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Weltverbesserer/Robert Owen – Johann Georg Rapp

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Textdaten
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Autor: Dr. J. O. Holsch
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Titel: Robert Owen - Johann Georg Rapp
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 392, 394–395
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[392]

Weltverbesserer.

Von Dr. J. O. Holsch.
VI.
Robert Owen – Johann Georg Rapp.


Es giebt wohl keinen einzigen „Weltverbesserer“, in welchem der Fortschritt wirthschaftlicher Erkenntniß und Thatkraft, der die letzten 100 Jahre europäischer Entwicklung kennzeichnet, sich so anschaulich verkörpert wie in der Person des englischen Fabrikbesitzers Robert Owen.

Owen wurde am 14. Mai 1771 als siebentes Kind eines kleinen Kaufmanns, der zugleich die Postagentur des Städtchens besorgte, zu Newton in Wales geboren. Ein schwächliches Kind, mußte er sich früh an strenge Lebensregeln gewöhnen, die er zeitlebens beibehielt. In der Schule machte er so rasche Fortschritte, daß er mit acht Jahren dem Lehrer im Unterricht half. Mit zehn Jahren war er Kaufmannslehrling, mit zwölf Kommis in Hamford und London, später in Manchester, wo er mit Staunen, zugleich aber mit scharfem Verständniß den ungeheuren Aufschwung der Baumwollindustrie beobachtete; mit achtzehn Jahren machte er sich zum Theilhaber einer Maschinenfabrik, mit zwanzig wurde [394] er Direktor einer der größten Feingarnspinnereien Manchesters, einige Jahre darauf Besitzer einer eigenen Spinnerei, die er infolge seiner Verheirathung später, zu Beginn unseres Jahrhunderts, mit den durch ihn so berühmt gewordenen „New-Lanark-Mills“ (ebenfalls einer Baumwollspinnerei) in Schottland vertauschte.

Eine derartige, einzig dastehende Lebensentwicklung deutet zunächst weit weniger auf einen idealistischen Weltverbesserer hin als auf einen sehr praktischen Verbesserer seiner eigenen materiellen Lage. In der That läßt sich das ganze Wirken Robert Owens aus einer ebenso wahrheitsliebenden als unerschrockenen Verallgemeinerung seiner eigenen Grundsätze und Erfahrungen und ihrer thatkräftigen Anwendung auf seine Umgebung erklären. Er war, wie seine geniale Landsmännin Beatrice Potter zutreffend bemerkt, „kein bloßer Träumer, der in begeisterter Schwärmerei ideale Theorien in seinem Studierzimmer ausheckte; er war ein hartköpfiger self-made man, ein Mann, dessen Lebenslauf die Hauptereignisse der gewerblichen Umwälzung im kleinen darstellte“.

Da Owen die unheimlich rasche Umbildung und Verschlechterung des Menschenmaterials infolge der reißenden Entwicklung der Großindustrie seines Vaterlandes täglich vor Augen hatte, ebenso aber sich selbst gewissermaßen als Ergebniß derselben fühlte, so bildete sich in ihm die Ueberzeugung, daß man, um das Elend in der Welt auszurotten, nur die äußere Lage der Menschen von Grund aus zu verbessern habe und daß durch die zweckmäßig veränderten Umstände und durch eine vernünftige Erziehung der Charakter im Menschen vollkommen umgebildet werden könne – – Gedanken, die er noch am Schluß seines Lebens im Jahre 1858 bei einem Kongreß der „Assoziation der Gesellschaftswissenschaft“ zu Liverpool mit schon versagender Stimme als seine Lebensaufgabe bezeichnet hat.

Als die New-Lanark-Werke in seinen Besitz übergegangen waren, begann er die planmäßige wirthschaftliche Umbildung seiner Umgebung, vor allem seiner eigenen Arbeiter.

Das erste, was er that, war, daß er die Arbeitszeit, welche dazumal noch bis zu 17 Stunden im Tage dauerte, allmählich auf 10 Stunden herabsetzte, daß er ferner die Anstellung von Kindern unter 10 Jahren verbot. Robert Owen ist so der Vater der Arbeiterschutzgesetzgebung geworden, denn schon im Jahre 1816 empfahl er dem englischen Unterhause, die Arbeitszeit in allen Fabriken auf 10 Stunden zu beschränken, Kinder unter 10 Jahren gar nicht, 10- bis 12 jährige nur zur Halbschichtarbeit zuzulassen. Das Haus nahm damals den Entwurf nicht an; allein nach einem dreißigjährigen, durch Owen angeregten Kampf endigte die Bewegung im Jahre 1847 mit dem Siege des Prinzips einer gesetzlichen Regelung der Fabrikarbeit. Wie wenig utopistisch die weltverbessernde Thätigkeit Owens nach dieser Richtung hin war, das bewiesen die geschäftlichen Bilanzen, die er erzielte. In 4 Jahren hatte er 160000 Pfund Sterling verdient, abgesehen von einer 5%igen Verzinsung seines Kapitals und einer Wertherhöhung desselben um 50%! In einer Ansprache an seine Mitfabrikanten sagte er ebenso wahrheitsgetreu als wirthschaftlich weitblickend: „Wenn die rechte Sorgfalt für Ihre unbeseelten Maschinen so wohlthätige Folgen hervorrufen kann, wieviel mehr dürfen wir dann erwarten, wenn Sie Ihren beseelten Maschinen, die so sehr viel wunderbarer konstruiert sind, die gleiche Aufmerksamkeit widmen!“

Gleichzeitig mit der Verkürzung der Arbeitszeit suchte Owen auch sonst mit allen Mitteln wirthschaftlich befreiend und hebend auf seine Arbeiter zu wirken. Er baute seinen Arbeiterfamilien gute Wohnungen („cottages“, Häuschen mit kleinen Gärten), sorgte für guten und zweckmäßigen Unterricht, dessen Bezahlung er selbst übernahm, er beaufsichtigte und beeinflußte die Verkaufsstellen für die Lebensmittel, für deren möglichst billige und preiswürdige Lieferung er besorgt war, schuf Kinderbewahranstalten, Spielplätze, Lesezimmer und andere veredelnde Einrichtungen, um in jeder Beziehung seine Umgebung auf eine höhere gesellschaftliche Stufe zu heben. Daß ihm dies wirklich gelang, ist dadurch erwiesen, daß heutzutage noch, beinahe zwei Menschenalter nachher, die Bevölkerung New-Lanarks sich durch bessere Bildung vortheilhaft auszeichnet. Diese Seite des Owenschen Wirkens, die philanthropische, trug ihm denn auch eine Reihe bewundernder Besuche und Schreiben aus hohen Kreisen ein. Der Kaiser Alexander I. von Rußland und Friedrich Wilhelm III. von Preußen wandten seinen Gedanken, namentlich seinen erzieherischen, besondere Aufmerksamkeit zu; letzterer schickte ihm ein Handschreiben, worin er Owen mittheilte, er habe Befehl gegeben, das Erziehungssystem, das sich in Lanark so sehr bewährt habe, bei den preußischen Schulreformen so weit als möglich zu berücksichtigen.

Es ist begreiflich, daß Owen hiermit nicht zufrieden war, um so weniger, als weder seine Mitfabrikanten noch die Regierungen – die eigene wie die fremden – seinem dringenden Verlangen nach durchgreifender wirthschaftlicher Hebung des Arbeiterstandes Folge leisteten.

Es drängte ihn daher weiter, zu anderen Mitteln. Die eigene Vereinigung der Genossen sollte das ersetzen, was seitens der Regierung nicht geschah, und so wurde Owen auch der Ausgangspunkt für die verschiedenen Formen der Genossenschaftsbewegung. Ein Versuch, der in den Jahren 1826 bis 1832 mit einer Arbeitsbörse, einer Warentauschbank gemacht wurde, mißlang. Es war dies ein von Owen mit Kapital ausgestatteter künstlicher Markt, auf welchem jede Ware nach der Arbeitsmenge, die sie enthielt, gewerthet, bezw. gekauft wurde; die Einrichtung scheiterte natürlicherweise an dem nicht regelbaren Absatz. Ebenso wollten Konsumvereinsgründungen nicht recht in Fluß kommen; erst zwölf Jahre später nahmen sie unter dem Vorantritt der redlichen „Pioniere von Rochdale“ einen großartigen Aufschwung.

Alle diese Anregungen waren jedoch für Owen nur Mittel zum Zweck. Was ihm als letztes Ideal und Ziel vorschwebte, das war die „Heimkolonie“, welche er seit 1817 öffentlich befürwortete.

Die Heimkolonie ist eine Produktivgenossenschaft von 500 bis 2500 Menschen verschiedenen Geschlechtes, die unter Aufhebung des verderblichen Gegensatzes zwischen Stadt und Land, zwischen Industrie und Landwirthschaft mit vereinigter Kraft arbeitet, sich selbst verwaltet und durch besondere Vertreter sich mit den Verwaltungen anderer Heimkolonien in Verbindung setzt, wobei durch eine Art von Oberverwaltung Produktion und Verbrauch der verbündeten Heimkolonien geregelt werden. Mit dem ganzen Nachdruck seiner Person trat Owen für die Verwirklichung dieses Gedankens ein und scheute sich nicht, in öffentlichem Redestreit dafür zu sprechen; so vertheidigte er am 5. März 1839 in einer derartigen Erörterung einem Geistlichen der Dissenters gegenüber seine Aufstellungen, wobei er in den zwei letzten seiner vierundzwanzig Thesen ausdrücklich betonte, daß die von ihm erstrebte Bildungen mit weit weniger Opfern an Kapital, Zeit und Arbeit eingeführt werden könnten, als jetzt nöthig sei, um den widerspruchsvollen Zustand der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Der Uebergang könne ohne irgend welche Unordnung oder Verwirrung in einer jedem Einzelnen wohlthätigen Weise bewerkstelligt werden.

In der That wagte es Owen, getreu seinem ganzen Wesen, das, was er in New-Lanark versuchsweise angebahnt hatte, auch wirklich zur Ausführung zu bringen. Im Jahre 1824 ging er zu diesem Zweck nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika und hielt dort aufsehenerregende Vorträge, sogar vor den Kongreßmitgliedern zu Washington im Kapitol. Die erste Gemeinde, die ihm folgte, 900 Köpfe stark, fand ihr Heim in dem Dorfe New-Harmony an den Ufern des Wabash im Staate Indiana, das die Rappisten, von denen wir unten näheres hören werden, verkauften. Anfangs herrschten auf dem etwa 30000 Acker (12000 ha) umfassenden Gebiete helle Begeisterung und reger Arbeitseifer. Aber schließlich kam es über der Frage, ob Owen Diktator werden solle, zu Zwistigkeiten; viele Glieder verließen das Dorf, und der gemeinsame Besitz mußte aufgetheilt werden. Die „Heimkolonie“ war gescheitert! Warum? Es waren „Unehrliche“ unter den 900, es waren Trinker darunter, auch Faulpelze; sie waren eben nicht alle „von Natur gut“. Ebenso erfolglos verlief der Versuch, den eine Verehrerin Owens, Francis Wright, in Nashoba in Ost-Tennessee machte; auch dieser mißlang, wie die Dame selbst gesteht, infolge der Selbstsucht der Vertrauenspersonen; sie versicherte nachher, eine Kommunistengemeinde werde nur dann bestehen, wenn alle ihre Mitglieder höhere Wesen wären! Ihr Unternehmen hatte sich nur zwei Jahre gehalten, über ein halbes Dutzend weiterer Versuche brachten es nicht einmal soweit; sie brachen zusammen, ganz ähnlich wie die auf Fourier mittelbar zurückzuführenden Gründungen auf dem unermeßlichen und besonders geeigneten Versuchsfeld Nordamerika.

[395] In Europa wagte 1830 der irische Grundbesitzer Vandaleur eine Probe. Er vereinigte etwa 40 Arbeiter in eine Gesellschaft unter seiner Leitung. An sie verpachtete er sein Gut Ralahine in der Grafschaft Clare unter genaueren Bestimmungen, welche den Owenschen Grundsätzen nachgebildet waren. Diese Gesellschaft gedieh so sehr, daß nach zwei Jahren die Zahl der Genossenschafter sich verdoppelte. Da verspielte Vandaleur, der die Leitung in der Hand hielt und Besitzer des Grunds und Bodens war, „zufällig“ sein Vermögen, und die Gläubiger bemächtigten sich des auf den doppelten Werth gestiegenen Gutes. Diesen Schlag könnte man zunächst versucht sein, als eine jener Ironien der Weltgeschichte zu bezeichnen, vor denen manchmal der Geschichtschreiber rathlos und schmerzlich bewegt steht. Allein hier wird diese Thatsache als solche der Beweis dafür, daß eben nicht alle Menschen von Natur gut und charakterfest sind – wie Owen es war und auch von anderen immer voraussetzte.

Der Irrthum Owens war der, daß er glaubte, es sei einem Einzelnen vorbehalten, ganze Bevölkerungsschichten, ja gerade die herrschenden, umzubilden. Er hatte einstens in einer großen Rede, in der er sich auch vom Christenthum öffentlich lossagte, unter dem größten Staunen der Anwesenden behauptet, das Gewissen der Menschen, ihr ganzer geistiger Charakter werde gerade so gut fabriziert wie ein Baumwollstoff oder irgend eine andere Ware. Wenn er seinen großen Landsmann und Zeitgenossen Darwin zuvor gefragt hätte, so hätte ihm dieser kühle Forscher vielleicht gesagt: „Ja, aber nur durch die Arbeit der Jahrhunderte,“ und ein Spencer hätte dies in seiner Art bestätigt. „Unser guter Owen litt Schiffbruch,“ sagt darum ein Freund des Mannes, „weil er nicht recht verstand, daß alle Dinge, die leben, sich aus sich selbst heraus entwickeln.“

Trotz alledem bedeuten Owens Gedanken ein erstes Hereinleuchten wissenschaftlicher Klarheit in das bisher noch so dunkle Gebiet der Gesellschaftswissenschaft. Was Owen aber als Mensch seinem Volke und der Welt war, das drücken wir am besten aus mit seinen eigenen Worten, die er kurz vor seinem Tode einem Geistlichen erwiderte: „Ich habe mein Leben nicht fruchtlos verschwendet. Ich habe der Welt wichtige Wahrheiten verkündet, und hat die Welt sie nicht angenommen, so ist es, weil sie dieselben nicht begriffen hat. Ich tadle die Welt darum nicht. Ich war meiner Zeit voraus.“

So war es: die Geschichte des englischen Genossenschaftswesens und Arbeitsschutzes , ja die ganze Gegenwart ist eine glänzende Bestätigung dieses nicht ruhmrednerischen, sondern streng sachlichen und wahren Selbstzeugnisses.


Johann Georg Rapp.

Zu dem Engländer Owen steht in einem bemerkenswerthen Gegensatz ein deutscher Kommunist, der die „Gartenlaube“ schon mehrfach beschäftigt hat, Johann Georg Rapp. (Siehe u. a. Jahrg. 1890, Nr. 47.) Während Owen die Religion verpönte und offen mit ihr brach, finden wir sie bei Rapp als die innere Wurzel des Ganzen und, mit der Persönlichkeit zusammengeschmolzen, auch als Werkzeug der äußeren Leitung. Johann Georg Rapp, 1757 als Bauernkind zu Iptingen bei dem schönen Kloster Maulbronn in Württemberg geboren, zeigte schon früh neben allgemeiner Begabung besondere religiöse Empfänglichkeit und Herrschtalent. Er wurde Leineweber, „Separatist“, d. h. Frommer auf eigene Eingebung und, wie man diese Leute dort zu Lande nennt, „Pietist“, „Stundenhälter“, in welcher Rolle er bald zum großen Leidwesen seines Pfarrers großen Zulauf gewann. Er zeigte sich gegenüber allen Verwarnungen und Strafen der Regierung, die damals auch noch Religionsverweigerungen ahndete, vollkommen empfindungslos, theilte das Abendmahl unter die 12 bis 15 Stunden weit herkommenden Landleute aus, veranstaltete mittels der mitgebrachten Nahrungsmittel großartige Liebesmahle und genoß ein vollkommen patriarchalisches Ansehen. 1803 wanderte er mit seinem Sohn und zwei Anhängern nach Amerika aus, welches er als das von Gott zur Sammlung der Seinen auserwählte Land ansah. Er predigte drüben mit großem, auch finanziellem Erfolg und kaufte schließlich bei Pittsburg 6000 Acker Land. Daraufhin kamen etwa 700 seiner Anhänger aus Württemberg im Jahre 1804 drüben an. Geleitet von jenem Vers der Apostelgeschichte (Kap. 4, 32): „Die Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele; auch keiner sagte von seinen Gütern, daß sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemein,“ gaben sie ihrer ersten Niederlassung den Namen „Harmony“ und gründeten dieselbe auf einen Gesellschaftsvertrag, dem gemäß die Kolonisten ihr Vermögen zusammenlegten und sich zu gemeinschaftlicher Arbeit verpflchteten. Rapp war geistiges Oberhaupt, sieben Aelteste waren ihm beigeordnet. Allein Rapp war ein gestrenger Herr, und etwa 80 Familien sonderten sich bald ab, weil sie zu viel arbeiten mußten. Die verkleinerte Kolonie selbst gedieh jedoch außerordentlich rasch, bis 1815 Rapp sie wegen der ungünstigen Verkehrswege theuer verkaufte und mit den Seinen nach Indiana zog, wo er „New-Harmony“ gründete. Neue Heimathgenossen kamen, auch hier blühte alles prächtig auf, bis Rapp auch diese Kolonie 1824 um 500000 Dollars an Owen und seine Leute verkaufte. In Pennsylvanien wird nun am Ohio die dritte Kolonie, „Economy“, gegründet. Abermals ging die Entwicklung unter Rapp ganz gut von statten. Rapp war der geistliche wie der weltliche Diktator des Ganzen, was sich ganz offen in seinen äußeren Verhältnissen wie in seiner Art, sich zu geben, aussprach. Er speiste auf Silber, hielt 4 Pferde und einen Kutscher, hatte eine Art Thron bei seinen Vorträgen und pflegte offen zu sagen: „Mein Wille ist Gesetz.“ Seit 1807 predigte Rapp gegen die Ehe und duldete keine Eheschließungen mehr, da die Wiederkunft Christi von ihm auf den 15. August 1829 angesetzt worden war. Schon 1820 hatte er sich zum alleinigen Eigenthümer des Gesamtvermögens der Kolonie machen lassen, wobei alle etwa Austretenden im voraus aus ihre Antheile verzichteten.

Der äußerliche Zustand der Kolonie wird 1826 von Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar, der sie besuchte, als ein ganz erstaunlich guter geschildert. Die Wiederkunft Christi erfolgte zwar 1829 nicht, wohl aber kündigte sich ein „Gesandter Gottes“ an. Im Jahre 1831 zog er pomphaft in Economy ein und brachte bald eine Spaltung der Gemeinde zuweg, bei der 500 Glieder für Rapp, 178 für „Graf Léon“, alias Bernhard Müller, sich entschieden; letztere gründeten das rasch wieder hinsiechende „Neu-Jerusalem“. In Economy herrschte Rapp bis zu seinem Tode, 7. August 1847, nach ihm Romelius Backer bis 1871 und seit 1871 Jakob Henrici. Infolge mangelnden Zuzugs ist die Kolonie am Aussterben, und es ist wegen des 5 bis 12 Millionen Dollar betragenden Vermögens ein Erbschaftsprozeß in Sicht, der diejenigen Gemeinden Württembergs, aus denen die ersten Kolonisten ausgingen, seit längerer Zeit in nicht geringer Aufregung erhält.

Das Urtheil über Rapp wird immer ein gemischtes sein. Er war halb religiöser Schwärmer, halb eigensinniger, herrschsüchtiger Bauernführer. Seine Geschichte zeigt, wie viel auf das Organisationstalent und die persönliche Macht eines einzelnen Mannes ankommt. Die Welt wollte er nicht verbessern, wohl aber hat er ihr gezeigt, daß religiöse Mächte vorläufig immer noch ein wirksamerer Kitt für die Organisation der Massen sind als die reine Vernunft und das kindliche Zutrauen zu der guten Natur aller Menschen. Insofern sind Owen und Rapp merkwürdige Gegensätze.

Wie es einstens dem Dichter Lenau drüben in der Rappschen Kolonie nicht recht behaglich werden wollte, so ging und geht es noch manchem anderen bis auf diesen Tag. Weder der französische Elan eines Fourier und Cabet, noch die englische Nüchternheit Owens, noch endlich die süddeutsche, mit religiöser Schwärmerei verbundene Zähigkeit Rapps waren imstande, eine neue Gesellschaft aus dem Boden zu stampfen. Sie brachten immer die alten Menschen mit, der Wurm stak schon zuvor im Apfel. Echte und dauernde Begeisterung für Gemeinsamkeit in Arbeit und Genuß kann nur da auf die Dauer wohnen, wo gleichen Ansprüchen gleiche Einsätze entsprechen. Nur Menschen, die sich an Charakter, Bildung, Neigung und Bedürfnissen sehr nahe kommen und gleichzeitig geistig überhaupt sehr hoch stehen müßten, könnten „vielleicht“ das Ideal einer wirthschaftlichen Gemeinschaft im kleinen wirklich durchführen. Da aber solche Menschen leider auch ausgangs dieses Jahrhunderts, wie anfangs desselben, noch sehr selten sind, so bleiben sie vorläufig wohl besser in der Gemeinschaft der übrigen, um an der allmählichen Hebung der unten Stehenden selbstlos zu arbeiten.