Weihnacht am Atlas
[832] Weihnacht am Atlas. (Mit Abbildung S. 821.) Vor wenigen Jahren feierte ich Weihnachten im sonnigen Süden, in Algerien. Wenn auch der Nordwind von Europas damals tief verschneiten Gefilden zuweilen nach Afrika mit flüchtigen Fittigen zog, so huschten doch unsere heimischen Zugvögel dort in den Gebüschen des Lorbeers, Rhododendrons und der Oleander, im immergrünen Walde der Korkeichen und in den gewaltigen Forsten der Cedern umher. An den kleinen Bächen, die in den Tod der Sahara verrinnen und verschwinden, hüpften die Bachstelzen, an den Ansiedelungen hatten sich die Störche eingefunden und spazierten gravitätischen Schrittes auf den Wiesen und im Röhrichte des Sumpfes. Schaaren von Lerchen schmetterten über üppigen Saatfeldern ihren Gesang aus heller Brust der Himmelskönigin, der Alles belebenden Sonne entgegen, und in zierlichen pfeilschnellen Wendungen schwärmten unsere lieben herzigen Schwalben im blauen Aether, daß ihre weißen Brüste bei jeder Wendung gegen die Sonne wie Silberflocken leuchteten. Ihr eintöniger Ruf tönte mir wie Musik, wie ein Gedicht an die Heimath.
Alle diese Herrlichkeiten hatte ich in Milianah erlebt, einer reizend gelegenen Stadt in der Nähe des Flusses Schelif und der Eisenbahn von Algier nach Blidah und der Straße nach Oran. Aus der großen fruchtbaren Ebene, welche sich hinter Medeah weit hinein in’s Gebirge erstreckt, bogen wir ab in ein kleines freundliches Thal, durch welches die Straße nach Milianah führt. Eichen und anderes Buschwerk erinnerten mich in diesem Thälchen lebhaft an die deutsche Heimath. Ein krystallklarer Bach, welcher sich wildschäumend aus dem Gebirge ergießt, war weiter unten von Menschenhänden gebändigt und trieb viele Mühlräder, deren Rauschen gar heimlich klang. Und mußte ich heute nicht in doppelter Liebe an das Vaterland denken? Feierte man doch heute zu Hause unser schönstes Fest, denn gerade am Weihnachtsheiligabend war ich in Milianah angekommen.
Eine herrliche üppige Vegetation umgab mich. Heiter, wolkenlos und warm spannte sich der duftige blaue Horizont über uns aus, und doch faßte mich tiefe Sehnsucht nach Heim. Mochte dort der Himmel auch grau und trübe sein, am Abend wurden doch auf dem grünen Tannenbaume die Lichtlein angezündet und erleuchteten und erwärmten Millionen Herzen. Und am andern Morgen war’s erster Weihnachtsfeiertag! – Welchem Deutschen schlägt nicht bei der Erinnerung an diesen Tag das Herz in der Brust? – Freilich Manchem auch in stiller Wehmuth; Manchem, der einsam, verlassen und freundlos durch die Welt zieht. Aber es ist ein sanfter, heiliger Schmerz. Auch der Vereinsamte denkt heute wieder an seine Kindheit; wie war er schnell munter an diesem Tage! Ob es auch noch so dunkel im Schlafzimmer war, so hatte er sich doch schnell angekleidet und als ein glückliches Kind betrat er das Zimmer, wo der frische Waldduft sich mischte mit dem Geruche der Wachskerzen, die Abends vorher am Tannenbaume gebrannt hatten.
Es ist lange vorüber – die lieben Eltern sind längst todt und begraben; die Geschwister, welche sich mit ihm gefreut, sind zerstreut in alle Himmelsgegenden, er steht allein! – Wohl Dem, dem es ein freundliches Geschick gönnte, an diesem heiligen Tage nicht allein zu sein, der im Kreise einer glücklichen Familie dieses Fest feiern kann, ungetrübt von den schwarzen Sorgen des Lebens. Er freue sich, er werde wieder zum Kinde mit den Kindern, und kennt er einen solch Einsamen, dann lasse er ihn Theil nehmen an dem Jubel, an der Freude, aber er versuche nicht die Thränen trocknen zu wollen, die in das Auge eines solch’ Armen treten, wenn der Christbaum angezündet wird. –
Eine schöner gelegene Stadt als Milianah kann es so leicht auf Gottes Erdboden nicht geben. Hoch von einem Berge schaut es hinunter auf die große Ebene, die in weiter Ferne von duftigen Bergen begrenzt wird. Hinter der Stadt baut sich Hügel auf Hügel, Berg auf Berg auf, aus deren Waldesdunkel hier und da eine durchsichtige, leichte Rauchwolke sich erhebt. Dort wohnen arme Araber in ihren Strohhütten oder in zu menschlichen Wohnungen umgestalteten Felsenhöhlen. Diese Leute sind es auch, welche zum größten Theil die Stadt mit Brennmaterial versehen, mit knorrigem Wurzelholz oder mit Holzkohlen, welche sie in kleinen Quantitäten bereiten. Für den geringen Erlös wird Pulver und Blei für die Jagd angeschafft oder die ärmliche Kleidung, der Burnuß, ersetzt, wenn der alte fast in Fetzen vom Leibe fällt. Ist der Araber doch der mäßigste, nüchternste Mensch, und die Anforderungen, die er an das Leben stellt, sind gleich Null.
Auf einem Platze der Stadt, nahe an der Umfassungsmauer, beschattet von jungen Platanen, sammeln sich täglich viele dieser Parias der menschlichen Gesellschaft. Zahlreiche Esel stehen und liegen dort herum, diese unersetzlichen und unermüdlichen Lastträger der armen Leute. Der heiße Himmel schließt hier das rührige und rastlose Durcheinander eines nordischen Marktes aus; die Käufer wandeln gemessen auf und ab, und schweigend hocken die Verkäufer umher und warten geduldig, bis Jemand kommt, der ihnen ihre Vorräthe abnimmt, und geschieht dies nicht, so wird das Langohr wieder mit denselben bepackt und der Heimweg angetreten, um Tags darauf wieder zur Stadt zu traben, wo sein Herr den Versuch wiederholt, das Holz oder die Kohlen an den Mann zu bringen.
Die Weihnachtsfeiertage waren vorüber, vorüber auch die Heimwehgedanken, und lustig trabten wir bergab Affreville zu, von wo aus wir die Diligence benützten, die große Ebene durchschnitten und den fernen Bergen zueilten, in deren einem Thal, Tenies el Haad, unser nächstes Ziel lag. Von dort drangen wir tiefer in’s Atlas-Gebirge. Nur mit einem arabischen Diener verlebten wir dann Wochen in einsamem Blockhaus, und vielleicht ist es mir einmal gestattet, in diesen Blättern zu erzählen vom stillen Cedern-Urwald, in dem wir hausten und dessen Riesenbäume unsere Klause umstanden, geheimnißvoll flüsternd und rauschend, sich Geschichten erzählend von Jahrhunderten, die über ihre ehrwürdigen Wipfel dahingezogen waren.