Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 17. Juni 2004 zur Benutzung des Bundesarchivs, Aktenzeichen 6 K 3821/03.KO
6 K 3821/03.KO
Die Entscheidung ist rechtskräftig!
VERWALTUNGSGERICHT
KOBLENZ
URTEIL
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verwaltungsrechtsstreit
des Herrn ...
– Kläger –
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt ...
g e g e n
die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch ...
– Beklagte –
w e g e n Ausschlusses von der Benutzung des Bundesarchivs
hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Koblenz aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 17. Juni 2004, an der teilgenommen haben
Präsident des Verwaltungsgerichts Pinkemeyer
Richter am Verwaltungsgericht Porz
Richter Habel
ehrenamtlicher Richter Rentner Schmidt
ehrenamtliche Richterin Hausfrau Schmidt
für Recht erkannt:
[2] Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger wehrt sich gegen seinen Ausschluss von der Nutzung des Bundesarchivs.
Der Kläger, ein israelischer Student, beantragte am 9. Dezember 2002 in Berlin
bei der Außenstelle des Bundesarchivs Berlin-... die Überlassung einer Liste von
ca. 30.000 Euthanasieopfern aus der Zeit zwischen 1939 und 1945 auf Datenträger
und in Papierform. Er verpflichtete sich hierbei schriftlich unter anderem, die
gespeicherten Namen ausschließlich für eine Lesung bei einer Gedenkveranstaltung
zu verwenden und die auf Diskette gespeicherten Namen auf kein anderes
Medium zu übertragen.
Ende April 2003 stellte das Bundesarchiv jedoch fest, dass der Kläger die ihm
überlassenen Daten im Internet (unter der Adresse ...) veröffentlicht hatte. Der
Kläger führte dort unter anderem auf Englisch aus, er habe mit der Einstellung der
Daten ins Internet deutsches Recht und seinen Vertrag (contract) gebrochen. Die
Veröffentlichung diene der Wiederherstellung der Würde der Euthanasieopfer.
Nachdem der Kläger einer Aufforderung per E-Mail-Schreiben vom 20. Mai 2003,
die Liste aus dem Internet zu entfernen, nicht nachgekommen war, schloss das
Bundesarchiv den Kläger mit Bescheid vom 23. Mai 2003 wegen gröblichen Verstoßes
gegen die Benutzungsverordnung gemäß deren § 5 von der weiteren Benutzung
des Bundesarchivs aus. Der Kläger habe sich bewusst über die von ihm
[3] eingegangenen Verpflichtungen hinweggesetzt. Des Weiteren bestehe Grund zu
der Annahme, dass auch schutzwürdige Belange Dritter, insbesondere auch von
Familienangehörigen der Opfer entgegenstünden.
Mit Schreiben vom 13. Juni 2003 hat sich der Bund der „Euthanasie“-Geschädigten
und Zwangssterilisierten e.V. beim Petitionsausschuss des Deutschen
Bundestages gegen die Veröffentlichung der über 30.000 Opfernamen beschwert.
Es sei äußerst problematisch und fragwürdig, wenn die Namen der Opfer
und ihrer Angehörigen weltweit im Internet ohne Wissen und Einverständnis der
noch lebenden Angehörigen für jeden Missbrauch öffentlich seien. Zudem wurde
auf die unkritische Haltung des Klägers gegenüber der Scientology-Organisation
„Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschendrechte (KVPM) e.V.“
hingewiesen. Es wäre äußerst schlimm, wenn weitere Angehörige ehemaliger Opfer
von den Vertretern radikaler Antipsychiatrie für ihre Zwecke instrumentalisiert
würden.
Gegen seinen Ausschluss von der weiteren Benutzung des Bundesarchivs legte
der Kläger am 23. Juni 2003 Widerspruch ein und begründete diesen mit Schreiben
vom 11. Juli 2003 im Wesentlichen damit, er habe keine Daten noch lebender
Personen, sondern nur von zwischen 1939 bis 1945 in der deutschen Psychiatrie
ermordeten Opfern veröffentlicht. Auch schutzwürdige Belange Dritter, insbesondere
von Familienangehörigen der Opfer, seien weder betroffen noch verletzt. In
der Liste fänden sich lediglich Namen und Geburtsdaten der Opfer, nicht aber
Hinweise auf noch lebende Verwandte. Insoweit sei der Bescheid vom 23. Mai
2003 viel zu unbestimmt. Die Veröffentlichung der Namen entspreche zudem dem
Recht der Familienangehörigen, über das Schicksal ihrer Verwandten Kenntnis zu
erhalten. Auch sei die Veröffentlichung ein Beitrag zur Wiederherstellung der Würde
der Opfer und Teil der Rückforderung der menschlichen Identität angesichts
des schrecklichen Schicksals der Opfer.
[4] Mit Widerspruchsbescheid des Bundesarchivs K... vom 15. Januar 2004 wurde
der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ergänzend
ausgeführt: Ein gröblicher Verstoß des Klägers liege vor, weil er sich vorsätzlich
über die eingegangenen Verpflichtungen hinweggesetzt habe. Den Opfern komme
auch ein postmortales Persönlichkeitsrecht zu. Dieses könne durch die Nennung
der Namen in einer Liste, die einen Zusammenhang mit einer geistigen oder psychischen
Erkrankung herstelle, beeinträchtigt werden. Zudem könne das Persönlichkeitsrecht
naher Angehöriger verletzt sein. Gerade die – zumal digitale – Veröffentlichung
der Namen ermögliche in Bezug auf überlebende nahe Angehörige
eine genealogische Forschung. Zudem liege eine Verletzung des Urheberrechts
vor.
Bereits zuvor, am 1. Dezember 2003 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.
Er trägt ergänzend vor: Nicht nachvollziehbar sei, weshalb der Beklagte bei
der Veröffentlichung der Namensliste im Internet eine Beeinträchtigung schutzwürdiger
Interessen befürchte, nicht aber bei einer Verlesung der Namen bei der
Gedenkveranstaltung im Dezember 2002 in Berlin auf einem öffentlichen Platz vor
einer unbestimmten Anzahl Menschen. Zudem habe beides den gleichen Zielen
gedient. Durch die unterschiedslose Nennung der Namen würden weder die tatsächlich
psychisch erkrankten noch die unter diesem Vorwand ermordeten Personen
postmortal herabgewürdigt. Schließlich ermögliche die Veröffentlichung der
Namen denjenigen noch lebenden Dritten, die bisher noch keine sichere Kenntnis
über das Schicksal ihrer ermordeten Familienangehörigen hatten, die Durchsetzung
ihrer ihnen möglicherweise zustehenden strafprozessualen oder anderen
Rechte gegen die Verantwortlichen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesarchivs vom 23. Mai 2003 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 15. Januar 2004 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
[5] Sie verweist ergänzend darauf, dass bereits die Möglichkeit einer Rechtsbeeinträchtigung ausreiche, um die dem Kläger bei der Benutzung gemachten Auflagen
zu rechtfertigen. Bei einer einmaligen Verlesung der Namen habe dies verneint
werden können. Der Kläger habe kein berechtigtes Interesse an der Wahrnehmung
von Opferinteressen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von
den Beteiligten zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze sowie den Inhalt der Verwaltungsakten verwiesen, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die trotz des Ausbleibens des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten
im Termin zur mündlichen Verhandlung entschieden werden konnte,
weil in der ordnungsgemäßen Ladung gemäß § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –
auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde, ist zulässig, hat jedoch
in der Sache keinen Erfolg.
Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts folgt aus § 52 Nr. 2 Satz 1
VwGO, da es sich beim Bundesarchiv um eine Bundesbehörde handelt, die ihren
Sitz, d.h. Leitung und Verwaltung (vgl. Schoch u.a., VwGO, Loseblatt, Stand: September
2003, Rdnr. 7 zu § 52 VwGO), in K... hat. Dort lag im vorliegenden Fall
auch die alleinige Entscheidungsbefugnis für den Erlass des Ausgangsbescheids
und des Widerspruchsbescheids, wie das Verwaltungsverfahren und die dort ergangenen Entscheidungen belegen.
[6] Die Klage ist jedoch unbegründet, denn der Bescheid des Bundesarchivs vom 23.
Mai 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Januar 2004, durch welchen
der Kläger von der weiteren Nutzung des Bundesarchivs ausgeschlossen
wurde, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten,
§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rechtsgrundlage für die angefochtene Benutzungssperre ist § 5 der Bundesarchiv-Benutzungsverordnung – BArchBV – vom 29. Oktober 1993 (BGBl I, S.
1857). Danach wird ein Benutzer von Benutzungen beim Bundesarchiv ausgeschlossen,
wenn er gröblich gegen Vorschriften des Bundesarchivgesetzes –
BArchG – vom 6. Januar 1988 (BGBl I, S. 62), zuletzt geändert durch Gesetz vom
05. Juni 2002 (BGBl I, S. 1782), oder gegen die nach § 6 BArchG erlassenen
Rechtsverordnungen verstößt. Zu diesen Rechtsverordnungen gehört nach § 6
Satz 1 Nr. 1 BArchG auch die BArchBV selbst.
Die Voraussetzungen für ein nach § 5 BArchBV gegen den Kläger auszusprechendes
Benutzungsverbot lagen vor, denn der Kläger hat gröblich gegen die Benutzungsverordnung
verstoßen, indem er sich vorsätzlich über die von ihm schriftlich
eingegangene Verpflichtung hinwegsetzte, die gespeicherten Namen ausschließlich
für die Verlesung bei der geplanten Gedenkveranstaltung zu verwenden
und auf kein anderes Medium zu übertragen. Durch die Einstellung der Daten
ins Internet erfolgte eine abredewidrige Übertragung auf ein anderes Medium.
Diese wurde vom Kläger auch vorsätzlich in Kenntnis der Rechtswidrigkeit vorgenommen,
wie sich bereits aus seiner im Internet hierzu abgegebenen Erklärung
ergibt, er habe sich bewusst dafür entschieden, das deutsche Gesetz und seinen
Vertrag (contract) zu brechen.
Die dem Kläger bei Genehmigung seines Benutzungsantrags gemachten Auflagen
waren auch rechtmäßig und hätten daher von ihm beachtet werden müssen.
[7] Nach § 3 Abs. 2 BArchBV entscheidet über den Benutzungsantrag das Bundesarchiv.
Es kann die Genehmigung – wie vorliegend – mit Auflagen erteilen. Die dem
Kläger gemachte Auflage, die gespeicherten Namen ausschließlich für die Lesung
zu verwenden und nicht auf ein anderes Medium zu übertragen, wurde vom Kläger
nicht beanstandet, geschweige denn mit Rechtsmitteln angegriffen. Sie begegnet
zudem schon deshalb keinen rechtlichen Bedenken, weil sie dem Kläger
exakt das ermöglichte, was er beantragt hatte: nämlich die ausschließliche Verwendung
der Namen bei einer öffentlichen Gedenkveranstaltung.
Die Auflage war entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht ungeeignet, insbesondere
den schutzwürdigen Belangen Dritter, die durch § 5 Abs. 6 Nr. 2
BArchG geschützt werden, hinreichend Rechnung zu tragen. Es kann nicht ernsthaft
in Zweifel gezogen werden, dass die Gefahr eines Datenmissbrauchs bei einer
sich über drei Tage erstreckenden einmaligen öffentlichen Verlesung von über
30.000 Namen – ohne Nennung des Geburtsdatums – am Rande einer belebten
Straße in Berlin (vgl. die in der Verwaltungsakte – Benutzungsvorgang Berlin –
enthaltene, dem Internet entnommene Fotodokumentation) vernachlässigbar gering
ist im Vergleich zur vom Kläger vorgenommenen permanenten Veröffentlichung
der Daten – mit Geburtsdatum – in einem elektronischen Medium, das jedem
zu jeder Zeit den unkontrollierten, anonymen Zugriff auf die Daten erlaubt
und alle Möglichkeiten der elektronischen Recherche, Suche, Sortierung, etc. eröffnet.
Das Verhalten des Klägers erfüllt zudem den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit
nach § 43 Abs. 2 Nr. 2 Bundesdatenschutzgesetz – BDSG –, weil er unbefugt personenbezogene
Daten, die nicht allgemein zugänglich sind, zum Abruf mittels automatisierten Verfahrens bereitgehalten hat und auch weiterhin bereithält.
Schließlich ist das Verhalten des Klägers auch nicht etwa aufgrund der Wahrnehmung
berechtigter Interessen gerechtfertigt. Wenn er geltend macht, die Veröffentlichung
der Namen diene der Wiederherstellung der Würde der Opfer, so ist nicht
[8] ersichtlich, woher der Kläger das Mandat nimmt, Opferinteressen wahrzunehmen.
Wenn sich der Kläger gleichwohl hierzu berufen fühlt, hätte er einen entsprechenden
Benutzungsantrag beim Bundesarchiv stellen oder eine Aufhebung der Auflage
beantragen können. Es kann auch keine Rede davon sein, dass die Angehörigen
von Opfern nur durch die vom Kläger gewählte Vorgehensweise etwas über
das Schicksal vermisster Verwandter erfahren konnten. Vielmehr hätte der Kläger
die Angehörigen von Opfern, die ihn nach seinen Ausführungen im Internet bei der
Gedenkveranstaltung angesprochen haben, auf die Möglichkeit hinweisen können,
selbst bei Bundesarchiv Einblick in die Daten von Verwandten zu beantragen.
Dass der Kläger zudem durchaus nicht im Sinne sämtlicher betroffener Angehöriger
von Euthanasie-Opfern handelte, wird belegt durch den Protest des Bundes
der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten e.V. beim Petitionsausschuss
des Deutschen Bundestages gegen die Veröffentlichung der 30.000 Opfernamen.
Die dort geäußerte Besorgnis, die Opfernamen könnten instrumentalisiert
werden, ist auch angesichts der im Internet veröffentlichten Erklärungen, wonach
durch die Veröffentlichung der Namen politischer Druck auf die Bundesregierung
ausgeübt werden solle, nicht von der Hand zu weisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.
[9] Rechtsmittelbelehrung
Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils die
Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz beantragen.
Dabei müssen sie sich durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer
an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung
zum Richteramt als Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte
sind auch Mitglieder und Angestellte von Gewerkschaften
zugelassen, sofern sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung befugt sind.
Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch
durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen
im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte und Angestellte
mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen
kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören,
vertreten lassen.
Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht Koblenz, Deinhardplatz 4, 56068
Koblenz, zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen,
aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Verwaltungsgericht
einzureichen.
Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts,
des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des
Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung
beruht oder
5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel
geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
gez. Pinkemeyer gez. Porz gez. Habel
[10] Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,00 € festgesetzt (§ 13 Abs. 1
Satz 2 Gerichtskostengesetz – GKG –).
Die Festsetzung des Streitwertes kann nach Maßgabe des § 25 Abs. 3 GKG mit
der Beschwerde angefochten werden.
gez. Pinkemeyer gez. Porz gez. Habel
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