Venetianische Fischerbarke
[803] Venetianische Fischerbarke. (Zu dem Bilde S. 793.) Kein Sterblicher dürfte das Alter des Schiffleins zu bestimmen wissen, das der Künstler in unserem Bilde veranschaulicht. Geflickt und kalfatert an allen Ecken und Enden, wurmstichig, vom Salzwasser des Oelanstriches längst beraubt, das Segel gleich einem Harlekingewande mit bunten Lappen bedeckt, das ganze Fahrzeug mit seinen schmutzigen Netzen, Körben, Fischbehältern und sonstigem Handwerkszeug einer Trödlerbude ähnlich: so treibt es hinaus in die unabsehbare, in allen Farben des Regenbogens schimmernde Fluth, vergoldet von den Strahlen der Morgensonne. Wie die kräftigen, geschmeidigen Männergestalten mit ihren wie in Bronze gegossenen Zügen scherzend und lachend hantieren! So mögen einst die Urväter des Völkchens vor vierzehnhundert Jahren als die ersten Bewohner der nachmaligen Beherrscherin des Meeres ausgezogen sein nach der geschuppten Beute.
Sie selbst, die rüstigen Gesellen, wissen allerdings so wenig von ihren Ahnen wie von der Poesie ihrer gottbegnadeten Heimath.
Ihr Sinn strebt ausschließlich nach nützlichen Zielen, zumal heute, da sie sich, wie die windgeschwellten Barkensegel in der Ferne verrathen, ein wenig verspätet haben. Was der Mann aus der vom leichten Morgendunst verschleierten Barke soeben herüberrief, klang nicht eben schmeichelhaft für die Langschläfer in unserem Schiffe. Indessen nur der Hauptschuldige, [804] welcher die Segelleine anziehend dem Spötter den Rücken kehrt, macht darob ein grimmiges Gesicht, während seine Gefährten die Sache von der heiteren Seite nehmen.
„Per bacco, so geht es mit jungen Ehemännern,“ meint wohl der Häuptling, der „Capo“ der kleinen Gesellschaft, mit dem vom Strohhute beschatteten Gesichte. „Hätte ich Beppo nicht selbst aus seiner Koje geholt, er wäre jetzt noch nicht hier!“
„Ostia, mir ginge es um kein Haar besser,“ entgegnet der Mann am Steuer lachend. „Uebrigens, Glück bringt Glück, wer weiß, ob Memmo, der seine Backen so weit aufthut, sein Netz voller bekommt als wir!“
Ja, wer weiß, und wenn auch nicht, was liegt daran? „Ist’s heute nicht, so ist’s morgen,“ denkt das leichtlebige Völkchen, dem die Sorge für das Uebermorgen kaum in den Sinn kommt. Wozu auch? Das Leben kostet so wenig! Die Hauptnahrung spendet das Meer in unerschöpflicher Fülle; ein paar Soldi für die goldgelbe Polenta als Zuthat, für einige Cigaretten und einen Schluck Nostrano (Landwein) als Würze trägt auch der magerste Fang. Die Holzschuhe dauern eine ganze, die übrigen Stücke der Kleidung mit Hilfe irgend einer nadelkundigen Schönen eine halbe Lebenszeit aus, um das Obdach aber bangt den glücklichen nicht, da die alte Barke im Nothfall der ganzen Bemannung Unterschlupf bietet.