Vom Weihnachtsbüchertisch (Die Gartenlaube 1896/50)
[856] Vom Weihnachtsbüchertisch. Aus dem Nachlaß zweier Poeten, von denen gar manches Gedicht längst in den Liederschatz des deutschen Volkes übergegangen ist und deren Dichten sich bei aller Vorliebe für die klassische Formenwelt einer außerordentlichen Volkstümlichkeit erfreut, bietet der Cotta’sche Verlag in Stuttgart Gedichtsammlungen dar, die sich hervorragend zu Christgeschenken eignen. „Gedichte von Emnuuel Geibel. Aus dem Nachlaß“ lautet der Titel des einen Bandes. Zahlreiche Jugendgedichte, in denen der Duft von Geibels Liebesfrühliug webt, finden sich hier mit schwungvollen Oden und Hymnen, geistvollen Epigrammen und markigen Zeitgedichten voll begeisterter Vaterlandsliebe vereinigt. Den anderen Band „Von Tag zu Tage. Dichtungen von Otto Roquette“ hat Ludwig Fulda aus dem Nachlaß des Dichters von „Waldmeisters Brautfahrt“ herausgegeben. Unter dem Titel „Von Tag zu Tage“ führte Roquette ein poetisches Tagebuch in kurzen Sprüchen. Diese von Geist und Humor erfüllte Geheimchronik seines inneren Lebens wird in dem Bande ergänzt durch empfindungsfrische Lieder in allerlei Tönen und aus allen Lebensphasen des Dichters. Vier Erzählungen in Versen und das poesievolle Drama „Lanzelot“ bilden den Schluß. Die neue Lieferungsausgabe von Friedrich Rückerts Werken, welche der gleiche Verlag erscheinen ließ, ist rechtzeitig zum Abschluß gelangt, um den diesjährigen Weihnachtsmarkt als gewiß Tausenden hochwillkommenes Geschenk zu bereichern. Diese wohlfeile, von dem leider so früh verstorbenen Ludwig Laistner mit ebensoviel Sorgfalt wie Geschmack besorgte Rückertausgabe, die alles zusammenfaßt, worauf sich Rückerts unsterblicher Dichterruhm gründet, birgt in ihren sechs Bänden einen unerschöpflichen Schatz von erfrischender Poesie und erhebender Weisheit. Ein zeitgenössischer Dichter, dessen Name auch im Reiche der Lyrik gar guten Klang hat, Ernst Eckstein, legt in dem originell ausgestatteten Band „Ebbe und Flut“ (Dresden, Reißner) eine Auswahl des Besten vor, was er in rein lyrischer Form geschaffen. Alte gute Bekannte mit Neuem vereinigt auch Edwin Bormanns „Humoristischer Hausschatz“ (Leipzig, Selbstverlag), dessen Inhalt ganz dem besonderen humoristischen Element angehört, durch dessen Pflege Bormanns Muse ihre große Beliebtheit errang. Auf einen ernsteren Ton ist die Leier Adolf Briegers gestimmt, dessen „Ausgewählte Gedichte“ (Großenhain, Baumert und Ronge) so viel des Schönempfundenen und Schöngestalteten enthalten, daß sie die wärmste Empfehlung verdienen; das Gleiche gilt von den „Ausgewählten Gedichten“ R. Zoozmanns (Leipzig, Friesenhahn) und der Sammlung „Im Morgenlicht“ von Wilhelm Langewiesche, dem hübschen Liederbüchlein „Unkraut“ von Hermann Freise mit seinem klangreichen Inhalt (Metz, G. Scriba). Im 5. Band seiner nun in 6 Bänden abgeschlossen vorliegenden „Sämtlichen Werke“ reicht H. Allmers, der gefeierte Autor des „Marschenbuchs“ und der „Römischen Schlendertage“, einen vollen Strauß seiner in Nord und Süd erblühten Lyrik dar (Oldenburg, Schulze). Aus Allmers’ Heimat kommt uns auch das „Album oldenburgischer Dichter“, herausgegeben von Franz Poppe (ebenda) zu; es faßt gleich dem neuen Jahrbuch des Scheffelbundes „Nicht rasten und nicht rosten“, dessen Leitung jetzt Oskar Pach übernommen hat (Stuttgart, Bonz), die Beiträge Vieler zusammen. Schon mehr literarhistorischen Charakters ist die fleißige und originelle Arbeit A. Holders: „Geschichte der schwäbischen Dialektdichtung“ (Heilbronn, Max Kielmann), da sie neben den Charakteristiken und Bildnissen der zahlreichen schwäbischen Dichter, die sich des Dialekts ihrer Heimat bedienten, auch vielerlei Proben ihrer Dichtung enthält. Als eine Ergänzung zu jeder deutschen Litteraturgeschichte ist der Könneckesche „Bilderatlas zur Geschichte der deutschen Nationallitteraturgeschichte“ längst geschätzt, dessen zweite vermehrte Auflage eben erschien (Marburg, Elwert). In der gediegenen Ausstattung der L. Lewesschen Bände „Goethes Frauengestalten“ und „Shakespeares Frauengestalten“ bietet der Krabbesche Verlag in Stuttgart ein ähnliches Werk über Schillern „Schillers Frauengestalten“ von Julius Burggraf dar, eine ansprechende Darstellung von Schillers Leben und Schaffen unter dem hier gegebenen Gesichtspunkt. Den ersten Band einer Sammlung illustrierter Litteraturgeschichten bildet R. Wülckers „Geschichte der englischen Litteratur“ (Leipzig, Bibliogr. Jnstitut), deren Bilderschmuck ebenso instruktiv wie ansprechend ist, während der Text wissenschaftlichen Wert mit anschaulicher Darstellung verbindet. Die Aufgabe, der deutschen Lesewelt das Beste der Romanlitteratur des In- und Auslands, besonders der englischen und französischen, in sorgfältiger Auswahl zu vermitteln, wird von Engelhorns „Allgemeiner Romanbibliothek“ in wahrhaft beifallswürdiger Weise gelöst. Wir haben schon früher auf die Vorzüge dieses Unternehmens hingewiesen. Auch die letzten Jahrgänge, deren 13. noch im Erscheinen begriffen ist, enthalten eine große Zahl durchweg interessanter Romane, von denen verschiedene in der zu Geschenken besonders geeigneten „Salonausgabe“ vorliegen.