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Weltliche Feste in den Kirchen Amerikas

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Titel: Weltliche Feste in den Kirchen Amerikas
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 624
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[624] Weltliche Feste in den Kirchen Amerikas. Im Gegensatz zu dem geistig regeren Westen Nordamerikas weht in den östlich gelegenen Neu-Englandstaaten noch vielfach etwas von jener puritanischen Luft, welche die „Pilgerväter“ 1620 bei ihrer Landung am Plymouthfelsen (vergl. „Der Altvätertag der Union“ in Nr. 51, 1878) in’s Land trugen.

Nirgends spielt die Kirche wohl eine so große Rolle in der Gesellschaft, wie in den eben bezeichneten Gebieten von Amerika. In Springfield (in Massachusetts) z. B. existiren 36 Kirchen und 30 verschiedene Gemeinden, was für den geselligen und gesellschaftlichen Verkehr sehr lähmend ist, denn wie sich ist Europa Coterien aus dem Bürger-, dem Beamten-, dem Finanz- und Militärstand bilden, so bezeichnen in jenen Gegenden Amerikas diese Gemeinden ebenso viele Coterien, in die zu kommen es nur gelingt, wenn man dieselbe Kirche, ob aus Ueberzeugung, ob aus Politik, besucht. Jede Gemeinde sammelt und spendet für sich allein, und immer in der Kirche, weshalb auch die Einrichtung der Kirchen eine ganz andere ist, als bei uns in Europa.

Das erste Fest, dem ich in einer Springfielder Kirche beiwohnte, war ein Erdbeerfest, welches in den Zeitungen angekündigt war.

Ein Erdbeerfest! Eintritt fünfzehn Cents, Kinder zehn Cents, Erfrischungen und Unterhaltung in der Kirche! Das war mir neu, und ich beschloß, das Fest mir anzusehen.

Als ich hinkam, hatte es schon begonnen; in der hochgewölbten Kirche tummelten sich jauchzende Kinder, war es ihnen doch heute gestattet, frei überall herumzulaufen; selbst auf des Predigers Plattform wagten sie sich und stritten, wer zuerst reden solle.

In der schönen, einem Saale ähnlichen großen Sakristei waren Tische und Bänke an den Wänden aufgestellt; junge Damen bedienten die Kommenden mit Thee, Kaffee, Kuchen, Eis und vor Allem mit Erdbeeren, welche in Amerika auf Aeckern gezogen werden und den Hauptertrag mancher Farmen bilden. Die Preise waren mäßig, obwohl der Erlös für die Kirche bestimmt war.

Die Pfeiler der Sacristei hatte man reizend mit großen frischen Bouquets geschmückt, die gleich Medaillonbildern daran befestigt waren; in allen Nischen des Raumes standen Tische mit schönen Arbeiten, welche die Damen der Gemeinde gespendet hatten und die zu hohen Preisen verkauft wurden. An dem einen Ende der Sacristei, auf einer Bühne, welche im Winter zu Concerten und zum Theaterspiel verwendet wird, blühte ein förmlicher Garten von Blumen; es gab da Bouquets von allen Größen, zu allen Preisen. Die Maiglöckchen mit ihrem berauschenden Dufte, und die Rose, der Liebling der Amerikaner, hatten da ihr Lager aufgeschlagen; hier war das Gedränge der Kauflustigen am größten; die jungen Verkäuferinnen hatten vollauf zu thun.

Es war ein frisches, fröhliches Frühlingsfest, frei von äußerem Zwang und doch durch Ort und Zweck in gewisse Schranken gebannt. Eine Predigt wurde nicht gehalten; der Prediger selbst war gar nicht anwesend; es war einfach eine freiwillige Sammlung für die Kirche, von den Kirchenmitgliedern, die auch Erfrischungen besorgten, ausgehend.

Man bleibt aber nicht bei solch poetischen Erdbeerfesten stehen. Die Gemeinden geben ihre Concerte, Theatervorstellungen, Soiréen und Thees in der Kirche. Neben der Sacristei befindet sich eine Küche und Geschirrkammer, und statt des Weihrauchs strömt Abends gar oft der Duft eines gebratenen Truthahns durch die heiligen Räume.

Die Idee, die Gemeindemitglieder in dieser Weise mit einander bekannt zu machen ist gewiß eine ganz praktische, aber solche Feste nehmen der Kirche jede religiöse Weihe; denn wo ich Abends gespeist, getanzt und gelacht habe, kann ich den andern Tag nicht meine Gedanken zu Gott erheben, ohne unwillkürlich an die vergangene Unterhaltung zu denken, wenn sie auch nur in den Nebenräumen der Kirche stattfand.

Aber nicht nur zur Unterhaltung versammelt man sich in der Kirche, auch zu wohlthätigen Zwecken. Die Damen der Gemeinde kommen an bestimmten Abenden der Woche dort zusammen, um für arme Kinder Anzüge zuzuschneiden und zu arbeiten. Ueberhaupt sind die Amerikaner, wie bekannt, äußerst wohlthätig.

Die Unterhaltungen werden immer ist den Zeitungen angekündigt; so z. B. heißt es: heute Abend Austernschmaus in der Methodisten-Kirche, oder: heute Abendunterhaltung mit Tableaux in der Congregisten-Kirche. Sogar die Katholiken machen diese Mode mit. Sie geben ihre Feste und Unterhaltungen aber immer im Stadthause im großen Saal und erreichen dieselben Zwecke, denselben Ertrag. Im Sommer werden auch Ausflüge gemacht, und da heißt es: „Picnic der Baptisten-Kirche“, oder „Picnic der South (Süd)-Kirche“ und so fort; da wird in offenen Omnibuswagen welche zwanzig bis dreißig Personen fassen, auf’s Land gefahren, wobei die Erfrischungen mitgebracht werden. So ist die Kirche der Brennpunkt des gesellschaftlichen Lebens in jenen Gegenden Amerikas.