Verordnung, betreffend die Rechtsverhältnisse im Schutzgebiete der Marschall-Inseln
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(Nr. 1892.) Verordnung, betreffend die Rechtsverhältnisse im Schutzgebiete der Marschall-Inseln. Vom 7. Februar 1890.
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc.
verordnen auf Grund des Gesetzes, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete (Reichs-Gesetzbl. 1888 S. 75), für das Schutzgebiet der Marschall-Inseln in Ergänzung der Verordnung vom 13. September 1886 (Reichs-Gesetzbl. S. 291), was folgt:
§. 1.
- Der §. 6 Absatz 1 der Verordnung vom 13. September 1886 wird durch folgende Bestimmung ersetzt:
- In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten sind in dem Verfahren vor den Gerichtsbehörden des Schutzgebietes alle Entscheidungen, einschließlich der auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergehenden, von Amtswegen zuzustellen. Diese Vorschrift findet auch auf die Zustellung der Zahlungs- und Vollstreckungsbefehle an den Schuldner, sowie der Pfändungs- und Ueberweisungsbeschlüsse an den Schuldner und den Drittschuldner Anwendung. Für Beschlüsse, welche ausschließlich die Prozeß- oder Sachleitung, einschließlich der Bestimmung oder Aenderung von Terminen betreffen, genügt die Verkündung.
§. 2.
- Der §. 7 Absatz 1 der Verordnung vom 13. September 1886 wird durch folgende Bestimmung ersetzt:
- Die Zwangsvollstreckung im Schutzgebiete erfolgt ausschließlich durch die zur Ausübung der Gerichtsbarkeit erster Instanz ermächtigten Beamten. Der Beibringung einer vollstreckbaren Ausfertigung bedarf es [56] nicht, soweit dieselbe von dem Gerichtsschreiber der Gerichtsbehörde, durch welche die Zwangsvollstreckung zu erfolgen hat, zu ertheilen sein würde.
§. 3.
- In Strafsachen findet die Hauptverhandlung ohne die Zuziehung von Beisitzern statt, wenn der Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens eine Handlung zum Gegenstande hat, welche zur Zuständigkeit der Schöffengerichte oder zu den in den §§. 74, 75 des Gerichtsverfassungsgesetzes bezeichneten Vergehen gehört.
§. 4.
- Der Angeklagte kann auf seinen Antrag oder von Amtswegen wegen großer Entfernung seines Aufenthaltsortes oder wegen sonstiger Hindernisse von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden werden, wenn nach dem Ermessen der Gerichtsbehörde voraussichtlich keine andere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe oder Einziehung, allein oder in Verbindung mit einander, zu erwarten steht.
§. 5.
- Die Gerichtsbarkeit in den zur Zuständigkeit der Schwurgerichte gehörenden Sachen wird der Gerichtsbehörde erster Instanz in Jaluit übertragen.
- Für diese Sachen finden die Vorschriften Anwendung, welche für die im §. 28 des Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit bezeichneten Strafsachen gelten.
§. 6.
- Als Berufungs- und Beschwerdegericht wird für das Schutzgebiet an Stelle des Reichsgerichts und des deutschen Konsulargerichts in Apia (Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit §§. 18, 36, 43, Verordnung vom 13. September 1886 §. 4) eine Gerichtsbehörde zweiter Instanz am Sitze des Kaiserlichen Kommissars errichtet, welche aus dem zur Ausübung der Gerichtsbarkeit zweiter Instanz ermächtigten Beamten als Vorsitzenden und vier Beisitzern besteht.
- Auf die Beisitzer und den Gerichtsschreiber finden die Vorschriften in §. 6 Absatz 2, §§. 7, 8, 10 des Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit entsprechende Anwendung.
- Der §. 4 der Verordnung vom 13. September 1886 tritt außer Kraft.
§. 7.
- In dem Verfahren vor der Gerichtsbehörde zweiter Instanz nehmen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in Konkurssachen und in den zur streitigen Gerichtsbarkeit nicht gehörenden Angelegenheiten die Beisitzer nur an der mündlichen [57] Verhandlung, sowie an den im Laufe oder auf Grund derselben ergehenden Entscheidungen, theil. Jedoch erfolgt die Entscheidung über das Rechtsmittel der Beschwerde unter Mitwirkung der Beisitzer, wenn die angefochtene Entscheidung unter Mitwirkung von Beisitzern ergangen ist.
- In dem Verfahren zweiter Instanz ist eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht geboten und findet der §. 269 der Civilprozeßordnung keine Anwendung.
- Die Vorschriften in §§. 464 und 468 der Civilprozeßordnung gelten auch für das Verfahren zweiter Instanz.
§. 8.
- In Strafsachen findet vor der Gerichtsbehörde zweiter Instanz in Bezug auf die Zuziehung der Beisitzer die Vorschrift des §. 30 des Gerichtsverfassungsgesetzes mit der oben im §. 7 Absatz 1 bezeichneten Maßgabe Anwendung.
- Den Umfang der Beweisaufnahme bestimmt das Gericht, ohne hierbei durch Anträge, Verzichte oder frühere Beschlüsse gebunden zu sein.
- Die Mitwirkung einer Staatsanwaltschaft findet nicht statt.
- Der nicht auf freiem Fuße befindliche Angeklagte hat Anspruch auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung, wenn er sich am Orte des Berufungsgerichts befindet.
- In den im §. 5 Absatz 1 bezeichneten Sachen ist die Vertheidigung auch in der Berufungsinstanz nothwendig. In der Hauptverhandlung ist die Anwesenheit des Vertheidigers erforderlich; der §. 145 der Strafprozeßordnung findet Anwendung.
- Im Uebrigen verbleibt es bei den Vorschriften im §. 40 des Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit.
§. 9.
- Die Todesstrafe ist durch Erschießen oder Erhängen zu vollstrecken.
- Der Kaiserliche Kommissar bestimmt, welche der beiden Vollstreckungsarten in dem einzelnen Falle stattzufinden hat.
§. 10.
- In dem Verfahren vor den Gerichtsbehörden im Schutzgebiete finden das Gerichtskostengesetz und die Gebührenordnungen für Gerichtsvollzieher, für Zeugen und Sachverständige, sowie für Rechtsanwälte keine Anwendung.
- Die Vorschriften, welche an Stelle der bezeichneten Gesetze zu treten haben, werden von dem Reichskanzler erlassen.
- Der §. 9 der Verordnung vom 13. September 1886 tritt außer Kraft.
§. 11.
- Der §. 46 des Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit bleibt außer Anwendung; Geldstrafen fließen ebenso wie die Gerichtskosten zur Kasse der Landesverwaltung des Schutzgebietes. [58]
§. 12.
- Diese Verordnung tritt am 1. April 1890 in Kraft.
- Die in diesem Zeitpunkte bei dem Reichsgericht oder dem deutschen Konsulargericht in Apia anhängigen Berufungs- und Beschwerdesachen werden nach den bisherigen Vorschriften erledigt.
- Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel.
- Gegeben Berlin, den 7. Februar 1890.