Wanderungen durch Wien/Ringstraße und Stadterweiterung

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Autor: V. Chiavacci
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Titel: Ringstraße und Stadterweiterung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 127–128, 130–132
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Serie: Wanderungen durch Wien
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Wanderungen durch Wien.[1]

Von V. Chiavacci. Mit Zeichnungen von W. Gause.
Ringstraße und Stadterweiterung.

Der glanzvolle Aufschwung, welchen Wien infolge des denkwürdigen Handschreibens vom 20. Dezember 1857, das die Aufhebung der Stadtwälle aussprach, genommen hat, steht wohl einzig da in der Geschichte der Städteentwickelung. Ein ungeahntes Wachsthum, eine starke Bevölkerungszunahme, tiefeingreifende Umgestaltungen der Verkehrsmittelpunkte und Straßenzüge hatten gleichzeitig auch andere Städte aufzuweisen, bei keiner jedoch waren die Vorbedingungen zur planvollen und zugleich künstlerisch vornehmen Ausgestaltung der neuen Stadttheile so günstig wie hier.

Der weite Flächenraum von etwa 500 000 Quadratklaftern (180 Hektar), welcher durch Beseitigung der Festungswerke, des Stadtgrabens und der Glacis gewonnen wurde, gestattete nicht nur, mit Benutzung der eingelaufenen Konkurrenzentwürfe einen vollständigen Stadterweiterungsplan auszuarbeiten, sondern der Erlös für die Baugründe lieferte auch eine beträchtliche Summe, welche von der Stadterweiterungskommission zur Herstellung von öffentlichen, dem Staatsleben, der Kunst und dem Unterrichte dienenden Prachtbauten verwendet wurde. In einem Zeitraum von 30 Jahren erstand dieser herrliche Stadttheil, der mit seiner von stolzen Palästen umrahmten Ringstraße, seinen lieblichen Gartenanlagen, seinen weiten, luft- und lichtdurchströmten Plätzen, seinen von den prachtliebenden Meistern der Wiener Schule geschaffenen Monumentalbauten wohl kaum seinesgleichen hat unter den modernen Stadttheilen Europas.

Der Fremde, welcher an einem sonnigen Tage zum ersten Male über die Ringstraße fährt, wird den überwältigenden Eindruck der herrlichen Ausblicke, der mächtigen, in fein nachempfundenen Stilarten der Gothik, der Renaissance und der Antike ausgeführten Bauten, der anmuthigen Gartenanlagen zu seinen schönsten Reiseerinnerungen zählen, und falls er sich die Mühe nimmt, das Innere dieser Prunkpalaste zu besichtigen, wird sein Auge berauscht und entzückt von der Fülle des Geschauten, von den Kunstwerken der Plastik und Malerei und der Kostbarkeit des verwendeten Materials. Ein Besuch der Hofmuseen, des neuen Burgtheaters, des Parlamentsgebäudes gewährt einen lohnenden Einblick in die künstlerische Leistungsfähigkeit des modernen Wiens.

Das Opernhaus.

Herr Hainfelder, welcher sich nach der erfolgreichen Führung seines Schützlings durch die innere Stadt auch ferner zum Cicerone angeboten hatte, führte Herrn Fritz Werner zunächst an den Ausgang der verlängerten Kärntnerstraße vor dem Opernhause.

„Sehn S’, lieber Herr,“ fing er seine Erklärungen an, „hier ist die mächtigste Verkehrsader, denn hier kreuzen sich die wichtigsten Straßen; die Kärntnerstraße und Rothenthurmstraße verbinden die innere Stadt und die Leopoldstadt mit der Wieden und den angrenzenden Vorstädten. Die günstige Lage des Kärntnerrings und der Umstand, daß dieser Theil der Ringstraße zuerst vollendet wurde, hat die Ausbildung eines Korsos begünstigt, der besonders im Frühling an schönen Sonntagvormittagen ein sehenswerthes Schauspiel bietet. Von der Ecke der verlängerten Kärntnerstraße bis zum Gebäude der Gartenbaugesellschaft bewegt sich da ein dichter Menschenstrom auf dem breiten Trottoir und in der Geh-Allee. Hier können Sie das elegante Wien studieren. Die Damen zeigen ihre neuesten Toiletten, das ‚Gigerlthum‘ macht sich in allen Spielarten breit. Es ist ein großer Salon unter freiem Himmel, ähnlich dem Markusplatz in Venedig oder dem Toledo in Neapel. Man ist sicher, an solchen Tagen einen großen Theil derjenigen zu finden, welche sich zur ‚Gesellschaft‘ zählen, aber auch solche, welche um jeden Preis dazu gezählt werden möchten.

Auf der Elisabethbrücke.

Die besprochene Ecke ist zugleich das Lästerstübchen für junge Herren, welche dort gewöhnlich in großer Zahl aufgepflanzt sind und an den Vorüberwandelnden stets neue Nahrung für ihren Witz und ihre Klatschsucht finden. Kommen Sie, Herr von Werner, machen wir den Rummel ein bißl mit! Sie werden’s nicht bereuen. Ich versprech’ Ihnen nicht zuviel, wenn ich sage, daß Sie kaum anderswo eine gleiche Menge von reizenden Mädchen und schönen Frauen, welche ihre Toiletten mit Geschmack und Schick zu tragen verstehen, finden werden. Sehen S’ nur, wie die Hüte in Bewegung sind; jeder fünfte Mensch grüßt; man trifft sich hier, plaudert ein paar Worte, bespricht eine Zusammenkunft und in einer halben Stunde hat man mehr „Besuche“ abgemacht, als man sonst in einer ganzen Woche zu bewältigen imstande wär’. Der Herr dort mit dem graumelirten Schnurrbart ist der Unterrichtsminister. Sehen Sie, wie freundlich er den Herrn in der Geh-Allee begrüßt; es ist ein Abgeordneter der Opposition, der ihm viel saure Stunden bereitet. Von Litteraturgrößen bemerken wir die lebhafte Gestalt des Hofrathes Doczi, des Dichters des „Kuß“ und der „Letzten Liebe“, den schönen [228] Blondkopf Ludwig Ganghofers, eines echten Germanenjünglings, mit seiner reizenden Frau; den achtzigjährigen L. Aug. Frankl, den letzten aus dem Dichterkreise Anastasius Grün, Lenau, Beck. Der Stern, welcher dort aus dem Nebelfleck von jungen Herren der Aristokratie hervorglänzt, ist eine gefeierte Primadonna, ein echtes fesches Wiener Kind, dessen Wiege hart neben einem Greislerladen gestanden hat. Der schlanke Herr mit den freundlich blickenden schwarzen Augen und der reizenden Brünette an seiner Seite ist Meister Johann Strauß, der Walzerkönig; er ist vielleicht die volksthümlichste Persönlichkeit in Wien; seine Hand ist automatisch beschäftigt, den Hut auf- und abzuschwingen; jetzt erwidert er den Gruß des fidelen Girardi, des Gesangskomikers und Lieblings der Wienerinnen, nach dem sich, wie Sie seh’n, die reizendsten Hälse ausrecken; dann plaudert er einige Worte mit seinem Freunde Tilgner, dem Meister der Porträtbüste; Alfred Grünfeld, der berühmte Pianist, gesellt sich zu ihm. Auch die darstellende Kunst ist würdig vertreten: Krastel, die Siegfriedgestalt mit dem Feuerauge und der Glockenstimme, der jüngst sein fünfundzwanzigjähriges Künstlerjubiläum gefeiert, aber noch lange nicht den letzten Mädchenkopf verdreht hat; sein Fachkollege Robert, der gefeierte Oedipus mit der dämonischen Gluth in Stimme und Blick, und Reimers und Devrient, die grünen Reiser am alten Stamm des Burgtheaters. Der Stimmheros Winkelmann, die graziöse Renard, die gegenwärtig als Manon Triumphe feiert, die berückend schöne Lola Beeth von der Hofoper fehlen nicht bei diesem Stelldichein. Ihr Spaziergang gleicht einem Triumphzug, denn sie üben wie der Rattenfänger von Hameln einen unwiderstehlichen Bann auf jugendliche Herzen aus.

Rathhaus.  Universität. 

Sie fragen, wem der schöne Kopf mit dem ergrauenden blonden Vollbart gehört? Das ist Professor Billroth, der geniale Operateur, ein Wohlthäter der leidenden Menschheit. Hier ein Krösus, dort ein Hochstapler; Kunstelevinnen, Pflastertreter, Offiziere aller Grade, Staatsbeamte in ihren neuen Uniformen, Blumenmädchen, vergessene Berühmtheiten und aufdringliche Streber, deren höchster Ehrgeiz darin besteht, alle Welt zu kennen und in Kreisen geduldet zu werden, denen sie nicht angehören, alles finden S’ da beieinander.

So, und jetzt werfen S’ gefälligst einen Blick auf die Ringstraße. Wir stehen beim Grandhotel; schräg gegenüber ist der Prachtbau des Hotel Imperial, welches ursprünglich ein Palais des Herzogs von Württemberg war. Die Breite der Ringstraße beträgt in ihrer ganzen Ausdehnung 57 Meter; die große Fahrbahn ist 25 Meter breit; dann sind noch zwei Baumalleen da, die eine für Fußgänger, die andere für Reiter, und überdies befindet sich an jeder Häuserreihe eine Zufahrtsstraße, eine Eintheilung, die den größten Anforderungen des Verkehrs reichlich entspricht. Dieser Theil der Ningstraße ist zuerst eröffnet worden. Ich war natürlich überall dabei. Mit Wehmuth und Thränen im Auge sind wir alten Wiener dabei gestanden, wie am 29. März 1858 an der Rothenthurmbastei der erste Ziegel ausgebrochen worden ist. Sie, lieber Herr, das kann nur a Wiener fühlen, wie schwer uns der Gedanke word’n is, uns von unsern lieben Basteien, vom Glacis und Stadtgraben zu trennen, wo wir als Bub’n herumgesprung’n sind, wo wir ‚Indianer‘ und ‚Räuber‘ gespielt haben, unsere Drachen steigen ließen und mit großen Gummibällen das edle Spiel des ‚Ballesterns‘ pflegten. Sie machen sich kein’ Begriff, wie g’müthlich und patriarchalisch es auf dem Glacis zugegangen is. Nachmittags nach der Schulzeit sind die Mütter mit ihren Kindern aus den Vorstädten gekommen, haben sich’s im Gras bequem gemacht, geplaudert und Strümpfe gestopft und die ausgelassenen Buben, die im Gras herumkugelten, überwacht. Hart an den Kastanienalleen, die von der Stadt in die Vorstädte geführt haben, sind sie in Gruppen beisammen gesessen, haben die häuslichen Vorfälle durchgehechelt oder den Vorübergehenden ein ‚Glampfl‘ angehängt.“

„Was haben sie ihnen angehängt?“ fragte Herr Werner erstaunt.

„Ach so, das is wieder so ein wienerischer Ausdruck,“ antwortete Herr Hainfelder. „‚Glampfl‘ ist ungefähr dasselbe wie ‚Glimpf‘, von dem das Wort verunglimpfen herkommt, und bedeutet im gutmüthigen Sinn dasselbe. Uebrigens soll’s solche Lästeralleen auch anderswo geben. Herrgott, war das ein Leben, wenn wir die Schulbücher in einen Winkel geworfen hatten und frei wie die Schwalben hinausg’flog’n sind auf unsere Jagdgründ’. Wie schön war’s, über die begraste Böschung in den Stadtgraben hinunterzukugeln! Und was war das für uns Buben für ein [230] romantischer Aufenthalt! Auf der ein’ Seiten die finstern Mauern, wo nur manchmal der Kopf von ein’ Spaziergänger auf der Bastei zu seh’n war; auf der andern Seiten die hohe Böschung, die vom Glacis herunterg’führt hat. Der Grund war mit melancholischen Pappelalleen bepflanzt, die manchmal mit andern Baumgruppen Boskett’n gebildet hab’n, wie das traulich stille Studentenwaldl, wo sich die Schottner und andere Gymnasiasten, vom Lärm der Glacis entfernt, ihr Latein eingepaukt hab’n. An anderen Stellen war es weniger ruhig. da übten die neurekrutirten Trommler und Trompeter ihre Kunst in ohrenzerreißender Weise ein.

Am Abend, wenn die Sonn’ lange Schatten g’worfen hat, sind unsere Alten auf die Basteien gewandert. haben den schönen Ausblick auf die Vorstädt’ und das Kahlengebirg’ genossen und haben sich von den schlechten Zeiten vorlamentirt: daß die Mundsemmeln immer kleiner werd’n, daß das Rindfleisch schon zehn Kreuzer das Pfund kostet, daß man ein paar Backhändln nicht mehr unter acht Groschen kriegt und daß ein Familienvater, wenn er Sonntags mit den Seinigen ins Lerchenfeld wandert, mit einem Silberzwanziger nicht mehr sein auslangen find’t. Dann haben sie sich ins Paradiesgartl auf der Mölkerbastei gesetzt, wo die besseren Bürgerklassen zusammenkommen sind, und in der kühlen Abendluft bei den Klängen der Straußschen und Lannerschen Walzer von den ‚guten alten Zeiten‘ geplaudert. Aber macht nix, sie is auch schön, die neue Zeit. Ueberzeugen Sie sich nur selber.“

Das neue Burgtheater.

Sie waren inzwischen wieder an den Ausgangspunkt beim Opernhause zurückgekehrt. Herr Hainfelder erklärte seinem Gaste auf dem Wege um die Stadt alles Sehens- und Wissenswerthe. Das gewaltige Gebäude des Opernhauses mit seiner heiteren Renaissance fesselt vor allem den Blick. Von den Architekten van der Nüll und Siccardsburg erbaut und in seinen Innenräumen von den Bildhauern Pilz, Gasser, Hähnel, dann von den Malern Rahl, Griepenkerl, Geiger und anderen in reichster und prunkvollster Weise geschmückt, zählt dieses Haus neben der Pariser Oper und dem neuen Burgtheater zu den schönsten Prachtgebäuden dieser Art. Gegenüber, breit hingestreckt, erhebt sich der Heinrichshof, ein Werk des ebenfalls, wie Friedrich von Schmidt, kürzlich verstorbenen Meisters Hansen, mit Fassadefresken nach Entwürfen von Rahl. Die eine Seitenfront des Opernhauses bildet die verlängerte Kärntnerstraße; von hier hat man einen prächtigen Ausblick auf den Kärntnerring bis zum Kolowratring einerseits und auf den Opernring andererseits; gegen die Stadt zu öffnet sich die theilweise erweiterte Kärntnerstraße mit dem Stefansthurm als wirksamem Abschluß; in derselben Achse gegen die Vorstadt Wieden zu erblickt man die Elisabethbrücke mit den schönen Statuen der Babenberger Herzoge und anderer um die Stadt hochverdienter Männer, wie Sonnenfels, Bischof Kollonitsch, Graf Starhemberg, Fischer von Erlach. Die andere Seite des Hauses flankirt die Operngasse mit dem Palast des Bierkönigs Dreher; diese Gasse findet einen künstlerischen Abschluß in dem Brunnen der Augustiner-Rampe mit Marmorgruppen von J. Meixner; die Hauptgruppe stellt den alten Danubius an der Seite der mauergekrönten Vindobona dar; zu ihren Füßen spielt ein anmuthiges Kind, der Wienfluß, der in Wirklichkeit übrigens den Wienern als ungeberdiger schmutzstarrender Range häufig lästig wird. In den Nischen sind die Hauptflüsse Oesterreichs durch schöne männliche und weibliche Gestalten versinnbildlicht.

Den Opernring aufwärts öffnet sich linker Hand eine kurze breite Straße, die in den Schillerplatz mit dem von Schilling in Dresden ausgeführten Schillerdenkmal mündet; dahinter die von Hansen erbaute Akademie der bildenden Künste mit Statuen von Melnitzky und Pilz. Dann aber eröffnet sich von der Ecke der Babenbergerstraße, welche die Vorstadt Mariahilf mit der Ringstraße verbindet, dem Blicke ein überwältigendes architekonisches Bild. Rechts der Kaisergarten, in welchen der im Bau begriffene, von Hasenauer entworfene neue Burgflügel hineinragt, dann das alte. von Nobile erbaute Burgthor, ein massiver Bau mit schweren, dorischen Säulen, durch deren Halle man den Heldenplatz mit den Denkmälern des Erzherzogs Karl und des Prinzen Eugen (von Fernkorn) erblickt; weiterhin folgt rechts der Volksgarten mit dem Theseustempel, welcher bis vor kurzem die weltberühmte Marmorgruppe Canovas, Theseus den Minotaurus besiegend, umschloß, und dem von Weyr und Kundmann ausgeführten Grillparzerdenkmal. Links stehen die nach den Plänen Sempers von Hasenauer ausgeführten Hofmuseen in herrlicher Hochrenaissance; die „Gartenlaube“ hat von diesen beiden Bauten, die zusammen nahe an zwölf Millionen Gulden gekostet haben, schon in ihrem Jahrgang 1889, S. 811 Bild und Beschreibung gebracht; der Platz zwischen den beiden Museen ist in eine Gartenanlage in französischem Zopfstil umgewandelt, damit das in der Mitte sich erhebende Erzdenkmal der Kaiserin Maria Theresia zur bestmöglichen Wirkung gelangen kann. Das in den größten Maßen ausgeführte Monument, welches ebenfalls schon früher (im Jahrgang 1888, Seite 473) abgebildet worden ist, ein Werk des Bildhauers Zumbusch, stellt die große Kaiserin, auf dem Thronsessel sitzend, mit dem Scepter in der Linken, die Rechte schützend ausgestreckt, dar; den Sockel schmücken die Reiterstatuen der berühmtesten Feldherren ihrer Zeit, während in den Feldern Reliefs mit Gruppen von berühmten Persönlichkeiten, Staatsmännern, Gelehrten, Künstlern etc., angebracht sind. Hinter den Hofmuseen, ein wenig rechts, liegt das deutsche Volkstheater, ein überaus freundlicher, praktischer und behaglicher Bau, der trotz der einfachen Mittel den Eindruck zierlicher Anmuth und bürgerlicher Eleganz macht. Dies und das Gefühl der Sicherheit, welches die praktische technische Eintheilung des Baues erzeugt, haben wohl in erster Linie dazu beigetragen, dieses Haus den Wienern so werth zu machen. Den bewährten Theaterarchitekten Fellner und Helmer gebührt das Verdienst, den gefälligen Bau mit der verhältnißmäßig geringen Summe von einer halben Million Gulden hergestellt zu haben.

Wenige Schritte von den Hofmuseen beginnt der Franzensring und das Rathhausviertel mit dem schönsten modernen Platze in Europa. Auf dem Flächenraum des ehemaligen Paradeplatzes erhebt sich eine Anzahl staatlicher und städtischer Monumentalbauten, welche durch ihre mannigfachen Stilformen, den großartigen Prunk ihrer Ausstattung und die geniale Lösung der künstlerischen Aufgaben das Auge entzücken. Die Namen der Architekten Gottfried Semper, Friedr. Schmidt, Theophil Hansen, Heinrich Ferstel sind mit diesen Bauten, welche dem architektonischen Wien unserer Tage ihr charakteristisches Gepräge geben, unsterblich geworden. Abends bei Mondbeleuchtung wirkt dieser Platz wie ein Märchenzauber aus einem geträumten Wunderlande. Der mächtige gothische Rathhausbau mit seiner zierlich durchbrochenen [231] Fassade, welche die Gesetze der Schwere aufzuheben scheint und wie ein zarter Spitzenschleier wirkt, der herrliche Hochrenaissancebau der neuen Universität, der stolze hellenische Tempelbau des Parlamentsgebäudes, die heitere französische Renaissance, welche sich im Justizpalais darstellt, das neue Burgtheater mit seinen schimmernden Marmorsäulen, seinem reichen figürlichen Schmuck und seinen mit unglaublichem Prunk ausgestatteten Innenräumen, das alles zusammen giebt ein Bild von überwältigender Schönheit.

Im großen Prunksaal des neuen Rathhauses finden allwinterlich die Rathhausbälle statt, welche unter die glänzendsten der Wiener Saison zu zählen sind. An schönen Sommerabenden aber spielt auf dem Platze vor dem Rathhause eine Militärkapelle und stets drängt sich eine zahlreiche Menge aller Gesellschaftsklassen zu diesen Volkskonzerten.

Am Ausgang des Franzensringes empfängt uns der weite Platz vor der Votivkirche, einem ungemein zierlichen gothischen Bau, von Meister Ferstel ersonnen. Anmuthige Gartenanlagen nehmen den Raum vor der Kirche ein. Hier ist ebenfalls ein überaus lebhafter Verkehr; denn die wichtigsten Verkehrsadern, welche die Verbindung mit stark bevölkerten Vorstädten und Vororten herstellen, treffen auf dem Platze vor dem ehemaligen Schottenthor, von dem sich noch ein Stück mit einem Basteirest erhalten hat, zusammen. Ein starker Wagenverkehr, das fortwährende Pferdebahngeklingel, das Auf- und Abwogen der Menschen, welche aus der inneren Stadt, vom Franzensring und Schottenring, aus der Alser- und Währingerstraße herkommen, giebt dem Treiben einen weltstädtischen Anstrich.

Der Schwarzenbergplatz.

Am Schottenring beginnt das Geschäftsviertel: die Börse und zahlreiche Warenhäuser und Niederlagen drücken diesem Stadttheile ihr Gepräge auf. Von hervorragenden Gebäuden fällt uns hier zunächst das großartige, von Hansen mit einem Kostenaufwande von vier Millionen Gulden erbaute Börsengebäude auf. Linker Hand fesselt den Blick das kaiserliche Stiftungshaus, ein Werk Meister Schmidts in zierlichen gothischen Formen, auf der Unglücksstätte des abgebrannten Ringtheaters durch kaiserliche Schenkung errichtet. Das Gebäude der Polizeidirektion war im Weltausstellungsjahre das Hotel Austria. In der verlängerten Wipplingerstraße befindet sich das umfangreiche Gebäude des k. k. Staatstelegraphenamtes. Die weitausgedehnte Rudolfskaserne, ein Rohziegelbau von mächtiger Massenwirkung, wird vom Deutschmeisterplatz dem Auge sichtbar.

Der Franz Josefs-Quai, in welchen der Schottenring einmündet, bietet das Bild des lebhaftesten Geschäftsverkehrs, der sich seit Jahren von der Leopoldstadt und anderen Bezirken auf dieses elegante Viertel mit den hohen, hohen Zinspalästen zusammengezogen hat. Eine schmale Parkanlage, vom Volksmund mit dem Spottnamen „Beserlpark“ belegt, trennt die Straße vom Donaukanal. Der schönste Theil des Quais ist der Platz vor dem Hotel Metropole. Noch eindrucksvoller dürfte sich aber in Zukunft das Stück bei der Adlergasse entwickeln. An dieser Stelle, gegenüber der Ferdinandsbrücke, hören die Neubauten der Stadterweiterung plötzlich auf. Der mächtige Riegel der Franz Josefs- Kaserne hat hier die bauliche Entwicklung gehindert. Die Tage dieses in gesundheitlicher Hinsicht unpraktischen Baues sind übrigens gezählt; denn eine starke Bewegung im Gemeinderath und in der Bevölkerung strebt die Aufhebung der Kasernen im Stadtgebiete und Verlegung derselben vor die Linienwälle an und die Staatsverwaltung zeigt sich diesem Gedanken nicht abgeneigt.

Bis hierher hatte Herr Hainfelder seinen Gast geführt, demselben die Sehenswürdigkeiten in der oben geschilderten Weise erklärend, manchmal auf eine bedeutende Firma aufmerksam machend oder ein Wort über ein beliebtes Kaffeehaus oder ein berühmtes Restaurant einfügend. Nun fuhr er fort: Wenn Sie müd’ sind, Herr von Werner, so steigen wir in einen Tramwaywagen ein und fahren in den Prater. Jetzt finden wir noch Platz genug. Aber in zwei Stunden ist jeder Wagen so gedrängt voll, daß darin keine Stecknadel auf den Boden fallen kann. Ueber die Aspernbrücke geht nämlich der Weg in den Prater. Wenn ein schöner Frühlingstag ist oder ein Wettrennen in der Freudenau, da müssen Sie mit mir hinunter; da sieht man noch ein Stückl von der alten Wiener Fröhlichkeit. Freilich war das noch ganz anders zu meiner Zeit. Der Glanz der Praterfahrten hat bedeutend abgenommen, denn ein großer Theil der Aristokratie ist jetzt in Budapest oder in Prag. Aber ’s Volk läßt sich deshalb die Freud’ nicht vergällen, und wenn auch fünfzig Personen auf einmal in ein’ Pferdebahnwagen eingepökelt werd’n, bleiben s’ doch fidel und gutmüthig. Da fällt’s keinem ein, zu protestieren, wennn noch ein Rudel Leute sich in den schon vollen Wagen hineinzwängt; jeder duldet’s ohne Murren, wenn der Nachbar auf seinen Hühneraugen Csardas tanzt. Die Tramwayüberfüllung ist eine Spezialität von Wien. So ’was kann man nur hier seh’n. Ganze Bibliotheken sind schon d’rüber g’schrieb’n word’n, die Behörde hat in jedem Wagen Tafeln anbringen lassen: Platz nur für 4 Personen auf der vorderen und für 6 Personen auf der hinter’n Plattform. Nutzt alles nichts. Die Tramwayverwaltung lacht sich ins Fäustchen und die Leute vertragen sich prächtig und trösten einander mit schlechten Witzen. Das ist ein Zeichen für die noch immer nicht ausgestorbene Gutmütigkeit des Volks, das für die angenehme Beförderung fast ausnahmslos dem Kondukteur noch zwei Kreuzer Trinkgeld zahlt.“

„Wenn Sie nichts dagegen haben, Herr Hainfelder, so setzen wir für heute lieber unsern Rundgang fort und sparen uns den Prater für ein andermal.“

„Mir auch recht, Herr von Werner,“ entgegnete der freundliche Führer. „Also weiter! Hier ist der Stubenring. Der Theil um die Franz Josefs-Kasern’ schaut ziemlich öd’ aus, nit wahr? Linker Hand hab’n s’ vor kurzem ein Gebäude für die freiwillige Rettungsg’sellschaft errichtet. Das Institut ist nach dem Ringtheaterbrand gegründet worden und wirkt mit großer Selbstverleugnung und Menschenlieb’ unglaublich viel Gutes. Aerzte und Verwaltung stellen ihre Kräfte unentgeltlich zur Verfügung.

Hinter dem freien Platz vor der Kaserne ist noch ein Rest von der alten Dominikanerbastei; die Dominikanerkirche giebt mit dem Häuserviertel, das sich hinter der Rampe aufbaut, ein hübsches Bild. Der weitgesrreckte Rohziegelbau links ist das österreichische Museum für Kunst und Gewerbe, von Heinrich Ferstel erbaut. Dort finden jährlich mehrere Ausstellungen statt, unter denen die Weihnachtsausstellung besonders gern besucht wird, weil sie wunderschöne Sachen des Kunstgewerbes und der Industrie bietet. Das Gebäude ist auch im Innern sehr schön ausgestattet mit Figuren von Melnitzky, König, Pokorny und Malereien von Eisenmenger und Laufberger. Das riesige Mosaikbild der Minerva in der Verbindungswand ist ein Geschenk aus der Weltausstellung. Unsere Slovaken und Rastelbinder halten sie aber hartnäckig für die Mutter Gottes und bekreuzen sich betend vor dem Bilde.

Hinter dem Kunstgewerbemuseum ist die Großmarkthalle und der Platz des Wiener Eislaufvereins, wo es im Winter hoch hergeht. Kostümfeste, Promenadenkonzerte mit elektrischer Beleuchtung, Wettläufe ziehen ein großes Publikum an, das der [232] anmuthigen Leibesübung mit gefrorenen Füßen und blauen Nasen unermüdlich zusieht.

Bei der Stubenthorbrücke, die über den Wienfluß in den Bezirk Landstraße führt, beginnt der Parkring, der vom Stadtpark seinen Namen hat. Den Stadtpark sehen wir uns ein anderes Mal an, denn die Gärten Wiens verdienen eine genaue Besichtigung. Dem Stadtpark gegenüber liegt das Gebäude der Gartenbaugesellschaft mit einem hübschen Garten. Der große Saal wird im Karneval zur Veranstaltung von Maskenbällen und Kränzchen benutzt; im Frühjahr und Herbst werden hier und im Kursalon Promenadenkonzerte von Ed. Strauß und von Militärkapellen veranstaltet. Auch finden im ersteren nicht nur die Ausstellungen der Gartenkunst, Obst- und Gemüseausstellungen, sondern auch verschiedene Spezialausstellungen, Möbelausstellungen, Plakatausstellungen, Hundeausstellungen u. dergl. statt. Als wirksamer Abschluß des Gartens erhebt sich im Hintergrund das Palais des Herzogs von Coburg, ein Säulenbau mit schönen architektonischen Verhältnissen. Einer der schönsten Paläste ist das Haus des Großmeisters des deutschen Ordens, Erzherzog Wilhelms. Es ist von Hansen erbaut und mit Skulpturen von J. Gasser geschmückt. In den Seitengassen des Parkrings und Kolowratrings stoßen wir noch auf eine Anzahl interessanter Gebäude: da steht das akademische Gymnasium, ein gothischer Bau vom Dombaumeister Schmidt; davor das schöne Beethovendenkmal von Zumbusch, auf einem idyllischen, von Gartenanlagen umschlossenen Platze. Auf der Seilerstätte steht das ehemalige Stadttheater, jetzt Etablissement Ronacher, ein Vergnügungslokal höheren Stils, mit raffinirtem Luxus ausgestattet. Das müssen Sie sich ansehen, Herr von Werner; ich werd’ Sie nächstens einmal hinführen. Sie sehen zwar auch nicht viel mehr als in den bekannten Orpheums und Tingl-Tangl’s; dafür wird Ihnen die Eleganz der Ausstattung und die Lebewelt, welche Sie dort treffen, Vergnügen machen.

Die Votivkirche.

Jetzt sagen S’: Ah! Herr Werner; denn der Schwarzenbergplatz verdient wirklich ein Ah der Bewunderung. Die herrlichen Paläste, welche den Platz umgeben, sind von den Meistern der neuen Wiener Architektur erbaut. Die Paläste des Erzherzogs Ludwig Victor, von Wertheim und Ofenheim, sind der köstliche Rahmen, in dessen Mitte sich die Reiterstatue des Fürsten Schwarzenberg erhebt. Einen überaus malerischen Hintergrund bildet der Hochstrahlbrunnen, der seine mächtigen Wasserstrahlen, wenn er gut aufgelegt ist, 60 Meter hoch schleudert. Er ist aber selten bei Laune; denn der Wassermangel bildet ein ständiges Kapitel unserer Gemeindeschmerzen. Der Platz ist von freundlichen Gartenanlagen umgeben, hinter denen auf sanft ansteigendem Gelände das Sommerpalais des Fürsten Schwarzenberg, ein schöner Barockbau des Fischer von Erlach, sich erhebt. Hinter diesem wird der Prachtbau des Belvedere, das einstige Lustschloß des Prinzen Eugenius, sichtbar.

Jetzt kommen wir wieder auf den Kärntnerring, von dem wir ausgegangen sind. Auch hier reiht sich Palast an Palast. Hinter dem schon erwähnten Hotel Imperial, in der Künstlerstraße, stehen zwei Gebäude, welche für das Kunstleben Wiens von gleicher Wichtigkeit sind, das Gebäude des Musikvereins und das Künstlerhaus, letztes erst kürzlich von dem talentvollen Architekten Julius Deininger in praktischer und geschmackvoller Weise erweitert. Im Gebäude des Musikvereins befindet sich das Konservatorium für Musik und darstellende Kunst. Im reich geschmückten großen Saal, der an 3000 Personen faßt, werden die berühmten Gesellschaftskonzerte und andere musikalische Veranstaltungen abgehalten, bei welchen sich das musikliebende Publikum Wiens stets zahlreich einfindet. Im Karneval dient er zu Maskenbällen und früher fanden hier auch die beliebten Künstlerabende statt, welche jedoch in den letzten Jahren nicht mehr abgehalten wurden. Die Jahresausstellungen des Künstlerhauses bieten zumeist ein erfreuliches Bild des Schaffens der großen und wackeren Künstlergemeinde, die trotz der fühlbaren Ungunst der Verhältnisse ihren guten Humor nicht eingebüßt hat, wovon sich Wien alljährlich auf dem von den Künstlern veranstalteten köstlichen ‚G’schnas-Feste‘ aufs neue überzeugt. Dieser Faschingscherz, welcher unter einer gemeinsamen Losung eine Zeitrichtung oder eine Modethorheit zum Ausgangspunkte nimmt, wird mit großer künstlerischer Hingebung durchgeführt und überrascht immer durch die Fülle der genialen Einfalle und des aufgewendeten Fleißes.

Das Wort ‚G’schnas‘ ist ein urwienerisches Wort und bedeutet Unechtes, das in ärmlicher Form für vornehm gelten will. Ich leite mir das Wort von ‚G’schnattl‘ ab. Das sind nämlich die Abfälle von Fleischspeisen oder die minderwerthigen Theile eine Thieres. Das ‚G’schnattl‘ vom Schwein ist auch Schweinernes, hat aber doch einen viel geringeren Werth. In diesem Sinn nennen die Künstler alles das ‚G’schnas‘, was sich den Anschein zu geben sucht, als wäre es echt und vollwerthig, während es sich bei näherer Besichtigung als plumpe Nachahmung erweist.

So, jetzt hätten wir den Rundgang vollendet! Ich hab’ Ihnen selbstverständlich auf diesem Spaziergange nur das Wichtigste und Hervorragendste zeigen und erklären können, aber für einen flüchtigen Ueberblick wird Ihnen das genügen. Das Ringstraßenbild mit seinem Wagen- und Tramwayverkehr, seinen Bummlern und Straßenfiguren, seinen Kunsthandlungen, Kaffeehäusern und Restaurants ist wohl dem anderer Großstädte ähnlich, aber wenn man es einige Zeit studiert, fallen die Unterschiede im Charakter und in der Lebensweise der Bevölkerung auf.

Viel deutlicher und stärker treten diese Unterschiede in den Vorstädten und Vororten hervor. Ich lade Sie für ein ander Mal zu einem Rundgang durch diese Stadttheile ein.“




  1. Vergl. Nr. 8 dieses Jahrganges.