Wieder ein Wort für Jugend- und Volksspiele
[531] Wieder ein Wort für Jugend- und Volksspiele. „Die Zeit ist hoffentlich nahe, wo die Beschaffung großer Spiel- und Uebungsplätze als gleich wichtig und gleich notwendig erscheinen wird wie Wasserleitung und Kanalisierung, erscheinen wird als eine Ausgabe, die durch Hebung der Gesundheit, der Arbeitskraft und der Arbeitsfreudigkeit unseres Volkes reichliche Zinsen zum Wohle des Ganzen tragen wird!“
Wie treffend wird durch diesen Ausspruch des verdienten Bonner Arztes Dr. F. A. Schmidt die Bedeutung der Bewegungsspiele in Gottes freier Natur gekennzeichnet! Fürwahr, die großartigen Wasserleitungs- und Kanalisationsanlagen schützen uns nur vor den Verheerungen einiger epidemischen Krankheiten, wie Typhus und Cholera; sie sind darum äußerst wertvoll und unentbehrlich, aber man muß dabei nicht vergessen, daß auch in einer mit dem besten Trinkwasser, mit den größten Reinigungsanstalten versorgten Stadt die Schwindsucht an dem Marke der Bevölkerung nagen, die Bleichsucht Tausende jugendlicher Einwohner schwächen und das Heer der Nervenleiden das Glück so vieler Familien zerstören kann. Das moderne Kulturleben, namentlich in den Städten wird verhängnisvoll durch seinen entnervenden Einfluß, es zeitigt die Leiden, die eine sitzende Lebensweise, Aufenthalt in weniger reiner Luft mit sich bringt; es macht die Menschen frühzeitig alt und siech. Dagegen giebt es kein anderes Heilmittel als die Bewegung in freier Natur.
Das hat unser nervös und bleichsüchtig gewordenes Geschlecht wohl erkannt, und wenn der Sommer kommt, da fliehen Tausende und Abertausende aus den Städten in die Stille der Wälder und auf Bergeshöhen oder an den brandenden Meeresstrand. Wie wichtig und segensreich die Erholung in der Sommerfrische ist, für das Volkswohl erweist sie sich unzulänglich; denn erstens können nicht alle Ferien machen und zweitens genügt sie nicht für die volle Erhaltung der Spannkraft und Frische: nicht das, was wir während vier und sechs Wochen im Jahre thun, sondern wie wir in jeder Woche des Jahres leben, bedingt unser Wohlsein. Darum sollte der Kulturmensch in jeder Woche, zu allen Jahreszeiten an den Jungbrunnen gehen und Stärkung suchen: durch reichliche Bewegung in freier Luft. Ein Ausflug, ein Spaziergang bringt schon viele Vorteile, aber durch das Gehen werden nur einzelne Muskelgruppen in Thätigkeit versetzt – das genügt wieder nicht: denn der ganze Körper verlangt Bewegung, Uebung und Erfrischung und das kann nur durch Bewegungsspiele erzielt werden.
Es ist darum durchaus keine Uebertreibung, wenn man von der Einführung der Jugend- und Volksspiele die leibliche Wiedergeburt unseres Volkes erhofft und in ihnen das beste Schutzmittel gegen den entnervenden Einfluß des modernen Kulturlebens erblickt. Die vor dreizehn Jahren eingeleitete Bewegung für Einführung dieser Spiele hat erfreulicherweise an Stärke und Ausdehnung zugenommen und ist vor allem der Schuljugend vieler Städte zu gute gekommen. Wir sind aber noch über die ersten hoffnungsvollen Anfänge nicht hinaus. Darum sollten wir in dem Bestreben, diese Spiele zur Volkssitte zu machen, nicht erlahmen und dieselben in immer weitere Kreise tragen.
Jüngst hat nun der „Central-Ausschuß zur Förderung der Jugend- und Volksspiele in Deutschland“ einen Aufruf an die deutsche Studentenschaft zur regeren Beteiligung an diesen Bestrebungen erlassen, dem wir den besten Erfolg wünschen. Außerdem hat er „Allgemein unterrichtende Mitteilungen“ über diesen Gegenstand herausgegeben, in welchen unter anderem auch die Notwendigkeit der Heranziehung der gewerblichen sowie kaufmännischen Jugend zu diesen Spielen betont wird. In der That ist diese Jugend in gewissem Sinne eine verlassene und mehr als jede andere während der Feiertagszeit den mannigfachen Verführungen des städtischen
[532] Lebens preisgegeben. Dabei bedarf sie nicht minder wie die Schuljugend der stärkenden Erholung in frischer Luft. Zweifellos wäre es vom grüßten sozialen Vorteil, wenn man diese Jugend an Sonntagen auf Spielplätzen versammeln wollte. Die Lösung dieser Aufgabe ist allerdiugs schwierig: die Jugend, auf die man einwirken will, ist zerstreut, es fehlt hier das Bindeglied der Schule, auch die Leitung der Spiele dürfte mit Schwierigkeiten verknüpft sein. Außerdem kommen vielfach örtliche Verhältnisse und Gewohnheiten in Frage. Bei einigem guten Willen könnte jedoch auch diese Jugend für eine bessere Ausnutzung der freien Zeit gewonnen, aus der Kneipe auf den Spielplatz übergeführt werden. Geschieht es, dann wird man erst sagen können, daß das Bewegungsspiel wirklich volkstümlich werde. Es würde darum mit Freuden zu begrüßen sein, wenn an möglichst vielen Orten Kaufleute und Meister mit Unterstützung erfahrener Lehrer Vereine oder Ausschüsse bilden wollten, die das Ziel verfolgen würden, die kaufmännische und gewerbliche Jugend für das Bewegungsspiel im Freien zu gewinnen. *