Verordnung, betreffend das Verfahren vor den auf Grund des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes errichteten Schiedsgerichten

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Gesetzestext
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Titel: Verordnung, betreffend das Verfahren vor den auf Grund des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes errichteten Schiedsgerichten.
Abkürzung:
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Geltungsbereich:
Rechtsmaterie:
Fundstelle: Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1890, Nr. 33, Seite 193 - 202
Fassung vom: 1. Dezember 1890
Ursprungsfassung:
Bekanntmachung: 4. Dezember 1890
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(Nr. 1922.) Verordnung, betreffend das Verfahren vor den auf Grund des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes errichteten Schiedsgerichten. Vom 1. Dezember 1890.

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc.

verordnen auf Grund des §. 74 Absatz 5 des Gesetzes, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung, vom 22. Juni 1889 (Reichs-Gesetzbl. S. 97) im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths, was folgt:

I. Allgemeine Bestimmungen.[Bearbeiten]

Beeidigung der Mitglieder des Schiedsgerichts.[Bearbeiten]

§. 1.[Bearbeiten]

Der Vorsitzende des Schiedsgerichts und dessen Stellvertreter werden von einem Beauftragten der Landes-Zentralbehörde (§. 71 Absatz 2 des Gesetzes), die Beisitzer dagegen von dem Vorsitzenden des Schiedsgerichts für die Erfüllung der Obliegenheiten ihres Amts beeidigt.
Die Beeidigung der Beisitzer erfolgt bei ihrer ersten Dienstleistung in öffentlicher Sitzung.
Im Uebrigen finden auf die Beeidigung die Vorschriften des §. 51 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechende Anwendung.

Befugnisse des Vorsitzenden.[Bearbeiten]

§. 2.[Bearbeiten]

Die Leitung und Beaufsichtigung des Geschäftsganges bei dem Schiedsgericht liegt dem Vorsitzenden ob. Er eröffnet die eingehenden Sendungen, vertheilt [194] die Geschäfte, bestimmt die Sitzungen, zeichnet die Verfügungen, vollzieht die Reinschriften und trifft in Beziehung auf die Führung der Geschäftskontrolen die erforderlichen Anordnungen.
Bei Beginn eines jeden Geschäftsjahres bezeichnet der Vorsitzende, sofern nicht durch das Statut der Versicherungsanstalt über die Wahl von Hülfsbeisitzern besondere Bestimmungen getroffen sind, diejenigen am Orte des Schiedsgerichts oder in dessen näherer Umgebung wohnenden Beisitzer aus der Klasse der Arbeitgeber und der Versicherten, welche bei etwaigem Ausbleiben der geladenen Beisitzer aushülfsweise zu den Sitzungen herangezogen werden sollen (Hülfsbeisitzer).
Im Uebrigen werden die Beisitzer, sofern das Statut nicht ein Anderes bestimmt, getrennt nach Arbeitgebern und Arbeitnehmern, in der Regel in alphabetischer Reihenfolge zu den Sitzungen zugezogen. Will der Vorsitzende aus besonderen Gründen von dieser Reihenfolge abweichen, so sind die hierfür maßgebenden Gründe aktenkundig zu machen. Dasselbe gilt hinsichtlich der Hülfsbeisitzer.
Die Beisitzer haben dem Vorsitzenden Anzeige zu machen, wenn durch Aenderung in ihren persönlichen Verhältnissen die Voraussetzungen ihrer Wählbarkeit (§§. 50 und 52 in Verbindung mit §. 71 Absatz 3 des Gesetzes) nachträglich wegfallen.
Beisitzer, von denen dem Vorsitzenden bekannt wird, daß sie die Wählbarkeit verloren haben, sind zu den Sitzungen einstweilen nicht einzuberufen. Erkennt der Beisitzer den Wegfall der Wählbarkeit an, so ist er durch den Vorsitzenden vom Amt zu entheben. Anderenfalls hat der Vorsitzende bei der höheren Verwaltungsbehörde desjenigen Orts, an welchem sich der Sitz des Schiedsgerichts befindet, die Enthebung zu beantragen. Die Fähigkeit eines Beisitzers, als solcher an einer Sitzung theilzunehmen, erlischt erst mit der Enthebung vom Amt.

Ablehnung der Mitglieder des Schiedsgerichts.[Bearbeiten]

§. 3.[Bearbeiten]

Die Bestimmungen in den §§. 41 ff. der Civilprozeßordnung über die Ausschließung und Ablehnung der Richter finden auf die Mitglieder der Schiedsgerichte entsprechende Anwendung. Jedoch beschließt über ein Ablehnungsgesuch in Betreff des Vorsitzenden das Schiedsgericht, in Betreff der Beisitzer der Vorsitzende.
Bei dem Beschluß über ein Ablehnungsgesuch in Betreff des Vorsitzenden hat dieser nicht mitzuwirken. An seiner Stelle führt dabei der dem Lebensalter nach ältere Beisitzer den Vorsitz. Ergiebt sich bei der Abstimmung über das Gesuch Stimmengleichheit, so gilt dasselbe für abgelehnt.
Der Beschluß kann, wenn das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt wird, nicht für sich allein, sondern nur mit der Entscheidung in der Hauptsache angefochten werden. [195]

II. Vorschriften über das Verfahren.[Bearbeiten]

Erhebung der Berufung.[Bearbeiten]

§. 4.[Bearbeiten]

Die Berufung auf schiedsgerichtliche Entscheidung muß binnen der vorgeschriebenen Frist (§§. 77 Absatz 2, 136 Absatz 3 des Gesetzes) bei dem Vorsitzenden des Schiedsgerichts eingegangen sein.
In der Berufung ist der Gegenstand des Anspruchs zu bezeichnen, desgleichen sind die für die Entscheidung maßgebenden Thatsachen unter Angabe der Beweismittel für dieselben anzuführen.
Bei schriftlicher Erhebung der Berufung ist dem Schriftsatze eine Abschrift beizufügen; wird die Berufung von dem Staatskommissar erhoben, so sind zwei Abschriften beizufügen.

Zuständigkeit der Schiedsgerichte.[Bearbeiten]

§. 5.[Bearbeiten]

Sind für den Bezirk einer Versicherungsanstalt mehrere Schiedsgerichte errichtet (§. 70 des Gesetzes), so ist für die Berufung dasjenige Schiedsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Versicherte zuletzt seinen Beschäftigungsort (§§. 41 Absatz 3, 119, 120 des Gesetzes) gehabt hat. Waren dagegen die letzten Beiträge auf Grund freiwilliger Fortsetzung der Versicherung entrichtet worden, so ist dasjenige Schiedsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Versicherte zur Zeit der letzten Beitragsentrichtung sich aufgehalten hat (§. 117 des Gesetzes). Die Berufung gilt jedoch als rechtzeitig erhoben, wenn sie innerhalb der vorgeschriebenen Frist (§§. 77 Absatz 2, 136 Absatz 3 des Gesetzes) bei dem Vorsitzenden des in dem angefochtenen Bescheide (§. 77 Absatz 2 des Gesetzes) als zuständig bezeichneten Schiedsgerichts eingelegt ist, ohne Rücksicht darauf, ob diese Bezeichnung zutreffend war oder nicht.
Ist die Berufung bei einer nicht zuständigen Stelle eingelegt, so ist der Schriftsatz unter Benachrichtigung des Berufenden unverzüglich an den Vorsitzenden des zuständigen Schiedsgerichts abzugeben.
Entsteht unter mehreren Schiedsgerichten Streit über ihre Zuständigkeit, so entscheidet das Reichs-Versicherungsamt.

Abweisung durch Bescheid.[Bearbeiten]

§. 6.[Bearbeiten]

Ist die Berufung nicht rechtzeitig eingelegt, oder ist das Schiedsgericht gesetzlich zur Entscheidung über die der Berufung zu Grunde liegenden Beschwerdepunkte nicht zuständig, oder stellen sich die Berufungsanträge sofort als rechtlich [196] unzulässig oder offenbar unbegründet heraus, so kann der Vorsitzende die Berufung durch einen mit Gründen zu versehenden Bescheid zurückweisen.
Der Berufende ist befugt, innerhalb zwei Wochen vom Tage der Zustellung des Bescheides ab die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung zu beantragen. Für Seeleute, welche sich außerhalb Europas aufhalten, gilt hinsichtlich dieser Frist die Bestimmung des §. 136 Absatz 3 des Gesetzes.
Die vorstehende Befugniß ist dem Berufenden in dem Bescheide zu eröffnen.

Einsendung der Vorverhandlungen.[Bearbeiten]

§. 7.[Bearbeiten]

Die Vorstände der Versicherungsanstalten haben dem Vorsitzenden des Schiedsgerichts auf dessen Erfordern die auf den streitigen Anspruch bezüglichen Vorverhandlungen einzusenden.

Beantwortung der Berufung.[Bearbeiten]

§. 8.[Bearbeiten]

Sofern der Fall des §. 6 Absatz 1 nicht vorliegt, hat der Vorsitzende die Berufung dem Gegner, sowie dem Staatskommissar abschriftlich unter der Anheimgabe mitzutheilen, binnen einer bestimmten, von einer Woche bis zu vier Wochen zu bemessenden Frist eine Gegenschrift einzureichen. Hierbei ist zugleich darauf hinzuweisen, daß, wenn eine Gegenschrift innerhalb der Frist nicht eingeht, die Entscheidung nach Lage der Akten erfolgen werde. Die Frist kann auf Antrag aus wichtigen Gründen verlängert werden.
Der Gegenschrift ist zur Zustellung an den Gegner eine Abschrift beizufügen; der Staatskommissar, und, wenn es sich um einen Rentenanspruch handelt, die Versicherungsanstalt haben zwei Abschriften beizufügen.
In einfacheren Fällen sowie dann, wenn das thatsächliche Verhältniß aus vorliegenden Akten und Urkunden sich feststellen läßt, kann sofort ohne vorgängigen Schriftwechsel Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt werden. Den Betheiligten sind alsdann gleichzeitig mit der Benachrichtigung vom Termin die Abschriften der Berufung mitzutheilen.

Unterzeichnung der Schriftsätze und Vertretung der Parteien.[Bearbeiten]

§. 9.[Bearbeiten]

Berufungen und Gegenschriften müssen entweder von den Betheiligten selbst oder von ihren gesetzlichen Vertretern oder von ihren Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Die Vollmacht muß schriftlich ertheilt werden.
Das Schiedsgericht kann Vertreter, welche, ohne Rechtsanwälte zu sein, die Vertretung geschäftsmäßig betreiben, zurückweisen.
Die Prozeßfähigkeit einer Partei sowie die Legitimation eines Vertreters sind von Amtswegen zu prüfen. [197]
Nichtprozeßfähigen Parteien, welche ohne gesetzlichen Vertreter sind, kann bis zum Eintritt des gesetzlichen Vertreters von dem Vorsitzenden ein besonderer Vertreter bestellt werden. Derselbe ist befugt, alle Parteirechte zum Zweck der Durchführung des Feststellungsverfahrens wahrzunehmen. Eine Befugniß zur Empfangnahme von Zahlungen steht demselben nicht zu. Das Gleiche gilt, wenn der Aufenthaltsort des gesetzlichen Vertreters unbekannt oder vom Sitze des Schiedsgerichts weit entfernt ist. Die nichtprozeßfähige Partei ist auf ihr Verlangen selbst zu hören. Die Kosten des besonderen Vertreters gelten als außergerichtliche Kosten.

Mündliche Verhandlung.[Bearbeiten]

§. 10.[Bearbeiten]

Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung erfolgen, wenn alle Betheiligten auf eine solche ausdrücklich verzichten.
Im Uebrigen erfolgt die Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung vor dem Schiedsgericht. Der Termin hierzu wird von dem Vorsitzenden anberaumt.
Die Betheiligten werden von dem Termin, in der Regel mittelst eingeschriebenen Briefes, mit dem Bemerken in Kenntniß gesetzt, daß im Falle ihres Ausbleibens nach Lage der Akten werde entschieden werden. Ein Ausweis hierüber muß zu den Akten gebracht werden.
Hält das Schiedsgericht das persönliche Erscheinen eines Betheiligten für angemessen, so hat dasselbe die nach Lage des Falles an das Nichterscheinen sich knüpfenden Nachtheile in der Vorladung besonders zu bezeichnen.

Ort der Verhandlung.[Bearbeiten]

§. 11.[Bearbeiten]

Die mündliche Verhandlung findet in der Regel am Sitze des Schiedsgerichts statt. Der Vorsitzende ist jedoch befugt, das Schiedsgericht zu einer Sitzung an einen anderen Ort seines Bezirks zu berufen, wenn dies zur Ersparung von Kosten oder Reisen, zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur Erleichterung der Beweisaufnahme zweckmäßig erscheint.

Oeffentlichkeit des Verfahrens.[Bearbeiten]

§. 12.[Bearbeiten]

Die mündliche Verhandlung erfolgt in öffentlicher Sitzung. Die Oeffentlichkeit kann durch einen öffentlich zu verkündenden Beschluß ausgeschlossen werden, wenn das Schiedsgericht dies aus Gründen des öffentlichen Wohles oder der Sittlichkeit für angemessen erachtet.
Die Vorschriften der §§. 176 bis 184 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Aufrechthaltung der Ordnung finden entsprechende Anwendung. Ueber die Beschwerde gegen Ordnungsstrafen entscheidet endgültig die Aufsichtsbehörde (§. 25 Absatz 1). [198]

§. 13.[Bearbeiten]

Die mündliche Verhandlung beginnt mit der Darstellung des Sachverhalts durch den Vorsitzenden oder durch einen von diesem ernannten Berichterstatter. Demnächst sind die erschienenen Betheiligten zu hören.
Der Staatskommissar muß auf seinen Antrag jederzeit gehört werden. Ihm sowie jedem Beisitzer hat der Vorsitzende auf Verlangen zu gestatten, Fragen zu stellen.
Die zum Zweck der Klarstellung des Sachverhalts gestellten Anträge des Staatskommissars dürfen vom Schiedsgericht nur abgelehnt werden, wenn nach der Auffassung desselben aus Befolgung des Antrages überwiegende Nachtheile zu besorgen sein würden.

Erledigung der Berufung durch Vergleich.[Bearbeiten]

§. 14.[Bearbeiten]

Eine Berufung kann durch Vergleich erledigt werden, wenn sich derselbe auf den streitigen Anspruch selbst und auf die etwaigen außergerichtlichen Kosten erstreckt. Der Vergleich bedarf der Zustimmung des Staatskommissars, soweit es sich nicht um Erstattung von Beiträgen handelt (§. 95 des Gesetzes). Die Zustimmung gilt als ertheilt, wenn der Staatskommissar im Falle seiner Anwesenheit bei der Verhandlung nicht sofort, anderenfalls nicht binnen einer Woche nach Mittheilung des Vergleichs widerspricht.

Sitzungsprotokoll.[Bearbeiten]

§. 15.[Bearbeiten]

Die mündliche Verhandlung erfolgt unter Zuziehung eines vereidigten Protokollführers.
Von demselben ist ein Protokoll aufzunehmen, welches die Namen des Vorsitzenden und der mitwirkenden Beisitzer, deren Eigenschaft als Vorsitzender, Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, sowie einen Vermerk über die Betheiligung des Staatskommissars enthält und den Gang der Verhandlung im Allgemeinen angiebt.
Außerdem sind durch Aufnahme in das Protokoll festzustellen:
1. Erklärungen der Parteien, welche die Zurücknahme einer Berufung bezwecken, ferner Anerkenntnisse, Verzichtleistungen, Vergleiche;
2. solche Anträge und Erklärungen der Betheiligten, welche von den Schriftsätzen abweichen;
3. die Aussagen der Zeugen und Sachverständigen, soweit dieselben früher nicht abgehört waren oder von ihrer früheren Aussage abweichen;
4. die Ergebnisse eines Augenscheins;
5. Beschlüsse des Schiedsgerichts sowie die Formel der Entscheidung. [199]
Das Protokoll ist, soweit in demselben Vergleiche, Anerkenntnisse oder Verzichtleistungen festgestellt worden sind, den Betheiligten vorzulesen. In dem Protokoll ist zu bemerken, daß die Vorlesung stattgefunden hat und daß die Genehmigung erfolgt ist, oder welche Einwendungen erhoben worden sind.
Das Protokoll ist von dem Vorsitzenden und dem Protokollführer zu unterzeichnen.

Beweisaufnahme.[Bearbeiten]

§. 16.[Bearbeiten]

Das Gericht hat den nach seinem Ermessen zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweis in vollem Umfange zu erheben, ohne Rücksicht darauf, ob dieser Beweis von den Parteien angetreten worden ist oder nicht.
Der Vorsitzende ist befugt, zur mündlichen Verhandlung auch ohne vorausgehenden Beschluß des Schiedsgerichts Zeugen und Sachverständige vorzuladen, sowie das persönliche Erscheinen eines Betheiligten anzuordnen (§. 10 Absatz 4).
Die Beweiserhebung erfolgt in der Regel in der mündlichen Verhandlung. Das Schiedsgericht ist jedoch befugt, den Beweis durch ein Mitglied oder gemäß §. 141 des Gesetzes durch eine öffentliche Behörde erheben zu lassen. Geeignetenfalls steht die Befugniß der Beweiserhebung auch dem Vorsitzenden schon vor Anberaumung des Termins zur mündlichen Verhandlung zu.
Die Beweisverhandlungen sind unter Zuziehung eines vereidigten oder durch Handschlag zu verpflichtenden Protokollführers aufzunehmen; die Betheiligten sind zu benachrichtigen.

§. 17.[Bearbeiten]

Hinsichtlich der Verpflichtung, sich als Zeuge oder Sachverständiger vernehmen zu lassen, finden die Vorschriften der Civilprozeßordnung entsprechende Anwendung.
Gegen die von dem Schiedsgericht über die Rechtmäßigkeit der Weigerung getroffene Entscheidung findet binnen einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung derselben Beschwerde an das Reichs-Versicherungsamt statt; dieselbe ist schriftlich bei dem Schiedsgericht einzulegen. Für Seeleute, welche sich außerhalb Europas aufhalten, bewendet es hinsichtlich dieser Frist bei der Vorschrift des §. 136 Absatz 3 des Gesetzes.
Die Verhängung von Zwangsmaßregeln, sowie die Festsetzung von Strafen gegen Zeugen und Sachverständige, welche ausbleiben oder ihre Aussage oder deren Beeidigung verweigern, erfolgt auf Ersuchen durch das Amtsgericht, in dessen Bezirk dieselben ihren Wohnsitz oder in Ermangelung eines solchen ihren Aufenthalt haben. Auf Militärpersonen, welche dem aktiven Heere oder der aktiven Marine angehören, finden die Bestimmungen der §§. 345 Absatz 4 und 355 Absatz 4 der Civilprozeßordnung Anwendung.
Die Zeugen und Sachverständigen erhalten Gebühren nach Maßgabe der Gebührenordnung vom 30. Juni 1878 (Reichs-Gesetzbl. S. 173). [200]

Entscheidung.[Bearbeiten]

§. 18.[Bearbeiten]

Das Schiedsgericht entscheidet innerhalb der erhobenen Ansprüche nach freiem Ermessen. Bilden sich in Beziehung auf Summen, über welche die Entscheidung freisteht, drei Meinungen, so ist die mittlere maßgebend.
Die Berathung und Beschlußfassung erfolgt in nichtöffentlicher Sitzung; hierbei dürfen nur Mitglieder mitwirken, vor welchen die mündliche Verhandlung stattgefunden hat.

Kosten.[Bearbeiten]

§. 19.[Bearbeiten]

Das Schiedsgericht entscheidet, ohne daß es eines Antrags bedarf, auch darüber, ob und in welchem Betrage eine unterliegende Partei dem Gegner die ihm in dem Verfahren vor dem Schiedsgericht erwachsenen Kosten zu erstatten hat.
Dem Staatskommissar werden Kosten nicht erstattet; ebensowenig sind ihm Kosten zur Erstattung aufzuerlegen. Wenn die Berufung von dem Staatskommissar eingelegt worden, so sind die dem obsiegenden Theile etwa zuzusprechenden Kosten von der Versicherungsanstalt zu erstatten.
Die von einer Partei zu erstattenden außergerichtlichen, sowie die nach §. 74 Absatz 6 des Gesetzes einem Betheiligten zur Last gelegten gerichtlichen Kosten werden durch Vermittelung des Schiedsgerichts in derselben Weise beigetrieben, wie Gemeindeabgaben.

Abstimmung.[Bearbeiten]

§. 20.[Bearbeiten]

Bei der Abstimmung stimmt der etwa bestellte Berichterstatter (§. 13) zuerst. Im Uebrigen richtet sich bei der Abstimmung der Beisitzer die Reihenfolge nach dem Lebensalter dergestalt, daß der Jüngere zuerst stimmt. Der Vorsitzende stimmt in allen Fällen zuletzt.

Verkündung.[Bearbeiten]

§. 21.[Bearbeiten]

Der Vorsitzende verkündet den Beschluß oder die Entscheidung in öffentlicher Sitzung durch Verlesung des Beschlusses oder der Entscheidungsformel.
Wird die Verkündung der Gründe für angemessen gehalten, so erfolgt sie durch Verlesung derselben oder durch mündliche Mittheilung des wesentlichen Inhalts.
Die Verkündung kann auf eine spätere Sitzung vertagt werden, welche in der Regel binnen einer Woche stattfinden soll. [201]

Form und Ausfertigung der Entscheidung.[Bearbeiten]

§. 22.[Bearbeiten]

Die Entscheidungen enthalten eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstandes auf Grundlage der gesammten Verhandlungen unter Hervorhebung der in der Sache gestellten Anträge (Thatbestand), ferner die Entscheidungsgründe und die von der Darstellung des Thatbestandes und der Entscheidungsgründe äußerlich zu sondernde Urtheilsformel. Die Entscheidungen sind in der Urschrift von dem Vorsitzenden und den Beisitzern, welche bei denselben mitgewirkt haben, zu unterschreiben.

§ 23.[Bearbeiten]

Bei den Ausfertigungen der Entscheidungen sind im Eingänge die Mitglieder des Schiedsgerichts, welche an der Entscheidung theilgenommen haben, nach Maßgabe des §. 15 namentlich aufzuführen, und der Sitzungstag, an welchem die Entscheidung erfolgt ist, zu bezeichnen.
Die Ausfertigungen enthalten neben dem Siegel des Schiedsgerichts (§. 24) die Schlußformel:
„Urkundlich unter Siegel und Unterschrift.“
„Das Schiedsgericht für . . . . . . . . . . . . . . “
Die Vollziehung erfolgt durch den Vorsitzenden.

§. 24.[Bearbeiten]

Das Schiedsgericht führt ein Siegel, welches durch die für den Sitz des Schiedsgerichts zuständige Landes-Zentralbehörde bestimmt wird.

Geschäftsbetrieb und Beschwerden.[Bearbeiten]

§. 25.[Bearbeiten]

Die Schiedsgerichte unterliegen der Beaufsichtigung durch die für ihre Sitze zuständigen Landes-Zentralbehörden oder die von denselben zu bestimmenden anderen Behörden.
Auf Beschwerden über eine das Prozeßverfahren vor dem Schiedsgericht leitende Verfügung entscheidet das Reichs-Versicherungsamt.

Geschäftssprache.[Bearbeiten]

§. 26.[Bearbeiten]

In Betreff der Geschäftssprache vor dem Schiedsgericht finden die Bestimmungen in den §§. 186 ff. des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechende Anwendung. Eingaben, welche nicht in deutscher Sprache abgefaßt sind, werden nicht berücksichtigt. [202]

Geschäftsbericht.[Bearbeiten]

§. 27.[Bearbeiten]

Am Schlusse eines jeden Jahres hat der Vorsitzende des Schiedsgerichts dem Reichs-Versicherungsamt zu dem von demselben zu bestimmenden Zeitpunkte und nach einem von demselben vorzuschreibenden Formular einen Geschäftsbericht einzureichen.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel.
Gegeben Berlin, den 1. Dezember 1890.
(L. S.)  Wilhelm.

  von Boetticher.