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Villa Borghese

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Textdaten
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Autor: Johannes Wilda
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Titel: Villa Borghese
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aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 658–664
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[658]

Villa Borghese.

Humoreske von Johannes Wilda.

So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage,“ pfiff der „Privatarchitekt“ Arnold vor sich hin, während er den auf einem Reißbrett ausgespannten Entwurf zu einer Kapelle farbig austuschte.

Nach diesen frohen Tönen und den lustigen Farben zu urtheilen, die sein Pinsel hervorzauberte, hätte man Eduard Arnold für einen Menschen halten sollen, der so recht in behaglicher Glücksfülle sein Dasein genoß und doch lehnte an dem Thürpfosten des ärmlichen Zimmers seine junge Frau mit Thränen im Auge und doch zog sich sein Herz in tiefem Schmerz zusammen. „Sie soll’s nicht merken!“ dachte er und pfiff weiter.

Ach, sie merkte es doch! Und wie schnitt ihr seine erheuchelte tapfere Lustigkeit in die Seele! Durch den kleinen Raum irrte ihr Blick zu dem einzigen Prachtstück, einem schön polierten Pianino. Es war ihr Heiligthum. Ihr Gatte hatte es ihr am ersten Weihnachtsfest nach der Hochzeit geschenkt. Wie viele frohe Stunden hatte ihnen die gemeinsame Hausmusik verschafft! Allein was half’s? Es war am werthvollsten und zugleich am entbehrlichsten – die fällige Miete konnte nur so gedeckt werden. O, dieser Mensch, dieser Gumprecht! So schmählich seinen besten Freund im Stich zu lassen! Wer würde das von ihm gedacht haben!

Plötzlich richtete sie sich mit einem Ruck auf und wischte sich die Thränen von den Wimpern. „Vielleicht kommt Gumprecht doch noch, Eduard. Ich kann nicht glauben, daß er sein Wort bricht.“

Arnolb schüttelte den blondgelockten Künstlerkopf. Er fand sich genöthigt, erst ein wenig zu schlucken, ehe er fest zu reden vermochte. Dann brummte er, sich tiefer über das Brett neigend: „Schreiben wir’s in den Rauch, Magda! Wenn er hätte zahlen können, wäre er längst hier gewesen. Im übrigen – bring’ mir ein Butterbrot! Aber nicht zu sehr aufstreichen; ich kann das übermäßig Fette nicht vertragen!“

Das war ihr zu viel, daß er nun schon anfangen wollte, sich den Pfennig am Munde abzusparen. Schluchzend stürzte sie auf ihn zu und umschlang seinen Hals. „O Gott, daß es so weit mit uns kommen mußte! Es ist mir ja nicht meinetwegen. Aber Du, der Unermüdliche, Du hast es anders verdient! Und Toni, unsere süße kleine Toni! Wenn sie nun wirklich hungern müßte! Welch ein schauerlicher Gedanke!“

„Und das alles wegen eines Butterbrots?“ entgegnete ihr Mann lachend, während auch ihm eine Thräne über die Wange rollte. „Geh’, Magda, Du bist doch sonst so tapfer! Unsere dicke Toni und verhungern! Ich bitte Dich um alles in der Welt, kannst Du Dir das vorstellen? Wir werden einfach Vegetarianer, Kind. Das Gemüse ist augenblicklich riesig billig. Der Himmel wird mir jede Zwiebel segnen, die ich ohne verwerfliches Beefsteak verzehren werde!“

Mitten in ihrem Kummer mußte Magda lächeln. Ein wenig beruhigter fragte sie: „Aber die Miete, Schatz – wie bringen wir die zusammen?“

Ein Schatten flog über sein gutes Gesicht. „Hm, ja, die Miethe! Eigentlich sollte den Gumprecht doch der Teufel holen! Wenn es noch ein Darlehen von zwanzig Mark gewesen wäre, aber meine sämtlichen Ersparnisse, fünftausend Mark! Und das in meiner Lage! Dabei soll ein Christenmensch sich nun seine Ideale bewahren! Fortan pfeife ich auf die Freundschaft!“

„Ach Mann, das soll Dir gelingen, Dir mit Deiner grenzenlosen Gutmüthigkeit? Ich will Dir freilich nichts vorwerfen, ich hab’ dem Gumprecht auch vertraut. Und wie er damals so herzbewegend bat, uns so heilig der pünktlichen Rückzahlung versicherte und wir das Geld gar nicht nöthig zu haben glaubten, da freute ich mich ja mit Dir, daß wir ihm helfen konnten. Mein Gott, was giebt es doch für schlechte Menschen in der Welt!“

„Nein, Kind, schlecht ist er nicht, nur bodenlos leichtsinnig, und ich bin eben ein Esel gewesen, daß ich es für unanständig hielt, von jemand, der mir brüderlich nahestand, eine hypothekarische Sicherheit zu verlangen. Immerhin stecke ich lieber in meiner Haut als in der seinigen. Ich hab’ mein reines Gewissen und einen Schatz – einen Schatz, wie ihn kein König hat!“

„Aber Eduard, so hör’ doch auf mit dem Küssen! Horch nur – Toni ist schon darüber aufgewacht! Laß mich, damit ich Dir erst Dein Brot schneiden kann!“

Nach einer Weile kam sie wieder aus der Küche zurück.

Mißbilligend schüttelte er die Locken. „Nennst Du das die Butter sparen?“ fragte er vorwurfsvoll.

„Nun sie einmal da ist, muß sie doch gegessen werden,“ entgegnete Magda und ging zu ihrem Kind ins Nebenzimmer, wo sie ihr verstecktes trockenes Brot hervorzog.

Arnold arbeitete pfeifend weiter, rastlos, rastlos.

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Abends, nach dem bescheidenen Nachtessen, überlegten Eduard und Magda, was sie zu thun hätten, aber guter Rath war theuer. Magda suchte Erholung auf der glücklichen Insel Erinnerung.

„War das eine schöne Zeit, Eduard, als Du an der Baugewerkschule angestellt warst! Wie reich fühlten wir uns mit dem kleinen Gehalt! Weißt Du noch, wie Papa endlich ‚ja‘ sagte, als Du die Stelle bekamst?“

„Ich hielt ihn eigentlich bis dahin für einen Barbaren, Kind. Unter uns gesagt, ein wenig war er’s auch. Und doch – wer weiß, ob es nicht vorsichtiger von ihm gewesen wäre, wenn er einen solchen Schwiegersohn einfach zum Tempel hinausgeworfen hätte. So einen Hans Ungeschick, wie ich es bin!“

„Eduard, so redest Du? Du, den seine Schüler fast vergöttert haben!“

„Und den sein Direktor an die Luft setzte.“

„Weil er ein eifersüchtiger einfältiger Mensch war! Die Leute sind alle auf Deiner Seite gewesen!“

„Aber keiner hat mich wieder in eine Stellung gebracht.“

„Aus eigener Kraft hast Du Dir dann den Posten als Zeichner verschafft.“

„Der nicht einmal ausreicht, um uns vor Nahrungssorgen zu schützen. Und nun ist der letzte Rettungsanker entzwei! O dieser Gumprecht!“ Sich in die Ecke des kleinen Sofas zurückwerfend, auf dem er mit seiner Frau saß, fuhr Arnold mit allen zehn Fingern durch seinen wallenden Haarschmuck.

„So, jetzt spielen wir verkehrte Welt, Eduard! Nun verzweifelst Du und ich tröste. Soll ich Dir jetzt etwas vorpfeifen?“

„Soweit braucht Dein Edelmuth nicht gerade zu gehen. Aber mit der Musik hast Du recht, die macht uns wieder flott. Komm’ ans Klavier, wir wollen etwas Fideles singen! Den Rodensteiner heraus!

,Pfaffenbeerfurt ist hin, Pfaffenbeerfurt ist fort,
Pfaffenbeerkurt, der fromme, der züchtige Ort,
Pfaffenbeerfurt ist vertrunken!‘“

Etwas Fideles! Du lieber Gott! Heimlich streichelte Magda über die glatte Politur des geliebten Instruments. Wenn Eduard eine Ahnung davon hätte, daß sie es für die Miethe opfern wollte! Aber sie begann tapfer zu spielen und bald darauf erklang es im launigen Baß:

„Pfaffenbeerfurt ist hin, ist hin,
Pfaffenbeerfurt ist fort, ist fort,
Pfaffenbeerfurt ist vertrunken!“

„Höre nur, wie die Arnolds oben wieder singen; ich denke, es soll ihnen so schlecht gehen,“ bemerkte einen Stock tiefer die Steuerräthin Hinkeldey zu ihrem behäbigen Gatten.

„Und immer Kneiplieder!“ knurrte der Steuerrath.

„Das läßt tief blicken. Natürlich alles durch die Gurgel gegangen! Solche Leute kann man wahrhaftig nicht bedauern.“

*               *
*

Am nächsten Morgen – Arnold hatte eben einen Brief erhalten – stellte er sich mit aufgeblasenen Backen, die Hände ungeheuer wohlhabend in die leeren Taschen versenkt, vor seine Frau hin. „Wie sehe ich aus, Magda?“

„Abscheulich großspurig!“

„Bin ich auch! Du kannst es ebenfalls sein! Toni als Erbin dito! Schneiden Sie nicht ein so verblüfftes Gesicht, Madame, sondern bemächtigen Sie sich jenes Schreibens. Lesen Sie es und bestätigen Sie mir, daß ich alle Ursache habe, mich für einen Oberprotzen zu halten. Ich bin Großgrundbesitzer geworden!“

Während Magda las, wandelte ihr Mann, sie scharf beobachtend, in unnachahmlicher Würde auf und ab.

[659] Das Schreiben lautete:
„Lieber Eduard! Du wirst mich für ehrlos halten, daß ich Dich im Stich ließ. Aber wenn man von schlechten Menschen gehetzt wird wie ein Stück Wild, muß auch der Beste zum Schuft werden. Wer’s nicht erlebt hat, kann nicht mitreden. Doch, um es kurz zu sagen: es ist mir rein unmöglich, Dir die 5000 Mark zurückzustellen. Komm’ zu mir, sieh’ selbst in meine Bücher! Ich will aber nicht, daß Dein Edelmuth Dich in Schaden bringt. Ich besitze an der Landstraße nach Pappelfelde eine Baustelle von 250 Quadratruthen. Die Ruthe kostet zur Zeit in jener Gegend ungefähr zwanzig Mark, das Grundstück wird also Deine Forderung gerade decken. Wenn Du damit einverstanden bist, überlasse ich es Dir und wir betrachten uns dann als quitt. Bricht der Krach über mich herein, was, unter uns gesagt, demnächst der Fall sein wird, so könnte ich keinen Pfennig für Dich retten, Also entscheide Dich schleunig! Ich selbst würde das Grundstück freiwillig unter keinen Umständen veräußern und kann Dir nur rathen, das auch nicht zu thun. Ich weiß sicher, daß in Pappelfelde eine Villenkolonie angelegt werden soll, durch die der Bodenwerth gehörig steigen wird; ich stehe Dir für den dreifachen Werth binnen zwei Jahren.

Verzeihe mir und, wie bemerkt, laß mich Deine Antwort sofort wissen! Dein alter Freund G.“ 

„Nun, Magda, was sagst Du nun?“

„Gott sei Lob und Dank, daß doch nicht alles verloren zu sein scheint,“ stammelte sie. „Ich kann freilich nicht beurtheilen, wie es mit solchen Grundstücken ist. Ich denke, Du solltest erst Onkel Meinhard fragen, dann aber Gumprecht heute noch aufsuchen.“

Arnold hatte seine scherzhafte Aufgeblasenheit abgelegt und wieder ein ernsteres Gesicht aufgesetzt. „Das meine ich auch, Magda. Die Vormittagsstunden müssen zu diesem Zweck geopfert werden. Kind, Du sollst sehen, es wird noch alles gut!“

Also Aruold ließ Reißbrett Reißbrett sein, da er die Kapelle für die Firma, die ihn beschäftigte, dennoch rechtzeitig fertig zu stellen hoffte, und fort war er. Bei Steuerraths unten besaß man keine Ahnung, daß es ein Großgrundbesitzer sei, der so vergnügt auf der Treppe pfiff. – –

„Toni, lauf’ doch nicht immer an die Thür, Papa kommt ja gleich! – Aber so bleib’ doch endlich einmal bei Deiner Puppe! – Himmel, was hast Du nun da wieder? Willst Du Dich denn mit Gewalt vergiften?“ Mit diesen Worten entriß Magda dem quecksilberigen Stolz der Familie den blaugefärbten Pinsel, den Toni auf einem Stuhl gefunden und sofort auf seine Schmackhaftigkeit untersucht hatte.

„Gar nicht gut, gar nicht gut!“ meinte sie, den Kopf schüttelnd und mit dem Ausdruck äußersten Abscheus in den entrüsteten Mienen.

„Also! Warum steckst Du ihn dann in den Mund? Balg, Du! Schau, hier hast Du eine warme Kartoffel, die schmeckt besser!“

Endlich kehrte Arnold wieder zurück, den Spitzhut schief auf den Locken, zu jeder lustigen Dummheit geneigt. Wahrscheinlich würden Magda und Toni diesen hohen Barometerstand der väterlichen Stimmung in allerlei Streichen zu spüren bekommen haben, wenn nicht Onkel Meinhard ihn begleitet hätte.

Onkel Meinhard, übrigens nur ein Onkel „honoris causa“, war ebenfalls Baubeflissener und zwar auch ein herzlich wenig begüterter. Sein Aeußeres war mehr auffällig als berückend. Er zeigte sich so kahlköpfig, wie nur ein Mensch werden kann, besaß ein Paar kleiner treuer Augen, eine Vertrauen erweckende rothe Stülpnase und als besonderes Kennzeichen einen ergrauenden mangelhaft ausrasierten Bart von äußerster Ursprünglichkeit. Trotzdem fand Toni den Onkel wunderschön, wodurch sie schon frühzeitig ihr Talent als Menschenkennerin bekundete.

„Abgemacht, alles abgemacht, Magda! Nach allen Formen des Rechtes!“ jubelte Arnold. „Meinhard sagt, wir fahren famos dabei. Hast Du das nicht gesagt, Meinhard?“ Onkel Meinhard nickte zur Bestätigung. Doch vorsichtig erläuterte er: „Nur verhältnißmäßig famos, natürlich! Wenn Du Dein bares Geld erhalten hättest, wäre es besser gewesen. Gumprechts Angaben sind ja im ganzen richtig, augenblicklich ist das Grundstück aber schwer verkäuflich und deshalb schwer beleihbar. Immerhin glaube ich auch, daß es über kurz oder lang einen hübschen Batzen werth sein wird.“

Magda fühlte sich zunächst beruhigt, konnte jedoch im stillen den Gedanken nicht los werden: ja, wovon leben wir denn bis dahin? Reich und gleichzeitig arm zu sein, das ist doch eine schnurrige Sache! Noch bedenklicher wurde es ihr, als der Onkel nun obendrein von allerlei Lasten und Steuern zu reden begann, die nothwendig getragen werden müßten.

Doch Arnold erklärte fröhlich: „Der Exekutor wird jetzt schon Respekt vor uns haben! Einstweilen biete dem Onkel Meinhard ein Glas Wein an, Frauchen!“

Magda machte ein Gesicht wie ein sehr peinlich in die Länge gezogenes Fragezeichen.

„In der Küche steht er ja. Sieh doch nach, Kind!“

Mechanisch gehorchte die junge Frau, ohne zu wissen, wie sie sich bei dieser Spiegelfechterei ihres Eheherrn vor ihrem Gaste mit Anstand aus der Sache ziehen sollte. Aber siehe da! Auf dem Küchentisch stand leibhaftig eine Flasche Wein, die im durchfallenden Sonnenlicht gleich eitel Purpur glühte. Und daneben lag ihre Leibspeise, eine Bratwurst.

„Der Verschwender!“ flüsterte sie. „Das hat er nun heimlich unter seinem Mantel mitgeschleppt. Wein! Du meine Güte, wie lange haben wir den nicht im Hause gesehen! Wenn’s nur nicht zu leichtsinnig gewesen ist!“

Dennoch lächelte sie glückselig, während sie die Flasche entkorkte und nebst zwei blanken Gläsern säuberlich auf ein Theebrett stellte.

„Zwei Gläser? Unsinn, drei!“ rief Arnold, als sie wieder eintrat.

„Aber Eduard –“

„Selbstverständlich! Mein bester Verbündeter in allen Lebensnöthen muß doch mit anstoßen, wenn wir einmal etwas draufgehn lassen können, wie –“

„– Großgrundbesitzer“, neckte Meinhard.

„Gewiß!“ rief Arnold sehr von oben herab. „Onkel Meinhard, der zukünftige Gast auf unserer fürstlich eingerichteten Villa bei Pappelfelde – er lebe hoch!“

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„Ja, das ist nun soweit ganz schön, Eduard, und der Wein war nothwendig und Dir heilsam, aber, lieber Schatz, wovon leben wir bis zum Ersten? Und vor allem: wie steht’s mit der Miete?“

Arnold lag mit dem einen Knie auf dem Stuhle, mit dem Oberkörper schier auf dem Reißbrett und zeichnete und tuschte, was das Zeug halten wollte. Auf diese bedenkliche Frage hin richtete er sich auf, warf die Mähne zurück und sagte. „Wir hätten ja jetzt einigen Kredit, Kind. Aber –“

„Aber Schulden machen wir nach wie vor nicht!“

„Das ist es! Wir müssen uns vorläufig so durchhungern.“

„Als Großgrundbesitzer?“ erwiderte sie in schmerzlich launigem Spotte.

„Ja, obgleich es ein Skandal ist.“

„Und die Miete?“

„Ach zum Henker mit Deiner unglückseligen Miethe!“

Er schwieg. Seine Blicke irrten durch das Zimmerchen. Große Exkursionen konnten sie sich da allerdings nicht erlauben. Sie bewegten sich im engsten Kreise nach allen möglichen Gegenständen, nur über das auffälligste Stück, das Klavier, glitten sie beharrlich hinweg. Endlich blieben sie an einer alten, mit Elfenbein und Perlmutter eingelegten Reiterpistole haften, die er hoch in Ehren hielt und allen Fährlichkeiten bisher entrissen hatte: „Das Ding muß weg da!“ knurrte er, die Oberlippe verächtlich emporziehend. „Es paßt schon lange nicht mehr zu unserem ‚Stil‘, wäre auch später, wenn Diebe in unsere Villa einbrechen sollten, zu keinem einzigen Schusse zu gebrauchen. Also – verkaufen wir es! Dann ist die Magenfrage bis zum Ersten erledigt.“

Magda stellte sich vor ihn hin, schlang ihre Hände um seinen Nacken, und, ein wenig von ihm abgerückt, schaute sie ihn mit klaren Augen an und schüttelte langsam, aber nachdrücklich den Kopf.

„Nun, warum denn nicht?“

„Weil’s nicht lohnt!“

„Hast Du etwa noch einen verborgenen Diamantschmuck?“

„Nein. Aber das Klavier!“

Arnold riß die Augen entsetzt auf. „Bist Du toll? Ich kann mir meine Kneiplieder auch pfeifen. Aber wie Du ohne Mozart und Beethoven durch dieses irdische Jammerthal weiter pilgern wolltest, begreife ich schlechterdings nicht. Da benutze den Klimperkasten lieber noch zum Stundengeben!“

„Eduard, Du weißt, wie Fräulein Müller und Fräulein [660] Alberts sich abquälen, um nur einige Stunden zu bekommen. Und dabei leisten beide etwas. Soll ich ihnen nun auch noch Konkurrenz machen? Nein, ich habe schon etwas anderes in Aussicht, das mir Verdienst bringen soll. Aber inzwischen verkaufen wir das Instrument und vorläufig ist geholfen.“

„Das gebe ich nie und nimmer zu!“

„Schatz, sei nicht böse – es ist schon verkauft. Morgen wird’s geholt und morgen haben wir die Miethe. Ich fragte vorhin nur so, um Dir klar zu machen, daß es gar keinen anderen Ausweg mehr giebt.“

Grimmig rannte Arnold auf und ab. Plötzlich erhob er die Fäuste gegen Magda. „Du bist – Du bist – ein Prachtweib!“ rief er dann, indem er sie in seine Arme schloß. „Aber daß Du mich heirathen mußtest – diese Kapitaldummheit kann Dir kein verständiger Mensch verzeihen!“


Man soll nie im Leben verzweifeln. Es war gegangen und zwar ganz gut gegangen.

Arnolds Kapelle hatte so sehr gefallen, daß die Firma ihm für die Zukunft bessere Preise für seine Zeichnungen versprach. Magda machte sich das plötzliche Modernwerden einer Metallfädenstickerei zu nutze, in der ihr einst ihre Großmutter eine gewisse Virtuosität beigebracht hatte. Für die erste Zeit war durch das Pianino geholfen worden. Und wenn auch fernerhin Schmalhans Küchenmeister blieb, so verstand Frau Magda ihn doch mit Anmuth und Phantasie zu behandeln, und zum Aerger des Steuerraths hörte das Singen und Pfeifen bei den Großgrundbesitzern schier nimmer auf.

„Du, Magda,“ erklärte Arnold eines schönen Tages, als der Sommer ins Land gekommen war und Freund Gumprecht längst sich jenseit des Oceans befand, „jetzt müssen wir endlich einmal unseren Besitz in Augenschein nehmen. Die Erbtochter fährt selbstverständlich mit.“

Und am nächsten Sonntagnachmittag kam die denkwürdige Unternehmung zustande. Erst ging es mit der Bahn, dann zu Fuß. Die Erbtochter wurde getragen.

Schöne alte Pappeln standen längs der Landstraße, an welcher sich der Bauplatz befand. Sonst bereitete die Natur der lieben Sonne wenig Hindernisse.

„Ei der tausend, da wird ja schon gebaut, Magda! Unsere Aktien steigen! Sieh, sieh, die ersten Villen in unserer Nachbarschaft!“

In der That erhoben sich rechter Hand über dem Akazienbuschwerk, von kümmerlichen Kiefern umgeben, einige ganz romantisch geformte Dächer. Noch eine kurze Strecke weiter und „Hier ist es!“ rief Arnold, indem er eine Gebärde machte wie etwa Polykrates, als er Aegyptens König auf das von ihm beherrschte Samos hinwies. Magda schnitt ein verdutztes Gesicht. Es schien ihr kaum glaublich, daß so ein unwirthliches Stück Land mehrere tausend Mark werth sein könne.

„Ist es nicht herrlich hier, Kind? Athme doch nur die Luft ein! Diese Luft! Diese unvergleichliche Luft! Köstlich, balsamisch! Nicht wahr?“

„Freilich,“ sagte Magda, „die Luft ist ausgezeichnet.“

„Und sieh doch ’mal die Vegetation! Diese drei Kiefern, wirkliche große Bäume, gehören uns. Wenn man sie düngt, kann noch alles Mögliche aus ihnen werden. Dann die Akazienbüsche! Und da ist ein Tümpel mit richtigen Weiden dabei! An Wasser fehlt’s also nicht. Das wird einst einen großartigen Teich für einen Park abgeben! Komm’, wir wollen uns im Schutze unseres Laub- und Nadelholzes lagern! Von dort aus kannst Du gut übersehen, wie weit sich unser Land erstreckt.“

Mit Hilfe der mitgenommenen Schirme wurde nun unter Kiefern und Akazien ein ganz brauchbarer Schatten hergestellt, in dessen Schutz man sich niederließ und die Vorräthe an Speise und Trank auskramte.

Toni krabbelte und wühlte seelenfroh im Sande umher; ein derartiger Göttergenuß wurde ihr in der Stadt nicht geboten. Magda rief entzückt. „Ach, aber die Blumen! Jetzt sieht man sie erst ordentlich: wilde Stiefmütterchen, Glockenblumen und Pechnelken! Da winde ich gleich einen Prachtstrauß!“ Und Arnolds Entzücken stieg aufs höchste, als er hinter den Akazien eine schön gewachsene kleine Zirbelkiefer entdeckte.

So vergnügte sich die Großgrundbesitzersfamilie dankbar gegen Gott und Menschen auf ihrem Eigenthum, als um die Büsche herum ein verdächtiger alter Herr heranschlich, den ein grauer Cylinder schmückte.

Dieser Herr grüßte in mürrischer Verbindlichkeit und benahm sich wie ein Mann, der ein Gespräch anzuknüpfen wünscht. Den Architekten kitzelte der Stolz, sich dem Publikum zum ersten Mal als Besitzer der umliegenden schönen Landschaft bekannt zu geben. Leutselig, wie es Magnaten gegen Fremdlinge, welche die Bewunderung zu einem Besuch anlockt, sich erlauben können, rief er: „Bitte, schauen Sie sich nur ungeniert überall um, mein Herr! Ein nettes Grundstück, nicht, obgleich vorläufig noch unbebaut? Aber das wird bald anders werden.“

Den Redner scharf musternd, trat der alte Herr näher, indem er trocken bemerkte: „Danke für die gütige Erlaubniß. Aber entschuldigen Sie, woher wissen Sie denn, daß sich das bald ändern wird?“

„Nun,“ entgegnete Arnold überlegen lächelnd, „weil es mir gehört und ich so meine Pläne habe.“

„Ihnen gehört’s? So, so! Dann sind Sie wohl der Herr Architekt Arnold?“

„Allerdings, der bin ich.“

„So, so! Wer hat Ihnen die Baustelle denn verkauft, wenn ich fragen darf? Ein Herr Gumprecht vermuthlich?“

Die Art des Mannes hatte wirklich etwas sonderbar Zudringliches. Indessen, weshalb sollte man seine Neugierde nicht befriedigen? „Gewiß – Herr Gumprecht.“

Der Bewunderer schwieg eine Weile, worauf er, seinen stattlichen Hut ziehend, nachdrücklich erklärte: „Erlauben Sie mir Ihnen mitzutheilen, mein werther Herr, daß Sie nicht der Eigenthümer sind!“

„So?“ rief Arnold halb belustigt, halb geärgert. „Wer wäre es denn sonst?“

„Ich!“

Arnold sprang auf seine Füße. Den blitzschnellen Gedanken, der unheimlich alte Herr mit dem Cylinder sei verrückt, gab er sofort wieder auf. Eine Ahnung, daß er sich auf einen furchtbaren Schlag gefaßt machen müsse, schnürte ihm die Kehle zu. „Sie, Sie?“ stieß er hervor. „Aber das Grundstück ist ja für mich gerichtlich eingetragen worden!“

„Mag schon sein. Trotzdem ist es mein oder wenigstens so gut wie mein, denn binnen morgen und drei Tagen werden Sie doch wohl keine Villa hier errichten können?“

„Wie – wieso? Das verstehe ich nicht. Was meinen Sie damit?“

„Die Sache ist sehr einfach. Ich – beiläufig bemerkt, bin ich der Bauunternehmer Emil Pistor aus Pappelfelde – ich habe seiner Zeit dieses Grundstück an Herrn Gumprecht unter der ausdrücklichen Bedingung verkauft, daß er innerhalb zwei Jahren hier ein Wohnhaus zu erbauen habe, widrigenfalls das Land ohne weiteres wieder an mich zurückfällt. Diese Bedingung ist im Grundbuch eingetragen; sie haftet an dem Grundstück und geht nothwendigerweise auf jeden Käufer über. Nächsten Donnerstag ist die Baufrist verstrichen. Sollte Gumprecht Ihnen nichts davon mitgetheilt haben?“

„Keine Silbe!“ stotterte Arnold schreckensbleich.

„So, so! Das bedauere ich ungemein. Uebrigens hätten Sie es trotzdem aus dem Grundbuch ersehen können. Haben Sie das nicht gethan?“

Grundbuch! Grundbuch! Das Wort schwirrte durch Arnolds Kopf. Ja, daran hatte er nicht gedacht, daß da noch etwas Besonderes, etwas so Tolles stehen könnte! „Nein,“ erwiderte er tonlos.

„Dann sind Sie eben hereingefallen! Sehen Sie, ich habe zufällig meinen Vertrag bei mir. Ueberzeugen Sie sich selbst!“

Dem armen Großgrundbesitzer tanzten die Buchstaben vor den Augen. Magda, die in steigender Erregung dem Gespräch gefolgt war, drängte sich wie zu seinem Schutze ebenfalls heran.

„Großer Gott,“ murmelte er, während kalter Schweiß auf seinem Gesicht perlte, „es ist so! O ich, ich –“ Dann wendete er sich erregt gegen Pistor. „Ihr Verhalten finde ich aber auch nicht schön, mein Herr! Sie haben alles gewußt und mich doch nicht gewarnt!“

Pistor deutete mit dem Finger auf seine Stirn. „Herr, Sie sind wohl –? Sie verstehen selbst Ihre Interessen nicht [662] wahrzunehmen, und da sollen es andere für Sie thun? Sie haben keine Ahnung von Geschäften!“

Zornroth ballte Arnold die Hände

„Schatz, Schatz, bitte, rege Dich nicht auf,“ flehte Magda, „warte doch erst andere Beweise ab! Und schlimmsten Falls –“

„Ganz wie Sie meinen, Madame,“ fiel der Fremde hämisch lächelnd ein, „Warten Sie nur getrost die anderen Beweise ab! Im übrigen, meine Herrschaften, thut es mir leid, Ihre Ruhe gestört zu haben. Aber bitte, genieren Sie sich durchaus nicht, hier auf meinem Eigenthum Ihre Siesta fortzusetzen. Ich habe die Ehre!“

Den grauen Cylinder schwenkend, ging Herr Pistor ebenso katzenartig davon, wie er sich vorhin den friedlichen Akazien genähert hatte.

Arnold warf sich nieder auf den Boden und vergrub sein Gesicht in die Hände.

„Lieber Eduard, nimm’s Dir nicht so zu Herzen! Sieh’, wir brauchen es ja eigentlich gar nicht mehr. Damals, als der Hunger vor der Thür stand, war es doch weit schlimmer.“

„Du hast recht, Magda, Ich will mich an Dir aufrichten. Mit Dir komme ich auch wohl über das neue Unglück hinweg,“

Das war ein trauriger Abschluß des Nachmittags, der so glücklich begonnen hatte! Nur die so plötzlich ihrer Würde entkleidete Erbtochter hatte die schwere Viertelstuude in ungeschmälerter Heiterkeit verbracht. Sie hatte einen Schuh ausgezogen, füllte ihn mit Sand, den sie dann wieder herausrinnen ließ, und lachte und lachte.

„Und wenn der alte Kerl doch recht hat, Schatz, dann bauen wir das Haus in drei Tagen!“ rief Magda, wie elektrisiert beim Anblick der ruhigen Fröhlichkeit ihres Töchterchens.

Arnold lächelte trübe. „Kind, rede doch nicht solchen Unsinn! Heutzutage geschehen keine Wunder mehr.“

„Warum nicht, wenn man’s richtig angreift? Onkel Meinhard muß Rath schaffen!“ – 0000

In der Frühe des nächsten Morgens rannte Arnold sogleich zu dem Freunde. Da aber eben erst die Sonne aufgestanden war, so konnte man die gleiche Leistung unmöglich schon von Onkel Meinhard erwarten. Sein polierter Schädel und seine rothe Nase starrten dem aufgeregten Fachgenossen höchlich überrascht aus den Federn entgegen. In zehn Minuten aber hatte er aus dem krausen Vortrag Arnolds ungefähr herausgefunden, um was es sich handle. „Donnerwetter!“ brummte er, „an das verflixte Grundbuch hab’ ich auch nicht gedacht! Der Bursche aber, der Gumprecht, hat Dir diese verteufelte Bedingung verschwiegen, um ohne Schwierigkeiten schnell von Dir loszukommen. Da ist guter Rath theuer, Verehrtester!“

Arnold fuhr mit allen Fingern durch seine langen Locken, während Meinhard halb angekleidet auf dem Bettrand saß und überlegte. Da sprang dieser auf; seine guten listigen Aeuglein funkelten.

„Da steht der Spirituskocher, Arnold! Bereite uns einen nervenstärkenden Mokka, inzwischen kleide ich mich stilvoll an und mache meinen Plan!“

Beides führte er mit ungeheuerer Geschwindigkeit aus. Das Wasser kochte noch nicht einmal, als er schon, den Schlußstein seiner Toilette, die Kravatte, befestigend, sich vor dem Freund aufpflanzte. „Dem altem Blutsauger, dem Pistor, wird eine Nase gedreht und Deine Villa in drei Tagen aufgebaut!“

„Meinhard, nimm mir’s nicht übel, Du bist ebenso verrückt wie Magda!“

„Mit diesem Vergleich bin ich zufrieden! Du glaubst also nicht, daß man in drei Tagen ein Haus bauen kann?“

„Möglich mag’s sein; aber es würde auch danach werden.“

„Das ist in diesem Falle gleich!“

„Und nur, wenn man ein reicher Mann ist.“

„Du bist reich!“

„Das erste;. was ich höre!“

„Jawohl, Du bist reich – reich an Freunden! Und ich darf wohl behaupten, daß der alte Meinhard auch einiges unter den Kollegen gilt.“

Arnold steckte die Hände tief in die Tasche und warf die Locken zurück. „Hebe Dich weg von mir, Satan, Du willst meinen heiligsten Grundsatz erschüttern?“

„Arnold, Du bist ein Kind! Doch gut – wenn Du Deinen Widerwillen gegen alles Leihen nicht überwinden kannst, so nehme ich meinen eigenen Kredit in Anspruch!“

Lächelnd und doch bewegt schaute Arnold auf den schäbig gekleideten Freund. „Ach Meinhard, selbst wenn wir unseren Kredit in einen Topf werfen, wie sollen wir uns das Geld verschaffen?“

„Geld, Geld! Wer spricht denn groß von Geld? Ein paar Silberlinge müssen wir natürlich in der Hand haben – im übrigen geht es auch ohne das!“

„Das verstehe, wer kann!“

„Gieb mir Vollmacht und Du wirst bald verstehen!“

„Hm, ich weiß nicht – so ohne weiteres –“ „Unsinn, alter Junge! Zu was noch Bedenken? Kannst Du mehr verlieren, als so wie so schon zum Henker gehen will? Hier ist meine Hand, alter Junge, schlag’ ein! Es geschieht zu Euerem Besten!“

Und Arnold schlug ein.

„So,“ sagte Meinhard zufrieden, „jetzt wollen wir Dein Gebräu genießen und dann zum Grundbuchamt, damit wir uns von der unangenehmen Richtigkeit der Bedingung überzeugen! Und dann –“

„Und dann?“ fragte Arnold gespannt.

„Hast Du zu allem, was ich abmachen werde, Ja und Amen zu sagen!“

„Meinhard, ich glaube wahrhaftig, ich habe Dir meine Seele verschrieben.“

„Wenig genug! Wenn ich Deine Haare hätte bekommen können, wär’ mir’s lieber gewesen!“

Und der überall beliebte und nie etwas für sich fordernde Onkel Meinhard lief, nachdem er mit Arnold die Aussage Pistors nur zu richtig befunden hatte, von Kollege zu Kollege und stellte jedem mit Feuereifer die üble Lage seines Freundes und seinen Bauplan dar. Und siehe da – gereizt durch die Sonderbarkeit des Falles, gerührt durch Meinhards Beredsamkeit, verweigerte niemand die verlangte Hilfe: was der Bauplatz eines jeden an entbehrlichem Material besaß, sollte sofort nach Pappelfelde geschafft werden. Der eine stellte dies, der andere das zur Verfügung; Fuhrwerke, Arbeiter, Baugeld – kurz alles Nöthige war in schnellster Frist beschafft; ein paar junge Regierungsbauführer, die nichts anderes bieten konnten, steuerten ihre eigene Arbeitskraft bei. Eine solch begeisterte herzliche Theilnahme hatte man im Baugewerke noch nicht erlebt.

Meinhard ordnete das Chaos mit bewundernswerther Umsicht, so daß schon am Montagnachmittag die Fundamentierungsarbeiten begannen. Den anfangs sprachlosen Arnold hatte er fast beim Kragen nehmen müssen, um ihn mit zur Baustelle hinauszuschleppen. In Gottes freier Natur, bei einem Wetter, das den Leichtsinn in der Menschenbrust geradezu herausforderte, war ihm die Beruhigung des Freundes dann schnell gelungen.

Als unbezahlbarer Verbündeter für die erforderliche Nachtarbeit stellte sich in Ermangelung elektrischer Beleuchtung das herrlichste Mondlicht ein, und am Dienstag sah man bereits, daß es „etwas wurde“. Ein des Weges ziehender Fremder hätte sich nach Amerika versetzt fühlen können. Das war ein Sandsieben, Kalklöschen, eine Steinschlepperei und Maurerei von einer in Europa bisher unbekannten Emsigkeit! Onkel Meinhard, der geistige Schöpfer des werdenden architektonischen Kunstwerkes, nahm sich in seinem gelbgrünen verschossenen Flaus wie ein gebietender Feldherr aus. Arnold, in Hemdsärmeln, den zerdrückten Filz heroisch auf den Locken und die Maurerkelle in der Hand, arbeitete mit einer Thatkraft, um die Herakles bei Ausführung seiner zwölf Aufgaben ihn beneidet haben würde. Und die jungen Regierungsbauführer standen ebensowenig zurück wie die bunt zusammengewürfelte Schar der Gesellen und Handlanger, die im hellen Spaß an der Sache einen Eifer entwickelten, als wenn es dem lohnendsten Accord gegolten hätte.

So geschah denn das „Wunder“: am Donnerstagnachmittag stand die einstöckige „Villa“ nach wohlwollender Auffassung „fertig“ da. Aber es war ein überaus scheußliches Wunder geworden. Die jungen Bauführer lachten darüber, bis ihnen die Thränen aus den Augen liefen. Bei dem ganz oberflächlichen Plan, bei der bunten Vermengung der verschiedensten Baubestandtheile, bei der geringen Zahl von Thüren und Fenstern und der Fülle wenig brauchbarer oder fehlerhafter Ornamente hatte nothwendigerweise [663] ein kleines Ungeheuer von Stillosigkeit entstehen müssen, und ebenso konnte bei der Nachtarbeit und der allgemeinen Ueberstürzung kein sorgfältiges Mauerwerk zustande gebracht sein.

Trotzdem zeigte wenigstens Onkel Meinhard eine große Verliebtheit für sein mißrathenes Kind. Auch Arnolds Gesicht strahlte, wenn auch aus anderen Gründen.

Ein so bedeutender, unter so ungewöhnlichen Umständen vollendeter Bau verlangte einhelliger Ueberzeugung gemäß ein gehöriges Richtfest, und mit der entsprechenden Schnelligkeit wurde es auch begonnen.

Das Festpublikum in Person der Baulieferanten, sowie Magdas und der Erbtochter, befand sich bereits zur Stelle; nur der als „Ehrengast“ eingeladene Herr Pistor war noch nicht erschienen.

Magda nahm den Arm des Gatten. „Siehst Du, Schatz, wie recht ich gehabt habe! Das Haus steht – und nun werden wir auch über den für unsere Verhältnisse immerhin recht erheblichen Schuldenberg wegkommen. Davor ist mir gar nicht mehr bange!“

„Mir auch nicht, Kind, wenigstens in diesem Augenblick nicht. Aber – alle Wetter, da habe ich endlich die Idee gefunden!“ rief er, hier sich unterbrechend, zu Onkel Meinhard hinüber, der sich soeben ein Paar Gummimanschetten vorknöpfte, was bei ihm als Zeichen einer sehr feierlichen Stimmung angesehen werden mußte. Meinhard nickte. Er wußte, der freudige Ausruf bezog sich auf die Entdeckung eines passenden Namens für die „Villa“, um den die betheiligte Künstlerschaft sich lange gestritten hatte.

Jetzt sammelte sich das Festpublikum im Halbkreis und erwartete den Redner, dessen Rolle der Bauherr selbst übernommen hatte. Von den Untenstehenden freudig begrüßt, steckte Arnold den malerischen Kopf aus dem kleinen Giebelfenster und nahm, ein gefülltes Weinglas herausstreckend, das Wort. Zunächst stattete er tief gerührt allen Helfern, dem Onkel Meinhard obenan, seinen herzlichsten Dank ab. Mit wachsender Schelmerei gab er dann die Baugeschichte zum besten. „Aber nun,“ schloß er, „bleibt mir noch übrig, diesem stattlichen Bau einen würdigen Namen zu verleihen. So taufe ich Dich denn, liebes Haus, weil Du luftig bist wie ein italienischer Palazzo und vornehmlich, weil alles an Dir auf Borg genommen ist bis zum letzten Nagel – Villa Borghese!“

Das zerschellende Glas besiegelte diese launige Selbstverspottung, die jubelnden Beifall erweckte. Mit fürstlicher Würde stieg Arnold herunter und nahm die dargebrachten Glückwünsche entgegen, und dann lagerte man sich zu einem kleinen aus Bier und Butterbrot bestehenden Festschmaus auf dem freien Platze vor dem Eingang.

Aber man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Der Himmel verhüllte plötzlich sein Haupt über den Fröhlichen, schwarze Wolken ballten sich zusammen, die einen prasselnd daherjagenden Regen ausschütteten. Die „Villa Borghese“ wurde gleich auf eine harte Probe gestellt.

„Auf, in den Salon!“ befahl Arnold, indem er mit Toni und seinem Bierkrug voran ins Haus flüchtete. Und in großer Heiterkeit wurde die Feier im „Salon“ fortgesetzt, nachdem man schnell ein paar Bänke aus Tonnen und Brettern zugerichtet hatte. Doch alsbald stellten sich auch zwei ungebetene Gäste ein. Darüber, daß der Wind mit hereinkam, wunderte man sich freilich nicht weiter; daß aber auch der Regen in ergiebigster Fülle seinem Beispiel folgte, das erregte doch einiges Kopfschütteln. Zum Kuckuck, er that so, als ob weder Dach noch Mauern vorhanden wären!

„Nur Muth! Das giebt sich schon wieder, wenn es erst draußen aufhört!“ tröstete Onkel Meinhard.

„Freilich, das macht nur die Neuheit!“ pflichtete Magda bei.

„Donnerwetter, eigentlich kann hier doch noch kein Mensch wohnen!“ rief Arnold unüberlegt.

„Nicht?“ antwortete. eine laute Stimme von der Thür her. „Nun, meine Herschaften, dann begreife ich wirklich nicht, warum Sie sich mit der Errichtung dieses windschiefen Vogelbauers so viel Mühe gegeben haben. Da kein für Menschen bewohnbares Haus auf diesem Grundstück errichtet wurde, hat Herr Arnold, wie ich hiermit feststelle, endgültig sein Besitzrecht verloren.“

Der Redende war natürlich Herr Pistor, der mit aufgeschlagenem Rockkragen, unter einem triefenden Regenschirm, in der Thür stand; hinter ihm ein anderer Herr, wahrscheinlich sein Sachverständiger.

„Das nennt man den Neid der Götter!“ seufzte Onkel Meinhard mit tragischer Gebärde. Und Arnold schaute Magda an und Magda Arnold; beiden sah dieselbe Trostlosigkeit aus dem Gesicht.

Die übrige Gesellschaft war indessen keineswegs gewillt, sich stören zu lassen. „Hinaus! Hinaus!“ tönte es aus allen Ecken dem „Ehrengast“ entgegen, und Herr Pistor, der seinen Protest angebracht hatte, des weiteren aber nur unliebsame Folgen für seine werthe Person voraussah, verschwand nebst seinem Begleiter schleunigst aus dem Bereich der geschmähten Blüthe moderner Baukunst.

Als er gegangen war, nahm Onkel Meinhard mit Stentorstimme das Wort. „Nur nicht den Kopf hängen lassen, meine Herren! Bis Mitternacht, wo der Termin abläuft, ist es noch Zeit genug. Ich fahre sofort zur Stadt. Erwarten Sie alle hier meine Rückkehr; ich sage Ihnen, Sie werden Ihr blaues Wunder erleben!“

Diese zuversichtliche Sprache Meinhards, der eilig durch den Regen davonrannte, stellte das arg erschütterte Vertrauen auf den Sieg der guten Sache wieder her. Arnold brachte die durch die außerordentlichen Eindrücke abgespannte Erbtochter samt ihrer Mutter im Pappelfelder Gasthof unter, und dann harrten die Mannen geduldig aus, die äußere Feuchtigkeit rastlos durch innere bekämpfend, was sich als sehr zweckmäßig erwies.

Der Regen hatte aufgehört, hoffnungsfreundliche Sterne schimmerten aus den Wolken hervor, als zwei Lastwagen angejagt kamen. Auf dem vorderen saß Onkel Meinhard und schwenkte seinen Hut.

„Meinhard! Mensch! Was bringen Sie denn da?“ tönte es ihm im Chor entgegen.

„Dachpappe, meine Herrschaften! Nichts als solide wasserdichte Dachpappe!“

„Ein dreifaches Hurra dem allzeit erfinderischen genialen Baumeister der Villa Borghese!“ schrie Arnold.

„Danke, mein Sohn!“ entgegnete Meinhard, „und hier sind noch Fackeln und Laternen, da ich nicht so leuchtend bin wie der Kollege am Himmel da droben, der heute abenb streikt.“

Eine äußerst spukhafte Scene entwickelte sich nun. Die Villa Borghese sah aus, als wäre sie aus Dantes Hölle und würde von oben bis unten, an Dach und Wänben, von wildhämmernden Teufeln mit Pappe benagelt.

Aber ehe noch die Geisterstunde schlug, endigte der Spuk. Ein Wunder war dem andern gefolgt; nur konnte man es nicht gerade als ein „blaues“ bezeichnen – es war schwarz geworden, höllenmäßig schwarz!


Seit jener Nacht ist noch manche andere, minder unheimliche vergangen und mancher Tag. Mancher glückliche Tag kann man sagen, glücklich wenigstes für die Familie Arnold.

Wenn man heute die bei Regenwetter für jeden Fußtritt tief empfängliche, bei Sonnenschein ihren Staubreichthum neidlos verschwendende Pappelfelder Pappelallee entlang geht, an den in allen glaubhaften und unglaubhaften Stilarten erbauten Landhäusern vorbei, so bekommt man schließlich einen heftigen Schreck.

Dieser Schreck wird verursacht durch ein düsteres Objekt, das einer nachtschwarzen, viereckigen, ziemlich hoch geratenen Pappschachtel auf ein Haar gleicht. Erst eine nähere Betrachtung ergiebt, daß man es mit einem Hause, ja mit einer „Villa“ zu thun hat, und mit Wohlgefallen bemerkt man blanke, wenn auch auffallend wenige Fenster, dahinter schimmernde Vorhänge und blühende Blumen. Rings um das Haus zieht sich ein junges Gärtchen, in dem zur Zeit bunte Astern und hohe gelbe Sonnenblumen in stiller Herbstschönheit prangen.

An der grüngestrichenen Gartenpforte leuchtet ein Porzellanschild, das von einer gewissen Besitzfreudigkeit zeugt, und wer sich sehr guter Augen rühmen kann, entdeckt unter dem schiefen Giebel eine kleine Inschrif – das einzige, was an den Außenwänden weiß ist, und das einzige, was nicht aus Pappe zu bestehen scheint. Sie lautet: „Villa Borghese“. Heute, eben jetzt, zieht ein wohlgekleideter lockenköpfiger Herr die Klingel, die neben dem erwähnten Porzellanschild hängt. Dieser Herr ist der Eigenthümer selbst, der Privatbaumeister Eduard Arnold. Kaum ist der schrille Klang ins Haus gedrungen und das Schloß der Pforte zurückgeschnappt, so kommt ein kleines dickes etwa [664] vierjähriges Mädchen jubelnd hervorgestürzt. „Papa, Papa! Wir essen heute Eierkuchen, und morgen besucht uns Onkel Meinhard!“

„So? Das sind ja ausgezeichnete Nachrichten! Bist Du auch artig gewesen, dicke Toni?“ Und sein eifrig bejahendes Töchterchen an der Hand führend, betritt Arnold das Haus. Alles ist hier klein, aber wohnlich. Die inneren Spuren des übereilten Baues sind ausgebessert, und von Außen schützt die Pappe vortrefflich.

Im behaglich ausgestatteten Wohnzimmer steht ein Klavier, dessen blanke Politur dem früheren Arnoldschen nichts nachgiebt.

„Nun, Schatz, was machst Du? Schläft der Junge noch?“ fragt Arnold seine Frau.

„Freilich! Geh’, schau ihn Dir an – wie ein Borsdorfer Apfel sieht er aus! Pappelfeld ist zu einem wahren Luftkurort für ihn geworden.“

„Ein Glück, daß wir herausgezogen sind, gelt, Magda? Und jetzt hab’ ich zwei Neuigkeiten für Dich im Sack.“

„Und?“

„Erstens ist der Pistor gestorben; er hat eine Million hinterlassen. Seit er den Prozeß gegen uns verlor, ist es mit seiner Gesundheit bergab gegangen.“

„Ach! Darüber kann ich – der Himmel verzeih’ mir – nicht allzu betrübt sein, Eduard. Hoffentlich erweckt Deine zweite Neuigkeit aber angenehmere Gefühle.“

„Zweites bekomme ich den Bau der Nazarethkirche! Onkel Meinhard werde ich mit heranziehen, selbstverständlich!“

„Herrlich!“ jubelte Magda.

„Ja, siehst Du, und wenn die Grundstücke so weiter steigen, werden wir noch einmal steinreiche Leute und ich baue hier nebenan die ‚Villa Magda‘!“

„Schön, Herzensschatz! Vorläufig bin ich übrigens ganz damit zufrieden, in unserem lieben verachteten Häuschen wohnen zu können. Wenn wir aber je einmal ausziehen, erhält es der Onkel Meinhard – der ist der einzige, der es zu schätzen weiß!“

„Einverstanden, Magda! Lieber Gott – Weib, Kinder, ein eigenes Haus und dann eine solche Nachbarschaft, was könnte sich der Mensch auf Erden noch mehr wünschen!“

Aus dem Nebenzimmer erscholl ein urkräftiges Geschrei. „Hurra, der Junge ist wach!“ rief Arnold und eilte hinein, um gleich darauf mit seinem nunmehr beruhigten jüngsten Sprößling wieder aufzutauchen. Er ließ ihn auf dem Arme tanzen, schüttelte die Locken und pfiff dazu: ‚So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage!“

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Da steht nun das wunderliche häßliche Ding an der Pappelfelder Straße, geliebt von seinen heutigen Bewohnern, geliebt auch in Zukunft, denn sein einstiger Besitzer ist ja der Onkel Meinhard, der es geschaffen hat. Uebrigens ist der fremde Name „Borghese“ dem Volksmund nicht geläufig geworden. Wer Interesse an der Familie Arnold genommen hat und ihr seine freundschaftliche Antheilnahme auszudrücken wünscht, der schreibe lieber auf die Adresse: „Villa Pappschachtel“. Dann weiß der Briefträger Bescheid.