Volksliedvarianten durch Missverständnis
[190] Volksliedvarianten durch Missverständnis. Wie selbstherrlich das Volk mit den von ihm gesungenen Liedern schaltet, wie es Unverstandenes tilgt oder in oft wunderlicher Weise abändert, haben John Meier (Volkslied und Kunstlied. Allgemeine Zeitung 1898. 8. März) und Reuschel (’Volkskundliche Streifzüge‘ 1903 S. 56–85) einleuchtend an vielen Beispielen gezeigt. Und wer die Varianten der grossen Sammlungen durchsieht, wird auf manches weitere lustige Missverständnis stossen. So singt man im Taunus von dem schönen grünen Wald, „wo die Anna sich aufhält“ (statt Diana. Erk-Böhme, Liederhort Nr. 1451). Eine Anekdote erzählt von einem Juden, der den Choral zu hören glaubt: „Mein erst Gefühl sei Preußsch Courant“ (Preis und Dank). Schulkinder singen verständnislos von der „Knaben bringenden Weihnachtszeit“ (O du fröhliche), von „Marie, die reine macht“ (Es ist ein Reis entsprungen: Marie die reine Magd), von „Martha Liebe“ (Ich bete an die Macht der Liebe), von der „Wonnegans“ (Heil dir im Siegerkranz) und im Gellertschen Weihnachtsliede: „In Preussen, was durch Jesum Christ“ (Ihn preise). Von den früher auf den Jahrmärkten vielfach auftretenden böhmischen Harfenistinnen hörte ich in Hoffmanns Lied „Zwischen Frankreich und dem Böhmerwald“ in der 5. Strophe stets: „Singe, sprach die Böhmerin“, weil den Mädchen die böhmische Heimat vertrauter war als die römische Fremde. Ravensburg.Paul Beck. |