Walther von Geroldseck

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Textdaten
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Autor: Gottlieb Konrad Pfeffel
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Titel: Walther von Geroldseck
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch II, S. 8–14
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Quelle: Commons und Google
Kurzbeschreibung:
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Walther von Geroldseck.[1]

Ritter Diebolt, genannt Geroldseck, weil er das Schloß dieses Namens bewohnte, stammte aus einer Nebenlinie des Geroldseckischen Hauses ab. Er war ein böser, neidischer und rachgieriger Mann, der aber seine Tücke gar meisterlich zu verbergen wußte. Drei Jahre lang trug er einen heimlichen Groll gegen Ritter Walthern, den Burgherrn zu Hohengeroldseck, im Herzen, weil dieser ihn bei einem Schimpfspiel vom Rosse geworfen, und bald darnach, als Schiedsmann seines Widerparts, in einer ungerechten Sache gegen ihn gesprochen hatte.

Eines Tages ging Herr Walther ganz allein, blos von seinem Hunde begleitet, auf die Jagd. Er durchstrich die Waldungen, die sich, von dem Fuße seiner Burg an, Meilen weit durch das Thal erstreckten, und gedachte nun, da er kurz zuvor das Lager einer trächtigen Hindin ausgespürt hatte, seinen Junkern mit einem kleinen Reh eine Kurzweil zu machen. Diebolt hatte einen Buben, der ein gar schlauer Wicht war, und viele Tage lang, als ein Betteljunge verkleidet, um das Schloß Geroldseck herstrich, damit er den Augenblick, da Walther allein ausgehen oder ausreiten würde, ablauschen und seinen Herrn davon benachrichtigen könne. Dieses war in langer Zeit nicht geschehen, und als ihm der Bube die Botschaft brachte, freute er sich so sehr darüber, daß er ihm einen Goldgulden schenkte. Hierauf nahm er vier handfeste Männer von seinen Leuten zu sich, mit denen er in den Forst eilte, wo er Walthern zu finden hoffte. Er und seine Gefährten waren vermummt, und er hatte ihnen den strengsten Befehl gegeben, kein Wort zu sprechen. Mehr als eine Stunde lang durchstreiften sie das Dickicht, ohne den Ritter anzutreffen; endlich fanden sie ihn am Fuße einer Eiche sitzend, wo er einen Kuchen verzehrte, den seine Gemahlin, Frau Hedwig, des Abends zuvor gebacken und ihm in seine Jagdtasche gesteckt hatte. Als der Hund in dem Gebüsch ein Geräusch vernahm, sprang er auf und fing [9] an zu bellen; einer von den Knechten aber schoß ihm einen Bolzen ins Herz, daß er todt zu Boden stürzte. Alsdann fielen sie alle über Walthern her, warfen ihn nieder, bevor er sein Waidmesser ziehen konnte, und banden ihm die Hände auf den Rücken, nachdem sie ihm das Wamms vom Leibe gerissen hatten. Hierauf steckten sie ihm einen Knebel in den Mund, verbanden ihm die Augen, und führten ihn mit sich fort. Einer von den Knechten besprengte das Wamms mit dem Blute des Hundes, und ließ es am Fuße des Baumes liegen. In diesem Zustande schleppten die Räuber ihren Gefangenen etliche Tage lang umher, Nachts in verborgene Hecken und Felsen ihn versteckend, wo sie ihm Speise und Trank reichten, und sodann wieder mit ihm fortzogen, so daß der Ritter wähnte, daß er in ein fremdes Land hinweggeführt würde. In der vierten Nacht brachten sie ihn auf das Schloß Lützelhardt, warfen ihm einen schmutzigen Kittel um, und legten ihn, mit Ketten beschwert, in einen finstern Thurm. Frau Hedwig erwartete ihren Herrn vergebens mit dem Mittagsmahle, und als er auch die Nacht über wegblieb, sandte sie des folgenden Morgens alle ihre Knechte aus, um ihn zu suchen. Diese fanden seinen Hund und das blutige Wamms nebst dem Waidmesser unter der Eiche, und dachten nicht anders als, ihr Herr sei von Mördern erschlagen und eingescharrt worden. Vergebens suchten sie sein Grab oder seinen Leichnam, und kamen des Abends mit dem Gewehr und dem Kleide traurig nach Hohengeroldseck zurück. Als Frau Hedwig die grauenvolle Nachricht vernahm und das blutige Wamms erblickte, das einer von den Knechten unter seinem Kittel hervorzog, sank sie ohnmächtig nieder und mußte zu Bette getragen werden. Drei Wochen konnte sie das Lager nicht verlassen, und Jedem, der ihren Jammer mit ansah, brach fast das Herz. Ritter Walther war ein eben so guter Herr, als er ein guter Gemahl und Vater war; er wurde von Alt und Jung beweint, und mehrere von seinen Bauern machten sich freiwillig auf, um Kundschaft über ihn einzuziehen; sie kamen aber Alle unverrichteter Sache wieder zurück, und niemand zweifelte mehr an seinem Tode.

Unterdessen lag Herr Walther immer in seinem Gefängnisse auf der Burg Lützelhardt, ohne daß er wußte, wo er [10] war. Der Thurmwart brachte ihm täglich zu essen und einen Krug Wasser; wenn er aber von ihm angeredet wurde, so gab er dem Gefangenen keine Antwort. – Wißt Ihr, wen Ihr so grausam behandelt? – fragte einst Walther voll Verzweiflung. – Ich will es nicht wissen, – erwiederte der Mann, – und habe Befehl, Euch zu tödten, sobald Ihr Euren Namen aussprecht. – Der Ritter glaubte nicht anders, als daß er von fremden Räubern, die ein schweres Lösegeld für ihn verlangten, in ein fremdes Land geführt worden, und wunderte sich oft, wie seine gute Gemahlin und seine Freunde ihn so gar verlassen konnten. Zwei Jahre schmachtete er in diesem Kerker, ohne ein einziges Mal die Sonne zu sehen, oder die freie Luft zu athmen. Nur wurde bisweilen in der Höhe ein Loch geöffnet, um den faulen Dünsten einen Ausgang zu verschaffen, da dann einige Lichtstrahlen in diese Wohnung des Grauens herabglitten. Bei dieser Gelegenheit vernahm einst der Gefangene den lauten Schall eines Hornes, der ihn aufmerksam machte. Es dünkte ihm, diese Musik schon irgendwo gehört zu haben; er wußte sich aber des Ortes nicht zu erinnern. Einige Zeit hernach, als es wieder, und zwar in dem Augenblick erscholl, da ein anderer Wächter, der ihn erst seit drei Monden bediente, ihm zu essen brachte, erkühnte sich Walther, ihn zu fragen, wo doch dieses große Horn geblasen würde? Der Knecht gab ihm zwar keine bestimmte Antwort; dennoch aber glaubte Walther, aus einigen Reden die jener fallen ließ, und aus verschiedenen kleinen Umständen, die er damit verglich, den Ort seiner Gefangenschaft errathen zu haben. An einem andern Tage fragte Walther diesen Knecht nach seinem Namen und nach seinem Vaterlande. Er mußte diese Fragen mehrmals und auf verschiedene Weise wiederholen, eh’ er ihm die Antwort ablockte, daß er aus dem Lützelthal, Geroldseckischer Herrschaft, gebürtig sey, und daß sein Geschlecht den Namen Rublin führe. Nun zweifelte Walther nicht mehr, daß er auf der Burg Lützelhardt gefangen läge, und entdeckte zugleich in diesem Rublin einen seiner leibeigenen Dienstleute. Er trug daher kein weiteres Bedenken, sich ihm zu erkennen zu geben, und that es mit der rührenden Würde der bedrängten Unschuld. Er beschwur ihn bei Eid und Pflicht und unter den vortheilhaftesten [11] Verheißungen, das Werkzeug seiner Befreiung zu seyn. Rublin hatte seinen Gefangenen nicht gekannt, und von seinem Herrn, als er ihm die Stelle des verstorbenen Thurmhüters übertrug, das Verbot erhalten, sich bei Lebensstrafe in kein Gespräch mit ihm einzulassen. Als er nun vernahm, daß er, ohne es zu wissen, der Kerkermeister seines Herrn gewesen, fiel er ihm zu Füssen, bat ihn um Vergebung, und versprach, ihm herauszuhelfen. Wäret Ihr, sprach er – nicht mein natürlicher Herr, so würde kein Geld noch Gut mich bewegen, Euch zu Willen zu leben. – Nun erwartete Walther mit Ungeduld den Tag seiner Erlösung, der nicht lange mehr ausblieb.

An dem hl. Pfingstfeste, da Ritter Diebolt abwesend und der größte Theil der Burgleute nach Selbach in die Kirche gegangen war, kam Rublin in das Gefängniß, nahm Walthern seine Ketten ab, und entschlüpfte mit ihm in einen entlegenen Winkel des Zwingers. Hier klommen sie auf die Mauer, woran er ein starkes Hasengarn befestigte, das die Stelle einer Strickleiter vertrat, an welcher Beide sich glücklich hinunter ließen.

Walther war einem Todtengerippe ähnlich; seine Beine konnten ihn kaum tragen und hatten fast das Gehen verlernt. Dieses bewog seinen Retter, den gebahnten Weg zu verlassen, wo man sie wegen der Langsamkeit ihres Zuges leicht hatte einholen können, und sich seitwärts in eben die Waldungen zu schlagen, durch welche der Ritter einst so lange herumgeschleppt wurde. Sie wanden sich durch die wildesten Hecken und durch das unwegsamste Dickicht, und erquickten sich von Zeit zu Zeit mit dem Wein und den Speisen, die Rublin mit sich genommen hatte. Endlich erreichten sie um Mitternacht das Burgthor von Hohengeroldseck. Walther hatte vier zum Theil erwachsene Söhne zurückgelassen; diesen wollte er sich zuerst entdecken, um zu verhüten, daß sein plötzliches Erscheinen und seine armselige Gestalt seiner Gemahlin einen Schrecken verursache. Als ihn daher der Thorwart nach seinem Namen fragte, gebot er ihm, den vier Junkern zu sagen, sie möchten herunter kommen, indem sie ein Fremder einer wichtigen Kunde wegen insgeheim sprechen wolle. Nach einigen Minuten erschienen die vier Jünglinge, mit Dolchen bewaffnet, vor der Pforte, und fragten den Fremdling[WS 1], [12] wer er wäre? – Euer Vater! – schluchzte Walther, indem er seinem Erstgebornen in die Arme stürzte. Die Jünglinge umringten ihn und einer von ihnen hielt ihm ein Licht vor das Gesicht; keiner aber konnte seinen Vater erkennen, da ihn der feuchte Kerker und die kümmerliche Nahrung gänzlich entstellt hatten. – Ihr seyd ein Betrüger! – riefen sie – unser Vater ist schon zwei Jahre todt; er wurde im Forst auf der Jagd erschlagen. – Ihr wollt mich nicht erkennen, – sprach Walther weinend, – freilich hat man Euch betrogen. Allein der Betrüger war Der, welcher die Nachricht von meinem Tode aussprengte. Diebolt von Lützelhardt war es, der mich zwei Jahre lang in der härtesten Gefangenschaft hielt. – O, nun sehen wir’s, – riefen die Söhne – daß Ihr ein Betrüger seyd! Ritter Diebolt ist selbst mit seinen Knechten ausgezogen, um die Mörder unsers Vaters aufzusuchen, und hat bei unserer Mutter über dessen Tod Thränen vergossen. – Dieser Zug, – rief Walther, – fehlte noch, um ihn zum Teufel zu machen. Nun so holet mir Eure Mutter, diese wird mich nicht verkennen! – Die vier Brüder verkündigten ihrer Mutter, die unruhig ihre Rückkunft erwartete, daß ein Mann, der sich fälschlich für ihren Vater ausgebe, sie zu sprechen verlange. Frau Hedwig besann sich einige Augenblicke; dann dachte sie bei sich selbst: vielleicht haben meine Kinder den Fremden mißverstanden, und er hat ihnen von dem Tode meines Gemahls, oder von den Urhebern desselben, Kundschaft zu geben. – Sie stieg daher hinunter an die Pforte und hieß ihre Söhne im Hof sie erwarten. – Wo ist der fremde Mann? rief sie beim Heraustreten. – Hier ist er, dein Gemahl, dein Walther! Meine Söhne haben mich verkannt; wird auch mein Weib mich verkennen? – Eure Züge, – sprach Hedwig, – sind nicht Walthers Züge; aber Eure Stimme, wiewohl sie schwach und heiser tönet, hat Aehnlichkeit mit der seinigen. – Dein Ohr, dein Auge, – versetzte Walther, – mag dich täuschen; aber dein Herz, das Herz meiner Hedwig wird mich nicht verläugnen! Gewiß hat es jenen Abend nicht vergessen, da sie mir zum erstenmal ihre keuschen Arme öffnete; da ich ihr den Halskoller löste, und die Erdbeere, die ich auf ihrer Brust entdeckte … Bevor er ausreden konnte, hing schon Hedwig an seinem Halse und überströmte seine bleichen Wangen mit ihren Thränen: Du bist es, ja du bist mein Gemahl! [13] – rief sie mit gebrochenen Worten, – Gott hat dich mir wieder gegeben! – Walther drückte sie mit zitternden Armen an sein Herz und theilte dann seiner Gattin noch verschiedene geheime Wahrzeichen mit, welche alle ihre Zweifel gehoben hätten, wenn ihr noch einer übrig geblieben wäre.

Nun rief Hedwig ihre Söhne herbei: Umarmt Euern Vater! Er ist es, ich schwör’ es Euch bei meinem Mutterherzen! – Die Söhne warfen sich ihrem Vater zu Füßen, und baten ihn um Verzeihung. Walther hob einen nach dem andern von der Erde, umschlang ihn mit seinen Armen und drückte seine Lippen auf dessen Mund. Dann führte Hedwig ihren Gemahl, von seinen Söhnen umgeben, in die Burg, wo er ihnen die Verrätherei seines Vetters Diebolt und seine Befreiung durch den getreuen Rublin erzählte. Des folgenden Morgens war großer Jubel im Schlosse: das gesammte Hofgesinde drängte sich herbei, um seinen guten Herrn zu bewillkommen. Walther reichte ihnen seine abgezehrte Hand, an der noch die Malzeichen der Fesseln zu sehen waren. Alle küßten und netzten sie mit ihren Thränen. Nach etlichen Tagen schrieben die Söhne einen Brief an alle Verwandte, Freunde und Lehensleute ihres Vaters, und klagten ihnen, wie ehrlos Diebolt von Lützelhardt an ihm gehandelt, wie er ihn heimlich entführt und in einen schrecklichen Kerker geworfen habe, um ihn darin verschmachten zu lassen. Sie forderten alle diese Männer im Namen der Ehre und der Freundschaft auf, mit ihnen auszuziehen, um diese Unbilde zu rächen. Die nächste Woche darauf erschienen die Freunde des Herrn von Geroldseck mit 200 Reisigen auf seiner Burg und rückten gegen das Schloß Lützelhardt, das sie zehn Tage lang belagerten. Diebolt wehrte sich anfänglich mit dem Muthe der Verzweiflung; als aber die Lebensmittel ausgingen und er seine Leute, anstatt liebreich sie zu trösten, täglich grausamer behandelte, so wollten sie ihn zwingen, die Veste zu übergeben. Da entfloh der Ritter des Nachts durch einen unterirdischen Gang, und Niemand wußte, wo er hingekommen war. Das Schloß aber ergab sich am folgenden Morgen, und wurde gänzlich zerstört, wie man solches noch an dem Burgstall sieht.

Der biedere Rublin wurde von Ritter Walther mit seinem ganzen Geschlechte von der Leibeigenschaft losgesprochen, und [14] mit schönen Gütern und stattlichen Freiheiten begabet, die er auf seine spätesten Enkel vererbt hat.

G. C. Pfeffel.
(S. dessen „Prosaische Versuche.“ V. Th. Tübingen 1811.)

  1. S. Bernhard Herzogs Elsäßer-Chronik, Straßb. 1592. 5tes Buch, S. 120 ff.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Fremling