Von dem Schneider, der bald reich wurde (1812)
Ein armer Schneider ging einmal zur Winterszeit über das Feld, und wollte seinen Bruder besuchen. Unterwegs fand er eine erfrorne Droßel, sprach zu sich selber: „was größer ist als eine Laus, das nimmt der Schneider mit [281] nach Haus!“ hob also die Droßel auf, und steckte sie zu sich. Wie er an seines Bruders Haus kam, guckte er erst zum Fenster hinein, ob sie auch zu Haus wären, da sah er einen dicken Pfaffen bei der Frau Schwägerin sitzen vor einem Tisch, auf dem stand ein Braten und eine Flasche Wein; indem klopfte es an die Hausthüre, und der Mann wollte herein, da sah er, wie die Frau den Pfaffen geschwind in einen Kasten schließt, den Braten in den Ofen stellt, und den Wein ins Bett schob. Nunmehr ging der Schneider selbst ins Haus, und bewillkommte seinen Bruder und seine Schwägerin, setzte sich aber auf den Kasten nieder, darin der Pfaff steckte. Der Mann sprach: „Frau, ich bin hungrig, hast du nichts zu essen?“ – „Nein, es thut mir leid, es ist aber heute gar nichts im Haus.“ – Der Schneider aber zog seine erfrorene Droßel heraus, da sprach sein Bruder: „mein, was thutst du mit der gefrorenen Droßel?“ – „Ei! die ist viel Geld werth, die kann wahr sagen!“ – „Nun so laß sie einmal wahrsagen.“ – Der Schneider hielt sie ans Ohr und sprach: „die Droßel sagt: es stünde eine Schüssel voll Braten im Ofen.“ – Der Mann ging hin und fand den Braten: „was sagt die Droßel weiter?“ – „Im Bett stecke eine Flasche Wein.“ Der fand auch den Wein: „ei, die Droßel mögt ich [282] haben, die verkauf mir doch.“ – „Du kannst sie kriegen, wenn du mir den Kasten giebst, worauf ich sitze.“ Der Mann wollte gleich, die Frau aber sagte: „nein, das geht nicht, der Kasten ist mir gar zu lieb, den geb ich nicht weg;“ der Mann aber sprach: „stell dich doch nicht so dumm, was nützt dir so ein alter Kasten;“ gab damit dem Bruder den Kasten für den Vogel.
Der Schneider nahm den Kasten auf einen Schubkarren, und fuhr ihn fort: unterwegs sprach er: „ich nehm den Kasten und werf ihn ins Wasser, ich nehm den Kasten und werf ihn ins Wasser!“ Endlich regte sich der Pfaff inwendig und sagte: „ihr wißt viel was in dem Kasten ist, laßt mich heraus, ich will euch 50 Thaler geben.“ – „Ja, dafür will ich es schon thun,“ ließ ihn heraus, und ging mit dem Gelde heim. Die Leute wunderten sich, wo er das viele Geld her habe, er aber sprach: „ich will euch sagen, die Felle stehen in so hohem Preis, da hab ich meine alte Kuh geschlachtet und fürs Fell so viel gelöst.“ Die Leute im Dorf wollten auch davon profitiren, waren her und schnitten allen ihren Ochsen, Kühen und Schafen die Hälse ab, und trugen die Felle in die Stadt, wofür sie aber blutwenig lösten, weil ihrer so viel auf einmal feilgeboten wurden. Da ärgerten sich die Bauern über den Schaden, und [283] warfen dem Schneider Dreck und ander schlechtes Zeug vor seine Thür. Der aber that alles in seinen Kasten, ging damit in die Stadt in einen Gasthof, und bat den Wirth, ob er ihm nicht den Kasten, worin die größten Kostbarkeiten wären, eine Zeit lang verwahren wolle, bei ihm wären sie nicht sicher? Der Wirth sagte recht gern, und nahm den Kasten zu sich, einige Zeit darnach kam der Schneider, forderte ihn wieder zurück und machte ihn auf, um zu sehen, ob noch alles darin wäre. Wie er nun aber voll Dreck ist, so tobte er abscheulich, beschimpfte den Wirth und drohte ihn zu verklagen, so daß der Wirth, welcher Aufsehen scheute, und für seinen Credit fürchtete, ihm gern hundert Thaler gab. Die Bauern ärgerten sich wieder, daß dem Schneider alles zum Profit ausschlug, was sie ihm Leides anthaten, nahmen den Kasten, steckten ihn mit Gewalt hinein, setzten ihn aufs Wasser, und ließen ihn fortfließen. Der Schneider schwieg eine Weile still, bis er eine Ecke fortgeflossen war, dann rief er überlaut: „nein, ich thus nicht! und ich thus nicht! und wenns die ganze Welt haben wollte.“ Das Geschrei hörte ein Schäfer und fragte: „was willst du denn nicht thun?“ – „Ei, sagte der Schneider, da ist ein König, der hat die närrische Grille und besteht drauf, daß, wer in diesem Kasten den Strom hinuntergeschwommen [284] kommt, seine einzige schöne Tochter heirathen soll, aber ich hab’ einmal meinen Kopf drauf gesetzt, und thus nicht, und wenns die ganze Welt haben wollt.“ – „Hört einmal, geht das nicht, daß sich ein anderer in den Kasten setzt und die Königstochter kriegt?“ – „O ja, das geht auch.“ – „So will ich mich an eure Stelle hineinsetzen.“ Da stieg der Schneider aus, der Schäfer ein; der Schneider machte den Kasten noch zu, und der Schäfer ging bald unter. Der Schneider aber nahm die ganze Heerde des Schäfers und trieb sie heim.
Die Bauern aber wunderten sich, wie das zugegangen, daß er wieder käme, und obendrein die vielen Schaafe hätte. Der Schneider sagte: „ich war untergesunken, tief, tief! da fand ich auf dem Grund die ganze Heerde, und nahm sie mit heraus.“ Die Bauern wollten sich da auch Schafe holen, und gingen mit einander hinaus ans Wasser; den Tag war der Himmel ganz blau mit kleinen weißen Wolken, da riefen sie: „wir sehen schon die Lämmer unten auf dem Grund!“ Da sprach der Schulz: „ich will erst hinunter, und mich umsehen, und wenn es gut ist, will ich euch rufen.“ Wie er nun hineinstürzte, rauschte es in dem Wasser: plump! da meinten sie er riefe ihnen zu: kommt! und stürzten sich alle hinter [285] ihm drein. Da gehörte das ganze Dorf dem Schneider.
Anhang
Nach einer andern Erzählung heißt der Mann Herr Hände, den die Bauern wegen seiner Klugheit hassen. Sie schlagen ihn aus Neid den Backofen ein, er trägt aber den Schutt in einem Sack zu einer vornehmen Dame und bittet sie, den Sack ihm aufzuheben, es sey Gewürz, Zimmet, Nägelein und Pfeffer darin. Er kommt dann wieder, ihn abzuholen und verführt ein großes Geschrei, sie habe ihn bestolen, wodurch er ihr 300 Thaler abzwingt. Die Bauern sehen ihn das Geld zählen und fragen, woher er das habe, er sagt von dem Backofenschutt, da schlagen die Bauern all ihre Backöfen ein, tragen den Schutt in die Stadt, kommen aber übel an. Die Bauern wollen ihn aus Rache tödten, er zieht aber seiner Mutter Kleider an, dadurch entgeht er ihnen und seine Mutter wird todt geschlagen. Diese rollt er in einem Faß zu einem Doctor, läßt sie dort ein wenig stehen, kommt wieder und giebt ihm dann Schuld er habe sie getödtet, so erpreßt er von dem Doctor eine Summe Gelds. Er sagt den Bauern, er habe sie für seine todte Mutter bekommen, nun schlagen diese auch ihre Mutter todt. Darauf die Begebenheit mit einem Schäfer, der für ihn sich in die Tonne legt, ersäuft und dem die andern Bauern alle nachspringen.
In dem Märchen vom Bauer Kibitz, welches Büsching S. 296. mittheilt, sind wieder einige Züge verschieden. Kibitz läßt seine Frau von den Bauern todt schlagen, und setzt sie dann mit einem Korb voll Früchte an ein Geländer, wo sie ein Bedienter, dem sie keine Antwort giebt, als er für seine Herrschaft bei ihr einkaufen soll, ins Wasser stürzt; dafür erhält Kibitz den Wagen, worin diese gefahren mit allem Zubehör. – Das Gelderpressen durch bloßes Lärmen gehört auch zu den Listen des Gonella (bei Flögel Gesch. der Hofnarren S. [XL] 309). – Den Betrug mit dem Schäfer hat Straparola I. 3. in der Erzählung vom Messire Scrapafigue. – In dem zu Erfurt 1794. gedruckten Volksbuch: Rutschki oder die Bürger zu Quarkenquatsch sind verschiedene Züge aus diesem Märchen benutzt, das Erkaufen des alten Kastens, worin der Liebhaber steckt, durch die Kuhhaut (S. 10.), das Ausstellen der todten Frau: Rutschki gibt ihr Butter in den Schooß und setzt sie auf den Brunnenrand, der Apotheker der ihr abkaufen will, aber keine Antwort bekommt, rüttelt sie und stürzt sie hinunter, und muß dem Rutschki tausend Thaler bezahlen (S. 18. 19.). Der Betrug an dem Schäfer zuletzt, ist wieder ganz verschieden: Rutschki ist zum Tod verurtheilt, und wird in einen Kleiderschrank eingeriegelt, hinaus zu dem Teich getragen, weil er aber zugefroren ist, lassen sie ihn darauf stehen, und wollen erst Aexte holen, um ein Loch ins Eis zu hauen. Wie sie fort sind, hört Rutschki einen Viehhändler vorbei ziehen und ruft: „ich trinke keinen Wein! ich trinke keinen Wein! mich durstet nicht!“ der Viehhändler fragt, was er vorhabe, Rutschki läßt sich aufriegeln und erzählt, er sey zum Burgemeister erwählt, das Amt nähm er gern, denn es sey wenig Arbeit und 500 Thl. Besoldung dabei; dagegen die Sitte, daß jeder Burgemeister beim Antritt seines Amts einen Becher mit Burgunder austrinke, wolle er durchhaus nicht mitmachen, er trinke keinen Wein, da hätten sie ihn herausgesetzt, daß er Frost und Durst nach einen feurigen Trank bekommen sollte; es helfte ihnen aber alles nichts, er trinke doch nicht. Der Viehhändler trägt einen Tausch gegen seine Heerde an, er legt sich hinein, Rutschki riegelt zu, die Bauern kommen, hauen ein Loch und lassen den Schrank hinab. Wie sie zurückkommen begegnet ihnen Rutschki mit dem Vieh und sagt, er habe es auf dem Grund gefunden, da sey ein schönes Sommerland. Nun stürzen sie sich alle in das Wasser (S. 22. 23.). – Uebrigens sind die allezeit betrogenen Bauern offenbar mit den Lalenbürgern[1] verwandt.