Wie Träume entstehen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Wie Träume entstehen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 726–727
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[726]

Wie Träume entstehen.

In unserer Zeit haben die Träume an Bedeutung verloren. Die Aufklärung hat in weiteste Volksschichten die Ueberzeugung getragen, daß Träume uns keinen Einblick in die übersinnliche Welt gewähren, daß es ein müßiges Unterfangen ist, aus ihren wechselvollen Gebilden die Zukunft wahrsagen zu wollen. Die Zunft der Traumdeuter ist allerdings noch lange nicht ausgestorben, aber ihre Gemeinde schmilzt immer mehr zusammen. An Stelle des Traumglaubens ist die Traumforschung getreten; denn das Interesse an den Träumen ist keineswegs erloschen. Wer hat nicht im Leben ihre Macht gespürt? Wen hat nicht ein Traum einmal aufs innigste beglückt und das andere Mal im Tiefinnersten erschüttert? Und über den Schlaf hinaus reicht die Wirkung. So mancher bleibt den ganzen Tag über verstimmt – wegen eines sinnlosen Traumes. Kein Wunder, daß man sich eifrig bemüht, das Wesen dieser rätselhaften Erscheinung zu ergründen! Von einer zuverlässigen Lösung dieser Frage sind wir leider noch sehr weit entfernt. Die strenge Wissenschaft, die sich mit Annahmen und Vermutungen nicht begnügt, sondern mit Thatsachen rechnet, hat bis jetzt nur vermocht, einige Bausteine zu einer künftigen Lehre von den Träumen zusammenzutragen. Das wenige, was man erkundet hat, ist aber schon darum wichtig, weil wir daraus ersehen, daß in das Träumen keine übernatürlichen Kräfte hineinspielen, daß vielmehr das träumende Gehirn nach denselben Gesetzen arbeitet wie das wachende.

Unter anderem haben wir tiefere Einblicke in die Ursachen der Träume gewonnen.

Zahlreiche Beobachtungen haben gelehrt, daß die meisten Träume durch äußere oder innere Reize veranlaßt werden, die auf den Schlafenden einwirken. Bemerkenswert ist, daß dabei eine gewisse Gesetzmäßigkeit sich geltend macht. Dieselben oder ähnliche Reize rufen bei verschiedenen Menschen gleichartige Träume hervor.

Zuerst hat man diese Erkenntnis bei der Prüfung einer sehr häufig vorkommenden und sehr belästigenden Traumart gewonnen. Jeder kennt aus eigener Erfahrung das Alpdrücken; ein Tier, eine feindliche Person oder irgend eine schwere Last wälzt sich allmählich auf den Träumenden und ängstigt ihn, bis er oft unter stöhnendem Laut erwacht. Börner, der durch das Alpdrücken oft gepeinigt wurde, stellte durch Versuche fest, wie es zustande kommt.

Der Alptraum stellt sich ein, wenn aus irgend einem Grunde die Atmung des Schlafenden behindert wird. Man kann ihn darum künstlich erzeugen, indem man dem ruhig Schlummernden irgend einen Gegenstand, z. B. eine wollene Decke, über Mund und Nase breitet. Dann bemerkt man, daß die Atemzüge der [727] Versuchsperson länger und tiefer werden, die Atmungsmuskeln mit sichtbarer Anstrengung arbeiten und das Gesicht sich rötet. Der Schlafende stöhnt zeitweilig, bleibt aber regungslos liegen, bis er mit einem plötzlichen Ruck die Decke fortschickt und nun erwacht oder ruhig weiter schläft. Fragt man den Muntergewordenen, was er gefühlt habe, so erfährt man, daß er ein Alpdrücken gehabt habe. Von einigen Versuchspersonen wurde hervorgehoben, daß die beängstigende Traumerscheinung, z. B. irgend ein Tier, ihnen plötzlich auf die Brust gesprungen sei. Das erklärt sich durch das rasche Eintreten des Atmungshindernisses, durch das plötzliche Auflegen der Decke auf Mund und Nase. Unter gewöhnlichen Umständen tritt im Schlaf die Atemnot allmählich ein, und darum haben die Alpträume einen mehr schleichenden Charakter; der Schlafende wird langsam von dem Hindernis überwältigt. Das Wesentliche an dieser Traumart ist das Gefühl der Beklemmung und Beängstigung; die Gestalten, die es hervorrufen, können aber verschieden sein, je nach der Lebensweise und Anschauungsart des Träumenden.

Einen wahren Gegensatz zum Alpdrücken bilden Träume, in welchen wir uns so wohl und leicht fühlen, daß wir imstande sind, auf und nieder zu schweben und zu fliegen. Auch diese Traumart stellt sich häufig ein, namentlich in den jüngeren Lebensjahren. Sie hängt gleichfalls mit der Atmung während des Schlafes zusammen und tritt ein, wenn dieselbe besonders leicht und frei ist. Der dänische Psychologe Dr. Alfred Lehmann erzählt in seinem trefflichen Werke „Aberglauben und Zauberei“, das neuerdings in deutscher Übertragung bei Ferdinand Enke in Stuttgart erschienen ist: „Während eines Mittagsschlafes auf dem Sofa hatte ich einen langen Traum des Inhalts, daß ich mich damit belustigte, auf und nieder zu schweben. Als ich erwachte, lag ich auf dem Rücken, hatte die Arme an den Seiten, den Kopf stark zurückgebogen und die Brust sehr hoch – eine Lage, die durch die Einrichtung des Sofas bedingt war –; die Atmung war sehr frei und das Wohlbefinden über dem normalen Stand.“ Gelegentlich verschiedener Vergiftungen, die auf das Nervensystem einwirken, entstehen traumartige Visionen. Das ist unter anderm auch bei Vergiftungen mit der Tollkirsche und dem Bilsenkraut der Fall. Die Delirien, die sich infolgedessen einstellen, sind oft mit Empfindungen des Fliegens verbunden. Nun wirken diese Gifte in der That auf unsere Atmungsorgane, indem sie in geringen Mengen das Atmen erleichtern, so daß Räucherungen aus Stechapfelblättern mitunter als Heilmittel gegen Asthma von den Aerzten verordnet werden.

Es giebt recht unangenehme Träume, in welchen wir uns von Feinden bedrängt sehen und ihnen durch Flucht zu entrinnen suchen. Sie enden häufig damit, daß wir einen Sprung aus dem Fenster oder von einem Berge in den Abgrund wagen und während des Fallens mit Zeichen großer Angst erwachen. Die Ursache dieser Traumart ist gleichfalls ermittelt worden. Sie entsteht in der Regel, wenn das eine Bein des Schlafenden über dem anderen liegt. Dadurch wird oft ein Druck auf eine größere Ader ausgeübt, was eine Störung des Blutkreislaufes hervorruft. Das Herz sucht das Hindernis zu überwinden und arbeitet stärker und schneller. Das Herzpochen ruft nun ein Angstgefühl hervor, und dieses läßt den unangenehmen Traum von Verfolgung und Flucht entstehen. Der Zustand wird schließlich unerträglich, der Schlafende rafft sich, um sich Erleichterung zu verschaffen, zu einer ruckweisen Bewegung auf, nun gleitet das eine Bein hinab, und dadurch wird die Empfindung des Fallens hervorgerufen. Man kann auch diese Träume künstlich hervorrufen, indem man sich in passender Stellung mit übereinander gelegten Beinen zum Schlafen niederlegt. Alfred Lehmann teilt in Bezug darauf folgende interessante Selbstbeobachtung mit:

„Eines Morgens lag ich im Halbschlaf mit hochgezogenen Knieen auf dem Rücken. Plötzlich glitten meine Füße aus, wahrscheinlich weil der Schlaf tiefer wurde und infolgedessen die Beinmuskeln erschlafften. Sofort hatte ich die lebhafte Empfindung eines tiefen Falles; aber da ich so weit wach war, daß ich mir über die Ursache der Empfindung klar werden konnte, knüpfte sich auch kein Traum an dieselbe.“ Aus diesem Beispiele ersehen wir, daß die Erschlaffung der Beinmuskulatur Träume erzeugt, bei denen das Fallen oder Abstürzen den wesentlichen Inhalt bildet.

Alle Reize, die von außen auf die Sinne des Schlafenden einwirken, können gleichfalls Träume auslösen. Licht, das plötzlich in das dunkle Schlafzimmer hineingetragen wird, gestaltet sich im Traume zu einem Brande, und Mondstrahlen, die das Gesicht treffen, verwandeln sich mitunter in einen Glanz, der die Traumscene verklärt. Schallerscheinungen geben in gleicher Weise zu Träumen Anlaß, eigenartig sind aber die Wirkungen der Geschmacks- und Geruchsempfindungen. Nur selten riechen oder schmecken wir im Traume. Die Geruchsempfindung weckt vielmehr Gesichtsvorstellungen. In einem Versuche ließ man den Schlafenden Rosenöl riechen, und er träumte, daß er in einem Garten Rosen pflücke. Ueberhaupt nehmen wir im Traume hauptsächlich Gesichtsbilder wahr. Jedes solcher Bilder birgt aber in sich eine Summe von Handlung wie ein Gemälde. Mit blitzartiger Schnelligkeit vermag wohl eine ganze Reihe derartiger Bilder an dem Geiste des Träumenden vorbeizuziehen und so ein Erlebnis vorzutäuschen, das sich in der Wirklichkeit nur im Laufe von Stunden abspielen kann. Aber die Zeit, in der die Gesichtsbilder im Traum sich aneinanderreihen, bemißt sich nicht einmal nach Minuten, sondern nur nach Sekunden. Ein Knall, der den Schläfer weckt, verursacht zugleich einen Traum. An dem Krankenbette einer Rekonvalescentin stand eine Seltersflasche; plötzlich sprang der Pfropfen mit lautem Knall in die Höhe; die Kranke erwachte sofort, so daß kaum zwei Sekunden zwischen dem Schall und dem völligen Wiedererlangen des wachen Bewußtseins verflossen waren, und doch hatte sie geträumt, sie sei in ihrem Garten mit ihrer Katze gewesen, da sei ein Mann mit einer Flinte gekommen; er habe sie durch den Garten und die Straßen der Stadt verfolgt und schließlich im freien Felde auf die Katze geschossen.

Nach dem Mitgeteilten muß es durchaus natürlich erscheinen, daß auch Empfindungen, welche durch krankhafte Veränderungen im Körper verursacht werden, Anlaß zu Träumen geben. Leute, die an chronischen Krankheiten leiden, werden mitunter von gleichartigen sich wiederholenden Träumen geplagt, die mit ihrem Leiden im ursächlichen Zusammenhang stehen. Weygand, der sich viel mit Beobachtung der Träume befaßt hat, berichtete z. B., daß er infolge eines asthmatischen Leidens oft geträumt habe, daß er stöhnend einen Berg erstiege.

Charakteristisch ist es ferner, daß verhältnismäßig geringfügige Reize zu starken Empfindungen im Traume verarbeitet werden. So rief bei dem einen der Druck, den eine Bettkante auf den Arm ausübte, die Vorstellung hervor, daß er eine schmerzhafte Operation aushalten müsse; bei einem anderen wieder zeitigte die Berührung des Nackens mit einer Stange einen wüsten Traum, der ihn in die Revolutionszeit versetzte, ihn vor das Tribunal führte und mit seiner Enthauptung mittels der Guillotine endete. So wird im Traume ein harmloser Insektenstich als ein Dolchstoß empfunden, und das Summen einer Fliege schwillt zum Kanonendonner an. In derselben Weise geschieht es auch, daß geringfügige Krankheitssymptome im Traume als schwere Krankheiten wahrgenommen werden. Der Zufall kann es nun fügen, daß bei einer beginnenden Krankheit die Beschwerden zuerst im Traume empfunden werden. Solche Wahrnehmungen sind vielfach aufgebauscht worden, und man hat sie als prophetische Träume hingestellt. Man sollte aber nicht vergessen, daß Krankheiten, von denen wir träumen, bei weitem häufiger sich nicht verwirklichen.

Träume, die durch verschiedene Reize auf unsere Nerven verursacht werden, stellen sich in dem leiseren Schlafe ein, der dem Erwachen vorausgeht. Man hat sie „Reizträume“ genannt, und sie gehören zu den am besten erforschten. Es giebt aber noch eine andere Art von Träumen, die kurz nach dem Einschlafen entstehen. Sie kommen seltener vor, und ihre Quelle sind weniger äußere Reize als vielmehr Vorstellungen, die im Laufe des Tages unser Gehirn beschäftigt haben. Ueber diese Erscheinungen sind wir noch nicht genauer unterrichtet, ebenso wie über die Träume, die im tiefsten Schlafe sich einstellen können. Der fortschreitenden Forschung wird es aber gewiß gelingen, auch diese dunklen Gebiete zu erhellen, die Naturgesetze, die den scheinbar regellosesten Traum beherrschen, zu ergründen.