Vom hochnothpeinlichen Halsgerichte

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Autor: Unbekannt
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Titel: Vom hochnothpeinlichen Halsgerichte
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 345–346
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Schilderung einer Gerichtsverhandlung im Jahre 1768
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Vom hochnothpeinlichen Halsgerichte.

Schon Viele werden von dem „hochnothpeinlichen Halsgerichte“ gehört haben, ohne genauere Wissenschaft über das dabei stattgehabte Verfahren zu besitzen. Vielleicht dürfte dem Wunsche mancher Leser entsprochen werden, wenn im Nachstehenden eine actentreue Darstellung eines zu Glauchau am 10. August 1768 stattgehabten hochnothpeinlichen Halsgerichts gegeben wird. Ist doch der menschliche Geist so gern gewillt, die Gegenwart mit der Vergangenheit zu vergleichen und sich in die Zeit früherer Jahrhunderte zurückzuversetzen. Solches aber geschieht am besten, wenn Thatsachen an dem Geiste vorüberziehen. Fragt man, welchen Vorzug die neueren Strafgesetze mit ihrem Verfahren vor dem der Vergangenheit angehörigen haben, so bedarf es nur eines Rückblicks auf Kaiser Karl’s V. hochnothpeinliche Halsgerichtsordnung, genannt Carolina, welche in den meisten deutschen Ländern bis in unser Jahrhundert in Gültigkeit gestanden hat, ja, in mehreren Ländern heute noch gilt; und fürwahr, es ist hohe Zeit, daß dieses vollständig veraltete Gesetzbuch gänzlich in Ruhestand versetzt wird. Bekanntlich huldigte die Carolina der sogenannten Abschreckungstheorie. Geringen Diebstahl ahndete sie mit dem Strange, auf Kindesmord setzte sie das Lebendigbegraben nebst dem Pfählen, auf Ehebruch das Säcken, beziehendlich das Schwert, auf Brandstiftung das Lebendigverbrennen, und so sind fast alle Strafen peinlich, d. h. solche, welche an Leib und Leben gehen. Um wie viel milder urtheilen die neueren Strafbücher über Schwächen und Verbrechen!

Kommt hierzu noch, daß die Angeklagten zu jener Zeit durch die Folter zum Geständnisse gezwungen, daß sie vor der Hinrichtung öfters zur Erhöhung der Strafe mit glühenden Zangen zerfleischt wurden, daß dem Todesstreiche selbst das quälende, die Todespein vermehrende hochnothpeinliche Halsgericht voranging, so wird Jeder sich glücklich preisen, daß er der Gegenwart angehört. Freilich darf man die Zustände, welche das genannte kaiserliche Gesetzbuch hervorriefen, nicht außer Acht lassen. In einer an Krieg und Rohheit überreichen Zeit, wo Leben und Eigenthum für nichts geachtet wurde, bedarf es der Strenge und Schärfe der Gesetze, und darum mag die Carolina für ihre Zeit ein ebenso passendes Strafbuch gewesen sein, wie die neueren Strafgesetzbücher für die Gegenwart.

Wie schon oben erwähnt, ging der jedesmaligen Hinrichtung das sogenannte hochnothpeinliche Halsgericht voraus. Dasselbe war ein öffentliches Anklageverfahren, welches wider den Angeklagten unter freiem Himmel stattfand. Die Form und den Charakter des Halsgerichts wird nun ein Jeder selbst aus Nachstehendem sich herauszeichnen können.

Zur Vollstreckung des wider Susannen Rosinen Winklerin wegen Diebstahls ausgesprochenen Todesurtheils war der 19. August anberaumt und dem damaligen Landgerichte zu Glauchau aufgegeben worden, dies hochnothpeinliche Halsgericht wider dieselbe auf öffentlichem Markte gewöhnlicher Maßen zu hegen und die Execution verrichten zu lassen. Demzufolge hatte sich am gedachten Tage früh 6 Uhr das damit beauftragte Landgericht, bestehend in der Person des Landrichters und vier Landgerichtsschöppen, allerseits in schwarzer Kleidung und Degen oder Hirschfänger an der Seite tragend, bei dem in der Vorstadt wohnenden Landrichter selbst versammelt, und nachdem von dem commandirenden Bürgerhauptmann die bestimmte Mannschaft zur Abholung der Delinquentin aus der Frohnfeste abgeschickt gewesen, sich auf den Marktplatz begeben, allwo vor dem Rathhause, zur Hegung des hochnothpeinlichen Halsgerichts, ein schwarzbehängter Tisch nebst sechs dergleichen Stühlen gesetzt worden war.

An diesem Tische, auf welchem ein eiserner Handschuh, ein Schwert in der Scheide und ein weißer Stab lagen, welche Stücke der Gerichtsdiener dem Landgerichte im Hereingehen aus der Vorstadt nachgetragen hatte, setzte sich der Landrichter nebst den erwählten vier Schoppen dergestalt nieder, daß der Landrichter den Rücken dem Rathhause zuwendete und die eine Breitseite des Tisches einnahm, während die Beisitzer, je zwei, an der Längenseite des Tisches einander gegenübersaßen, der fungirende Protokollant aber auf dem sechsten Stuhle an der andern Breitseite Platz nahm.

Als nun hierauf die arme Sünderin, Susanne Rosine Winklerin, durch das dazu abgesendete Commando der Bürgergarde, unter Begleitung der Geistlichen, mit Vorsingung der Schule, auf den Markt und in den von der gewaffneten Bürgerschaft geschlossenen Kreis, vor das Gericht gebracht worden war, so wurde mit Hegung des hochnothpeinlichen Halsgerichts der Anfang gemacht. Behufs dieses redete der Landrichter den ersten Schöppen zur linken Hand also an:

„Herr Gerichtsschöppe! ich frage Ihn, ob es Zeit sei, daß ich ein endliches hochnothpeinliches Halsgericht hegen möge, einem Jeden nach seinem Rechte, nach peinlicher Art?“

Der erste Schöppe antwortete hierauf: „Herr Landrichter! dieweil Ihm die Gerichte anbefohlen und Leute vorhanden sind, welche hochnothpeinlich Halsgericht und Recht begehren, so ist es an der Zeit, daß Er das endliche, hochnothpeinliche Halsgericht hegen möge, einem Jeden zu seinem Rechte, nach peinlicher Art.“

Der Landrichter wandte sich sodann an den zweiten Schöppen: „Herr Gerichtsschöppe! ich frage Ihn, wie das hochnothpeinliche Halsgericht ich hegen soll, einem Jeden zu seinem Rechte, nach peinlicher Art?“

Worauf dieser Schöppe entgegnete: „Herr Landrichter! hege Er selbiges mit Urthel und Recht zum ersten Mal, mit Urthel und Recht zum zweiten Mal, mit Urthel und Recht zum dritten Mal: Er gebiete Recht und verbiete Unrecht und Dinges Unlust, und daß Niemand vor gehegte Bank trete und sein selbst oder eines Andern Wort vor Gericht rede, er thue es denn mit Gerichts Urlaub.“

Darnach stand der Landrichter mit den Gerichtsschöppen auf, legte den eisernen Handschuh an, ergriff das Schwert und ließ die Scheide von dem Gerichtsdiener hinter sich abziehen und wieder an seinen Ort auf dem Tische legen, nahm das Schwert entblößt sammt dem weißen Stabe in die rechte Hand und hegte das Gericht stehend folgender Gestalt: „So hege demnach ich ein hochnothpeinlich Halsgericht mit Urthel und Recht zum ersten Male, mit Urthel und Recht zum zweiten Male, mil Urthel und Recht zum dritten Male; ich gebiete Recht und verbiete Unrecht und Dinges Unlust, und daß Niemand vor gehegte Bank trete und sein selbst oder eines Andern Wort rede, er thue es denn mit Gerichts Urlaub.“

Hiernächst fragte der Landrichter den dritten Schöppen: „Herr Gerichtsschöppe! ich frage Ihn, ob das hochnothpeinliche Halsgericht ich zu Recht genugsam geheget habe, einem Jeden zu seinem Recht, mit Urthel und Recht, nach peinlicher Art?“

Nachdem darauf der dritte Schöppe: „Herr Landrichter! Er hat das hochnothpeinliche Halsgericht mit Urthel und Recht, einem Jeden zu seinem Rechte genugsam geheget; lasse Er es den Frohn abrufen,“ geantwortet hatte, wandte sich der Landrichter zum Amtsfrohn mit den Worten: „Frohn, rufe Er es ab.“

Letzterer rief nun mit lauter Stimme aus: „Es ist anitzo das hochnothpeinliche Halsgericht geheget mit Urthel und Rede zum ersten Mal, es ist geheget mit Urthel und Recht zum zweiten Mal, es ist geheget mit Urthel und Recht zum dritten Mal, nach peinlicher Art, daß Niemand vor das hochnothpeinliche Halsgericht treten soll, er thue es denn mit Urlaub und Recht. Wer nun vor diesem hochnothpeinlichen Halsgerichte zu klagen hat, der komme und trete hervor, wie Recht ist, nach peinlicher Art; es soll verholfen werden, was Recht ist.“

Kaum daß der Amtsfrohn solches ausgerufen, so trat auch schon der Scharfrichter vor und redete den Landrichter an, wie folgt: „Herr Landrichter! ich bitte um Gunst und Urlaub, daß vor dieses hochnothpeinliche Halsgericht ich treten und reden möge, wie Recht ist.“

Der Landrichter erwiderte hierauf: „Es sei Dir vergönnet.“

Jetzt begann der Ankläger weiter: „Weil heute von Gott und Rechtswegen, auch von wegen der hohen Obrigkeit ein hochnothpeinliches Halsgericht geheget ist, so bitte ich, man wolle mir meine dreifache Anklage in einer vollbringen lassen, wie sie zu Recht beständig ist.“

Wieder entgegnete der Landrichter: „Es sei Dir vergönnet.“

Der Ankläger fuhr fort: „Herr Landrichter! ich klage peinlich an gegenwärtige arme Sünderin, Susanne Rosine Winklerin, so sie wider das siebente Gebot gehandelt und gestohlen, auch beim Stehlen Wache gestanden, ich klage sie an zum ersten Mal, ich klage sie an zum zweiten Mal, ich klage sie an zum dritten Mal, zu Hals und Bauch und Alles, was sie um und an hat, damit soll sie bezahlen heute diesen Tag. Herr Landrichter, ich frage Ihn, ob ich meine drei Anklagen in einer vollbracht habe, wie es sich nach peinlicher Art eignet und gebühret, daß sie Kraft hat?“

Der Landrichter bejahte solches mit den Worten: „Ja, Du hast Deine drei Anklagen wider Susanne Rosine Winklerin in einer vollbracht, wie sie Kraft hat und wie es sich zu Recht und nach peinlicher Art gehört.“

[346] Darauf fuhr der Scharfrichter und peinliche Ankläger weiter fort: „Herr Landrichter! so bitte ich, man wolle diese peinlich angeklagte arme Sünderin darüber vernehmen und derselben ihre gütliche Aussage nochmals vorhalten und hören, ob sie ihrer begangenen Missethat nochmals geständig sei.“

Auf des Landrichters Antwort: „Ja, es soll geschehen und ihr vormaliges gütliches Geständniß vorgelesen werden,“ las jetzt der betreffende Protokollführer der Winkler das über ihre erste Vernehmung aufgenommene Protokoll, worin sie der bezüglichen Entwendung von 12 Thalern 12 Gr. geständig, laut und vernehmlich vor, worauf öffentlich der Landrichter die Angeklagte befragte: „Bekennst Du Dich zu dieser Deiner vormals gethanen Aussage, vor gegenwärtigem hochnotpeinlichem Halsgerichte, nochmals?“

Nachdem die Winkler mit deutlichem „Ja“ diese Frage beantwortet und ihr Bekenntniß bekräftigt, so fuhr der Scharfrichter als peinlicher Ankläger fort: „Herr Landrichter! Dieweil die peinlich angeklagte arme Sünderin, Susanne Rosine Winklerin, hier stehet vor Gott und männiglich unter freiem Himmel und ihre Missethat, worüber sie vor diesem hochnothpeinlichen Halsgerichte angeklagt, geständig ist, so bitte ich um Recht und daß vor diesem hochnothpeinlichen Halsgerichte das Urthel derselben gesprochen werden möge, nach peinlicher Art.“

Der Landrichter erwiderte nunmehr: „es soll geschehen,“ worauf der Protokollführer das von dem Schöppenstuhle zu Leipzig abgefaßte Urthel, durch welches die Winkler wegen Diebstahls zum Tode mittels des Stranges verurtheilt worden war, langsam vorlas.

Sofort nach der Publication zerbrach der Landrichter den weißen Stab und legte die Stücke vor sich auf den Tisch, während der Scharfrichter abermals vortrat und das Halsgericht also anredete: „Dieweil denn dieser von mir peinlich angeklagten armen Sünderin, Susannen Rosinen Winklerin, wegen ihrer eingestandenen und überzeugten Missethat das Urthel von diesem hochnothpeinlichen Halsgerichte gesprochen und eröffnet worden, nach peinlicher Art, so frage ich, wer das jetzt publicirte Urthel zur Execution bringen soll.“

Ihm antwortete der Landrichter: „Das sollst Du thun. Jedoch weil gegenwärtiger armen Sünderin der ihr zuerkannte Strang in’s Schwert in Gnaden verwandelt ist, so hast Du sie mit dem Schwerte vom Leben zum Tode zu bringen.“

Der Ankläger und Scharfrichter wandte sich nach dieser Antwort wieder an’s Halsgericht mit folgender Rede: „Weil mir nun aufgetragen wird, von Gott und Rechts wegen und von wegen der hohen Obrigkeit, die Todesstrafe an gegenwärtiger armen Sünderin zur Execution zu bringen, so will ich sie annehmen und dem wohlbehaupteten und gesprochenen Urthel gemäß sie vom Leben zum Tode mit dem Schwerte bringen, damit die hohen Gerichte im Lande mögen gestärket und nicht geschwächt werden, einem Andern zum Exempel und Beispiel. Herr Landrichter! ich bitte aber auch um ein frei, sicher Geleit, damit, wenn mir etwa meine Kunst, wie ich doch, ob Gott will, nicht hoffe, mißlingen möchte, ich dennoch sichern Ein- und Ausgang haben möge.“

Der Landrichter antwortete: „Ja, es soll geschehen,“ und forderte den Amtsfrohn dazu auf.

Dieser verrichtete den Befehl also: „Es wird vor diesem hochnothpeinlichen Halsgerichte dem Scharfrichter und seinen Leuten ein frei, sicheres Geleit hiermit ausgerufen, dergestalt und also, da es über Verhoffen ihm oder den Seinigen in Vollstreckung des Urthels mißlingen sollte, daß er seinen Eingang und Ausgang habe und sich Niemand an ihm oder seinen Leuten vergreifen solle, bei Leib- und Lebensstrafe.“

Jetzt erst schloß der Scharfrichter mit den Worten: „Herr Landrichter! Er vergönne mir, vor diesem hochnothpeinlichen Halsgerichte wieder abzutreten und die arme Sünderin abfolgen zu lassen,“ welche Bitte ihm sofort gewährt ward.

Nach diesem Allen wandte der Landrichter sich an den vierten Schöppen und frug ihn, ob es Zeit sei, daß er das hochnothpeinliche Halsgericht wiederum aufheben möge.

Dieser Schöppe eutgegnete: „Wenn Niemand vorhanden, der vor diesem hochnothpeinlichen Halsgerichte weiter zu klagen hat, oder Gericht und Recht begehret, so mag es wiederum aufgehoben werden, wie es angefangen ist; es soll aber der Amtsfrohn zuvor nochmals abrufen, ob etwa noch Jemand vorhanden, der vor diesem hochnothpeinlichen Halsgerichte zu schaffen hat.“

Auf die diesfallsige Aufforderung hin rief der Frohn darnach Folgendes aus: „Wenn Niemand vorhanden, der vor diesem hochnothpeinlichen Halsgerichte zu schaffen hat, der mag vortreten, denn die Herren wollen das Gericht aufheben.“

Da Niemand vortrat, so hob der Landrichter das Gericht folgendermaßen auf: „Weil Niemand mehr vorhanden, der vor diesem hochnotpeinlichen Halsgerichte etwas zu schaffen hat, so hebe ich selbiges hinwiederum auf, im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, Amen!“

Jetzt legte der Landrichter den eisernen Handschuh wieder ab, ließ das Schwert durch den Frohn wieder in die Scheide stecken, und es wurden auch sodann zugleich die Stühle nebst dem Tische umgeworfen. Darauf wurde die Winkler unter Läuten des Armsünderglöckleins, unter gehöriger Bedeckung der gewaffneten Bürgerschaft, Vorsingung der Schule und unter Begleitung der Geistlichen und des Landgerichts auf den üblichen Richtplatz geführt und durch einen glücklichen Schwertstreich des Scharfrichters, Vormittags 10 Uhr, enthauptet.

Nach dessen Beschehen rief der Scharfrichter dem mit anwesenden Landrichter zu: „Herr Landrichter, Herr Landrichter!“ und fragte ihn, nach dessen Antwort: „was ist Dein Begehr?“ weiter: „Herr Landrichter, habe ich recht gerichtet?“ worauf der Letztere erwiderte: „Ja, Du hast gerichtet, was Urthel und Recht mit sich gebracht hat.“

Damit endigte das von 6 Uhr bis 10 Uhr Vormittags angestandene Executionsverfahren.