau vollends verderben würde.“

„Das ist leicht gesagt,“ lachte das Fräulein etwas spöttisch. „Man kann doch wahrhaftig nicht verlangen, daß eine Frau, die ohnedies alle Hände voll zu thun hat, sich auch noch um das ‚Innere‘ ihrer Dienstboten kümmern soll. Da heißt es: Jeder ist sich selbst der Nächste. So lange sie ordentlich arbeiten, behandelt man sie ja gut, ist dies nicht mehr der Fall – fort, ohne lange Umstände! Zu bessern ist in den meisten Fällen Nichts mehr daran, man muß nur die Rohheit dieser Leute kennen.“

„Glauben Sie,“ fragte Frau Heyne, „daß die meisten Mädchen so roh und verwahrlost wären, wenn ihre erste Frau sich die Mühe genommen hätte, in dem jungen unwissenden Geschöpf das Bewußtsein seiner eigenen Menschenwürde und das Pflichtgefühl zu erwecken, wenn sie strenge gegen Lüge und Unsittlichkeit, dagegen mild gegen die allgemeinen Jugendfehler gewesen wäre? Gewöhnlich geschieht das Umgekehrte: man rügt im heftigsten Ton dieselben Zerstreutheiten an der Magd, welche bei der Tochter des Hauses mit einem lächelnden ‚Das kommt eben nicht vor den Jahren‘ entschuldigt werden.“

„Ja, das ist aber auch etwas ganz Anderes!“ rief hier eine der bis dahin Schweigenden. „Es geht ja gleich die ganze Haushaltung verkehrt, wenn man sich nicht gegen die Unordnungen und Vergeßlichkeiten der Personen wahrt. Mit solchen Duldungen könnte man weit kommen!“

„Es ist auch nicht meine Ansicht, daß man Unordnungen dulden soll; ich glaube ganz im Gegentheile, daß man viel öfter, als es geschieht, die erste Nachlässigkeit, das erste schnippische Wort fest und bestimmt rügen soll, damit die zweite nicht sobald folgt. Die stricteste Ordnung im Hause zu handhaben, ist ja das eigentliche Amt jeder tüchtigen Frau. Aber wenn sie auch äußerlich tadeln muß, soll sie innerlich der Stimme der Billigkeit Gehör geben und sich nicht selbst in Entrüstung und Zorn hineinstürzen gegen ein junges mangelhaft erzogenes Geschöpf. Sie soll bedenken, welch harte, unerfreuliche Existenz diese Menschen auch im besten Haushalte führen. Wir haben im geselligen Verkehre, in den vielen Vergnügungen die Mittel, uns jeden häuslichen Verdruß wieder rasch von der Seele zu spülen; sie stecken den ganzen Tag in dem ewigen Einerlei der groben ermüdenden Arbeit und haben nicht die Möglichkeit, sich einmal nachzugeben, wenn sie sich müde fühlen. Glauben Sie nicht, daß die Leute davon keine Empfindung haben! Sie vergleichen ihr Loos mit dem unsrigen und saugen viel Bitterkeit daraus. Darum ist es an uns, mit Güte und Theilnahme die Kluft zu überbrücken und uns stets zu erinnern, daß es Menschenseelen sind, die hier im Schutze unseres Hauses leben, und daß die Einwirkung einer Menschenseele auf die andere allen ‚modernen Verhältnissen‘ zum Trotze ewig dieselbe bleibt.“

„Das hört sich Alles recht schön an,“ meinte kopfschüttelnd die vorige Sprecherin; „aber ich sollte denken, Sie müßten auch wissen, daß in einem häuslichen Verdrusse und den dummen, ungezogenen Reden einer erbosten Köchin gegenüber keine solche sanften Mittel anschlagen können. Da geht es eben gewöhnlich zum Bruche.“

„Ja,“ sagte Frau Heyne lächelnd, „welche Hausfrau kennt sie nicht, die Tage, wo Alles mit dem linken Fuße zuerst aufgestanden zu sein scheint und Alles verkehrt geht, wo die Oefen rauchen, Geschirre zerbrechen, das Essen anbrennt, der Gemahl brummt und die Kinder unartig sind, bis zuguterletzt noch ein großer Zank zwischen Frau und Köchin dem Ganzen die Krone aufsetzt? Ich habe solche Tage bei Anderen beobachtet und im eigenen Hause erlebt und kann Sie versichern, es wirkt Wunder, gerade dann an sich zu halten und in gutem Tone zu sagen: ‚Heute haben wir einen heißen Tag, Babette oder Katharine; aber er wird auch vorübergehen, und morgen ist’s wieder anders. Wenn Sie nicht mit Allem fertig werden können, so lassen Sie Dies oder Jenes!‘ Neunmal unter zehn Fällen wird sich die also Angeredete besinnen und bessere Saiten aufziehen. Tragen aber die Kinder durch Unart oder Bosheit eine Schuld bei der Sache, so erscheint es mir nur billig und gerecht, sie unbedingt zur Abbitte zu zwingen.“

„Nun, ich sehe schon,“ sagte Frau von Breda, „wir armen Frauen kommen schlimm bei Ihnen weg. Aber ich wäre doch neugierig, was Sie mit denjenigen Dienstmädchen anfangen wollen, die es nach Ihrem eigenen Geständnisse doch auch giebt, mit den ganz gemeinen und unverbesserlichen?“

„Mit Solchen würde ich gar nichts anfangen, sondern sie in kürzester Frist wegschicken, wie ich denn überhaupt jede Verbindung mit solchen absolut unbrauchbaren und unwürdigen Personen abbrechen würde. Glücklicher Weise sind die Gewohnheitslügnerinnen, die Diebinnen und verlorenen Mädchen, wenigstens hier in Süddeutschland, noch sehr in der Minorität. Gerade aber als wirksamen Schutz gegen solch verdorbene Elemente könnte man ein sehr einfaches Mittel vorschlagen, das auch auf die Uebrigen seine heilsame Wirkung haben würde.“

„Nun, da wäre ich denn doch begierig,“ rief Fräulein Dernburg.

„Sollten Sie nicht selbst schon in dieser Zeit der Associationen an eine Frauenverbindung in diesem Sinne gedacht haben? Wenn in jeder Stadt ein möglichst großer Kreis Frauen zusammenträte, mit dem festen gegenseitigen Versprechen, wahrheitsgetreue Zeugnisse auszustellen, was bekanntlich nie geschieht, und eine Person nicht aufzunehmen, deren Zeugnißbuch nicht das Wort ‚Ehrlichkeit‘ aufweist, wenn man einen für die verschiedenen Leistungen normirten Durchschnittslohn festsetzte und sich nicht gegenseitig durch Ueberbieten die Mädchen wegkaperte, wenn die so zusammenstehenden Frauen zugleich die Tüchtigsten und Angesehensten wären, so daß ein gutes Zeugniß von ihnen die wirksamste Empfehlung für ein braves Dienstmädchen abgäbe – wäre da nicht schon Vielem abgeholfen? Man könnte auch, ohne in Phantasterei zu verfallen, sich gemeinsame Küchen für eben die kleinen dienstbotenlosen Haushalte denken, wo unter Leitung tüchtiger älterer Mädchen gute Dienstboten systematisch herangebildet würden. Alles Das ist möglich, und jedenfalls wird [245] die steigende Schulbildung der unteren Classen dazu beitragen, Pflichtgefühl und Gesittung in unseren ‚Arbeitsgehülfen‘ so zu entwickeln, daß dieselben ihre Thätigkeit nicht mehr als eine Kette von Mühsal und Plage, sondern als eine Leistung im Dienste des Ganzen betrachten und eine Ehre darein setzen werden, richtig und tüchtig zu arbeiten. Wir Alle befinden uns in einer starkem Strömung; rückwärts zu wollen, ist nutzlos; also heißt es: Vorwärts mit hellen Augen und entschlossenem Willen! Dann wird das Kommende anders, aber gewiß nicht schlechter sein als das Alte, sondern besser und schöner.“

Frau Heyne hatte diese letzten Worte mit etwas erhobener Stimme und glänzenden Augen gesprochen, und nun trat eine kleine Pause ein. Jede der Anwesenden war mit ihren Gedanken beschäftigt. Da rief plötzlich das junge Frauchen:

„Die Sonne! Die Sonne bricht durch die Wolken! Und welches Abendroth!“

Nun war kein Halten mehr. Alles stürzte hinaus, sich des lange entbehrten Anblickes zu erfreuen, und Viele waren herzlich froh, den theoretischen Auseinandersetzungen der „gelehrten Frau“ entronnen zu sein.

„Na, Liebste,“ sprach Frau von Breda zu Fräulein Dernburg, „haben Sie je in Ihrem Leben solche Ansichten gehört? Gott behüte uns vor. solchen modernen Ideen!“

Und Du, liebe Leserin, was sagst Du zu der Sache?