Weltausstellungsbriefe aus Chicago (3)

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Autor: Rudolf Cronau
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Titel: Die Weiße Stadt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 507–510
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Serie Weltausstellungsbriefe aus Chicago
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[507]

Weltausstellungsbriefe aus Chicago.

Von Rudolf Cronau.
III.
Die Weiße Stadt.

Welche Wunderwerke des erfinderischen Menschengeistes, welche unermeßlichen, den Ländern und Meeren dieser Erde entnommene Reichthümer die Kolumbische Weltausstellung auch umschließen mag, so liegt ihr Hauptreiz doch in ihrer äußeren Erscheinung selbst. Nie wird man müde, durch die breiten Straßen und Avenuen dieser Märchenstadt zu wandern, deren Paläste, Kuppeln und Thürme sich mit jedem Schritte zu immer neuen entzückenden Ansichten verschieben.

Zwei Eigenschaften sind es, welche der Kolumbischen Weltausstellung einen besonderen Eindruck sichern. In erster Linie ist es die Einheit der Gesamtwirkung. Trotz des Reichthums und der Mannigfaltigkeit der Ideen, die in der Architektonik der einzelnen Bauten frei und ungehindert sich entfalteten, ist das Ganze doch von einer Harmonie, als habe ein einziger Meister es ersonnen. Und doch hat eine ganze Reihe von Architekten beim Entwurf und bei der Leitung mitgewirkt.

Der zweite hervorragende Zug der „Weißen Stadt“ ist das Fehlen alles Jahrmarktsmäßigen. Bei allem Glanz, der auf früheren Weltausstellungen entfaltet wurde, kam man nie über das Bewußtsein hinweg, daß die zumeist aus Holz, Glas und Eisen erbauten, luftigen Ausstellungshallen nur Augenblicksbauten seien, mit der Bestimmung, nach Beendigung der Ausstellung weggerissen zu werden. Die „Weiße Stadt“ hingegen erweckt in dem Beschauer den Eindruck, als sei sie für alle Ewigkeit aufgeführt, um als ein Denkmal für die 400jährige Jubelfeier der Entdeckung Amerikas fort und fort zu bestehen, und nur ungern denkt man an die Thatsache, daß diese ganze Stadt noch im Laufe dieses selbigen Jahres wieder vom Erdboden verschwinden und nichts als die Erinnerung an sie übrig bleiben soll.

Doch lassen wir uns durch solche Gedanken den Genuß an dem heute noch Bestehenden nicht verkümmern und sehen wir uns die „Weiße Stadt“ etwas genauer an! Welchen Weg, welches Verkehrsmittel sollen wir wählen, um hin zu gelangen? Wohnen wir zu weit, um den Weg zu Fuß zurückzulegen, so bleibt uns die Wahl zwischen Wagen, Kabel-Car, Hochbahn, Eisenbahn oder Dampfer. Vertrauen wir uns dem letzteren an, denn das Wetter ist schön und der Michigansee – zeitweise ein so wilder stürmischer Geselle – liegt spiegelglatt zu unseren Füßen und wirft nur leichte, langgezogene, den Falten eines Seidengewandes vergleichbare Wellen ans Ufer. In etwa vierzig Minuten bringt uns der Dampfer aus dem Herzen der geschäftigen Großstadt bis zum Ausstellungsplatz. Von fernher sehen wir schon die glitzernden Dome und Thürme über die blauen Fluten schimmern, und je näher wir kommen, desto mehr lösen sich die Umrisse der einzelnen Gebäude voneinander. Das, was uns früher als eine aufsteigende Wolke am fernen Horizont erschien, schwillt zu einem mächtigen [508] Gebirge empor – es ist der Palast für Industrie und Freie Künste, gegen dessen riesige Verhältnisse diejenigen unseres Dampfers bis zur Armseligkeit zusammenschrumpfen. Weiter südlich sehen wir, von zahllosen Thürmen und Kuppeln überragt, stattliche Säulenreihen, das klassisch schöne Peristyl mit seinem mächtigen Portal, auf dessen Höhe Christoph Kolumbus in einem von einem Viergespann gezogenen Triumphwagen steht. Befindet sich unser Schiff der Pforte gegenüber, so fliegt der Blick durch Thor und Säulen auf eine weite, von marmornen Wänden umschlossene Lagune, auf ein riesiges, goldüberkleidetes Frauenbild, die Statue der Republik, auf die Kolossal-Thierfiguren vor dem Landwirthschaftspalast, auf eine goldschimmernde Kuppel, auf jenen ungeheuren Festplatz, wo sich vor wenig Wochen die feierliche Eröffnung der Weltausstellung vollzogen hat.

Einen noch großartigeren Rundblick genießt man vom Dach des Industriepalastes aus. Dieser Industriepalast ist überhaupt das Wunder der Kolumbischen Weltausstellung. Er ist das größte Gebäude der Erde; bedeckt er doch bei einer Länge von 514 und bei einer Breite von 240 Metern eine Fläche von rund 123400 Quadratmetern. Ueber seinem kolossalen Innenranm wölbt sich ein ungeheures, von keiner Säule getragenes Glasdach, dessen Spannung diejenige der vielbewunderten und mit dem höchsten Ehrenpreise gekrönten Maschinenhalle der letzten Pariser Weltausstellung noch um ein Beträchtliches übertrifft.

Blick auf das Peristyl.

Es ist schwer, sich einen Begriff von den gewaltigen Verhältnissen dieses Innenraums zu machen. Man nehme tausend Häuser von Durchschnittsgröße – sie alle werden bequem Raum in dem Industriegebäude haben; man nehme einen der größten Plätze Deutschlands, den Augustusplatz zu Leipzig, mitsamt dem daranstoßenden Stadttheater sowie dem Museum – sie reichen nicht hin, um die Riesenhalle zu füllen. Es braucht 8 bis 10 Minuten, um von dem einen Ende des Palastes bis zum andern zu kommen; 30 Minuten sind erforderlich, um ihn ganz zu umschreiten. Und welche Massen Materials verschlang dieser 1500090 Dollar kostende Bau! Das Gewicht des zur Herstellung des Gerippes benöthigten Stahls beträgt weit über 6 Millionen Kilogramm, für das Dach wurden 1 Million Kilogramm Eisen verwendet, der Fußboben allein beanspruchte 3 Millionen Fuß Holzdielen und fünf Eisenbahnwagen voll Nägel. Zum Bedecken des Dachs verbrauchte man über 30000 große Glastafeln und für den Anstrich des Stahlgerippes 50 Tonnen Farbe. Kurz, der Industriepalast mit seinem reichen Inhalt ist thatsächlich eine Welt für sich. In ihm haben sich fast alle gesitteten Nationen des Erdballs zum friedlichen Wettkampf miteinander zusammengefunden: germanische, romanische und slavische Völker, Araber, Türken, Indier, Singhalesen, Siamesen, Malayen, Chinesen, Koreaner und Japaner, Bewohner von Afrika, Polynesien, Süd-, Central- und Nordamerika.

Wenn wir den stählernen Fahrstuhl betreten und uns von ihm zum Dach der Riesenhalle emportragen lassen, dann versinkt die von diesen Nationen aufgebaute Stadt mit ihrem buntfarbigen Getriebe. Die Menschen schrumpfen zu Ameisen, die Pavillons und Kioske zu Hüttchen im Spielschachtelformat zusammen; der Lärm, der uns drunten umwogte, verhallt und tönt nur noch als ein schwaches Summen wie aus unendlicher Tiefe empor – da plötzlich hält der Fahrstuhl, wir steigen einen zum Dach hinanführenden Gang aufwärts, um nunmehr staunenden Auges das 75 Meter unter uns liegende Panorama zu bewundern. Unser erster Blick fliegt gen Osten, wo sich, einem Weltmeer gleichend, der blaue Spiegel des Michigansees bis in unabsehbare Ferne zieht. Wenden wir uns gen Norden, so sehen wir am Horizont die Gebäude Chicagos, ein Chaos, von Rauch und Nebel umhüllt; zu unseren Füßen aber liegt der Stolz der jungen Weltstadt, die Kolumbische Ausstellung mit ihren Palästen, Gartenanlagen und gondeldurchfurchten Lagunen.

Die offiziellen Bauten der „Weißen Stadt“ bewegen sich fast ausschließlich in den edlen Formen des klassischen Stils oder der Renaissance. Eine wahre Perle des ersteren ist der im ionischen Stil aufgeführte Kunstpalast, dessen Kuppel von einer Kolossalfigur der Viktoria gekrönt ist. Das bereits früher [509] geschilderte Verwaltungsgebäude ist im Stil der französischen, das Frauengebäude und der Palast für Bergbau im Stil der italienischen, der Ackerbaupalast im Stil der klassischen, die Maschinenhalle wieder im Stil der spanischen Renaissance gehalten; namentlich dies letztgenannte Architekturwerk besitzt mit seinen bizarr geformten Thürmen, halbkugelförmigen Kuppeln und weiten Säulengängen einen eigenen malerischen Reiz. Die Fischereiausstellung ist in einem spanisch-romanischen Gebäude untergebracht, dessen Säulen, Kapitäle und Balustraden in höchst grotesker, aber sehr gelungener Weise mit den Abgüssen von Krabben, Seesternen, Seepferdchen, Fischen und anderen Wasserbewohnern ausstaffiert sind,

Der Kunstpalast.

Alle diese sowie sämtliche anderen offiziellen Bauten, wie der Palast für Verkehrswesen, für Gartenbaukunst, für die ethnographischen und archäologischen Sammlungen etc., mögen sie aus Holz oder Eisen sein, sind nach außenhin mit „Staff“ überkleidet; einer stuckartigen Masse, die aus einer Mischung von Gips, Cement und Hanffasern besteht, die feinsten Modellierungen zuläßt und dabei äußerst dauerhaft und feuerfest ist. Sie hat einen leichten Stich ins Cremefarbige, und diesen Grundton hat man fast sämtlichen Bauten der „Weißen Stadt“ gelassen.

Wo die Eintönigkeit größerer Flächen eine malerische Behandlung bedingte, tritt zu den architektonischen Formen reicher plastischer Figurenschmuck oder dekorative Bemalung, ohne daß dadurch der Gesamteindruck des Ganzen aufgehoben oder beeinträchtigt würde.

Entzückend ist eine Mondscheinnacht in dieser Zauberstadt, wenn Tausende von elektrischen Lichtern das Innere der Paläste erhellen und die durch die Fenster brechenden Lichtstrahlen sich zugleich mit dem Schein des Mondes in den plätschernden Wassern spiegeln; wenn vor dem Verwaltungsgebäude riesige Fontänen aufspringen und in allen denkbaren Farben erglühen; wenn von der Plattform dieses oder jenes Tempels plötzlich ein breiter Strahl elektrischen Lichtes aufzuckt und die Kuppel oder den Skulpturenschmuck eines gegenüber gelegenen Palastes grell aus dem Dunkel der Nacht hervortreten läßt.

In welch großartigem Maßstab man bei der Beleuchtung der „Weißen Stadt“ vorgegangen ist, ergiebt sich aus der Thatsache, daß der Kunstpalast allein 16242 Glühlampen besitzt; der Industriepalast hat 10000 Glühlampen und 1200 Bogenlichter, das Verwaltungsgebände 5000 Glühlampen und so fort. Der bereits in unserem zweiten Artikel beschriebene „Ehrenhof“, der eigentliche Festplatz der Ausstellung, ist besonders reich mit Licht ausgestattet. Der goldene Dom des Verwaltungsgebäudes wird von 4000 an den Rippen seiner Kuppel angebrachten Lampen eingefaßt, in derselben verschwenderischen Weise sind die Galerien und die Gesimse sämtlicher an die große Lagnne anstoßenden Paläste mit Einschluß des Peristyls mit Lichtern versehen, sogar die das gewaltige Wasserbecken umschließenden Marmorwände haben eine Garnitur von Tausenden dicht nebeneinander stehender Glühlampen erhalten, welche die tanzenden Wellen mit einer wahren Fluth rothgoldigen Lichtes überstrahlen und wesentlich dazu beitragen, die Gesamtwirkung zu steigern.

Ebenso schön wie diese durch Menschenkunst hervorgezauberten Farbenspiele und Lichteffekte sind die Augenblicke, wo die untergehende Sonne mit ihrem Glorienschein die Wunderstadt umstrahlt. Welche Bilder, welch ewig wechselnde Pracht! Zeitlebens wird mir ein Abend in Erinnerung bleiben, wo sonderbar geformte Wolkengebilde das ganze südliche und östliche Firmament verhüllten und einen tiefblauen Hintergrund für die vom letzten rosigen Hauch der Abendsonne getroffenen Kuppeln, Obelisken und Thürme bildeten. Von den silbern erglänzenden Lagunen, welche all die Farbenpracht widerspiegelten, klangen die Lieder der venetianischen Schiffer herüber. In ihren geräuschlos dahingleitenden Gondeln stackerten, als es nach und nach dunkler wurde, buntfarbige Papierlaternen auf, zugleich aber begannen auch die Lichter auf dem goldenen Dom des Verwaltungsgebäudes aufzublitzen und sich zu jener funkelnden Riesenkrone zusammenzuschließen, welche auf viele Meilen in der Runde sichtbar ist. –

Die Maschinenhalle.

Doch kehren wir zu unserer Wanderung durch den Jackson Park zurück und besuchen nun den nördlichen Theil desselben, wo bezüglich der architektonischen Formen und Stilarten größere Ungebundenheit herrscht.

Hier haben nicht nur die einzelnen Staaten und Territorien der Union besondere Specialausstellungen veranstaltet, sondern hier erheben sich auch die Repräsentationsbauten der fremden Nationen. Manch eigenartiger Gedanke ist in dieser internationalen Stadt zum Ausdruck gekommen; so z. B. breiten Kalifornien und Texas ihre Schätze in Gebäuden aus, deren halb spanischer, halb maurischer [510] Stil jenen Missionshäusern entlehnt ist, welche im 16. und 17. Jahrhundert von spanischen Mönchen vielfach in Südkalifornien, Arizona und Texas aufgeführt wurden. Florida schlug sein Hauptquartier in einem höchst grotesken, an ein Kriegsschiff erinnernden Bau auf, und zwar in einer wohlgelungenen Nachbildung des alten Forts Marion, welches in der Geschichte Floridas einst eine große Rolle spielte. Palmetto- und Agave-Anpflanzungen beschatten den engen Thorweg, auf den breiten Wallmauern ist die ganze Flora des „Blumenlandes“ vertreten, während im innern Hof Orangen, Citronenbäume und Magnolien blühen. Auch einige der östlichen Staaten suchen in ihren Bauten geschichtliche Erinnerungen wachzurufen so z. B. sind verschiedene Häuser im Stil der Kolonialzeit vorhanden; New-Jersey hat ein genaues Abbild von Washingtons Hauptquartier zu Morristown gegeben, Pennsylvanien eine Nachbildung seiner weltberühmten „Independence Hall“ zu Philadelphia, in welcher die Vertreter der 13 englischen Kolonien Nordamerikas den Bund der Vereinigten Staaten gründeten und seine Unabhängigkeit erklärten. Hier hat Pennsylvanien auch seine kostbarste Reliquie, die berühmte „Liberty Bell“, die Freiheitsglocke, aufgehängt, welche in jener sturmerfüllten Zeit durch ihren Klang weithin verkündete, daß die Tage der Freiheit angebrochen seien. Der Staat Virginia konnte für seinen Bau schwerlich eine passendere Vorlage finden als jenes ehrwürdige Landhaus auf Mount Vernon, wo Georg Washington, der edle Begründer der Union, lebte und starb. Zahlreiche Gebrauchsgegenstände und Reliquien erinnern an den großen Staatsmann.

Die westlichen Territorien und Staaten der Union haben, da sie nicht wie ihre östlichen Geschwister auf geschichtlich denkwürdige Bauten zurückgreifen konnten, manchmal ihre Quartiere in glücklicher Weise mit Andeutungen ihres Naturreichthums versehen. Das walderfüllte Washington z. B. hat ein riesiges Blockhaus aus kolossalen Fichtenstämmen gezimmert; das wildreiche Montana krönte seinen Wohnsitz mit der Figur eines Wapitihirsches, Arkansas führte ein stattliches Pflanzerhaus, Iowa sogar einen aus lauter Maiskolben, Kornähren und Nutzgräsern hergestellten Kornpalast auf.

Daß die fremden Völker in ihren Bauten vorwiegend die ihnen eigenen nationalen Stilformen bewahrten, ist selbstverständlich. Die Perle unter all diesen mannigfachen Behausungen ist unstreitig das „Deutsche Haus“, ein echtes Stück deutschen Mittelalters, dessen Beschreibung wir uns für einen der nächsten Artikel versparen. Deutschlands südlicher Nachbar auf Midway-Plaisance ist Spanien. Es hat gleichfalls ein höchst malerisches Architekturstück beigebracht, die berühmte „Lonja“ zu Valencia. Sie ist eines der ältesten Gebäude der iberischen Halbinsel und diente schon zur Zeit des Kolumbus als Börse der Seidenhändler. Westlich und nördlich vom Deutschen Hause finden wir die zierlichen Minarets und Kioske indischer und siamesischer Tempel, skandinavische Holzbauten mit mächtigem, an die Zeiten der Wikinger erinnernden Gebälk, ferner luftige, äußerst sauber gearbeitete Bambushütten aus Japan und Ceylon, dazwischen wieder die stolzen Paläste Englands, Frankreichs, Oesterreichs und der süd- und centralamerikanischen Republiken.

Inmitten all dieser architektonischen Pracht und Herrlichkeit dürfen wir aber eines Gebäudes nicht vergessen, welches sich in rührender Einfachheit in einem stillen, einsamen Winkel am Seeufer erhebt. Getünchte Mauern, kleine melancholisch dreinschauende Fenster und ein niedriger, mit einem Kreuz versehener achteckiger Thurm bilden die charakteristischen Eigenthümlichkeiten von La Rabida[1], der Nachbildung jenes berühmten spanischen Klosters, an dessen Pforte derjenige einst von Hunger und Bekümmerniß erschöpft zusammensank, zu dessen Ehre die gegenwärtige Weltausstellung veranstaltet und benannt worden ist.

Zahlreiche und werthvolle Reliquien aus der Zeit der Entdeckung Amerikas sind in diesen Mauern vereinigt; die Wände sind mit Gemälden geschmückt, welche Scenen aus dem Leben des Kolumbus veranschaulichen; in den Schreinen lagern Dutzende von Originalbriefen und Handschriften, welche die bekannte Unterschrift des großen Genuesen zeigen, die nur aus einigen, in mystischer Weise zusammengestellten Buchstaben besteht. Ein anderer Raum umschließt eine Sammlung von 40 bis 50 der verschiedensten Bildnisse des Kolumbus. Vielleicht, daß es den Forschern gelingt, hier noch durch sorgfältige Vergleichung denjenigen Typus herauszufinden, der am meisten Anspruch auf Wahrheit hat, und so die schwierige Frage nach einem echten Bilde des Kolumbus der Lösung näher zu bringen. Zahlreiche Photographien, Stiche und Zeichnungen veranschaulichen die Stätten, welche Kolumbus während seiner vier großen Reisen nach der Neuen Welt besuchte; eine Anzahl zum Theil behauener Steine ist den von undurchdringlichem Urwald überwucherten Ruinen von Isabella entnommen, der ersten Stadt, die von den Spaniern auf Española gegründet wurde. Neben ihnen liegen rostzerfressene Toledoklingen, Hellebarden, Sporen und Reste anderen Kriegsgeräths, welche man unter dem Schutt gefunden. Auch die Glocke ist vorhanden, welche zum ersten Mal das Christenthum in der Neuen Welt verkündete. Nach der Aufgabe Isabellas hatte man sie nach La Vega gebracht; in den Ruinen der dortigen Kapelle wurde sie zwischen den Aesten eines Feigenbaums entdeckt, welcher während seines Wachstums die Glocke mit emporgetragen hatte.

Das kostbare Kartenmaterial, welches in La Rabida zusammengebracht ist und die ältere Kartographie Amerikas veranschaulicht, enthält die wertvollsten Originale, so z. B. die auf eine Ochsenhaut gezeichnete große Karte des unglücklichen Piloten Juan de la Cosa, die erste, welche die von Christoph Kolumbus gemachten Entdeckungen zeigt. Auch sind Nachbildungen von der Grabstätte des Kolumbus vorhanden, ferner unzählige Reliquien, die an die Zeitgenossen und Nachfolger des großen Genuesen erinnern, an Isabella die Katholische, an König Ferdinand, an Cortez und sein unglückliches Opfer Motecusuma (Montezuma), an Pizarro und all die anderen Helden, welche zur Entschleierung der Neuen Welt beitrugen. Kurz, das Kloster La Rabida der Kolumbischen Weltausstellung zu Chicago enthält der historischen Schätze gar viele, und wenn sich auch einzelne darunter befinden, die sehr fragwürdigen Werthes sind, so wird ein geübtes Auge doch leicht die Spreu von dem Weizen zu sondern wissen und auch aus diesen bescheidenen Mauern reiche Ernte für die Wissenschaft gewinnen.


  1. Vergl. die Abbildung in Nr. 12 des Jahrgangs 1892.