Vorschlag, die Deutschen Volkssagen zu sammeln

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Textdaten
Autor: Karl Christian Traugott Heinze
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Titel: Vorschlag, die Deutschen Volkssagen zu sammeln
Untertitel:
aus: Der Freimüthige oder Ernst und Scherz. S. 302–303
Herausgeber: August von Kotzebue und Garlieb Merkel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1806
Verlag: Heinerich u. Frölich
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons und MDZ München
Kurzbeschreibung:
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Vorschlag, die Deutschen Volkssagen zu sammeln.

[302] Schon einigemal war im Freimüthigen gelegentlich die Rede von dem Nutzen und der Brauchbarkeit Deutscher Volkssagen für den Geschichtforscher. Diesen Nutzen und diese Brauchbarkeit wird nun zwar [303] gewiß kein Vernünftiger abläugnen: allein es gehört unstreitig das Forscherauge eines Johannes von Müller dazu, um in diesen Sagen nicht mehr und nicht weniger zu finden, als wirklich drinnen liegt. Wenn nun manche unserer neuesten hochfahrenden Geschichtkritiker dies Auge nicht haben, znm zweckmäßigen Gebrauche der Volks- und Chronikensagen also theils zu ungeschickt, theils zu bequem, lieber mit stolzer Miene darüber absprechen und Wahres und Falsches mit einander verwerfen; so ist es höchst unrecht: denn es ist ausgemacht, daß alle Sagen, sie mögen so verstellt seyn, als sie wollen, etwas Wahres zum Grunde haben.

Aber um die Goldkörner der Wahrheit aus der Volksdichtung herausscheiden zu können, ist es nicht genug, die Sagen blos auszugsweise oder dem Inhalte nach, wie sie uns gewöhnlich die Reisebeschreiber mittheilen, vor sich zu haben; auf der andern Seite ist es wieder zu viel, sie aus der Hand des Romanenschreibers aufgestutzt nehmen zu wollen: durch diese beiden Mittheilungsarten wird der Zweck des Forschers nicht erreicht werden können. Daher wäre es sehr zu wünschen, wenn man mit eben der Treue und Sorgfalt, mit welcher man bisher Idiotika veranstaltete, auch die Sagen einer jeden Landschaft sammelte, und österreichische, schlesische, sächsische, brandenburgische, baier'sche, fränkische, schwäbische, westphälische etc. Volkssagen herausgäbe! –

Ganz ohne alle romantische Verschönerung und Zuthat müssen diese Deutschen Volkssagen, besonders diejenigen, welche auf berüchtigte Ruinen, Berge, Thäler, Haine, Seen, Höhlen, Steine Grabhügel, Bäume, Erscheinungen u. s. w. Bezug haben, vollständig, wörtlich, mit allen ihren Eigenheiten, Sonderbarkeiten, Namen, Reimen, Zauberformeln in der Mundart eines jeden Orts,[1] kindergläubig und taubeneinfältig gesammelt und aufgeschrieben werden! Da es nicht fehlen kann, daß in verschiedenen Provinzen die nämliche Sage erzählt wird; so muß sie der gewissenhafte Sagensammler, wenn sie im Ganzen sehr verschieden erzählt wird, auch ganz, stünde sie auch schon in einer und der andern Sammlung, in die Seinige aufnehmen: hat sie aber nur einzelne Verschiedenheiten, so werden bloß diese, mit Hinweisung auf die Sammlung, in welcher die ganze Sage schon steht, nachgetragen. Alles offenbar Ausländische bleibt ganz ausgeschlossen.

Erhalten wir so geschriebene Sagensammlungen; dann werden, wir aus ihnen auch den nämlichen Nutzen, für die Geschichte, wie aus den Idiotiken für die Sprache, ziehen können. Ich wollte, es machte Jeder, der das Nützliche gern befördert, seine Landschaft liebt, und alles zu einem Sagensammler Erforderliche in sich vereiniget, sich zur Pflicht: die von seiner Gegend schon vorhandenen Sagen- oder Mährchensammlungen zu sichten; alle fremdartige Beimischung und Ausschmückung davon abzuscheiden, und das Ausgelassene aus dem Munde seiner Landsleute treu und sorgfältig hinzuzufügen, oder wo noch nichts der Art gesammelt ist, eigene, neue Sammlungen von Volkssagen, nach obigen Vorschriften, zu veranstalten. – Die schon vorhandenen Sammlungen von Volkssagen und Mährchen, deren wenigste ich kenne, darf ich nicht beurtheilen. Die von Musäus und Wieland gehören ins Fach der Romane; sind theils ausländische, theils den Originalen nicht mehr sehr ähnlich; die Schlesischen und Oesterreichischen kenne ich noch gar nicht, wahrscheinlich sind sie aber auch blos auf Unterhaltung berechnet und folglich nicht treu; die Sagen von Ottmar scheinen mir unter allen die treusten, jedoch kenne ich ihre Originale eben so wenig; von Veit Webers Harzmährchen, die er unmittelbar aus dem Munde der Harzbewohner aufgenommen hat, ließe sich vielleicht das meiste Gute erwarten, wenn er ihnen nicht Dichtung beigesellen wollte. –

Und so bin ich überzeugt, alle wahre Geschichtforscher, die ihre Größe nicht blos in das Neue, ins Absprechen und Verachten des Alten setzen, werden mit mir in den Wunsch solcher Sagensammlungen einstimmen. Auch die Liebhaber der Unterhaltung werden es mir Dank wissen: denn ich kann ihnen versichern, daß manche Sage in ihrer kindlichen Einfalt erzählt, mehr werth ist, als zehn Meßromane. Daher werden auch allemal die Herren Verleger weit besser mit dem Verlag der Volkssagen fahren, als es gewöhnlich der Fall mit Idiotiken gewesen seyn soll. Kurz, ich sehe von allen Seiten Nutzen und Zufriedenheit, und glaube also einen echtteutschen Vorschlag zur Sprache gebracht zu haben. –

Karl Teuthold Heinze.
  1. Versteht sich bl[o]s von diesen Eigenheiten etc. die Sage selbst wird in hochteutscher Sprache vorgetragen.